Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel 

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Anton Bruckner

 

8. Sinfonie c-Moll

 

Allegro moderato – Scherzo, Allegro moderato – Adagio, feierlich langsam, doch nicht schleppend – Finale, feierlich, nicht schnell

 

Bruckners 8. Sinfonie steht in der Reihe der Sinfonien des Komponisten (Nr.1-4), die mehrmals bearbeitet wurden, ehe sie ihre endgültige Form erreichten. Die Partitur dieser Sinfonie wurde im Herbst 1887 abgeschlossen und zugleich an Hermann Levi versandt, damals Hofkapellmeister in München und zugleich rechte Hand von Cosima Wagner. Unmittelbar nach der Fertigstellung der 8. begann Bruckner bereits mit seiner 9. Sinfonie, unterbrach die Arbeit jedoch daran, als er aus dem Umkreis seiner Bekannten und Weggefährten (z. B: die Brüder Josef und Franz Schalk) erfuhr, dass Levi sich nicht für die 8. Sinfonie erwärmen könnte. Auch diese selbst äußerten Vorbehalte gegenüber diesem ausgedehnten Werk. In großer Niedergeschlagenheit begann er eine Überarbeitung der Partitur, die sich drei Jahre lang bis 1890 hinzog und eine komplette Neufassung der Sinfonie bedeutete. Bruckner widmete diese Neufassung Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, der auch die Druckkosten übernahm. Der Erstdruck erschien im Frühjahr 1892, im Dezember dieses Jahres fand die Uraufführung mit den Wiener Philharmonikern unter Leitung von Hans Richter statt, nachdem eine ein Jahr zuvor ins Auge gefasste unter Leitung von Felix Weingartner gescheitert war. Der Komponist war überglücklich über diesen Erfolg, auch wenn bei ihm Zweifel blieben, ob es denn tatsächlich die bessere Version sei. Der Wiener Triumpf machte den Weg frei für die langsame Verbreitung Brucknerscher Sinfonien in Österreich und Deutschland.

Bei der Revision griff Bruckner nicht nur in die thematische Arbeit ein, er kürzte, stellte um und änderte auch die Instrumentierung. Außerdem erweiterte er den Holzbläserklang, indem er jetzt 3-faches Holz statt ursprünglich 2-faches einsetzte. Viele Stellen sind nun subtiler ausgeführt. Die Durchführung des Kopfsatzes klingt nun stringenter, er verliert seinen forte-Schluss und verklingt nun im ppp. Die sogenannte „Todesverkündigung“ (T. 255-261) tritt hier deutlicher heraus (2 Trp.) als in der Erstfassung, in der sie nur in den Tutti-Klang eingebunden war und weniger deutlich herauskam. Das Scherzo ist nun weniger langatmig konzipiert und wird seiner endlosen Wiederholungen am Schluss beraubt. Das Trio erhält eine neue Gestalt, bezieht sich jedoch an wenigen Stellen auf das ursprüngliche thematische Material. Im Adagio ähneln sich die Physiognomien der beiden Fassungen, die Unterschiede sind geringer, jedoch bleibt die 2. Fassung konzentrierter, hier rückte Bruckner den Höhepunkt von C-Dur nach Es-Dur hinauf. Zu begrüßen ist auch der neue Satzschluss, der in einem, nicht zwei kurz aufeinanderfolgenden Höhepunkten endet.

 

In den Erstdruck der 2. Fassung (Verlag Haslinger) aus 1892 sind jedoch auch Stellen eingeflossen, die nicht so von Bruckner stammen, sondern in bester Absicht, jedoch unautorisiert, von Bruckners Freunden Franz Schalk und Max von Oberleithner eingefügt worden. Im Gegensatz dazu enthält er vor allem im letzten Satz mehrere Striche (von Bruckner nicht (!) abgelehnt). Diese Partitur wurden von Bruno Walter, Volkmar Andreae sowie Hans Knappertsbusch bei ihren Interpretationen genutzt. Im Jahre 1939 brachte Robert Haas eine Partitur heraus – sie wurde Originalfassung genannt –, die diese Stellen wieder ausmerzte, andererseits auch wieder einige Takte der Erstfassung übernahm sowie auf ihre Instrumentation zurückgriff, vor allem im Adagio. Der Musikologe Peter Hagmann äußerte sich über die Haas-Ausgabe folgendermaßen: „Sie reichert vielmehr die zweite Fassung der Partitur, die der Komponist 1890 erstellt hat, mit einzelnen, vom Herausgeber als notwendig, besonders sinnfällig oder schön erachteten Stellen aus der ersten Fassung von 1887 an“ (www.peterhagmann.com). Diese Mischfassung hatte auf dem Konzertpodium und bei Schallplattenproduktionen großen Erfolg und ebnete den Weg für Bruckners monumentale 8. Sinfonie. Auch heute noch findet sie immer wieder Verwendung. Pierre Boulez z.B. war der Auffassung, dass die Striche der Nowak-Partitur „manchmal die Symmetrie, die Logik und die Konstruktion“ störten (Booklet zur CD mit der 8. Sinfonie).

 

Leopold Nowak, ein Mitarbeiter des inzwischen verstorbenen Robert Haas, legte 1955 eine gereinigte Partitur der 8. Sinfonie vor, die die Modifikationen von Haas wieder rückgängig machte und Bruckners letzten Willen widerspiegeln sollte. Das betrifft vor allem die ersten beiden Sätze, bei denen ich in den Ausgaben von Haas und Nowak keine Abweichungen finden konnte. Auch die Nowak-Ausgabe wurde, jedoch nicht vom Herausgeber, als Originalfassung benannt. Das ist irreführend, korrekter sollte man von der Fassung 1887 und der Fassung 1890 sprechen, die vom Komponisten beide als gültig bezeichnet wurden. Dieser dachte selbst eher pragmatisch, endgültige Aussagen schien er zu vermeiden, wichtig war ihm, dass seine Musik aufgeführt würde. So äußerte er sich in einen Brief an Felix Weingartner im Januar 1891: „Wie geht es der achten? Haben Sie schon Proben gehabt? Wie klingt sie? Bitte sehr, das Finale so wie es angezeigt ist, fest zu kürzen; denn es wäre viel zu lange und gilt nur späteren Zeiten, und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern“ (zitiert aus: Dietmar Holland: Konzertführer, Rowohlt Verlag). Im Musikbetrieb hat sich die Nowak-Ausgabe gegenüber der von Haas jedoch nicht so recht durchsetzen können. Namhafte Dirigenten bekannten/bekennen sich ausdrücklich für die letztere, z. B. Wand, Haitink, Blomstedt, Thielemann und Boulez.

 

Hinweise zu den Sätzen:

 

1. Satz: Der Satz ist als alla breve bezeichnet, sollte also nicht zu langsam oder schleppend gespielt werden. Das zu Beginn von den tiefen Streichern vorgestellte Thema ist der Anfang des sogenannten Todesverkündigungs-Themas, das erst in den Takten 253-261 von den beiden Trompeten im Oktavabstand pp vorgestellt wird. Ab T. 271 sollen wir es erneut von den Trompeten vernehmen (jetzt statt auf c nun auf g), weiterhin sehr leise. Da das nahezu gesamte Orchester ff spielt, hat es jedoch keine Chance. Einige Dirigenten, wie Walter, van Beinum, Knappertsbusch-63, Kubelik-63 und Rögner, erlauben allerdings den Trompeten ein f. Erst am Satzende ab T. 368 darf sich das sogenannte Todesverkündigungs-Thema über 22 Takte lang im dreifachen Forte ausbreiten. Hier springen die Hörner den Trompeten zur Seite.

Bruckner notiert in den Takten 205-213 eine Klarinettenstimme, im bekannten Bruckner-Rhythmus (2 Viertel, Vierteltriole). Bei dem vorgesehenen pp können sich die beiden Klarinetten jedoch nicht gegen Hörner und Streicher durchsetzen, folglich sind sie nicht zu hören. Allein Mrawinsky, Kegel und Haitink-60 haben Erbarmen mit den beiden Bläsern.

 

2. Satz: Im Scherzo-Abschnitt (Mittelteil) verharren 1. Horn (immer mit kurzem Vorschlag) und Pauke ab T. 128 pp auf einem leeren C-Akkord. Die Geigen werfen aufsteigend jeweils zwei Achtel in b-Moll (pizz.) mit zunehmender Lautstärke in die Diskussion. In T. 134 übernehmen die drei Flöten diese Bewegung und bringen ihn zum Abschluss. Bruckner notiert hier folgerichtig f. Nur sehr wenige Interpreten (WF-44, Szell, Andreae, Knappertsbusch-51 und -63! Keilberth, Rosbaud, van Beinum, Karajan-WP, Kubelik sowie Kegel) erkennen den logischen Zusammenhang; bei der überwiegenden Mehrheit sind die Flötentöne nicht Ziel der Entwicklung, sondern nur ein Anhang, der ohne Spannung dasteht.

Im Trio schreibt Bruckner eine wunderbare Hornstelle (Ziff. D, T. 37-44), Harfen sorgen zusätzlich für einen sphärischen Klang. Hier sollte das 3. Horn nicht vernachlässigt werden. Am Ende wiederholt Bruckner diese Szene und reichert sie mit weiteren Bläsern an.

 

3. Satz: Nicht zum ersten Mal lässt Bruckner einen Satz, bevor das Thema vorgestellt wird, mit einem leisen Klangteppich der Streicher beginnen (s. 4. Sinfonie). Hier wiederholt der Komponist dies und greift dabei auf den Beginn des Liebesduetts „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ aus dem 2. Akt von Wagners Tristan und Isolde zurück, ohne Wagners rhythmische Struktur zu kopieren. Feierlich, sehr ruhig, keineswegs schwül soll die Musik der Streicher klingen und dem in Takt 3 beginnenden 1. Thema, vorgetragen von den 1. Geigen, einen tragfähigen Untergrund bieten. Einige Jahre später erinnert sich Richard Strauss bei der Komposition seiner Tondichtung Tod und Verklärung gleichfalls an diese Stelle, behandelt sie jedoch wie ein Thema, gleich zu Beginn und dann innerhalb des Werkes.

Beim zweiten Erscheinen des 2. Themas (T. 141 ff.) setzt Bruckner zusätzlich eine Solo-Violine (3 Spieler) ein, die sich jedoch nicht recht durchsetzen kann, da sie immer wieder von den anderen Instrumenten überlagert wird.

Nach dem ersten Höhepunkt bei den Ziffern O und P sollte nach Bruckners Wille in der Zweitfassung die Musik mit T. 209 (Ziff. Q) fortgeführt werden. Robert Haas fügt jedoch noch 10 Takte ein, die sich nicht in der umgearbeiteten Partitur finden.

Wenige Takte vor Satzende sollen die Hörner in T. 280 auf vier und T. 281 auf eins pausieren. Haas jedoch füllt die Lücke, indem er die drei Hornstimmen weiterspielen lässt.

 

4. Satz: Der letzte Satz wird wieder streckenweise vom Todesverkündigungs-Thema, oder dem Beginn desselben, beherrscht. Es steigert sich vor dem Finale zu einer erbittert klingenden Klage bei Ziffer Ss (T. 618-623). In den Schlusstakten verbindet Bruckner das Todesverkündigungsthema mit Themen(teilen) aus den vorangegangenen Sätzen und führt so das ganze Werk zu einem triumphierenden Abschluss in C-Dur.

Die vertrackte Paukenmelodie im Übergang von T. 16 zu T. 17 geht meistens im Getöse des Tuttiklangs unter. Lediglich Walter, Knappertsbusch-55 und -63, Wand, Goodall, Kubelik-63, Kegel und Suitner haben diese für den Zuhörer entdeckt. Von Ziffer O zu Ziffer P verzeichnet Nowak nur 4 Takte, Haas dagegen fügt 20 neue Takte hinzu, sie sind vermutlich der Erstfassung entnommen. Vergleichbar enthält die Haas-Partitur im Bereich von Ziffer Nn 14 weitere Takte, die sich auch bei Schalk/Oberleithner finden.

Bruckner verlangt für seine 8. Sinfonie ein sehr großes Orchester: Die Holzbläser sind dreifach besetzt, die Hörner sogar achtfach, wobei an besonderen Stellen Nr. 5 bis 8 jeweils Tenor- bzw. Basstuben übernehmen. Dazu kommt noch eine Kontrabasstuba. Auch Trompeten und Posaunen sind dreifach besetzt. Zu den Pauken treten noch ein Becken sowie ein Triangel. So ein umfangreicher Bläserapparat erfordert eine erweiterte Streicherbesetzung. Nicht vergessen werden sollen auch die drei Harfen, die der Musik an gewissen Stellen eine besondere Aura verleihen.

 

Zur Diskographie:

 

Bruckners 8. Sinfonie wurde im Vergleich zur 4., 5. und besonders der 7. Sinfonie erst relativ spät von der Schallplatten-Industrie entdeckt. Ein Werk von diesen Ausmaßen auf Schellackplatten zu bannen, war ein große Herausforderung, besonders auch im Hinblick auf potentielle Käufer. Erst mit der Einführung der Tonbandtechnik von Telefunken musste die Musik von den Technikern nicht mehr in Abschnitte von ca. 4½ Minuten gestückelt werden und es konnten nun ganze Sätze oder Werke an einem Stück aufgenommen werden.

Die m. W. erste (vollständige) Einspielung erfolgte 1944 im Haus des Rundfunks in Berlin mit Herbert von Karajan und der Preußischen Staatskapelle, der Kopfsatz ist allerdings verloren gegangen. Das Finale wurde von den Tontechnikern erstmals im zwei-Kanal-Ton, heute Stereo genannt, aufgezeichnet.

Die erste Platteneinspielung erfolgte 1949 mit Eugen Jochum und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg für die DGG, noch auf Schellackplatten, dazu wurden 21 Plattenseiten bespielt.

 

 

 1. Fassung 1887

 

5

Simone Young

Hamburger Philharmoniker

Oehms

2008

82‘09

 

live,

 

 

4-5

Michael Gielen

SWR Sinfonie-Orchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Music

2007

95‘24

 

live,

4-5

Kent Nagano

Bayerisches Staatsorchester

Farao

2007

99‘10

 

4-5

Eliahu Inbal

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

Teldec

1982

76‘09

 

 

 

4

Dennis Russell Davis

Bruckner-Orchester Linz

Arte Nova

2004

80‘07

 

live,

4

Georg Tintner

National Symphony Orchestra of Ireland

Naxos

1996

89‘22

 

 

 

3-4

Fabio Luisi

Philharmonia Zürich

Philharmonic Records

2015

92‘00

 

   

 

90 Jahre hat es gedauert, bis die Urfassung/Erstfassung von Bruckners 8. Sinfonie via Tonträger Musikfreundinnen und-freunden bekannt gemacht wurde. Es ist das Verdienst von Eliahu Inbal, dem damaligen Chefdirigenten des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt, neben den Erstfassungen der 3. und 4. Sinfonie auch die der 8. Sinfonie mit seinem Orchester einzuspielen. Ein Vorwagen, dass viele Jahre einzig blieb. Inbal bevorzugt einen schlanken Klang bei möglichst fließendem Musizieren und einer Dynamik, die sich ziemlich an den Vorgaben der Partitur orientiert. Extreme Auslegungen sind hier nicht zu finden, jedoch eine Affinität zum Werk hörbar. In der Aufnahme mit dem Linzer Bruckner-Orchester unter der Stabführung von Dennis Russell Davis dagegen wird m. E. zu sachlich musiziert, das Ergebnis bleibt eher neutral. Der langsame Satz ist hier ein Andante und klingt locker. Im Finale herrscht dagegen ein ruhiges Tempo vor, es fehlt der Drang nach vorn; als Hörer fühlt man sich kaum angegangen, geschweige denn betroffen und überwältigt. In der Aufnahme mit Georg Tintner wird Bruckners Musik extrem ausgebreitet, es hinterlässt den Eindruck von Langatmigkeit. Das helle Klangbild wird in den Tutti-Abschnitten von den Trompeten bestimmt.  Ein überwiegend ernsthaft anmutendes Musizieren erlebt der Hörer bei Kent Nagano und dem Bayerischen Staatsorchester, dessen Chefdirigent er damals war. Es wird mit viel Nachdruck gearbeitet, bei sehr guter dynamischer Differenzierung. Der Klang ist überwiegend breit und pastos, entsprechend sind die Tempi auch im Vergleich zu den anderen vorgestellten Aufnahmen gezogen. Hier entpuppt sich der Dirigent als Jünger des vormaligen Münchner GMD Celibidache, der mit einem langen Atem mehr die innere Glut der Sätze zu entfachen vermochte, als durch äußeren Pomp zu überzeugen versuchte. In diese Richtung geht auch die Interpretation von Fabio Luisi, der mit seinem Zürcher Opernorchester bei langsamen Tempi in allen Sätzen immer wieder mächtige Klangblöcke auftürmt. Der Klang gerät dabei etwas bräsig. Bei dieser Einspielung gewinnt man den Eindruck, dass eine Überarbeitung der Partitur geboten erschien. Mit spürbarer Hingabe und langem Atem breitet Michael Gielen die Erstfassung der 8. Sinfonie aus. Die Höhepunkte werden mit langer Hand angesteuert und dann ausmoduliert. Immer wieder erfreut eine fabelhafte Differenzierung sowie eine gute Balance zwischen den Orchestergruppen, wovon besonders die Holzbläser profitieren. Gielen sorgt für beste Transparenz und einen farbigen Klang. Leider ist das Tempo in allen Sätzen, außer dem Adagio, stellenweise auffallend zurückgenommen. Der letzte Satz klingt hier und da schon schwerfällig. Erwähnt seien noch lange Generalpausen, deren Sinn von Gielen im Booklet begründet werden.

 

An die Spitze stelle ich den Konzertmitschnitt mit Simone Young und ihren Hamburger Philharmonikern (ehemals Philharmonisches Staatsorchester Hamburg). Young kniet sich in die Partitur hinein und schafft bei prägnantem Zugriff viel Stringenz, aber auch klangliche Opulenz. Für mich das überzeugendste Plädoyer für die Urfassung/Erstfassung dieser Sinfonie.

Irritiert bin ich bei den Aufnahmen vom zweifachen Beckenschlag kurz vor Ende des Adagios, der von Aufnahme zu Aufnahme unterschiedlich gehandhabt wird. Bei Russell Davis sucht man ihn vergebens, bei Inbal und Nagano hört man zwei Schläge, beim ersteren ist der zweite Schlag jedoch sehr leise. Tintner, Gielen, Young und Luisi überraschen dagegen mit zweimal drei Beckenschlägen. Da ich keine Partitur der Erstfassung besitze, bin ich etwas ratlos, was Bruckner hier vorschwebte.

 

 

2. Fassung 1890 (Robert Haas)

 

5

Wilhelm Furtwängler

Wiener Philharmoniker

RRG    WFG     DGG    Orfeo

1944

76’54   Orfeo: 78‘43

 

5

Herbert Blomstedt

Gewandhausorchester Leipzig

Querstand

2005

83‘23

 

live, aufmerksames Dirigat, das kompositorische Geflecht offengelegt, Musik immer im Fluss und unter Spannung, II lichtdurchflutetes Trio, III sehr langsam, jedoch nicht schleppend, stellenweise zarte Abschnitte, die Takte nach dem HP bei Ziff. V sehr markig, wie es die Partitur verlangt, IV Blomstedt entdeckt T. 547 ff. eine Melodie im 5./6. Horn – gute Dynamik, Abstufungen beachtet, sehr gute Balance und Transparenz

5

Carl Schuricht

SDR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

1954

79‘37

 

live,

5

Hermann Abendroth

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig

Rundfunkmitschnitt      M & A

1949

78‘11

 

live, aufmerksames Dirigat, Dynamik nach Partiturvorgabe, an vielen Stellen nach spätromantischer Art, cresc. mit accel. gekoppelt, I feierlich, breit, Themen in unterschiedlichen Tempi, II lebendiges Scherzo, Trio: 3. Horn bei Ziff. D nicht vernachlässigt, III molto espressivo, mit langem Atem, Trp. beherrscht nicht den Bläserklang bei Tutti-Stellen, tritt eher als Signal hervor, IV Tempokontrast zum vorherigen Satz, überwiegend lebendig, keine übertriebenen Rubati – kompaktes, aber präsentes Klangbild, wenig Publikumsgeräusche, von Zeit zu Zeit leise Verkehrsgeräusche

5

Michael Gielen

SWR Sinfonie-Orchester Baden-Baden

hänssler

1990

83‘57

 

Gielens erste Aufnahme, I spannungsreiche Darstellung, Inspiration vom 1. Takt an, intensive Fermate T. 340, II kraftvoll, jedoch im Vergleich langsames Tempo, aufgehelltes Trio, III farbiges Spiel, subtil differenziert, viele ausdrucksvolle Partien der Blechbläser auch außerhalb der Tuttistellen, überzeugend – gute dynamische Differenzierung, helles Klangbild

5

Eduard van Beinum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1955

72‘15

 

5

Joseph Keilberth

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

Orfeo

1966

79‘10

 

I die innere Dramatik freigelegt, Sinn für Proportionen, große Bögen, Inspiration, Spannung, II Trio Hörner T. 21/23 etwas leise, auch bei Ziff. D, atmosphärisch dichtes Musizieren, von langer Hand vorbereiteter Höhepunkt bei Ziff. V, IV gewichtig, immer wieder neue Spannungsbögen, zusätzliche Triangel T. 495-500 – gute Balance und Transparenz

5

Günter Wand

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

DHM        EMI     RCA

1979

80‘34

 

5

Günter Wand

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

RCA

1987

86‘11

 

live,

5

Günter Wand

Berliner Philharmoniker

RCA

2001

86‘50

 

live,

5

Günter Wand

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Profil Hänssler

1994

86‘42

 

live,

 

 

4-5

Jascha Horenstein

London Symphony Orchestra

BBCL

1970

81‘34

 

live, im Vergleich zur früheren Vox-Aufnahme aus Wien bedient sich der Dirigent jetzt wieder der Haas-Partitur, immer deutliches Musizieren, abgesehen vom 3. Satz langsamere Tempi, die hellklingenden Trompeten stechen auch dem Tutti-Klang heraus, vorteilhaft auf dem Höhepunkt bei Ziff. V, insgesamt helles und transparentes Klangbild

4-5

Wilhelm Furtwängler

Berliner Philharmoniker

Electrola     audite

1949

78‘37

 

4-5

Wilhelm Furtwängler

Berliner Philharmoniker

audite

1949

75‘53

 

live,

4-5

Günter Wand

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

RCA

1993

88‘01

 

live,

4-5

Günter Wand

Münchner Phiharmoniker

Profil Hänssler

2000

88‘18

 

live,

4-5

Eduard van Beinum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Tahra

1955

72‘10

 

live,

4-5

Rafael Kubelik

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

1977

78‘02

 

live,

4-5

Pierre Boulez

Wiener Philharmoniker

DGG

1996

76‘02

 

live, durchgehend bewegtes Musizieren, aufmerksames Dirigat, keine starren Tempi, insgesamt sehr klar, keinesfalls blutleer, an einigen Stellen Kopplung von cresc. und accel., wie man es von romantisch-orientierten Dirigenten her kennt; helles Klangbild mit leuchtenden Farben, gute Balance und Transparenz, II schnelles Scherzo, bewegtes Trio mit etwas weniger Espressivo, III an Atmosphäre wird etwas gespart

4-5

Christian Thielemann

Sächsische Staatskapelle Dresden

Profil Hännsler

2009

82‘02

 

live,

4-5

Christian Thielemann

Wiener Philharmoniker

Sony

2019

81‘21

 

live,

4-5

Carl Schuricht

Sinfonie-Orchester des NDR Hamburg

Tahra

1955

79‘18

 

live,

4-5

Christoph von Dohnanyi

Cleveland Orchestra

Decca

1994

81‘53

 

Musik bestens durchgeformt, ausgeglichen, klangschöne Aufnahme, Adagio trotz langsamen Tempos eher sachlich als innerlich, sehr gute Balance und Transparenz

4-5

Eugen Jochum

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

DGG

1949

82‘25

 

4-5

Eugen Jochum

Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks

Tahra

1949

78‘40

 

live,

4-5

Otmar Suitner

Staatskapelle Berlin

Eterna      Berlin Classics

1986

80‘17

 

Suitner lässt sich erfolgreich auf das Potential der Musik ein, aufmerksames Dirigat, atmet mit der Musik, sprechende Artikulation, gute Balance, ausgewogen; gute Differenzierung, auch in der Dynamik; ausgeglichener Klang, kein aufgesetztes Pathos – IV deutliche Pauke bei Ziff. A

4-5

Herbert Kegel

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig

Eterna    Pilz

1975

79‘02

 

Aufmerksames Dirigat, Klangbild sehr gut aufgefächert, nie dick, kommt Holzbläsern sehr zu Gute, auch Streichern, die nicht als Block, sonders als Einzelstimmen wahrgenommen werden; aber auch die Architektur wird genau nachgezeichnet, große Bögen. Keine kompakte Darstellung wie in einer dunklen Kathedrale. Trompeten zuweilen etwas scharf klingend, III 1. Tenor-Tuba mit leichtem Vibrato

4-5

Hans Rosbaud

Sinfonie-Orchester des SWF Baden-Baden

SWR Classic

1955

72‘30

 

I bewegt, Allegro, zielstrebig nach vorn, selbstverständliche Perfektion, mit einer gewissen Strenge und Sachlichkeit, objektive Art, für die Aufnahmezeit gute Transparenz, II keine herausgehobenen Höhepunkte, bewegtes Trio, III hier lässt Rosbaud auch Emotionen zu, großartiger HP bei Ziff. V, IV schneller als Bruckner erwartete, so treten jedoch die mit langsamer oder noch langsamer gekennzeichneten Stellen deutlicher hervor

4-5

Bernard Haitink

Wiener Philharmoniker

Philips

1995

83‘04

 

4-5

Bernard Haitink

Sächsische Staatskapelle Dresden

Profil Hänssler

2002

83‘57

 

live,

4-5

Marcus Bosch

Sinfonieorchester Aachen

Coviello Classics

2004

75‘48

 

live, schlankes Musizieren evoziert schlanken Klang sowie sehr gute Transparenz, deutliche Stimmführungen, sehr gute dynamische Differenzierung, auch im p-Bereich, überwiegend sachliches Musizieren, ohne Schwulst, Anzahl der Streicher nicht erweitert, III fließendes Tempo, Themen nicht durch Tempomodifikationen voneinander abgesetzt – insgesamt moderne Interpretation, aufmerksames Publikum

4-5

Günther Herbig

Radio-Sinfonie-Orchester Saarbrücken

Perc.pro

2002

79‘10

 

live, geradliniges Musizieren, überwiegend sachlich und prägnant, Sinn für Proportionen, immer wieder Blick auf Details, sehr gute Dynamik, helles Klangbild, I anfangs Prägnanz etwas zurückgenommen, II, Blech bei Ziff. G und H nicht in bester Balance, III zart, IV bei Ziff. O einige Takte weggelassen – keine Publikumsstörungen

4-5

Yannick Nezet-Sequin

Rotterdam Philharmonic Orchestra

DGG

2016

86‘34

 

I gelassen, mehr Spannung als bei HvK, unmotivierte Temporücknahme T.69/70, 1. Tenor-Tuba bei Ziff. H mit leichtem Vibrato, Geigen stellenweise mit überhöhtem Bogendruck, III trotz langsamen Tempos bleibt die Musik im Fluss, Harfen zu leise, dynamisch nicht geschichtet, IV auch an lautesten Stellen Musik nie zu dicht – überwiegend schlankes Musizieren, jedoch keineswegs nüchtern, gute Balance und Transparenz

 

 

4

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1975

82‘12

 

4

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

EMI

1957

86‘40

 

4

Herbert von Karajan

Wiener Philharmoniker

Andante

1957

80‘29

 

live,

4

Herbert von Karajan

Wiener Philharmoniker

DGG

1988

82‘34

 

4

Rudolf Kempe

Tonhalle-Orchester Zürich

Somm

1971

82‘10

 

überwiegend lebendiges Musizieren, spätromantischer Bruckner-Tonfall, cresc. werden mit accel. verbunden, Tutti-Abschnitte etwas plakativ, II Scherzo mit viel Drive, Trio im Andante Tempo, 3. Horn bei Ziff. D gut zu hören, III weniger geheimnisvoll, Triangel bei den Beckenschlägen hörbar gemacht, IV Intonation der Hörner und Trp. nicht immer über alle Kritik erhaben – Kempe lässt Bruckners blockhafte Instrumentation durchklingen, Trp. im Tutti manchmal (zu) breit, Dynamik im p-Bereich nicht ausgeschöpft

4

Gennadi Roshdestvensky

Staatliches Sinfonie-Orchester des Kultusministeriums der UdSSR

Relevation

1984

78‘43

 

I aufmerksames Dirigat, Musik bleibt im Fluss, gute Transparenz, T. 113 ff. accel. gekoppelt mit cresc., T. 303-305 Fg. nicht vergessen, ebenso Horn T. 361-363, III ausdrucksvoll musiziert, 1. Ten.Tuba T. 67-70 mit Vibrato, T. 91-94 breit wie WF-44, Klangspektrum auf dem Höhepunkt bei Y etwas komprimiert, IV letzter Satz beim Orchester leider nicht so konzentriert wie in den vorigen Sätzen, Störung T. 120, Becken T. 499 – Blech bei Einsätzen nicht immer Hundertprozent zusammen, einige Hornkiekser

4

Takasi Asahina

Osaka Philharmonic Orchestra

Disques Jean-Jean

1976

84‘41

 

live, sorgfältig musiziert, Orchesterspiel jedoch nicht immer auf höchstem Niveau, etwas eingeebnete Dynamik, im Tutti Blech oft zu breit, II etwas gezogen, im Trio bei Ziff. D deutliches 3. Horn, III Musik geschieht, entwickelt sich nicht, IV am Satzende ab Ziff. Vv wünschte man sich mehr Spannung – achtbare Interpretation, die aber nicht sonderlich herausragt

4

Reginald Goodall

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1969

88‘26

 

I molto moderato, zu zögerlich, guter Aufbau, viele Details, ansprechende Dynamik, II im Tempo nicht so extrem wie Satz 1, III manchmal wünschte man sich noch mehr Nachdruck, z. B. nach dem Höhepunkt bei Ziff. V, IV breites Musizieren, auch etwas zögerlich, monumental, kräftige Tutti-Höhepunkte, 2. Tenor-Tuba bei T. 690-694 etwas zu leise, eindringlicher Schluss – Blech nicht so geschmeidig wie bei anderen Top-Orchestern, gute Balance und Transparenz

4

Rafael Kubelik

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Orfeo

1963

74‘11

 

live,

4

Bernard Haitink

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1960

73‘45

 

4

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna     Eurodisc     RCA

1978

81‘48

 

an der Partitur entlang musiziert, kaum eigene Akzente, Stimmführungen nicht immer mit höchster Deutlichkeit, Dynamik im f-Bereich etwas pauschal, Klang nicht immer genügend aufgefächert, I Oboe bei Soli mit Vibrato, gezogen, IV wenig Spannung

4

Jewgenij Mrawinsky

Leningrader Philharmonie

Melodya     BMG

1959

73‘33

 

Interpretation und Aufnahmetechnik liegen weit auseinander, laute Tutti-Anschnitte von Trompeten und hohen Streichern beherrscht, wenig Transparenz, kompakt – I bewegt, II drängend, vital, Trio auch schneller, wenig Kontrast zum Scherzo, III anfangs zu laut, eingeebnete Dynamik, später mehr p, eine Innerlichkeit stellt sich kaum ein

4

Daniel Barenboim

Berliner Philharmoniker

Teldec

1994

76‘54

 

live, fließendes Musizieren, mangelnde Abstufungen im f-Bereich, führt u. a. auch zu undifferenziertem bräsigem Klang, andererseits ausdrucksvolle Bläserpartien, II Klarinette T. 11-14 zu leise, sollte sich vor dem Streichertremolo abheben, III sehr ruhig, jedoch nicht schleppend – insgesamt etwas nüchtern, vor allem im letzten Satz; Bruckner in Verlaufsform, hat den Hörer im Konzertsaal mehr überzeugt als vor den Lautsprechern

4

Daniel Barenboim

Staatskapelle Berlin

DGG

2010

76‘57

 

live, I schwerfälliger als zuvor, Klangbild im Vergleich kompakter und etwas mulmig bei Streichern und im Tutti, II Klarinette wie 1994, Spannungseinbruch bei Ziff. M, Ziff. P Trompete bei den wechselnden Rhythmen nicht deutlich, Trio: Musik weniger geformt, IV Tempi flexibler als früher, cresc. gekoppelt mit accel., insgesamt mit geringerer Spannung

 

 

3-4

Carlos Païta

The Philharmonic Symphony Orchestra

Lodia

1982

73‘46

 

Abgesehen vom 3. Satz wählt Païta schnellere Tempi als üblich, durchgehend bewegtes Musizieren, Blech in Tutti-Abschnitten zu dominierend, darunter leiden auch die Streicher, insgesamt sachlicher Vortrag, I 2. Todesverkündung T. 271-277 hörbar gemacht, jedoch kein pp, II Tutti-Abschnitte knallig, langsames Trio, bei E Tempo noch zurückgenommen, IV im Finale bei Ziff. Yy Paukengalopp

 

 

3

Heinz Rögner

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin

Eterna      Berlin Classics

1985

74‘53

 

I sehr bewegt bis drängend, robust, sollte Bruckner an Liszt gedacht haben? Stimmführungen nicht immer klar, II Scherzo etwas pauschal wie heruntergespielt, 3. Horn im Trio bei Ziff. D und K deutlich, III man vermisst hier ein feinfühliges Vorgehen, Dynamik zu pauschal – Musik kommt immer sehr direkt aus den Lautsprechern

 

2. Fassung mit Änderungen von Franz Schalk und Max von Oberleithner

   

5

Hans Knappertsbusch

Münchner Philharmoniker

Westminster    MCA

1963

85‘23

 

5

Volkmar Andreae

Wiener Symphoniker

ORF-Aufnahme   M&A

1953

72‘08

 

bewegtes Musizieren, immer deutlich, klare Linien, überwiegend sachlicher Stil, ziemlich feste Tempi, sehr gute Transparenz, II Hörner im Trio bei Ziff. D ausgewogen, III formende Hand des Dirigenten auch bei Nebenstimmen spürbar, IV bewegt, die letzten Takte des Finales trotz ihrer Massivität immer transparent – emotionale Betroffenheit an Höhepunkten weniger stark, etwas harter Klang

 

 

4-5

Hans Knappertsbusch

Berliner Philharmoniker

audite

1951

78‘27

 

4-5

Bruno Walter

New York Philharmonic Orchestra

Iron needle   M&A      

1941

74‘06     M&A:  77‘50

 

live, lebendiges Musizieren, kompakter Klang, Rauschen und Rumpeln der Acetatplatten, II Trio Musik bei Ziff. G wie triumphierend, III mit viel Nachdruck, besonders nach dem HP bei Ziff. W

 

 

4

Hans Knappertsbusch

Bayerisches Staatsorchester

Orfeo

1955

69‘29

 

live,

 

 

3

George Szell

Concertgebouw Orchester Amsterdam

APL

1951

70‘27

 

live,

 

2. Fassung 1890 (Leopold Nowak)

   

5

Stanislaw Skrowaczewski

Radio-Philharmonie Saarbrücken

Arte Nova      Oehms

1993

82‘09

 

Intensität, Liebe zum Detail, Bruckners Dynamik übernommen, überwiegend schlankes Blech, III berührend zu erleben, wie Skrowaczewski die Musik immer wieder bis auf ein Nichts zurücknimmt, um danach aus der Stille einen neuen Bogen überzeugend aufbaut, spannungsvoller Satzschluss, IV stringentes Vorgehen, jedoch Einschub aus Haas-Version – farbiges Klangbild mit sehr guter Transparenz

5

George Szell

Cleveland Orchestra

CBS    Sony

1969

82‘02

 

5

Otto Klemperer

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

medici arts

1957

71‘53

 

live,

5

Carl Schuricht

Wiener Philharmoniker

EMI

1963

71‘12

 

5

Karl Böhm

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

EMI

1974

73‘39

 

live,

5

Carlo Maria Giulini

Wiener Philharmoniker

DGG

1984

87‘31

 

5

Carlo Maria Giulini

Berliner Philharmoniker

Testament

1984

84‘25

 

live,

5

Carlo Maria Giulini

Philharmonia Orchestra London

BBCL

1983

85‘09

 

live,

5

Eugen Jochum

Berliner Philharmoniker

DGG

1964

77‘28

 

5

Eugen Jochum

Staatskapelle Dresden

EMI

1976

76‘02

 

5

Sergiu Celibidache

Sinfonie-Orchester des SDR Stuttgart

DGG

1976

83‘00

 

live,

5

Jascha Horenstein

Pro Musica Orchester Wien

Vox

1955

76‘37

 

Tempokonstanz in den jeweiligen Abschnitten, die Blockhaftigkeit in der Konstruktion offengelegt, immer sehr klares Musizieren, nicht misterioso, kein Weihrauch, II sehr transparent, III sehr gute dynamische Abstufungen, T. 99 Horn spielt hier die Haas-Vorlage! – helles Klangbild, bei Tutti-Stellen jedoch kompakt, bei Horenstein besteht nie die Gefahr, dass der Hörer von Bruckners Musik erschlagen werden könnte

5

Georg Solti

Wiener Philharmoniker

Decca

1966

76‘38

 

I volle Spannung bereits in den ersten Takten, Orientierung an Bruckners Dynamik, Stimmführungen offengelegt, lauter- und schnellerwerden oftmals miteinander verbunden, II sehr lebendig, spannungsgeladen, III überall wird Soltis formende Hand spürbar, Intensität!! – sehr gute Transparenz und Balance

5

Mariss Jansons

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2017

80‘08

 

live, geschmeidiges Musizieren, gute p-Kultur, klares Klangbild bei guter Transparenz, überwiegend weiches Blech, I „Todesverkündung“ der Trp. T. 255-261 am Ende der Durchführung auch zu Beginn der Reprise T. 271-277, leise, aber deutlich, II bewegtes Trio, III Espressivo nicht voll ausgefahren, IV immer wieder Details – Bruckner ohne verborgene und/oder nicht erlöste Geheimnisse

5

Giuseppe Sinopoli

Sächsische Staatskapelle Dresden

DGG

1994

85‘46

 

I feierlich, ernst, mit viel Nachdruck, bei lauten Tutti-Stellen etwas schneidende Trp., II Trio deutlich langsamer, feierlich, III gezogen, aber eindringlich, Intensität – sehr breite Klangpalette, laute Tutti-Stellen massiv, bullig, Gegenpol zur geschmeidigeren Solti-Aufnahme mit den WPh

5

Gerd Albrecht

Tschechische Philharmonie Prag

Canyon

1994

82‘07

 

I Bruckner pur, ohne die Kanten abzuschleifen, ohne Weihrauch, feste Tempi, II Bruckners Dynamik umgesetzt, überzeugende Tempogegensätze zwischen Scherzo und Trio, III richtige Mischung aus Herbheit und weichem Musizieren, mit viel Spannung aufgeladen, geformter Klang, IV bezwingendes Finale – Tschechische Philharmonie bietet guten Bruckner-Klang, Klangbild könnte etwas mehr in die Breite gehen, Holzbläser zeitweise etwas zurück

5

Marek Janowski

Orchestre de la Suisse Romande

Pentatone

2010

79‘30

 

ohne aufgesetztes Pathos musiziert, klar, entfettet, meistens übersehene Holzbläserstimmen treten dezent hervor, hervorragend abgestimmte Dynamik, durchgehend fließende Tempi, II 3. Horn bei Ziff. D und I deutlich, IV Abwechseln der Hörner und Trp. bei Ziff. Ww bestens gelungen

 

 

4-5

Riccardo Chailly

Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam

Decca

1999

78‘46

 

I Blick auf Stimmführungen, trotz nicht übermäßig schnellen Tempos stringent, Dialog zwischen Bässen und 1. Horn T. 204 ff. nicht übersehen, II Tempogegensätze nicht überspielt, III Chailly zeigt ein Gespür für diese Musik, ohne die emotionale Komponente zu sehr zu strapazieren, IV überwiegend festlich – ausgewogenes Klangbild, besonders im Hinblick auf die Blechbläser

4-5

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

Sony   Japan

1990

96‘23

 

live Tokyo,

4-5

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1993

105‘03

 

live München,

4-5

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

Contrapunktus XIX

1994

101‘49

 

live Lissabon, – mit Zwischenpausen gemessen!

4-5

Karl Böhm

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

audite

1971

75‘42

 

live,

4-5

Karl Böhm

Wiener Philharmoniker

DGG

1976

79‘36

 

4-5

Jaap van Zweden

Radio Philharmonisches Orchester der Niederlande

Challenge

2011

79‘00

 

I van Zweden stellt sich hinter das Werk, sorgfältig erarbeitet, objektive Darstellung, aufmerksames Dirigat, II Hörner im Trio T. 21-23 zu leise, III mit langem Atem, Tempogegensätze zwischen Scherzo und Finale betont – klangschöne Aufnahme

4-5

Lorin Maazel

Berliner Philharmoniker

EMI

1989

79‘26

 

I klangliche Gestaltung scheint Vorrang vor rhythmischer zu haben, Mischklang, breite Dynamik, II geringe Tempogegensätze zwischen Scherzo und Trio, III etwas nüchtern, teilweise auch etwas spannungsarm

4-5

Otto Klemperer

New Philharmonia Orchestra London

EMI

1970

84‘00

 

 

 

4

Wilhelm Furtwängler

Wiener Philharmoniker

Orfeo

1954

79‘14

 

live,

4

Mario Venzago

Konzerthausorchester Berlin

CPO

2011

75‘12

 

live - nach Angabe des Dirigenten eine Interpretation, die von Pathos, Feierlichkeit, üppigem Orchesterklang und Langsamkeit gereinigt wurde, I klares Musizieren, weitgehender Verzicht auf Vibrato, schnelleres Tempo als üblich, in lauten Tutti-Abschnitten Stimmführung nicht immer klar, II im Trio mehrmalige Tempowechsel, IV auch hier Tempowechsel – in den Ecksätzen mehr Allegro, stellenweise etwas nüchtern

4

Lorin Maazel

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

1999

85‘17

 

live, in allen Sätzen langsameres Tempo gegenüber früher, I bei lauten Tutti-Abschnitten auch etwas schwerfällig, z. B. bei Ziffern L und M, II geringe Tempogegensätze zwischen Scherzo und Trio, Bläserpartien im Trio gut aufgelichtet, III sehr gezogen, Maazel zeigt die Schönheiten dieses Satzes, IV Musik scheint sich selbst zu genügen

4

Stefan Blunier

Beethoven-Orchester Bonn

MDG

2011

88‘17

 

live, sorgfältig erarbeitet, ziemlich feste Tempi während der Sätze, jedoch nicht immer von Vorteil, so bleibt die Interpretation etwas distanziert/neutral, ohne Brucknersches Herzblut, gute Differenzierung (z. B. III T. 78-80), an Höhepunkten etwas (zu) breiter Klang, gute Balance und Transparenz, I T. 205 ff. ohne Klarinetten, II Ziffer H Abwechseln der Hörner nicht zu hören, III auf dem Höhepunkt bei Ziffer V Becken eine Idee zu früh, IV Klarinette T. 127-129 von Horn verdeckt – zusätzlich drei Einschübe von Haas übernommen

4

Jewgenij Svetlanov

Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR

Melodya     Scribendum

1981

78‘52

 

engagiertes Musizieren, insgesamt lebendige Gestaltung, I schneidende Trompeten bei Tutti-Passagen beherrschen zur sehr den Blech-Klang, II Harfen mit Stahlsaiten, insgesamt holzschnittartiges Klangbild

4

Stanislaw Skrowaczewski

Yomiuri Nippon Symphony Orchestra

Denon

2010

78‘05

 

live, wie bei SR 1993 immer schlankes Musizieren, jedoch mehr kontrolliert als emotional aufgeladen, insgesamt sparsamer Umgang mit Espressivo, letztlich etwas distanziert, abgesehen vom Scherzo schnellere Tempi als früher, III Streicher mit wenig Vibrato, IV weniger Spannung als früher, Pk. fehlt T. 16, an ff- Stellen fehlt es an Druck, bei den Ziffern V und X kein ff, es klingt, als müsste man sich die Kraft für die letzten 13 Takte aufheben

4

Andris Nelsons

Gewandhausorchester Leipzig

DGG

2019

81‘23

 

mehr sachlich als emotional, sehr gute p-Kultur, I Auftakt Achtel/Sechzehntel bei lauten Tutti-Stellen oft verschluckt, Balance nicht immer wie gewünscht, z. B. T.279 ff. oder T. 314/315, T. 322, wenig Espressivo T. 338-340, II Trp. im Tutti nicht top, III Stimmführungen nicht immer deutlich, Spannung nicht immer auf höchstem Level, Generalpause vor Ziffer W, IV beim Dialog von Horn und Klarinette T. 57-62 letztere zu leise, Horn T. 202 ff. versteckt, insgesamt jedoch überzeugendster Satz – etwas enges Klangbild

4

Lovro von Mataćić

NHK Symphony Orchestra

Denon

1984

74‘10

 

live, bewegtes Musizieren, Tempowechsel, überwiegend sachlicher Stil, etwas wie distanziert, ohne Herzblut, die Tenor- und Basstuben strahlen keine Wärme aus, an der Partitur entlang musiziert, gute Transparenz, III Trio gefällt besser

4

Zubin Mehta

Israel Philharmonic Orchestra

Sony

1989

80‘42

 

I mehr referiert als Sinnzusammenhänge aufgespürt, mehr Einzelabschnitte, keine durchgehende Spannung, laute Tutti-Abschnitte vom Blech beherrscht, II Stimmführungen nicht immer deutlich, Flöte T. 134 nicht als Ziel einer Entwicklung dargeboten, III (Begleit-)Rhythmus der tiefen Streicher ohne rechte Kontur, sehr ruhig, fast schon zäh, IV einige nicht vorgesehene Accelerandi, eher leicht als schwergewichtig– traditionelle Lesart, mehr auf der diesseitigen Seite verordnet

4

Jesús López-Cobos

Cincinatti Symphony Orchestra

Telarc

1993

76‘11

 

uneinheitliche Aufnahme, einige kammermusikalische Abschnitte, I anfangs kein pp, Blech beherrscht bei Tutti-Stellen zu sehr das Klangbild, führt zu Klangbrei, II T. 183 ff. Blech bei lauten Passagen wie eine Banda, Trio zu bewegt, III überzeugendster Satz, IV zwei Einschübe T. 238 f und nach T. 636 (4 Takte von Haas)

4

Nikolaus Harnoncourt

Berliner Philharmoniker

Teldec

2000

82‘20

 

live, I sehr deutliches Musizieren, präzise, mit großer Ruhe, breite Klangpalette, jedoch vergleichsweise karger Klang, wenig saftig, asketisch, kühl, III zu Beginn Stillstand, fast Ratlosigkeit, geringere Spannung

 

 

3-4

Klaus Tennstedt

London Philharmonic Orchestra

EMI

1982

75‘28

 

3-4

Klaus Tennstedt

Berliner Philharmoniker

Testament

1981

76‘21

 

live,

3-4

Franz Welser-Möst

Gustav Mahler Jugendorchester

EMI

2002

78‘46

 

live, I zügig, geschäftiges und holzschnittartiges Musizieren, stellenweise auch etwas grob, bei lauten Tutti-Stellen schneidend klingende Trp., III ragt über die anderen Sätze hinaus, mit mehr Ruhe gespielt – Balance nicht immer nach Wunsch der Partitur, eine Momentaufnahme des ad-hoc-Orchesters, Mitschnitt gewiss nicht als Aufnahme für die Ewigkeit gedacht

 

 

 

 

 

 

 

 

 Hinweise auf Interpreten und Interpretationen

 

Carl Schuricht

Wie wenige Dirigenten der älteren Dirigentengeneration, aus Sicht der Tonkonservierung müsste man sagen ältesten, ist Schuricht noch im hohen Alter offen geblieben für neuere Erkenntnisse in der Bruckner-Forschung. Im Falle der 8. Sinfonie wechselte er nach Erscheinen der Partitur von Nowak (1955) von der Haas-Ausgabe (1939) zu dieser Neuausgabe. Bei den beiden älteren Konzertmitschnitten aus Stuttgart und Hamburg liegen noch die Stimmen der Haas-Ausgabe auf den Pulten der Musiker, einige Jahre später müssen die Wiener Philharmoniker nach der Nowak-Partitur musizieren, vermutlich zum ersten Mal in ihrer Berufslaufbahn. Schurichts Auffassung hat sich dabei jedoch kaum geändert, abgesehen davon, dass er mit zunehmendem Alter schneller wird. Der Kopfsatz klingt immer lebendig, die Spannungsbögen entwickeln sich recht organisch, die Musik läuft wie selbstverständlich. Auch bei langsameren Stellen steht die Musik nie still. Temperamentvoll, vital lässt der Dirigent das Scherzo vorüberziehen und setzt das Trio deutlich ab. Auffallend hier ist das stabile Tempo. Die Musik des Adagios strahlt eine große Ruhe aus und besitzt viel Spannung, auch noch in der letzten – schnellsten – Aufnahme aus Wien herrscht eine große Intensität vor. Schuricht wechselt jedoch nicht vom Konzertsaal in einen Kirchenraum, strebt keine Andacht an. Konzentriert und kraftvoll wird das Finale gespielt. Klanglich ist die Wiener Studio-Aufnahme den beiden Konzert-Mitschnitten klar überlegen, wobei die Techniker des SDR eine bessere Leistung hinterlassen haben als die vom NDR. Hier hört man auch immer wieder Publikumsgeräusche.

Hier noch einige Details zu den einzelnen Aufnahmen: Stuttgart 1954: Trotz des etwas eingeengten Klangbildes, sind die beiden Klarinetten T. 205 ff. noch vernehmbar, auch bei den Wiener Philharmonikern. In Hamburg hört man sie nicht. Die sog. „Todesverkündigung“ der Trompeten ist im letzten Tutti-Abschnitt genau herausgearbeitet. In den Takten 198 ff. klingen die Hörner zu leise, ist es etwa eine Ermüdungserscheinung nach ständigem Einsatz?

Hamburg 1955: Der Klang der Blechbläser ist weniger gepflegt als in den anderen Aufnahmen. Vor allem stechen die Trompeten oft zu sehr heraus. Bei fff-Stellen nimmt die Tontechnik den Klangpegel etwas zurück. Die „Todesverkündigungs-Stelle“ der Trompeten T. 271 ff. und zum Schluss erklingt zu laut. Im Finale zieht Schuricht beim 3. Thema das Tempo etwas an. Insgesamt ist die Balance bei lauten Tutti-Stellen zugunsten des Blechs verschoben, die Streicher sind dort zu sehr zurückgenommen.

Wien 1963: Bester Klang gekoppelt mit der besten Balance und Transparenz. Im 3. Satz lässt er die Hörner in den Takten 279-282 nach Haas spielen und streicht im Finale die Takte 212-214.

 

Otto Klemperer

Zu Beginn von Klemperers Schallplattenkarriere entstand im Jahre 1924 eine Aufnahme von Bruckners 8. Sinfonie mit der Preußischen Staatskapelle Berlin, jedoch nur das Adagio, im Trichterverfahren für Polydor aufgenommen und auf 7 Schellackplatten veröffentlicht, heute als CD-Version von archiphon vertrieben. Gern hätte man auch die anderen drei Sätze in der Interpretation des Dirigenten gehört, jedoch war die Zeit für ein solches Großprojekt, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, noch nicht gekommen. Wolfgang Georgy berichtet im Booklet dieser Veröffentlichung von vielbeachteten live-Aufführungen der 8. Sinfonie, die der Plattenaufnahme vorangingen. Der Musikwissenschaftler Hugo Leichtentritt war von einer Berliner Aufführung durch Klemperer so begeistert, dass er in der dritten Auflage seines damals als Standardwerk gehandelten Lehrbuches „Musikalische Formenlehre“ das neu hinzugefügte Kapitel über Bruckners 8. Sinfonie Otto Klemperer widmete. Nach der Vertreibung des Dirigenten aus Deutschland 1933 und seiner Emigration in die USA wird seine Aufnahmetätigkeit unterbrochen. Erst nach seiner Rückkehr nach Europa nimmt das US-amerikanische Label Vox Klemperer unter Vertrag und produziert in den frühen 1950er Jahren eine Anzahl von Aufnahmen, die überwiegend in Wien getätigt werden. Darunter befindet sich Klemperers zweite Aufnahme einer Bruckner-Sinfonie, der (vollständigen) 4. mit den Wiener Symphonikern. Eine Aufnahme der 8. Sinfonie erfolgte 1970 am Ende seiner Aufnahmetätigkeit mit dem New Philharmonia Orchestra, für den erkrankten Dirigenten eigentlich schon zu spät. Musikfreunde können froh sein, dass in den Schallarchiven einiger Rundfunksender Mitschnitte von Konzerten Klemperers mit ihren Orchestern erhalten geblieben sind, so in Köln beim WDR, wo Klemperer in den letzten Jahren seiner (Spät-) Karriere regelmäßig zu Gast war. Dort entstand 1957 eine Aufnahme der 8. Sinfonie, die seit wenigen Jahren vom Label medici arts auf dem CD-Markt gebracht wurde. Es ist ein überzeugendes Plädoyer für diese Sinfonie: völlig unsentimental, jedoch sehr eindringlich breitet der Dirigent die Musik aus, stringent, spannungsvoll und mit großer Intensität. Die Stimmführungen sind gut zu verfolgen und Bruckners dynamische Vorgaben werden beachtet. Im langsamen Satz wird das Tempo nicht zerdehnt, die Musik klingt dann stellenweise nicht so explizit feierlich wie anderswo. Die Mono-Aufnahme klingt präsent mit hinreichender Transparenz, allerdings dringen die Holzbläser nicht immer so durch, wie es die Partitur vorsieht.

Ein besseres Klangbild bringt die Studio-Aufnahme aus London. Klemperer verfügt immer noch über den langen Atem um ein gewaltiges Werk wie diese Sinfonie durchzustehen, jedoch gelingt es ihm am Ende seiner Karriere nicht mehr so zwingend, die Musik hinreichend zu formen. So sind die Tempi merklich zurückgegangen, das Trio im 2. Satz klingt zu gezogen. Das Finale kürzt Klemperer mittels zweier Striche. Am überzeugendsten klingt hier das Adagio.

 

Wilhelm Furtwängler

Von vielen Musikfreunden wird Furtwängler als der maßstabsetzende Interpret von Bruckners 8. Sinfonie angesehen. Wie er sich in die Musik hineinkniet und ausdrucksvoll zu Gehör bringt, ist für diese nahezu einzigartig. Das Tragische in diesem epochalen Werk ist bei Furtwängler in besten Händen. Diese Meinung kann ich nachvollziehen, auch wenn ich mir stellenweise andere Lösungen vorstelle. Keinesfalls sollte man vergessen, dass auch anderen Dirigenten eindrucksvolle Interpretationen gelangen und auch heute von Zeit zu Zeit noch gelingen.

In meinem Archiv stehen 5 Aufnahmen aus einem Zeitraum von 11 Jahren von 1944 bis 1954, Studio-Aufnahmen und Konzertmitschnitte aus Wien und Berlin. Musiziert wird aus der damals noch jungen Robert-Haas-Ausgabe. Allerdings eliminiert WF im 3. Satz die Takte 209-218, dieselben, die auch Leopold Nowak nicht in seine Partitur aufgenommen hat. Allerdings fügt er im Finale bei T. 499 einen Beckenschlag ein (jedoch nur 1949 und 1954), den weder Haas noch Nowak in ihre Partitur aufgenommen hatten. Beim letzten Konzert der 8. in Wien in seinem Todesjahr wendet sich der Dirigent vollständig der Nowak-Partitur zu, die damals allerdings noch nicht im Druck erschienen, ihm aber inzwischen bekannt geworden war.

Furtwänglers älteste Aufnahme entstand soweit bekannt als Studioproduktion der Reichsrundfunkgesellschaft am 17.10.1944 im Wiener Musikvereinssaal mit den Wiener Philharmonikern, im Anschluss an drei öffentliche Konzerte. Meiner Meinung nach ist es Furtwänglers überzeugendste Interpretation des Werkes. Obwohl mit großem Nachdruck musiziert, bleibt sie sehr lebendig, mit Espressivo vom ersten Takt an. Die Gleichzeitigkeit von Crescendo und Accelerando zu Höhepunkten hin, ein Erbe seiner musikalischen Ausbildung, die noch in der Spätromantik begründet ist, wirkt auf mich keineswegs aufgesetzt. Die Entspannung nach den jeweiligen Höhepunkten ist wie ein Loslassen, ein Ausatmen. In diese Kategorie fallen auch die deutlich gesetzten Ritardandi, z. B. im 1. Satz nach T. 20. Von allen mir bekannten WF-Interpretationen der 8. besitzt sie einen relativ guten Klang mit erfreulicher Präsenz. Sie wurde – technisch verbessert – ab 2004 von der Wilhelm Furtwängler-Gesellschaft für Mitglieder angeboten. Jahrzehnte zuvor brachte die DGG diese Aufnahme noch als LP auf den Markt. Eine dritte Veröffentlichung erfolgte 2012 vom Label Orfeo innerhalb einer Box mit 18 CDs, die jedoch klanglich und in der Präsenz nicht mit der Studio-Einspielung mithalten kann. Sie klingt auch etwas tiefer und das Tempo ist satzweise ein wenig langsamer. Das sorgt für eine gewisse Verwirrung. Andererseits ist zu bedenken, dass die unterschiedlichen Label das Masterband der Reichsrundfunkgesellschaft vor der Veröffentlichung jeweils einer eigenen Bearbeitung unterzogen, also letztlich manipulierten, im positiven Sinne, um den jeweils besten Klang herauszuholen.

Nicht ganz so verwirrend steht es um Furtwänglers Nachkriegsaufnahmen der 8. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern, die am 14. und 15. März entstanden. Am 14. März wurde vom Rundfunk eine Studioeinspielung im Gemeindehaus Dahlem getätigt, die 1964 als LP von Electrola zusammen mit der 7. Sinfonie auf den Markt kam. Sie ist in ihrem ernsten detailreichen Musizieren vergleichbar mit der Wiener Studioaufnahme. Der Klang ist jedoch kompakter und weist eine verminderte Präsenz auf. Das Scherzo besitzt hier Drive, die Musik klingt fast hektisch und der Dirigent betont deutlich die ABA-Form auf. Zwischen den Ziffern G und H nimmt der Dirigent das Tempo deutlich zurück. Die vielen Höhepunkte im Adagio werden mit Inbrunst zelebriert, molto espressivo nach Ziff. W. Der Finalsatz dagegen klingt objektiver, auch wenn er ein hohes Maß an Expressivität aufweist. Überraschend hört man auf dem HP in Takt 499 den oben erwähnten Beckenschlag. Heute ist diese Aufnahme bei Testament als Einzel-CD zu erwerben. Einen Tag später erlebte das Berliner Publikum WF und die BPh auf dem Podium des Titania-Palastes. Deutschlandradio (RIAS-Berlin) hat das Konzert mitgeschnitten und vom Label audite wurde es 2009 in einer 13 CD umfassende Box auf den Markt gebracht. Der Klang ist hier weniger präsent und etwas kompakter, Saalgeräusche wurden nicht eliminiert, ebenso wenig Geräusche von Flugzeugen, die bei der Berliner Luftbrücke im Einsatz waren. Das Scherzo wird sehr schnell angegangen, dabei fallen einige Details unter die Notenpulte. Das Adagio besitzt nicht ganz die Ruhe, die die Vortagsaufnahme vermittelt. Sehr überzeugend jedoch gelingt das intensive Crescendo von T. 71 bis zum HP T. 77, auch bei Ziff. Hh. Wie bereits früher legt der Dirigent eine große Tragik in die T. 675-683.

Furtwänglers letzte Aufnahme von Bruckners 8. stammt wieder aus Wien, ein Mitschnitt eines Konzerts vom 10. 04. 1954. Der erste Satz beginnt vorsichtig, auch im weiteren Verlauf bleibt die Musik zögerlich, zurückhaltender. Die Musik besitzt nicht mehr die Vitalität von früher. Das Scherzo zieht hier eher episch vorbei. Im Adagio wird sehr breit musiziert, mit weniger Inbrunst, z. B. T. 83 ff. Das Finale klingt nicht mehr so schlank wie in früheren Jahren. Auch hier fehlt nicht der Beckenschlag in Takt 499.

 

Hans Knappertsbusch

Der Dirigent bediente sich beim Musizieren von Bruckners 8. Sinfonie zeitlebens der Partitur-Ausgabe von Schalk/Oberleithner. Zwei Studioeinspielungen sowie ein Konzertmitschnitt liegen mir vor. Die erste entstand mit den Berliner Philharmonikern für den RIAS Berlin im Studio der Jesus-Christus-Kirche. Knappertsbusch geht sorgfältig zu Werke, achtet auf eine gute Transparenz – auch an den Höhepunkten und dort besonders beim Blech – und hütet sich vor spätromantischem Schwulst. Sein Tempo wird aber immer wieder mit Rubati angereichert. Viel Espressivo gelingt Kna im Adagio, sehr intensiv gestaltet klingt die Musik bei Partiturziffer G, auch nach dem Höhepunkt bei Ziffer X und Y. Bei den beiden Beckenschlägen lässt der Dirigent den ersten leiser spielen, auch später. Im Finalsatz lässt der Dirigent als einziger die Harfen bei T. 95 ff. leiser spielen als die Streicher, obwohl die Partitur das umgekehrt möchte, übrigens auch am Satzende. Sehr gewichtig lässt er dann bei Ff aufspielen, am Satzende fehlt es ihm dann aber an Stringenz. Leider ist das Klangbild etwas hart ausgefallen, die Trompeten stechen oft zu sehr heraus, auch die Geigen an exponierten Stellen.

Klanglich viel besser ist die zweite Studio-Aufnahme mit den Münchner Philharmonikern ausgefallen, es wird insgesamt auch runder musiziert. Die erwähnten Harfen im Adagio entsprechen nun den Partiturvorgaben. Im Trio des Scherzos gefällt die bestens geformte Hornstelle bei Ziffer G. Von allen drei Interpretationen hinterlässt diese den besten Eindruck, da es ihr gelingt, die Großartigkeit des Werkes herauszustellen.

Der Mitschnitt mit dem Bayerischen Staatsorchester gefällt mir weniger, Kna lässt in den Sätzen 1 und 3 schnell musizieren, zu schnell, dadurch bekommt die Musik ein holzschnittartiges Äußeres. Hinzu kommen den wechselnden Tempi im Kopfsatz, die für Unruhe sorgen. Klanglich ist sie der Berliner Studio-Produktion etwas überlegen, besonders im Finale.

 

Karl Böhm

Böhms drei hier untersuchte Einspielungen der 8. Sinfonie stammen alle aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Den Anfang macht ein Mitschnitt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks aus dem Münchner Herkulessaal. Böhm macht klar, dass es sich beim 1. Satz um ein Allegro handelt, es wird stringent musiziert, die einzelnen Perioden halten ein festes Tempo, so entsteht eine klare Formgestaltung. Die Musik bleibt ausgewogen und transparent. In die Musik wird nichts hineingeheimnisst. Ab und zu tritt die 1. Trp. zu sehr aus dem Blechbläserklang heraus. Dem 2. Satz verordnet Böhm das schnellste mir bekannte Tempo, so klingt die Musik wie durchgezogen. Die Musik kann in diesen beiden ersten Sätzen als zu neutral empfunden werden. Ein anderes Bild hinterlassen jedoch die folgenden Sätze: Die Musik wird hier mit kundiger Hand geformt, es werden große Spannungsbögen organisch entwickelt und ihrem jeweiligen Höhepunkt zugeführt. Das klingt überzeugend, abgesehen von den letzten Takten des Finales, in denen die Spannung etwas nachlässt.

Drei Jahre später führt Böhm Bruckners 8. in Köln mit dem Rundfunk-Sinfonie-Orchester im großen Sendesaal des WDR auf. In der Auffassung der Musik ist sich Böhm treu geblieben, jedoch klingt die Musik  hier viel wärmer und saftiger, in den ersten Sätzen nicht so holzschnittartig. Das Scherzo erhält eine höhere Qualität, trotz des schnellen Tempos. Das Adagio wird mit langem Atem musiziert, klingt aber immer noch lebendig. Viel Feuer erreicht der Dirigent im Finale, für das er nur 20’44 Minuten benötigt, fast so schnell wie Klemperer mit demselben Orchester 1957. Dieser Mitschnitt empfinde ich als eine Sternstunde, auch was den Klang betrifft. Nicht immer gelingt es den Rundfunktechnikern mit den Kollegen der großen Plattenfirmen mitzuhalten, hier scheinen sie über ihr Können hinausgewachsen zu sein. Leider ist die Aufnahme nur über die CD aus der Reihe „Great Conductors of the Century“ greifbar, die inzwischen vom Markt genommen wurde. Eine Neuveröffentlichung wäre zu begrüßen.

Zwei Jahre später nahm die DGG Bruckners 7.und 8. Sinfonie mit Böhm und den Wiener Philharmonikern – noch analog – auf  Hier kann man die bessere klangliche Differenzierung, vor allem in den lauten Tutti-Stellen besonders im Blech, hervorheben. Jedoch wird nicht mehr so lebendig musiziert. Im Vergleich zu den früheren Mitschnitten klingt Bruckners Musik hier abgeklärter.

 

George Szell

Ähnlich Klemperer legt auch Szell die Musik der 8. Sinfonie völlig unsentimental, aber sehr eindringlich vor. Die erste mir vorliegende Aufnahme ist ein Mitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw, hier wird noch nach der alten Schalk-Fassung musiziert. Leider haben die Techniker bei der Digitalisierung der ursprünglichen Acetat-Platten zu viele musikalische Signale weggefiltert. Der Klang ist zwar hell, aber kompakt und weniger transparent und auch der Pegel schwank hier und da. Szells Musizieren ist wie gewohnt prägnant und straff, immer bleibt der Blick nach vorn gerichtet. Im Scherzo zeigen sich einige Schwächen beim Horn. Für den langsamen Satz wählt Szell ein Andante-Tempo, kümmert sich um eine intensive Gestaltung, ohne eine weihevolle Stimmung zu evozieren.

Für seine Studio-Produktion mit dem Cleveland Orchester bedient sich Szell nun der inzwischen erschienenen Nowak-Partitur. Hier wird mit höchster Konzentration und einer bewundernswürdigen Sensibilität musiziert. Im Trio des 2. Satzes sind die Pizzicati zu Beginn und später bei Ziff. F nicht nur Zutat, auch das 3. Horn wird nicht vernachlässigt. Für den langsamen Satz wählt Szell nun ein Adagio-Tempo; auf dem Höhepunkt bei V ist neben den beiden Beckenschlägen auch die Triangel zu hören, die meist im fff untergeht. Das Finale zieht bewegt vorüber, eine übergestülpte Weihe und Festlichkeit war nicht beabsichtigt.

 

Eduard van Beinum

Ältere Plattenfreunde werden noch van Beinums Philips-Aufnahme von Bruckners 8. Sinfonie in bester Erinnerung haben. Der holländische Dirigent wählt vergleichbar schnellere Tempi als etwa Jochum, Böhm und Karajan, ohne jedoch an Intensität zu verlieren. Der Notentext erfährt eine aufmerksame Gestaltung bei guter Transparenz. Die dynamische Differenzierung vor allem im p-Bereich könnte jedoch noch etwas deutlicher ausfallen. Fließend, weniger feierlich, zieht das Adagio vorüber, ohne Einbuße an Spannung. Die Takte 71-78 werden intensiv gestaltet und im Blick auf die bevorstehenden Höhepunkte baut der Dirigent viel Druck auf, der sich dann, besonders bei Ziff. V, wie befreiend entlädt, was einen starken Eindruck hinterlässt. Dem lebendig musizierten Finale verpasst van Beinum einen festlichen Glanz.

Als Vorbereitung zu dieser Studio-Aufnahme probierte van Beinum die 8. Sinfonie in einigen Konzertaufführungen wenige Wochen zuvor. Das inzwischen eingestellte Label Tahra hat die Aufführung vom 21. April 1955 veröffentlicht, die vom holländischen Rundfunk auf Acetat-Platten gespeichert wurde. Für die CD haben die Techniker ein annehmbareres Klangbild mit geringem Rumpeln ermöglicht, der Klang ist jedoch nicht so deutlich wie im Studio.

 

Eugen Jochum

Vergleichbar mit Schuricht legte auch Jochum nach dem Erscheinen die Nowak-Partitur seinem Musizieren zugrunde, das betrifft die Studio-Produktionen mit den Berliner Philharmonikern sowie der Staatskapelle Dresden. Seine erste Studio-Produktion für die DGG mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, am Ende seiner Zeit als GMD, wurde noch auf Schellacks mitgeschnitten (Haas-Ausgabe). Der Klang ist etwas holzschnittartig, an Höhepunkten auch opulent, teilweise auch etwas plakativ, und passt m. E. gut zu dieser Sinfonie. Jochum versteht es große Bögen zu spannen, dabei begegnet man auch immer wieder der spätromantischen Interpretations(un)art, lauter- mit schnellerwerden zu kombinieren und umgekehrt – da ist Jochum ein Kind seiner Zeit. Im Kopfsatz lässt der Dirigent beim 3. Thema schneller spielen. Im Trio des 2. Satzes wird der Hörer Zeuge eines poetischen Zusammenspiels der Hörner. Das Adagio bringt Jochum sehr langsam und feierlich, jedoch keineswegs schleppend, insgesamt eine herbe Lesart; mit 30’26 übertrifft er sogar noch Giulini mit den Wiener Philharmonikern. In der Dynamik musste man sich dem Aufnahmemöglichkeiten anpassen, d.h., dass ein pp oder gar ein ppp selten erreicht wird.

Wenige Monate später führte Jochum Bruckners 8. In Frankfurt mit dem Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks auf. Den Mitschnitt gab es beim Label Tahra zu erwerben. Interpretatorische Unterschiede sind gering. Das Orchester ist jedoch nicht so perfekt wie der Hamburger Klangkörper, den Jochum 15 Jahre lang geleitet hatte. Das helle Klangbild ist an lauten Tutti-Stellen recht kompakt, der Hörer muss sich auch an spitz klingende Oboen gewöhnen. Das Scherzo klingt hier noch ungestümer als früher und im Adagio spüre ich noch mehr an Espressivo.

Die Stereo-Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern (1964) löste Jochums alte Mono-Aufnahme ab. Ein helleres Klangbild mit mehr Transparenz und besserer Balance zwischen den Gruppen schlagen positiv zu Buche. Allerdings werden in lauten Tutti-Abschnitten die Trompeten m. E. zu sehr nach vorn gezogen. Die Tempi sind etwas schneller als in den früheren Aufnahmen. Mit viel Elan kommt das Scherzo daher und das Trio erscheint hier nicht als kleiner Bruder des 3. Satzes, der im Vergleich zu früher abgerundeter erklingt, anfangs auch ruhiger. Lebendig, aber auch ausdrucksstark sowie stellenweise betroffen machend lässt Jochum den Finalsatz musizierend, ohne klanglichen Bombast.

Jochum wurde zeitlebens als authentischer Bruckner-Dirigent angesehen. So ist es nicht verwunderlich, dass nach seinem Wechsel von DGG und Philips zu EMI auch Bruckner-Sinfonien unter seiner Leitung produziert wurden. In Zusammenarbeit mit VEB Deutsche Schallplatten entstand in wenigen Jahren ein kompletter Zyklus aller Sinfonien mit der Staatskapelle Dresden. Interpretatorisch ähnelt sie der Berliner Aufnahme, die Tempi sind teilweise noch etwas bewegter. Im Trio hört man erneut die poetisch klingenden Hörner, in den Höhepunkten des letzten Satzes wird der Klang noch etwas breiter als früher. Jochum ist, mindestens bei Bruckner, auch im Alter noch jung geblieben.

 

Herbert von Karajan

Mit Herbert von Karajan stehen mir vier Aufnahmen zur Verfügung, die erste entstand mit den Berliner Philharmonikern im Jahre 1957 in der Berliner Grunewaldkirche, die jahrelang auch als Studio der Electrola fungierte. Einige Wochen zuvor hatte der Maestro die 8. Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein aufgeführt, das Label Andante hat den Rundfunkmitschnitt veröffentlicht. Auch Karajans letzte Aufnahme, wiederum mit diesem Orchester, entstand in diesem Saal. Die zweite Aufnahme mit seinem Berliner Orchester wurde in der Berliner Philharmonie aufgezeichnet. Im Vergleich dieser vier Aufnahmen stellt sich heraus, dass sich Karajans Auffassung dieses Werkes im Laufe der Jahre kaum gewandelt hat, er hält an einem früh entwickelten Muster fest, nur die klangliche Realisierung und Präsentation hat sich im Laufe der Jahre verfeinert. Bei seinem Antipoden Wilhelm Furtwängler sieht es vergleichsweise anders aus. Mitschnitte von aufeinander folgenden Tagen bezeugen, dass sie nicht Kopien sind, sondern sich partiell von Aufführung zu Aufführung unterscheiden, und das nicht nur klanglich.

Karajan legt die Sinfonie bei zurückhaltenden Tempi sehr weiträumig an, die Ecksätze in der ersten Berliner Aufnahme klingen schon zäh. Ihm scheint das Aufzeigen der Monumentalität des Stückes von höchster Priorität zu sein. Das zeigt sich vor allem durch die Bevorzugung der Blechbläser, wobei die Transparenz innerhalb der Gruppe nicht immer optimal ist. Nebenstimmen, vor allem der Holzbläser, werden oft vernachlässigt. Durch solche Reduktionen erscheinen Karajans Interpretationen insgesamt etwas nüchtern und geheimnislos. Im 1. Satz klingen die Takte 140-164 etwas unruhig, da sie nicht im Metrum gespielt werden. Gehen wir zu den Takten 217 ff.: hier sind bei den wechselnden Signaltönen von Pauken und Trompeten (1975 und 1988) die Trompeten unterbelichtet. Das Scherzo wird in der ersten und letzten Aufnahme zu wuchtig musiziert, die markanten Horn-Einwürfe im Trio T. 21 und 23 kommen viel zu leise. Das Adagio klingt in allen Aufnahmen zu statisch. In seinem Bemühen, jede Melodie, jedes Thema so schön wie möglich zu musizieren, vernachlässigt HvK die Binnen-Spannung. Die Musik scheint sich zu sehr selbst zu gefallen. Das setzt sich auch im Finale in allen Aufnahmen fort. Aus Gründen der Tempogestaltung wie der klanglichen Präsentation steht die Berliner-Aufnahme von 1975 an erster Stelle.

 

Günter Wand

Günter Wand war bis zum Ende der 1970er Jahre auf dem Schallplattenmarkt in Deutschland kaum vertreten, obwohl er mit dem Gürzenichorchester Köln, dessen musikalischer Leiter er von 1948 bis 1974 war, über 30 Langspielplatten aufnahm. Allerdings für einen französischen Schallplattenclub. Nach seiner Pensionierung gelang es dem kleinen deutsche Label DHM Wand bewegen, Aufnahmen mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester zu tätigen, und zwar Sinfonien von Schubert und Bruckner. Am Anfang stand Bruckners 5. Sinfonie, die 1977 auf den Markt kam und ein großer Erfolg wurde. Der Vertrieb erfolgte anfangs über das Label BASF, bald danach jedoch über die deutsche EMI-Tochter Electrola. Später gingen die Rechte an RCA über.

Wand sah in Bruckner den bedeutendsten Sinfoniker nach Beethoven, er schrieb „Ich möchte, wenn ich Bruckner dirigiere, deutlich machen, dass er ein großer Sinfoniker ist und nicht nur der Komponist weihevoll-sakraler Stimmungen, möchte ganz einfach die Musik darstellen, wie sie gemeint ist.“ Er zelebrierte nicht Bruckners Musik, sondern versuchte ihre Konstruktion sowie ihre innere Dramatik freizulegen. Erst relativ spät hat er zu Anton Bruckners Sinfonien gefunden. Bevor er ins Studio ging, führte er das betreffende Werk, quasi als Vorbereitung, in etlichen Konzerten auf. Die Erfahrungen, die er dabei sammelte, kamen der „endgültigen“ Interpretation auf der Schallplatte zugute. Die erste Aufnahme für DHM war Bruckners 5. Sinfonie, die von Hörern und der Fachpresse in den höchsten Tönen gelobt wurde. Zwei Jahre danach nahm er in Köln seine 8. in c-Moll auf. Es folgten in den folgenden Jahren Aufführungen überwiegend mit deutschen Rundfunkorchestern, aber auch in Wien, London und Tokyo war er zu Gast. Eine besondere Hochburg von Wands Bruckner-Deutungen wurde Hamburg, als Wand zum Chefdirigenten des NDR Sinfonie-Orchesters ernannt wurde, zwei Mitschnitte mit Bruckners 8. und diesem Orchester sind in meinem Vergleich vertreten. Mit den Münchner Philharmonikern verband ihn eine lange Freundschaft, auch mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin, dem früheren Radio-Sinfonie-Orchester. Am Ende seiner langen Karriere trat er regelmäßig mit den Berliner Philharmonikern auf und führte dort auch immer wieder Bruckner auf.

Bruckners erste Aufnahme aus Köln zeichnet sich aus durch eine genaue Umsetzung des Notentextes, immer wieder entdeckt man Stellen, die der Dirigent neu für den Plattenhörer entdeckt. Sein Musizieren ist immer bewegt und belebt und auf ein Ziel hin, meist einen Höhepunkt, ausgerichtet. Das Orchester erklingt in großer Bandbreite, jedoch nicht schwergewichtig und behält durchgehend einen jugendlich anmuteten Klang. Zu Beginn des Adagios wird die Streicherbegleitung zwar breit ausgebreitet, bleibt dabei jedoch völlig klar, nicht irgendwie drückend weihevoll. Stringent zieht das Finale daher mit einem tragischen Höhepunkt bei Ziffer Ss. Eine beeindruckende Interpretation, die den Ruf eines begnadeten Bruckner-Dirigenten festigte.

Die restlichen 5 Aufnahmen unterscheiden sich im Wesentlichen kaum voneinander, allenfalls im Tempo, hier ist die WDR-Aufnahme deutlich schneller als die anderen, sowie der klanglichen Präsentation. Der NDR-Mitschnitt aus dem Lübecker Dom (1987) klingt dunkler und Wand musste sein Tempo dem langen Nachhall des Kirchenraumes anpassen. Das Klangbild ist aber auch weicher, geschlossener und auch fülliger. Die großen Ausbrüche klingen gewaltiger als im großen Sendesaal in Köln. Im Adagio, innerlich bewegter als früher, beobachtet man auch noch einen höheren Grad an Spannung. Dagegen fällt der zweite NDR-Mitschnitt (Laeisz-Halle) etwas zurück. Wand benötigt noch mehr Zeit, der Klang ist weniger schlank und weniger durchgearbeitet. Ein Jahr später führt Wand die 8. mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin auf. Das Klangbild ist klarer als das beim NDR, jedoch ist das Blech in den lauten Tutti-Stellen nicht immer bestens durchgearbeitet. Der 3. Satz beginnt in der Streicherbegleitung etwas schleppend, aber mit viel Nachdruck. Der Satz ist von allen Aufnahmen der langsamste. Im Finale erreicht Wand stellenweise eine bemerkenswerte Feierlichkeit. Bei den Münchner Philharmonikern nimmt der Dirigent im Kopfsatz das Tempo stellenweise mehr zurück, das Adagio klingt etwas schwerfälliger und im Finale gerät der Schluss schon ein wenig zäh. Beim Mitschnitt mit den Berliner Philharmoniker erlebt man als Hörer ein höchstes Maß an Durchformung, die ersten Takte des Adagios sind ein Klangereignis. Wand bietet mit dem Orchester höchste Klangkultur und wo angebracht auch große Fülle und Breite.

 

Sergiu Celibidache

Celibidaches früher Mitschnitt aus Stuttgart kann vor allem aus Tempogründen mehr für sich einnehmen als der 17 Jahre spätere aus dem Münchner Gasteig. Celi lässt die Perioden immer wieder spannungsvoll aus dem Nichts entstehen und überzeugt mit detailreichen Ausblicken. Die Musik klingt bei ihm nie wie konstruiert, sondern als gewachsen. Immer wieder das plastische Formen des musikalischen Materials. Hauchzarte Pianissimi und lautstark gespielt Höhepunkte stehen nie nebeneinander, sondern werden miteinander verbunden, das Eine geht organisch aus dem Anderen hervor. Die Spannung geht auch über Pausen hinweg. Bei aller zeitweiligen Langsamkeit gibt es bei ihm kein Spannungseinbruch. Darin lag die hohe Kunst von Celibidaches Dirigieren und dies zeigt diese Stuttgarter Konzertaufnahme.

In den späteren drei Konzertmitschnitten mit den Münchner Philharmonikern können wir die musikalischen Tugenden des Dirigenten wieder erleben, nur ist – abgesehen vom Scherzo-Satz – die Musik jetzt viel langsamer, teilweise zähflüssig, besonders in München und Lissabon, und fordert vom Hörer ein hohes Maß an Konzentration. In den Sätzen 3 und 4 klingt die Musik wie zelebriert, dachte Bruckner hier an eine katholische Prozession? An den Höhepunkten bieten diese Mitschnitte eine noch größere Klangentfaltung mit mehr Volumen als der aus der Stuttgarter Liederhalle. Vermutlich hat auch der Maestro die Anzahl der Streicher über das übliche Maß hinaus erhöht, um einen breiten Klang zu erreichen.

Von den Mitschnitten mit den Münchner Philharmonikern gefällt mir der aus Tokyo etwas besser als die beiden späteren, da hier die Musik nicht ganz so in die Breite gezogen wird. Ein Geheimtipp für Celi-Fans ist die mit viel Spannung aufgeladene Interpretation aus Lissabon.

 

Carlo Maria Giulini

Der italienische Meisterdirigent wandte sich in seinen späteren Jahren auch den Sinfonien Anton Bruckners zu. Es liegen Aufnahmen der Sinfonien Nr. 2 und 7 bis 9 vor. Im Falle der 8. erscheinen hier drei in meinem Überblick, alle innerhalb eines Jahres eingespielt. Die Studio-Produktion mit den Wiener Philharmonikern bei DGG ist die bekannteste und wurde bei ihrem Erscheinen zurecht als eine der wesentlichen Interpretationen des monumentalen Werkes gepriesen. Giulini nimmt sich viel Zeit für die Sinfonie, arbeitet sehr konzentriert und mit viel Nachdruck, molto espressivo. Die Blechbläser pflegen einen weichen Ansatz, treten jedoch, wenn von der Partitur gefordert, auch gepanzert in den Vordergrund. Das abgerundete Scherzo entbehrt jeglicher Derbheit, klingt allerdings nicht so unmittelbar wie bei den meisten Interpretationen. Höhepunkt ist das Adagio, nach Celibidache-MP (35’04) und Jochum-49 mit 29’15 das längste mir bekannte. In den Takten 11-14 deklamieren die Geigen nicht ihre Stimme, sondern spielen eine Linie, mit langem Atem, ohne dass der Spannungsbogen einbricht. Die beiden Beckenschläge bei Ziffer V sind in den Gesamtklang integriert, fallen nicht krachend aus dem Klang.

Vom September des Vorjahres datiert ein Mitschnitt mit dem Philharmonia Orchestra aus der Londoner Royal Festival Hall. Die Tempi, abgesehen vom Adagio, entsprechen der Wiener Aufnahme. Giulinis Vorstellung der 8. Sinfonie wird auch schon hier deutlich. Die Dynamik im p-Bereich erreicht noch nicht das spätere Niveau, die Beckenschläge werden mehr hervorgehoben und die Pauken haben insgesamt mehr Präsenz als in Wien und Berlin. Das Klangbild ist insgesamt etwas enger. Ein großer Gewinn sind neue Oboen im Orchester, die die alten, von mir immer wieder wegen ihres quäkenden Klangs monierten, abgelöst haben.

Ein weiterer Mitschnitt stammt aus der Berliner Philharmonie und hat Testament auf den Markt gebracht. Hier ist die Inspiration des Augenblicks eingefangen, einschließlich leisem Brummen des Dirigenten an einigen Stellen. Der Aufbau der Höhepunkte ab T. 217 und T. 354 im ersten Satz ist mit einer bestechenden Sogwirkung verbunden. Immer wieder bewundert man den Spannungsauf- und -abbau. Der Beginn des Trios wünschte ich mir noch leiser. Die oben beschriebene Geigenstelle T. 11-14 des Adagios klingt hier nicht mehr so zart, auch das Violinsolo T. 149 ff. ist hier nicht so deutlich. Dagegen überzeugt die Fülle der Streicher, vor allem der tiefen, immer wieder. Insgesamt besitzt diese Aufnahme im Finalsatz eine höhere innere Lebendigkeit als ihre Konkurrenten.

 

Rafael Kubelik

Im Gedächtnis der Plattenhörer ist der tschechische Dirigent Rafael Kubelik eher als Mahler-Dirigent haften geblieben, denn als Anwalt der Sinfonien von Anton Bruckner. Sicher, seine Mahler Einspielungen bei der DGG waren damals ein Ereignis, mit Bruckner konnte er da nicht anknüpfen, denn das Gelbe Label hatte vorerst mit Eugen Jochum sein Feld bestellt. Immerhin konnte er mit seinem Rundfunk-Orchester die wichtigsten Sinfonien Bruckners im Münchner Herkulessaal aufführen, teils mehrmals. Von der 8. Sinfonie gelangten zwei Mitschnitte auf den CD-Markt.  Orfeo veröffentlichte eine Aufnahme aus dem Jahre 1963, später folgte das Sender-eigene Label BR Klassik mit einem Mitschnitt aus 1977. Die ältere Aufnahme nimmt den Hörer bereits vom ersten Takt an gefangen. Bewegt musizierend richtet Kubelik den Blick nach vorn, jedoch ohne die Musik abschnittsweise mittels veränderter Tempi zu gliedern, wie es sich der Komponist wünschte. Die Tutti-Einsätze sind nicht immer ganz präzise, dass ändert sich jedoch im Lauf der Aufführung. Die Dynamik bleibt noch etwas pauschal, besonders im forte-Bereich an lauten Tutti-Stellen. Insgesamt hat man den Eindruck, dass es Kubelik damals noch nicht gelang, tief in Bruckners Mysterium einzudringen. Das hat sich im Laufe der Jahre zum Positiven geändert. Auch hier die Intensität von Anfang an. Kubelik lässt sich jetzt mehr Zeit, die er für eine intensivere Gestaltung verwendet, vgl. z. B. im Adagio die Takte 91-94. Das Orchester – auf höherem Niveau – klingt nun geschmeidiger, auch geschlossener, hat mehr Fülle gewonnen und strahlt mehr Wärme aus. In der Live-Situation gelingt natürlich nicht immer alles bestens, so kommen die Hörner-Einwürfe im Trio des 2. Satzes T. 21 und 23 viel zu leise. Oder im Finale wünschte man sich die eindrucksvolle Melodie der 2. Tenortuba T. 651-656 viel deutlicher. Unter dem Strich bleibt jedoch eine sehr gute Interpretation, die an der 5 kratzt. Im Booklet wird behauptet, dass Kubelik nun nach der Nowak-Partitur musizieren lässt, was sich beim Mithören jedoch nicht bestätigt.

 

Klaus Tennstedt

Der Mitschnitt mit den Berliner Philharmonikern zeigt Tennstedt als Einspringer für den erkrankten Karajan. Obwohl sich Dirigent und Orchester aus früheren Begegnungen kannten, werden die wenigen Proben nicht ausgereicht haben, um eine vollgültige Interpretation des umfangreichen Werkes auf die Beine zu stellen. Die Philharmoniker spielen hier nicht so geschliffen, wie man sie von Platten-Aufnahmen her kennt. Mit voller Intensität steigt Tennstedt in den Anfang ein, mit viel Leidenschaft, stellenweise auch etwas grob wird Bruckners Musik angegangen. Im T. 40 setzt die 1. Trp. einen Moment zu spät ein. Das zweite Thema wird ab T. 193 zu laut gespielt und klingt so etwas schwerfällig. Crescendi werden immer wieder mit Accelerandi verbunden. Das Scherzo wird sehr unruhig gespielt. Im Adagio bleibt die Expressivität immer auf höchstem Niveau, man spürt keine Entwicklung und kaum Abstufungen. Bei Ziffer N wird die Steigerung zu deutlich angegangen und klingt so schon etwas plakativ. Als Hörer vermisst man eine Strategie, zu viele Höhepunkte folgen einander. Es verwundert nicht, dass der Höhepunkt bei Ziffer V zwar als üppig vernommen wird, ihm aber letztlich die Kraft fehlt. Das gilt entsprechend auch für das Finale, in dem Tennstedt oft auf p verzichtet. Die Musik beginnt bei Ziffer Y zwar fff, geht aber recht bald auf ein ff zurück. Beim Konzert in der Philharmonie haben die Zuhörer gewiss einen anderen Eindruck gewonnen, als die Zuhörer ihn via CD vermittelt bekommen. Insofern fragt man sich, ob diese posthume Veröffentlichung sinnvoll war.

Ein Jahr später erfolgte mit dem London Philharmonic Orchestra eine Studio-Produktion von Bruckners 8. Die schon vom Berliner Mitschnitt bekannte Musizierhaltung Tennstedts zeigt sich auch hier: Die Musik ist immer in Bewegung, mit einen sonst in diesem Satz kaum beobachteten Lebendigkeit. Das Londoner Orchester spielt mit mehr Schliff und Tennstedt hält es zu einer besseren Dynamik an. Leider gelingt es dem Dirigenten nicht dieses Niveau im Verlauf der Sätze zu halten. Im Scherzo bleibt die Musik zwischen den Ziffern KM zu neutral, die Hornstelle T. 21/23 im Trio bleibt zu leise, auch stellt sich nach T. 82 keine richtige Spannung ein. Das Adagio bleibt zurückhaltend, erst bei Ziffer H spürt man mehr Teilnahme. Das Finale bleibt neutral und zerfällt in Abschnitte, immer wieder bricht die Spannung ein.  Im dynamischen Bereich vermisst man, vor allem beim Beginn einer Steigerung, das Piano.

 

Bernard Haitink

Nach dem plötzlichen Tod von Eduard van Beinum wurde der 32jährige Bernard Haitink im Jahre 1961 zum Leiter des Concertgebouw Orchesters ernannt, in den ersten Jahren stand ihm noch der erfahrene Eugen Jochum zur Seite. Bereits 1960 nahm das holländische Philips-Label den Newcomer unter ihre Fittiche und produzierte mit ihm im selben Jahr Bruckners 8. Sinfonie, die restlichen Sinfonien wurden in den folgenden Jahren ergänzt. Diese erste Aufnahme sagt weniger aus zu Anton Bruckners Sinfonie, die nicht schlecht dirigiert wird, als zum Dirigenten selbst. Er betont im Kopfsatz die Tempobezeichnung Allegro, weniger den Zusatz moderato. Auch im Finale wird das nicht schnell durch bewegtes Musizieren ersetzt. Insgesamt lässt Haitink fließend musizieren, in jeweils ziemlich festem Tempo, bleibt dabei nahe am Notentext, die Musik vollzieht sich jedoch eher im sachlichen Bereich, mit geringerer Spannung.

Die beiden späteren Aufnahmen zeigen im Umgang mit Bruckners 8. einen gereiften Kapellmeister, der Themen und Motive moduliert sowie auf Details achtet. Ein freierer Umgang mit den Tempi sowie von langer Hand geplante Crescendi deuten darauf hin, dass Haitink das musikalische Geschehen des jeweiligen Satzes von der ersten bis zur letzten Note voll im Blick hat und versteht, Spannungsbögen zu entwickeln. Den stärksten Eindruck hinterlässt dabei das Adagio. Das gilt sowohl für die Studioproduktion aus Wien als auch für den Live-Mitschnitt aus Dresden, die Satz für Satz etwa dasselbe Tempo aufweisen. Im Detail gibt es jedoch auch Kritikpunkte, z. B. die überspielten Horn-Einwürfe im Trio des 2. Satzes T. 21 bzw. 23 in Dresden oder die zu leisen Harfen im Adagio, bei denen der Komponist dreifaches Forte in die Noten geschrieben hat. Im Finalsatz wünschte man sich an den Höhepunkten bei Ziff. Ff sowie später bei Xx triumphierende Fanfaren der drei Trompeten, in beiden Aufnahmen kommen sie mir zu beiläufig.

 

Christian Thielemann

Innerhalb eines Jahrzehnts legt Thielemann zwei Aufnahmen der Haas-Fassung vor, beides sind Konzertmitschnitte. In Dresden sprang der Dirigent kurzfristig für den erkrankten F. Luisi ein und hinterließ mit seiner Interpretation sowohl beim Publikum als auch dem Orchester einen tiefen Eindruck, was dazu führte, dass er nach Luisis Ausscheiden zum Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle berufen wurde. Der Mitschnitt des MDR zeigt das Orchester von seiner besten Seite. Der Dirigent entlockt ihm einen warmen Klang und viel Espressivo. Lebendiges und plastisches Musizieren erlebt man in den schnellen Sätzen. Die Höhepunkte treten, wie von Bruckner gewünscht und unterstützt von Thielemanns langem Atem, feierlich und mit Nachdruck hervor, besonders im Adagio. Im Detail jedoch müssen an einigen Stellen Abstriche gemacht werden, z. B. könnte im ersten Satz das 1. Horn etwas mehr heraustreten, auch im Scherzo klingt es in den Takten 21 und 23 zu leise. Nicht mit der Partitur im Einklang steht das plötzliche Zurücknehmen der Lautstärke in den Takten 52 und 186 während eines Crescendos. Der zehn Jahre später entstandene Konzertmitschnitt mit den Wiener Philharmonikern ähnelt sehr der früheren Aufnahme, bringt also keine neuen Erkenntnisse. Klanglich empfinde ich sie als ein wenig plakativer gespielt, da sehnt man sich im Adagio zurück zur Wärme der Dresdner Staatskapelle. Im Finalsatz ist das Tempo nicht immer fest. Hier ist das Horn T. 187 ff. zu leise. Die zuvor bemängelten Stellen im zweiten Satz laufen hier nach Partitur ab. Insgesamt handelt es sich bei beiden Mitschnitten um ziemlich überzeugende Interpretationen nach traditioneller Art in der Haas-Fassung.

 

Einen herzlichen Dank aussprechen möchte ich den Musikfreunden, die mir für diese große Übersicht einige Aufnahmen außerhalb meines Plattenschranks haben zukommen lassen. Ohne ihre Unterstützung wären einige Aufnahmen unberücksichtigt geblieben.

 

eingestellt am 18.09.22

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