Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Hector Berlioz

Sinfonie fantastique op.14

 

dem Andenken von Manfred Voss – Zelenka - gewidmet

 

 

Abbado

Lucerne Festival Orchestra

Polydor Japan

2008

54'15

5

live – I ruhige spannungsvolle E, inspirierte Darstellung, sonst oft übersehene Details werden nicht vergessen, II A. stellt die hier vorhandene Melancholie heraus, III schöne Holzbläserdetails, IV Musik steht sofort unter Strom, deutliches Geplärr der tiefen Posaune, V stellenweise grell, exaltiert, burlesk – transparentes Klangbild, breites Klangspektrum

Leibowitz

Orchester der Wiener Staatsoper

Westminster

1958

53‘39

5

W1 – die Partitur durchleuchtet

Otterloo

Berliner Philharmoniker

Philips

1951

47‘10

5

leidenschaftlich, mit Feuer – neu in: Berliner Philharmoniker-Rediscovered

Otterloo

Residenz Orchester Den Haag

Philips Challenge

1959

48‘11

5

besserer Klang, im 1. wie 3. Satz einige Abstriche

Davis, Colin

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1974

54‘17

5

W1, W4 - überzeugende Tempi, Liebe zum Detail, ausdrucksstark ohne zu übertreiben

Markevitch

Berliner Philharmoniker

DGG

1953

48‘15

5

sehr durchsichtig, Intensität, Klangbild zeitbedingt jedoch wenig Tiefenstaffelung

Argenta

Conservatoire Orchester Paris

Decca

1957

50‘41

5

W4 – Intensität, messerscharfe Akkorde, helles Decca-Klangbild der Mono-Zeit

Klemperer

Philharmonia Orchestra London

EMI

1963

56‘48

5

W1 – intensiv, erfüllt

Monteux

Wiener Philharmoniker

Decca

1958

51‘09

5

II bewegt, doch nicht zu schnell, V Intonationsprobleme

Minkowski

Mahler Chamber Orchestra Les Musiciens du Louvre

DGG

2002

57‘21

5

W1, W4 – I nicht ganz so auf der Höhe der übrigen Sätze, jedoch mit Intensität und Passion

Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1954

52‘53

5

eine der überragenden POL-Produktionen mit HvK

Chung

Orchestre de l’Opera Bastille

DGG

1993

50‘22

5

W1

 

Münch

Boston Symphony Orchestra

RCA

1962

49‘03

4-5

im Tutti kompakt, etwas angerauter Orchesterklang

Solti

Chicago Symphony Orchestra

Decca

1972

52‘33

4-5

W1 – ein Werk wie für Solti geschaffen, fulminantes Blech, II mehr Orchesterreiser als Valse

Beecham

Orchestre National d’ORTF

EMI

1961

52‘20

4-5

passionato, Beecham hat das richtige Gespür für die Musik, Orchester jedoch nicht erstklassig, II könnte etwas pointierter und spritziger sein, III T.156-58 besonderer Effekt wegen französischem Fagott, IV das Bizarre, Übersteigerte kommt nicht ganz herüber

Silvestri

Conservatoire Orchester Paris

EMI

1961

53'14

4-5

vitale Interpretation, dynamische Gegensätze etwas nivelliert, im lauten Tutti wird das Klangbild zu sehr von den hohen Streichern dominiert, das trübt etwas den hervorragenden Gesamteindruck – III T. 113 wird zweimal gespielt (Seitenwechsel der ursprünglichen LP?)

Monteux

San Francisco Symphony Orchestra

RCA/Archipel

1945

49‘11

4-5

etwas entfernt, etwas stumpfer Klang

Zecchi

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

~ 1976

52'44

4-5

I plastisch musiziert, breite Dynamik, Details, in Zutti-Abschnitten Blech oft überpräsent, insgesamt hier weniger Relief, II Harfe nicht nur akustischer Zierrat, IV hämische Posaune? Becken schiebt sich zu sehr nach vorn, V Schlussstretta könnte ein wenig schneller ausfallen, auch hier zu lautes/dominierendes Blech – offener Klang, insgesamt guter bis sehr guter dirigentischer Ansatz

Cluytens

Conservatoire Orchester Paris

EMI

1964

48‘36

4-5

live Tokyo – Partitur vor allem in den Schlusssätzen adäquat umgesetzt

Stokowski

New Philharmonia Orchestra London

Decca

1968

52‘29

4-5

I teilweise überzeichnet, V überraschend kontrolliert, klingt besser als die BBC-Aufnahme

Levine

Berliner Philharmoniker

DGG

1990

55‘37

4-5

W1, W4 – I hier und da starre Tutti-Schläge, IV hier ist was los! V sehr deutlich: in T. 109, 117 u. 118 drei, nicht eine Achtel

Rattle

Berliner Philharmoniker

EMI

2008

55‘15

4-5

W1, W4 – lebendig und aufmerksam musiziert, Orchester gut abgebildet, II schwungvoll, schöner Mittelteil, Kornett leider nicht immer konsequent eingesetzt, III gute Beachtung von Details, schöner Holzbläserklang, IV etwas zu gepflegt, V Glocken zu leise

Järvi, Paavo

Cincinatti Symphony Orchestra

Telarc

2000

53‘52

4-5

W1 – I Einleitung mehr Teile als Zusammenhänge, IV u. V schneidende Bläsereinwürfe

Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1974

52‘53

4-5

der ältere Karajan, gewichtiger, nicht mehr aus einem Guss

Muti

Philadelphia Orchester

EMI

1984

54‘34

4-5

W1, W4 – III spannungsvoll, poetisch, V vitaler Hexensabbat

Prétre

Wiener Symphoniker

Teldec

1985

48‘48

4-5

zupackend musiziert, saftig im Klang

Markevitch

Lamoureux Orchester Paris

DGG

1961

52‘13

4-5

nicht immer mit der zwingenden Intensität der Berliner Aufnahme, jedoch bessere Tiefenstaffelung plastischers Musizieren

Dutoit

Orchestre Symphonique de Montreal

Decca

1984

54‘47

4-5

W1- II und III gepflegt, aber nicht aufregend

Kegel

Dresdner Philharmonie

Berlin Classics

1984

59‘35

4-5

W1, W4 – differenziertes aber auch zupackendes Musizieren

Ormandy

Philadelphia Orchester

CBS/Sony

P 1961

48‘31

4-5

II Harfen gut, insgesamt aber ein bisschen unbekümmert, helles Klangbild

Mackerras

Royal Philharmonic Orchestra

RPO

1994

53‘08

4-5

W1, W4

Paray

Detroit Symphony Orchestra

Mercury

1959

44‘56

4-5

I Tempokontrast zwischen Einleitung und Hauptteil (passionato!) nivelliert, II ungewohnter Beginn: jede Vierergruppe der 32-tel in den Streichern wird extra betont, dadurch wird der Satz gleich zu Beginn energetisch aufgeladen (sehr hörenswert!), insgesamt durchsichtig und sehr lebendig, jedoch etwas gehetzt, III schneller Gang durch die Lande, gute Pauken, V gute Glocken, T.444ff: Vögel als Leichenfledderer?, sehr überzeugend

Beinum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1951

46‘48

4-5

flächiges Klangbild, typisch für Decca der frühen 50er, aufregendes Hexenrondo, rasanter Schluss

Bernstein

Orchestre National de France

EMI

1976

52‘02

4-5

insgesamt gezähmter, klassischer, IV schöner Fagottklang

Stokowski

New Philharmonia Orchestra London

BBCL

1968

49‘09

4-5

live London – IV etwas mehr Lärm, V kontrolliert

Maazel

Cleveland Orchestra

CBS

1978

48‘52

4-5

saftigerer Klang als bei Telarc, etwas sportliche Darstellung

Gergeiv

Wiener Philharmoniker

Philips

2003

49‘51

4

II spannende Einleitung, IV etwas starr, V Einl. zu geheimnislos, das Entfesselte fehlt

Jansons

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2013

50'59

4

live – nach vielversprechendem Beginn (hervorragend der 1. Satz, viele Details) fallen die folgenden Sätze doch zurück und können das hohe Niveau nicht halten

Davis, Andrew

BBC Symphony Orchestra

BBC

1993

53‘12

4

W1, W4 - live

Eschenbach

Orchestre de Paris

naïve

2002

55‘36

4

W1, W4

Cluytens

Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester

Archipel

1955

49‘00

4

live Köln – I mit Leidenschaft und Feuer

Cluytens

Tschechische Philharmonie Prag

Andante

1954

47‘36

4

live Prag – Orchester nicht sonderlich für Berlioz inspiriert, viele Publikumsgeräusche

Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

P 1968

51‘04

4

II Schluss con fuoco, IV Fagott fast gemütlich, insgesamt etwas langsam und kaum bedrohlich

Maazel

Cleveland Orchestra

Telarc

1982

48‘30

4

nicht ganz die Qualität der früheren Aufnahme

Jansons

Concertgebouw Orchester Amsterdam

EMI

1991

51‘43

4

nur grundsolide

Norrington

SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

2003

55‘40

4

W1, W4 – ohne vibrato, III erschreckender Paukenschlag, IV etwas starr und behäbig, V Hexentanz wenig aufregend und bizarr

Barbirolli

Hallé Orchestra Manchester

EMI

1959

51‘51

4

nur grundsolide

Walter

Conservatoire Orchester Paris

EMI/History

1939

47‘19

4

für 1939 erstaunlich gutes Klangbild

Roschdestvensky

Leningrader Philharmonie

BBCL

1971

51‘23

4

live London – I R. weiß nicht so genau, was er mit der Partitur anfangen soll, erst in der Coda beim Oboensolo kommt er in Fahrt, II Inspiration?

Ozawa

Boston Symphony Orchestra

DGG

1973

46‘59

4

Sätze I – III solide, IV u. V hervorragend

Kosler

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1984

56‘20

4

nur grundsolide

Abbado

Chicago Symphony Orchestra

DGG

1983

53‘58

4

W1, W4 – mehr gepflegt als empfunden

Mitropoulos

New York Philharmonic Orchestra

CBS

~ 1957

50‘30

4

Interpretationsansatz gut, Orchester nicht auf der Höhe, wurde genug geprobt?

Tilson Thomas

San Francisco Symphony Orchestra

RCA

1997

55‘51

3-4

W1,  W4 – I Spannung hält sich in Grenzen, II lustlos und neutral, V furioser Schluss, sportlich

Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS

1968

47‘46

3-4

Berlioz unter Strom, arg plakativ

Barenboim

Berliner Philharmoniker

CBS

1984

54‘41

3-4

W1 – Orchester auf höherem Niveau als 1978, B. lässt sich mehr Zeit, jedoch: mehr Einzelabschnitte als ein ineinander und miteinander verflochtenes Stück

Kubelik

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Orfeo

1981

53‘57

3-4

W1 – insgesamt wenig einnehmend

Fournet

Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra

Denon

1983

49‘55

3-4

live – Einleitung: in der viermaligen Hornstelle das Instrument fast nur aus der Entfernung, II es fehlt an Charme, III Andante, lasch, Themen und Motive müssten schärfer umrissen sein, IV oft schön, aber wenig wahr gespielt, das Grelle, Übersteigerte fehlt fast ganz, es ist nur laut, V der Hexentanz müsste viel ausgelassener, wilder, aggressiver sein – Klangbild wenig Tiefenstaffelung

Haitink

Wiener Philharmoniker

Decca

P 1979

53‘38

3-4

W1 - nur solide

Skrowaczewski

Radio Sinfonie-Orchester Saarbrücken

Oehms

2002

52‘28

3-4

kein richtiges Berlioz-Fieber

Kempe

Berliner Philharmoniker

EMI/Testament

1958

52‘42

3-4

I gebremstes Tempo, wenig Leidenschaft, II Seniorenball

Barenboim

Orchestre de Paris

DGG

1978

52‘41

3

Swarowsky

Süddeutsche Philharmonie

adventure

54‘37

3

Menuhin

Royal Philharmonic Orchestra

Virgin

1990

51'30

3

 

Aufnahmen mit Instrumenten aus der Entstehungszeit des Werkes:

Norrington

London Classical Players

Virgin

1988

53‘04

4

W1, W4 – Norrington richtet seinen Blick mehr auf die technische Realisation als auf den musikalischen Gehalt

Gardiner

Orchestre Revolutionaire e Romantique

Philips

1991

53‘05

3-4

W1, W4 – I geglättet, II Portamenti, III distanziert; IV alles richtig, aber kaltes Feuer

 

Roth

Les Siècles

Actes Sud

2009

52'25

3-4

W1, W4, live – E zurückhaltend, weniger Spannung, Lautstärkebalance nicht immer optimal, Kontraste auf niedrigem Level, II Partitur (zu) leicht genommen, III Pizz T. 20 ff zu leise, IV Pk und gr.Trommel zu leise, keine Bedrohung, Gewitter nicht ganz im Metrum – Lautstärkeumfang nach oben beschränkt, Hauptstimme tritt teilweise zurück, Klangbild wird enger und wieder breiter, Roth gelingt es nicht, Prioritäten zu setzen, sein Konzept scheint noch nicht ausgreift zu sein

 

 

W1: Wiederholung im 1. Satz , W4: Wiederholung im 4. Satz

In der Sinfonie fantastique erkennen wir eine der folgenreichsten Partituren der Musikgeschichte. Nur drei Jahre nach Beethovens Tod entstanden und im selben Jahr am 5. Dez. 1830 im Pariser Conservatoire von François-Antoine Habeneck, dem großen Wegbereiter der Sinfonien Beethovens in Frankreich und darüber hinaus, uraufgeführt. Die näheren Umstände der Entstehung der Komposition, ihre Wirkungsgeschichte sowie das ihr zugrunde liegende Programm sollen hier übergangen werden, das kann man in fast jedem Booklet oder Konzertführer nachlesen.

Ein Dirigent kann mit seinem Orchester bei der Interpretation der Sinfonie fantastique kaum etwas falsch machen, da das Interpretationsspektrum nicht so weit gefasst ist. Die Unterschiede im Niveau liegen eher darin, ob er sich mit dem Werk vollständig identifiziert, seine Schönheiten, auch das Bizarre und das zur Zeit der Entstehung Übersteigerte darzustellen vermag, ohne zu übertreiben. Auch, ob der Dirigent die vielen Feinheiten der Partitur, in der Artikulation, der Gewichtung der einzelnen Stimmen, in der Differenzierung der Lautstärke entdeckt und in seiner Darstellung dem Hörer mitzuteilen vermag. Immer sollte auch ein gewisses Quantum Nervosität eine Aufführung prägen. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass für eine erfüllte Darstellung des langsamen Satzes auch ein langer Atem seitens des Dirigenten unabdingbar ist.

1. Satz: Träumereien – Leidenschaften

Der Satz beginnt mit einer vierteiligen langsamen Einleitung mit einem bewegten 2. Teil, der beschleunigt und schnell wieder verlangsamt werden soll (T. 17-27). Gerade in diesen Takten kann der Hörer spüren, ob sich die Interpreten auf Berlioz‘ exaltierte Intention einlassen oder nur die Noten spielen lassen. Am Ende der Beschleunigung (T. 23) wird die Entzückung des Komponisten durch die in hoher Lage sich ausdrucksvoll vermischenden Violinen verdeutlicht, unmittelbar danach (T. 24-27) erscheint die Geliebte im Traum. Dieses dreimal wiederkehrende Motiv von Flöte, Klarinette und Horn sollte nicht von anderen Instrumenten klanglich zugedeckt werden, Berlioz hat dazu deutliche Hinweise in die Partitur geschrieben. Leider wird oft unbeteiligt darüber hinweg gespielt. Gardiner lässt die Flöte nur mechanisch spielen, insgesamt klingt der 1. Satz bei ihm geglättet. Im Sinne des Komponisten klingen die Takte bei Klemperer, Monteux, Münch, Argenta, van Beinum, Ormandy, Markevitch-BP, Kegel und Levine. Swarowsky hat den Sinn dieser Takte auch erfasst, kann aber in der gesamten Einleitung keine rechte Spannung aufbauen und halten. Das ist auch bei Ozawa und Maazel-82 zu beobachten. Solti, Norrington-SWR und Barenboim beschleunigen im 2. Teil so heftig, dass sie in T. 23 Mühe haben, das Tempo wieder zu bremsen, dabei wird das Besondere dieses Taktes überfahren. Besonders gefährdet ist der 4. Teil mit den vier Hornsoli, die oft etwas zusammenhanglos daherkommen, da Berlioz‘ Partitur nicht sorgfältig realisiert wird (hören Sie auf Ihrer CD die Pizzicati der Bratschen?), das erleben wir bei Abbado, Muti und Tilson Thomas. Zudem rundet Berlioz das musikalische Geschehen durch einen 14 Takte ausgehaltenen Liegeton in Celli und Bässen ab, immer sehr leise zu spielen. Bei fast allen Interpretationen tauchen die Instrumente nach T. 46 ab und tauchen dann ab T. 59 wieder auf. Klemperer, Walter (wieder die Alten) und Maazel schenken ihre Aufmerksamkeit diesen tiefen Instrumenten und setzen diese Stelle trotz pp unter eine latente Spannung.

Unruhige Dirigenten wie Ansermet, Prétre, Mackerras und Norrington können den schnellen Hauptteil des 1. Satzes (Allegro agitato e appassionato ab T. 64) kaum erwarten und beschleunigen das Tempo schon einen Takt früher. Damit nehmen sie dem ff-Tuttischlag jedoch seine Gewalt.

Mancher Plattenhörer, sofern er mehrere Aufnahmen der Sinfonie fantastique kennt, wird sich schon lange die Frage gestellt haben, ob da eine oder zwei Noten gespielt werden müssen. In die Partitur sind unmissverständlich zwei Achtelnoten geschrieben, nicht eine Viertel! Ein paar Takte später kehren diese Doppel-Achtel als Begleitung zum Hautthema, der „Idee fixe“, wieder. Sicher, eine Viertel im ff lässt sich von den Musikern mit mehr Kraft spielen als zwei unmittelbar aufeinander folgende Achtel. Sorgfältige Dirigenten schaffen dies aber mit ihrem Orchester, deutlich und mit Kraft: Monteux-WP, Ormandy, Argenta, Markevitch, Solti, Leibowitz, Norrington-SWR, Abbado, Jansons, Kosler, Mackerras und Minkowski. Fast am Ende des Satzes (T. 451 und 490) will Berlioz die Tutti-Schläge mit den Doppel-Achteln nochmals hören. Ansermet, Monteux-WP, Münch und Gardiner lassen entsprechend spielen. Der Schluss des 1. Satzes klingt mit einigen ruhigen, religiosamente überschriebenen Takten aus. Meist werden sie zu laut gespielt. Die richtige Lautstärke und damit die Stimmung treffen Beinum, Kubelik, Haitink, Abbado, Norrington-LCPL, Dutoit, Mackerras, Gardiner, Chung, Tilson Thomas und Minkowski. Skrowaczewski lässt die Stelle richtig langsam und leise spielen, sehr gut!

2. Satz: Ein Ball

Am Anfang des Satzes steht eine Einleitung mit ausdrucksvoll tremolierenden Streichern, sowie - eine Überraschung - mit 2 Harfen. In Takt 36 beginnt der Walzer. In der Einleitung sollen nach Berlioz’ Anweisung die 1. Harfe mf und die 2. pp spielen. Fast alle Dirigenten ignorieren diese Partiturvorschrift, außer Ormandy und Argenta! Stokowski-Studio holt die beiden Harfen sehr nach vorn. Sieht man von der Harfenfrage ab, bringen sowohl Gergeiv als auch Minkowski eine spannende Einleitung.

Einige Dirigenten gestalten den Satz schwungvoll und tänzerisch (Stokowski, Markevitch, Bernstein), andere können jedoch nicht das Besondere entdecken (Ormandy, Jansons, Rostdestvensky, Abbado, Kosler, Dutoit Maazel-82, Tilson Thomas), oder es fehlt etwas an Feuer und Tempo (Kubelik, Kempe, Kegel, Haitink, Barenboim).

Auf eine Besonderheit der Instrumentation in 2. Satz möchte ich noch hinweisen: Berlioz hat nachträglich noch eine Kornett-Stimme hinzugefügt, die aus irgendeinem Grunde bei der Drucklegung der Partitur jedoch nicht berücksichtigt wurde. Sowohl im 1., 4. als auch im 5. Satz hören wir jeweils 2 Kornetts mit ihrem hohen weichen Klang aus dem vollen Orchester fast immer heraus. Einige Dirigenten berücksichtigen auch das Instrument im 2. Satz, sehr zum Vorteil der Spannung sowie des Gesamtklangbildes: Klemperer, Colin Davis, Mackerras, Maazel, Gardiner und Maazel-78. Andere setzen das Instrument nur am Ende ein (ab T. 233): Haitink, Maazel-82, Abbado, Paavo Järvi.

3. Satz: Szene auf dem Lande

Der langsame Satz ist in verschiedene Abschnitte gegliedert, zu Beginn und am Ende hören wir ein Englischhorn eine elegische Melodie vortragen, am Anfang von einer entfernt (lontano) postierten Oboe kommentiert. Oft klingt diese Oboe doch zu weit entfernt (Stokowski, Cluytens-Köln, Bernstein-Paris, Gardiner) oder zu dünn. Berlioz hat den Satz Adagio überschrieben, sehr viele Dirigenten scheint das zu langsam zu sein, sie schlagen deshalb ein Andante-Tempo ein (Beinum, Münch, Mitropoulos, Ormandy, Bernstein, Argenta, Mackerras, Prétre, Ozawa, Norrington-LCPL). Solti und Muti fangen zunächst langsam an, werden dann aber schneller. Im Gegensatz dazu lässt Minkowski recht langsam spielen (19’34), das hat dann den Vorteil einer genaueren Phrasierung sowie einer sehr guten Transparenz, dynamische Abstufungen werden erlebbar. Auch Klemperer lässt langsam spielen (18’10), ohne dass die Spannung wie bei Haitink, Barenboim-DG oder Ozawa abfällt.

Vor Schluss des Satzes illustriert Berlioz mit 4 Pauken-Spielern ein herannahendes Gewitter. Es mag Hörer geben, die die Sinfonie fantastique allein von dieser irren Pauken-Stelle her beurteilen, wenn es da so richtig kracht. Der Autor gehört nicht dazu, vielmehr muss er den sorglosen Umgang mit Rhythmus und Tonlängen in sehr vielen Aufnahmen bemängeln. Sehr gut gefällt mir diese Stelle bei Leibowitz. Der belgische Dirigent André Cluytens scheint Berlioz Partitur nicht ganz ernst zu nehmen: sowohl bei seinem Kölner als auch Prager Konzert kürzt er den 3. Satz in den Takten 150 bis 171! Der Mitschnitt aus Tokyo ist vollständig. Cluytens Studio-Einspielung von 1957 liegt mir leider nicht vor.

4. Satz: Der Gang zum Richtplatz

In der Einleitung (T. 1-16) hört man vorwiegend Pauken und gestopfte Hörner, die dann hohl und blechern klingen, wenn sie entsprechend gespielt werden. Bei den meisten Aufnahmen kann man dies kaum hören, außer bei Monteux, Ormandy, Roschdestvensky, Mackerras, Norrington-SWR, Abbado, Tilson Thomas, A. Davis P. Järvi und Minkowski. Ab T. 62 beginnt der Gang oder die Fahrt zum Richtplatz. Der Deliquent wird von einer grölenden und tobenden Masse begleitet. Berlioz hat dies ganz einfach, aber genial mit einer einzigen auftrumpfenden Bass-Posaune versinnbildlicht. Im Sinne des Komponisten lassen spielen: Klemperer, Stokowski-BBCL, Monteux, Cluytens-Paris u.Tokyo, Mitropoulos, Markevitch-Paris, Prétre, Mackerras, Bernstein-Paris, Dutoit, Norrington, Gardiner und Minkowski. Auch ein Paar Becken setzt Berlioz im 4. Satz ein, die jedoch bei Bernstein-NY zu aufdringlich klingen. Bei Otterloo und Markevitch endet der Satz statt mit einer Halben mit einer kurzen Viertel!?

5. Satz: Traum eines Hexen-Sabbats

Seltsame Klänge, Ächzen, gellendes Lachen, fernes Schreien“ schaffen in der langsamen Einleitung eine unheimliche Stimmung. Die „Idee fixe“ erscheint verzerrt in einer schrillen Klarinette in Es-Stimmung, die das ganze Orchester beherrscht. Danach werden die Todesglocken angeschlagen. Diese Orchester-Exoten klingen in jeder Aufnahme anders: kräftig, dünn, voll, hohl, verstimmt. Bei Karajan-BP und Gardiner hege ich den Verdacht, dass Glockenklänge eines großen Domes beigemischt wurden, so echt und voluminös klingen sie aus den Lautsprechern. Auf ein Detail möchte ich zum Schluss noch hinweisen: der letzte Hexentanz beginnt mit einem Fugato der Streicher (ab T. 355). Einige Dirigenten schaffen eine unheimliche Stimmung, indem sie die nach und nach einsetzenden Streicher sul ponticello, also nahe am Steg, spielen lassen: Karajan-BP, Kubelik, Bernstein-Paris, Abbado, A. Davis, Dutoit und Norrington-SWR.

 

eingestellt am 18.01.09

ergänzt am 23.11.14

 

 

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