Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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W. A. Mozart

 

Serenade für 8 Bläser c-Moll KV 388 „Nachtmusique

 

Allegro – Andante – Menuetto in canone, Trio in canone al roverscioAllergro

 

Mozart berichtete seinem Vater in einem Brief vom 27.07.1782 „Ich habe geschwind eine Nacht Musique machen müssen, aber nur auf harmonie,“ damit meinte er ein Divertimento oder eine Serenade nur für Bläser, die sich auch für eine Aufführung im Freien eignete. Solche Art von Musik wurde für ein Ständchen gebraucht, mit dem man z. B. einen guten Freund zum Geburtstag oder Namenstag, zur Hochzeit, Rückkehr von einer langen Reise, Geburt eines Stammhalters, Beförderung in ein (höheres) Amt … überraschen wollte.

Mozarts Musik klingt allerdings wenig nach unbeschwertem Vergnügen: Einem leidenschaftlichen Kopfsatz (alla breve!) folgt ein träumerisch anmutender langsamer Satz, gepaart mit großer Gefühlstiefe, so etwas war Mozart in seiner Gebrauchsmusik bis dato noch nicht gelungen. Das Menuett ist ein Kanon im „gelehrten Stil“ - Kanon im Abstand eines Taktes zwischen den Außenstimmen Oboen und Fagotten. Auch im Trio geht es mit einem Spiegelkanon, ausgeführt von den beiden Oboen und Fagotten, gelehrt zu. Das Werk schließt mit einem Variationssatz in c-Moll mit einem eingeschobenen maiore (Dur)-Abschnitt nach der 5. Variation. Danach folgen noch zwei weitere Moll-Variationen. Der Satz schließt mit der Wiederholung des Themas, dass von vielen Ensembles effektvoll als Kehraus gebracht wird. Ein zweites Menuett, wie bei einer Serenade damals üblich, fehlt.

Diese aus der Reihe fallenden Merkmale passen nicht zur fünfsätzigen Serenade Es-Dur KV 375, ursprünglich nur für 6 Bläser konzipiert, jedoch im erwähnten Jahr 1782 durch zwei zusätzliche Oboen ergänzt wurde. Den ursprünglichen Namen Parthia (damals geläufiger Begriff für Musik für Blasinstrumente in variabler Besetzung) hat Mozart später durch Serenade ersetzt. Genaues über den Anlass zur Komposition der c-Moll-Serenade kennt man jedoch bis heute nicht. Nach den beiden Serenaden KV 375 und KV 388, nicht zuvor, wie bisher angenommen, komponierte Mozart noch ein umfangreicheres Stück für Bläser, die sogenannte Gran Partita B-Dur KV 361, in der zum bekannten Oktett noch zwei Bassetthörner sowie ein Bassinstrument hinzutreten, meistens wird ein Kontrafagott verwendet, aber auch ein Kontrabass ist denkbar. Einige Ensemble verwenden den Kontrabass auch bei der c-Moll-Serenade: bei Herreweghe, den Bläsern der Klangverwaltung und bei Klöcker unterstützt ein Kontrabass an einigen Stellen den tiefen Bass.

Im ersten Satz – in Sonatenform – schreibt Mozart für die Exposition sowie Durchführung und Reprise jeweils eine Wiederholung vor. Die meisten Ensemble bringen die erste Wiederholung und lassen die zweite weg. Alle Wiederholungen bringen nur Harnoncourt, die Bläser des COE sowie die Amadeus Winds, auf beide Wiederholungen verzichten die Bläser um Reginald Kell sowie der sonst so überaus genaue Klemperer mit den Bläsern des NPOL. Beugte sich der Dirigent dem Verlangen der EMI, nach dem 3. Satz des Klavierkonzerts KV 503 noch die Serenade anhängen zu können, um die LP-Seite zu vervollständigen? Die Wiederholungen im Menuett und Trio werden immer beachtet; auch die im abschließenden Variationssatz, außer bei der genannten Klemperer Studio-Produktion.

   

5

Dieter Klöcker

Consortium Classicum

Electrola      CPO

1978

23‘19

 

I Beginn mit alla breve-Impuls, lebendiges Musizieren, sehr gute Balance, auch im Hinblick auf die jeweilige Stimmführung, schlanker Klang mit bester Transparenz, II ruhig, ausdrucksvoll, IV Ausdruckspotential der Musik aufgegriffen, Kehraus ab T. 216

 

 

4-5

Bläserensemble Sabine Meyer

EMI   Warner

1996

23‘01

 

Musiker sehr aufmerksam am Werk und bleiben der Partitur nichts schuldig, belebte Tempi, auch im 2. Satz, die Betroffenheit des Consortium Classicum wird jedoch nicht erreicht

4-5

Michael Collins

London Winds

Onyx

2006

23‘36

 

gepflegtes Musizieren, abgerundeter Klang, Instrumente werden im Klangbild nahe beieinander abgebildet, II belebt

4-5

Oslo Philharmonic Wind Soloists

Naxos

1997

22‘30

 

blitzsauberes Musizieren, schlanke Tongebung, beherzter Zugriff, aber zuweilen auch etwas mechanisch, sf könnten etwas deutlicher ausfallen, sehr gute Balance und Transparenz

4-5

Bläser der Wiener Philharmoniker

DGG

P 1973

24‘08

 

Oboenklang ziemlich weit vorn, im Vergleich zu den BP tritt die klangliche Individualität der Instrumente deutlicher hervor, Oboe im Menuett nicht ganz mit Fagott in Balance, Kehraus im Finalsatz

4-5

Bläser der Berliner Philharmoniker

Orfeo

1982

23‘59

 

sehr homogener und polierter Klang (Karajan-Orchester), klinisch sauberes Musizieren bei sehr schlanker Tongebung, dadurch geht etwas von der Individualität der Sätze verloren, I Horn ordnet sich – entgegen der Partitur – T.   48 ff. der Oboe unter, IV Kehraus ab T. 216

 

 

4

Bläser des Chamber Orchestra of Europe

Teldec

1989

27‘07

 

exaktes Musizieren und Zusammenspiel, Klangbild etwas breit, bei Tutti-Stellen alle Instrumente gleich gewichtet, II genau, jedoch etwas nüchtern,

4

Bläser des Orpheus Chamber Orchestra

DGG

1990

23‘30

 

überwiegend aufmerksames Musizieren, zuweilen einige Spannungseinbrüche bei Begleitstimmen, II T. 2-13 sf könnten etwas deutlicher ausfallen, III am Ende der W des Menuetts prima volta nicht secunda volta (Fg, falsche Montage?), empfindsames Trio, IV solide, am Ende Kehraus

4

Jack Brymer

Londoner Bläsersolisten

Decca

1962

24‘50

 

englische Oboen nicht so ausdrucksvoll wie deutsche, sachliches und solides Musizieren, weniger spritzig als Klöcker, III Oboen zu sehr im Vordergrund, IV Klarinetten etwas zurück

 

 

3-4

Otto Klemperer

Bläser des New Phiharmonia Orchestra

EMI

P 1968

19‘48

 

3-4

Otto Klemperer

Bläser der Wiener Philharmoniker

Testament

1968

25‘23

 

live, ▼

3-4

Reginald Kell

Kell Chamber Players

Decca-US    DGG

1951

19‘43

 

Musik insgesamt zu sehr „executiert“, der Ausdrucksgehalt wird nicht hinreichend vermittelt, Oboen klanglich zu weit vorn, kompakter Klang, zu einförmig – I alla breve nicht übersehen, T. 48 ff. Horn von Ob verdeckt, auch in der Reprise, II bewegt, Figuren der Fg. T. 32-35 und T. 93-98 unterbelichtet, IV die Preziose der Hörner und des Fagotts T. 97-121 bleibt unbeachtet

 

Interpretationen nach historisch-informierter Aufnahmepraxis und teilweise Originalinstrumenten

  

5

Amadeus Winds

L’Oiseau-Lyre  Decca

1985

26‘52

 

beherzter Zugriff, sehr gute Balance und Transparenz, farbiges Klangbild, II Figuren der Fg. T. 32-35 und T. 93-98 zu leise, III Trio etwas langsamer

5

Bläsersolisten der „Klangverwaltung“

Farao

2009

21‘05

 

körperhafter Klang mit starker Bassgrundierung, Alternative zu allen anderen Aufnahmen, immer bewegte Tempi, sehr gute Balance und Transparenz, I beim 2. Th T. 48 ff. Oboe stärker als Horn, IV Kehraus am Satzende

5

Philippe Herreweghe

Bläser des Orchestre des Champs Elysées

HMF

1995

21‘48

 

bewegtes und in den Ecksätzen lustbetontes Musizieren, immer deutliche Stimmführungen, schlanke Tongebung, II betroffen, schmerzerfüllt

 

 

4-5

Collegium Aureum

DHM    BASF

P 1969

25‘27

 

Pioniere auf alten Instrumenten – farbenreiches Klangbild, gute Balance, sehr gute Transparenz; überwiegend entspanntes, jedoch trotzdem belebtes Musizieren, was nicht bedeutet, dass es an Spannung mangelt; Instrumente klingen im Vergleich zu denen des Amadeus Wind-Ensemble urwüchsiger, weniger ausgeglichen, I Horn dringt T. 48 ff. nicht richtig durch

4-5

Nikolaus Harnoncourt

Wiener Mozart Bläser

Teldec

1984

24‘50

 

HIP-Interpretation mit Klangrede, z. B. sind im 1. Satz die Takte 5-8 eine Antwort auf die ersten vier Takte, I Achtel in T. 116 ff. nicht staccato, Verlust an Transparenz, II belebt, III sehr schnelles Menuett, Trio langsamer – leicht belegter Klang

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Otto Klemperer

 

Ein Blick auf die Laufzeiten der beiden in zeitlicher Nähe entstandenen Aufnahmen muss irritieren, da sie fast 6 Minuten divergieren. Klemperer kann unmöglich innerhalb von wenigen Wochen sein Konzept neu gefasst haben. Die Ursache liegt einfach darin, dass er in der Londoner Studio-Einspielung auf Mozarts Wiederholungen (abgesehen vom 3. Satz) verzichtet, der Grund hierfür ist nicht bekannt. Von musikalischer Seite ist diese Einspielung dem Wiener Konzertmitschnitt jedoch überlegen: Es herrscht eine viel bessere Balance vor und die Oboen sind nicht so prononciert nach vorn gezogen. Das Klangbild ist insgesamt eher trocken, besonders im Menuett. Im Finale wird Klemperer ab T. 97 langsamer, um T. 144 das Tempo wieder anzuziehen. Wie schon angedeutet, leidet der Klang des Mitschnitts unter der Omnipotenz der spitz und dünn klingenden Wiener Oboen, was mir das Zuhören verleidet. Positiv vermerkt sei jedoch noch von deutlichen sf, besser als in London, sowie eines tragischen Untertons der Musik des zweiten Satzes. Das Finale des vierten Satzes lässt Klemperer mit einem Kehraus enden.

 

eingestellt am 08.01.22

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