Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Maurice Ravel
Bolero
Ravels Bolero, ursprünglich Fandango genannt, ist ein Bestseller; er zählt zu den Musikstücken,
die auch von Menschen, die sich kaum für klassische Musik interessieren, sofort
erkannt und geliebt wird, ein Grund für die Tonträgerindustrie, ihn immer
wieder aufzunehmen und zu verbreiten. Im Konzertsaal begegnet man diesem Stück
heute seltener. Der Komponist hatte den Bolero als Ballettmusik im Auftrage der
Tänzerin Ida Rubinstein geschrieben, und so wurde er noch im selben Jahr seiner
Komposition an der Pariser Oper uraufgeführt. Danach eroberte er jedoch schnell
die Konzertprogramme der großen Orchester. Der Komponist machte im Januar 1930
eine Plattenaufnahme mit dem Orchestre Lamoureux und besuchte
drei Monate später das Gastkonzert der New Yorker Philharmoniker in
Paris, in der Arturo Toscanini auch die Novität „Bolero“ zum Besten gab. Der
Komponist war entsetzt über das für ihn zu rasche Tempo des Dirigenten,
vermutlich wünschte er die Musik langsamer zu spielen, als Tempoangabe schreibt
er moderato assai, mit der Metronomangabe Viertel = 72, ein eher mäßiges Tempo. Bei
meinen unten aufgeführten Interpretationen wird meist ein Tempo um 15 Minuten
gewählt, aber man begegnet auch einigen schnelleren sowie wesentlich
langsameren Ausführungen.
In
einem Interview mit der englische Zeitung The
Daily Telegraph vom 11. Juli 1931 äußerte sich Ravel folgendermaßen: Es ist
mein besonderer Wunsch, dass es kein Missverständnis über dieses Werk geben
sollte. Es stellt in einer sehr speziellen und begrenzten Richtung ein Experiment
dar, und es sollte nicht dem Verdacht ausgesetzt werden, dass es etwas anderes
oder gar mehr als das erreichen will als es tatsächlich leistet. …. dass meine
Komposition ein siebzehn Minuten andauerndes und gänzlich aus einem
Orchestergewebe ohne Musik“[!] bestehendes Stück mit einem einzigen langen und
stufenweise fortschreitenden crescendo sei“(s. Vorwort von Arbie
Orenstein in der Partitur-Ausgabe des Eulenburg
Verlages). Persönliche Ausdeutungen sind also nicht angebracht.
In
einer viertaktigen Einleitung stellt eine Militärtrommel zweimal einen
zweitaktiges Rhythmus vor, der von Celli und Bratschen pizzicato begleitet
wird. Er wird insgesamt 338 Takte unverändert wiederholt und untermalt dabei
ununterbrochen das Thema. Es ist zweiteilig angelegt: Abschnitt A wird zunächst
von der Flöte vorgetragen (T. 5-20), danach nochmals von der B-Klarinette
wiederholt (T. 23-39), dazwischen schiebt Ravel ein zweitaktisches
Zwischenspiel/Überleitung, das/die in der Folge jeweils in geänderter
Instrumentierung erscheint. Abschnitt B beginnt T. 41 mit dem Fagott, danach
ist die höher klingende Es-Klarinette an der Reihe. Dieser Abschnitt bringt mit
seiner Chromatik und der ausgefallenen Tonfolge (synkopisch,Triole) auf dem Ton des (T. 44-46) Dramatik und Würze ins Spiel. In wechselnder
Instrumentation stellt Ravel jeweils die Abschnitte A und B jeweils zweimal
hintereinander, schematisch also AABB, insgesamt neunmal. Dazwischen steht
jeweils das zweitaktige Zwischenspiel in wechselnder Instrumentation. Parallel
dazu hebt Ravel allmählich die Lautstärke an, indem immer mehr Instrumente
beteiligt werden. Auch solche, die man im Orchester selten findet, meist um
eines bestimmten Effektes willen, wie zum Beispiel ein Tenor- und ein
Sopran-Saxophon, eine Celesta oder eine hohe
D-Trompete, letztere aber erst im letzten Viertel, um das Thema wie
triumphierend herauszustellen.
Kurz
vor Ende erfährt das Stück eine Verdichtung, indem Abschnitt A und B nur
jeweils einmal erscheinen und danach
anschließend die Musik überraschend von C-Dur nach E-Dur (T. 327)
moduliert, um nach acht Takten zur Grundtonart C-Dur zurückzukehren. Auf dem
endlichen Höhepunkt sorgen noch die Große Trommel, die Becken und das Tam-tam für Extase, verstärkt noch
durch acht Posaunen-Glissandi. Danach endet die Musik
in einem Zusammenbruch. Ravel hat dieses, wie es seine Art war, sorgfältig
notiert, so lassen fast alle Dirigenten nachspielen. Ich kann mir aber denken,
dass der Komponist eher an einen ungeordneten Abschluss dachte, bei dem die
Instrumente die letzten sieben Noten, rhythmisch nicht genau zusammen,
abliefern und so etwas chaotisch auf dem Schlussakkord enden. In dieser Weise
beenden Paray, Leibowitz,
Silvestri, Bernstein, Maazel-WP und Barenboim-DG den Bolero.
Werfen wir noch einen Blick auf die Instrumentation:
Ab T. 95 übernehmen Flöte und Trompete das 16-taktige Thema Abschnitt A,
letztere soll mit Dämpfer spielen. Bemerkenswert ist, dass Ravel für die Flöte pp vorschreibt,
für die Trompete jedoch mp, d. h.,
dass die Trompete lauter zu vernehmen sein soll; so sehen es Münch, Martinon, Bernstein-NY, Fiedler, Bychkov
und Dutoit, bei allen anderen hört man einen
Mischklang, mal mehr die Flöte, dann wieder mehr die Trompete. Danach folgen
die Saxophone (Abschnitt B), zuerst das Tenor-, anschließend das
Sopran-Saxophon. Im Notentext ist ausdrücklich vibrato vermerkt. Bernstein bringt das wie kein anderer obsessiv
heraus. Für das Sopran-Saxophon liegen die vier letzten Takte zu tief, Ravel
verwendet dann ab T. 143 wieder das Tenor-Saxophon. Einige Dirigenten weisen
darauf hin. Wenige Takte später (149 ff.) – jetzt wieder Abschnitt A –
erweitert Ravel das Instrumentarium um zwei Piccoloflöten,
Hörner und eine Celesta, alle sollen das Thema
spielen, jedoch, wie schon zuvor bei Flöte und Trompete, wieder in
unterschiedlicher Lautstärke. Für die Piccoloflöten
ist pp vorgesehen, für die Celesta p, aber
für das erste Horn mf, mit dem Zusatz
Solo, damit schreibt der Komponist eine Staffelung der Lautstärke vor, was den
meisten Dirigenten nicht gelingt, bei einigen klingen alle Instrumente gleich
laut, bei andere anderen sticht die Celesta, die nur
in diesen 16 Takten eingesetzt ist, zu sehr heraus. Nur Cluytens
und Steinberg halten sich an die Partitur und heben das Horn etwas hervor,
etwas weniger deutlich bringen die Stelle Martinon,
Karajan-66, Dutoit, Ivan Fischer, Lopez-Cobos, Leaper und Abbado.
Ab
T. 221 dürfen endlich auch die Violinen Melodie spielen. Die meisten Dirigenten
lassen sie zu laut spielen, dann werden Flöten und Oboen zugedeckt. Nach
Vorstellung des Komponisten agieren Cluytens,
Steinberg, Martinon, Boulez-DG, Barenboim-DG, Dutoit, Bychkov und Immerseel. López-Cobos hält seine Violinen zu einer
punktgenauen Artikulation an, die von der der Holzbläser minimal abweicht.
Ab
T. 293, die Musik ist inzwischen bei ff
angekommen, überträgt Ravel der kleinen und höheren D-Trompete das Thema von
Abschnitt A, mit dabei sind noch Piccoloflöten,
Saxophone, drei C-Trompeten sowie erste Geigen. Auch hier sollte die D-Trompete
glanzvoll hervortreten und nicht in den Trompetenklang integriert werden. Gut
zu hören ist sie u. a. bei Horenstein, Barbirolli, Karajan-Paris, Markevitch,
Martinon, Boulez-NY, Maazel-WP, Abbado, Rattle,
Barenboim-Chicago, Immerseel und Chailly, bei Muti
darf das Instrument regelrecht plärren.
Der
oben erwähnten Trommel, die während des gesamten Stücks eingesetzt ist, gönnt
Ravel in den Takten 273-290 eine kurze, verdiente Pause, hier wird eine zweite
Trommel eingewechselt. Der Übergang muss aber dem Hörer verborgen bleiben. Takt
291 bis zum Schluss spielen dann beide Trommeln synchron, so als wäre es nur
eine.
Den
langsamsten Bolero hören wir von Celibidache (18’11) und Barenboim-DGG (17’28),
den schnellsten von Maazel (12’59) und Paray (13’10).
5 |
Paul Paray |
Detroit Symphony Orchestra |
Mercury |
1958 |
13‘10 |
|
Paray hält sich an Ravels Phrasierungen, von
langer Hand vorbereitetes Crescendo, fließendes Tempo, Bläser mit langem
Atem, gute Transparenz, T. 149 ff. Piccolo, Horn und Celesta
klanglich deutlich getrennt, die beiden letzten Takte klingen wie ein
plötzlicher, ungeordneter Zusammenbruch |
||||
5 |
René Leibowitz |
Orchestre Symphonique Paris |
Chesky |
1960 |
15‘35 |
|
die jeweilige Instrumentation der beiden Themen,
auch das Vibrato der Saxophone, deutlich herausgearbeitet; T. 75 deutlicher
Eintritt der Pauke, ersetzt Harfe; T. 167 ff. eingeworfene Kommentare der
Trompeten in den Zwischenspielen – Leibowitz
durchleuchtet die Partitur |
||||
5 |
Eliahu Inbal |
Orchestre National de France |
Denon Brilliant |
1987 |
14‘17 |
|
rhythmisch sehr genau, Streicherbegleitung
könnte anfangs etwas lockerer sein, großer Spannungsbogen, breites
Klangspektrum, Harmoniewechsel nach E-Dur hervorgehoben |
||||
5 |
Riccardo Chailly |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
1986 |
14‘22 |
|
locker musiziert, nach den jeweiligen
doppeltaktigen Zwischenspielen peu à peu Zunahme der Intensität und der Lautstärke, Sogwirkung
im letzten Drittel, T. 95 ff. Trompete mit Dämpfer, Celesta-Stelle
ohne Horn, deutliche D-Trompete, überzeugende Interpretation |
||||
5 |
Jean Martinon |
Chicago Symphony
Orchestra |
RCA |
1964 |
13‘38 |
|
großer Crescendo-Bogen vom Anfang bis zum Ende, Martinon stellt Ravels Instrumentationskunst
ins beste Licht, T. 95 ff. Trompete mit Dämpfer hervorgehoben, T. 143 ff.
Wechsel vom Sopran- zum Tenorsaxophon gut zu verfolgen |
4-5 |
Pierre Monteux |
London Symphony
Orchestra |
Philips |
1964 |
15‘15 |
|
überzeugender Aufbau, nicht ganz so messerscharf
und rhythmisch pointiert wie bei Paray, Leibowitz, Inbal, Chailly und Martinon |
||||
4-5 |
Ferenc Fricsay |
RIAS Symphonie-Orchester Berlin |
DGG |
1953 |
13‘31 |
|
Solisten tragen die Melodie ausdrucksvoll vor,
zunehmende Spannung, nach einer gewissen Zeit stellt sich eine Sogwirkung ein |
||||
4-5 |
Georg Solti |
Chicago Symphony
Orchestra |
Decca |
1976 |
14‘37 |
|
die beiden Achtel in der Cello-Begleitung durchgehend
viel zu leise, guter Spannungsaufbau, gute klangliche Trennschärfe, z. B. T.
95 ff. bei Flöte und Trompete |
||||
4-5 |
Charles Münch |
Boston Symphony
Orchestra |
RCA |
1956 |
13‘44 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Charles Münch |
Boston Symphony Orchestra |
RCA |
1962 |
13‘46 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Simon Bychkov |
Orchestre de Paris |
Philips |
1993 |
14‘29 |
|
Streicherbegleitung immer locker, ist in den Gesamtklang eingebunden, Solo-Stellen immer
dezent hervorgehoben, Ravels farbige Orchestrierung
wird gut herausgestellt, D-Trompete in den Klang der restlichen Trompeten
integriert, deutliche Posaunen-Glissandi kurz vor
Schluss – eine Aufnahme, die mir
gleich zu Beginn sympathisch ist |
||||
4-5 |
Claudio Abbado |
London Symphony
Orchestra |
DGG |
1985 |
14‘16 |
|
bis T. 166 in ruhigem Fahrwasser, danach
abschnittsweise lauter, lebendiger, drängender (Terrassendynamik), deutliche
D-Trompete |
||||
4-5 |
Sergiu Celibidache |
Münchner Philharmoniker |
EMI |
1994 |
18‘11 |
|
live – Celi lässt ppp beginnen,
ganz großes Crescendo, bei langsamem Tempo, am Schluss wird die Spannung fast
unerträglich, deutlicher Wechsel nach E-Dur; expressive Saxophone, Celesta nicht hörbar, 95 ff. Flöte und Trompete getrennt |
||||
4-5 |
Pierre Boulez |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1993 |
14‘53 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1966 |
16‘05 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1977 |
16‘05 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Lorin Maazel |
Wiener Philharmoniker |
RCA |
1996 |
14‘37 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Charles Dutoit |
Orchestre symphonique de Montreal |
Decca |
1981 |
14‘59 |
|
sehr leiser Beginn, Pizzicato-Begleitung läuft nur
mit, sorgfältig erarbeitet, unterschiedliche Instrumentation in den
jeweiligen Zwischenspielen herausgestellt, Interpretation ragt über den
Durchschnitt heraus, ohne jedoch die Spitzengruppe zu erreichen |
||||
4-5 |
Ivan Fischer |
Budapest Festival Orchestra |
Philips |
1999 |
15‘33 |
|
live – ansprechende Interpretation, farbiger
Klang, allmähliches Crescendo, Es-Klarinette mit Glissandi,
Fagott verkürzt T. 112 den Ton e, T. 143 ff. Wechsel vom Sopran- zum
Tenorsaxophon gut zu verfolgen, präsente D-Trompete |
||||
4-5 |
Daniel Barenboim |
Orchestre de Paris |
DGG |
1981 |
17‘28 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Jesús López-Cobos |
Cincinatti Symphony Orchestra |
Telarc |
1987 |
15‘20 |
|
großer Spannungsbogen, T. 221 ff. und T. 238 ff.
Artikulation der Violinen nach Notenvorlage, deutliche D-Trompete |
4 |
Leonard Bernstein |
New York Philharmonic
Orchestra |
CBS Sony |
1958 |
14‘17 |
|
s. u. |
|
|||
4 |
Leonard Bernstein |
Orchestre National de France |
CBS Sony |
1975 |
15‘35 |
|
s. u. |
|
|||
4 |
Charles Münch |
Orchestre de Paris |
EMI |
1968 |
17‘02 |
|
s. u. |
||||
4 |
Pierre Boulez |
New York Philharmonic
Orchestra |
CBS
Sony |
1974 |
15‘28 |
|
s. u. |
||||
4 |
Lorin Maazel |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1971 |
12‘59 |
|
s. u. |
||||
4 |
William Steinberg |
Pittsburgh Symphony
Orchestra |
EMI |
1958 |
15‘39 |
|
überzeugendes Crescendo, gute Balance und
Transparenz, T. 95 ff. Trompete lauter
als Flöte, T. 167 ff, deutliche „Kommentare“ der Trompeten in den
Zwischenspielen |
||||
4 |
Christoph von Dohnanyi |
Cleveland Orchestra |
Teldec |
1989 |
14‘07 |
|
Flöte und die weiteren Solo-Instrumente anfangs
etwas entfernt, erst im Laufe des Vortrags tritt mehr Farbe hinzu, die beiden
Achtel in der Cello-Begleitung fast nicht zu hören, Celesta
zeigt wenig Eigenklang – bis ins Letzte kontrolliert |
||||
4 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1985 |
15‘41 |
|
s. u. |
||||
4 |
Artur Fiedler |
Boston Pops Orchestra |
DGG |
1975 |
14‘43 |
|
die Trommel wünschte ich mir schlanker, anfangs
kein pp, Klangregie holt die
jeweiligen Soloinstrumente hervor, Cello und Kontrabass ab T. 221 präsenter
als zuvor, Artikulation der Themen nicht immer mit der höchsten
Aufmerksamkeit und Konsequenz, Sog zum Ende hin, dann wird die Musik fast
unerträglich, das wollte Ravel! |
||||
4 |
Seiji Ozawa |
Boston Symphony
Orchestra |
DGG |
1974 |
14‘53 |
|
Flöte am Anfang mit zu viel Vibrato, die beiden
Achtel in der Cello-Begleitung fast nicht zu hören, T. 95 ff. ohne Celesta, Terassendynamik, in
der zweiten Hälfte zunehmende Vitalität gepaart mit saftigem Klang |
||||
4 |
André Cluytens |
Conservatoire Orchester Paris |
EMI |
P 1962 |
15‘21 |
|
Dirigent stellt sich hinter das Werk, nur die
Musik, insgesamt eingeschränkte Dynamik im oberen Klangspektrum, Celesta T. 149 ff. in guter Balance, letztere auch T. 221
ff. |
||||
4 |
Ernest Ansermet |
Conservatoire Orchester Paris |
Decca |
~ 1955 |
14‘14 |
|
insgesamt etwas sachlicher Vortragsstil,
Streicher decken T. 257 ff. die Bläser zu |
||||
4 |
Ernest Ansermet |
Orchestre de la Suisse Romande |
Decca |
1963 |
14‘21 |
|
Ansermet mit etwas mehr Engagement, Klangbild wünschte man sich mehr
aufgehellt und farbiger |
||||
4 |
Igor Markevitch |
Sinfonie-Orchester des Spanischen
Rundfunks |
Philips |
P 1964 |
14‘42 |
|
Klangbild nicht so offen wie heute,
Spannungsaufbau etwa ab der Mitte des Stücks, hörbarer Wechsel vom Sopran-
zum Tenor-Saxophon T. 143, Tutti-Stelle T. 221 ff. klingt nicht immer
hundertprozentig zusammen, präsente D-Trompete |
||||
4 |
Valery Gergeiv |
London Symphony
Orchestra |
LSO Eigenlabel |
2009 |
15‘28 |
|
live – etwas schwerfälliger Vortragsstil,
Ostinato der Kontrabässe (g-c)
klanglich zu beherrschend, Streicher T. 231 ff. von Bläsern überspielt |
||||
4 |
Eduardo Mata |
Dallas Symphony
Orchestra |
RCA |
1980 |
14‘44 |
|
kleine Trommel schnarrt zu viel, engagiert
gespielt, klingt jedoch etwas rustikal – T. 221 ff. nur Violinen ohne Holz,
im folgenden Abschnitt umgekehrt, usw.; T. 275 ff. jetzt bessere Balance |
||||
4 |
Daniel Barenboim |
Chicago Symphony
Orchestra |
Erato |
1991 |
15‘45 |
|
s. u. |
||||
4 |
Eiji Oue |
Minnesota Orchestra |
Reference Recordings |
1999 |
15‘07 |
|
T. 95 ff. Trompete mit Dämpfer und Flöte
ausgeglichen, Wechsel vom Sopran- zum Tenorsaxophon gut zu verfolgen, Posaunen-Solo
mit persönlicher Note, D-Trompete etwas zurückhaltend, insgesamt gediegene
Interpretation |
||||
4 |
Jascha Horenstein |
Orchestre National de l’ORTF |
M&A |
1966 |
17‘00 |
|
live – mäßiges Tempo, am Schluss keine Steigerung
mehr möglich, einige Unebenheiten im Zusammenspiel, präsentes Klangbild, T.
41 ff. ungewohnter Fagottklang, dabei Vibrato bei
langen Tönen, präsente D-Trompete |
||||
4 |
Simon Rattle |
City of Birmingham Symphony Orchestra |
EMI |
1990 |
15‘58 |
|
Rattle mit seinem Orchester auf bekannten Wegen,
die große Linie nachgezeichnet, präsente D-Trompete, Harmoniewechsel nach
E-Dur hervorgehoben |
3-4 |
Herbert von Karajan |
Orchestre de Paris |
EMI |
1971 |
16‘01 |
|
s. u. |
|
|||
3-4 |
Constantin Silvestri |
Conservatoire Orchester Paris |
EMI
forgotten records |
1958 |
15‘38 |
|
Solostellen anfangs zu neutral vorgetragen, die
langen Töne in der Mitte oder am Ende derselben mit Crescendo, T. 149 ff. Celesta vorn, Horn fehlt, T. 297 ff. bei Melodiestimmen
Crescendo, an den ff-Stellen hört
man manchmal nicht notierte Klanghölzer, wenig farbiger Klang |
||||
3-4 |
Eugene Ormandy |
Philadelphia Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
15‘01 |
|
Solo-Instrumente plastisch hervorgehoben, T. 95
ff. gut gelöst, T. 1499 ff hier dominiert die Celesta,
ungewohnter Hornklang, eher Fagott oder Saxophon (Retusche?), etwas
plakativer Vortrag; da die Lautstärke zu früh angehoben wird, ist beim Finale
keine Steigerung mehr möglich |
||||
3-4 |
Riccardo Muti |
Philadelphia Orchestra |
EMI |
1981 |
17‘06 |
|
deutlich langsamer als Ormandy, anfangs
spannungslos, wie ein Pflichtstück, T. 221 ff. Violinen decken Bläser zu, das
bessert sich auch nicht T. 239 ff. und 257 ff., plärrende D-Trompete, zum
Schluss hin lärmend |
||||
3-4 |
John Barbirolli |
Hallé Orchestra Manchester |
Everest |
1959 |
15`36 |
|
Streicherbegleitung anfangs zu leise, T. 77 ff. Oboe d’amore
mit Vibrato, bei Saxophon gut, T. 149 ff. Celesta
überpräsent, T. 221 ff. Streicher dominieren zu sehr, auch noch T. 275 ff.,
wenig geschmeidiges Orchesterspiel, reduzierte Spannung |
||||
3-4 |
Adrian Leaper |
Royal Philharmonic
Orchestra London |
Naxos |
P 2011 |
13‘24 |
|
anfangs sehr leise, insgesamt etwas rustikal,
Transparenz keineswegs top, die doppeltaktigen Zwischenspiele wünschte man
sich differenzierter |
Interpretationen mit Instrumenten aus Ravels Zeit
4-5 |
Jos van Immerseel |
Anima Eterna |
ZigZag |
2005 |
16‘42 |
|
sehr farbiges Klangbild, T. 143 hörbarer Wechsel
vom Sopran- zum Tenor-Saxophon, T. 149 ff. ohne Horn, Immerseel
lichtet den Holzbläser-Klang auf, D-Trompete nicht vergessen, das Stück
könnte insgesamt etwas lockerer gespielt sein |
Hinweise zu Interpreten und
Interpretationen
Charles Münch
Von
Charles Münch sind mir drei Interpretationen des Bolero
bekannt. Die ersten beiden entstanden in Boston, die dritte mit dem damals
frisch gebackenen Orchestre aus Paris, des erster
Chefdirigent er war. Die erste aus Boston entstand 1956, schon in früher
Stereo-Technik – Living Stereo – und klingt auch heute noch erstaunlich frisch
und transparent. In den ersten vier Takten stellt Münch das rhythmische Gerüst
vor, so deutlich wie fast kein anderer.
Die Zwischenspiele werden immer ein wenig hervorgehoben, ein Takt vorher darf
die Trommel auf der dritten Zählzeit ihren Wirbel mit
einem leichten Crescendo versehen. Zum Ende hin wird der Klang mit zunehmender
Lautstärke kompakter. Das ist bei der folgenden Aufnahme aus 1962 besser
gelöst. Erwähnt sei noch die farbige Gestaltung des
Klangbildes sowie die Sogwirkung zum Ende hin. Diese Leistung kann die folgende
Platte nicht ganz toppen, sie wirkt nicht so geschlossen, am Ende vermisse ich
das Tam-tam. Das Tempo ist fast auf die Sekunde
gleich. Leider hört man hier immer wieder leise Verkehrsgeräusche im back.
In
Paris wird insgesamt vorsichtiger und langsamer musiziert, Es-Klarinette und
Oboe d’amore klingen ziemlich blutleer, mit
zunehmender Lautstärke lässt die Lockerheit nach, insgesamt breites
Klangspektrum. In den Takten ab 149 sind Piccolo-Flöte und Celesta
sehr präsent, Spannungsabfall bei den Takten 215 ff. sowie 269 ff. im Abgesang,
Tam-tam hier gut!
Herbert von Karajan
Von
den vier hier besprochenen Bolero-Aufnahmen Karajans gefällt mir die älteste
mit den Berliner Philharmonikern aus dem Jahre 1966 am besten. Hier begegnet
man einer bemerkenswerten Pizzicato-Begleitung (T. 165-182), wie man sie so differenziert
sonst nicht hört, das gelingt ihm auch später nicht wieder. Der Wechsel vom
Sopran- zum Tenor-Saxophon kann vom Hörer verfolgt werden, auch in Paris, die
D-Trompete wird jedoch nicht herausgestellt, auch nicht in den späteren
Aufnahmen, die insgesamt etwas statuarisch klingen. Bemerkenswert 1966 auch die
deutlichen Posaunen-Glissandi kurz vor Schluss, die
nicht an schräge Akkorde erinnern. Das Klangbild besitzt eine gute Transparenz.
Mit dem Wechsel zu EMI nahm Karajan den Bolero 1977 erneut auf, die neue Quadro-Technik brauchte frische Aufnahmen, da durfte der
Bolero nicht fehlen. Interpretatorisch schließt sie sich an die frühere
DGG-Platte an, hier wird sehr diszipliniert musiziert, beeindruckend die
vorbildliche Gestaltung des Crescendos. Die
D-Trompete wird auch hier in den Gesamtklang der Trompeten integriert. Das Tam-tam am Schluss ist jedoch viel zu leise, zu vornehm? In
Karajans letzter Aufnahme von 1985 dürfen die Solobläser jeweils ein wenig
hervortreten, klanglich ist sie nicht wesentlich besser als früher.
Die Aufnahme mit dem Orchestre
de Paris (1971) – als Nachfolger von Münch war Karajan drei Jahre lang
musikalischer Berater – taucht m. W. zum ersten und einzigen Mal in der dicken
88 CDs umfassenden Box der EMI „The Complete EMI Recordings 1946-1984“, was nicht ganz stimmt, da die Quadro-Aufnahme von 1977 mit den Berliner Philharmonikern
jetzt fehlt! Man kann vermuten, der Maestro habe sie seinerseits nicht
freigegeben, da die Leistungen hinter die der bereits veröffentlichten DGG-LP
zurückfällt: Die Flöte hört in ihrem Solo T. 12 zu früh auf, damit wird die
Pause verlängert, das klingt irgendwie rhapsodisch, nicht so streng geformt,
wie man es von diesem Dirigenten gewohnt ist. Fagott, Oboe d’ amore und Posaune wie die Saxophone bringen ein leichtes
Vibrato bei ihren Solo-Stellen ein. Insgesamt fehlt es mir im ersten Drittel an
Spannung, Mit dem Einsatz der D-Trompete werden Trommel und das Pizzicato der
Kontrabässe stärker und decken die Bläser zu. In allen vier Aufnahmen hebt Karajan
das Schlagzeug vor dem Schlussakkord heraus. Auffallend ist, das sich Karajans
Tempi in den ersten drei Aufnahmen fast bis auf eine Sekunde decken, 1985 kommt
er etwa 20 Sekunden früher ans Ziel.
Leonard Bernstein
Ravels Bolero-Partitur war wie ein gefundenes
Fressen für den Espressivo-Musiker Bernstein. Beim
ihm erlebt man einen lustvollen Umgang mit dem Notentext, ganz im Gegensatz von
Boulez, der eher in Distanz bleibt. Aber auch Bernstein startet nicht sofort
voll durch. Die Flöte zu Beginn klingt wie nur beiläufig. In den Takten 167-182
höre ich ein geringes Diminuendo, man hat den Eindruck, dass die Spannung dort
etwas nachlässt. Das Orchester ist T. 293 ff. nur 98 Prozent zusammen, das
klingt etwas schmutzig, darf man annehmen, dass Lennie
das so wollte? Der New Yorker D-Trompete ist ein – abweichend vom Gewohnten –
spezieller Klang inne, der gut in diese musikalisch-szenische Situation passt;
man könnte meinen, Bernstein habe das Instrument in irgendeiner
Broadway-Kaschemme aufgetrieben. Jedenfalls gibt sie zusammen mit den drei
C-Trompeten sowie den beiden Saxophonen einen Sound, der einer italienischen
Banda ähnelt. Ob sich Ravel über diese Lesart gefreut hätte, muss dahin
gestellt bleiben.
Die
17 Jahre spätere Aufnahme aus Paris klingt dann doch gesitteter und wartet mit
einer phantasievollen Gestaltung der jeweiligen doppeltaktigen Zwischenspiele
auf. Insgesamt besitzt sie jedoch weniger Flair und weniger Spannung.
Pierre Boulez
Boulez
hat Ravels Bolero zweimal im Studio produziert,
zuerst 1974 für CBS in New York. Die Aufnahme kann mit einer sehr guten
Transparenz punkten, klingt aber insgesamt steril. Boulez gibt sich hier wie
ein Koordinator der Orchesterstimmen, die Musik wird eher referiert als erlebt.
Andererseits gelingt hier der Übergang vom Sopran- zum tieferen Tenor-Saxophon
T. 143 überzeugend, wie man es selten erlebt. Auch die D-Trompete T. 293 ff.
wird nicht vergessen. Die Berliner Aufnahme neun Jahre später kann aufgrund des
farbigeren Klangbildes sowie ihres gepflegten Musizierens mehr überzeugen. Dazu
kommt das von langer Hand konzipierte Crescendo bis zum Ende. Was beim NYPO von
den Saxophonen berichtet wurde, erlebt man auch hier, die D-Trompete kommt
allerdings nicht so überzeugend heraus. Sehr gut gelingt hier der plötzliche Wechsel
nach E-Dur kurz vor Schluss.
Lorin Maazel
Maazel
lässt in seinen beiden Interpretationen sehr leise beginnen, bei fließendem
Tempo bleibt die Streicher/Trommel-Begleitung immer locker, beim Philharmonia Orchestra stellt sich im letzten Viertel eine
Sogwirkung ein. Wie bei anderen Aufnahmen auch, kann man in beiden Aufnahmen
den Wechsel vom Sopran- zum Tenor-Saxophon erfassen, bei der Celesta-Stelle T. 149 ff. muss man jedoch auf das Horn
verzichten, beim POL auch auf den Klang der D-Trompete. Die Aufnahme mit den
Wiener Philharmoniker ist aufgrund des besseren Klangbildes vorzuziehen, Beim
POL stören einige Unebenheiten im Zusammenspiel, aber auch die Wiener-CD finde
ich nicht ganz schlackenlos, hier hört man T. 300 ein deutliches Crescendo,
dann wieder T. 316 eine leichte Temporücknahme, das deutet auf „Klebestellen“
auf dem Master hin.
Daniel Barenboim
Auch
von Barenboim sind zwei Studio-Produktionen greifbar. Die erste entstand 1981
mit dem engagiert musizierenden Orchestre de Paris
für die DGG, der Dirigent wählt hier ein molto moderato als Tempo bei einem
insgesamt sachlichen Vortragsstil, ähnlich wie Boulez. Erfreulich die immer
deutlich aufspielenden Solo-Instrumente im ersten Drittel sowie das gut
aufgebaute Crescendo bis zur Peripetie hin. Das gelingt Barenboim auch zehn
Jahre später mit dem Chicago Symphony Orchestra, bei
der etwas schneller gespielt wird. Die Takte 221 ff. sind jetzt jedoch zu
Streicher-beherrscht, erst T. 239 ist die Balance wieder hergestellt. Die hohe
D-Trompete ist hier besser positioniert als in Paris, diese Aufnahme gefällt
mir jedoch aufgrund des wärmeren Klangbilds besser als die Erato-CD.
eingestellt am 22.10.2018
ergänzt am 11.01.19