Das Klassik-Prisma |
|
Bernd Stremmel |
Diese Webseite ist urheberrechtlich geschützt.
Joseph
Haydn
Klavierkonzert
D-Dur Hob. XVIII Nr. 11
Vivace
– Un poco adagio – Rondo all’ Ungarese,
Allegro assai
Neubearbeitung und
Ergänzung 2019
Mit Blick
auf Haydns 106 Sinfonien fallen seine Konzerte für verschiedene Instrumente,
insgesamt etwa 24 an der Zahl, ins Hintertreffen. Für Tasteninstrumente, das
konnte das Cembalo, das Pianoforte (Hammerklavier) oder auch die Orgel sein,
sind 6 als echt beglaubigt und bei Hoboken in den
Kategorien XIV und XVIII eingeordnet. Weiterhin sind Konzerte bzw. Divertimenti
auf dem Markt, wobei Haydns Autorschaft nicht mit letzter Sicherheit
nachgewiesen ist, oder Haydn zugeschoben wird. Das Clavierkonzert
in D-Dur Hob. XVIII Nr. 11 ist das bekannteste der Konzerte und auch auf dem
Plattenmarkt mit vielen Aufnahmen vertreten. Es entstand wahrscheinlich 1780,
wurde aber erst vier Jahre später gleichzeitig in Paris, Wien und London
veröffentlicht. Auf dem Titelblatt ist zu lesen: Clavicembalo ơ Fortepiano, schaut
man sich den Klaviersatz an, kann kein Zweifel bestehen, dass Haydn mit diesem
Konzert an das Hammerclavier und nicht an das Cembalo
gedacht hatte (z. B. länger auszuhaltende Töne). Um diese Zeit waren ihm schon
eine Anzahl der früheren Mozart-Konzerte bekannt geworden, einige Jahre später,
als dieser nach Wien übergesiedelt war und mit seinen Klavierkonzerten Nr.
14-19 das Wiener Publikum im Sturm eroberte, verstummte Haydns Produktion von
Klavierkonzerten. Neidlos sah er ein, dass er bei diesem Genre seinem jüngeren
Freund nicht mehr Paroli bieten konnte.
Der erste
Satz des D-Dur-Konzerts folgt dem klassischen Sonatensatz, der reichverzierte
Klavierpart des zweiten Satzes lässt an eine Opernszene denken, bei der der
Solist die Rolle des Sängers einnimmt. Der vielleicht bekannteste Satz ist das
Rondo all‘ Ungarese, Wissenschaftler streiten, ob es
eine originale ungarische Melodie sei oder einem kroatischen Tanz namens „Siri
Kolo“ entnommen wurde. Später kam Haydn in seinem Klaviertrio G-Dur, Hob. XV
Nr. 29 auf dieses Kolorit zurück. Auch Brahms verwendete es im Finale seines
ersten Klavierquartetts g-Moll op. 25.
Wie im
Solokonzert üblich, soll im ersten Satz gegen Satzende vom Solisten eine Kadenz
gespielt werden, aus Haydns Feder ist jedoch keine bekannt. Auch im zweiten
Satz ist Raum für eine Kadenz gegeben, den alle Pianistinnen und Pianisten dankbar nutzen.
Es ist mir
noch wichtig zu bemerken, dass in den schnellen Ecksätzen ein nur formelhaftes
Musizieren zu vermeiden ist.
5 |
Michail Pletnjew |
|
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen |
Virgin |
1995 |
20‘55 |
|
differenziertes Klavierspiel, beseelt klingendes Adagio,
Orchester wird als Partner wahrgenommen und läuft nicht nur nebenher,
farbiger Klang unter Einbezug von Oboen und Hörnern |
|||||
5 |
Jewgenij Kissin |
Wladimir Spivakoff |
Moskauer Virtuosen |
RCA |
1988 |
20‘22 |
|
in den Ecksätzen prickelndes Allegro, ein Dirigent ist dabei, da
kann die Musik mehr atmen als ohne, II sich Zeit lassend, romantisch,
spannungsvoll |
|||||
5 |
Martha
Argerich |
Jörg Faerber |
Württembergisches Kammerorchester |
DGG |
1993 |
18‘41 |
|
▼ |
|||||
5 |
Martha
Argerich |
|
London Sinfonietta |
EMI |
P 1983 |
19‘01 |
|
▼ |
|||||
5 |
Oliver Schnyder |
Andrew Watkinson |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
RCA |
2011 |
17‘58 |
|
aufmerksames Miteinander schafft Inspiration, II Musik
fantasievoll erzählt |
|||||
5 |
Alicia de Larrocha |
David Zinman |
London Sinfonietta |
Decca |
1980 |
18‘54 |
|
blitzsauberes und einfühlsames Klavierspiel, aufmerksame
Begleitung, Bläser nicht vergessen, II empfindsam, Tor zur Romantik wird
aufgestoßen, sehr lange Kadenz |
|||||
5 |
Tatjana Nikolajewa |
Saulius Sondeckis |
Litauisches Kammerorchester |
Melodia HMF |
1983 |
19‘56 |
|
aufmerksames Miteinander, Nikolajewa
prima inter pares,
solistisch und orchestzral auf höchstem Niveau, II
innig, sehr gute dynamische Abstufung |
|||||
5 |
Nikita Magaloff |
Günter Wand |
NDR Sinfonie-Orchester Hamburg |
hänssler |
1985 |
19‘24 |
|
live - I entspannt, Musik eilt nicht davon, Mozart-Nähe spürbar,
II innig, Musik atmet, III abwechslungsreiche Gestaltung – farbiges Klangbild |
|||||
5 |
Jean-Efflam Bavouzet |
Gábor Takács-Nagy |
Manchester Camerata |
Chandos |
2013 |
19‘01 |
|
I kraftvoll vorwärtstreibend, Solist und Orchester ziehen an
einem Strang, sehr gute Balance und Transparenz, II mit Espressivo
wird nicht gespart, III atemlos, von musikalischer Energie sprühend |
|||||
|
|
|||||
4-5 |
Svjatoslav Richter |
Yuri Tsiryuk |
Minsker Kammerorchester |
Brilliant |
1983 |
19‘04 |
|
live – Richter nimmt Haydn Musik Ernst, Themen genau umrissen,
Orchester nicht nur in Begleitrolle, Hörner zurückgesetzt, in den schnellen
Sätzen nicht gehetzt, I Phrasierung der Sechzehntel der ersten Geigen in T. 3
und 4 und später etwas oberflächlich, geschmiert, auch in II am Ende von T. 7 |
|||||
4-5 |
Anne Queffélec |
Armin Jordan |
Kammerorchester Lausanne |
Erato |
1972 |
19‘23 |
|
temperamentvoll und mit rhythmischem Schwung durch das Konzert,
Hörner leider im Hintertreffen, II empfindsam |
|||||
4-5 |
Ingrid Haebler |
Szymon Goldberg |
Niederländisches Kammerorchester |
Philips Restrospective |
1960 |
18‘10 |
|
Haebler sehr akkurat, jedoch etwas auf Distanz, mit dem Orchester im
Einklang, I kurzer Eingang T. 234 |
|||||
4-5 |
Sebastian
Knauer |
Hemut Müller-Brühl |
Kölner Kammerorchester |
Naxos |
2007 |
19‘30 |
|
hellwaches Klavierspiel, Orchester zuverlässiger Partner, von
musikalischer Energie sprühende Interpretation, II Klavier mit viel Pedal,
schön ausgesungen, Kadenz mit Doppeltriller, die 25 Jahre später Beethoven in
seiner Waldsteinsonate zum ersten Mal verwendet |
|||||
4-5 |
Maria
Bergmann |
Hans Rosbaud |
SWF-Sinfonie-Orchester Baden-Baden |
hänssler |
1959 |
19‘31 |
|
sauberes aber auch objektives Musizieren, gutes Miteinander,
Hörner leider im Hintertreffen |
|||||
|
|
|||||
4 |
Emil Gilels |
Rudolf Barschai |
Moskauer Kammerorchester |
Melodya Eurodisc hänssler |
1959 |
20‘10 |
|
I mit Elan durch die Musik, virtuos, Orchester wünschte man sich
noch differenzierter, II gezogen, Orchester Grenzen zur Sentimentalität
streifend, III artistische Leichtigkeit |
|||||
4 |
Jörg Demus |
Mauricio Benini |
I Filarmonica di Bologna |
Warner Fonit |
1989 |
19‘08 |
|
entschieden voran, ziemlich glattes Musizieren, Klavierläufe
hier und da etwas inegal, I Streicher T. 140-148 vom Klavierbass verdeckt,
Bläser jedoch besser als in manch einer anderen Aufnahme, III T. 68 ff.
Klavier als harmonische Stütze |
|||||
4 |
Edwin
Fischer |
|
Wiener Philharmoniker |
Electrola Andante |
1942 |
17‘06 |
|
in den Ecksätzen differenzierte, aber auch romantisierende
Darstellung, trotz des schnellen Tempos, Bläser nicht vergessen, II Orchester
hier zu pauschal |
|||||
4 |
Dirk Joeres |
|
Westdeutsche Sinfonia |
IMP |
1991 |
18‘02 |
|
überzeugend dargebotener Klavierpart, Orchester (mit Bläsern)
wünschte man sich etwas leichter und lockerer, es klingt etwas wie
exekutiert, I kurzer Eingang vor der Kadenz, III Eingang vor minore T. 149 |
|||||
4 |
Alfred
Brendel |
Paul Angerer |
Wiener Kammerorchester |
Vox Brilliant |
1961-67 |
18‘59 |
|
weicher Klavierklang, aufmerksame Umsetzung des Notentextes, I
Orchester findet erst nach der Orchester-Exposition zu seiner Form, Eingang
T. 234, II empfindsam, Klavier hier auch als b. c., III erste Violine nicht
immer zuverlässig |
|||||
4 |
Jean-Marc Luisada |
Paul Meyer |
Orchestra di Padova et del Veneto |
RCA |
2001 |
20‘25 |
|
Pianist neigt zum Auftrumpfen, Orchester etwas pauschal, man
wünschte sich mehr dynamische Differenzierung |
|||||
|
|
|||||
3-4 |
Arturo
Benedetti Michelangeli |
Mario Rossi |
RAI Orchester Turin |
Frequenz |
1959 |
18‘28 |
|
live - ▼ |
|||||
3-4 |
Arturo
Benedetti Michelangeli |
Edmond de Stoutz |
Züricher Kammerorchester |
EMI |
1975 |
20‘44 |
|
▼ |
|||||
3-4 |
Peter Rösel |
Günther Herbig |
Berliner Sinfonie-Orchester |
Eterna Berlin Classics |
1979/80 |
18‘37 |
|
I ziemlich geradlinig, technisch o. k., II nüchtern, III kaum Esprit
– großbesetzter Streicher-Apparat, Hörner?, mehr eine technische als eine
musikalische Lösung |
|||||
3-4 |
Emanuel Ax |
|
Franz-Liszt-Kammerorchester |
Sony |
1992 |
18‘04 |
|
in den Ecksätzen sehr schnell, äußerlich perfekt, das Orchester (Hörner?),
einfallslos und zu mechanisch, läuft wie nebenher, II zu glatt gebügelt –
Haydn ohne Seele, hier fehlt ein Dirigent |
|||||
|
|
|||||
3 |
Philippe Entremont |
|
Wiener Kammerorchester |
Teldec |
P 1981 |
19‘02 |
|
großbesetztes Streich-Orchester, etwas beschwertes Musizieren,
dynamische Differenzierung kaum top, wenig differenziertes Klavierspiel, mehr
mechanisch als künstlerisch ambitioniert |
|||||
Interpretationen
nach historisch-informierter Aufführungspraxis mit Hammerflügel oder Cembalo
und Originalinstrumenten |
||||||
5 |
Andreas Staier, HF |
Gottfried von der Goltz |
Freiburger Barockorchester |
HMF |
2004 |
19‘28 |
|
I schwungvolles und facettenreiches Spiel, II Klavierpart wie eine
Fantasie, wobei der Notentext nur den Rahmen abgibt, III hier sprühen die
Funken |
|||||
5 |
Ronald Brautigam, HF |
Lars Ulrik Mortensen |
Concerto Kopenhagen |
BIS |
2003 |
16‘19 |
|
I mit Verve, elastisches Musizieren, II Klang schon fast in barocker
Manier, III straffes Musizieren, filigrane Partien, wache Aufmerksamkeit –
Klangbild insgesamt farbiger (Hörner) als bei Staier
und Immerseel |
|||||
5 |
Jos van Immerseel, HF |
|
Anima Eterna |
ZigZag |
2003 |
18‘45 |
|
I mit Hingabe, stürmisch, drängend, II fantasievolle Gestaltung,
Hammerflügel auch als b.c., III geradlinig –
schlankes Musizieren, fast schon asketisch, sehr helles Klangbild |
|||||
|
||||||
4-5 |
Trevor Pinnock, Cembalo |
|
The English Concert |
DGA |
1985 |
20‘15 |
|
Alles klappt wie am Schnürchen, aber: die fast immer
gegenwärtigen Alberti-Figuren abwechselnd in rechter und linker Hand lenken
von der Musik ab. Man gewinnt den Eindruck, dass der Orchesterpart Vorrang
von dem des Solisten habe. Im Adagio ist die Balance jedoch im Lot. III T.
214 ff. etwas langsamer |
|||||
|
||||||
4 |
Janny van Wering, Cembalo |
Szymon Goldberg |
Niederländisches Kammerorchester |
Philips Restrospective |
1974 |
19‘22 |
|
Aufnahme kurz bevor die HIP-Bewegung die Niederlande erreichte,
Cembalo klingt zu mechanisch, Orchester mit Bläsern solide, II romantisierend |
|||||
Interpretationen
nach historisch-informierter Aufführungspraxis mit modernen Instrumenten |
||||||
5 |
Alexandre Tharaud |
Bernard Labadie |
Les Violons du Roy |
Erato |
2013 |
19‘53 |
|
forsch, zupackend, lustbetontes geistreiches Klavierspiel,
quicklebendig und immer wieder pointiert, Verzierungen, sehr gute dynamische
Differenzierung, I Eingang T. 234, II facettenreich, ausgedehnte Kadenz, die
auf Beethoven hinweist, III buffo-Stil, Scherzbold
Haydn – diese Interpretation fällt in die Kategorie: Die besondere Aufnahme |
|||||
5 |
Marc-André Hamelin |
Bernard Labadie |
Les Violons du Roy |
hyperion |
2012 |
19‘49 |
|
leicht und locker, markant akzentuiert, Musik gestaltet,
bemerkenswerte Kadenzen, die sich verselbständigen und Haydn weit hinter sich
lassen, III molto capriccioso |
|||||
5 |
Gerrit
Zitterbart |
Thomas Fey |
Schlierbacher Kammerorchester |
hänssler |
1999 |
17‘16 |
|
I schlankes und sensibles Musizieren, II Pianist wie in sich
versunken, III spielerischer Umgang mit dem Notentext |
|||||
|
|
|||||
4-5 |
Leif Ove Andsnes |
|
Norwegisches Kammerorchester |
EMI |
1998 |
18‘09 |
|
in den Ecksätzen stürmisch voran, Orchester neigt etwas zum
Auftrumpfen, klingt an einigen Stellen auch etwas geglättet, Bläser vor allem
in den Ecksätzen etwas zurückgenommen, Klavier perfekt, II Streicher vibratoarm, klingt so etwas kühl |
|||||
Interpretationen
mit Cembalo und modernen Instrumenten |
||||||
3 |
Wanda
Landowska |
Eugene Bigot |
unbenanntes Orchester |
EMI Dutton |
1937 |
19‘39 |
|
Aufnahme für die heutige Zeit ein Anakronismus,
Orchester klanglich oft zurückgesetzt, man vermisst eine Sensibilität für
diese Musik, im ersten Satz T. 2 auf
der dritten Zählzeit kein Staccato, entsprechend
auch beim Cembalo T. 50 – nur zu Studienzwecken geeignet |
Für
Musikfreunde, die das Besondere lieben, gibt es seit einigen Jahren eine
Aufnahme, in der das Clavier durch eine Harfe ersetzt wurde:
|
Xavier de Maistre |
Bertrand de Billy |
Radio Symphonieorchester Wien |
RCA |
2008 |
18‘33 |
|
Trotz differenziertem Spiel können die Musiker ihre
philharmonische Herkunft nicht verbergen. |
Hinweise zu
Interpreten und Interpretationen
Arturo
Benedetti Michelangeli
Vom
italienischen Meisterpianisten sind zwei Interpretationen erhalten. Die frühere
ist ein live-Mitschnitt aus Turin aus dem Jahre 1959. ABM pflegt hier vor allem
in den schnellen Ecksätzen ein starres Klavierspiel, als wolle er verbissen
einen Hammerflügel nachahmen. Das verstärkt sich noch in der Studio-Produktion
für EMI 16 Jahre später. Die Begleitterzen der linken Hand wandeln sich zu
einem nervenden Gehämmere, so dass man als Hörer den
Eindruck gewinnen kann, Haydn wolle Bartoks motorisch
geprägten Klavierstil vorwegnehmen. Das klingt mir in den Ecksätzen zu
mechanisch. Das Turiner Orchester
spielt
höchstens solide und wird kaum gefordert, im Adagio vermisst man T. 37 ff. die
Bässe. Der letzte Satz hinterlässt einen etwas belanglos gespielten Eindruck. Das
Züricher Kammerorchester gefällt da besser, es spielt jedoch in Satz eins T.
140-155 zu leise, das Adagio erklingt in einem leicht romantischen Tonfall. Der
kaum optimale Klavierklang kommt wie aufgeblasen aus den Lautsprechern.
Martha
Argerich
Im
Gegensatz zum vorherigen Pianisten lauscht man Argerichs beiden Aufnahmen mit
höchstem Vergnügen. Ihr Klavierspiel steht über jeder Kritik, erfrischend der
Elan, das spontane Musiziergefühl, die sie in die Ecksätze einbringt, die
ariosen Abschnitte im Adagio werden erfüllt ausgesungen. In der jüngeren
Aufnahme der DGG scheint sie sich noch mehr einzubringen als in der älteren
EMI-Produktion. Das Londoner Orchester agiert noch etwas in Begleitrolle,
dagegen tritt das Württembergische Kammerorchester auch als Mitgestalter
auf, es klingt auch farbiger und räumlicher als die trocken klingende
Sinfonietta aus London.
|
|
|
|
|
|
|
|
eingestellt
2005
Neubearbeitung und Ergänzung am 23.12.19