Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Robert Schumann
Dichterliebe
Liederzyklus
nach Gedichten von Heinrich Heine op. 48
Die
meisten der bekannten und geschätzten Kompositionen erblickten das Licht der
Öffentlichkeit nicht so, wie sie der Komponist ursprünglich konzipiert und
niedergeschrienen hatte, so erging es auch Schumanns Dichterliebe, dem letzten
seiner Liederzyklen, entstanden im Mai/Juni 1840, vom Komponisten als „Heine-Zyklus“ bezeichnet. Ursprünglich komponierte Schumann 20 Lieder aus
Heines „Lyrischem Intermezzo“, entnommen aus seinem „Buch der Lieder“ aus dem
Jahre 1827. Bei der Drucklegung und Veröffentlichung 1844 fehlten jedoch 4
Lieder, warum sie ausschieden, ist nicht genau bekannt. Sie kamen einige Jahre
später zusammen mit weiteren Liedern heraus. Auch den Namen „Dichterliebe“
liest man hier zum ersten Mal. Beim näheren Vergleich der einzelnen Lieder wird
deutlich, dass auch die verbliebenen Lieder noch einmal überarbeitet wurden,
musikalisch und auch textlich, wenn Schumann Heines Vorlage verändert, um eine
bessere Sanglichkeit zu ermöglichen. Beispielhaft sei
das Lied Nr. 9 „Das ist ein Flöten und Geigen“ herausgegriffen, da steht bei
Heine zu lesen „Trompeten schmettern drei’n“,
Schumann ändert „drei’n“ in „darein“. Einige Takte
später, vor dem Nachspiel, folgt eine weitere „Verbesserung“: aus „die guten
Engelein“ wird bei Schumann „die lieblichen Engelein“. Auch die vielen kürzeren
und längeren Nachspiele wurden einer Revision unterzogen. Thomas Hampson hat die Erstfassung eingespielt (s. u.). In
Christopher Maltmans Aufnahme kann man die vier
Lieder im Anschluss an die Dichterliebe hören.
Wie
auch bei Schuberts beiden Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ und „Die
Winterreise“ handelt die „Dichterliebe“ von Heine/Schumann von einer
unerfüllten Liebe. Während die Protagonisten bei Schubert zugrunde gehen,
bleibt es hier offen, all die Wünsche, Schmerzen, Leiden, Qualen und Sehnsüchte
werden in einem unerwarteten Schwenk in einen großen Sarg gesteckt und ins Meer
versenkt. Heines Ironie ist nun nicht mehr zu verbergen. Richard Eckstein
schreibt im Booklet der CD mit Roman Trekel treffend
„Heines Ironie liegt in der unerwarteten Wendung, die der Text nimmt, Schumanns
Ironie hingegen verzichtet auf musikalische Pointen, speist sich vielmehr aus
dem generellen Spannungsverhältnis zwischen Singstimme und Klavierbegleitung
während des ganzen Liedes. Die Ironie des Textes bleibt somit bestehen, erfährt
aber oftmals einen zusätzlichen ironischen Kommentar durch die Begleitung. Die
Symbiose ist perfekt.“
Hier
nun noch Hinweise zu ausgewählten Liedern:
Nr.1:
„Im wunderschönes Monat Mai“, Fritz Wunderlich klingt die letzte Zeile „mein
Sehnen und Verlangen“ nicht als abgeschlossen, man meint, er wolle
weitersingen, nur die Worte fehlten ihm.
Nr.
4: „Wenn ich in deine Augen seh“, Schumann nimmt bei
„Leid und Weh“ zwei Achtel und eine Viertel, einige Sänger jedoch singen die
Achtel punktiert: Wunderlich, Pears, Waechter, Prey,
Krebs, Bostridge und Güra.
Am
Ende der nächsten Zeile bietet der Notentext für „ganz und gar“ eine
Alternative in hoch und tief an. Die meisten Sänger entscheiden sich für das
glänzendere hoch, die tiefe Alternative wählen Skovhus,
Souzay, Hampson und Julian Prégardien.
Nr.
6: „Im Rhein, im heiligen Strome“, dieses Lied bietet für den Stimmumfang des
Sängers eine Herausforderung, es beginnt in tiefer Lage und dazu noch f. Nicht jedem gelingt das überzeugend.
Für das Klaviernachspiel schreibt Schumann ein mf vor, das wird jedoch von sehr vielen Pianisten übersehen, die
dort zu laut spielen.
Nr.
7: „Ich grolle nicht“, da bietet Schumann bei „… Herzen frißt,
ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist“ wie schon im vierten Lied eine hohe
Alternative an, die viele wählen, manche scheitern jedoch daran, weil ihnen die
Höhe fehlt. Die tiefere Lage hört man bei Schiøtz,
Hotter, Souzay, Bernac, Hampson, Skovhus, Trekel und Juilian Prégadien.
Nr.
11: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, Schumann wählt für die letzten zu
singenden Töne bei „… bricht das Herz entzwei“ dreimal den Ton d als Achtel, dann eine Achtel und eine
Viertel mit dem Grundton es; in der Ausgabe für tiefere Stimme sind es h und c. Die meisten Sänger singen jedoch viermal den Leitton d und bringen den Grundton es nur auf die Eins des folgenden
Taktes. Andreas Schmidt bietet es Einziger noch eine weitere Variante an, wenn
er das vierte Achtel in zwei Sechzehntel aufteilt und in eine Schleife
umwandelt, die erste bringt den Leitton, die zweite den Grundton.
Nr.
14: „Allnächtlich im Traume“, das Lied endet mit den Worten „… hab ich
vergessen“. Fischer-Dieskau singt diese Worte nicht im Zusammenhang, sondern
fügt vor „vergessen“ einen winzigen Absatz ein, das überzeugt! Der Sänger
bringt diese Lesart aber nur in zwei Interpretationen, mit Demus-57 und
Eschenbach-76.
Im
Folgenden habe ich 36 Interpretationen, getrennt nach Stimmlagen, aufgelistet sowie
zum Schluss die Urfassung von 1840, die Thomas Hampson
zusammen mit Wolfgang Sawallisch erarbeitet hat.
Tenor:
5 |
Fritz
Wunderlich |
Hubert Giesen |
Allegria |
1965 |
27‘00 |
|
live Salzburg, ▼ |
||||
5 |
Christoph
Prégardien |
Andreas Staier,
Hammerflügel |
DHM |
1993 |
26‘51 |
|
die Aufnahme gefällt schon durch die
klare, weiche und wunderbar geführte Stimme des Tenors, die tiefe Lage muss
er sich allerdings erkämpfen, bestes Zusammenwirken mit Andreas Staier am Hammerflügel, beide gehen einfühlsam auf Heines
Textvorlagen ein – Nr. 8: duftige Klavierbegleitung, großartig „zerrissen mir
das Herz“ |
||||
5 |
Josef
Protschka |
Helmut Deutsch |
Capriccio |
1987 |
32‘30 |
|
einfühlsamer Vortrag, das Besondere
eines jeden Lieds erfasst, außergewöhnliche Textverständlichkeit, keine
Vokalverfärbungen, Protschka und Deutsch in bester
Partnerschaft, einziger Einwand: die Künstler nehmen sich mehr Zeit, das kann
manchmal etwas langsam klingen |
||||
5 |
Hans
Peter Blochwitz |
Rudolf Jansen |
EMI |
1989 |
26‘44 |
|
schlanke Stimme, hervorragend
geführt, locker, jugendlich und gefühlvoll, Texte einfühlsam gestaltet; nicht
das Timbre eines Wunderlichs, Vortrag aber auf vergleichbar höchstem Niveau;
gute Partnerschaft zwischen Blochwitz und Jansen |
||||
5 |
Daniel
Behle |
Sveinung Bjelland |
Capriccio |
2010 |
27‘58 |
|
vorwiegend vom Intellekt bestimmtes Singen,
expressives Klavierspiel mit messerscharfer Artikulation, Biedermeier weit
hinter sich lassend – Nr. 9 gute Dynamik in allen Liedern, hier in besonderem
Maße, Nr. 10 Situation genau wiedergegeben |
||||
|
|||||
4-5 |
Fritz
Wunderlich |
Hubert Giesen |
DGG |
1965 |
27‘13 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Fritz
Wunderlich |
Hubert Giesen |
SWR Musik hänssler |
1965 |
28‘06 |
|
live Schwetzingen, ▼ |
||||
4-5 |
Axel Schiøtz |
Gerald Moore |
Danacord |
1946 |
25‘51 |
|
natürliches Singen; einige,
zeitbedingte, Portamenti, jedoch nicht aufdringlich; Moore nur Begleiter –
Nr. 9 Schumanns dynamische Vorgaben nicht immer beachtet |
||||
4-5 |
Peter
Schreier |
Norman Shetler |
Berlin Classics |
P 1975 |
31‘27 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Peter
Schreier |
Christoph Eschenbach |
Teldec |
1988 |
29‘15 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Peter
Schreier |
Andras Schiff |
Orfeo |
2002 |
25‘50 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Julian
Prégardien |
Eric le Sage, Hammerflügel |
Alpha |
2018 |
26‘34 |
|
Das Vorgehen der beiden Musiker geht
über das gewohnte hinaus, mit teilweise schnelleren Tempi. In Nr. 4 wird bei „ich
liebe dich“ dem Sänger sehr leise eine Frauenstimme hinterlegt, größtmögliche
Textbezogenheit, die Stelle „sie hat ja selbst zerrissen“ in Nr. 8 wird als
Wutausbruch inszeniert. Prégardien scheut sich
nicht, einige kleine Verzierungen einzufügen. Der Wert der Aufnahme wird
allerdings geschmälert durch eine zu laute Klavierbegleitung zumindest in den
Liedern Nr. 8, 9 und 16, beim Klaviernachspiel in Nr. 12 hätte ich mir etwas
mehr Poesie gewünscht. |
||||
|
|||||
4 |
Werner
Güra |
Jan Schultsz |
HMF |
2001 |
33‘08 |
|
hohe Gesangskultur, bei manchen
Liedern wünschte man sich etwas mehr Spannung, sie sind zu sehr doziert,
vielleicht auch zu langsam – Nr.5 Klavier zu laut, kein pp, Nr. 13 „ich hab im Traum...“ beim drittenmal Crescendo gut
gesetzt, nicht übertrieben, Nr. 14 „Ach könnt ich dorthin…“ sollte leiser,
innerlicher gesungen werden |
||||
4 |
Ian Bostridge |
Julius Drake |
EMI |
1997 |
28‘45 |
|
Bostridges Stimme meistert tiefe
Lage besser als hohe, leichtes Lispeln, etwas künstlicher Vortrag, Drake
zuverlässig, ohne Impulse zu geben – Nr. 6 „meines Lebens Wildnis“
undeutlich, Nr. 9 Schumanns dynamische Vorgaben übergangen, Nr. 10 etwas
harmlos, Nr. 13 behutsames Crescendo, nicht aufgetragen, gut! |
||||
4 |
Peter
Pears |
Benjamin Britten |
Decca |
P 1965 |
28‘43 |
|
Pears fällt bei
schnellen Tönen schnell in ein Staccato, das klingt dann wie gestelzt, Töne nicht
immer bestens fokussiert, auch die Textverständlichkeit ist herabgesetzt,
Britten unterstützt mit profiliertem Einsatz – Nr. 1 viel Vibrato, mühsame
Höhe, im p säuselndes Singen, Nr. 6
kernige Töne in tiefer Lage überzeugen mehr, Nr. 7 höchste Töne gestemmt |
||||
4 |
Walter
Ludwig |
Hans Altmann |
BR-Aufnahme, unveröffentlicht |
1957 |
29‘41 |
|
vor allem bei langsamen Liedern
leicht dozierendes Singen, wie man es früher oft hörte, Stimme überzeugt in tiefen
Lagen mehr als in der Höhe, die erkämpft werden muss, Pianist gefällt besser
als Sänger – Nr. 7 zu langsam, ohne „Groll“, Nr. 9 pauschale Dynamik |
||||
4 |
Helmut
Krebs |
Felix Schröder |
Erato |
1956 |
27‘14 |
|
schmale Tenorstimme mit etwas
nasalem Einschlag, nutzt das vom Text vorgegebene Potential wenig, deshalb
etwas bieder, Pianist setzt kaum eigene Akzente |
||||
4 |
Fritz
Wunderlich |
Hubert Giesen |
DGG |
1966 |
28‘37 |
|
live Edinburgh, ▼ |
tiefe
Stimme, Bariton, Bassbariton und Bass:
5 |
Hans
Hotter |
Hans Altmann |
Preiser |
1954 |
27‘47 |
|
noble Aufnahme, Hotters Stimme hier
angenehm leicht, Pianist und Sänger auf höchstem Niveau |
||||
|
|||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Jörg Demus |
DGG |
1957 |
29‘12 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Gerald Moore |
Orfeo |
1956 |
32‘03 |
|
live, ▼ |
||||
4-5 |
Andreas
Schmidt |
Rudolf Jansen |
hänssler |
1997 |
31‘00 |
|
kultiviertes Singen, Schmidt findet
den rechten Ton sowohl für die lyrischen Stücke als auch für die mehr
dramatisch konzipierten Stellen, ohne zu forcieren, ansprechende Dynamik,
sehr gute Partnerschaft, heller Klavierklang |
||||
4-5 |
Roman
Trekel |
Oliver Pohl |
Oehms |
2005 |
27‘49 |
|
hoher Bariton, bei tiefen Stellen
wird die Stimme schmal, einfühlsame Textausdeutung, gute p-Kultur, gute Partnerschaft – Nr. 12 6/8-Takt, also ein Zweier,
Tempo deshalb nicht zu langsam |
||||
4-5 |
Christian
Gerhaher |
Gerold Huber |
RCA |
2004 |
29‘54 |
|
hoher Bariton, helle Stimme, Vortrag
auf hohem Niveau, emotional zurückhaltend, ich wünschte mir etwas mehr
Spannung, sehr gute Partnerschaft, ansprechende Dynamik |
||||
4-5 |
Gérard
Souzay |
Jaqueline Bonneau |
Decca |
1953 |
29‘39 |
|
Frankreichs bekanntester
Liedersänger der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts; eher empfindsam und
zurückhaltend als aufdringlich, keine Dramatisierungen, darin sind sich
Sänger und Pianistin einig, wenige Vokalverfärbungen, Höhe muss sich Souzay allerdings erkämpfen |
||||
|
|||||
4 |
Ulf Bästlin |
Stefan Laux |
hänssler |
2003 |
29‘13 |
|
einer der wenigen Sänger mit guter p/pp-Kultur, Bästlins
Stimme fehlt es etwas an Glanz, zurückhaltend beim Vortrag, deshalb
überzeugen die ruhigen Lieder mehr, eine Überdramatisierung fehlt, gutes
Zusammenwirken mit dem Pianisten |
||||
4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Christoph Eschenbach |
DGG |
1976 |
28‘37 |
|
▼ |
||||
4 |
Eberhard
Wächter |
Alfred Brendel |
Decca |
1961 |
27‘49 |
|
Waechter nähert sich dem
Liederzyklus von der Opernbühne her, das tritt besonders an dramatischen
Stellen hervor; große, voluminöse Stimme, das Intime kommt etwas zu kurz,
aufmerksame Begleitung des jungen Brendel |
||||
4 |
Hermann
Prey |
Karl Engel |
EMI |
P 1962 |
29‘04 |
|
in bekannter Prey-Manier, mit Tränen
auf den Lippen (z. B. Nr. 6, 7, 13), man muss die Stimme mögen – Nr. 9 gute
Dynamik, Nr. 15 „Ach könnt ich…“ zu laut, ohne die erwartete „innigste
Empfindung“ |
||||
4 |
Christopher
Maltman |
Graham Johnson |
hyperion |
2000 |
29‘19 |
|
heller Bariton mit guter
Textverständlichkeit, Stimme jedoch nicht immer leicht geführt, wünschte man
sich oft lockerer und mit mehr Farbe, das würde einen Abwechslungsreichtum
fördern |
||||
|
|||||
3-4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Wladimir Horowitz |
CBS Sony |
1976 |
29‘16 |
|
live, ▼ |
||||
3-4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Hartmut Höll |
Erato |
1992 |
30‘05 |
|
live, ▼ |
||||
3-4 |
Bo Skovhus |
Helmut Deutsch |
Sony |
1996 |
29‘04 |
|
von der Opernbühne her, Ausdruck
kommt mehr von außen als von innen, wenig wandlungsfähige Stimme, immer
wieder sind Stimmverfärbungen zu beobachten, Pianist gut, kann aber das Rad
nicht wenden – Nr. 6 Sänger klebt zu sehr an den Noten, Nr. 8 „Sternelein“ ohne
Punktierung, „Herz“ und „Schmerz“ ohne z im Auslaut |
||||
|
|||||
3 |
Pierre
Bernac |
Robert Casadesus |
CBS Sony |
1952 |
28‘38 |
|
oft viel Vibrato, etwas gekünstelt,
kein idiomatisches Deutsch, einige Vokalverfärbungen, Höhe muss sich erkämpft
werden – Nr. 15 die Stelle „Ach könnt ich dorthin kommen…“ entbehrt nicht
einer gewissen Komik, Nr. 16 nach „… ins Meer hinab.“ setzen Sänger und
Pianist entgegen des Notentextes beide gleichzeitig ab, ein „heißes Bemühen“
durchaus vorhanden, das reicht hier jedoch nicht |
Sopran
4-5 |
Lotte
Lehmann |
Bruno Walter |
Columbia CBS |
1941 |
27‘12 |
|
die einst gefeierte Sopranistin
hinterlässt auch im ausgesprochenen Männerrepertoire mit ausdrucksvollem
sowie einfühlsamen Singen einen guten Eindruck, zeitbedingte Portamenti,
Bruno Walter in dienender Funktion, Klavier klanglich zurück |
20
Lieder und Gesänge aus dem Lyrischen Intermezzo im Buch der Lieder von Heinrich
Heine – Urfassung der „Dichterliebe“
4-5 |
Thomas
Hampson |
Wolfgang Sawallisch |
EMI |
1994 |
35‘47 |
|
Hampson immer nahe an dem
jeweiligen Lied, ziemlich überzeugender Vortrag, ausgeglichene Stimme,
Sawallisch versierter und korrekter Begleiter |
Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton
Der Bariton Dietrich
Fischer-Dieskau war im Lied-Bereich der am meisten beschäftigte Sänger, auf der
Schallplatte durfte er nach 1950 gleich für zwei der führenden Labels (DGG und
Electrola/EMI) wirken und die bekannten Liederzyklen von Schubert, Schumann und
Brahms einspielen, dazu noch viele Einzelaufnahmen. FiDis
Schallplattenausstoß war inflationär, vergleichbar nur mit dem Herbert von
Karajans. Im Falle von Schumanns Dichterliebe biete ich fünf verschiedene
Produktionen an, sie entstanden im Zeitraum von 1956-1992. Die älteste Aufnahme
ist ein Mitschnitt von den Salzburger Festspielen aus dem Jahr 1956, hier wurde
er von Gerald Moore begleitet (guter Klang). Beim Hören begegnet einem das, was
Zeit seines Sängerlebens sein Markenzeichen wurde: klares Singen, gute
Differenzierung, voller Einsatz der Stimme, was nicht heißen soll, dass er
nicht auch leise Stellen zart modulieren konnte. Man hört aber auch, dass er
immer Text und Musik in seiner Hand hielt und beide seinem festen Willen
unterwarf, weit mehr, als man es von Kollegen hören konnte. Das konnte zu
Überbetonungen oder/und Überdramatisierungen bestimmter Liedstellen führen, im
Konzertsaal mehr als im Studio, wie der Vergleich Salzburg zu der ein Jahr
später entstandenen Studioaufnahme mit Jörg Demus
zeigt, die ich für seine gültigste Darstellung halte. FiDis
sängerische Eigenheiten nahmen im Lauf der Jahre noch
zu und führten nicht nur beim Publikum zum Widerspruch bis hin zur Ablehnung
seines Stils. Aus dem Jahr 1976 sind zwei Aufnahmen überliefert: eine
Studioaufnahme jetzt mit dem Pianisten Christoph Eschenbach, sowie ein
Mitschnitt aus der New Yorker Carnegie-Hall anlässlich des 85-jährigen Jubiläum
dieses Kunsttempels. Dabei waren einige der bekanntesten Interpreten des
damaligen Klassik-Betriebs wie Bernstein, Rostropovitch,
Menuhin, Stern, Fischer-Dieskau und Horowitz. Von CBS wurde das Konzert auf 2
LPs unter dem marktschreierischen Titel „Concert of the Century“ den Plattenkäufern als die Sensation
angepriesen. Der künstlerische Ertrag ist m. E. jedoch mager, darunter auch
Fischer-Dieskaus Dichterliebe mit dem sonst nicht als Liedbegleiter in
Erscheinung getretenen Waldimir Horowitz. Wer weiß, wie viele Proben der
Aufführung vorangingen? Horowitz‘ Klavierspiel hört sich so an, als wäre es
nicht sein Herzenswunsch gewesen den berühmten Sänger zu begleiten, sondern sei
nur zu seinem Part verpflichtet worden, von einem einfühlsamen Begleiten kann
keine Rede sein, Solist und Pianist treffen sich nicht immer auf der Eins.
Fischer-Dieskau hat seine Stimme hier nicht richtig im Griff, wenn er mehr
deklamiert als singt, die Poesie von Text und Lied kommen zu kurz, auch sind
etliche Stimmverfärbungen nicht zu überhören. Das letzte Lied wird hier
schneller als üblich genommen. Unter dem Strich kann man feststellen, dass es
bei dieser Veranstaltung wohl eher um Namen als um Musik ging! Da hinterlässt
die Eschenbach-Platte einen wesentlich besseren Eindruck, vor allem der Pianist
mit einem expressiven Klavierspiel. FiDi erfreut
durch ausdrucksvolles Singen, aber es gibt auch Übertreibungen und andere
Eigenheiten, wie das Unterbrechen von Tonfolgen, wenn für einen Moment die
Stimme wegbricht. Bei seiner letzten Aufnahme, einem Mitschnitt aus Nürnberg,
tritt ein weiterer Begleiter neben den Sänger, mit dem er in seinen letzten
aktiven Jahren arbeitet: Hartmut Höll. Dieser spielt
zuverlässig, kann sich aber neben dem abgesungenen FiDi
nicht richtig profilieren. Die Stimme hat hier deutlich nachgelassen, immer
wieder begegnet man Vokalverfärbungen, sie klingt fahl, grau, schmal, hohl und
bricht hier und da ein. Der Sänger fällt in Manierismen (Nr. 5 „den sie mir
einst gegeben“), Überbetonungen, oder flüchtet sich in einen sentimentalen
Vortrag (z. B. Nr. 14). Eine völlig überflüssige, rufschädigende CD!
Fritz Wunderlich, Tenor
Wunderlichs LP mit
der „Dichterliebe“ und weiteren Liedern von Schubert und Beethoven wurde bei
ihrem Erscheinen mit Lobeshymnen überhäuft. Es ist tatsächlich von der
stimmlichen Umsetzung eine fantastische Aufnahme und ein großes Versprechen,
das durch Wunderlichs frühen Tod nicht mehr eingelöst werden konnte. Der Sänger
hat zusammen mit seinem Klavierpartner Hubert Giesen dieses Liedprogramm noch
mehrmals aufgeführt, u. a. in Schwetzingen, Salzburg und Edinburgh,
entsprechende Mitschnitte liegen vor. Während er in der Studio-Aufnahme noch
wie im abgesicherten Modus singt, teilweise mit etwas dozierendem Vortrag, hat
man zumindest bei den Mitschnitten in Schwetzingen und Salzburg den Eindruck,
dass er sich jetzt freigesungen habe, vieles klingt einfach natürlicher,
eindringlicher, jedoch nicht routinierter im Vortrag. Dabei unterlaufen leider
auch Gedächtnislücken: In Schwetzingen ersetzt er die Stelle „und laut
aufweinend stürz ich mich“ durch die spätere „aus deinen Augen schleich ich
mich“, die dann ein paar Takte später nochmals wiederholt wird. Und im
folgenden Lied wird aus: „das seh ich oft im Traum“
ein: „ich seh es oft im Traum“, letzteres Versehen
beobachtet man auch beim Salzburger Liederabend, den ich von allen Aufnahmen an
die Spitze stelle, nicht zuletzt aufgrund seines guten Klangbildes. Nirgends
hört man die Worte „Ich liebe dich“ in Nr. 4 so eindringlich. Der Mitschnitt
von Wunderlichs letztem Konzert beim Edinburgh Festival, wenige Tage vor seinem
Tode, ist ein kostbares Dokument, leidet aber unter technischen Mängeln. Die
Techniker der DGG haben versucht diese auszumerzen, aber keine Wunder
vollbringen können. So klingen vor allem die Buchstaben s und sch im Anlaut wie
verschluckt oder Konsonanten fallen unter den Tisch. Insgesamt liegt hier ein
etwas künstlicher Klang vor, dabei klingt der Flügel wie nicht genau
fokussiert. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Mitschnitten sind auch viele
Publikumsgeräusche stehengeblieben. Hubert Giesens Begleitung ist in allen
Aufnahmen als zuverlässig zu bezeichnen, sie gibt dem Sänger die rechte Stütze,
ohne dass ein gegenseitiges Geben und Nehmen die Musik belebt. Warum Giesen in
Lied 13 die fünfmaligen staccato-Einwürfe bei jeder neuen Aufnahme anders
artikuliert, muss offen bleiben.
Peter Schreier, Tenor
Nach Wunderlichs Tod
stieg der Stern Peter Schreiers rasant, was nicht heißen soll, dass er es nur
diesem Umstand zu verdanken habe. Weit gefehlt, als ehemaliger Kruzianer war
ihm für seine Sängerlaufbahn die höchst
solide Ausbildung dieses Dresdner Instituts von großem Nutzen, als Konzertsänger
sowohl wie auf der Opernbühne. Entsprechend lang dauerte seine Karriere. Zum
Liedgesang fühlte er sich immer wieder hingezogen und spielte eine große Anzahl
von Platten ein, auch Schumanns Dichterliebe, ich besitze drei Aufnahmen aus
verschiedenen Jahren mit unterschiedlichen Klavierpartnern. Die älteste
entstand mit Norman Shetler, hier nehmen die beiden
Interpreten es sehr genau, es wird immer sehr bewusst gesungen – bei mäßigen
Tempi – und klingt kaum einmal spontan. Stimme und Klavier laufen eher nebeneinander
her, ohne sich gegenseitig zu stimulieren. Schöngesang geht vor Textausdeutung,
so klingt es jedoch etwas artifiziell. Mehr als 10 Jahre später erfolgte eine
Zweitaufnahme für VEB Deutsche Schallplatten in Partnerschaft mit Teldec. Christoph Eschenbach steuert eine professionelle
Begleitung bei (vgl. das Nachspiel in Nr. 10), Schreiers Stimme verfügt jedoch
nicht mehr über den früheren Schmelz, die Höhe klingt angestrengt. Ein
erfreuliches Miteinander der beiden Künstler wirkt sich insgesamt positiv auf
die Interpretation aus. Das trifft noch mehr bei Schreiers letzter Aufnahme mit
dem Pianisten Andras Schiff zu, der mit viel Fantasie Schumanns Notentext
ausdeutet. Stimmlich bietet sie etwas weniger, stattdessen ein sehr gutes Zusammenwirken von Stimme und Flügel, bei
etwas rascheren und überzeugenderen Tempi. Im letzten Lied singt Schreier, nur
hier, nach der Fermate nicht in den ausklingenden Akkord hinein, wie es der
Komponist wollte, sondern beginnt erst danach, eigentlich eine Lappalie. Der
Hörer muss sich entscheiden, welche Interpretation ihm am besten zusagen wird.
eingestellt
am 07.04.12