Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Wolfgang Amadeus Mozart

 

Violinsonate B-Dur KV 454

 

Largo, Allegro – Andante - Allegretto

 

In einer seiner ertragsreichsten Schaffensjahren (1784), welche Woche für Woche mit Konzerten bei hochadeligen Gönnern sowie eigenen Akademien gefüllt war, schuf Mozart diese Violinsonate für die junge aber schon berühmte italienische Geigerin Regina Strinasacchi. Sie hatte Mozart zu ihrem Konzert in Wien eingeladen, beim dem auch Kaiser Joseph II. anwesend sein sollte. Der Komponist bedankte sich für die Einladung in Form einer neuen Violinsonate, die in großer Eile entstand. Die Geigerin erhielt die Reinschrift ihres Parts einen Tag vor dem Auftritt, aus Zeitnot spielte Mozart den Klavierpart quasi aus dem Gedächtnis, eine unglaubliche Leistung. Das Konzert muss ein voller Erfolg gewesen sein.

 

Die Sonate ist in drei Sätzen verfasst, wobei dem Kopfsatz eine langsame Einleitung von 13 Takten vorangestellt wird. Dies erinnert aufgrund der Verwendung punktierter Rhythmen sowie kräftigen Forteschlägen an eine barocke Ouvertüre in französischer Manier. Diese Art findet man bei Mozarts Violinsonaten kaum, lediglich in den Werken mit den Köchelnummern 303 sowie 379 greift der Komponist auf sie zurück, danach nicht mehr. Die Exposition ist mit drei Themen reich bestückt, die den Solisten beste Möglichkeiten für einen musikalischen Dialog anbieten. Hier wird auch deutlich, dass Mozart das Musizieren mit der italienischen Meistergeigerin als gleichberechtigt ansieht. Höhepunkt ist der langsame Satz, im Andante-Tempo (ursprünglich Adagio), mit einer Fülle von Themen bzw. Motiven in melodisch weitgespannten Bögen. Von der Grundtonart Es-Dur weicht Mozart in der Satzmitte nach b-Moll aus und schafft Raum für romantische Stimmungen.

 

Die Sonate endet mit einem Rondo, wie auch in den beiden vorangegangenen Sätzen mit drei Themen, die den Spielern reiche Möglichkeiten für ein erfülltes Zusammenspiel bereitstellen. Am Schluss hält Mozart noch eine Überraschung bereit, wenn er nach den Achteltriolen-Ketten der Geige mit vermeintlich schnelleren Sechzehntel-Läufen auf dem Pianoforte die Geigerin noch zu übertreffen versucht.

   

Mozart möchte in seiner Violinsonate im ersten Satz die Exposition sowie die folgende Durchführung und Reprise wiederholen lassen, das war damals üblich. Erstere wird in der Regel repetiert, die Wiederholung von Durchführung samt Reprise entfällt jedoch fast immer. Lediglich die Duos Kagan/Richter, Shiokawa/Schiff und Kuijken/Devos spielen alles, im Gegensatz von Schneiderhan/Seemann und Igor Oistrach, die auf alle verzichten.  

 

 

5

Isaac Stern

Yefim Bronfman

Sony

1993

22‘27

 

 

I delikater Vortrag, markant akzentuiert, sehr gutes Miteinander, II mit Feingefühl, III erfrischend, aufmerksames Zusammenspiel

 

 

5

Arthur Grumiaux

Clara Haskil

Philips

1957

21‘53

 

 

 

5

David Oistrach

Vladimir Yampolski

EMI

1956

21‘37

 

 

 

5

Oleg Kagan

Svjatoslav Richter

Live classics

1975

24‘23

 

 

live, sehr gutes Miteinander, zupackend, pointiert artikuliert, fantasiereiche Umsetzung des Notentextes, innere Dramatik der Musik erweckt, ansteckende Spielfreude

 

 

5

Georg Kulenkampff

Georg Solti

Decca

1948

21‘27

 

 

lebendig, souverän, mit artistischer Leichtigkeit, Geiger mit wenig Vibrato, atmosphärisch dicht, sehr gutes Miteinander – gute Balance und Transparenz

 

 

 

 

   

 

4-5

David Oistrach

Paul Badura-Skoda

Eurodisc      BMG

1972

22‘20

 

 

 

4-5

Arthur Grumiaux

Walter Klien

Philips

1981

20‘53

 

 

 

4-5

Frank-Peter Zimmermann

Alexander Lonquich

EMI

1987

23‘16

 

 

I ausgewogenes Musizieren, im Tempo, nicht auftrumpfend, mit Feingefühl, II hier etwas distanziert, eher sachlich als temperamentvoll, insgesamt etwas langsam, III hier deutliches Miteinander

 

 

4-5

Szymon Goldberg

Radu Lupu

Decca

1974

21‘57

 

 

I ausgewogen, differenzierte Darstellung, Klang: Instrumente dicht beieinander, II im Ausdruck etwas zurückhaltend, der Violine wünschte man sich etwas mehr Glanz, hier (III) etwas mehr an Feuer, alles etwas gleichmäßig

 

 

4-5

Christian Tetzlaff

Lars Vogt

Ondine

2011

21‘01

 

 

I E wie abwartend, HT Allegro molto, bei D unterbricht Tetzlaff die Bögen, II Andante, gutes Miteinander, jedoch etwas distanziert, III Balance zwischen den Instrumenten zuungunsten der Violine – insgesamt sehr schlankes Musizieren

 

 

4-5

Henryk Szeryng

James Tocco

Orfeo

1979

21‘39

 

 

live, sehr gutes Zusammenspiel, Tocco etwas weicher und geschmeidiger am Werk, Haebler klingt mehr nach Haydn, Tocco mehr nach Mozart

 

 

4-5

Henryk Szeryng

Ingrid Haebler

Philips    newton

1969

21‘55

 

 

I ausdrucksstarkes Musizieren, kämpferisch, Lust an musikalischer Zuspitzung, Flügel führt, II oft mit Druck musiziert, ausdrucksstark – insgesamt sachliches Musizieren

 

 

4-5

Jascha Heifetz

Emanuel Bay

RCA

1936

20‘28

 

 

I ernsthaft gespielte E, entschiedener Zugriff, von musikalischer Energie sprühende Interpretation, Geige präsenter als später, II Musiker geben der Musik etwas mehr Raum und Zeit, das gilt auch für das Finale – gutes Miteinander – Schellack-Aufnahme

 

 

4-5

Jascha Heifetz

Brooks Smith

RCA

1954

19‘37

 

 

I überwiegend lockeres Spiel bei entschiedenem Zugriff, Heifetz schmiert einige Doppelschläge (T. 33-35 und später), II trotz durchwegs straffen Tempos wirkt die Interpretation doch gelassen, III mehr Allegro als Allegretto, stellenweise überschäumende Musizierlaune, leider einige Schwächen bei der Intonation

 

 

4-5

Wolfgang Schneiderhan

Carl Seemann

DGG

1953

22‘02

 

 

 

4-5

Wolfgang Schneiderhan

Carl Seemann

Orfeo

1964

19‘13

 

 

live, ▼

 

   

 

 

 

4

Itzhak Perlman

Daniel Barenboim

DGG

1990

21‘45

 

 

I Allegro molto, Virtuosität des Satzes ausgespielt, jeder Spieler bringt sich nach vorn, II Flügel oft vor der Geige, III T. 29 letztes Viertel „vergessen?“, auch vor M, stellenweise etwas forsch, dabei wird die Musik überfahren – insgesamt jedoch gutes Zusammenspiel

 

 

4

David Garrett

Itamar Golan

DGG

1995

22‘10

 

 

I E sehr langsam, jedoch kaum Spannung, MT entschieden voran, Ausgewogenheit der Stimmen, gutes Miteinander, II hier viel mehr Spannung als im 1. Satz, III die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen, dynamische Differenzierung noch nicht ausgeschöpft

 

 

 

 

   

 

3-4

Joseph Szigeti

George Szell

Vanguard

1955

21‘32

 

 

I spontan wirkende Musizierfreude, geringere artikulatorische Feinarbeit, II Geige mit viel Vibrato sowie mit nicht immer zufrieden stellender Intonation, III Pianist wünschte man sich geschmeidiger, dynamische Gestaltung im p-Bereich nicht immer top

 

 

3-4

Anne-Sophie Mutter

Lambert Orkis

DGG

2006

22‘02

 

 

I E ungewohnte rhythmische Gestaltung T. 1 und T. 3, HT Allegro assai: mehr an der Oberfläche musizierend, wenig Charme, II Musik scheint die Spieler nicht herauszufordern, man spielt eher neben- als miteinander – dynamische Gestaltung nach eigenem Gusto (gilt für alle Sätze)

 

 

3-4

Igor Oistrach

Natalia Zertsalova

Melodya

P 1979

24‘23

 

 

I etwas starre E, spontan wirkende Musizierfreude, klangliche Schärfung, großzügige Dynamik, II Geige mit einigen Intonationstrübungen, etwas festes Musizieren, (zu)viel Druck, III Balance zwischen den Instrumenten nicht immer optimal ausgeglichen – Instrumente klanglich dicht beieinander, insgesamt etwas hölzern, man hätte sich etwas mehr an Schliff gewünscht

 

 

 

 

Aufnahmen in historisch-informierter Aufführungspraxis mit Originalinstrumenten

   

 

5

Midori Seiler

Jos van Immerseel

ZigZag

2000

20‘53

 

 

I frischer Vortrag, klare Artikulation, farbiges Klangbild, II Eintauchen in die Welt der Poesie, mit Feingefühl, Spannungsbögen, III gelöstes Musizieren, stellenweise kapriziös, überzeugende Dialoge

 

 

 

 

   

 

4-5

Sigiswald Kuijken

Luc Devos

Accent

1995

25‘00

 

 

I ausdrucksvolle E, Geige – sehr schlanke Tongebung – leider durchgehend hinter dem Clavier platziert, kaum Vibrato, mit artistischer Leichtigkeit, II stimmungsvoll, III Allegretto, nicht eilend, Verzicht auf virtuose Selbstdarstellung

 

 

 

 

   

 

4

Yuuko Shiokawa

Andras Schiff

Decca

1992

24‘36

 

 

I akkurates Zusammenspiel, temperamentvoll, ungeduldig, pointierte Dramatik – klanglich etwas spröde, zu viel Mechanik stellt sich vor die musikalische Botschaft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

 David Oistrach

 

Zwei Interpretationen mit Mozarts B-Dur-Sonate KV 454 stehen hier zum Vergleich. In der früheren (1956) aus London mit Vladimir Yampolski am Flügel fühlen sich die beiden Musiker vom Notentext herausgefordert, wovon ein vehementer Zugriff zeugt, der ein Atmen mit der Musik nicht im Wege steht. Oistrach überzeugt mit einem klaren und flexiblen Geigenton. 16 Jahre später trifft der Geiger in Wien den österreichischen Pianisten Paul Badura-Skoda. Beide nehmen für Eurodisc einige Mozart-Sonaten auf, u. a. auch KV 454. Im Vergleich zu Yampolski hält sich Badura-Skoda bei seinem Spiel etwas zurück. Im Andante bleiben sie ruhig und gelassen, auch etwas langsamer als früher. Das Tempo des Final-Rondos entspricht in etwa der Erst-Aufnahme.

 

 Wolfgang Schneiderhan

 

Schneiderhan war in den 1950er bis 1960er Jahre sowohl ein geschätzter Konzertgeiger als auch Kammermusiker. Sein Vorzugspartner am Flügel war der Freiburger Klavierprofessor Carl Seemann. Es verband sie ein sehr gutes Miteinander, im Konzertsaal als auch im Plattenstudio. So nimmt es kein Wunder, dass sie die DGG für die Aufnahme aller Mozart-, Beethoven- und Brahms-Sonaten verpflichtete. 1953 beginnt die A-Dur-Sonate mit einer ernsthaften Einleitung, ihr folgt ein lebendiges Musizieren im Hauptteil, die Musik bleibt immer klar und transparent. Ohne Druck aber trotzdem ausdrucksstark zieht das Andante vorüber. Leider sind bei der Aufnahme einige Intonationstrübungen nicht korrigiert worden. Mit inspiriertem Vortrag wird das Finale und damit die Sonate zum Ende gebracht. Das Label Orfeo brachte einen Konzert-Mitschnitt auf den Markt, der 1964 in Schwetzingen entstand. Hier musiziert Schneiderhan mit dem amerikanischen Pianisten James Tocco vier Violinsonaten, u. a. auch unsere A-Dur-Sonate KV 454. Die Tempi sind in allen Sätzen etwas schneller als früher. Im Kopfsatz verzichten die Musiker auf die Wiederholung der Exposition. Es wird insgesamt etwas freier sowie lebendiger musiziert mit mehr Dynamik. Dabei ist jedoch nicht zu überhören, dass Schneiderhans Geigenton nicht so rund klingt wie der von Grumiaux, Szeryng oder Oistrach.

   

Arthur Grumiaux

 

Nach einer kleinen Auswahl Mozartscher Violinsonaten zusammen mit der Pianistin Clara Haskil in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auf 2 LPs, spielte Grumiaux zu Beginn der 1980er Jahre eine Gesamtaufnahme mit dem Pianisten Walter Klien ein. Alle Aufnahmen erschienen bei Philips.

Im Falle der B-Dur-Sonate sind die interpretatorischen Unterschiede nicht sehr groß. Die frühere Aufnahme mit Haskil am Flügel zeichnet ein beseeltes Musizieren aus mit einer sehr guten Balance zwischen den beiden Instrumenten. Grumiaux‘ Intonation ist hier und da jedoch nicht ganz top. Eine erhabene Ruhe herrscht im Andante vor. Etwas mehr an Inspiration gegenüber der späteren Interpretation mit Klien zeichnet das Finale aus. In dieser Aufnahme wird jedoch etwas lebendiger musiziert, teilweise auch etwas hektischer. Im Andante, trotz schnellerem Tempo, überzeugt ein natürliches Musizieren, bei einem sehr guten Miteinander der beiden Musiker. Die klanglichen Verhältnisse sprechen für die jüngere Aufnahme.

 

eingestellt am 05.07.24

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