Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Gustav Mahler – 4.
Sinfonie G-Dur
Bedächtig
– In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast – Ruhevoll – Sehr behaglich
Mahlers 4. Sinfonie entstand in den
Jahren 1899/1900, ihre Uraufführung erfolgte ein Jahr später in München. Wie
bei (fast) allen seinen Sinfonien erfolgte vor der Drucklegung noch eine
Überarbeitung. Nach der Uraufführung äußerte der Komponist gegenüber der
Geigerin und Vertrauten Nathalie Bauer-Lechner: „Der erste [Satz] fängt doch gleich charakteristisch genug mit der
Schellenkappe an“ [1], es ist also die mit Schellen
besetzte Narrenkappe gemeint. Außer am Beginn setzt Mahler die Schellenklänge
an weiteren, für die Sinfonie charakteristischen Stellen, ein, besonders
deutlich im Finalsatz, immer dann, wenn die Sängerin einfühlsam, choralartig
begleitet, „…St. Peter…, die Englein...,
St. Martha…“ gesungen hat. Unmittelbar danach setzt das Orchester in einem
viel schnelleren Tempo mit grellen, lärmenden Klängen spottend ein, deutlich
meint man ein teuflisches Lachen zu vernehmen: „Ha ha, ist doch nicht so
gemeint“! In der letzten Strophe wird
die himmlische Musik besungen:
Die englische
Stimmen ermuntern die Sinnen, daß alles für Freuden
erwacht!
Wer genau hinhört, dem wird die
Diskrepanz zwischen Text/Gesang und der tatsächlichen musikalischen
Verarbeitung nicht verborgen bleiben: die Musik bewegt sich dann nicht
zu freudigen Höhen, sondern verlangsamt sich, wandert in die Tiefe des
Orchesters und zerfällt. Besser lässt sich ihre Doppelbödigkeit nicht vor Ohren
führen.
Theodor W. Adorno urteilte: Ein
Meisterwerk wie die vierte Sinfonie ist ein Als-Ob von der ersten bis zur
letzten Note“. [2],
nichts sei so
gemeint, wie es an der Oberfläche aussieht. Die romantische Schönheit mancher
Stellen scheint nur eine Inszenierung zu sein, hinter der die wahren Gedanken
des Komponisten verborgen sind. Man kann also von einem doppelten Boden
ausgehen: Auf der Oberfläche das Geschriebene, darunter verborgen das Gemeinte.
Der Mahler-Biograph Jens Malte Fischer schreibt „es ist ein Werk der Uneigentlichkeit, der
Ironie, die das Schmerzhafte, ja Schreckenerregende genauso einschließt wie das
Kindhaft-Naive. Die Vierte träumt sich in eine Kindheit zurück, der man
nachtrauern muß, der aber nicht mehr zu trauen ist.
Die himmlischen Freuden des letzten Satzes wollte Mahler ja von einer möglichst
jugendlich-kindlichen Stimme gesungen haben.“ [3]
Dies möge dem Leser als eine kurzgefasste Einleitung dienen, ihn aber ermuntern, sein(e)
CD-Booklet(s) zu lesen, sowie, falls vorhanden, weitere Quellen heranzuziehen,
die Näheres zu Mahlers Vierter mitteilen können.
Hinweise zu den vier Sätzen:
Nach der dreitaktigen Einleitung
beginnt im ersten Satz das Hauptthema, das wiederum mit drei Gedanken arbeitet:
zunächst die Melodie der Geigen, wie ein Lied mit Gitarrenbegleitung, die hier
von Streichern übernommen wird. Dann ab Takt 7 eine punktierte aufsteigende, kurz danach wieder
fallende, Melodie der Bratschen und Bässe, die sich mit einem
charakteristischen (Pralltriller) Hornmotiv, das an allen Ecken zitiert wird,
ablöst. Die erwähnte Geigenmelodie wird anfangs und auch später mehrmals mit
einem deutlichen Ritardando eingeleitet. Nicht jedoch T. 17/18, obwohl es
einige Dirigenten so verstehen, wie Jordan, Bernstein-60 und Abbado-BP. Bei
diesem zweiten Erscheinen lässt Mahler sie in Engführung (Violine-Cello)
spielen, einen Takt später (20) bringt er mit einer kurzen wiegenden Melodie
gespielt von Klarinette und Fagott bereits einen Vorgriff auf die Schlussgruppe
T. 91 ff., in der sie diesen Abschnitt beherrscht. Reiner, Haitink, Ozawa,
Jansons und Ivan Fischer machen darauf aufmerksam. Ziemlich am Ende der
Durchführung nach der Katastrophe T. 221-204 nimmt Mahler, gespielt von
Trompeten und Hörnern, das Klopfmotiv vom Beginn der folgenden 5. Sinfonie
voraus (T 225-230), was ihn wahrscheinlich schon damals beschäftigte. Wenige
Takte später unterbricht er die Musik mittels einer unvermittelt eintretenden
Pause und beginnt danach die Reprise, aber nicht wie anfangs, sondern
entsprechend Takt 20 ff., d. h. auf die ersten Takte wird verzichtet.
Im zweiten Satz, Scherzo, fügt Mahler
dem Instrumentarium eine Solo-Geige zu, die einen Ton höher gestimmt wird und
immer stark hervortreten soll, so erinnert es an einen Totentanz. Mahler
äußerte sich dementsprechend: Freund Hein
spielt zum Tanz auf. Leider verzichten einige Dirigenten darauf dieses
Grelle, dieses Abgehobene und Verstörende der Litanei-artig heruntergespielten
Takte in ihren Interpretationen herauszustellen. Wichtig scheint mir auch der
Hinweis, dass besonders die ersten Takte profiliert und nicht lustlos,
geschäftsmäßig erklingen, und damit auch ein Kontrast zum vergangenen Satz
erreicht wird. Eine Aufführung kann zur Langeweile führen, wenn zu sehr
ziseliert, zu trocken musiziert und die große Linie übersehen wird, die Gefahr
besteht bei Klemperer. Beim Hören fällt mir immer der zweite Satz von Bartoks Konzert für Orchester ein, überschrieben mit Giuoco delle coppie,
hat sich der Ungar hier Anregungen geholt? Zwei Trios bringen Ruhe in dieses
„weltliche Getümmel“ mit zum Teil mehreren gleichzeitig erklingenden
Melodiebausteinen. Am Ende des ersten Trios schleicht sich die Musik fort,
Mahler schreibt dort den Streichern ein fünffaches und ein vierfaches Piano in
ihre Noten (T.106 f.).
Der folgende dritte Satz beginnt mit
einem leisen, molto cantabile zu
spielenden Cellothema, dem sich in Takt 17 ein
zweites Thema für die zweiten Geigen gesellt. Mahler bezeichnete die Cellostimme mit pp,
die gleichzeitige fortlaufende Kommentierung der Kontrabässe, später auch
Celli, mittels kurzer Pizzicati jedoch nur mit p, für den Dirigenten ein Hinweis, der
Schönheit der Cellomelodie nicht zu sehr zu
vertrauen, sie ist immer gefährdet, die Pizzicati
sind mit gleicher Aufmerksamkeit zu behandeln (siehe Doppelbödigkeit oben). Mit
dem Takt 62 beginnt ein zweiter Abschnitt zunächst mit einer klagenden Melodie,
viel langsamer vermerkt hier die
Partitur. Eigentlich ist diese Anweisung paradox, da Mahler im Folgenden
kürzere Noten einsetzt. Nicht wenige Dirigenten werden nach dem ersten
klagenden Oboen-Takt zusätzlich wieder schneller, ein paar Takte später
verlangt der Komponist dann Nicht
schleppen, das liest sich wie eine Absolution.
In diesem Satz führt Mahler die Musik
zu mehreren Höhepunkten, die vor der Klimax jedoch wieder abgebrochen werden,
so zum ersten Mal bei Takt 75. Hier schreibt der Komponist für die aufeinander
folgenden Hornmotive für das erste Horn ein p
vor, für das tiefere zweite ein ff,
wissend, dass das tiefere schwerer zu spielen ist, aber auch ein Hinweis
darauf, dass das zweite nicht leiser erklingen darf, wie es meist zu hören ist.
Am besten gelingt diese Stelle Harding, gefolgt von Klemperer, Kletzki, Solti, Sinopoli, Herreweghe
und Manacorda. Ähnlich verhält es sich am zweiten
anvisierten Höhepunkt, hier übernehmen die Kontrabässe das Motiv der Hörner,
jetzt sogar fff, was selten an die
Ohren der Hörer dringt. Das wiederholt sich nochmals in Takt 211. Nach dem
vorletzten, erneut missglückten, Gipfel mit ihrer ausdrucksvollen Klage aller
vier Hörner scheint die Musik ihrem Ende entgegen zu gehen, zwei Hörner,
unterstützt zunächst von Fagotten, danach von Bratschen, steigen langsam molto espressivo
in die Höhe (T. 296 ff.) und werden von den Streichern in Takt 302 ganz sachte
(ppp)
aufgefangen, die Melodie wandert von den Hörnern/Bratschen zu den Streichern,
die Instrumente in höchster Lage zu spielen. Hier zeigt sich eindringlich die
Klangkultur eines Orchesters, der Hornspieler und Streicher, aber auch die
besondere Aufmerksamkeit des Dirigenten, nicht in allen Aufnahmen klingt sie so
berührend wie von Mahler gedacht. Um diese kompositorische Wunder erleben zu
können, sollte der Zuhörer für ein paar Sekunden den Atem anhalten und sich
ganz auf die Musik konzentrieren. Wenige Takte später erweist sich dieses
Schauspiel als ein „als ob“, dort, wo es niemand vermutet, reist der Komponist
den Vorhang herunter, überrascht und überwältigt zugleich den Hörer: Vorwärts, Poco piu
mosso steht über den Takten 315 (mit Auftakt) bis 317, die Musik scheint zu
explodieren, die Spieler haben ihr Letztes zu geben bei dieser gewaltigen
Entladung. Im lauten Abgesang intonieren schon alle vier Hörner unisono den
Beginn des vierten Satzes (T. 320). Zwischen den beiden Auftaktnoten und dem
eigentlichen Höhepunkt verlangt der Komponist ein kurzes Atemholen, eine
Luftpause, auffallend und merkwürdig zugleich ist, dass ältere Dirigenten,
teils noch aus Mahlers Umfeld, auf dieses knappe Innehalten verzichten, nämlich
Mengelberg, Walter-CSO, Klemperer-POL, Krips, Solti sowie Kempe.
Ein Lied am Ende eines reinen
Instrumentalwerkes war und ist ungewöhnlich, im vierten Satz verwendet Mahler
nochmals ein Lied aus der Sammlung Des
Knaben Wunderhorn, es ist „Das himmlische Leben“, und wurde bereits 1892
komponiert und war ursprünglich als siebter Satz seiner 3. Sinfonie vorgesehen.
Mahler erwartet, dass die Sängerin ihren Part mit kindlich heiterem Ausdruck: durchaus ohne Parodie vorträgt.
Ein opernhaftes Singen unter Einsatz von Vibrato verbietet sich hier, woran
eine Anzahl der vorgestellten Aufnahmen scheitern. Der Text erinnert in naiver
Weise an frühgotische Fresken, die den ungebildeten Menschen die Darstellung
des Paradieses vor Augen führen sollen, in der die Nöte des Lebens gewichen
sind und die ein sorgenloses Leben im Himmel verheißen. In der
mittelalterlichen Darstellung dürfen naturalistische Bilder nicht fehlen, das
Essen und Trinken mit allem was dazu gehört wird deutlich vorgeführt. So
untermalt Mahler das Schlachten des Lämmleins und
eines Ochsen mit drastischen Lauten, da fragt man sich allerdings, ob dies mit
dem Bild des Paradieses zu vereinbaren ist. Der Satz schließt nicht
optimistisch, wie man es vom Text her erwarten könnte, sondern führt zum
ungewissen Ende, morendo. Erstaunen
setzt sich beim vergleichenden Hören ein, wenn die meisten Dirigenten die
leisen und langen Noten nach St. Peter…,
die Englein..., St. Martha nicht auszählen sondern verkürzen obwohl Mahler
zusätzlich noch Ritardando verlangt. Ich meine, dass mit längeren Tönen die
Überraschung beim folgenden Orcherstereinsatz noch
viel stärker wird.
Mahler hat sein Orchester gegenüber
den vorhergehenden Sinfonien abgespeckt, es fehlen jedoch Posaunen und die
Tuba. Demgegenüber werden die vier Hörner, besonders jedoch das Solo-Horn in
besonderem Maße gefordert.
[1] mitgeteilt von Jens Malte Fischer: Gustav Mahler – Der fremde Vertraute, Wien 2003, S. 412 als Zitat von Herbert Killian (Hg.): Gustav Mahler in den Erinnerungen von Nathalie Bauer-Lechner, Hamburg 1984
[2] Theodor W. Adorno: Wiener Rede. in: Gustav Mahler, Tübingen 1963
[3]
Fischer, wie 1
Hier nun die Aufnahmen:
5 |
Christoph
von Dohnanyi |
Dawn Upshaw |
Cleveland Orchestra |
Decca |
1992 |
56‘54 |
|
überzeugende Umsetzung der Partitur,
mit artikulatorischer Feinarbeit (Glissandi,
Schlagwerk), Mahlers dynamische Vorstellungen umgesetzt, sehr gute Balance
und Transparenz, I artistische Leichtigkeit, II Dirigent übersieht nicht das
Skurrile der Musik, versucht als einer der wenigen in T. 106 ff. das
verlangte ppppp
und pppp
zu erreichen, III immer gespannte Ruhe, IV Solistin mit Akzent und Vibrato,
nicht immer natürlich gesungen, Begleitung könnte hier und da diskreter sein, Takte 39 und 74 zu kurz |
|||||
5 |
Daniel
Harding |
Dorothea Röschmann |
Mahler Chamber
Orchestra |
Virgin |
2004 |
57‘52 |
|
Harding hat ein Gespür für diese
Musik, immer schlankes, lebendiges sowie absolut sauberes Musizieren,
Verzicht auf Vibrato, sehr gute dynamische Differenzierung, piano-Kultur
sondergleichen, immer transparentes Klangbild, differenziert eingesetztes
Schlagwerk, II das Burleske gut herausgearbeitet, Glissandi,
Harfe T. 36/38/40 zu leise, wienerisches Flair im 2. Trio, III mit langem
Atem musiziert, Orchester bleibt in den ersten Minuten weitgehend im pp-Bereich, Kontrabässe nicht lauter
als Melodie, IV sehr stimmungsvoll, Sängerin eingeschlossen, die hier eine
überzeugende Leistung ablegt, die sie in ihrer späteren Aufnahme mit Jansons
so nicht wieder erreicht, Harding bleibt nach den drei Choral-artigen
Abschnitten ziemlich im Metrum – es könnte Hörer geben, der diese
Interpretation als zu perfekt erscheint |
|||||
5 |
George
Szell |
Judith Raskin |
Cleveland Orchestra |
CBS Sony |
1965 |
57‘38 |
|
I weniger locker als Reiner,
stattdessen etwas herber im Ausdruck, Kontraste stärker hervorgehoben, z. B.
gestopftes Horn, II Solo-Violine kommt besser heraus als in anderen
Aufnahmen, III ruhevoll, IV deutliche Kontraste, überzeugende Solistin |
|||||
5 |
Herbert
Kegel |
Celestina Casapietra |
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig |
Eterna Berlin Classics |
1977/78 |
55‘57 |
|
detailreiche Interpretation, I Trompeten-Stelle
T. 224-235 sehr deutlich und spannend, sonst fast nirgends so überzeugend,
mit spürbarer Leidenschaft, III mit großer Anteilnahme und Ausdruckskraft, IV
stimmungsvoll, T. 39 ohne Ritardando |
|||||
5 |
Bruno
Walter |
Hilde Güden |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1955 |
53‘54 |
|
live, ▼ |
|||||
5 |
Kurt
Sanderling |
Felicity Lott |
BBC Northern Symphony
Orchestra |
BBCL |
1978 |
54‘34 |
|
insgesamt hellwache Interpretation, überzeugende
Leistung, sehr gute Transparenz, I An- und Abschwellen vorbildhaft,
Glockenspiel T. 210-220 zu leise, II in den Takten 254 ff. Geigen immer
leise, um den Klarinetten und Fagotten den Vortritt zu lassen, das spielt
kaum einer so, III ausdrucksstark, leidenschaftlich, IV überzeugend |
|||||
5 |
Jascha Horenstein |
Margaret Price |
London Philharmonic
Orchestra |
EMI |
1970 |
59‘25 |
|
I in mäßiger Bewegung,
Satzcharaktere durch intensive Wiedergabe, nicht durch deutliches Tempo
voneinander unterschieden, gute Transparenz, II die einzelnen Abschnitte
wollen nicht zusammenpassen, es klingt (gewollt) disparat, Solist spielt wie
ein Stehgeiger, III zurückhaltend, Balance nicht immer wie gewünscht, IV
langsam, T. 39 und T. 112 zu kurz, Solistin teilweise instrumentales Singen,
jedoch mit Anteilnahme |
|||||
5 |
Eduard
van Beinum |
Margaret Ritchie |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
1952 |
51‘49 |
|
I insgesamt sehr lebendig,
zupackend, auch drastisch, musikantisch, Dialog zwischen Flöte und Fagott T.
132 ff. herausgestellt, II Solo-Violine etwas zurückhaltend, III intensiv
gestaltet, Phrasierungen der Violinen T 145 ff. nicht immer nach Mahlers
Vorstellungen, IV insgesamt kontrastreich – leicht kompakter Klang, jedoch
gute Transparenz, Dynamik im p-Bereich
nicht ausgeschöpft |
|||||
5 |
Karel
Šenja |
Maria Tauberova |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1950 |
51‘51 |
|
I insgesamt frisches Tempo mit guten
Tempokontrasten, abwechslungsreiche Gestaltung, II deutliches Musizieren,
Wiener Einschlag T 254 ff. überzeugt, III nie schleppend, Hörner eher
zurückhaltend, man fühlt sich wie in freier Natur, IV hinreichende Textverständlichkeit,
Portamenti bei „Leben“ (T. 26/30), bei „Schlachten“ und „achten“ (T. 67/69)
wünschte man sich eine drastischer klingende Begleitung – für die Zeit der
Aufnahme hervorragende Transparenz, aufmerksame Umsetzung der Partitur |
|||||
5 |
Jonathan
Nott |
Mojca Erdmann |
Bamberger Symphoniker |
Tudor |
2006 |
55‘16 |
|
Nott identifiziert sich
mit der Partitur, Mahlers sprechende Tempi umgesetzt, kammermusikalische
Abschnitte durchleuchtet, II das Burleske der Musik herausgestellt, wienerisches
Intermezzo in Trio 2 nicht vergessen, III mit viel Klangsinn, Kontrabässe in
T. 90 tatsächlich fff, Nott nimmt die Takte 269-285 unter einen Bogen, setzt
nicht T. 271 neu an, IV Solistin mit Vibrato, im Timbre nicht so glockenhell,
T. 39 und T. 75 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando – sehr gute dynamische
Differenzierung, Balance und Transparenz |
|||||
5 |
Giuseppe
Sinopoli |
Juliane Banse |
Sächsische Staatskapelle Dresden |
hännsler |
1999 |
61‘45 |
|
live – konzentrierte Darstellung,
Sinopoli hat eine Auge für die Brüche der Partitur, für das Nebeneinander von
Schönem, Verstörendem, Tragischem und Hässlichen, ganz im Sinne der Partitur,
III Pizzicati der Bässe könnten noch etwas lauter
hervortreten, IV T. 39 und T. 75 zu kurz, sehr langsam ab T. 122 bis zum
Schluss, Solistin hält da gut mit |
|||||
5 |
Michael
Gielen |
Christine Whittlesey |
SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden |
SWR music |
1988 |
56‘21 |
|
Partitur-getreue Darstellung, schlanke
Gestaltung mit weitgehendem Verzicht auf Pathos, inspiriert, klare
Artikulation, beleuchtet alle Facetten des Werkes, aufmerksame Umsetzung der
Dynamik, sehr gute Balance und Transparenz, II wünschte man sich etwas
schneller, III schlanke Pizzicati der Kontrabässe,
ruhevoll, flexible Tempi, Solistin bei langen Tönen Vibrato, T. 39 zu kurz |
|||||
5 |
Bernard
Haitink |
Sylvia McNair |
Berliner Philharmoniker |
Philips |
1992 |
58‘26 |
|
▼ |
|||||
5 |
Bernard
Haitink |
Christine Schäfer |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
RCO live |
2006 |
54‘41 |
|
live, ▼ |
|||||
5 |
Claudio
Abbado |
Frederica von Stade |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1977 |
58‘03 |
|
▼ |
|||||
5 |
Claudio
Abbado |
Renée Fleming |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
2005 |
54‘55
|
|
live, ▼ |
|||||
|
||||||
4-5 |
Bruno
Walter |
Annelies Kupper |
Städtisches Museums- und
Opernhausorchester Frankfurt |
Tahra |
1950 |
51‘59 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Bruno
Walter |
Elisabeth Schwarzkopf |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
M&A |
1952 |
53‘23 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Bruno
Walter |
Desi Halban |
New York Philharmonic
Orchestra |
CBS Sony |
1945 |
49‘53 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Otto Klemperer
|
Elisabeth Schwarzkopf |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1961 |
54‘51 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Otto
Klemperer |
Teresa Stich-Randall |
Wiener Symphoniker |
Testament |
1955 |
52‘27 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Otto Klemperer
|
Elfriede Trötschel |
RIAS Symphonie- Orchester Berlin |
audite |
1956 |
52‘48 |
live, ▼ |
||||||
4-5 |
Fritz
Reiner |
Lisa della Casa |
Chicago Symphony
Orchestra |
RCA |
1958 |
53‘18 |
|
I bei aller Konzentration doch entspannt,
insgesamt straffe Darstellung, Orchester immer geschmeidig, II Solo-Geige
nicht aufsässig hervortretend, schöne Pizzicati der
Bässe, Sonderstellung des Horns hervorgehoben, III nicht schleppend,
Schönklang geht vor Struktur, erinnert stellenweise an R. Strauss,
IV schlicht, disziplinierter Gesang, ausdrucksvoll – gute Transparenz |
|||||
4-5 |
Hartmut
Haenchen |
Alexandra Coku |
Niederländisches Philharmonisches
Orchester |
Delta |
1991 |
55‘19 |
|
die unterschiedlichen Seiten der Komposition
gut herausgearbeitet, deutliches Musizieren, sehr gute Transparenz, I
deutliches Schlagwerk auf dem Höhepunkt T. 209-223, II sehr
abwechslungsreich, erstes Horn wenn gewünscht präsent, III emotionsgeladene
Kraft, T. 238 ff. tänzerisch, IV stimmungsvoll, jedoch Sängerin stellenweise
bedrängt, T. 39 ohne Ritardando – Haenchen hat eine
gute Hand für die immer wieder wechselnden Tempi, im Großen und Ganzen
sachliche Interpretation |
|||||
4-5 |
Antonello
Manacorda |
Anna Larsson |
Het Gelders Orkest |
Challenge |
2013 |
59‘52 |
|
I Verzicht auf Vibrato, immer Blick
auf Details, T. 36/37 sowie 77/78 wienerischer Tonfall, artikulatorische
Feinarbeit, breite Ausdrucksskala, sehr gute Transparenz in den Takten 125-141,
nirgends so durchsichtig wie hier, Schlussgruppe sehr langsam und
stimmungsvoll, II dynamische Staffelung weitgehend nach Partitur,
vorbildliche Umsetzung der T. 254 ff., III insgesamt eher objektiv als
emotional beteiligt IV kein natürliches Singen, zu viel Vibrato, Solistin
macht zu viel, T. 39 zu kurz – bis auf den Schlusssatz hervorragende
Interpretation, |
|||||
4-5 |
Georg
Solti |
Sylvia Stahlman |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
1961 |
53‘59 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Georg
Solti |
Kri te Kanawa |
Chicago Symphony
Orchestra |
Decca |
1983 |
54‘32 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Roger
Norrington |
Anu Komsi |
SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart |
hänssler |
2005 |
51‘56 |
|
live, Verzicht auf Vibrato, I Norrington nimmt die mit fließend bezeichneten Abschnitte schneller als üblich, immer sehr
deutlich, eine gemütliche Stimmung lässt N. nicht aufkommen, immer bewegt,
dramatisch, II hier eine der schnellsten Interpretationen des 2. Satzes,
Burleske, Glissandi, III ohne Vibrato klingt die
Musik asketischer, bewegt, Horn deckt Englischhorn T. 199-201 zu, IV
angenehmer Gesang, ziemlich gute Textverständlichkeit – Norrington
deutet Mahlers 4. als Kindertotenlied und begründet es im Booklet, eine
interessante Deutung |
|||||
4-5 |
Zdeněc Mácal |
Michaela Kaune |
Tschechische Philharmonie Prag |
Exton |
2006 |
56‘24 |
|
I deutliches Musizieren, markante
Akzente; Mácal unterstützt Mahlers Vorgehen, die Komposition
in Abschnitte zu gliedern, als größere Zusammenhänge zu schaffen, mehr als
andere Interpreten, II immer deutliche Solo-Geige, III Thema und
Pizzicato-Begleitung der Kontrabässe im richtigen Verhältnis,
abwechslungsreich, viel Spannung, gelungener Übergang von Hörnern zu
Streichern T. 302/303, An- und Abschwellen der Bläser in T. 324/325 sehr gut,
IV T. 39 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando, Solistin: etwas künstlich
vorgetragen – farbiges, breitgefächertes Klangbild, mit sehr guter Transparenz |
|||||
4-5 |
Riccardo
Chailly |
Barbara Bonney |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
1999 |
58‘08 |
|
I teils überdeutliches Musizieren,
geht auch auf Kosten des Tempos, könnte auch als pedantisch gewertet werden, sehr
deutliche Einsätze, glasklares Klangbild, sehr gute Transparenz, II die Sätze
1 und 2 unterscheiden sich nur durch ihr thematisches Material, III immer
gespannt, IV Solistin bei langem Tönen mit Vibrato, nicht immer idiomatisches
Deutsch |
|||||
4-5 |
Michael
Tilson Thomas |
Laura Claycomb |
San Francisco Symphony
Orchestra |
Eigenlabel des SF |
2003 |
62‘15 |
|
I aufmerksame Umsetzung des
Notentextes, mit Hingabe, mit viel Klanggespür, sehr gute Transparenz, Schlussgruppe
sehr langsam und ausdrucksvoll, II Spieler der Solo-Geige hält sich zurück,
nicht überdreht, III sich viel Zeit lassend, Pizzicati
der Kontrabässe mehr fett als fokussiert klingend (passt eher zu Karajan als
zu Mahler), IV ansprechendes Singen, T. 112 ohne Ritardando – Klang besitzt
im Tutti weniger Transparenz als bei Spitzenaufnahmen |
|||||
4-5 |
Leopold
Ludwig |
Anny Schlemm |
Staatskapelle Dresden |
Eterna Heliodor Berlin Classics |
1957 |
50‘44 |
|
I entspanntes aber auch sehr
deutliches Musizieren, z. B. Basslinie T. 226 ff. die meistens überspielt wird, III gefällt am
besten – immer transparentes Klangbild, trotz aller Vorzüge jedoch etwas
nüchtern objektiv |
|||||
4-5 |
Eugen
Szenkár |
Christiane Sorell |
Düsseldorfer Symphoniker |
archiphon |
1960 |
58‘30 |
|
live – Dokument eines einst
bedeutenden Mahler-Dirigenten. Mahlers vielschichtige Konstruktion und ihre
Stimmführungen herausgearbeitet, spannungsvoll, überzeugende Dynamik,
Orchester spielt weniger geschmeidig als Spitzenensembles, insgesamt etwas
holzschnittartig, offenes Klangbild, bemerkenswerte Sängerin, IV Takte 39, 75
und 124 zu kurz |
|||||
4-5 |
Bernard
Haitink |
Elly Ameling |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1967 |
53‘22 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Rudolf
Kempe |
Joan Alexander |
BBC Symphony
Orchestra |
Ica classics |
1957 |
52‘47 |
|
eine der wenigen Mahler-Aufnahmen mit
Kempe – I an der Partitur entlang, ohne besondere Akzente, lebendige
werkdienliche Interpretation, II Kempe hebt das Vielschichtige und Disparate
der Partitur hervor, III Streicher weniger stark als bei Spitzenorchestern,
Geigen T. 27-29 etwas fahrig, sonst jedoch spannungsvolles Spiel, Übergang
Horn/Violine T. 302/303 nicht aufeinander bezogen, IV im Vergleich sehr
belebte Darstellung, T. 39 zu kurz, Sopran etwas sachlich – Dynamik im p-Bereich nicht ausgeschöpft, etwas kompakter
Klang, jedoch noch hinreichend präsent |
|||||
4-5 |
Karl Rankl |
Sena Jurinac |
Wiener Symphoniker |
Guild |
1954 |
53‘23 |
|
live – I das Derbe und Grelle nicht überspielt,
andererseits aber auch ganz zart, den Kern der Musik treffend, II Solo-Geige
immer deutlich, Balance nicht immer top, III immer bewegt, nicht
oberflächlich, beim Höhepunkt Pegel herabgestuft, IV Jurinac
mit leichtem Vibrato – der heute kaum noch bekannte Rankl
steht noch in der Tradition eines Walters, Mengelbergs und Klemperers,
Orchester keine A-Klasse |
|||||
4-5 |
Seiji Ozawa |
Kiri te Kanawa |
Boston Symphony
Orchestra |
Philips |
1987 |
54‘24 |
|
I Ozawa bleibt auch im größten Getümmel
noch immer locker, Transparenz an den Höhepunkten nicht top, überzeugendes
Trompetensolo T. 232-234, II bester Satz, nuancenreich, con
spirito, in den Trios wienerischer Tonfall, Harfe
T. 36, 38 und 40 zu leise, III hier wünschte man sich im p-Bereich eine intensivere Differenzierung, IV Solistin besser
als bei Solti, bei schnellen Tönen verminderte Textverständlichkeit, T. 39
sowie T. 111-114 zu kurz |
|||||
4-5 |
James
Levine |
Judith Blegen |
Chicago Symphony
Orchestra |
RCA |
1975 |
57‘32 |
|
I daseinsfreudige Grundstimmung,
Lust am Drastischen, Grellen, Derben spürbar, Streicher mit breitem Pinsel
bevorzugt, II Solo-Geige immer präsent, im Ausdruck so wie es sich Mahler
gewünscht hat, man wird hie und da an R. Strauss
erinnert, III Pizzicati der Bässe zu sehr im
Hintergrund, Romantik beschwörend, in großen Bögen, fast immer nur eine
führende Stimme, auch drastischer Ausdruck, IV Orchester im Bezug auf die
Solistin nicht immer zurückhaltend, diese in den schnellen Passagen nicht
immer textverständlich, die Takte 39, 75 und 114 lässt Levine zu kurz spielen
– sehr gute Dynamik, erfreuliche Klangfarbenstaffelung |
|||||
|
||||||
4 |
Eliahu Inbal |
Helen Donath |
Radio-Sinfonie-Orchester
Frankfurt |
Denon |
1985 |
56‘16 |
|
uneinheitliche Interpretation – I
gute Umsetzung der Partitur; schlankes, sehr durchsichtiges Musizieren;
Holzbläser jedoch weniger aggressiv, II Solo-Geige etwas zurückhaltend, Scherzoabschnitte und Trios gut voneinander abgesetzt,
jedoch geringere Spannung, III Anfang in zweitaktige Abschnitte gegliedert,
Kontrabässe zu leise, nur beiläufig, deutliche Einsätze im Variationsteil,
Klarinetten T. 239-302 ohne Imagination, sehr gutes p-Spiel, IV Donath eine der besten Interpreten der
Wunderhornverse, T. 39 ohne Ritardando |
|||||
4 |
Paul Kletzki |
Emmy Loose |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1957 |
55‘17 |
|
qualitativer Gegensatz zwischen den
ersten und den letzten beiden Sätzen - I
überzeugende Tempi, Mahlers dynamische Vorschriften genau umgesetzt,
Gewichtung der einzelnen Instrumente untereinander und Stimmführungen jedoch
nicht immer überzeugend, mehr Mischklang, II weniger Biss, Solo-Geige wenig agressiv, III Tempokontraste herausgearbeitet, insgesamt
ziemlich überzeugend, auch IV, hier im Takt 39 kein Ritardando, T. 75 zu kurz |
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4 |
Leonard
Bernstein |
Helmut Wittek |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
DGG |
1987 |
57‘00 |
|
live, ▼ |
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4 |
Leonard
Bernstein |
Reri Christ |
New York Philharmonic
Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
54‘58 |
|
▼ |
|||||
4 |
Willem
van Otterloo |
Teresa Stich-Randall |
Residenz Orchester Den Haag |
Philips Challenge |
1956 |
52‘35 |
|
musikantischer Ansatz, auch
leidenschaftlich, stellenweise grell, derb, ohne Feinzeichner, kompakter
Klang, teils herabgesetzte Transparenz, voluminöse Kontrabässe, IV Orchester
bedrängt anfangs die Sängerin, T. 39 ohne Ritardando, T. 75 und T. 114 zu kurz |
|||||
4 |
Willem
Mengelberg |
Jo Vincent |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1939 |
56‘07 |
|
live - I agogische Freiheiten, die
heute als übertrieben empfunden werden, mit Empathie musizert,
II dynamische Differenzierung nicht top, immer wieder Rubati,
III etwas zurückhaltend, Höhepunkt technisch gebremst, IV T. 35 „Sankt..“
kommt erst zu Beginn des folgenden Taktes im Anschluss an die Flöten,
entsprechend auch T. 105, die Takte 122-124 wenig deutlich, Harfe insgesamt
zu leise – für die Zeit der Aufnahme präsenter Klang |
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4 |
Rafael
Kubelik |
Elsie Morison |
Symphonie-Orchester des Bayerischen
Rundfunks |
DGG |
1968 |
51‘45 |
|
I Durchführung zu zahm, Trompetensolo
T. 231-234 überspielt, stellenweise beherrschen die Streicher den Klang, II
Solo-Geige wie gewünscht verfremdet, hebt sich vom Orchester ab, Kubelik
versucht das ppppp
und pppp
(T. 106 ff.) der Streicher, III insgesamt romantische Darstellung, die kaum
von Brüchen und Verzerrungen gestört wird, Pizzicati
der Bässe zu sehr im Hintergrund, IV fließendes Tempo, Solistin nicht immer
mit idiomatischem Deutsch, Verkürzung der Takte 39, 74 und 114 |
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4 |
Ivan
Fischer |
Miah Persson |
Budapest Festival Orchestra |
Challenge |
2008 |
56‘22 |
|
I insgesamt bewegte Darstellung,
mehrmals Kopplung von Crescendo mit Accelerando, Schlussgruppe T. 91 ff. sehr
langsam und mit Ritardando eingeleitet, II freies Tempo, lebendige Darstellung,
III Stimmführungen nicht immer deutlich, Pizzicati
der Kontrabässe etwas zu leise, auch bei den fff-Einwürfen T. 90/91 und 211/212, viel Atmosphäre T. 296 ff.,
IV Solistin ohne idiomatische Aussprache, bei langen Noten mit Vibrato, T. 39
zu kurz |
|||||
4 |
Philippe
Herreweghe |
Rosemary Joshua |
Orchestre des Champs-Elysées |
PHI |
2010 |
53‘11 |
|
I Verzicht auf Vibrato, sehr gute
Transparenz, meistens lebendiges und bewegtes Musizieren, das Behagliche kommt
etwas zu kurz, II Solo-Geige etwas zurückhaltend, Trios zu hurtig, deshalb
geringere Spannung, Harfe T. 36/38/40 zu leise, IV Sängerin mit zu viel
Vibrato, gekünstelter Gesang, T. 111/112 zu kurz, Harfe T. 122 ff. zu leise –
Herreweghe nimmt der Sinfonie etwas von ihrer
Monumentalität, ohne auf Leidenschaft zu verzichten, Serenaden-Einschlag |
|||||
4 |
Esa-Pekka
Salonen |
Barbara Hendricks |
Los Angeles Philharmonic
Orchestra |
Sony |
1992 |
57‘51 |
|
I Tempoänderungen ohne Absicherung
im Notentext, ff-Stellen der
Holzbläser T. 161-166 nur mf,
geschöntes Klangbild, sehr gute Transparenz, II Klarinette T. 90 wenig frech,
Scherzo-Trio-Abschnitte gut voneinander abgesetzt, viele Tempomodifikationen,
III anfangs sehr leise und langsam, Pizzicati der
Kontrabässe verschwinden fast, ihre fff-Einwürfe
T. 90/91 und 211/212 nur mf, an
lauten Tutti-Stellen zu Streicher-beherrscht, IV Solistin ohne idiomatisches
Deutsch, T. 39 zu kurz, T. 112 ohne Ritardando, Harfe ab T. 122 zu sehr im
Hintergrund |
|||||
4 |
Vaclav
Neumann |
Pamela Coburn |
Tschechische Philharmonie Prag |
Canyon |
1993 |
57‘00 |
|
I zurückhaltend, objektiv, subtil
gestaltete Übergänge, gute dynamische Staffelung auch im p-Bereich, klanglich dicht an ff-Stellen,
II Harfe T. 36/38/40 zu leise, in den Scherzo-Abschnitten, vermisst man etwas
Schwung, ohne letzte Hingabe, III Balance nicht immer top, T. 25 ff.
Streicher lauter als Oboe, deutliches fff
der Kontrabässe, ausdrucksmäßig, abgesehen von den Höhepunkten, etwas
zurückhaltend, erfüllter Übergang Hörner/Streicher T. 302/303, IV kein
idiomatisches Deutsch, viel Vibrato, Ritardando T. 114 zu kurz,
stimmungsvolles Finale ab T. 122 |
|||||
4 |
Mariss
Jansons |
Dorothea Röschmann |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
RCO live |
2015 |
55‘43 |
|
I meistens entspanntes Musizieren,
auch bei den Höhepunkten, stellenweise auch beschwingt, I gute Balance T. 126
ff., ff-Einwürfe der Bläser
allerdings etwas zahm, Glissandi, II wienerischer
Einschlag im 2. Trio geweckt, III Höhepunkt mit wenig Nachdruck, ohne das mahlerische „außer sich sein“ (T. 210 ff. und T. 277
ff.), IV Solistin mit (zu) viel Vibrato und gewollt klingendem Vortrag, T. 39
und T. 112-114 ohne Ritardando – live-Klang, etwas kompakt, abgesehen von den
Höhepunkten |
|||||
4 |
John Barbirolli |
Heather Harper |
BBC Symphony
Orchestra |
BBCL |
1967 |
58‘14 |
|
live Prag, I zu gemächlich, weniger Spannung,
präsente Harfe, II wenig Tempokontrast zu Satz 1, Solo-Geige zu zahm, Musik
tritt etwas auf der Stelle, III Interpretation wie ausgewechselt,
abwechslungsreich, ausdrucksstark, Oboe T. 25-30 mit Vibrato, IV sich Zeit
lassend, letzte Strophe sehr langsam, Solistin mit Vibrato, die Takte 39, 75
und 114 zu kurz |
|||||
4 |
Zubin Mehta |
Barbara Hendricks |
Israel Philharmonic
Orchestra |
Decca |
1979 |
57‘02 |
|
I dynamisch wenig differenziert,
kaum pp, Ritardando bei T. 76 bereits
früher, Schlussgruppe T. 91 ff. in
wienerischem Gewand, II das Grelle, Überzeichnete der Solo-Geige gut
vermittelt, III an den Höhepunkten die große Geste ausspielend, T. 288 ff.
tänzerisch, der Aufbau T. 296-306 könnte überzeugender sein, IV die jeweiligen
Anfangstakte nach den Zwischenspielen T. 40, 76 und 115 zu laut, etwas
hervortretende Harfe T. 122 bis zum Schluss im Sinne Mahlers |
|||||
4 |
Emil Tabakov |
Lyudmila Hadzhieva |
Sofia Philharmonic Orchestra |
Capriccio |
1980 |
56‘15 |
|
I insgesamt
sorgfältige Darstellung, der es etwas an Spannung fehlt, in T. 126-141 Flöten
zu sehr bevorzugt, die ff-Einwürfe
der Holzbläser zu sanft, II Mahlers „Ohne Hast“ zu wörtlich genommen, Klang
der gestopften Hörner kommt kaum heraus, III bester Satz, deutliches fff der Hörner T. 90 und T. 211, IV
Solistin mit Vibrato, ohne idiomatisches Deutsch, T. 39 zu kurz – sehr helles
Klangbild |
|||||
4 |
Armin Jordan |
Edith Wiens |
Orchestre de la Suisse Romande |
Erato |
1991 |
55‘47 |
|
I immer
differenzierte Dynamik, engagierte Leistung, farbiger und opulenter Klang,
tiefe Streicher klingen etwas aufgeplustert, II Jordan bringt die Musik
stellenweise in Richtung Richard Strauss, III die
große Linie nachzeichnend, p-Bereich
nicht ausgeschöpft, T. 210 ff. mit wenig Nachdruck, IV T. 39 ohne Ritardando,
die Takte 75 und 112-114 zu kurz, nicht immer ausgeglichenes Singen –
Orchester nicht immer auf höchstem Niveau |
3 |
Pierre
Boulez |
Juliane Banse |
Cleveland Orchestra |
DGG |
1998 |
53‘23 |
||
|
Keine Doppelbödigkeit entdeckt, I
alles sehr genau, verzärtelt, (fast) immer nur schön, wenig Leidenschaft, II gezähmte
Solo-Geige, nicht wie Mahler fordert: sehr
zufahrend, oder gar leidenschaftlich. Boulez stimmt das Hohelied der
Orchesterartistik an, III Pizzicati der Kontrabässe
zur sehr im Hintergrund, Musik anfangs wie unwirklich, ohne Leidenschaft, T.
107 ff. Pizzicati der Bässe zu leise, Übergang von
Hörnern zu hohen Geigen T. 302/03 nicht vollzogen, Grandioso-Höhepunkt T. 315 ff.
steht im luftleeren Raum, IV Solistin bei langen Tönen mit Vibrato, folgt
Boulez und singt fast immer im selben Tonfall, T. 39 und T.114 zu kurz |
|||||||
3-4 |
Hans Rosbaud |
Eva Maria Rogner |
SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden |
SWR-Aufnahme |
1959 |
53‘46 |
||
|
live – Rosbaud
scheut sich noch, das Überzeichnete darzustellen, gestopfte (+) Hornstellen nicht
als Akzente hörbar, I Lautstärke weniger differenziert, eher romantischer als
differenzierter Klang, darunter leiden auch die Höhepunkte, II Solo-Geige in
der von Mahler gedachten ungewöhnlichen Art, Klang weniger transparent als
gewohnt, z. B. Fagott soll in den Takten 257-259 ff spielen, hier ragt es nicht hervor, III Pizzicati
der Bässe immer zu leise, Allegro subito T. 263 ff. kommt kaum plötzlich, den
folgenden Höhepunkt hat die Technik durch Kappung des Aufnahmepegels
abgewürgt, am Satzende spielt die Harfe nicht im Takt, IV natürliches Singen,
lange Töne mit Vibrato, T. 114 zu kurz |
|||||||
3-4 |
Herbert
von Karajan |
Edith Mathis |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1979 |
60‘05 |
||
|
I insgesamt etwas gezogenes Tempo, Klang
geschlossener als etwa bei Reiner oder Szell, man wünschte sich die Bläser
etwas direkter, leider Primat der Streicher, besonders der Geigen, zu schöner
Mahler, Glockenspiel T. 209 ff. wie nur nebenbei, II zu schön, wenig
spritzig, III nur die Noten, so schön wie möglich, keine Zwischentöne, nichts
Derbes, Englischhorn T. 199-201 von Streichern verdeckt, IV hier
überzeugender, T. 39, 75 und 114 keine ganzen Noten, Klang mit smufato angereichert – Musik auf Schönheit reduziert |
|||||||
3-4 |
Gary Bertini |
Lucia Popp |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
EMI |
1987 |
58‘31 |
||
|
I aufgekratzt, scharfe Klanglichkeit, derb, Celloeinsatz
T. 38 zu laut (p!), Glockenspiel T.
213 ff. geht unter, Trompetenstelle T. 224-235 sehr deutlich, II Dynamik
recht frei genommen, Gegensätze auf kleinstem Raum nicht herausgearbeitet,
das Gegensätzliche wird meist zusammengedacht, Solo-Geige wenig agressiv, III warum die Takte 2 und 4 langsamer?, T. 131
ff. espressivo, jedoch nicht lauter zu spielen,
Dynamik einerseits nach Partitur, andererseits auch wieder recht frei, IV
Solistin anfangs nicht immer textverständlich, immer Vibrato, T. 143 nicht
sauber |
|||||||
3-4 |
James
Conlon |
Soile Isokoski |
Gürzenichorchester Köln |
EMI |
1993 |
57‘56 |
||
|
I insgesamt etwas fest musiziert,
die Kontrabässe wünschte man sich etwas schlanker, Ritardando T. 76 beginnt
schon eher, T. 90-100 weniger transparent, Pauke beginnt T. 142 nicht deutlich,
Trompete T. 232-234 überzeugend, II Solo-Geige zu zurückhaltend, Conlon lässt die Musik zu sehr laufen, III den ersten
Abschnitt wünschte sich Mahler immer leise, insgesamt geringere Spannung, IV
ein Qualitätssprung: Solistin sehr nahe bei Mahler, überzeugend; Harfe zu
leise |
|||||||
3-4 |
Klaus
Tennstedt |
Lucia Popp |
London Philharmonic
Orchestra |
EMI |
1982 |
54‘20 |
||
|
I dynamische=kompositorische Brüche
werden als Übergänge umgeformt, Seitenthema T. 38 ff zu laut, Bassklarinette fehlt T. 127 ff.,
II zahme Solo-Geige, nichts „Zufahrendes“,
eine der schnellsten Aufnahmen des Satzes, III in den ersten Takten sollen
die Pizzicati der Kontrabässe etwas lauter spielen
als die melodieführenden Celli, hier ist es umgekehrt, wahrscheinlich
deshalb, da die Melodie so schön ist, IV Solistin in den letzten Takten zu
viel Vibrato, T. 39 ohne Ritardando – effekthaschende Interpretation, es
fehlt das „als ob“ |
|||||||
3-4 |
Yannik Nézet-Séguin |
Karina Gauvin |
Orchestre Métropolitan der Grand Mantréal |
Atma |
2003 |
59‘52 |
||
|
Dirigent am Beginn seiner Karriere,
Partitur akribisch durchleuchtet, I jedoch zu bedächtig, schleppend, II kein Tempokontrast
zu Satz 1, Trio 1 zu langsam, Trio 2 Klarinette T. 254 ff. vergessen?, Musik
tritt auf der Stelle, III Dirigent misstraut den Pizzicati
der Bässe, Glissandi, gelungen: Fagott lässt T.
49/50 den Faden nicht fallen, insgesamt noch nicht ausgereift, IV Solistin
mit ausdrucksvollem, nicht schlichtem Vortrag, Vibrato |
|||||||
3-4 |
Josef
Krips |
Suzanne Danco |
London Symphony
Orchestra |
Cameo |
1957 |
60‘09 |
||
|
Krips nivelliert die Tempi
(in allen Sätzen) zugunsten eines Einheitstempos, einige Intonationstrübungen
sowie Hornkickser, II Solo-Geige zu sehr
integriert, ohne den von Mahler intendierten Klang, geringe Spannung, Fagott
T. 257-259 ?, III Anfang zu laut, Pizzicati der
Bässe nur Beiwerk, Krips noch in romantischer
Tradition, sehr direkt, IV T. 39, 75 und 111 zu kurzm
wenig Spannung, auch bei der Solistin – kompakter Klang, bei lauten
Tutti-Stellen Streicher-beherrscht |
|||||||
3 |
Istvan
Kertesz |
Edith Gabry |
Bamberger Symphoniker |
BR Aufnahme |
1971 |
52‘35 |
|
live – die große Linie
nachgezeichnet, jedoch nicht immer mit letzter Sorgfalt gestaltet, Aufnahme
klingt wie wenig geprobt, die bei Mahler so wichtige dynamische Differenzierung
kaum gegeben, an der Oberfläche bleibend, bei lauten Tutti-Stellen
Streicher-beherrscht, II Solo-Geige „zufahrend“, wie gewünscht, III
Intonationsunsicherheiten, T. 55-60 erste Flöte im Gegensatz zu den anderen
Holzbläsern mit viel Vibrato, Pauke T. 324/325 zu früh, IV Solistin akustisch
vorgezogen, helle Stimme, T. 122-114 ohne Ritardando, schneller Satzschluss,
ohne jegliches Geheimnis |
|||||
3 |
Jewgenij
Svetlanov |
Natalia Gerassimova |
Staatliches Sinfonie-Orchester der
UdSSR |
Warner |
1996 |
60‘26 |
|
I gezogen, darunter leidet die
Spannung, Ritardando T. 76 bereits einen Takt vorher angebahnt, zahme ff-Einsätze der Holzbläser T. 161-166,
II Solo-Geige ziemlich leidenschaftslos und oft nicht hervortretend, Harfe, T.36/38/40
zu leise, deutliche Klarinette und Fagott T. 254-260, III wie ausgewechselt: Svetlanov bringt überdeutliche Glissandi
der Streicher, Horn T. 218-222 etwas zurück, IV zu langsam, Sängerin mit
heller, etwas schriller Stimme, ohne idiomatisches Deutsch, um
ausdrucksvolles Singen bemüht, Harfe T. 122 ff. wie vorgesehen als
Melodieinstrument – die einzige Mahler 4. aus der UdSSR (?) |
Hinweise zu Interpreten und ihren Interpretationen
Bruno
Walter
Bruno Walter war sich seiner Bedeutung als Mahler-Vertrauter
im Hinblick auf kommende Generationen bewusst und war bemüht, Mahlers
Werkauffassung (aus erster Hand) zu bewahren und mittels Schallplattenaufnahmen
weiterzugeben. In dieser Hinsicht sind seine Aufnahmen von großem Wert. Unter
seiner Leitung liegen mir vier verschiedene Interpretationen vor, eine
Studio-Aufnahme sowie drei Konzertmitschnitte, die innerhalb von zehn Jahren
entstanden. Der Kopfsatz der New Yorker Studio-Produktion klingt mir etwas
abgeklärt, trotzdem vermittelt er Spannung und Leidenschaft. Das Scherzo
dagegen lässt Walter bewegter spielen als viele seine Kollegen. Leider erklingt
die Harfe, übrigens auch in seinen Mitschnitten, etwas leise. Das ausgedehnte
Adagio nimmt der Dirigent in New York deutlich schneller und drängender als
später. Das gilt auch für das Finale, hier stört mich jedoch das nicht immer
idiomatische Deutsch von Desi Halban,
darunter leidet die Textverständlichkeit. Die Aufnahme klingt kompakt, laute
Tutti-Stellen bleiben so wenig transparent. Die einige Jahre später
entstandenen Konzertmitschnitte aus Frankfurt, Amsterdam und Wien haben alle
ihre Stärken und Schwächen. In Frankfurt geht Walter sehr ins Detail, stellt
die Tempogegensätze sowie die unterschiedlichen Lautstärkegrade (jeweils im
selben Takt) heraus wie in keiner anderen seiner Aufnahmen, dabei geht
Leidenschaftlichkeit nicht verloren. Die vielen Horn-Soli werden nie verdeckt,
wie übrigens auch in New York und Amsterdam. Im Finalsatz könnte sich die
Orchesterbegleitung zu Annelies Kuppers Gesang etwas
mehr zurückhalten, wie es Mahler fordert: „äußerst
diskret“. Der Concertgebouw-Mitschnitt ist
gegenüber des eben genannten mit einem helleren Klangbild ausgestattet, der
interessierte Hörer muss jedoch ein leichtes Hintergrundrauschen in Kauf nehmen.
Die Interpretation entspricht in etwa der aus Frankfurt, das Adagio wird noch
langsamer gespielt, vielleicht fällt die Stimmführung noch deutlicher aus.
Elisabeth Schwarzkopf singt mehr objektiv als teilnehmend. An die Spitze der
Walter-Interpretationen möchte ich den Konzertmitschnitt mit den Wiener
Philharmonikern aus dem Jahre 1955 stellen. Ein großes Plus des Mitschnitts
sind die Wiener Streicher, die die Aufnahme in allen Sätzen, besonders aber im
Adagio, prägen. Die Zunahme von Intensität in den langsamen Abschnitten geht
sicher auch auf ihr Konto. Dagegen fällt ein Fehler des Solo-Hornisten im
ersten Satz (T.336) kaum ins Gewicht. Hilde Güdens
Vortag der Wunderhorn-Verse ist sauber, schlicht und angenehm. Von allen
Walter-Aufnahmen bietet diese CD – einst in der DGG-Jubiläumsedition „150 Jahre
Wiener Philharmoniker“ zu finden – den besten Klang.
Otto
Klemperer
Auch Klemperer war ein Mahler-Jünger, Mahlers
Empfehlung öffnete dem jungen Dirigenten Tür und Tor für seine weitere
Laufbahn. Er konnte sich jedoch nicht für alle Sinfonien seines Mentors
begeistern, eine besondere Affinität bestand jedoch zur 4. Sinfonie, die schon
bei seinem ersten Konzert 1912 in Hamburg auf dem Programmzettel stand.
Besonders oft führte er sie nach dem Zweiten Weltkrieg auf, als er aus dem
amerikanischen Exil nach Europa zurückgekehrt war: 1947 bei den Salzburger
Festspielen, 1948 mit den Berliner Philharmonikern, 1954 beim WDR sowie in
London, ein Jahr später mit den Wiener Symphonikern, 1956 mit dem RIAS Symphonie-Orchester
in Berlin sowie dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks in München.
Fünf Jahre später entstand die einzige Studio-Produktion mit dem Philharmonia Orchestra London. Diese und die Mitschnitte
mit den Wiener Symphonikern sowie dem RIAS Orchester stehen hier zur
Diskussion. Klemperer scheint in dieser Aufnahme sehr penibel mit den Musikern
gearbeitet zu haben, das hört man an den dynamischen Schattierungen, bei der
Stimmführung, kaum irgendwo wird die Engführung des ersten Themas in den T. 17
ff. zwischen der ersten Geige und dem Cello so deutlich herausgearbeitet als
hier. Klemperer achtet auf höchste Transparenz, so ist die Musik immer
glasklar, auf der Kehrseite stellt sich jedoch eine gewisse Starrheit ein. Im
Adagio klingen die Takte 222 ff nicht ganz so wienerisch als ein Jahr zuvor bei
den Wiener Symphonikern. Der Wechsel der Hörner samt Bratschen zu den Geigen
(T. 302/303) ist akustisch nicht zu verfolgen. Elfriede Trötschel
darf sich über eine zurückhaltende Begleitung freuen, die weder bei Teresa
Stich-Randall noch Elisabeth Schwarzkopf so einfühlsam ausgefallen ist. Leider
ignoriert der Dirigent das Ritardando in Takt 39 und nimmt den Takt 114 etwas
zu kurz (in allen Interpretationen). Im schon erwähnten Wiener Mitschnitt wird
im ersten Satz nicht so deutlich musiziert, stattdessen klingt er lebendiger,
stellenweise mit einem tänzerischen Einschlag. Die Solo-Violine im Scherzo ist
noch deutlicher zu vernehmen als in Berlin. Viel Leidenschaft und Spannung
zeichnet das Adagio aus, die erwähnte Übergangsstelle T. 302 f. gelingt hier im
Sinne der Komposition. Die Londoner Studio-Aufnahme verfügt über den besten
Klang, alles hört man noch deutlicher und runder. Die beiden Trompeten-Signale
im ersten Satz T. 232-234 treten nur auf dieser Platte so deutlich hervor.
Dagegen begegnet dem Hörer einen integrierten Hörner-Klang, die vielen
solistischen Partien treten hier (leider) etwas
zurück. Die Tempi in den Ecksätzen klingen im Vergleich zu den Konzert-Mitschnitten
gebremst. Elisabeth Schwarzkopf singt etwas klarer als bei Walter, ihrem
Vortrag haftet aber auch hier etwas Künstliches an.
Georg Solti
Bei Soltis
Einspielungen fällt es mir schwer, die frühere der späteren vorzuziehen, beide
haben ihre Meriten und Schwachpunkte. 1961 lässt der Hitzkopf Solti zugespitzer
musizieren (Tempo, Dynamik), in der Durchführung sind nach Mahlers Vorstellung
auch hässliche Klänge nicht obsolet, auch im 2. Satz beim Einsatz der
Solo-Violine, in Chicago spielt sie gesitteter. Das setzt sich im dritten Satz
fort: hier überzeugen die präsenten Pizzicati der
Kontrabässe mehr als ihre leiseren=schöneren Nachfolger in der zweiten
Aufnahme. Insgesamt bietet diese aber eine bessere dynamische Gestaltung,
stellenweise auch mehr Leidenschaft und Erregung. Sylvia Stahlman
bringt eine bessere Textverständlichkeit als Kiri te Kanawa, die mit Schöngesang
glänzt. Klanglich ist die Chicagoer-Aufnahme der Amsterdamer überlegen, obwohl
letztere schon mit einer guten Präsenz und Transparenz aufwartet.
Leonard Bernstein
Bernsteins Aufnahme
der 4. Mahler-Sinfonie mit dem New Yorker Orchester war der Startschuss für
alle Mahler-Sinfonien bei CBS, damals diskographisch eine Pioniertat, waren
doch die Werke des österreichischen Komponisten keineswegs etabliert.
Bernsteins Herangehensweise an die Partitur ist stark emotional geprägt, er
versteht diesen Komponisten vorwiegend
als Ausdrucksmusiker, nicht als einer, der noch klassisch formalen Kompositionsidealen verpflichtet ist, wie
letztlich noch Brahms und Bruckner. Im ersten Satz bedient sich der Dirigent
immer wieder ausgeprägter Rubati, vor allem in
Exposition und Reprise, die Folge davon sind auch schleppende Tempi. In der
Durchführung animiert ihn die Musik zu leidenschaftlichem Ausdruck, insgesamt
hinterlässt dieser Satz einen uneinheitlichen Eindruck. Besser gelingt der
zweite Satz, wo er das Fratzenhafte der Musik in den Scherzo-Abschnitten
hervorhebt, mehr als andere Interpreten. Scherzo- und Trio-Abschnitte werden
deutlich voneinander abgesetzt. Mit spannungsintensiver Beredtheit, mit Hingabe
und Leidenschaft erlebt man den langsamen Satz, Höhepunkte sind hier, was
könnte man anders erwarten, die großen Ausbrüche im letzten Teil, die bei ihm
ein wenig an Tschaikowsky erinnern. Reri Christ kann
sich mit ihrem Gesang in der Reihe ihrer Interpreten-Kolleginnen gut behaupten,
Bernstein kürzt den Takt 39 ab und verzichtet auf Ritardandi
in den Takten 112-114. Die Harfe wird wie vorgesehen ab T. 122 als
melodietragendes Instrument eingesetzt.
Fast dreißig Jahre
später führt Bernstein Mahlers Vierte in Amsterdam mit dem Concertgebouw
Orchester auf, die DGG hat den Mitschnitt veröffentlicht. Das Espressivo ist jetzt zu einem molto-Espressivo
mutiert und die Musik wird im Kopfsatz
noch etwas langsamer. Das Klangbild der live-Aufnahme ist weniger offen als
früher, wobei die ff-Ausbrüche etwas
fest, weniger transparent, klingen. Andererseits kann sich der Hörer über mehr
Details, z. B. bei den Holzbläsern, freuen. Die Trios im zweiten Satz werden
hier zu sehr ausgewalzt, vermitteln umgekehrt aber mehr Wärme. Eine nicht partiturgemäße Luftpause nach T. 71 ist noch zu erwähnen.
Der langsame Satz wird in den Steigerungen wilder gespielt und der Höhepunkt T.
315 ff. noch mehr ausgekostet. Im Schlusssatz wählt Bernstein den Knabensopran
Helmut Wittek von den Wiener Sängerknaben, ein Experiment, was sich hier
keineswegs als Nachteil entpuppt. Das „Hüpfen und Singen“ nimmt man einem
Jungen eher ab als einer gestandenen Sängerin. Den Orchesterpart nimmt
Bernstein etwas forcierter als früher, die langen Noten T. 39, 75 und 112-114
bleiben jedoch auch hier zu kurz.
Bernard Haitink
Schon sehr früh in
seiner Plattenkarriere beschäftigte sich Haitink mit Mahler, diese
Affinität hat sich bis heute fortgesetzt.
Von der vierten Sinfonie stehen hier drei Aufnahmen zur Diskussion, zwei mit
dem Concertgebouw Orchester und eine mit den Berliner
Philharmonikern. Letztere lebt u. a. auch von der ekzellenten
Klangkultur dieses Orchesters, die sich auch über die CD dem Hörer mitteilt.
Haitink lässt sich Zeit und leuchtet in die Partitur, dabei gelingt es ihm
immer wieder die Gleichzeitigkeit von Motiven und Themen nebeneinander zu
stellen, ohne sie klanglich zu verschmelzen. Auch erwähnt werden muss die sehr
gute dynamische Differenzierung, auch im p-Bereich,
nachzuhören z. B. im Kopfsatz T. 125-141, oder das dreifache
Forte der Kontrabässe im langsamen Satz T. 90. Die Pizzicati
der Bässe gleich zu Beginn dieses Satzes könnten ein Quäntchen bestimmter
gespielt werden. Ab T. 123 lässt er jedoch etwas lauter als vorgesehen spielen.
Im Mitschnitt aus dem
Amsterdamer Concertgebouw vierzehn Jahre später lässt
Haitink in alles Sätzen ein wenig schneller spielen. Der Kopfsatz wirkt etwas
lebendiger, die Balance ist nicht so stark wie früher. Auch der langsame Satz
ist weniger ruhig gespielt als früher. Klanglich kommt sie nicht ganz an die
Berliner CD heran, sie ist etwas weniger durchsichtig, weniger scharf und
besitzt eine geringere Präsenz.
Was Haitink viel
später mit den Berlinern gelang, zeichnete sich bereits in seiner ersten
Aufnahme mit dem Concertgebow Orchester 1967 an, u.
a. das schlanke und flüssige Musizieren, oder die Durchsichtigkeit des Klanges.
In dieser Aufnahme wird man Zeuge eines geradlinigen Voranschreitens, ohne
Details aus den Augen zu verlieren. Im ersten Satz sind die Bläser ab T. 126
noch nicht so ausbalanciert wie später; auf dem Höhepunkt T. 263 ff. wird mehr
sachlich als emotional beteiligt musiziert. Zu Beginn des langsamen Satzes
gliedert er die Musik noch in zweimal zwei Takte, ohne sie leise miteinander
und zum Folgenden zu verbinden. Auch gelingt der Übergang von Klarinetten zu
Violinen noch nicht so subtil wie später. Was die Aufnahme jedoch wertvoll
macht, ist die Mitwirkung von Elly Ameling, die mit
heller Stimme und ausgeglichenem Singen, gepaart mit bester
Textverständlichkeit, beglückt. Daran kommen ihre Nachfolgerinnen Sylvia McNair und Christine Schäfer nicht ganz heran, auch wenn es
weniger auszusetzen gibt als bei anderen Interpretinnen. In dieser ersten
Aufnahme zeigt der Dirigent bei den langen Noten nach den Choral-artigen
Abschnitten mit mehr Metrum-Gefühl als später.
Claudio Abbado
Die beiden
Produktionen der vierten Mahler-Sinfonie stehen ungefähr am Anfang und am Ende
seiner diskographischen Beschäftigung mit diesem Komponisten. Beide Aufnahmen
können als gelungen bezeichnet werden. In der Wiener Studio-Produktion stellt
der 44-jährige Dirigent im Kopfsatz das Grelle, Verstörende mittels
Lautstärkekontraste heraus. Die Wiener Philharmoniker spielen mit viel Druck
und Leidenschaft, ein besonderer Blick lenkt Abbado auf das Schlagwerk bei den
Höhepunkten am Ende der Durchführung, das sehr oft kompakt und wenig
differenziert aus den Lautsprechern tönt. Das Disparate des Scherzos wird
aufmerksam ausgebreitet, die höher gestimmte Solo-Geige macht immer auf sich
aufmerksam. Den dritten Satz lässt der Dirigent sehr langsam beginnen, nicht in
einem großen Bogen, sondern in Abschnitte gegliedert, das klingt dann doch
etwas gezogen. Im Umgang mit dem Piano
wird leider noch nicht die untere Grenze erreicht. Davon abgesehen kann diese
Lesart doch überzeugen. Im Schlusssatz verfügt Abbado über eine überzeugende
Solistin. Die Aufnahme besitzt eine sehr gute Transparenz und eine gute Balance
bei der Gewichtung der einzelnen Stimmen. Die Neuaufnahme, ein Mitschnitt aus
der Berliner Philharmonie, kommt an ihre Vorgängereinspielung heran, ohne sie
jedoch zu übertreffen. Das liegt hauptsächlich am Klang, der nicht mehr so
messerscharf, offen und klar aus den Lautsprechern tönt. Im zweiten Satz spielt
die Harfe bei den exponierten Tönen in den Takten 36, 38 und 40 zu leise,
obwohl die Partitur ff vorsieht.
Besser gelingt der Anfang des langsamen Satzes, der jetzt weniger gegliedert
wird, dabei setzen die Streicher etwas Vibrato ein. Insgesamt klingt dieser
Satz, obwohl fast vier Minuten schneller, etwas abgeklärter als in der ersten
Aufnahme. Die Sopranistin Renée Fleming kommt an die Leistung von Frederica von
Stade nicht heran, dagegen spricht ihr etwas affektiertes Singen, das Mahlers
Vorstellung entgegensteht.
Herzlichen Dank sagen
möchte ich einigen Freunden des Klassik-Prismas, die mir freundlichst etliche
Aufnahmen zur Verfügung stellten.
eingestellt
am 15.09.2019