Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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24 Preludes op. 28

 

Die 24 Preludes sind Chopins längstes Klavierwerk, aber bei weitem nicht so geschlossen wie die beiden Zyklen der Etüden, die allein von der Dauer her sich den zweiten und dritten Platz teilen müssen. Etüden, jedoch längst nicht so ausgeformt wie in op. 10 oder op. 25, hat der Komponist auch in seinen Preludes-Zyklus eingearbeitet, es handelt sich um die Nrn. 3, 8, 12, 14, 19, 22, vielleicht kann man auch das letzte Stück dazurechnen. Neben diese virtuosen Stücke stellt Chopin auch einige Nocturnes; aber er scheint nicht immer eine abgerundete Form im Fokus zu haben, sondern bedient sich auch kurzer offener Abfolgen, die an Bagatellen erinnern, alles ereignet sich dort – bis auf wenige Stücke – im knappen zeitlichen Rahmen, manche brauchen nicht einmal eine Minute. Der Pianist muss sich nach 1–2 Minuten immer wieder auf Neues einstellen: Tempo, Anschlag, Dynamik, damit einhergehend Dosierung der Kraft (Finger, Hand, Unterarm), Ornamentik. Das erfordert ein Höchstmaß an Konzentration und Flexibilität, besonders im Konzertsaal.

 

Die Tonartenabfolge sowie der Name weisen auf Bachs Wohltemperiertes Klavier mit seinen 24 Präludien [und Fugen] hin, das Chopin nach eigenem Bekunden geschätzt und als Quelle der Inspiration empfunden hat. Im Gegensatz zu diesen ordnet er seine Preludes nicht chromatisch, sondern im Quintenzirkel an, mit C-Dur beginnend, und lässt jeweils die parallele Moll-Tonart folgen.

 

Als Chopins 24 Preludes im Jahre 1839 erschienen, wurden sie von Liszt mehr als freundlich begrüßt. Schumann war verunsichert und schrieb in einer Besprechung „…es sind Skizzen, Etüdenanfänge, oder will man, Ruinen, einzelne Adlerfittiche, alles bunt und wild durcheinander.  … Auch Krankes, Fieberhaftes, Abstoßendes enthält das Heft; so suche jeder, was ihm frommt.“ Andere kritische Stimmen sprechen von hässlicher, krankhafter und grotesker Musik. Chopins Preludes haben sich auf den Konzertpodien durchgesetzt, in den letzten Jahren scheinen sie Konjunktur zu haben, immer wieder begegnet man ihnen. Noch als junger Mann hörte ich sie von Cherkassky, Ohlsson, Lucchesini, später dann von Sokolov, Kadouch, Kravtchenko, Vinnitskaja und weiteren. Ein Stück, die Nr. 15, hat es mit seinen allgegenwärtigen Achteln auf as, im Mittelteil enharmonisch verwechselt in gis, unter der Bezeichnung „Regentropfenprelude“ zu einem Evergreen gebracht.

 

Der wählerische Svjatoslav Richter spielte nicht den ganzen Zyklus, sondern begnügte sich mit einer Auswahl von 10 bzw. 13 Stücken.

 

 

Hier noch einige Anmerkungen zu einzelnen Preludes:

 

Nr. 1 C-Dur, Agitato: Igor Shukow und Howard Shelley formen es zu einen kleinen Szene.

 

Nr. 6 h-Moll, Assai lento: Auch hier begegnet man im Diskant schon Regentropfen, interessanter ist allerdings ist die Bassmelodie, ein sonorer, Melancholie verbreitender Gesang, der immer wieder neu ansetzt.

 

Nr. 8 fis-Moll, Molto agitato:  Der rechten Hand ist die punktierte Achtelmelodie übertragen, darüber spannen sich ständig wechselnde Arabesken aus Zweiunddreißigsteln, während die linke eine Triolenbegleitung beisteuert, für den Klavierspieler eine enorme Herausforderung. In Takt 19 hat Chopin dann noch molto agitato e stretto hinzugefügt. Diese Spielanweisung wird kaum realisiert, jeder hat hier mit den zehn Fingern genug zu tun, allein Martha Argerich kann dieser Forderung gerecht werden.

 

Nr. 9 E-Dur, Largo: Siebenmal kombiniert Chopin punktierte Achtel in der Melodiestimme mit doppelt punktierten im Bass. Das Gros der Pianisten differenziert hier kaum bzw. nicht.

 

Nr. 17 As-Dur, Allegretto: Im letzten Abschnitt (ab T. 65 bis zum Schluss) wird die Musik sehr leise und von Takt zu Takt jeweils am Anfang von einem tiefen a unterstrichen, versehen mit einem fz, das gewiss als marcato zu verstehen ist, also auch im Leisen deutlich zu vernehmen sein soll. So klingt es wie ein Orgelpunkt.

 

Nr. 19 Es-Dur, Vivace: In dieser Etüde sollte der Pianist nicht vergessen, dem Stück auch Poesie zu entlocken.

 

Nr. 23 F-Dur, Moderato: Das Prelude weist auf Ravels „Jeux d’eau.“

 

Nr. 24 d-Moll, Allegro appassionato: Ein pathetisches Stück, dass an den ersten Satz von Beethovens f-Moll-Klaviersonate, „Appassionata“, erinnert. Viermal setzt das Thema an, angereichert mit Auf-  und Abschwüngen, zuletzt jedoch sind es nur noch Abschwünge, wie in den Orkus hinab, endend mit drei „Hammerschlägen“ auf d in der Kontraoktave. Hat sich hier Gustav Mahler zum Schluss seiner 6. Sinfonie inspirieren lassen?

Abgesehen von den letzten fünf Takten wird das thematische Geschehen fortlaufend von vier Sechzehnteln und einer Achtel in der linken Hand grundiert. Einige Interpreten lassen die Achtel (jeweils fünfter Ton) ein wenig hervortreten und verstärken somit die alles beherrschende Unruhe dieses Satzes: Magaloff, Perlemuter, Ohlsson-EMI, Bolet-74 und Grützmann.

 

 

5

Martha Argerich

DGG

1975

33‘33

 

ihre stupende Technik erlaubt es Argerich, das Sperrige von Chopins Klaviersatz auszublenden, so verlieren die schnellen Stücke ihren Etüden-Charakter, Nr. 24 zieht atemlos vorüber, führt aber noch zu einem triumphierenden Schluss; bereits im Eingangsstück – später bei weiteren – zieht die Pianistin einen energiegeladenen Bogen vom ersten bis zum letzten Ton, immer wieder legt sie auch Wert auf Eleganz in der Gestaltung

5

Daniel Trifonov

DGG

2013

36‘45

 

unangestrengtes Musizieren, das wird vor allem in den Etüden-ähnlichen Stücken deutlich Nr. 12, 16, 22, kein Donnern; bemerkenswerte Piano-Kultur, vieles gelingt zarter als bei Kollegen; Nr. 3 rhythmische Verunsicherung eingebaut, Nr. 17 schön gesungene Melodie, Nr. 23 poetisch, wie ein Wasserspiel

5

Friedrich Gulda

audite

1959

37‘35

 

fantasievolle Umsetzung von Chopins Vorlage, langsame und schnelle Preludes ins rechte Verhältnis gerückt, kein französischer/polnischer sondern deutsch/österreichischer Chopin; Nr. 3 deutliche Differenzierung der linken Hand, sonst nirgends so zu hören

5

Igor Shukow

Melodya     Eurodisc

1983

43‘52

 

mit viel Sensibilität für die Konstruktion der einzelnen Stücke, Klangsinn, zupackend, emotionsgeladene Kraft, sich jedoch vor Exaltiertheit hütend; Nr. 2 sehr verhalten, Nr. 4 molto melancholico, Nr. 7 Harmonik subtil ausgehorcht, Nr. 8 mit langem Atem, Nr. 12 gebremstes Tempo, Nr. 15 intuitive Einfühlsamkeit, Nr. 17 kontemplativ, Nr. 23 filigran

5

Grigory Sokolov

DGG

2008

44‘12

 

live, s. u.

5

Nikolai Demidenko

Onyx

2008

43‘20

 

die virtuosen Preludes kraftvoll, temperamentvoll und mit Schwung abgeliefert,  mit Hingabe, ernsthaft und mit langem Atem widmet er sich den langsamen Stücken in ihrer lyrischen Haltung; Nr. 9 nicht wie immer nur die Oberstimme, Nr. 22 Klang bleibt durchsichtig, Nr. 23 erinnert an Ravel

5

Maurizio Pollini

DGG

1975

36‘14

 

Pollini trifft genau den Nerv der Musik jedes einzelnen Stücks, sehr gute dynamische Gestaltung, souveräne Darstellung, bewundernswerte Anschlagskultur; Nr. 2 deutliche linke Hand, Nr. 18 Schlussakkorde tatsächlich fff

5

Maria Joāo Pires

DGG

1992

41‘00

 

s. u.

   

 

4-5

Grigory Sokolov

Opus111

1990

47‘06

 

live, s. u.

4-5

Rafal Blechacz

DGG

2007

39‘10

 

Blechacz schaut nicht von Anfang an auf den Schluss, sondern nimmt sich jedes Stück genau vor, das kommt besonders kurzen Stücken zu Gute, Gliederungsmöglichkeiten werden aufgegriffen; sehr schöner Anschlag, breite Klangfarbenpalette, immer wieder überraschende Differenzierungen; Nr. 15 beim A-Teil mit polierter Oberstimme, etwas eindimensional, B-Teil überzeugender – Aufnahme erinnert an Arrau, jedoch viel geschmeidiger

4-5

Dong Hyek Lim

Warner

2015

40‘48

 

betont romantisch, mit viel Klangsinn, gute dynamische Differenzierung sowie Tempowahl, sonor klingender Flügel; Nr. 1 ohne agitato, Nr. 2 und Nr. 8 immer wieder Rubati, Nr. 7 hier und da geringfügiges Nachschlagen, Nr. 9  genaue Trennung von punktierten (Diskant) und doppelt punktierten Achteln (Bass), Nr. 13 im MT treten auch die Mittel- und Unterstimmen hervor, Nr. 15 con sentimento, Nr. 22 immer transparent

4-5

Alexander Brailowsky

RCA             forgotten records

1952

35‘47

 

unverzärtelt, transparent, pianistische Kompetenz, geradlinig, weniger poliert als heutige Klaviervirtuosen vorführen, jedoch musikalisch überzeugende Darstellung, für die Zeit guter Klavierklang (viel besser als bei EMI-Aufnahmen derselben Zeit, z. B. Solomon); Nr. 10 gemäßigtes Tempo, Nr. 13 Mehrstimmigkeit im MT herausgearbeitet, Nr. 19 und Nr. 23 mehr Melos wäre von Vorteil

4-5

Geza Anda

Orfeo

1965

36‘23

 

live, s. u.

4-5

Geza Anda

DGG

1959

35‘28

 

s. u.

4-5

Geza Anda

audite

1957

36‘18

 

s. u.

4-5

Dimitri Alexejew

EMI

1986

39‘28

 

aufmerksame und fantasievolle Interpretation, dezenter Einsatz von Rubato, vorbildhafte Dynamik, keine schleppenden Tempi, ausgewogen; Nr. 1 transparent, jedoch kaum agitato, Nr. 18 am Schluss fff, Nr. 22 differenziert, keine ff-Orgie, Nr. 23 zauberhaft

4-5

Garrick Ohlsson

hyperion

1989

41‘43

 

Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs 1970 – nach 1974 erneuter Blick auf die Preludes, geschmeidigeres Spiel, der klangliche Aspekt rückt mehr in den Mittelpunkt, die Stücke besitzen nun mehr Leuchtkraft, aber auch mehr Detailreichtum, z. B. das smorzando am Ende von Nr. 15, einhergehend damit ein etwas langsameres Tempo in vielen Stücken, bei aller Geschäftigkeit in Nr. 18 setzen die beiden Schlussakkorde einen deutlich gegenteiligen Akzent

4-5

Alain Planès

HMF

2000

40’40

 

Steinway aus dem Jahre 1906 unterstützt Planès‘ Bemühen nach einem farbigen Klang, Instrument klingt weich und transparent; Nr. 19 könnte etwas lockerer sein, weniger Poesie, Nr. 22 klingt weniger technisch als bei Interpreten, die das molto zu sehr betonen, Nr. 23 weist auf Ravel hin – eine sympathische Interpretation

4-5

Abdel Rahman El Bacha

forlane

1990

37‘03

 

locker, schlankes und farbiges Spiel, sehr geschmeidig, auch in den kompakteren Preludes noch transparent; El Bacha gelingt es, den Abwechslungsreichtum der Komposition herauszustellen

4-5

Stefan Vladar

HMF

2002

38‘10

 

ausgewogene Darstellung, blitzende Läufe, delikate Figuren, leuchtende Farben, fantasievolle Gestaltung, gute Tempowahl; Nr. 8 zu Beginn f statt p, Nr. 9 Pianist differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln, Nr. 10 Beginn zu laut, Nr. 12 linke Hand dominiert zu sehr, Nr. 23 schönes non legato

4-5

Alfred Cortot

EMI

1933/34

34‘22

 

Cortot gelingt es die 24 Stücke zu einem Ganzen zusammenzufassen, seine Herangehensweise kann die Herkunft aus dem 19. Jahrhundert nicht verleugnen. Nr. 1 die ersten 20 Takte werden in drei Abschnitten zum Höhepunkt geführt, das ff ergibt sich in T. 21 aus der dynamischen Entwicklung, Nr. 2 wie eine Elegie, Nr. 3 unegale Sechzehntel der linken Hand, Nr. 15 A-Teil rhapsodisch, kurze Abschnitte, B-Teil molto Crescendo bei T. 13, der zweite Abschnitt mit mehr Erregung als vorher, viel mehr f als vorgesehen, Notentext als Träger von Emotionen, Nr. 17 nicht immer deutlich artikuliert, fz im Bass (T. 65 ff.) harmlos

4-5

Nelson Freire

CBS          Sony

1970

34‘50

 

im Großen und Ganzen gelungene Einspielung mit viel freigesetzter Energie in den entsprechenden Preludes, aber einigen Fragezeichen: warum geht die Musik in Nr. 1 am Ende nicht ins p zurück? Nr.5 zu viel Material, zu wenig Musik, Nr. 8 hier geht die Mittelstimme manchmal verloren, Nr. 13 mit Poesie, bei Nr. 23 vermisse ich sie jedoch, Nr. 24 hier greifen die Bassfiguren nicht ein, bleiben nur Begleitung

4-5

Cyprien Katsaris

Sony

1992

38‘28

ausgewogene Darstellung mit partiellen Entdeckungen – Nr. 1 kaum agitato, Nr. 3 Bass markiert jeweils aktuelle Tonart, Nr. 4 momentweises Nachschlagen, auch in anderen Preludes, Nr. 8 Bassfiguren nicht immer präsent, Nr. 14 herunter gerastes Tempo lässt mich ratlos zurück, Nr. 15 mit langem Atem, Nr. 17 und Nr. 19 Details und Nebenstimmen dezent herausgestellt, Nr. 24 kühl

4-5

Claudio Arrau

apr

1960

38‘51

live, s. u.

4-5

Nikita Magaloff

Philips

P 1975

42‘22

 

Magaloff gelingt es, die einzelnen Preludes in ihrer besonderen Art gegenüberzustellen; ernste Stimmung, jedoch nicht langatmig oder gar schwerfällig, Spannungsbögen, farbenreich, klangvoller Espressivo-Stil (Nr. 17); Magaloffs Spiel erinnert an das von Arrau – dumpfe Verkehrsgeräusche im Hintergrund

4-5

Shura Cherkassky

ASV        Philips

1968

41‘00

 

s. u.

4-5

Alicia de Larrocha

Decca

1974

39‘50

 

Lorracha stellt sich hinter das Werk, eher natürlich klingendes Spiel, sensibler Umgang mit dem Notentext, Beachtung von Details, einfühlsam, hütet sich vor Exaltiertheit; Nr. 9 deutlicher tiefer Bass ab T. 7, Nr. 10 ab T. 2 in der Oberstimme jeweils eine Sechzehntel-Triole mit folgenden zwei Sechzehnteln (siehe Sokolov), Nr. 17 Musik kann atmen, Nr. 22 immer auf Deutlichkeit bedacht, Nr. 23 fantasievoll

 

 

4

Nikolai Lugansky

Erato

2001

38‘57

 

poliert, gestylt, aber kaltes Feuer, unterkühlt, keine Widerstände zu überwinden

4

Artur Rubinstein

RCA

1946

35‘58

 

Als Rubinstein zu Beginn des Stereo-Zeitalters die Werke Chopins noch einmal neu einspielte, waren die 24 Preludes nicht darunter, er schien den Vortrag längerer Zyklen nicht zu mögen und beschränkte sich (bei Chopin) auf kürzere Stücke. Es verwundert kaum, dass hier nicht alles wie aus einem Guss klingt, aber seine Handschrift ist immer wieder erkennbar, er will nichts vorführen, sondern die Musik aus sich selbst entwickeln lassen, das fällt deutlich auf, wenn man sich parallel dazu die Aufnahmen mit Freire oder Kissin anhört. Dabei bedient er sich in den Lento-Stücken eher moderater Tempi.

4

Claudio Arrau

Columbia         UA

1950

39‘27

 

s. u.

4

Claudio Arrau

Philips

1973

39‘59

 

s. u.

4

Adam Harasiewicz

Philips

P 1963

38‘26

 

sehr solide, oberes Mittelfeld

4

Vlado Perlemuter

BBCL

1972

36‘05

 

Perlemuter stellt sich hinter das Werk, wie selbstverständlich musiziert, nicht die Extreme suchend, eher schlicht; Nr. 6 wie eine Bass-Arie, auch in anderen Preludes den Bass hervorgehoben, z. B. Nr. 9, 20, 22 und 23, Nr. 13 piu lente im MT nicht überlesen, Nr. 17 gute Differenzierung

4

Vlado Perlemuter

Nimbus

1981

38‘14

 

viele Preludes nun etwas langsamer, auch etwas abgeklärter als früher, Klangbild insgesamt wärmer als bei BBCL; Nr. 4 dreimal a-fis T. 18-20, meist nur zweimal zu erleben, Nr. 9 Pianist differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln

4

Shura Cherkassky

Orfeo

1968

37‘17

 

live, s. u.

4

François-René Duchable

Erato

1988

36‘11

 

immer konzentriert, sachlich, sehr durchsichtig; Nr. 1 dem Notentext entsprechend, HP T. 21 Verzicht auf ff, Nr. 3 schönes non Legato, Nr. 8 anfangs zu laut, Nr. 15 B-Teil Thema wird bei der Wiederholung etwas stärker, dringlicher vorgetragen, T. 13-16 kein Auftrumpfen, Nr. 16 ohne con fuoco, unaufgregt, jedoch nicht spannungslos, Nr. 19 könnte lockerer, fließender sein, Poesie in Nr. 23 nicht vergessen

4

Jewgenij Kissin

RCA

1999

36‘37

 

beim ersten Anhören eine überlegen gestaltete Interpretation, die jedoch beim wiederholten Hören bei mir einen etwas aufgesetzten Eindruck hinterlässt; schon das C-Dur-Prelude empfinde ich etwas zu laut und vordergründig gespielt und im weiteren Verlauf stellt sich der Eindruck ein, dass Kissin schnelle Tempi sowie kräftige Bässe bevorzugt (Nr. 12, 14, 16, 22 und 24); Nr. 2 klingt wie erstorben, Nr. 13 etwas distanziert; im Tropfen-Prelude bleibt er im A-Teil etwas unruhig, im B-Teil wiederholt er nach den Takten 1-16 die folgenden 16 ohne irgend eine Differenzierung; Nr. 17 zerfällt in Abschnitte

4

Yu Kosuge

Sony

2004

36‘14

 

zielstrebig voran, energisch, dann auch wieder gelassen, Musik akribisch ausformuliert; Kosuge schafft es, (fast) alles wie selbstverständlich erklingen zu lassen, Stück für Stück hintereinander gereiht, ich vermisse hier und da Spannungen von Prelude zu Prelude; Nr. 5 mit Fantasie, Nr. 13 gegliederter Vortrag, Nr. 19 etwas spröde, mehr an der Oberfläche

4

Alexandre Tharaud

HMF

2007

37‘21

 

sonorer Flügelklang, Bassbereich oft zu gewichtig und fest, Balance nicht immer top, alles sehr sorgfältig, breite Anschlagspalette; Nr.1 Musik schleppt sich T. 21 zum Höhepunkt, Nr. 10 wünschte man sich lockerer, Nr.17 fz im Bass T. 65 ff als An- und Abschwellen, Nr. 18 bizarr, Nr. 19 etwas darüber hinweg

4

Rudolf Serkin

CBS        Sony

1976

39‘30

 

Der alte Serkin entdeckt Chopin, ein von ihm bisher nicht beackertes Terrain, deutscher Chopin, immer wieder Brahms im Kopf, z. B: Regentropfen-Prelude, stellenweise vorsichtig, ohne Überschwang oder nach vorn drängend, Serkins Finger nicht mehr so flink wie in früheren Jahren, keinesfalls als Virtuosenstück verstanden, vielleicht wollte er op.  28 nicht allein den jüngeren Super-Stars als Herausstellungsmerkmal für stilgemäßes Chopin-Spiel überlassen.

4

Vladimir Ashkenazy

Decca

1978

39‘17

 

ähnlich wie Shukow, jedoch ohne dessen Imaginationskraft sowie Tempovorstellungen, geglätteter; Nr. 13 innig, Spannungsbögen, Nr. 17 fz im Bass T. 64 ff. zu schwach, Nr. 19 ohne Delikatesse

4

Murray Perahia

CBS       Sony

P 1975

37‘00

bestes Klavierhandwerk, eher sachlich als emotional dargeboten – Nr. 3 gelassen, Nr. 9 Perahia differenziert zwischen punktierten bzw. doppelt punktierten Achteln, hier fehlt die große Linie, buchstabiert, Nr. 23 suchend, Nr. 24 ohne die große Geste

4

Maria Joāo Pires

Erato

1975

39‘15

 

s. u.

4

Garrick Ohlsson

EMI

1974

39‘01

 

Ohlsson nähert sich den Preludes eher von der technischen, weniger von der emotionalen und melodischen Seite, etwas distanziert/sachlich, ausgenommen Nr. 13, 15, 20 und 23, Nr. 2 schwergängig, Nr. 5 klingt etwas gefingert, wenig geschmeidig

4

Natalia Nikolai

Solo Musica

2010

36‘45

 

Frau Nikolai agiert nicht durchweg auf ausgefahrenen Wegen (Tempo, Artikulation, Setzung von Schwerpunkten); Nr. 2 tatsächlich ein Lento, Nr. 3 die Sechzehntelfiguren der linken Hand gehen im Pedal unter, Nr. 6 viele Rubati, Nr. 7 Nachschlagen, Nr. 8 leiert etwas, da nicht gleichmäßig durchgezogen, Nr. 17 persönliche Gestaltung

4

Howard Shelley

IMP

P 1987

38‘03

 

Shelley scheint einen virtuosen Ansatz zu bevorzugen, alles klingt richtig, objektiv, geradlinig, Stück für Stück wird aneinandergereiht; der Pianist meidet einen emotionsgeladenen Vortrag; Nr. 17 klingt etwas persönlicher

4

Andrea Lucchesini

EMI

1987

42‘51

 

technisch fabelhaft bewältigt, die poetische Durchdringung zur Zeit der Aufnahme noch nicht ausgereift; Nr. 6 harter Anschlag der linken Hand, Nr. 8 kaum Differenzierung zwischen p und f, Nr. 9 Pianist differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln, Nr. 17 fz T. 65 ff. nur angedeutet, Nr. 18  harter Anschlag, Nr. 24 Absturz am Schluss

4

Ivan Moravec

Supraphon

1976

41‘07

 

solides Handwerk, jedoch interpretatorisch nicht durchweg überzeugend; Nr. 1 zu viele Einzelnoten, kaum geschmeidig, Nr. 13 poesievoll, Nr. 14 A-Teil zart, B-Teil dämonisch, Nr. 17 T. 63-65 Spannung?, Nr. 19 nur eine Etüde, ohne Poesie

4

Jorge Bolet

RCA

1974

40‘09

 

live – virtuoser Ansatz; Nr. 1 Gedächtnisfehler: das a T. 14 rechte Hand kommt einen Takt zu früh, oder: zweimal einen halben Takt ausgelassen, Nr. 9 Pianistin differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln, Nr. 24 Publikum klatscht in die letzten Takte hinein – leise U-Bahn (?)-Geräusche von unterhalb der Carnegie Hall, unruhiges Publikum

4

Jorge Bolet

Decca

1987

41‘28

 

gepflegt und geglättet, weniger individuell gestaltet als 1974; Nr. 8 keine ausgeprägte Dynamik, somit auch weniger Spannung, Nr. 9 Bolet schenkt den punktierten bzw. doppelt punktierten Achteln weniger Aufmerksamkeit, Nr. 12 etwas zahm, Nr. 16 ohne rechten Biss

4

Eva Kupiec

Koch

1997

41‘44

 

unterschiedliche Ergebnisse, bei vielen Preludes wünschte man sich mehr Spannung, manchmal auch etwas hausbacken; Nr. 8 kaum agitato, Nr. 15 langsam, Nr. 22 rechte und linke Hand nicht im Lot, Nr. 20 und Nr. 23 gefallen

4

Jean-Philippe Collard

HMF

2013

35‘46

 

geradliniges Musizieren, zielstrebig nach vorn, ohne spürbare Hingabe, etwas grobkörnig; Nr. 2 immer wieder Verzögerungen, Nr. 24 Rubati

4

Susanne Grützmann

Teldec

1990

41‘25

 

die einzelnen Preludes aneinandergereiht, zupackend, gediegen, geringere Inspiration, stellenweise etwas robust oder geglättet; Nr. 2 linke Hand führt zu sehr, Nr. 8 linke Hand zurückhaltend, Nr. 9 Pianistin differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln, Nr. 14 kaum p

 

 

3-4

Guiomar Novaes

Vox              forgotten records

1957

36‘21

 

darstellerische Konzentration, jedoch ohne Delikatesse, nicht immer genügend elastisch, dynamische Differenzierung nicht ausgeschöpft, man wünschte sich mehr Nuancen, Klavierklang mit wenig Tiefenstaffelung; Nr. 2 und Nr. 17 kaum Spannung, Nr. 3 rechte Hand wird immer wieder von den Sechzehnteln der linken Hand, weggedrückt, Nr. 19 ohne Eleganz

3-4

Julian von Karolyi

Melodram

1960

32‘30

 

RIAS-Aufnahme? – grundsolide, etwas spröde, es fehlt der Blick auf das Besondere, gute Hausmannskost, den Anforderungen des Notentextes gerecht werdend, nur eine schwarz-weiß-Aufnahme; Largo-Sätze schneller als üblich

3-4

Ivo Pogorelich

DGG

1989

45‘01

 

Extreme werden vorgeführt, affektiert, wider den Strichgebürstet; Nr. 1 eigenwillige Artikulation, Nr. 6 und 7 schwergewichtig, Noten mit zusätzlichen Gewichten beschwert, Nr. 8 kaum agitato, Nr.12 stellenweise wie gedroschen, Nr. 13 lentissimo, Nr. 15 ziemlich blutarm (A-Teil), starke Schnaufer sollen Höhepunkten ankündigen, Nr. 16 durchgepeitscht, Nr. 17 klobig, Nr. 18 fz bei tiefen Achteln T. 65 ff nur p, Nr. 21 gefrorene Musik, Nr. 22 Maschinenklänge, Nr. 23 versönlich!

3-4

Christoph Eschenbach

DGG        Brilliant

1971

47‘53

 

nicht als Zyklus verstanden, individuelle Auslotung der Preludes, trotz überzeugender Einzelleistungen nur 3-4; Nr. 3 linke Hand im Pedalnebel, Nr. 8 Diskant nach der ff-Stelle (T. 22) zeitweilig nicht zu hören, zum Ende hin verschwimmen die Stimmen, Nr. 17 lahm, Nr. 19 dynamisch nicht im Griff, Nr. 24 bringt wenig Unruhe, es fehlt der Sog

3-4

Wladimir Sofronitzky

Brilliant

1951

39‘14

 

live – Pianist nicht auf ausgetretenen Pfaden unterwegs, persönlich geprägte Darstellung ohne die Glätte der heutigen Klavierstars, dynamische Realisierung entspricht nicht immer Chopins Vorgaben; Nr. 7 Nachschlagen, trotzdem mit Fantasie, Nr. 8 ohne Druck, Nr. 12 Spiel kommt T. 39/40 aus dem Tritt, Nr. 13 molto espressivo, Nr. 15 A-Teil innig, B-Teil Spannungsbögen, Nr. 16 nicht ganz geformt, Nr. 17 T. 37 wackelt; aufmerksames Publikum, akzeptabler Klang

3-4

Stefan Askenase

DGG

1953

42‘27

 

Eine ganze Generation von Klavierfans wurde von dieser Aufnahme geprägt, sie war damals eine der wenigen LPs mit op. 28 auf dem Plattenmarkt; heute nach der „Lektüre“ vieler anderer späterer Aufnahmen sieht man sie in einem anderen Licht. In den bewegten Stücken vorsichtig, mit gebremstem Tempo, ledern; Nr. 6 überzeugend, Nr. 10 ohne Esprit, Nr. 11 und 12 vorsichtig

3-4

Daniel Barenboim  

EMI

1976

37‘55

 

distanziert, vornehm, Preludes aneinandergereiht, gezähmte Tempi, Langeweile bleibt nicht aus (Nr. 23); Nr. 1 kaum agitato, Nr. 8 wenig Druck, Nr. 17 Akzente im Bass ab T. 65?, einigermaßen zufriedenstellend Nr. 12, 16 und 18

 

 

3

Samson François

EMI

1959

35‘28

 

François‘ Spiel lässt wenig Interesse an dieser Musik vermuten, nur routiniert, wie eine Pflichtaufgabe, oder soll es Chopins Frust bei seinem Mallorca-Aufenthalt widerspiegeln?

3

Bella Davidovich

Philips        Brilliant

1979

40‘28

 

Frau Davidovich lässt sich nicht auf das Potential des Werks ein, zu gepflegt, zu brav, ohne Biss in den schnellen Stücken; Nr. 7 T. 13 auf 2 im Diskant ein gis statt ein fis

 

 

2-3

Tzimon Barto

EMI

1991

46‘25

 

eigenwillige Interpretation, Potential von Chopins Miniaturen nicht erschlossen, überspielt oder Notentext entstellt; Nr. 1 ohne Zusammenhang, Nr. 2 immer wieder Überdehnungen, Nr. 3 spannungslos, Nr. 4 affektiert, Nr. 6 unterkühlt bis gefroren, Nr. 13 verschleppt, Nr. 14 geringe Sensibilität, Nr. 20 vom Notentext abweichende dynamische Gestaltung, Nr. 22 Rachmaninoff?

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Claudio Arrau

 

Arraus Chopin-Aufnahmen glänzen nicht durch übermäßige Eleganz und Leichtigkeit, eher durch genaue Umsetzung des Notentextes incl. Beachtung vieler Details. Das lässt sich bereits im einleitenden C-Dur-Prelude beobachten, wie er in drei Abschnitten organisch zum Höhepunkt T. 21 gelangt, danach die Spannung wieder herunterfährt. Im „Regentropfen-Prelude“ achtet Arrau im B-Teil immer auf die drei Ebenen: im Bass sind es keine Akkorde, sondern  zwei parallele Melodien, darüber das immerwährende Klopfen der Achtel im Diskant. Was Arrau nicht durch das Tempo schafft, holt er mittels Nuancen, dynamischer Gestaltung und agogischen Kniffen wieder heraus. Aber, das sei auch nicht verschwiegen, einigen Preludes fehlt es an Spannung oder sie werden (zu) gewichtig erzählt. Sehr poetisch gelingt ihm dann wieder das vorletzte Stück. Aufgrund der besseren Klangtechnik empfiehlt sich im Falle eines Kaufs die jüngere Philips-Aufnahme, auch wenn Arraus Hang zum Grüblerischen hier mehr hervortritt.

 

Shura Cherkassky

 

Im Jahre 1968 entstand in England eine Studio-Produktion von den 24 Preludes, im Sommer spielte er sie bei den Salzburger Festspielen und im Herbst hörte ich ihn mit demselben Werk. Man kann vermuten, dass es damals ein Schwerpunkt seines Repertoires war. Cherkasskys Klavierspiel ist noch im 19. Jahrhundert verhaftet. Die Tempi werden nicht immer starr durchgehalten, sondern dem Inhalt angepasst, dezenten Rubati begegnet man immer wieder, Nachschlagen der Hände ist keine Seltenheit. Cherkassky versucht, wenn möglich, den poetischen Kern eines Stückes aufzuspüren, das erlebt der Hörer gleich im ersten Stück, aber auch im A-Teil des Tropfen-Preludes, in Nr. 13, Nr. 21 und weiteren. Das Prelude Nr. 9 wird nicht, wie so oft, gestampft gespielt, sondern weicher, mit mehr legato dargeboten. Bei Nr. 12 verzichtet der Pianist auf den auftrumpfenden Gestus. Beide Aufnahmen können empfohlen werden. Beim Salzburger Mitschnitt wird ein unmerklich schnelleres Tempo vorgelegt, die Terzen in Nr. 24 klingen hier nicht so überzeugend, am Ende gibt es ein viertes Kontra-a quasi als Zugabe.

 

Geza Anda

 

Chopins 24 Preludes waren eine Konstante in seinem nicht gerade breit aufgestellten Repertoire, hier sind drei Aufnahmen vertreten, die innerhalb von acht Jahren eingespielt wurden. Zu Beginn steht eine Studio-Aufnahme des WDR Köln, die 1957 entstand und zumindest bei mir den Eindruck hinterlässt, das die Musik so zu klingen habe: natürlich, durchsichtig, ohne persönliches Zutun, nichts wird übertrieben im Tempo oder der Lautstärke, auch wenn die schnelleren Stücke Nr. 3, 5 und 15 etwas drängender klingen, entbehren sie einer handfesten Dramatik. Auf der anderen Seite unterlässt es Anda aber auch Lyrisches zu unterstreichen, die Musik spricht aus sich selbst. Auf eine leidenschaftliche Vortragsweise wird verzichtet. Das gilt auch für Andas Studio-Produktion drei Jahre später, die mit besseren Klangverhältnissen aufwartet. Mein Favorit ist jedoch der Mitschnitt von den Salzburger Festspielen 1965, vorgelegt von Orfeo. Hier verlässt Anda nämlich seine objektive Musizierweise um sich mehr Raum für eine persönliche Gestaltung des einen oder anderen Stücks frei zu halten. Bei einigen Stücken spürt man eine sachte Gliederung des Ablaufs, auch setzt er hier und da Akzente oder Nuancen, die früher keine Beachtung fanden. So klingen die Preludes etwas bunter als zuvor.

 

Maria Joāo Pires

 

Die beiden Studio-Einspielungen von Frau Pires verhalten sich vergleichsweise wie ein Schwarz-Weiß- zu einem Farbfoto. In der früheren Erato-Aufnahme scheint noch das technische Gelingen zu sehr im Vordergrund zu stehen, dabei spielt sie in den schnellen Stücken robust und noch wenig feinfühlig. Der Anschlag ist härter, weniger gepflegt als auf der späteren Grammophon-CD, deren Flügel zudem auch sonorer und wärmer klingt. Auf dieser Aufnahme zeigt sie, was in der Musik drinsteckt, das beweist schon das erste Prelude, wie Pires aus Chopins Vorlage mehr herausholen kann, wie sie es geformter darbietet als früher. Die geistige Durchdringung scheint sich in dieser Neuaufnahme über die Materie zu erheben, ohne das Virtuose in die zweite Reihe zu stellen, souverän. Eine rundum gelungene Aufnahme.

 

Grigory Sokolov

 

Das französische Label Opus 111 legt einen Mitschnitt der Preludes vor, die Sokolov im Jahre 1990 in Paris spielte, der ob seines Versenkens in jedes der 24 Stücke beim Hörer Erstaunen hervorrief, aber auch über die meist (zwangsläufig) langsamen Tempi. Immer wieder erfreut sein plastisches Klavierspiel. Lastend kommt die Nr. 2 daher, dabei legt der Pianist Wert darauf, den ständigen Harmoniewechsel im Bass zu beleuchten. Im Prelude Nr. 10 macht Sokolov klar, dass ab T. 2 in der Oberstimme jeweils eine Sechzehntel-Triole mit folgenden zwei Sechzehntel zu spielen sind und keine Quintolen, die allerdings geschmeidiger klingen – wie fast immer zu hören. Sokolov hat dann immer wieder an den Preludes gearbeitet und, die DGG veröffentlichte einen späteren Mitschnitt von den Salzburger Festspielen aus dem Jahr 2008. Die oben erwähnte Grundhaltung ist auch hier zu beobachten. Sokolov schafft eine Intensität, die von Innen kommt, und die den  Stücken eine unverwechselbare Physiognomie verleiht, einhergehend damit auch ein geringfügig schnelleres Tempo in den meisten Stücken. Die Preludes stehen nicht mehr nebeneinander, sondern in einem Zusammenhang, was sich rückblickend auch auf diese auswirkt. Sokolov Hände verfügen jetzt über noch mehr Klangfarben, der Salzburger Steinway mag da unterstützend wirken; die Mikrofone scheinen auch näher am Instrument positioniert zu sein. Sokolovs neue Sicht kann man als Hörer gleich im ersten Prelude verfolgen, das 2008 im Detail deutlicher dargeboten wird. Das folgende Stück verliert seine Schwere und Nr. 8 wird etwas schneller und gleichzeitig auch geschmeidiger gespielt. In Nr. 12 werden die Takte 19 ff. mehr geformt als früher, wo sie noch wie an einer Lösung suchend klingen. Das letzte Prelude klingt unter Sokolovs Händen wie eine kurze Ballade, hier steht nicht das stringent durchgezogene Tempo im Vordergrund. Sokolovs Interpretationen von Chopins Preludes sind m. E. nicht zum ersten Kennenlernen geeignet, sondern eher für Musikfreunde, die bereits mit ihnen vertraut sind. Dann werden sie den Zuwachs an Intensität beobachten und sich daran freuen können.

 

eingestellt am 30. 01. 19

ergänzt am 09. 03. 19

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