Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Anton Bruckner

 

Sinfonie Nr. 7 E-Dur

 

Allegro moderato – Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam – Scherzo. Sehr Schnell – Finale. Bewegt, doch nicht schnell

 

Mit seiner 7. Sinfonie gelang Bruckner endlich die ersehnte Anerkennung als Komponist. Die Uraufführung im Leipziger Gewandhaus unter Leitung von Arthur Nikisch am 30. Dez. 1884 wurde vom Publikum teils wohlwollend, teils auch noch ablehnend aufgenommen. Die kurz darauf folgende zweite Aufführung am 10. März des folgenden Jahres im München unter Leitung von Hermann Levi, dem Dirigenten der Uraufführung des Parsifals, brachte dann den Durchbruch, Constantin Floros spricht im Beiheft der letzten Karajan-CD von einem „Triumphzug für Bruckner“.

Bruckner arbeitete zunächst an den Sätzen 1 und 3, danach nahm er sich das Adagio vor, in Vorahnung des Todes von Richard Wagner, der dann tatsächlich bald eintrat. Der Höhepunkt im Adagio bei Buchstabe W, Takt 177 ff, sowie die folgende Trauermusik wurden „zum Andenken an den Hochseligen, heißgeliebten unsterblichen Meister“ komponiert. Danach entstand noch das Finale. In den beiden zuletzt komponierten Sätzen verwendet Bruckner zum ersten Mal einen Satz Wagner-Tuben, auch Nibelungen-Tuben genannt, die einen weichen, dunkel getönten Klang von sich geben, zur Erinnerung an den Verstorben.

Nach der Münchner Aufführung drängten wohlwollende Freunde den Komponisten zu einigen kleinen Veränderungen in der Partitur. So kam der Beckenschlag mit Triangel-Tremolo auf dem Höhepunkt des 2. Satzes dazu. Insgesamt erfuhr die 7. Sinfonie jedoch keine Revisionen oder neu komponierte Teile oder Sätze wie bei den vorausgegangenen Sinfonien, ausgenommen Nr. 5 und 6. Den Erstdruck bei Gutmann in Wien bezahlte der Widmungsträger König Ludwig II. von Bayern, dem das Adagio so gut gefiel, dass er es sich im verdunkelten Münchner Hoftheater mehrmals vorspielen ließ. Die erste revidierte Fassung brachte Robert Haas heraus (1944) und Leopold Nowack veröffentlichte seine revidierte Fassung 1954.

Im 1. Satz wird das zweiteilige 1. Thema zweimal hintereinander dargeboten, zuerst von den Celli, unterstützt vom 1. Horn, das in T. 6 von den Bratschen abgelöst wird, während die Geigen einen Klangteppich auslegen. Beim zweiten Teil des Kopfthemas tritt dann noch die erste Klarinette hinzu, die man in fast allen hier vertretenen Aufnahmen jedoch kaum hört. Bevor jetzt das Kopfthema vom gesamten Orchester vorgestellt wird, lässt Bruckner in der Gutmann-Partitur einen halben Takt vorher einen Hornton, den Dominanton h, in Vorbereitung auf die Grundtonart E-Dur, leise erklingen. Die älteren Dirigenten, die in ihrem Berufsleben nur mit dieser Gutmann-Ausgabe gearbeitet haben, bringen diesen leisen Hornton: Schuricht, Furtwängler, Andreae, Abendroth, Knappertsbusch, Szell, van Beinum, Barbirolli, Ormandy, Matacic, Kabasta, Fried, Horenstein und Jochum (nur BP). Eine weitere Hornstimme ist bei Rosbaud in den Takten 125/26 (3. Th.) zu hören, quasi als Einleitung zu der Hornstelle in den folgenden Takten, die leider oft im Klang untergeht. Deutlich wahrnehmbar ist sie bei Klemperer, Andreae, Rosbaud, HvK-70, -75 und -89. Nach der knappen Durchführung mit allen drei Themen beginnt die Reprise mit Thema 1 in C-Dur (T. 249 ff), wunderbar blüht die Musik auf. Bevor es jedoch mit der zweiten Hälfte des Themas weitergeht, bricht Bruckner ab und wagt einen neuen Versuch, jetzt in d-Moll, wobei sich das Thema aufzulösen scheint. Nach 16 Takten dann ein kurzer dritter Versuch in Es-Dur, nach nur vier Takten ist der Spuk vorbei. Bei Walter klingt die Stelle wie unwirklich, auch bei Klemperer, Andreae, Furtwängler, Mrawinsky, Jochum-BP und Blomstedt-Dresd. Nach einem kurzen Innehalten setzt dann nach diesen drei Scheinreprisen die eigentliche Reprise in der Grundtonart E-Dur ein, zwar leise, aber um so eindringlicher, sofern die Dirigenten diesen Moment nicht gleichgültig vorüberziehen lassen.

Beim Finale des 1. Satzes treten die beiden Teile des 1.Themas in umgekehrter Reihenfolge auf. Wie schon zu Beginn bringen Celli und Bratschen die zweite Themenhälfte, dazu spielen versetzt Oboen und Flöten einen Kontrapunkt. Hier lässt Bruckner die Musik richtig aufglühen. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistet die Pauke, die zum ersten Mal in diesem Satz - mit einem Wirbel auf e als Orgelpunkt - mitspielen darf, sich ab dem 3. Takt bis zum Höhepunkt T. 401 immer mehr steigert und dann bis zum Ende dieses Abschnitts wieder leiser wird. Eine großartige Musik! Sehr überzeugend bei Jochum-BP, van Beinum und Abbado. Das abschließende Finale mit dem ersten Teil des Themenkopfs klingt wie ein Triumph, laut und prächtig, es kann aber nicht mit der Innerlichkeit der vorhergehenden Takte aufwarten.

Das Adagio in der parallelen Moll-Tonart cis-Moll ist sehr breit gearbeitet. Wie schon oben angedeutet, erweiterte Bruckner das Klangspektrum um 4 Tuben und eine Kontrabasstuba. Nachdem die beiden Themen mehrmals durchgeführt wurden, beginnt bei Partiturziffer S (T.157) der Aufbau des mächtigen Höhepunktes, der nach mehreren Aufschwüngen bei Ziffer W (T. 177-180) erreicht wird. Die meisten Dirigenten bringen hier den Beckenschlag (samt Triangel), der ursprünglich nicht vorgesehen war, jedoch von Bruckner nachträglich sanktioniert wurde. Folgende Dirigenten verzichten jedoch darauf: Walter, Abendroth, Wand, Konwitschny, Otterloo, Asahina, Tintner, Gielen, Masur, Blomstedt, Harnoncourt, Inbal, Lopez-Cobos und Herreweghe. Ein Sonderfall ist Carl Schuricht: in seiner ersten und letzten Aufnahme ist er da, bei den Rundfunkaufnahmen 1953 und 1954 fehlt er. Der zweite Satz klingt aus mit der eindringlichen Trauermusik der Flöten, der Tuben, hinzu tritt hier eine beinahe herz-zerreißende Klage der Hörner, sehr überzeugend bei Blomstedt, Otterloo, Jochum, HvK-71 ff, Giulini, Maazel, Inbal und Herreweghe. Dann folgt eine tieftraurige Musik der Streicher und Flöten, hier fühle ich mich an die Stelle in Walküre II. Akt erinnert, als Siegmund zum Kampf mit Hunding aufgebrochen ist und Sieglinde verlassen hat (T. 193 ff). Für den Abschluss sind dann die Tuben und Hörner zuständig, die feierlich über dem Cis-Dur-Klang der Streicher fünfmal den Kopf des 1. Themas bemühen.

Das Scherzo ist weitgehend monothematisch angelegt, wie ein Signal. Der Seitengedanke, die zweite Hälfte des Themas, bleibt episodenhaft, auch wenn er im Mittelteil des Satzes quasi wie eine Durchführung eine größere Beachtung findet. Der wie penetrant ständig wiederholte Themenanfang erinnert irgendwie an die Nibelheim-Szene in Wagners Rheingold mit ihren hämmernden Ambossen. Dem nur episodenhaften Trio fehlt ein einprägsames Thema, immer wieder wechseln sich in anderer Instrumentation ein 4-Takt-Motiv ab, auch als Engführung, und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Den musikalischen Reichtum der ersten beiden Sätze sucht man hier und auch im Finale vergebens.

Der Schlusssatz mit seiner kleinteiligen Anlage scheint von Anfang an auf das Finale konzipiert. Die Durchführung ist äußerst knapp gehalten und wird in ihrer Funktion vom Hörer kaum wahrgenommen. Immer wieder wird der Fluss der Musik durch blechgepanzerte Einwürfe unterbrochen. Man kann die Frage stellen, ob hier die feierlichen Tuben noch erforderlich sind. Vielleicht hat die relative Kürze dieses Satzes nach den ausgedehnten zwei ersten Sätzen auch zum Erfolg der Sinfonie beigetragen.

„Gerade die 7. Sinfonie wurde sowohl wegen der grossen Schönheit und Prägnanz ihrer Themen, als auch wegen des Reichtums und der Leuchtkraft ihrer instrumentalen Farben sofort nicht nur zum Liebling der Konzertbesucher, sondern nach der Erfindung der Schallplatte auch zum meist eingespielten Werk Bruckners in der Zeit der Schellackplatte.“ (Wolfgang Georgy im Booklet der Oskar Fried-CD). Die ersten Aufnahmen waren:

 

1924 Oskar Fried, Staatskapelle Berlin

1928 Jascha Horenstein, Berliner Philharmoniker

1935 Eugene Ormandy, Minneapolis Symphony Orchestra

1935 Eugen Jochum, Wiener Philharmoniker

1938 Carl Schuricht, Berliner Philharmoniker

1942 Oswald Kabasta, Münchner Philharmoniker

 

Bruckner hielt eine Bearbeitung oder Revision seiner 7. Sinfonie für nicht erforderlich, er wurde auch nicht von seinen Jüngern dazu gedrängt, schade, den Sinfonien Nr. 4 und 8 hat es meiner Ansicht nach gut getan. Der Übergang vom 2. zum 3. Satz kommt mir wie eine kalte Dusche vor, als wenn ich aus der Warmen plötzlich ins Kalte gestürzt würde, dass passt m. E. nicht gut zusammen. Im Konzertsaal kann man da eine Pause machen, dann fällt der Wechsel nicht so auf. Das Scherzo klingt ein bisschen so, als wollte die Musik sagen: Jetzt müssen wir mal wieder andere Saiten aufziehen! Sie ist weitgehend monothematisch und auch deshalb klingt sie bei den lauten Stellen als viel zu lärmend. Auch das Finale mit seinen kurzatmigen Themen, das Hauptthema ist aus dem des 1. Satzes entwickelt, klingt irgendwie nach einer Verlegenheitslösung. Nur ganz wenige Dirigenten schaffen es durch geschickte Artikulation und guter Tempowahl dieses Manko zu überspielen, z. B. Nagano.

Für mich ist die 7. eine „Unvollendete“, nicht dass etwas fehlte, sondern dass nach einer Revision die musikalischen Gestalten/Themen vielleicht besser aufeinander abgestimmt worden wären, ein Gewinn für die Musik. Ich könnte mir auch denken, dass der 3. Satz durch einen anderen hätte ersetzt werden können, bei der 1. und 4. Sinfonie gelangen ihm zuvor andere (überzeugendere) Lösungen. Das Niveau zwischen den beiden ersten und beiden letzten Sätzen in der vorliegenden Fassung ist nicht dasselbe. Bruckner jedoch durften solche Gedanken nicht plagen, er gab sein Werk erst einmal in die Hände eines Dirigenten, der damit Erfolg versprach und auch brachte, worüber der Komponist glücklich war und sich erleichtert Neuem zuwandte.

Wer als Ergebnis meiner Untersuchungen wieder wenige Top-Aufnahmen erwartete, wird jetzt verwundert sein über die große Anzahl in der obersten Kategorie. Das ist nicht als Zeichen von Ratlosigkeit zu verstehen, sondern spiegelt das insgesamt sehr hohe Niveau der Interpretationen wider. Meine Beurteilungen erfolgten ohne Berücksichtigung der erwähnten Vorbehalte zur Form der beiden letzten Sätze.

 

Wand

Berliner Philharmoniker

RCA

1999

66‘29

5

live – geschmeidiges Musizieren auf höchstem Niveau, die Partitur souverän umgesetzt, Orchester mit noch etwas mehr Brillanz als 1999

Wand

Sinfonie-Orchester des NDR Hamburg

RCA

1992

63‘51

5

live – wie 1999

van Beinum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1953

58‘35

5

trotz etwas zügigerer Tempi in den beiden ersten Sätzen gelingt v. Beinum eine atmosphärisch dichte Interpretation, in lauten Tutti-Abschnitten geringere Transparenz, Orchester ohne den Feinschliff der Jetztzeit

Furtwängler

Berliner Philharmoniker

Myto

1951

63‘04

5

live Rom

Furtwängler

Berliner Philharmoniker

EMI    SWF

Toshiba

1949

62‘10

5

live Berlin

Furtwängler

Berliner Philharmoniker

DGG

1951

62‘24

5

live Kairo

Solti

Chicago Symphony Orchestra

Decca

1986

68‘19

5

sehr gute Orchesterleistung, geschmeidiges Blech, Blick immer auch auf ’s Detail, gute Dynamik, sehr gute Transparenz, I die großen Bögen nicht ganz gestaltet, II viel Espressivo, gelassen, mit viel Ruhe, gefeilt, III nimmt sich für das Trio viel Zeit und wertet es durch nachdrückliches Musizieren auf

Dohnanyi

Cleveland Orchestra

Decca

1990

63‘53

5

Dohnanyi hat die Partitur fest im Griff, hervorragender Bruckner-Exeget, perfekt, man wünschte sich stellenweise noch etwas mehr Wärme, helles Klangbild

Schuricht

Sinfonie-Orchester des NDR Hamburg

Tahra

1954

62‘31

5

live

Chailly

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Decca

1984

69‘00

5

ruhig fließend, sehr gute Disposition, die gesamte dynamische Bandbreite nutzend, schlank aufspielende Blechbläser, sehr gute Transparenz

Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1975

64‘35

5

 

Karajan

Wiener Philharmoniker

DGG

1989

65‘57

5

 

Sinopoli

Sächsische Staatskapelle Dresden

DGG

1991

64‘47

5

überzeugend gestaltete Darstellung, I ausdrucksvoller Beginn, zu Beginn des Finales T. 193 ff Bratschen und Celli etwas unterdrückt, gute Temporelationen, II mit langem Atem, lastend, T. 33-36 wie eine düstere Vorahnung, ausdrucksvolle Trauermusik

Szell

Wiener Philharmoniker

Orfeo        Sony

1968

63‘11

5

live - I 1. Th. im Gegensatz z. B. zu Celibidache ganz keusch vorgetragen, Höhepunkt hier erst bei T. 38 f, im bewegten Tempo, mehr auf das Ganze schauend als auf die Einzelheiten, II Musik bleibt immer im Fluss, spannungsintensive Beredtheit, III die Musik darf bei Szell auch atmen, Trio: mit Hingabe, IV spannungsvoll

Otterloo

Wiener Symphoniker

Philips

Challenge

forgotten records

1954

64‘22

5

I bewegtes Tempo, immer lebendiger Musizierstil, Stimmenverläufe immer nachzuvollziehen, II warmherzig, mit großem Atem, I immer wieder sonst überspielte Details, IV lebendig – hellwache Orchesterleitung, gute Transparenz

Matacic

Tschechische Philharmonie

Supraphon  Denon

1967

68‘58

5

intensives Ausloten der Partitur, Orchesterklang baut sich über den Bass auf, etwas angeraut, nicht auf Hochglanz poliert, sehr gute Transparenz, I beim 1. Th. tritt das Horn etwas vor die Celli, plastische Pizzicati der tiefen Streicher, II trotz langsamen Tempos immer lebendig, III intensiv gestaltetes Trio

Kreizberg

Wiener Symphoniker

Pentatone

2004

67‘38

5

live – I ruhig, mit großem Atem gestaltet, II mit intensiver Einfühlsamkeit, III hellwach disponiertes Scherzo, facettenreiches, empfindsames Trio, IV souverän, gibt dem Satz Eigenständigkeit und Größe – helles Klangbild, beste Transparenz

Nagano

Bayerisches Staatsorchester

Farao

2010

64‘41

5

live – N. bleibt immer schlank, zeichnet die Musik fein nach, Liebe zum Detail; voller, warmer Streicherklang, wunderbare Abrundung des Blechbläserklangs, Trompeten stechen nicht hervor und trumpfen nicht vorlaut auf, Flöten klanglich etwas zurückgesetzt, I intensiv gestaltet, eher zart, jedoch keine Magerkost, II gestaltete Zeit, mit viel Fingerspitzengefühl, III Motiv T. 9-12 immer rhythmisch betont gezeichnet, nicht lärmend – Nagano formt die Partitur zu einem gerundeten Ganzen

Abbado

Festival Orchester Luzern

EuroArts

2005

60‘34

5

live – Soundtrack der Videoproduktion

Herreweghe

Orchestre des Champs-Élysées

HMF

2004

59‘27

5

teilweise schon impressionistisch, völlig ohne Weihepathos, kammermusikalische Feinabstimmung, pointiert artikuliert, Bruckners Dynamik beim Wort genommen, weiche Blechklänge; durchweg schlank, mit viel Klangsinn, musiziert

Giulini

Philharmonia Orchestra London

BBCL

1982

61‘06

5

live

Horenstein

Berliner Philharmoniker

DGG

Berliner Philharmoniker

1928

59'03

5

I Neigung zu einem sachlichen Vortragsstil, insofern bereits moderner Zugriff, II mit viel Empathie gespielt, III Trio: deutlich der doppelpunktierte Rhythmus der Pauke, harter Schlägel, IV sehr bewegt

 

 

 

 

 

 

 

Fried

Staatskapelle Berlin

DGG

M&A

1924

56‘45

4-5

Dokument der ersten Aufnahme der Sinfonie noch unter akustischen Bedingungen. Fried schlägt große Bögen, ohne die motivischen Verflechtungen zu vernachlässigen, erstaunlich viele Einzelheiten. Einige Passagen der Kb werden durch die Kontrabasstuba verstärkt, bewegte Tempi, bei günstigeren akustischen Gegebenheit der Aufnahme wäre eine Höherstufung gegeben.

Abendroth

Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

Tahra

1956

61‘02

4-5

live – intensiv nachgezeichnet, viel Atmosphäre vermittelnd, immer lebendig, teilweise glühend, III mit viel Fantasie gestaltet, intensives Trio

Schuricht

Sinfonie-Orchester des NDR Stuttgart

hänssler

1953

60‘01

4-5

live

Schuricht

Philharmonisches Orchester Den Haag

Concert Hall    Scribendum

1964

60‘17

4-5

 

Schuricht

Berliner Philharmoniker

Polydor

History

1938

64‘31

4-5

 

Andreae

Wiener Symphoniker

M&A

1953

58'22

4-5

Andreae breitet die Musik sehr klar aus, immer mit Einbezug der Nebenstimmen, sinnvolle Artikulation, überzeugender Aufbau der Höhepunkte, nicht theatralisch, für die Aufnahmezeit gute Transparenz und guter Klang, II bewegtes Moderato, nicht schwerblütig, III ausdrucksvolles und auch nachdenkliches Trio

Konwitschny

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna     Berlin Classics

1958

65‘21

4-5

intensiv gestaltet, spannungsvoll, große Bögen, Orchester noch nicht auf dem heutigen Niveau, Blech nicht optimal ausgeglichen, leicht mulmiger Klang

Jochum

Berliner Philharmoniker

DGG

1964

67‘30

4-5

 

Jochum

Staatskapelle Dresden

EMI

1976

69‘01

4-5

 

Rosbaud

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

Mediaphon  Line

1957

63‘00

4-5

I bewegt, warm, leuchtend, II bewegt, insgesamt etwas sachlich, gebremster Höhepunkt, III sich Zeit lassend, episches Trio – für die Zeit der Aufnahme ausgezeichneter Klang, gute Transparenz

Abbado

Wiener Philharmoniker

DGG

1992

64‘11

4-5

 

Böhm

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Orfeo

1977

64‘21

4-5

live – immer sehr deutlich, Atmosphäre

Böhm

Wiener Philharmoniker

DGG

1976

66‘16

4-5

ähnlich wie die Münchner Aufnahme, helleres Klangbild als gewohnt, davon profitieren die Holzbläser, II sehr breiter Höhepunkt, IV deutliche Unterschiede zwischen schnellen und langsamen Partien

Klemperer

Berliner Philharmoniker

Frequenz

1958

60‘14

4-5

live Luzern

Klemperer

New Philharmonia Orchestra London

Testament

1965

61‘12

4-5

live London

Knappertsbusch

Wiener Philharmoniker

Orfeo

History

1949

63‘08

4-5

live – Musik immer im Fluss, mehr das Zukünftige als das Hier und Jetzt im Blick, flaches Klangbild, fast schon spitz klingend, da 1. Vl. zu sehr dominieren, geringere Transparenz, I deutliche Reprise, II bewegt, Natürlichkeit bewahrend, große spannungsintensive Bögen

Blomstedt

Staatskapelle Dresden

Eterna

Denon

1980

67‘51

4-5

 

Blomstedt

Gewandhausorchester Leipzig

Querstand

2006

68‘44

4-5

live

Giulini

Wiener Philharmoniker

DGG

1986

67‘42

4-5

 

Tintner

Royal Scottish Symphony Orchestra

Naxos

1997

65‘33

4-5

I intensiv geformt, immer deutlich, Blick auf Details, 3. Th. bewegter als üblich, I wie selbstverständlich, Höhepunkte nicht ganz ausgespielt, III Trp. anfangs tatsächlich p, nicht zu laut, wie man es oft hört, sehr ruhiges Trio - helles Klangbild, jedoch im Tutti etwas eingeengt, hervorragende Tranzparenz

Celibidache

SDR Sinfonie-Orchester Stuttgart

DGG

1971

66‘23

4-5

 

Kabasta

Münchner Philharmoniker

EMI

1942

57‘44

4-5

Dokument des Bruckner-Apostels Kabasta – bewegte Tempi, wirkt sich positiv auf die Sätze 3 und 4 aus, mäßiges Rubato, mäßige Transparenz, in lauten Tutti-Passagen kompakt, höhenbeschnitten

Haitink

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1978

65‘13

4-5

 

Skrowaczewski

Radio Sinfonie-Orchester Saarbrücken

Oehms

1991

68‘34

4-5

live – sehr gute Darstellung, wie selbstverständlich gespielt, große Bögen, Scherzo: derb, wie von Bruckner gewünscht, Trio von Streichern beherrscht

Skrowaczewski

London Philharmonic Orchestra

LPO  Eigenlabel

2012

68‘39

4-5

live – kaum Unterschiede zur älteren Aufnahme, Oboe im Gegensatz zum übrigen Holz viel Vibrato!, Scherzo weniger derb

Gielen

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

Intercord     SWR music

1986

58‘22

4-5

durchgehend fließend bewegtes Musizieren, schlank, völlig ohne einen Anflug von Weihepathos, Alternative zu den meisten anderen Aufnahmen

Harnoncourt

Wiener Philharmoniker

Teldec

1999

59‘51

4-5

live – Streicher ohne Vibrato, sehr schlank geführt, fast schon wie geglättet, ich vermisse etwas Prägnanz und Nachdruck, hervorragende Transparenz, II Flöte T. 195-199 Vibrato, III ebenso Str. im Trio, IV gut, spannungsvoll

Inbal

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

Teldec

1985

63‘33

4-5

analytischer Blick auf die Partitur, immer bewegt, helles und transparentes Klangbild, II bringt die Bässe nicht genügend ein, klingt aber wie eine Herzensangelegenheit

Walter

Columbia Symphony Orchestra

CBS   Sony

1961

64‘33

4-5

viel Wärme ausstrahlend, heller Klang, Lautstärkedifferenzierung im unteren Bereich kaum Top, I Es-Dur T. 277-80 vor der Reprise klingt irgendwie unwirklich, fast falsch, die Reprise danach klingt umso deutlicher, II zügiges Tempo,

Karajan

Wiener Philharmoniker

ica-classics

1962

62‘39

4-5

live

 

 

 

 

 

 

 

Klemperer

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

medici arts

1956

59‘05

4

live München

Klemperer

Wiener Symphoniker

Testament

1958

59‘22

4

live Wien

Klemperer

Philharmonia Orchestra London

EMI

Warner

1960

65‘00

4

 

Welser-Möst

Gustav Mahler Jugendorchester

Orfeo

1989

56‘34

4

live – Dokument eines pragmatischen Vortragsstils ohne Weihe-Attitüde, die jungen Musiker schlagen sich unter ihrem 29 jährigen Dirigenten wacker, mit Elan, für Brucknerianer gewiss etwas zu nüchtern

Maazel

Berliner Philharmoniker

EMI

1988

73‘40

4

 

Maazel

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

1999

66‘08

4

live

Karajan

Berliner Philharmoniker

EMI

1970/71

67‘56

4

 

Haitink

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1966

60‘28

4

 

Haitink

Chicago Symphony Orchestra

CSO Eigenlabel

2007

67‘14

4

live

Asahina

Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra

Fontee

1997

70‘00

4

live – Musik überzeugend organisiert, sehr ausgewogen, es fehlt jedoch das Geheimnisvolle, das Romantische, Atmosphäre und eine gewisse Glut bei den Höhepunkten – keine Publikumsgeräusche

Jansons

Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2007

64‘31

4

live – musikalisch und technisch auf höchstem Niveau, jedoch ziemlich steril, zurückhaltend, ohne Gefühle zu zeigen, ohne echte Intensität, II auf dem Höhepunkt kein Triumph, er klingt wie abgerungen, III Scherzo ohne Intensität, mattes Trio

Barenboim

Berliner Philharmoniker

Teldec

1992

70‘33

4

 

Barenboim

Staatskapelle Berlin

DGG

2010

65‘57

4

live

Barbirolli

Hallé Orchestra Manchester

BBCL

1967

62‘11

4

live – dynamische Differenzierung im unteren Bereich kaum gegeben, im Tutti enges Klangbild, wenig transparent, Bandrauschen, leises Summen B. Nicht zu  überhören; breiter Blechklang, der in Tuttipassagen rau klingt; I unruhiges 2. Th., überzeugendes Finale I, Finale II dagegen etwas lärmend, II T. 89 ff Proportionen nicht stimmig, IV doppelpunktierter Rhythmus nicht genügend scharf, feuriges Finale

Lopez-Cobos

Cincinatti Symphony Orchestra

Telarc

1989

66‘32

4

I mit Ruhe und Gelassenheit am Werk, II Musik etwas direkt angegangen, IV Wechsel der Motive zwischen Fl./Ob. und Vl. 1 bei T. 183-190 unterbelichtet – Geigen mit etwas breitem Strich

Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1994

79‘50

4

live

Goodall

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1971

67‘57

4

live – ansprechende Interpretation, es fehlt der Musik jedoch etwas Nachdruck, mehr referierend als mitgefühlt dargestellt, es fehlen die Momente des Aufglühens, besonders im 2. Satz, III schleppend, IV überzeugt am meisten, warme wagnerische Tuttistellen

 

 

 

 

 

 

 

Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1996

70’38

3-4

sehr große dynamische Spannbreite und gute Differenzierung, jedoch nicht immer hinreichend transparent, I sehr breit genommen, darunter leidet jedoch etwas die Spannung, II beim 1. Th. scheint Rattle vor Ehrfurcht zu erstarren, Spannung bricht oft ein, T. 123 f Flöten?, mehr Einzelabschnitte als ein Ganzes, Scherzo etwas tapsig, Trio: Streicher decken die Bläser oft zu, IV mit der Länge sinkt die Spannung, zu Beginn der Reprise übertönt das Blech die restlichen Instrumente

Ormandy

Minneapolis Symphony Orchestra

 

bei History fälschlich:

Philadelphia Orchestra

Victor

History

1935

62‘04

3-4

I sehr flüssiges Tempo, führt zeitweise zu Kurzatmigkeit, 2. Th. in der Durchführung zelebriert, II hier näher bei Bruckner, III Trio: überbordendes Espressivo, fast schon kitschig, IV beim 1. Th. sehr eilend, Bläser-Tutti martialisch, abrupte Schlüsse – enges Klangbild, wenig transparent, Verzerrungen bei lauten Tutti-Stellen, bzw. Dynamik stark beschnitten, zeitbedingte Portamenti; Aufnahme mehr eine Information über Bruckner in den USA 1935, als ein Hörgenuss

Mrawinsky

Leningrader Philharmonie

EMI

1967

61‘01

3-4

live – I russischer Bruckner, Nähe zu Tschaikowsky kann nicht ganz geleugnet werden, II bewegt, spannungsintensiv, jedoch vermisst man die artikulatorische Feinarbeit, HP mehr herbei gezwungen als gestaltet, III derbes Scherzo, Orchesterspiel nicht auf höchstem Niveau, im Trio Trp. T. 91 ein Viertel zu früh – Klang: aufdringliche Trompeten stechen aus dem Blechbläserklang hervor und verhindern ein abgerundetes Klangbild

 

 

 

 

 

 

 

Masur

New York Philharmonic Orchestra

Teldec

1991

63‘09

3

Antrittsskonzert als neuer Musikdirektor des Orchesters. I beim 2. Th. T. 51 schneller, obwohl dort ruhig vorgezeichnet ist, ebenso beim 3. Th., die Scheinreprisen werden viel dringlicher gespielt als die eigentliche Reprise, die zu blass klingt, der lange Atem fehlt, II natürlicher Gesang, keineswegs raffiniert, T. 104 von Vl. 1 nicht mehr gestaltet, Trp. T. 127 f zu leise, kein richtiger Höhepunkt bei Buchstabe W (T. 177), dynamische Regie?, III Scherzo al fresco, Klangkultur beim Zusammenspiel von Celli und Bässen nicht bestens

 

Hinweise zu Interpreten und ihren Interpretationen:

 

Carl Schuricht

 

Der 1880 in Danzig geborene Schuricht nahm die 7. Sinfonie von Bruckner bereits im Jahre 1938 mit den Berliner Philharmonikern für Polydor/DGG auf, am Ende seiner Dirigentenlaufbahn dann noch einmal für Concert Hall, vor ein paar Jahren von Scribendum neu herausgegeben. Als Orchester wird das Philharmonische Orchester Den Haag genannt, vermutlich handelt es sich jedoch um das jahrelang von Willem van Otterloo betreute Residenz Orchester, das hier aus Lizenzgründen unter anderem Namen geführt wird. Auch bei anderen Orchestern (London, Wien) ist so etwas bekannt. Neben diese beiden Studioproduktionen gesellen sich noch zwei Konzertmitschnitte aus Stuttgart und Hamburg mit den dortigen Rundfunkorchestern, mit dem ersten hat er nach dem 2. Weltkrieg regelmäßig konzertiert. Schurichts Interpretationen der Bruckner-Sinfonien zeignen sich aus durch Klarheit in der Stimmführung, transparente Klangbilder, flüssige Tempi und jegliches Fehlen von aufgesetzter Bedeutungsschwere. Davon geben alle der hier genannten Aufnahmen Kunde und empfehlen sich als gültige Interpretationen der 7. Sinfonie. Für heutige Musikfreunde werden sie weniger interessant erscheinen, da die klangliche Präsentation im Hinblick auf ihre Entstehungszeit eher bescheiden zu nennen ist, abgesehen von seiner letzten Aufnahme aus Den Haag. Leider lassen sich hier Intonationsprobleme im Finale T. 47 ff nicht überhören. Ich vermute, dass es sich nicht um  Schwächen des Orchesters handelt, sondern eher einem Bandschaden bzw. Geschwindigkeitsunebenheiten bei der Übertragung zuzuschreiben ist. Der Hamburger Mitschnitt aus der Laeisz-Halle klingt etwas besser als der Stuttgarter aus dem Waldheim-Degerloch.

 

Otto Klemperer

 

Klemperers Aufnahmen der 7. Sinfonie stammen aus seiner letzten Dekade als Dirigent. Für Bruckners Sinfonien hat er sich jedoch schon sehr früh eingesetzt. Bereits 1924 durfte er für Polydor noch unter akustischen Aufnahmebedingungen das Adagio der 8. Sinfonie mit der Preußischen Staatskapelle Berlin auf sieben Schellackplatten aufzeichnen. Auf Klemperers fünf Aufnahmen hört  man in den ersten beiden Sätzen ein flüssiges Musizieren, immer sehr bewegt, klar und objektiv. Die Suche nach verborgenen Wahrheiten in diesem Werk ist ihm fremd. So sind denn auch die Interpretationsunterschiede gering, Spannungen aufzubauen und mit Intensität zu füllen findet man hier seltener. Klemperer lässt den Notentext spielen und verzichtet auf gewollte persönliche Stellungnahmen. Musikfreunde, die in erster Linie auf den Klang einer CD achten, greifen natürlich zu der einzigen Studio-Produktion mit dem POL aus dem Jahre 1960. Sie ist in allen Sätzen etwas langsamer, der Mitschnitt mit dem New POL fünf Jahre später ist in allen Sätzen schneller. Mir scheint aber, dass er in der Studio-Aufnahme im 2. Satz Bruckner am nächsten gekommen ist. Die vier live-Mitschnitte mit den anderen Orchestern haben alle ihre Meriten aber auch ihre Schwächen. Das orchestrale Niveau damals hatte noch nicht das der Gegenwart erreicht. Da hört man immer wieder an einigen Blechbläsereinsätzen Unsauberkeiten, aber nicht nur dort. Möglicherweise waren die Musiker mit Klemperers Dirigierstil ohne Taktstock noch nicht vertraut, was zu Irritationen führte. Am besten gefällt mir der Mitschnitt des Konzert der Berliner Philharmoniker aus Luzern, man kann im Vergleich hören, dass hier das beste seiner Orchester spielt. Beeindruckend das intensiv gestaltete Trio im 3. Satz. Leider ist die klangliche Seite nicht ganz so berauschend. Das trifft aber auch auf die restlichen Aufnahmen zu. Beim Londoner Mitschnitt 1965 haben die BBC-Tontechniker scheinbar geschlafen. Wie konnte es passieren, dass das Finale des Kopfsatzes total übersteuert wurde? Bei den restlichen Sätzen stimmt es dann.

 

Wilhelm Furtwängler

 

Furtwänglers Aufnahmen von Bruckners 7. sind sämtlich Konzert-Mitschnitte. Die älteste stammt aus Berlin, die beiden anderen wurden bei der riesigen Tournee des Berliner Philharmonischen Orchesters mit Furtwängler aus dem Jahre 1951 aufgezeichnet, die zunächst nach Ägypten führte, dann Neapel, Bologna und Turin besuchte, einen zweitägigen Abstecher nach Paris machte und anschließend noch neun westdeutsche Städte, wie z. B. Münster und Bielefeld, aufsuchte. In dieser Stadt gab man zum letzten Mal zusammen Bruckners 7. Sinfonie.

Auch wenn alle drei Aufnahmen ganz im Sinne Bruckners gespielt sind, stelle ich die Rom-Aufnahme an den Anfang. Die Sinfonie wird hier mit einer fast schon gespenstigen Sicherheit gespielt, völlig organisch. Gleich zu Beginn glüht das 1. Thema intensiv auf und die Intensität lässt nicht nach, molto espressivo verlangte WF von seinen Musikern, das kann man besonders auch in der Reprise vernehmen. Im 2. Satz lassen immer wieder die sowohl dynamische wie agogische Gestaltung der großen Bögen erstaunen, die der Dirigent schlägt. Vorbildlich das Crescendo und Diminuendo in den ersten drei Takten. Bewunderungswürdig auch die Intensität der 1. Violinen in den Takten 199-206, allerdings nur bei dieser Aufnahme. Die Dynamik wurde von Furtwängler im unteren Bereich nicht ausgeschöpft. Leider hört man ein leises Rauschen der Acetatplatten, auf der die Aufnahme einst gespeichert wurde. Der Mitschnitt aus Kairo ist leider nicht so gut erhalten, die Tutti-Stellen klingen eng und das Klangbild ist insgesamt entfernter. Die Takte 51/52 im 1. Satz klingen etwas undeutlich, das kann jedoch auch auf ein technisches Problem zurückzuführen sein. Klanglich am besten erhalten ist der Berliner Mitschnitt. Auch hier wohnt der Hörer einem organischen, immer wieder spannungsvollen Musizieren bei. Furtwängler lässt auf dem Höhepunkt des 2. Satzes die Pauke einen Takt früher einsetzen als von Bruckner vorgezeichnet, war dies ein Versehen des Paukisten? In den beiden anderen Aufnahmen wird nämlich partiturgetreu gespielt.

 

Eugen Jochum

 

Der zeitlebens und darüber hinaus als Bruckner-Apostel gefeierte Eugen Jochum legt hier zwei stimmige Interpretationen vor. Er beginnt mit den Berliner Philharmonikern den 1. Satz etwas vornehm zurückhaltend, eher sachlich als passionato, steigert die Musik allerdings im Laufe des Satzes immer mehr und legt bei Buchstabe W einen grandiosen Höhepunkt hin. Das Adagio wird sehr intensiv ausgeformt, für mich der Höhepunkt in dieser Interpretation. Auch das Finale lässt kaum Wünsche offen. Die Dresdner Produktion ist vom interpretatorischen Ansatz her ähnlich, die Tempi, abgesehen vom Schlusssatz, sind jedoch etwas langsamer. Das Klangbild ist etwas wärmer. Leider finden die Blechbläser hier nicht immer zu einem homogenen Klang zusammen. Auch das geschmeidige Spiel der Berliner Kollegen wird nicht ganz erreicht.

 

Herbert von Karajan

 

Herbert von Karajan war zeitlebens darauf bedacht, dass nur Studioproduktionen, die unter seiner Leitung entstanden waren, veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren  erreichen den Plattenmarkt jedoch auch Konzertmitschnitte, wie vom Konzert in London aus dem Jahre 1962, auf dem auch Bruckners 7. Sinfonie auf dem Programm stand. Die Musik ist lebendig gestaltet, wozu auch bewegte Tempi beitragen. Nebenstimmen werden nicht vernachlässigt, das Klangbild ist transparent, besser als bei früheren Mitschnitten der BBC, beim Finale des 1. Satzes jedoch etwas gepresst, auch der Höhepunkt im 2. Satz klingt noch nicht optimal. Auf ein robust musiziertes Scherzo folgt das schnellste aller Karajan-Finalsätze, in dem jedoch einige kleine Unsauberkeiten im Zusammenspiel nicht zu überhören sind. Insgesamt liegt hier eine gute bis sehr gute Aufnahme vor, deren Rang allerdings von zwei späteren Produktionen gedrückt wird. Einmal von seiner allerletzten Plattenaufnahme mit demselben Orchester, den Wiener Philharmonikern, aus dem großen Musikvereinssaal aus dem Jahre 1989. Diese wird klanglich und künstlerisch noch ein wenig übertroffen von Karajans Aufnahme mit seinem Berliner Orchester, aufgenommen in der Philharmonie 1975. Klangfetischisten werden vom Sound dieser CD beeindruckt sein. Aber auch musikalisch hat man den Eindruck, dass hier sehr ernsthaft musiziert wird, dabei immer locker, lebendig, natürlich und wie selbstverständlich. Im Vergleich dazu spielen die Wiener m. E. etwas rauer, nicht ganz so rund. Sehr eindrucksvoll gelingen HvK jedoch hier die begleitenden Sechzehntel-Triolen der Violinen vor dem Höhepunkt des 2. Satzes T. 160-180. Am wenigsten gefällt mir die Studioaufnahme mit den Berliner Philharmonikern, aufgenommen in der Jesus-Christus-Kirche, für EMI. Hier wurde Bruckners Partitur ganz ernst genommen, es klingt alles wie blank geputzt, die Dynamik ist sehr differenziert und auch in den unteren Bereichen vorbildlich ausgefallen. Das Hornsolo ab T. 89 erklingt endlich einmal weich und gleichzeitig p. Das Klangbild ist jedoch nicht so transparent wie in Karajans späteren Aufnahmen. Insgesamt klingt alles zu gewollt, aufgesetzt, fast museal, man vermisst das Selbstverständliche!

 

Sergiu Celibidache

 

Auf der CD mir dem SDR Sinfonie-Orchester bleibt das von Celibidache eingeschlagene Tempo im Rahmen. Im Kopfsatz lässt er das 1. Thema gleich zu Beginn glühen, so schön hat Bruckner das gemeint! Insgesamt herrscht ein nerviges Espressivo vor, die Partitur wird dabei intensiv ausgelotet. Die restlichen drei Sätze erreichen nicht ganz dieses Niveau, bei Buchstabe F gibt es etwas Leerlauf und auf dem Höhepunkt bei W sind die Stimmverläufe zwei Takte lang nicht klar, so, als müssten die Musiker sich erst sammeln. Das Scherzo erklingt derb, die Transparenz könnte besser sein, dafür entschädigt ein kantables Trio. Im Münchner Konzertmitschnitt sind die Tempi deutlich langsamer ausgefallen, was sich insgesamt negativ auf die Spannung auswirkt. Celibidache lässt noch mehr in die Breite musizieren und vertraut auf Bruckners Themen und Motive. Die Musik wirkt hier eher zelebriert als interpretiert. Am Ende des 1. Satzes bleibt nur noch ein Klangbrei stehen. Positiv zu vermerken ist das deutliche Herausheben der Melodieverläufe bei mäßigem Tempo im Scherzo, dadurch wirken allerdings die ohnehin lauten Tuttiabschnitte lärmend.

 

Carlo Maria Giulini

 

Von Giulini liegen zwei gegensätzliche Aufnahmen vor, die eine ist ein BBC-Mitschnitt aus London, die andere eine Studioproduktion aus Wien. Die live-Aufnahme gefällt mir besser: hier wird wie selbstverständlich musiziert, frisch und mit rhythmischer Feinarbeit kommt der Kopfsatz daher. Das Adagio ist bewegt und dazu noch intensiv gestaltet. Im 3. Satz lässt ein inniges Trio aufhorchen und das Finale knüpft wieder an den Kopfsatz an. Das Klangbild ist erstaunlich transparent. Bei der Studio-Aufnahme aus dem Wiener Musikvereinssaal wird in allen Sätzen viel langsamer musiziert. Sie ist sorgfältig erarbeitet, wie man es von dem italienischen Maestro kennt, die Musik erklingt atmosphärisch dicht, epischer ist zuvor, da man sich mehr Zeit lässt. Die Melodien werden länger gezogen, alles klingt viel bedeutungsvoller bei etwas dunklerem Klangbild. Im Adagio lässt Giulini auf dem Höhepunkt den Triangel einen Takt länger spielen als vorgesehen. Sehr schön behandelt er die Paukenstimme im Trio. Das Finale klingt in den Tutti-Abschnitten etwas zu starr. Insgesamt vermisse ich in dieser Aufnahme die Spiritualität des Konzertmitschnitts.

 

Herbert Blomstedt

 

Beide Aufnahmen haben ihre Stärken und Schwächen, sodass es schwer fällt sich für die eine oder andere zu entscheiden. Blomstedt moduliert mit Hingabe, mit viel artikulatorischer Feinarbeit im Detail, dabei tritt der Blick auf das Gesamtgefüge etwas zurück. Trotz einer sehr guten Dynamik klingt die Dresdner Aufnahme jedoch etwas distanziert. Hier überzeugen jedoch die sehr gut formulierten Übergänge zwischen den Satzteilen. Auch ohne Beckenschlag gelingt dem Dirigenten ein überzeugender Höhepunkt, dem ein ausdrucksvolles Finale folgt. Das Trio nimmt Blomstedt etwas zurückhaltend. Die Leipziger Aufnahme klingt im Ansatz wie seine frühere, es fällt jedoch ein insgesamt etwas kernigeres Musizieren auf, das mehr Wärme aufzeigt. Der 2. Satz ist nicht ganz so fein gezeichnet wie 1980, auch der Höhepunkt und das Finale können da nicht so überzeugen. Dagegen gefällt das differenzierter gespielte Scherzo samt kraftvollem Trio mehr.

 

Bernard Haitink

 

Haitink setzt die Bruckner-Tradition seiner Vorgänger am Pult des Concertgebouw Orchesters fort, nach Jochum, für die DGG, legte er die zweite Gesamtaufnahme der Sinfonien für das Philips-Label vor. Aus dieser Serie stammt die erste Aufnahme von 1966, danach entstand eine weitere Produktion der 7. Sinfonie mit demselben Orchester und zuletzt erreichte den Plattensammler noch ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2007 mit dem Chicago Symphony Orchestra. Von Aufnahme zu Aufnahme lässt sich Haitink mehr Zeit. Die mittlere Aufnahme gefällt mir am besten. Haitink nimmt sich mehr Zeit und formt einige Partien bewusster aus, der Höhepunkt im 2. Satz bei Buchstabe W klingt nun majestätischer, weniger lärmend. Allerdings gelingt das Finale des 1. Satzes nicht intensiver als früher. Zum Beginn des Scherzos sind die Streicher besser artikuliert. Beim Trio kann man jedoch geteilter Meinung sein, ob man die ins hymnisch gesteigerte Version der ersten Aufnahme oder die ruhig und gelassen gespielte Version von 1978 bevorzugt. Auch im Finale hat man die Wahl zwischen den robusten Blechbläser-Tutti oder die breit und wuchtig (so Bruckners Partiturangabe) genommenen der zweiten Aufnahme.

Kommen wir noch zur Chicago-CD: wie in den zuvor besprochenen früheren Aufnahmen lässt er das 1. Thema immer noch recht objektiv vortragen, das Finale des Satzes gefällt mir hier besser, ist aber etwas schleppend geraten. Die Motiv-Verschiebungen im Scherzo werden gut herausgearbeitet, insgesamt jedoch lässt Haitink hier ohne Druck spielen. Der 4. Satz erklingt weniger lebendiger, da langsamer. Auch der Pizzicato-Begleitung der tiefen Streicher beim 2. Thema fehlt es etwas an Intensität.

 

Claudio Abbado

 

Abbados Interpretationen der 7. Sinfonie überzeugen vor allem in den Ecksätzen. Die Musik im Kopfsatz erklingt intensiv gestaltet und immer bewegt. Nach den drei Scheinreprisen wird der tatsächliche Beginn der Reprise nicht verschleiert oder untertrieben sondern deutlich herausgestellt. Beim Konzertmitschnitt aus Luzern nehmen die erregend formulierten Steigerungen zusätzlich für sich ein. Hier erklingen auch die Pauken in den Takten 391-412 eindringlicher. Spontanes Musiziergefühl herrscht im Finale vor. Etwas schwächer erscheint mir der Adagio-Satz, da der Dirigent die Lautstärkedifferenzierung nicht voll ausspielt. Beim 2. Thema fehlt mir einfach das Piano! In der Wiener Einspielung klingt die Musik auch etwas wie al fresco, da gefällt der Luzerner Mitschnitt besser. In beiden Aufnahmen jedoch verschenkt Abbado die eindringliche Hornstelle in der Trauermusik T. 190-193, hier passen sich die Hörner zu sehr in den Klang der Tuben ein. Beim  Scherzo stelle ich auch Luzern nach vorn, die derbe Musik lässt Abbado sehr differenziert aufspielen. In allen Sätzen dieser Aufnahme, abgesehen vom Scherzo, nimmt Abbado ein schnelleres Tempo als früher.

 

Lorin Maazel

 

Maazels Interpretationen haben sich innerhalb eines Zeitraums von elf Jahren kaum gewandelt. Da sind der runde Klang des Blechs, die nicht so schnellen Tempi, bei den Berliner Philharmonikern sind sie in den beiden Sätzen sogar extrem langsam, und der flexible Umgang mit den Tempi, der mich allerdings etwas irritiert, da er nicht konsequent durchgehalten wird. Dazu kommt, dass er das 2. Thema im Kopfsatz schneller nimmt als das 3. Thema. In diesem Satz kommt der Paukenwirbel (cresc.) T. 400 f viel zu domestiziert, Bruckner schreibt hier ff vor! Bei den Berliner Philharmonikern ist dieser Satz zu langsam, verschleppt, und weist eine geringe Spannung auf. Die Münchner Aufnahme ist fast drei Minuten schneller, aber auch hier geht die Spannung oft verloren. Das Adagio kann in beiden Versionen mehr überzeugen. Die Behandlung der Tempi ist ähnlich, dafür überzeugen jedoch die Steigerungen zum Höhepunkt und die folgende Trauermusik. Das Trio wird hier gezogen gespielt, das Finale keineswegs eilend. Die EMI-CD wartet mit opulentem Blech auf, beim Finale in München hätte ich mir etwas mehr Spannung gewünscht.

 

Daniel Barenboim

 

Barenboim pflegt, zumindest bei Bruckner, einen musikantischen Ansatz mit direktem Zugriff auf die Musik. Dabei werden die jeweils führenden Instrumente etwas herausgehoben. Die Binnendifferenzierung, besonders im Streicherchor, ist nicht immer ganz zufriedenstellend. Die beiden hier genannten Aufnahmen sind in etwa gleichwertig. Der Käufer sollte überlegen, ob er das etwas geschlossener aufspielende Orchester ins Kalkül nimmt oder der besseren Klangtechnik der Staatskapellen-CD den Vorzug gibt. Allerdings ist in dieser live-Aufnahme der Abschlag des letzten Akkords im 1. Satz nicht einheitlich.

 

eingestellt am 28.03.2014

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