Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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24 Preludes op. 28
Die 24 Preludes sind Chopins längstes Klavierwerk, aber bei weitem
nicht so geschlossen wie die beiden Zyklen der Etüden, die allein von der Dauer
her sich den zweiten und dritten Platz teilen müssen. Etüden, jedoch längst
nicht so ausgeformt wie in op. 10 oder op. 25, hat der Komponist auch in seinen
Preludes-Zyklus eingearbeitet, es handelt sich um die
Nrn. 3, 8, 12, 14, 19, 22, vielleicht kann man auch das letzte Stück
dazurechnen. Neben diese virtuosen Stücke stellt Chopin auch einige Nocturnes;
aber er scheint nicht immer eine abgerundete Form im Fokus zu haben, sondern
bedient sich auch kurzer offener Abfolgen, die an Bagatellen erinnern, alles
ereignet sich dort – bis auf wenige Stücke – im knappen zeitlichen Rahmen,
manche brauchen nicht einmal eine Minute. Der Pianist muss sich nach 1–2
Minuten immer wieder auf Neues einstellen: Tempo, Anschlag, Dynamik, damit
einhergehend Dosierung der Kraft (Finger, Hand, Unterarm), Ornamentik. Das
erfordert ein Höchstmaß an Konzentration und Flexibilität, besonders im
Konzertsaal.
Die Tonartenabfolge
sowie der Name weisen auf Bachs Wohltemperiertes Klavier mit seinen 24
Präludien [und Fugen] hin, das Chopin nach eigenem Bekunden geschätzt und als
Quelle der Inspiration empfunden hat. Im Gegensatz zu diesen ordnet er seine Preludes nicht chromatisch, sondern im Quintenzirkel an,
mit C-Dur beginnend, und lässt jeweils die parallele Moll-Tonart folgen.
Als Chopins 24 Preludes im Jahre 1839 erschienen, wurden sie von Liszt
mehr als freundlich begrüßt. Schumann war verunsichert und schrieb in einer
Besprechung „…es sind Skizzen, Etüdenanfänge, oder will man, Ruinen, einzelne
Adlerfittiche, alles bunt und wild durcheinander. … Auch Krankes, Fieberhaftes, Abstoßendes
enthält das Heft; so suche jeder, was ihm frommt.“ Andere kritische Stimmen
sprechen von hässlicher, krankhafter und grotesker Musik. Chopins Preludes haben sich auf den Konzertpodien durchgesetzt, in
den letzten Jahren scheinen sie Konjunktur zu haben, immer wieder begegnet man
ihnen. Noch als junger Mann hörte ich sie von Cherkassky,
Ohlsson, Lucchesini, später
dann von Sokolov, Kadouch, Kravtchenko, Vinnitskaja und
weiteren. Ein Stück, die Nr. 15, hat es mit seinen
allgegenwärtigen Achteln auf as, im Mittelteil enharmonisch verwechselt in gis, unter der
Bezeichnung „Regentropfenprelude“ zu einem Evergreen
gebracht.
Der wählerische Svjatoslav Richter spielte nicht den ganzen Zyklus, sondern
begnügte sich mit einer Auswahl von 10 bzw. 13 Stücken.
Hier noch einige
Anmerkungen zu einzelnen Preludes:
Nr. 1 C-Dur, Agitato:
Igor Shukow und Howard Shelley formen es zu einen
kleinen Szene.
Nr. 6 h-Moll, Assai
lento: Auch hier begegnet man im Diskant schon Regentropfen, interessanter ist
allerdings ist die Bassmelodie, ein sonorer, Melancholie verbreitender Gesang,
der immer wieder neu ansetzt.
Nr. 8 fis-Moll, Molto
agitato: Der rechten Hand ist die
punktierte Achtelmelodie übertragen, darüber spannen sich ständig wechselnde
Arabesken aus Zweiunddreißigsteln, während die linke
eine Triolenbegleitung beisteuert, für den Klavierspieler eine enorme
Herausforderung. In Takt 19 hat Chopin dann noch molto agitato e stretto hinzugefügt.
Diese Spielanweisung wird kaum realisiert, jeder hat hier mit den zehn Fingern
genug zu tun, allein Martha Argerich kann dieser Forderung gerecht werden.
Nr. 9 E-Dur, Largo:
Siebenmal kombiniert Chopin punktierte Achtel in der Melodiestimme mit doppelt
punktierten im Bass. Das Gros der Pianisten differenziert hier kaum bzw. nicht.
Nr. 17 As-Dur,
Allegretto: Im letzten Abschnitt (ab T. 65 bis zum Schluss) wird die Musik sehr
leise und von Takt zu Takt jeweils am Anfang von einem tiefen a unterstrichen, versehen mit einem fz, das gewiss
als marcato zu verstehen ist, also
auch im Leisen deutlich zu vernehmen sein soll. So klingt es wie ein Orgelpunkt.
Nr. 19 Es-Dur,
Vivace: In dieser Etüde sollte der Pianist nicht vergessen, dem Stück auch
Poesie zu entlocken.
Nr. 23 F-Dur,
Moderato: Das Prelude weist auf Ravels „Jeux d’eau.“
Nr. 24 d-Moll,
Allegro appassionato: Ein pathetisches Stück, dass an den ersten Satz von
Beethovens f-Moll-Klaviersonate, „Appassionata“,
erinnert. Viermal setzt das Thema an, angereichert mit Auf- und Abschwüngen, zuletzt jedoch sind es nur
noch Abschwünge, wie in den Orkus hinab, endend mit drei „Hammerschlägen“ auf d in der Kontraoktave. Hat sich hier
Gustav Mahler zum Schluss seiner 6. Sinfonie inspirieren lassen?
Abgesehen von den
letzten fünf Takten wird das thematische Geschehen fortlaufend von vier Sechzehnteln und einer Achtel in der linken Hand grundiert.
Einige Interpreten lassen die Achtel (jeweils fünfter Ton) ein wenig
hervortreten und verstärken somit die alles beherrschende Unruhe dieses Satzes:
Magaloff, Perlemuter, Ohlsson-EMI, Bolet-74 und Grützmann.
5 |
Martha
Argerich |
DGG |
1975 |
33‘33 |
|
ihre stupende Technik erlaubt es
Argerich, das Sperrige von Chopins Klaviersatz auszublenden, so verlieren die
schnellen Stücke ihren Etüden-Charakter, Nr. 24 zieht atemlos vorüber, führt
aber noch zu einem triumphierenden Schluss; bereits im Eingangsstück – später
bei weiteren – zieht die Pianistin einen energiegeladenen Bogen vom ersten
bis zum letzten Ton, immer wieder legt sie auch Wert auf Eleganz in der
Gestaltung |
|||
5 |
Daniel
Trifonov |
DGG |
2013 |
36‘45 |
|
unangestrengtes Musizieren, das wird
vor allem in den Etüden-ähnlichen Stücken deutlich Nr. 12, 16, 22, kein
Donnern; bemerkenswerte Piano-Kultur, vieles gelingt zarter als bei Kollegen;
Nr. 3 rhythmische Verunsicherung eingebaut, Nr. 17 schön gesungene Melodie,
Nr. 23 poetisch, wie ein Wasserspiel |
|||
5 |
Friedrich
Gulda |
audite |
1959 |
37‘35 |
|
fantasievolle Umsetzung von Chopins
Vorlage, langsame und schnelle Preludes ins rechte
Verhältnis gerückt, kein französischer/polnischer sondern
deutsch/österreichischer Chopin; Nr. 3 deutliche Differenzierung der linken
Hand, sonst nirgends so zu hören |
|||
5 |
Igor Shukow |
Melodya Eurodisc |
1983 |
43‘52 |
|
mit viel Sensibilität für die
Konstruktion der einzelnen Stücke, Klangsinn, zupackend, emotionsgeladene
Kraft, sich jedoch vor Exaltiertheit hütend; Nr. 2 sehr verhalten, Nr. 4 molto melancholico,
Nr. 7 Harmonik subtil ausgehorcht, Nr. 8 mit langem Atem, Nr. 12 gebremstes
Tempo, Nr. 15 intuitive Einfühlsamkeit, Nr. 17 kontemplativ, Nr. 23 filigran |
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5 |
Grigory
Sokolov |
DGG |
2008 |
44‘12 |
|
live, s. u. |
|||
5 |
Nikolai
Demidenko |
Onyx |
2008 |
43‘20 |
|
die virtuosen Preludes
kraftvoll, temperamentvoll und mit Schwung abgeliefert, mit Hingabe, ernsthaft und mit langem Atem
widmet er sich den langsamen Stücken in ihrer lyrischen Haltung; Nr. 9 nicht
wie immer nur die Oberstimme, Nr. 22 Klang bleibt durchsichtig, Nr. 23
erinnert an Ravel |
|||
5 |
Maurizio
Pollini |
DGG |
1975 |
36‘14 |
|
Pollini trifft genau den Nerv der
Musik jedes einzelnen Stücks, sehr gute dynamische Gestaltung, souveräne
Darstellung, bewundernswerte Anschlagskultur; Nr. 2 deutliche linke Hand, Nr.
18 Schlussakkorde tatsächlich fff |
|||
5 |
Maria
Joāo Pires |
DGG |
1992 |
41‘00 |
|
s. u. |
4-5 |
Grigory
Sokolov |
Opus111 |
1990 |
47‘06 |
|
live, s. u. |
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4-5 |
Rafal
Blechacz |
DGG |
2007 |
39‘10 |
|
Blechacz schaut nicht von
Anfang an auf den Schluss, sondern nimmt sich jedes Stück genau vor, das
kommt besonders kurzen Stücken zu Gute, Gliederungsmöglichkeiten werden
aufgegriffen; sehr schöner Anschlag, breite Klangfarbenpalette, immer wieder
überraschende Differenzierungen; Nr. 15 beim A-Teil mit polierter Oberstimme,
etwas eindimensional, B-Teil überzeugender – Aufnahme erinnert an Arrau,
jedoch viel geschmeidiger |
|||
4-5 |
Dong Hyek Lim |
Warner |
2015 |
40‘48 |
|
betont romantisch, mit viel
Klangsinn, gute dynamische Differenzierung sowie Tempowahl, sonor klingender
Flügel; Nr. 1 ohne agitato, Nr. 2
und Nr. 8 immer wieder Rubati, Nr. 7 hier und da
geringfügiges Nachschlagen, Nr. 9
genaue Trennung von punktierten (Diskant) und doppelt punktierten
Achteln (Bass), Nr. 13 im MT treten auch die Mittel- und Unterstimmen hervor,
Nr. 15 con sentimento,
Nr. 22 immer transparent |
|||
4-5 |
Alexander
Brailowsky |
RCA forgotten
records |
1952 |
35‘47 |
|
unverzärtelt, transparent,
pianistische Kompetenz, geradlinig, weniger poliert als heutige
Klaviervirtuosen vorführen, jedoch musikalisch überzeugende Darstellung, für
die Zeit guter Klavierklang (viel besser als bei EMI-Aufnahmen derselben
Zeit, z. B. Solomon); Nr. 10 gemäßigtes Tempo, Nr. 13 Mehrstimmigkeit im MT
herausgearbeitet, Nr. 19 und Nr. 23 mehr Melos wäre von Vorteil |
|||
4-5 |
Geza
Anda |
Orfeo |
1965 |
36‘23 |
|
live, s. u. |
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4-5 |
Geza
Anda |
DGG |
1959 |
35‘28 |
|
s. u. |
|||
4-5 |
Geza
Anda |
audite |
1957 |
36‘18 |
|
s. u. |
|||
4-5 |
Dimitri
Alexejew |
EMI |
1986 |
39‘28 |
|
aufmerksame und fantasievolle
Interpretation, dezenter Einsatz von Rubato, vorbildhafte Dynamik, keine schleppenden
Tempi, ausgewogen; Nr. 1 transparent, jedoch kaum agitato, Nr. 18 am Schluss fff,
Nr. 22 differenziert, keine ff-Orgie,
Nr. 23 zauberhaft |
|||
4-5 |
Garrick
Ohlsson |
hyperion |
1989 |
41‘43 |
|
Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs
1970 – nach 1974 erneuter Blick auf die Preludes,
geschmeidigeres Spiel, der klangliche Aspekt rückt mehr in den Mittelpunkt,
die Stücke besitzen nun mehr Leuchtkraft, aber auch mehr Detailreichtum, z.
B. das smorzando am Ende von Nr. 15,
einhergehend damit ein etwas langsameres Tempo in vielen Stücken, bei aller
Geschäftigkeit in Nr. 18 setzen die beiden Schlussakkorde einen deutlich
gegenteiligen Akzent |
|||
4-5 |
Alain
Planès |
HMF |
2000 |
40’40
|
|
Steinway aus dem Jahre 1906
unterstützt Planès‘ Bemühen nach einem farbigen
Klang, Instrument klingt weich und transparent; Nr. 19 könnte etwas lockerer
sein, weniger Poesie, Nr. 22 klingt weniger technisch als bei Interpreten,
die das molto zu sehr betonen, Nr.
23 weist auf Ravel hin – eine sympathische Interpretation |
|||
4-5 |
Abdel
Rahman El Bacha |
forlane |
1990 |
37‘03 |
|
locker, schlankes und farbiges
Spiel, sehr geschmeidig, auch in den kompakteren Preludes
noch transparent; El Bacha
gelingt es, den Abwechslungsreichtum der Komposition herauszustellen |
|||
4-5 |
Stefan
Vladar |
HMF |
2002 |
38‘10 |
|
ausgewogene Darstellung, blitzende
Läufe, delikate Figuren, leuchtende Farben, fantasievolle Gestaltung, gute Tempowahl;
Nr. 8 zu Beginn f statt p, Nr. 9 Pianist differenziert
zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln, Nr. 10 Beginn zu laut,
Nr. 12 linke Hand dominiert zu sehr, Nr. 23 schönes non legato |
|||
4-5 |
Alfred
Cortot |
EMI |
1933/34 |
34‘22 |
|
Cortot gelingt es die 24
Stücke zu einem Ganzen zusammenzufassen, seine Herangehensweise kann die
Herkunft aus dem 19. Jahrhundert nicht verleugnen. Nr. 1 die ersten 20 Takte
werden in drei Abschnitten zum Höhepunkt geführt, das ff ergibt sich in T. 21 aus der dynamischen Entwicklung, Nr. 2
wie eine Elegie, Nr. 3 unegale Sechzehntel der
linken Hand, Nr. 15 A-Teil rhapsodisch, kurze Abschnitte, B-Teil molto Crescendo bei T. 13, der zweite
Abschnitt mit mehr Erregung als vorher, viel mehr f als vorgesehen, Notentext als Träger von Emotionen, Nr. 17
nicht immer deutlich artikuliert, fz im Bass (T. 65 ff.) harmlos |
|||
4-5 |
Nelson
Freire |
CBS Sony |
1970 |
34‘50 |
|
im Großen und Ganzen gelungene Einspielung
mit viel freigesetzter Energie in den entsprechenden Preludes,
aber einigen Fragezeichen: warum geht die Musik in Nr. 1 am Ende nicht ins p zurück? Nr.5 zu viel Material, zu
wenig Musik, Nr. 8 hier geht die Mittelstimme manchmal verloren, Nr. 13 mit
Poesie, bei Nr. 23 vermisse ich sie jedoch, Nr. 24 hier greifen die
Bassfiguren nicht ein, bleiben nur Begleitung |
|||
4-5 |
Cyprien Katsaris |
Sony |
1992 |
38‘28 |
ausgewogene
Darstellung mit partiellen Entdeckungen – Nr. 1 kaum agitato, Nr. 3 Bass markiert jeweils aktuelle Tonart, Nr. 4
momentweises Nachschlagen, auch in anderen Preludes,
Nr. 8 Bassfiguren nicht immer präsent, Nr. 14 herunter gerastes Tempo lässt
mich ratlos zurück, Nr. 15 mit langem Atem, Nr. 17 und Nr. 19 Details und Nebenstimmen
dezent herausgestellt, Nr. 24 kühl |
||||
4-5 |
Claudio Arrau |
apr |
1960 |
38‘51 |
live,
s. u. |
||||
4-5 |
Nikita
Magaloff |
Philips |
P 1975 |
42‘22 |
|
Magaloff gelingt es, die
einzelnen Preludes in ihrer besonderen Art
gegenüberzustellen; ernste Stimmung, jedoch nicht langatmig oder gar
schwerfällig, Spannungsbögen, farbenreich, klangvoller Espressivo-Stil
(Nr. 17); Magaloffs Spiel erinnert an das von Arrau
– dumpfe Verkehrsgeräusche im Hintergrund |
|||
4-5 |
Shura Cherkassky |
ASV Philips |
1968 |
41‘00 |
|
s. u. |
|||
4-5 |
Alicia
de Larrocha |
Decca |
1974 |
39‘50 |
|
Lorracha stellt sich hinter
das Werk, eher natürlich klingendes Spiel, sensibler Umgang mit dem Notentext,
Beachtung von Details, einfühlsam, hütet sich vor Exaltiertheit; Nr. 9
deutlicher tiefer Bass ab T. 7, Nr. 10 ab T. 2 in der Oberstimme jeweils eine
Sechzehntel-Triole mit folgenden zwei Sechzehnteln
(siehe Sokolov), Nr. 17 Musik kann atmen, Nr. 22
immer auf Deutlichkeit bedacht, Nr. 23 fantasievoll |
4 |
Nikolai
Lugansky |
Erato |
2001 |
38‘57 |
|
poliert, gestylt, aber kaltes Feuer,
unterkühlt, keine Widerstände zu überwinden |
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4 |
Artur
Rubinstein |
RCA |
1946 |
35‘58 |
|
Als Rubinstein zu Beginn des
Stereo-Zeitalters die Werke Chopins noch einmal neu einspielte, waren die 24 Preludes nicht darunter, er schien den Vortrag längerer Zyklen
nicht zu mögen und beschränkte sich (bei Chopin) auf kürzere Stücke. Es
verwundert kaum, dass hier nicht alles wie aus einem Guss klingt, aber seine
Handschrift ist immer wieder erkennbar, er will nichts vorführen, sondern die
Musik aus sich selbst entwickeln lassen, das fällt deutlich auf, wenn man
sich parallel dazu die Aufnahmen mit Freire oder Kissin
anhört. Dabei bedient er sich in den Lento-Stücken eher moderater Tempi. |
|||
4 |
Claudio
Arrau |
Columbia UA |
1950 |
39‘27 |
|
s. u. |
|||
4 |
Claudio
Arrau |
Philips |
1973 |
39‘59 |
|
s. u. |
|||
4 |
Adam Harasiewicz |
Philips |
P 1963 |
38‘26 |
|
sehr solide, oberes Mittelfeld |
|||
4 |
Vlado
Perlemuter |
BBCL |
1972 |
36‘05 |
|
Perlemuter stellt sich hinter
das Werk, wie selbstverständlich musiziert, nicht die Extreme suchend, eher
schlicht; Nr. 6 wie eine Bass-Arie, auch in anderen Preludes
den Bass hervorgehoben, z. B. Nr. 9, 20, 22 und 23, Nr. 13 piu lente im MT
nicht überlesen, Nr. 17 gute Differenzierung |
|||
4 |
Vlado
Perlemuter |
Nimbus |
1981 |
38‘14 |
|
viele Preludes
nun etwas langsamer, auch etwas abgeklärter als früher, Klangbild insgesamt
wärmer als bei BBCL; Nr. 4 dreimal a-fis T. 18-20, meist nur zweimal zu erleben, Nr. 9
Pianist differenziert zwischen punktierten und doppelt punktierten Achteln |
|||
4 |
Shura Cherkassky |
Orfeo |
1968 |
37‘17 |
|
live, s. u. |
|||
4 |
François-René
Duchable |
Erato |
1988 |
36‘11 |
|
immer konzentriert, sachlich, sehr
durchsichtig; Nr. 1 dem Notentext entsprechend, HP T. 21 Verzicht auf ff, Nr. 3 schönes non Legato, Nr. 8 anfangs zu laut, Nr. 15 B-Teil Thema wird bei
der Wiederholung etwas stärker, dringlicher vorgetragen, T. 13-16 kein
Auftrumpfen, Nr. 16 ohne con fuoco, unaufgregt, jedoch
nicht spannungslos, Nr. 19 könnte lockerer, fließender sein, Poesie in Nr. 23 nicht vergessen |
|||
4 |
Jewgenij
Kissin |
RCA |
1999 |
36‘37 |
|
beim ersten Anhören eine überlegen
gestaltete Interpretation, die jedoch beim wiederholten Hören bei mir einen
etwas aufgesetzten Eindruck hinterlässt; schon das C-Dur-Prelude
empfinde ich etwas zu laut und vordergründig gespielt und im weiteren Verlauf
stellt sich der Eindruck ein, dass Kissin schnelle
Tempi sowie kräftige Bässe bevorzugt (Nr. 12, 14, 16, 22 und 24); Nr. 2
klingt wie erstorben, Nr. 13 etwas distanziert; im Tropfen-Prelude bleibt er im A-Teil etwas unruhig, im B-Teil
wiederholt er nach den Takten 1-16 die folgenden 16 ohne irgend eine
Differenzierung; Nr. 17 zerfällt in Abschnitte |
|||
4 |
Yu Kosuge |
Sony |
2004 |
36‘14 |
|
zielstrebig voran, energisch, dann
auch wieder gelassen, Musik akribisch ausformuliert; Kosuge
schafft es, (fast) alles wie selbstverständlich erklingen zu lassen, Stück
für Stück hintereinander gereiht, ich vermisse hier und da Spannungen von Prelude zu Prelude; Nr. 5 mit
Fantasie, Nr. 13 gegliederter Vortrag, Nr. 19 etwas spröde, mehr an der Oberfläche |
|||
4 |
Alexandre
Tharaud |
HMF |
2007 |
37‘21 |
|
sonorer Flügelklang, Bassbereich oft
zu gewichtig und fest, Balance nicht immer top, alles sehr sorgfältig, breite
Anschlagspalette; Nr.1 Musik schleppt sich T. 21 zum Höhepunkt, Nr. 10 wünschte
man sich lockerer, Nr.17 fz im Bass T. 65 ff als An- und Abschwellen, Nr. 18
bizarr, Nr. 19 etwas darüber hinweg |
|||
4 |
Rudolf
Serkin |
CBS Sony |
1976 |
39‘30 |
|
Der alte Serkin entdeckt Chopin, ein
von ihm bisher nicht beackertes Terrain, deutscher Chopin, immer wieder
Brahms im Kopf, z. B: Regentropfen-Prelude,
stellenweise vorsichtig, ohne Überschwang oder nach vorn drängend, Serkins Finger nicht mehr so flink wie in früheren
Jahren, keinesfalls als Virtuosenstück verstanden,
vielleicht wollte er op. 28 nicht
allein den jüngeren Super-Stars als Herausstellungsmerkmal für stilgemäßes
Chopin-Spiel überlassen. |
|||
4 |
Vladimir
Ashkenazy |
Decca |
1978 |
39‘17 |
|
ähnlich wie Shukow,
jedoch ohne dessen Imaginationskraft sowie Tempovorstellungen, geglätteter;
Nr. 13 innig, Spannungsbögen, Nr. 17 fz im Bass T. 64 ff. zu schwach, Nr. 19 ohne Delikatesse |
|||
4 |
Murray Perahia |
CBS Sony |
P 1975 |
37‘00 |
bestes
Klavierhandwerk, eher sachlich als emotional dargeboten – Nr. 3 gelassen, Nr.
9 Perahia differenziert zwischen punktierten bzw.
doppelt punktierten Achteln, hier fehlt die große Linie, buchstabiert, Nr. 23
suchend, Nr. 24 ohne die große Geste |
||||
4 |
Maria
Joāo Pires |
Erato |
1975 |
39‘15 |
|
s. u. |
|||
4 |
Garrick
Ohlsson |
EMI |
1974 |
39‘01 |
|
Ohlsson nähert sich den Preludes eher von der technischen, weniger von der emotionalen
und melodischen Seite, etwas distanziert/sachlich, ausgenommen Nr. 13, 15, 20
und 23, Nr. 2 schwergängig, Nr. 5 klingt etwas gefingert, wenig geschmeidig |
|||
4 |
Natalia
Nikolai |
Solo Musica |
2010 |
36‘45 |
|
Frau Nikolai agiert nicht durchweg
auf ausgefahrenen Wegen (Tempo, Artikulation, Setzung von Schwerpunkten); Nr.
2 tatsächlich ein Lento, Nr. 3 die Sechzehntelfiguren
der linken Hand gehen im Pedal unter, Nr. 6 viele Rubati,
Nr. 7 Nachschlagen, Nr. 8 leiert etwas, da nicht gleichmäßig durchgezogen,
Nr. 17 persönliche Gestaltung |
|||
4 |
Howard
Shelley |
IMP |
P 1987 |
38‘03 |
|
Shelley scheint einen virtuosen
Ansatz zu bevorzugen, alles klingt richtig, objektiv, geradlinig, Stück für
Stück wird aneinandergereiht; der Pianist meidet einen emotionsgeladenen
Vortrag; Nr. 17 klingt etwas persönlicher |
|||
4 |
Andrea
Lucchesini |
EMI |
1987 |
42‘51 |
|
technisch fabelhaft bewältigt, die
poetische Durchdringung zur Zeit der Aufnahme noch nicht ausgereift; Nr. 6
harter Anschlag der linken Hand, Nr. 8 kaum Differenzierung zwischen p und f, Nr. 9 Pianist differenziert zwischen punktierten und doppelt
punktierten Achteln, Nr. 17 fz T. 65 ff. nur angedeutet, Nr. 18 harter Anschlag, Nr. 24 Absturz am Schluss |
|||
4 |
Ivan Moravec |
Supraphon |
1976 |
41‘07 |
|
solides Handwerk, jedoch
interpretatorisch nicht durchweg überzeugend; Nr. 1 zu viele Einzelnoten,
kaum geschmeidig, Nr. 13 poesievoll, Nr. 14 A-Teil zart, B-Teil dämonisch,
Nr. 17 T. 63-65 Spannung?, Nr. 19 nur eine Etüde, ohne Poesie |
|||
4 |
Jorge
Bolet |
RCA |
1974 |
40‘09 |
|
live – virtuoser Ansatz; Nr. 1
Gedächtnisfehler: das a T. 14
rechte Hand kommt einen Takt zu früh, oder: zweimal einen halben Takt
ausgelassen, Nr. 9 Pianistin differenziert zwischen punktierten und doppelt
punktierten Achteln, Nr. 24 Publikum klatscht in die letzten Takte hinein –
leise U-Bahn (?)-Geräusche von unterhalb der Carnegie Hall, unruhiges Publikum |
|||
4 |
Jorge
Bolet |
Decca |
1987 |
41‘28 |
|
gepflegt und geglättet, weniger
individuell gestaltet als 1974; Nr. 8 keine ausgeprägte Dynamik, somit auch
weniger Spannung, Nr. 9 Bolet schenkt den punktierten
bzw. doppelt punktierten Achteln weniger Aufmerksamkeit, Nr. 12 etwas zahm,
Nr. 16 ohne rechten Biss |
|||
4 |
Eva Kupiec |
Koch |
1997 |
41‘44 |
|
unterschiedliche Ergebnisse, bei
vielen Preludes wünschte man sich mehr Spannung, manchmal
auch etwas hausbacken; Nr. 8 kaum agitato,
Nr. 15 langsam, Nr. 22 rechte und linke Hand nicht im Lot, Nr. 20 und Nr. 23
gefallen |
|||
4 |
Jean-Philippe
Collard |
HMF |
2013 |
35‘46 |
|
geradliniges Musizieren, zielstrebig
nach vorn, ohne spürbare Hingabe, etwas grobkörnig; Nr. 2 immer wieder
Verzögerungen, Nr. 24 Rubati |
|||
4 |
Susanne
Grützmann |
Teldec |
1990 |
41‘25 |
|
die einzelnen Preludes
aneinandergereiht, zupackend, gediegen, geringere Inspiration, stellenweise
etwas robust oder geglättet; Nr. 2 linke Hand führt zu sehr, Nr. 8 linke Hand
zurückhaltend, Nr. 9 Pianistin differenziert zwischen punktierten und doppelt
punktierten Achteln, Nr. 14 kaum p |
3-4 |
Guiomar Novaes |
Vox forgotten
records |
1957 |
36‘21 |
|
darstellerische Konzentration,
jedoch ohne Delikatesse, nicht immer genügend elastisch, dynamische
Differenzierung nicht ausgeschöpft, man wünschte sich mehr Nuancen,
Klavierklang mit wenig Tiefenstaffelung; Nr. 2 und Nr. 17 kaum Spannung, Nr.
3 rechte Hand wird immer wieder von den Sechzehnteln
der linken Hand, weggedrückt, Nr. 19 ohne Eleganz |
|||
3-4 |
Julian
von Karolyi |
Melodram |
1960 |
32‘30 |
|
RIAS-Aufnahme? – grundsolide, etwas
spröde, es fehlt der Blick auf das Besondere, gute Hausmannskost, den
Anforderungen des Notentextes gerecht werdend, nur eine schwarz-weiß-Aufnahme;
Largo-Sätze schneller als üblich |
|||
3-4 |
Ivo Pogorelich |
DGG |
1989 |
45‘01 |
|
Extreme werden vorgeführt,
affektiert, wider den Strichgebürstet; Nr. 1 eigenwillige Artikulation, Nr. 6
und 7 schwergewichtig, Noten mit zusätzlichen Gewichten beschwert, Nr. 8 kaum
agitato, Nr.12 stellenweise wie gedroschen, Nr. 13 lentissimo,
Nr. 15 ziemlich blutarm (A-Teil), starke Schnaufer
sollen Höhepunkten ankündigen, Nr. 16 durchgepeitscht, Nr. 17 klobig, Nr. 18 fz bei tiefen Achteln T. 65 ff nur p,
Nr. 21 gefrorene Musik, Nr. 22 Maschinenklänge, Nr. 23 versönlich! |
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3-4 |
Christoph
Eschenbach |
DGG Brilliant |
1971 |
47‘53 |
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nicht als Zyklus verstanden,
individuelle Auslotung der Preludes, trotz
überzeugender Einzelleistungen nur 3-4; Nr. 3 linke Hand im Pedalnebel, Nr. 8
Diskant nach der ff-Stelle (T. 22)
zeitweilig nicht zu hören, zum Ende hin verschwimmen die Stimmen, Nr. 17
lahm, Nr. 19 dynamisch nicht im Griff, Nr. 24 bringt wenig Unruhe, es fehlt
der Sog |
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3-4 |
Wladimir
Sofronitzky |
Brilliant |
1951 |
39‘14 |
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live – Pianist nicht auf
ausgetretenen Pfaden unterwegs, persönlich geprägte Darstellung ohne die Glätte
der heutigen Klavierstars, dynamische Realisierung entspricht nicht immer
Chopins Vorgaben; Nr. 7 Nachschlagen, trotzdem mit Fantasie, Nr. 8 ohne
Druck, Nr. 12 Spiel kommt T. 39/40 aus dem Tritt, Nr. 13 molto espressivo, Nr. 15 A-Teil innig,
B-Teil Spannungsbögen, Nr. 16 nicht ganz geformt, Nr. 17 T. 37 wackelt;
aufmerksames Publikum, akzeptabler Klang |
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3-4 |
Stefan
Askenase |
DGG |
1953 |
42‘27 |
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Eine ganze Generation von Klavierfans
wurde von dieser Aufnahme geprägt, sie war damals eine der wenigen LPs mit
op. 28 auf dem Plattenmarkt; heute nach der „Lektüre“ vieler anderer späterer
Aufnahmen sieht man sie in einem anderen Licht. In den bewegten Stücken
vorsichtig, mit gebremstem Tempo, ledern; Nr. 6 überzeugend, Nr. 10 ohne
Esprit, Nr. 11 und 12 vorsichtig |
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3 |
Daniel
Barenboim |
EMI |
1976 |
37‘55 |
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distanziert, vornehm, Preludes aneinandergereiht, gezähmte Tempi, Langeweile bleibt
nicht aus (Nr. 23); Nr. 1 kaum agitato,
Nr. 8 wenig Druck, Nr. 17 Akzente im Bass ab T. 65?, einigermaßen
zufriedenstellend Nr. 12, 16 und 18 |
3 |
Samson
François |
EMI |
1959 |
35‘28 |
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François‘ Spiel lässt wenig Interesse
an dieser Musik vermuten, nur routiniert, wie eine Pflichtaufgabe, oder soll
es Chopins Frust bei seinem Mallorca-Aufenthalt widerspiegeln? |
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3 |
Bella
Davidovich |
Philips Brilliant |
1979 |
40‘28 |
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Frau Davidovich
lässt sich nicht auf das Potential des Werks ein, zu gepflegt, zu brav, ohne
Biss in den schnellen Stücken; Nr. 7 T. 13 auf 2 im Diskant ein gis statt ein fis |
2-3 |
Tzimon Barto |
EMI |
1991 |
46‘25 |
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eigenwillige Interpretation, Potential
von Chopins Miniaturen nicht erschlossen, überspielt oder Notentext
entstellt; Nr. 1 ohne Zusammenhang, Nr. 2 immer wieder Überdehnungen, Nr. 3
spannungslos, Nr. 4 affektiert, Nr. 6 unterkühlt bis gefroren, Nr. 13
verschleppt, Nr. 14 geringe Sensibilität, Nr. 20 vom Notentext abweichende
dynamische Gestaltung, Nr. 22 Rachmaninoff? |
Claudio Arrau
Arraus Chopin-Aufnahmen
glänzen nicht durch übermäßige Eleganz und Leichtigkeit, eher durch genaue
Umsetzung des Notentextes incl. Beachtung vieler Details. Das lässt sich
bereits im einleitenden C-Dur-Prelude beobachten, wie
er in drei Abschnitten organisch zum Höhepunkt T. 21 gelangt, danach die
Spannung wieder herunterfährt. Im „Regentropfen-Prelude“
achtet Arrau im B-Teil immer auf die drei Ebenen: im Bass sind es keine
Akkorde, sondern zwei parallele
Melodien, darüber das immerwährende Klopfen der Achtel im Diskant. Was Arrau
nicht durch das Tempo schafft, holt er mittels Nuancen, dynamischer Gestaltung
und agogischen Kniffen wieder heraus. Aber, das sei auch nicht verschwiegen,
einigen Preludes fehlt es an Spannung oder sie werden
(zu) gewichtig erzählt. Sehr poetisch gelingt ihm dann wieder das vorletzte
Stück. Aufgrund der besseren Klangtechnik empfiehlt sich im Falle eines Kaufs
die jüngere Philips-Aufnahme, auch wenn Arraus Hang
zum Grüblerischen hier mehr hervortritt.
Shura Cherkassky
Im Jahre 1968
entstand in England eine Studio-Produktion von den 24 Preludes,
im Sommer spielte er sie bei den Salzburger Festspielen und im Herbst hörte ich
ihn mit demselben Werk. Man kann vermuten, dass es damals ein Schwerpunkt
seines Repertoires war. Cherkasskys Klavierspiel ist
noch im 19. Jahrhundert verhaftet. Die Tempi werden nicht immer starr
durchgehalten, sondern dem Inhalt angepasst, dezenten Rubati
begegnet man immer wieder, Nachschlagen der Hände ist keine Seltenheit. Cherkassky versucht, wenn möglich, den poetischen Kern
eines Stückes aufzuspüren, das erlebt der Hörer gleich im ersten Stück, aber
auch im A-Teil des Tropfen-Preludes, in Nr. 13, Nr.
21 und weiteren. Das Prelude Nr. 9 wird nicht, wie so
oft, gestampft gespielt, sondern weicher, mit mehr legato dargeboten. Bei Nr.
12 verzichtet der Pianist auf den auftrumpfenden Gestus. Beide Aufnahmen können
empfohlen werden. Beim Salzburger Mitschnitt wird ein unmerklich schnelleres
Tempo vorgelegt, die Terzen in Nr. 24 klingen hier nicht so überzeugend, am
Ende gibt es ein viertes Kontra-a
quasi als Zugabe.
Geza Anda
Chopins 24 Preludes waren eine Konstante in seinem nicht gerade breit
aufgestellten Repertoire, hier sind drei Aufnahmen vertreten, die innerhalb von
acht Jahren eingespielt wurden. Zu Beginn steht eine Studio-Aufnahme des WDR
Köln, die 1957 entstand und zumindest bei mir den Eindruck hinterlässt, das die
Musik so zu klingen habe: natürlich, durchsichtig, ohne persönliches Zutun,
nichts wird übertrieben im Tempo oder der Lautstärke, auch wenn die schnelleren
Stücke Nr. 3, 5 und 15 etwas drängender klingen, entbehren sie einer handfesten
Dramatik. Auf der anderen Seite unterlässt es Anda aber auch Lyrisches zu
unterstreichen, die Musik spricht aus sich selbst. Auf eine leidenschaftliche
Vortragsweise wird verzichtet. Das gilt auch für Andas
Studio-Produktion drei Jahre später, die mit besseren Klangverhältnissen
aufwartet. Mein Favorit ist jedoch der Mitschnitt von den Salzburger
Festspielen 1965, vorgelegt von Orfeo. Hier verlässt Anda nämlich seine
objektive Musizierweise um sich mehr Raum für eine persönliche Gestaltung des
einen oder anderen Stücks frei zu halten. Bei einigen Stücken spürt man eine
sachte Gliederung des Ablaufs, auch setzt er hier und da Akzente oder Nuancen,
die früher keine Beachtung fanden. So klingen die Preludes
etwas bunter als zuvor.
Maria Joāo Pires
Die beiden
Studio-Einspielungen von Frau Pires verhalten sich vergleichsweise wie ein
Schwarz-Weiß- zu einem Farbfoto. In der früheren Erato-Aufnahme scheint noch
das technische Gelingen zu sehr im Vordergrund zu stehen, dabei spielt sie in
den schnellen Stücken robust und noch wenig feinfühlig. Der Anschlag ist
härter, weniger gepflegt als auf der späteren Grammophon-CD, deren Flügel zudem
auch sonorer und wärmer klingt. Auf dieser Aufnahme zeigt sie, was in der Musik
drinsteckt, das beweist schon das erste Prelude, wie
Pires aus Chopins Vorlage mehr herausholen kann, wie sie es geformter darbietet
als früher. Die geistige Durchdringung scheint sich in dieser Neuaufnahme über
die Materie zu erheben, ohne das Virtuose in die zweite Reihe zu stellen,
souverän. Eine rundum gelungene Aufnahme.
Grigory Sokolov
Das französische
Label Opus 111 legt einen Mitschnitt der Preludes
vor, die Sokolov im Jahre 1990 in Paris spielte, der ob
seines Versenkens in jedes der 24 Stücke beim Hörer Erstaunen hervorrief, aber
auch über die meist (zwangsläufig) langsamen Tempi. Immer wieder erfreut sein
plastisches Klavierspiel. Lastend kommt die Nr. 2 daher, dabei legt der Pianist
Wert darauf, den ständigen Harmoniewechsel im Bass zu beleuchten. Im Prelude Nr. 10 macht Sokolov
klar, dass ab T. 2 in der Oberstimme jeweils eine Sechzehntel-Triole mit
folgenden zwei Sechzehntel zu spielen sind und keine Quintolen, die allerdings
geschmeidiger klingen – wie fast immer zu hören. Sokolov
hat dann immer wieder an den Preludes gearbeitet und,
die DGG veröffentlichte einen späteren Mitschnitt von den Salzburger
Festspielen aus dem Jahr 2008. Die oben erwähnte Grundhaltung ist auch hier zu
beobachten. Sokolov schafft eine Intensität, die von
Innen kommt, und die den Stücken eine
unverwechselbare Physiognomie verleiht, einhergehend damit auch ein geringfügig
schnelleres Tempo in den meisten Stücken. Die Preludes
stehen nicht mehr nebeneinander, sondern in einem Zusammenhang, was sich
rückblickend auch auf diese auswirkt. Sokolov Hände
verfügen jetzt über noch mehr Klangfarben, der Salzburger Steinway mag da
unterstützend wirken; die Mikrofone scheinen auch näher am Instrument
positioniert zu sein. Sokolovs neue Sicht kann man
als Hörer gleich im ersten Prelude verfolgen, das
2008 im Detail deutlicher dargeboten wird. Das folgende Stück verliert seine
Schwere und Nr. 8 wird etwas schneller und gleichzeitig auch geschmeidiger
gespielt. In Nr. 12 werden die Takte 19 ff. mehr geformt als früher, wo sie
noch wie an einer Lösung suchend klingen. Das letzte Prelude
klingt unter Sokolovs Händen wie eine kurze Ballade,
hier steht nicht das stringent durchgezogene Tempo im Vordergrund. Sokolovs Interpretationen von Chopins Preludes
sind m. E. nicht zum ersten Kennenlernen geeignet, sondern eher für
Musikfreunde, die bereits mit ihnen vertraut sind. Dann werden sie den Zuwachs
an Intensität beobachten und sich daran freuen können.
eingestellt am 30. 01. 19
ergänzt am 09. 03. 19