Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Violinkonzert d-Moll
op. 47
Allegro moderato – Adagio di molto – Allegro ma non
tanto
Jean
Sibelius war einer der wenigen Komponisten, der das Geigenspiel voll
beherrschte. In seinen Jugendjahren begann er mit einer Ausbildung zum
Violinvirtuosen, gab sie jedoch zugunsten der Komposition auf. Sein einziges
Konzert, das Violinkonzert in d-Moll op. 47, ist ein dankbares Werk für jeden
Geiger, hier kann er zeigen, was er musikalisch und technisch zu bieten hat.
Sibelius kommt ihm dabei sehr entgegen, da er den Solopart immer in den
Vordergrund stellt und ihm den Vortritt bei der Einführung der Themen
überlässt. Das Orchester hat mehr begleitende oder kommentierende Funktion,
bedarf aber eines hellwachen Dirigenten, der minitiös und in Sekundenschnelle
auf den Solisten reagiert. Der Komponist hat vor allem den Streicherpart
rhythmisch vertrackt ausgestattet, dabei sollen die Instrumente sehr oft sehr
leise spielen. Rhythmus, Artikulation und Lautstärke sowie das Zusammenspiel
mit dem Solisten müssen penibel geprobt sein, um die intendierte Wirkung zu
erbringen. Eine nur solide Begleitung des Orchesters reicht hier nicht aus!
Einige Dirigenten gehen wahrscheinlich aus Gründen der Deutlichkeit nicht bis
zum untersten Lautstärkelevel und verzichten dabei jedoch auf eine besondere
Stimmung und Atmosphäre, das kann man vor allem bei älteren Aufnahmen beobachten,
da mögen auch die Imponderabilien der damaligen Tonaufzeichnung eine Rolle
gespielt haben.
Die
formale Gestaltung des 1. Satzes entspricht lediglich äußerlich der
überkommenen Konzertform, thematische Arbeit, wie sie in der Zeit der Klassik
und Romantik üblich war, ist in diesem Satz nicht zu finden. Wiederholungen und
Umformungen einzelner Motive haben eher assoziativen Charakter und geben dem
Satz einen rhapsodischen Anstrich.
Über
einem sehr leisen Tremolo der viergeteilten Violinen beginnt die Solo-Geige
einen melancholischen Gesang, rhythmisch sehr abwechslungsreich gestaltet.
Einige Interpreten (Gitlis, Gimpel, Zimmermann-08, Mutter, Rachlin, Kuusisto,
Kavacos, Josefowicz, Frang) verzichten hier weitgehend auf Vibrato. Sibelius
erweitert das Orchestertableau nun auch mit Klarinetten (tiefe Register),
Fagotten und Hörnern sowie Bratschen, Celli und Kontrabässen. Ab Partiturziffer
1 hat man den Eindruck, die Solo-Geige müsse sich aus den Fängen des Orchesters
befreien. Nach einer kleinen Kadenz folgt das erste Orchestertutti (Ziff. 2),
nach einem Zwischenspiel ein zweites (Ziff. 4/5), und bei Ziff. 9 ein letztes.
Beim zweiten Tutti (Ziff. 4) verlangt Sibelius ein Allegro molto, als
Tempokontrast nach längeren mehr langsamen Abschnitten nur folgerichtig. Sehr
viele Dirigenten lassen jedoch nur Allegro spielen, die Anweisung des
Komponisten befolgen nur Anosov (bei Julian Sitkovetzky), Norrington, Marriner
(bei Josefowicz) und Rattle, ihnen am nächsten kommen noch Ormandy, Muti,
Segerstam, Sandberg und Harding. Aber nochmal zurück zum Beginn, hier lassen
einige Dirigenten zu laut spielen: Süsskind, Tennstedt, bei Sinopoli sind die
Geigen dagegen fast unhörbar leise. Vor Partiturziffer 2 hat Sibelius bereits
eine kürzere zweiteilige Kadenz für die Solo-Violine eingearbeitet. Im ersten
Teil beginnt die Geige, quasi Kadenz 1, mit einer mehr als fünftaktigen
Sechzehntel-Kette auf der G-Seite, bei Gimpel-55 und Kuusisto klingt sie wild
herausfahrend. Nach einem kurzen Innehalten folgt nun ein Largamente überschriebener Teil von Akkordbrechungen auch in
Sechzehntel-Noten, der nach und nach lauter und schneller gespielt werden soll.
B.Gimpel, Tretjakov, Fried (DGG), Mintz und Belkin nehmen das L. bereits
anfangs zu schnell, eine Steigerung ist dann nicht mehr möglich. Durch
Hervorhebung einzelner Noten gibt Ida Haendel-Anc. dieser Stelle einen
melodischen Anstrich.
Fünf
Takte vor dem Orchestertutti bei Ziff. 4 spielt die Solo-Violine einen Triller
mit zusätzlicher Unterstimme aus dem Hauptthema abgeleitet, für die beiden
letzten Töne d und a bzw. zuletzt e und a sieht Sibelius jeweils eine andere
Artikulation vor, die meisten Solisten differenzieren hier kaum bis
unzureichend. Gimpel-55, Haendel, Chung, Hudecek, Zukerman, Tetzlaff, Bell,
Hahn, Batiasvili, Anthony und Frang sind die Ausnahmen.
Nachdem
das Orchestertutti bei Ziff. 4/5 im vierfachen p der Celli und Kontrabässe verklungen ist, beginnt bei Ziff. 6 die
Durchführung, die ausschließlich von der Solo-Violine als eine umfangreiche
Kadenz bestritten wird, bis auf einen sehr kurzen, wilden ff-Einwurf des Orchesters, zu Beginn. Keine leicht zu bewältigende
Stelle in 32stel-Noten für Streicher, Pauke, Klarinetten und Fagotte über einer
Grundierung der Blechbläser, sie klingt in den meisten Aufnahmen nach „auf
Nummer sicher gespielt“, ohne Risikobereitschaft und Spontaneität, wie z. B.
bei Ormandy, Barenboim, die das Blech hervorheben, so bleiben die eventuellen
Unebenheiten im Zusammenspiel verdeckt. Allein Marriners Academy lässt hier
aufhorchen! Die großangelegte Kadenz ist natürlich ein Prüfstein für alle
Geigerinnen und Geiger, wer sie nicht beherrscht, sollte die Finger vom
Sibelius-Konzert lassen. Seit Jahrzehnten jedoch haben die angehenden Solisten
in den bedeutenden Geiger-Schmieden wie New York und Moskau das notwendige
technische Rüstzeug erworben, um solche Herausforderungen mit Leichtigkeit zu
bestehen. Das Niveau ist mittlerweile so hoch, dass für eine individuelle
Ausdeutung kaum Platz bleibt, die Interpretationen scheinen austauschbar zu
werden. Speziell bei Sibelius lässt sich feststellen, dass sie kaum noch einen
irgendwie finnischen/ nordischen Sibelius-Klang besitzen.
Auf
eine kleine Stelle (ein Takt vor Ziff. 11) vor dem abschließenden Allegro molto
vivace möchte ich noch hinweisen: nach dem langen Triller auf a leitet die
Solo-Geige mit einem Auftakt (a-h-cis-d) in Sechzehntel-Noten die schnelle
Schlussphase ein. Für viele Geiger sind es nur schnelle Sechzehntel-Noten, mehr
nicht. V. Hudecek, B. Gimpel, G. Taschner, D. Oistrach, Ch. Ferras, V. Frang,
L. Batiasvili, A.S. Mutter, Mullova-Norr., S. Khatchatrian, I.Haendel-57/-75,
D. Sitkovetzky, L. Josefowicz, P. Kuusisto, J. Fischer und V. Repin spielen
dagegen die Sechzehntel wild herausfahrend, als wollten sie das Steuer
herumreißen.
Ob
im 2. Satz wenig oder viel Vibrato angebracht ist, lässt sich nicht mit
Gewissheit konstatieren, der Komponist hat hier seine Vorstellungen nicht
niedergelegt. Es gibt gültige Aufnahmen sowohl mit also auch ohne viel Vibrato.
Letztendlich muss das persönliche Geschmacksempfinden hier entscheiden. Nach
dem Einsatz der Violine treten zu den tiefen Bläsern in T. 9 auch Celli und
Bässe hinzu, die aufsteigende Noten des B-Dur-Akkords spielen. Obwohl der
Komponist keine entsprechende Angabe hinterlassen hat, lassen Lehmann,
Roshdestvensky, Marriner, Maazel, Defossez, Barenboim und Sondergard hier
pizzicato spielen. 4 und 5 Takte nach Ziff. 1, das Orchester spielt nun allein,
begleitet die Pauke die unisono vorgetragenen Melodien der Streicher, Sibelius
lässt sie leiser spielen als Streicher und tiefe Bläser, möchte sie aber gewiss
nicht übergangen wissen. Sehr plastisch klingt sie bei N. Järvi und Salonen.
Nach einem Aufbäumen des vollen Orchesters setzt bei Ziff. 2 wieder die
Sologeige ein, während die Streicher in dem von der Pauke übernommenen Rhythmus
einen leisen Klangteppich ausbreiten. Die Geigenpartie hat es technisch in
sich, sie ist fünf Takte durchgängig zweistimmig angelegt: während die
Oberstimme eine Melodie im 4/4-Takt spielt, wird sie von der Unterstimme mit
Viertel-Triolen „begleitet“, das klingt doch wieder wie eine Kadenz. Viele
Geigerinnen und Geiger versuchen dies einigermaßen sauber und deutlich
abzuliefern, am besten gefällt mir hier S. Accardo, am wenigsten Y. Yaron,
meist wird die Tonfolge der Oberstimme jedoch zerrissen. Für David Oistrach
sind diese fünf Takte auch eine gesangliche Partie, folglich spielt er die
Oberstimme viel deutlicher. Nach Ziff. 4 steuern Orchester und Solist dem
abschließenden Höhepunkt des Satzes auf einem Es-Dur Akkord zu, hier ist in den
Aufnahmen sehr oft die Balance gestört, meist übertönt das Orchester die
Solo-Geige, nur ganz wenige treffen Sibelius‘ Intention: Taschner, Oistrach-55,
Gimpel-55, Haendel-57/-93, Hudecek, Sitkovetzky, Bell, Lin und Repin.
Sibelius
soll vom 3. Satz einmal als einem danse
macabre gesprochen haben, der englische Musikwissenschaftler Donald Tovey
sah die Musik als Polonaise für Eisbären
an, der Geiger Ilya Gringolts spricht von einer Tour de force. Zweifellos besitzt die stürmisch dahinfliegende
Musik einen stark tänzerischen, gleichzeitig auch federnden Charakter, der bei
der Aufführung nicht verlorengehen darf. Der Satz folgt in etwa dem
überkommenen Rondo-Schema, also einem wiederkehrenden Ritornell mit zwei
eingeschobenen Couplés, die beide auf demselben thematischen Material fußen.
Das ganze Ritornell, ja der komplette Satz, gehört ohne Zweifel der Geige, das
Orchester spielt nur eine mehr dienende Rolle. Die Streicher legen einen
Teppich aus schnellen Achtel- und Sechzehntel-Noten im daktylischen Rhythmus
aus, denen man in allen Ritornell-Abschnitten wiederbegegnet: daa da da,
zwölfmal erklingt er, bevor die Geige mit ihrem rhythmisch scharf gezeichneten
Thema beginnt. Aus Übermut (?) gesellt Sibelius den Streichern die Pauke mit
genau dem umgekehrten Rhythmus zu: da da daa, da da daa ... . Damit erhält der
Klangteppich eine unbestimmte, gleichzeitig auch erregende Note, falls die
Dirigenten auf Sibelius‘ Vorstellungen eingehen, wie Roshdestvensky bei
Szeryng, Ancerl, Previn bei Chung, Norrington bei Mullova, Davis, Segerstam,
Kamu, Belohlavek, Storgards. Ormandy hebt bei Stern sogar die Pauke ein wenig
hervor. Bei Oistrach fehlt die Pauke nahezu, stattdessen dürfen die Streicher
so richtig loslegen. Barenboim macht eigentlich auch nichts falsch, kann aber
die rhythmische Energie nicht nutzen. Bei so ziemlich allen anderen
Interpretationen fällt der Satzanfang moderat aus, wenig interessant. Die
Dirigenten befolgen sklavisch den Anweisungen der Partitur, da steht für die
Pauke mp sowie danach diminuendo, darunter aber auch marcato sempre, also soll sie nicht
überdeckt werden! Für die Streicher, das sind hier Bratschen, Celli und
Kontrabässe, ist hier f notiert,
danach aber auch dim. Wenn der
Paukist einen etwas festen Schlägel einsetzen würde, müsste sich die
intendierte Wirkung auch bei leisem Anschlag von selbst einstellen. Bei einem
späteren Ritornell (12 T. nach Ziff. 6) ist zu beobachten, dass bei vielen
anderen Dirigenten jetzt Streicher und Pauke klanglich in einem ausgewogeneren
Verhältnis stehen, hat man sich nun aneinander gewöhnt?
Anfangs
wurde des exorbitant schweren Soloparts gedacht, kurz vor Ende des Satzes hat
sich der Komponist mitten in den schwierigen Oktavaufschwüngen mit
Doppelgriff-Oktaven und der D-dur Tonleiter samt Vorschlägen noch eine kleine
Gemeinheit (?), vergleichbar mit einer Zirkusnummer, erlaubt, nämlich ein
kurzes gleichzeitiges Zupfen der Töne d‘ und a‘ (3 T. nach Ziff.12). Hier
kapitulieren viele Spieler, manche lassen das Pizzicato aus oder man hört es
nicht (Haendel-75, D. Sitkovetzky, Kavacos, Little), andere spielen den leeren
D-Dur Akkord mit dem Bogen (Haendel-57, Accardo, Oistrach). Nicht entgehen
lassen sich das Pizzicato Stern-51, Haendel-93, B. Gimpel, Tretjakov, Fried,
Zukerman, Tetzlaff, Yaron, Bell, Mintz, Shaham, Zehetmair, Josefowicz, Vengerov,
Khachatrian, Gringolts, Suwanai, Fischer und Hahn.
Hinweise
zu Interpreten und Interpretationen:
Jascha Heifetz
Heifetz‘ schier unglaublichen manuellen
Möglichkeiten, die auch noch die schwierigsten Geigenstücke mit Leichtigkeit
absolvierten, wurden zu Lebzeiten und auch heute noch von vielen Kritikern in
den höchsten Tönen gelobt, gleichzeitig warf man ihm jedoch vor, dass er gerade
die Klassiker viel zu schnell und darum zu oberflächlich vortrage.
Konzertstücke von Saint-SaÁns und Sarasate, Violinkonzerte von
Tschaikowsky, Vieuxtemps oder Waxman seien bei ihm in besten Händen, aber die
Konzerte von Beethoven oder Brahms? Keine Meinungsverschiedenheiten dürfte es
beim Violinkonzert von Sibelius geben, obwohl der Solist es im Vergleich zu
anderen sehr schnell vorträgt, ist er jedoch aufgrund seines geigerischen
Rüstzeugs und seiner Musikalität ein profunder Anwalt des schwierigen Stücks,
Leidenschaft spricht vom ersten bis zum letzten Ton, sein Geschmack bewahrt ihn
jedoch davor, in Sentimentalität abzugleiten. Sein Spiel bleibt immer elegant
und sehr ausgeglichen. Die kompetenteste Begleitung steuert Sir Thomas Beecham
bei, beide waren aufgrund vieler Konzerte sehr gut miteinander vertraut. Sir
Thomas liebte es, Themen oder Motive sehr plastisch zu zeichnen, Höhepunkte
erklingen sehr genau austariert, ohne akademisch zu klingen, den 2. Satz hört
man hier con espressione. Das
Klangbild ist zeitbedingt etwas kompakt ausgefallen. Außer der viel besseren
Aufnahmetechnik fast 25 Jahre später beim Dirigenten Walter Hendl, überzeugt
diese CD besonders im Finale, wo der Tanzcharakter des Satzes besonders
deutlich zutage tritt. Der Blick wird immer auch auf’s Detail gelenkt, ohne das
Große und Ganze aus den Augen zu verlieren, eindringlich auch der rauschhafte
Schluss des Satzes. 1951 war Heifetz mit dem Sibelius-Konzert bei Dimitri
Mitropoulos und seinen New Yorker Philharmonikern zu Gast. Auch wenn das
Orchester bei lauten Stellen ziemlich ausladend agiert, achtet der Dirigent
doch immer wieder auf die tiefen Orchesterinstrumente, denen in diesem Werk
eine tragende Rolle zugewiesen ist. Auch hier erleben wir ein feuriges Finale,
schnellstes Tempo mit 6’36.
David Oistrach
Oistrachs Aufnahme mit Eugene Ormandy
ist ein Aktivposten der Diskographie des Sibelius-Konzerts. Oistrach ist vom
ersten bis zum letzten Ton immer präsent, intensiv und genau, mit überlegener
Ruhe hält er die Musik zusammen. Ormandy und sein Orchester sind ihm dabei
gleichgesinnte Partner. Die Aufnahme ist trotz des Alters sehr durchsichtig
gelungen. Aufhorchen lässt der Beginn des Finales, das Streicher-Ostinato im
Daktylus klingt geradezu obsessiv, leider gilt das nicht für die Pauke mit
ihrem Gegenrhythmus. Bereits 1954 gastierte Oistrach beim Helsinki Festival und
spielte das Violinkonzert mit dem Radio Sinfonie-Orchester unter Leitung seines
Chefdirigenten Nils-Eric Fougstedt. Die Aufnahme wurde wahrscheinlich nur mit
einem Mikrofon aufgenommen, das in der Nähe des Solisten postiert war,
entsprechend deutlich hört man ihn, weniger präsent das RSO. Insgesamt klingt
mir diese Aufnahme ursprünglicher, spontaner, mehr mit der Komposition
verbunden. Oistrach spielt hier leidenschaftlich, wenn nötig auch mit viel
Bogendruck, das Orchester kann mit Ormandys Mannschaft jedoch kaum mithalten,
in T. 8/7 vor Ziff. 10 ist die Intonation nicht sauber. Der 2. Satz wird von
Oistrach mit breitem Vibrato, fast bis zur Grenze des noch Erträglichen,
zelebriert. Den bisher positiven Eindruck schmälert jedoch der Schlusssatz, der
schnellste aller von Oistrach, der recht harmlos beginnt und kein rechtes
Profil gewinnt, schade. Die dritte mir vorliegende Aufnahme wurde 1966 live in
Moskau mit den dortigen Philharmonikern unter Leitung von Gennadi
Roshdestvensky gespielt. Letzterer ist leider nur Begleiter, kein Mitgestalter,
die Folge ist eine geringere Spannung, die sich vor allem im Finale bemerkbar
macht, obwohl der Satz eine halbe Minute schneller gespielt wird. Die rhythmische
Energie der Streicher wird kaum genutzt.
Isaac
Stern
Eugene Ormandy und sein Philadelphia
Orchester waren bereits zwei Jahre zuvor bei Isaac Sterns Aufnahme ein dicker
Pluspunkt. Durch sein sensibles Geigenspiel, unterstützt von einer
außergewöhnlichen Musikalität, und Ormandys Partnerschaft gelingt ihm eine
immer noch gültige Interpretation des Sibelius-Konzerts. Einige Jahre zuvor,
noch zu Mono-Zeiten, spielte sich der jüngere Stern schon einmal mit Sir Thomas
Beecham und dem Royal Philharmonic Orchestra als Partner an die Spitze. Was in
der amerikanischen Aufnahme so für sich einnimmt, ist bereits hier vorgegeben,
Sterns virtuoses, keine Schwierigkeiten kennendes, beseeltes Geigenspiel. Wer
außer Heifetz hat die Kadenz im 1. Satz dermaßen souverän in die Rillen
gebannt? Beecham ist ihm immer ein zuverlässiger Partner und Mitgestalter, auch
wenn in puncto Präzision sein Orchester die Kollegen aus Philadelphia nicht
immer erreicht. Höhepunkt in beiden Aufnahmen ist der Mittelsatz, in der eine
gespannte Atmosphäre herrscht, trotz des im Vergleich zu späteren Einspielungen
viel schnelleren Tempos.
Ida
Haendel
Aus allen drei hier vorliegenden
Aufnahmen spricht eine ansteckende Musikalität, die sich gleichermaßen auf alle
Sätze des Violinkonzerts erstreckt. Ida Haendel identifiziert sich vollkommen
mit dem Werk, als wär’s ein Stück von ihr selbst. Diese Haltung hat sie sich
über Jahrzehnte bewahrt. Bereits in der ältesten Aufnahme aus Prag, im selben
Konzert spielte sie übrigens noch Beethovens Violinkonzert, hört man ihre
Selbstsicherheit, ihre Vertrautheit mit dem Werk aus jedem Takt heraus, Karel
Ancerl ist leider nur Begleiter, das Orchester spielt etwas robust, der Klang
wenig transparent, trotzdem hören wir hier eine hoch emotionale Darstellung,
die überzeugt. Im 2. Satz spannt die Geigerin ganz lange Bögen und lädt sie mit
viel Bogendruck und breitem Strich mit Ausdruck auf, molto patetico! Den 3.
Satz stelle ich mir etwas lockerer vor, das gelingt in den beiden anderen
Aufnahmen besser. Berglund lässt sich mehr Zeit, Haendel spielt hier etwas
domestizierter, ihre Musikalität überträgt sich jedoch auf Dirigenten wie
Orchester, trotz des langsamen Tempos im 2.Satz wird die Spannung gehalten,
etwas lockerer gespielt erfreut das Finale. Insgesamt ist der Klang der
Aufnahme sehr transparent. Das lässt sich auch vom Mitschnitt mit Simon Rattle
sagen, besonders sind Klarinetten und Fagotte sehr gut abgebildet und verleihen
gerade dem 1. Satz sein besonderes Kolorit. Haendels Feuer lodert noch immer,
jedoch ist ihre Grifftechnik nicht mehr ganz auf dem bisher gehörten Niveau,
außerdem könnten den einen oder anderen Hörer ihre (minimalen) Schnaufgeräusche
stören. Am erfreulichsten ist, dass Solistin und Dirigent sich hier als
gleichberechtigte Partner begegnen.
Itzhak
Perlman
Dem israelischen Wundergeiger wird
nachgesagt, dass er Wohlklang und genau dosierte Sinnlichkeit des produzierten
Geigentons (A. Roeseler) anderen geigerischen Parametern voranstellt, dies
gepaart mit einer stupenden Grifftechnik und Bogenführung prädestiniert ihn als
Interpreten des Sibelius-Konzerts, tatsächlich hat er es auch zweimal
aufgenommen. Die erste Platte durfte der gerade 21-Jährige mit Erich Leinsdorf
und dem Boston Symphony Orchestra einspielen, leider war es kein Volltreffer,
alles, was man an dem jungen Geiger bewunderte, ist hier zu hören. Das
Orchester scheint jedoch nur pflichtgemäß zu sekundieren, die Transparenz
bleibt unter dem damals Möglichen, das Orchester klingt zu kompakt, die
Kontrabässe bringen wuchtige, jedoch wenig fokussierte Pizzicati. In der
folgenden Aufnahme fordert und formt Andre Previn das Pittsburgh Symphony
Orchester mehr als Leinsdorf, die Transparenz ist nun besser geworden, ein
Nachteil sind jedoch die wesentlich langsameren Tempi in allen Sätzen, am
wenigsten noch im Finale.
Miriam
Fried
Um die einst exzellente Geigerin Miriam
Fried ist es in den letzten Jahren still geworden, möglicherweise konzertiert
sie auch nicht mehr. Dabei fing ihre Karriere so vielversprechend an, einer
ihrer Schwerpunkte war das Sibelius-Konzert, mit der die rumänisch-israelisch-amerikanische
Geigerin 1971 den Brüsseler Königin-Elisabeth-Wettbewerb gewann, in der Jury
saßen Oistrach, Francescatti, Menuhin und Stern. Das Finalkonzert, bei dem sie
Jury und Publikum gleichermaßen begeisterte, wurde mitgeschnitten und von der
DGG herausgegeben. Schade, dass die Platte nur kurz auf dem Markt war und
gewiss nur wenige Musikfreunde erreicht hat. Hier erlebt man eine Geigerin, die
auf‘s Ganze zielt, Geigenspiel voller Kraft aber auch empfindsam in den
entsprechenden Partien ist hier zu erleben. Gleich zu Beginn überzeugt die klug
konzipierte kleine Kadenz, erwähnen sollte man auch die Gestaltung großer
Bögen. Dirigent und Orchester unterstützen Fried nach Kräften. Der 2. Satz wird
con molto espressione bei eingeschränktem Vibratogebrauch liebevoll gestaltet.
Leider fällt das ziemlich schnell genommene Finale ab, dem Ostinato-Rhythmus,
gleich zu Beginn und dann auch später, fehlt einfach die Profilierung, auch ist
das Orchester meist zu sehr im Hintergrund. Fried spielt konzentriert und mit
Verve wie zuvor, einige kleine Unsauberkeiten sollten nicht ins Gewicht fallen,
aber es entsteht kein richtiges spannungsvolles Miteinander, schade. Jahrelang
habe ich auf eine kommerzielle Aufnahme gewartet und war hocherfreut, als endlich
1988 das finnische Label Finlandia das Konzert mit Fried auf den Markt brachte.
Leider wurde ich von der (abgesehen vom Schlusssatz) gemächlichen Gangart der
Interpreten, Okko Kamu leitete das Philharmonische Orchester von Helsinki,
enttäuscht, der Aufnahme fehlt es an Esprit und Feuer, die Musik schleppt sich
ziemlich ereignislos dahin. Ein Auftritt in Frankfurt mit dem
HR-Sinfonie-Orchester unter Leitung von Eliahu Inbal, ebenfalls mit dem
Sibelius-Konzert, den ich im Radio mitschneiden konnte, enttäuschte ebenso,
langsames Tempo, Inbal gelang es nicht das Orchester zu beflügeln und Akzente
zu setzen. Der Mitschnitt hörte sich wie eine Pflichtvorführung an, ein Funke
wollte nicht überspringen. Wie wichtig die Herausforderung eines wissenden
Dirigenten für M. Fried war, zeigt ein anderer Konzertmitschnitt aus dem Jahre
1992 von einem europäischen Festival, das ich auch als Radio-Übertragung
festhalten konnte, Yuri Temirkanov dirigierte damals das Philharmonische
Orchester St. Petersburg. Hier ist ein nuancenreiches Violinspiel zu erleben,
Fried überzeugt mit leidenschaftlichem Ton und Emphase, mir scheint, als würde
hier in Zusammenarbeit mit dem russischen Dirigenten ein Konzept verwirklicht,
das ich vorher so vermisste. Im Mittelsatz nimmt ihr einfühlsames Spiel für
sich ein, das am Satzende fast in Traurigkeit mündet. Mit Feuer und
Leidenschaft zieht das Finale dahin, eine außergewöhnliche Leistung. So etwas
hätte Anspruch auf einer Silberscheibe veröffentlicht zu werden!
Miriam Fried gab ihre Musikalität an
ihren Sohn, den Pianisten Jonathan Biss, weiter.
Frank
Peter Zimmermann
Musikfreunde können unter zwei Aufnahmen
des Sibelius-Konzerts mit dem deutschen Meistergeiger wählen. 1991 spielte er
es in London mit Mariss Jansons ein. Die CD kann sich hören lassen, bestes
geigerisches Rüstzeug hört man aus jedem Takt seines Spiels. Leider wuchert er
nicht mit den Pfunden, er bleibt lediglich sorgfältig und geht kein Risiko ein,
die Geige klingt stellenweise etwas distanziert und hat kein rechtes Feuer. Der
am besten geglückte 2. Satz könnte etwas schneller sein. Beim Finale hat man
das Gefühl, dass alles sitzt, trotzdem fehlt der Aufnahme etwas, zumal das
Orchester keine Akzente setzt. Vielleicht war Zimmermann nicht mehr zufrieden
mit dieser Einspielung und ging deshalb erneut ins Studio, jetzt mit John
Storgards und dem Helsinki Philharmonic Orchestra, das hat sich gelohnt.
Zimmermann spielt freier und geht souveräner mit dem Notentext um, insgesamt
klingt es einfach spannender, vielleicht auch deshalb, weil alle Sätze etwas
schneller genommen werden. Storgards und sein hell aufgenommenes Orchester sind
ihm dabei ein hervorragender Partner. Die Spannung steigert sich von Satz zu
Satz.
Christian
Tetzlaff
Tetzlaffs CD-Aufnahme mit Thomas
Dausgaard wurde zu Recht gelobt als eine moderne Darstellung von Sibelius‘
sperrigem Konzert. Eine saubere Grifftechnik, schlanke Tongebung,
nuancenreiches Geigenspiel sind dicke Aktivposten bei seiner Interpretation.
Sehr deutlich kommt dies in der scheinbar mühelos gegeigten Kadenz zum Tragen.
Der Dirigent steuert eine hellwache Orchesterbegleitung bei. Leider ist mir die
emotionale Seite in den Sätzen 2 und 3 nicht ganz getroffen, die Sätze klingen
zu objektiv gespielt. Trotz schnellen Tempos geht im Finale der Tanzcharakter
verloren. Zum Vergleich bietet sich ein zwei Jahre früher entstandener
Konzertmitschnitt mit dem NDR Sinfonie-Orchester unter Leitung von Daniel
Harding an. Hier wird in allen Sätzen ein wenig schneller gespielt, das
Orchester ist um das gewisse Etwas lebendiger, jedoch teilweise auch etwas
robust. Dirigent und Solist musizieren im Einklang. Tetzlaff zeigt hier mehr
Emotion, leider ist sein Part weniger fein gezeichnet als 2002. Insgesamt kann
man von einer konventionelleren Interpretation sprechen, sie hat aber etwas
mehr Fleisch und Blut und trifft für mein Empfinden den Sibelius-Ton besser.
Inzwischen hat Tetzlaff eine
Neuaufnahme vorgelegt, Partner sind das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin
unter Leitung von Robin Ticciati. Die langjährige Erfahrung mit dem Konzert
kommt dieser Aufnahme zugute: lockeres Musizieren, teilweise spielerischer
Umgang mit dem Notentext, mit Temperament bei der Sache. Das Tempo des
Mittelsatzes – Adagio di molto – wird hier sehr ernst genommen. Im
Gegensatz dazu kommt das Finale sehr lebendig und schwungvoll.
Die etwas umfangreichere Erstfassung
des Violinkonzerts von Sibelius hat Leonidas Kavakos eingespielt:
Leonidas
Kavakos |
Osmo
Vänskä |
Lathi Symphony Orchestra |
BIS |
1991 |
39‘08 |
Sie ist auf CD gekoppelt mit der
Zweitfassung, die oben vorgestellt wurde. Eine Bewertung lässt sich aufgrund
nicht vorhandener Alternativeinspielungen nicht vornehmen.
eingestellt
am 05. 10. 12
ergänzt
am 20. 05. 25