Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Robert Schumann

 

Dichterliebe

 

Liederzyklus nach Gedichten von Heinrich Heine op. 48

 

Die meisten der bekannten und geschätzten Kompositionen erblickten das Licht der Öffentlichkeit nicht so, wie sie der Komponist ursprünglich konzipiert und niedergeschrienen hatte, so erging es auch Schumanns Dichterliebe, dem letzten seiner Liederzyklen, entstanden im Mai/Juni 1840, vom Komponisten als Heine-Zyklus bezeichnet. Ursprünglich komponierte Schumann 20 Lieder aus Heines „Lyrischem Intermezzo“, entnommen aus seinem „Buch der Lieder“ aus dem Jahre 1827. Bei der Drucklegung und Veröffentlichung 1844 fehlten jedoch 4 Lieder, warum sie ausschieden, ist nicht genau bekannt. Sie kamen einige Jahre später zusammen mit weiteren Liedern heraus. Auch den Namen „Dichterliebe“ liest man hier zum ersten Mal. Beim näheren Vergleich der einzelnen Lieder wird deutlich, dass auch die verbliebenen Lieder noch einmal überarbeitet wurden, musikalisch und auch textlich, wenn Schumann Heines Vorlage verändert, um eine bessere Sanglichkeit zu ermöglichen. Beispielhaft sei das Lied Nr. 9 „Das ist ein Flöten und Geigen“ herausgegriffen, da steht bei Heine zu lesen „Trompeten schmettern drei’n“, Schumann ändert „drei’n“ in „darein“. Einige Takte später, vor dem Nachspiel, folgt eine weitere „Verbesserung“: aus „die guten Engelein“ wird bei Schumann „die lieblichen Engelein“. Auch die vielen kürzeren und längeren Nachspiele wurden einer Revision unterzogen. Thomas Hampson hat die Erstfassung eingespielt (s. u.). In Christopher Maltmans Aufnahme kann man die vier Lieder im Anschluss an die Dichterliebe hören.

 

Wie auch bei Schuberts beiden Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“ handelt die „Dichterliebe“ von Heine/Schumann von einer unerfüllten Liebe. Während die Protagonisten bei Schubert zugrunde gehen, bleibt es hier offen, all die Wünsche, Schmerzen, Leiden, Qualen und Sehnsüchte werden in einem unerwarteten Schwenk in einen großen Sarg gesteckt und ins Meer versenkt. Heines Ironie ist nun nicht mehr zu verbergen. Richard Eckstein schreibt im Booklet der CD mit Roman Trekel treffend „Heines Ironie liegt in der unerwarteten Wendung, die der Text nimmt, Schumanns Ironie hingegen verzichtet auf musikalische Pointen, speist sich vielmehr aus dem generellen Spannungsverhältnis zwischen Singstimme und Klavierbegleitung während des ganzen Liedes. Die Ironie des Textes bleibt somit bestehen, erfährt aber oftmals einen zusätzlichen ironischen Kommentar durch die Begleitung. Die Symbiose ist perfekt.“

 

Hier nun noch Hinweise zu ausgewählten Liedern:

 

Nr.1: „Im wunderschönes Monat Mai“, Fritz Wunderlich klingt die letzte Zeile „mein Sehnen und Verlangen“ nicht als abgeschlossen, man meint, er wolle weitersingen, nur die Worte fehlten ihm.

 

Nr. 4: „Wenn ich in deine Augen seh“, Schumann nimmt bei „Leid und Weh“ zwei Achtel und eine Viertel, einige Sänger jedoch singen die Achtel punktiert: Wunderlich, Pears, Waechter, Prey, Krebs, Bostridge und Güra.

Am Ende der nächsten Zeile bietet der Notentext für „ganz und gar“ eine Alternative in hoch und tief an. Die meisten Sänger entscheiden sich für das glänzendere hoch, die tiefe Alternative wählen Skovhus, Souzay, Hampson und Julian Prégardien.

 

Nr. 6: „Im Rhein, im heiligen Strome“, dieses Lied bietet für den Stimmumfang des Sängers eine Herausforderung, es beginnt in tiefer Lage und dazu noch f. Nicht jedem gelingt das überzeugend. Für das Klaviernachspiel schreibt Schumann ein mf vor, das wird jedoch von sehr vielen Pianisten übersehen, die dort zu laut spielen.

 

Nr. 7: „Ich grolle nicht“, da bietet Schumann bei „… Herzen frißt, ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist“ wie schon im vierten Lied eine hohe Alternative an, die viele wählen, manche scheitern jedoch daran, weil ihnen die Höhe fehlt. Die tiefere Lage hört man bei Schiøtz, Hotter, Souzay, Bernac, Hampson, Skovhus, Trekel und Juilian Prégadien.

 

Nr. 11: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, Schumann wählt für die letzten zu singenden Töne bei „… bricht das Herz entzwei“ dreimal den Ton d als Achtel, dann eine Achtel und eine Viertel mit dem Grundton es; in der Ausgabe für tiefere Stimme sind  es h und c. Die meisten Sänger singen jedoch viermal den Leitton d und bringen den Grundton es nur auf die Eins des folgenden Taktes. Andreas Schmidt bietet es Einziger noch eine weitere Variante an, wenn er das vierte Achtel in zwei Sechzehntel aufteilt und in eine Schleife umwandelt, die erste bringt den Leitton, die zweite den Grundton.

 

Nr. 14: „Allnächtlich im Traume“, das Lied endet mit den Worten „… hab ich vergessen“. Fischer-Dieskau singt diese Worte nicht im Zusammenhang, sondern fügt vor „vergessen“ einen winzigen Absatz ein, das überzeugt! Der Sänger bringt diese Lesart aber nur in zwei Interpretationen, mit Demus-57 und Eschenbach-76.

 

Im Folgenden habe ich 36 Interpretationen, getrennt nach Stimmlagen, aufgelistet sowie zum Schluss die Urfassung von 1840, die Thomas Hampson zusammen mit Wolfgang Sawallisch erarbeitet hat.

 

Tenor:

 

5

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

Allegria

1965

27‘00

 

live Salzburg, ▼

5

Christoph Prégardien

Andreas Staier, Hammerflügel

DHM

1993

26‘51

 

die Aufnahme gefällt schon durch die klare, weiche und wunderbar geführte Stimme des Tenors, die tiefe Lage muss er sich allerdings erkämpfen, bestes Zusammenwirken mit Andreas Staier am Hammerflügel, beide gehen einfühlsam auf Heines Textvorlagen ein – Nr. 8: duftige Klavierbegleitung, großartig „zerrissen mir das Herz“

5

Josef Protschka

Helmut Deutsch

Capriccio

1987

32‘30

 

einfühlsamer Vortrag, das Besondere eines jeden Lieds erfasst, außergewöhnliche Textverständlichkeit, keine Vokalverfärbungen, Protschka und Deutsch in bester Partnerschaft, einziger Einwand: die Künstler nehmen sich mehr Zeit, das kann manchmal etwas langsam klingen

5

Hans Peter Blochwitz

Rudolf Jansen

EMI

1989

26‘44

 

schlanke Stimme, hervorragend geführt, locker, jugendlich und gefühlvoll, Texte einfühlsam gestaltet; nicht das Timbre eines Wunderlichs, Vortrag aber auf vergleichbar höchstem Niveau; gute Partnerschaft zwischen Blochwitz und Jansen

5

Daniel Behle

Sveinung Bjelland

Capriccio

2010

27‘58

 

vorwiegend vom Intellekt bestimmtes Singen, expressives Klavierspiel mit messerscharfer Artikulation, Biedermeier weit hinter sich lassend – Nr. 9 gute Dynamik in allen Liedern, hier in besonderem Maße, Nr. 10 Situation genau wiedergegeben

 

 

4-5

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

DGG

1965

27‘13

 

4-5

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

SWR Musik     hänssler

1965

28‘06

 

live Schwetzingen, ▼

4-5

Axel Schiøtz

Gerald Moore

Danacord       Music&Arts

1946

25‘51

 

natürliches Singen; einige, zeitbedingte, Portamenti, jedoch nicht aufdringlich; Moore nur Begleiter – Nr. 9 Schumanns dynamische Vorgaben nicht immer beachtet

4-5

Peter Schreier

Norman Shetler

Berlin Classics

P 1975

31‘27

 

4-5

Peter Schreier

Christoph Eschenbach

Teldec

1988

29‘15

 

4-5

Peter Schreier

Andras Schiff

Orfeo

2002

25‘50

 

4-5

Julian Prégardien

Eric le Sage, Hammerflügel

Alpha

2018

26‘34

 

Das Vorgehen der beiden Musiker geht über das gewohnte hinaus, mit teilweise schnelleren Tempi. In Nr. 4 wird bei „ich liebe dich“ dem Sänger sehr leise eine Frauenstimme hinterlegt, größtmögliche Textbezogenheit, die Stelle „sie hat ja selbst zerrissen“ in Nr. 8 wird als Wutausbruch inszeniert. Prégardien scheut sich nicht, einige kleine Verzierungen einzufügen. Der Wert der Aufnahme wird allerdings geschmälert durch eine zu laute Klavierbegleitung zumindest in den Liedern Nr. 8, 9 und 16, beim Klaviernachspiel in Nr. 12 hätte ich mir etwas mehr Poesie gewünscht.

 

 

4

Werner Güra

Jan Schultsz

HMF

2001

33‘08

 

hohe Gesangskultur, bei manchen Liedern wünschte man sich etwas mehr Spannung, sie sind zu sehr doziert, vielleicht auch zu langsam – Nr.5 Klavier zu laut, kein pp, Nr. 13 „ich hab im Traum...“ beim drittenmal Crescendo gut gesetzt, nicht übertrieben, Nr. 14 „Ach könnt ich dorthin…“ sollte leiser, innerlicher gesungen werden

4

Ian Bostridge

Julius Drake

EMI

1997

28‘45

 

Bostridges Stimme meistert tiefe Lage besser als hohe, leichtes Lispeln, etwas künstlicher Vortrag, Drake zuverlässig, ohne Impulse zu geben – Nr. 6 „meines Lebens Wildnis“ undeutlich, Nr. 9 Schumanns dynamische Vorgaben übergangen, Nr. 10 etwas harmlos, Nr. 13 behutsames Crescendo, nicht aufgetragen, gut!

4

Peter Pears

Benjamin Britten

Decca

P 1965

28‘43

 

Pears fällt bei schnellen Tönen schnell in ein Staccato, das klingt dann wie gestelzt, Töne nicht immer bestens fokussiert, auch die Textverständlichkeit ist herabgesetzt, Britten unterstützt mit profiliertem Einsatz – Nr. 1 viel Vibrato, mühsame Höhe, im p säuselndes Singen, Nr. 6 kernige Töne in tiefer Lage überzeugen mehr, Nr. 7 höchste Töne gestemmt

4

Walter Ludwig

Hans Altmann

BR-Aufnahme, unveröffentlicht

1957

29‘41

 

vor allem bei langsamen Liedern leicht dozierendes Singen, wie man es früher oft hörte, Stimme überzeugt in tiefen Lagen mehr als in der Höhe, die erkämpft werden muss, Pianist gefällt besser als Sänger – Nr. 7 zu langsam, ohne „Groll“, Nr. 9 pauschale Dynamik

4

Helmut Krebs

Felix Schröder

Erato      forgotten records

1956

27‘14

 

schmale Tenorstimme mit etwas nasalem Einschlag, nutzt das vom Text vorgegebene Potential wenig, deshalb etwas bieder, Pianist setzt kaum eigene Akzente

4

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

DGG

1966

28‘37

 

live Edinburgh, ▼

   

tiefe Stimme, Bariton, Bassbariton und Bass:

 

5

Hans Hotter

Hans Altmann

Preiser

1954

27‘47

 

noble Aufnahme, Hotters Stimme hier angenehm leicht, Pianist und Sänger auf höchstem Niveau

 

 

4-5

Dietrich Fischer-Dieskau

Jörg Demus

DGG

1957

29‘12

 

4-5

Dietrich Fischer-Dieskau

Gerald Moore

Orfeo

1956

32‘03

 

live, ▼

4-5

Andreas Schmidt

Rudolf Jansen

hänssler

1997

31‘00

 

kultiviertes Singen, Schmidt findet den rechten Ton sowohl für die lyrischen Stücke als auch für die mehr dramatisch konzipierten Stellen, ohne zu forcieren, ansprechende Dynamik, sehr gute Partnerschaft, heller Klavierklang

4-5

Roman Trekel

Oliver Pohl

Oehms

2005

27‘49

 

hoher Bariton, bei tiefen Stellen wird die Stimme schmal, einfühlsame Textausdeutung, gute p-Kultur, gute Partnerschaft – Nr. 12 6/8-Takt, also ein Zweier, Tempo deshalb nicht zu langsam

4-5

Christian Gerhaher

Gerold Huber

RCA

2004

29‘54

 

hoher Bariton, helle Stimme, Vortrag auf hohem Niveau, emotional zurückhaltend, ich wünschte mir etwas mehr Spannung, sehr gute Partnerschaft, ansprechende Dynamik

4-5

Gérard Souzay

Jaqueline Bonneau

Decca

1953

29‘39

 

Frankreichs bekanntester Liedersänger der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts; eher empfindsam und zurückhaltend als aufdringlich, keine Dramatisierungen, darin sind sich Sänger und Pianistin einig, wenige Vokalverfärbungen, Höhe muss sich Souzay allerdings erkämpfen

 

 

4

Ulf Bästlin

Stefan Laux

hänssler

2003

29‘13

 

einer der wenigen Sänger mit guter p/pp-Kultur, Bästlins Stimme fehlt es etwas an Glanz, zurückhaltend beim Vortrag, deshalb überzeugen die ruhigen Lieder mehr, eine Überdramatisierung fehlt, gutes Zusammenwirken mit dem Pianisten

4

Dietrich Fischer-Dieskau

Christoph Eschenbach

DGG

1976

28‘37

 

4

Eberhard Wächter

Alfred Brendel

Decca

1961

27‘49

 

Waechter nähert sich dem Liederzyklus von der Opernbühne her, das tritt besonders an dramatischen Stellen hervor; große, voluminöse Stimme, das Intime kommt etwas zu kurz, aufmerksame Begleitung des jungen Brendel

4

Hermann Prey

Karl Engel

EMI

P 1962

29‘04

 

in bekannter Prey-Manier, mit Tränen auf den Lippen (z. B. Nr. 6, 7, 13), man muss die Stimme mögen – Nr. 9 gute Dynamik, Nr. 15 „Ach könnt ich…“ zu laut, ohne die erwartete „innigste Empfindung“

4

Christopher Maltman

Graham Johnson

hyperion

2000

29‘19

 

heller Bariton mit guter Textverständlichkeit, Stimme jedoch nicht immer leicht geführt, wünschte man sich oft lockerer und mit mehr Farbe, das würde einen Abwechslungsreichtum fördern

 

 

3-4

Dietrich Fischer-Dieskau

Wladimir Horowitz

CBS    Sony

1976

29‘16

 

live, ▼

3-4

Dietrich Fischer-Dieskau

Hartmut Höll

Erato

1992

30‘05

 

live, ▼

3-4

Bo Skovhus

Helmut Deutsch

Sony

1996

29‘04

 

von der Opernbühne her, Ausdruck kommt mehr von außen als von innen, wenig wandlungsfähige Stimme, immer wieder sind Stimmverfärbungen zu beobachten, Pianist gut, kann aber das Rad nicht wenden – Nr. 6 Sänger klebt zu sehr an den Noten, Nr. 8 „Sternelein“ ohne Punktierung, „Herz“ und „Schmerz“ ohne z im Auslaut

 

 

3

Pierre Bernac

Robert Casadesus

CBS    Sony

1952

28‘38

 

oft viel Vibrato, etwas gekünstelt, kein idiomatisches Deutsch, einige Vokalverfärbungen, Höhe muss sich erkämpft werden – Nr. 15 die Stelle „Ach könnt ich dorthin kommen…“ entbehrt nicht einer gewissen Komik, Nr. 16 nach „… ins Meer hinab.“ setzen Sänger und Pianist entgegen des Notentextes beide gleichzeitig ab, ein „heißes Bemühen“ durchaus vorhanden, das reicht hier jedoch nicht

 

 Sopran:

 

4-5

Lotte Lehmann

Bruno Walter

Columbia    CBS

1941

27‘12

 

die einst gefeierte Sopranistin hinterlässt auch im ausgesprochenen Männerrepertoire mit ausdrucksvollem sowie einfühlsamen Singen einen guten Eindruck, zeitbedingte Portamenti, Bruno Walter in dienender Funktion, Klavier klanglich zurück

 

20 Lieder und Gesänge aus dem Lyrischen Intermezzo im Buch der Lieder von Heinrich Heine – Urfassung der „Dichterliebe“

 

4-5

Thomas Hampson

Wolfgang Sawallisch

EMI

1994

35‘47

 

Hampson immer nahe an dem jeweiligen Lied, ziemlich überzeugender Vortrag, ausgeglichene Stimme, Sawallisch versierter und korrekter Begleiter

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton

 

Der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau war im Lied-Bereich der am meisten beschäftigte Sänger, auf der Schallplatte durfte er nach 1950 gleich für zwei der führenden Labels (DGG und Electrola/EMI) wirken und die bekannten Liederzyklen von Schubert, Schumann und Brahms einspielen, dazu noch viele Einzelaufnahmen. FiDis Schallplattenausstoß war inflationär, vergleichbar nur mit dem Herbert von Karajans. Im Falle von Schumanns Dichterliebe biete ich fünf verschiedene Produktionen an, sie entstanden im Zeitraum von 1956-1992. Die älteste Aufnahme ist ein Mitschnitt von den Salzburger Festspielen aus dem Jahr 1956, hier wurde er von Gerald Moore begleitet (guter Klang). Beim Hören begegnet einem das, was Zeit seines Sängerlebens sein Markenzeichen wurde: klares Singen, gute Differenzierung, voller Einsatz der Stimme, was nicht heißen soll, dass er nicht auch leise Stellen zart modulieren konnte. Man hört aber auch, dass er immer Text und Musik in seiner Hand hielt und beide seinem festen Willen unterwarf, weit mehr, als man es von Kollegen hören konnte. Das konnte zu Überbetonungen oder/und Überdramatisierungen bestimmter Liedstellen führen, im Konzertsaal mehr als im Studio, wie der Vergleich Salzburg zu der ein Jahr später entstandenen Studioaufnahme mit Jörg Demus zeigt, die ich für seine gültigste Darstellung halte. FiDis sängerische Eigenheiten nahmen im Lauf der Jahre noch zu und führten nicht nur beim Publikum zum Widerspruch bis hin zur Ablehnung seines Stils. Aus dem Jahr 1976 sind zwei Aufnahmen überliefert: eine Studioaufnahme jetzt mit dem Pianisten Christoph Eschenbach, sowie ein Mitschnitt aus der New Yorker Carnegie-Hall anlässlich des 85-jährigen Jubiläum dieses Kunsttempels. Dabei waren einige der bekanntesten Interpreten des damaligen Klassik-Betriebs wie Bernstein, Rostropovitch, Menuhin, Stern, Fischer-Dieskau und Horowitz. Von CBS wurde das Konzert auf 2 LPs unter dem marktschreierischen Titel „Concert of the Century“ den Plattenkäufern als die Sensation angepriesen. Der künstlerische Ertrag ist m. E. jedoch mager, darunter auch Fischer-Dieskaus Dichterliebe mit dem sonst nicht als Liedbegleiter in Erscheinung getretenen Waldimir Horowitz. Wer weiß, wie viele Proben der Aufführung vorangingen? Horowitz‘ Klavierspiel hört sich so an, als wäre es nicht sein Herzenswunsch gewesen den berühmten Sänger zu begleiten, sondern sei nur zu seinem Part verpflichtet worden, von einem einfühlsamen Begleiten kann keine Rede sein, Solist und Pianist treffen sich nicht immer auf der Eins. Fischer-Dieskau hat seine Stimme hier nicht richtig im Griff, wenn er mehr deklamiert als singt, die Poesie von Text und Lied kommen zu kurz, auch sind etliche Stimmverfärbungen nicht zu überhören. Das letzte Lied wird hier schneller als üblich genommen. Unter dem Strich kann man feststellen, dass es bei dieser Veranstaltung wohl eher um Namen als um Musik ging! Da hinterlässt die Eschenbach-Platte einen wesentlich besseren Eindruck, vor allem der Pianist mit einem expressiven Klavierspiel. FiDi erfreut durch ausdrucksvolles Singen, aber es gibt auch Übertreibungen und andere Eigenheiten, wie das Unterbrechen von Tonfolgen, wenn für einen Moment die Stimme wegbricht. Bei seiner letzten Aufnahme, einem Mitschnitt aus Nürnberg, tritt ein weiterer Begleiter neben den Sänger, mit dem er in seinen letzten aktiven Jahren arbeitet: Hartmut Höll. Dieser spielt zuverlässig, kann sich aber neben dem abgesungenen FiDi nicht richtig profilieren. Die Stimme hat hier deutlich nachgelassen, immer wieder begegnet man Vokalverfärbungen, sie klingt fahl, grau, schmal, hohl und bricht hier und da ein. Der Sänger fällt in Manierismen (Nr. 5 „den sie mir einst gegeben“), Überbetonungen, oder flüchtet sich in einen sentimentalen Vortrag (z. B. Nr. 14). Eine völlig überflüssige, rufschädigende CD!

 

Fritz Wunderlich, Tenor

 

Wunderlichs LP mit der „Dichterliebe“ und weiteren Liedern von Schubert und Beethoven wurde bei ihrem Erscheinen mit Lobeshymnen überhäuft. Es ist tatsächlich von der stimmlichen Umsetzung eine fantastische Aufnahme und ein großes Versprechen, das durch Wunderlichs frühen Tod nicht mehr eingelöst werden konnte. Der Sänger hat zusammen mit seinem Klavierpartner Hubert Giesen dieses Liedprogramm noch mehrmals aufgeführt, u. a. in Schwetzingen, Salzburg und Edinburgh, entsprechende Mitschnitte liegen vor. Während er in der Studio-Aufnahme noch wie im abgesicherten Modus singt, teilweise mit etwas dozierendem Vortrag, hat man zumindest bei den Mitschnitten in Schwetzingen und Salzburg den Eindruck, dass er sich jetzt freigesungen habe, vieles klingt einfach natürlicher, eindringlicher, jedoch nicht routinierter im Vortrag. Dabei unterlaufen leider auch Gedächtnislücken: In Schwetzingen ersetzt er die Stelle „und laut aufweinend stürz ich mich“ durch die spätere „aus deinen Augen schleich ich mich“, die dann ein paar Takte später nochmals wiederholt wird. Und im folgenden Lied wird aus: „das seh ich oft im Traum“ ein: „ich seh es oft im Traum“, letzteres Versehen beobachtet man auch beim Salzburger Liederabend, den ich von allen Aufnahmen an die Spitze stelle, nicht zuletzt aufgrund seines guten Klangbildes. Nirgends hört man die Worte „Ich liebe dich“ in Nr. 4 so eindringlich. Der Mitschnitt von Wunderlichs letztem Konzert beim Edinburgh Festival, wenige Tage vor seinem Tode, ist ein kostbares Dokument, leidet aber unter technischen Mängeln. Die Techniker der DGG haben versucht diese auszumerzen, aber keine Wunder vollbringen können. So klingen vor allem die Buchstaben s und sch im Anlaut  wie verschluckt oder Konsonanten fallen unter den Tisch. Insgesamt liegt hier ein etwas künstlicher Klang vor, dabei klingt der Flügel wie nicht genau fokussiert. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Mitschnitten sind auch viele Publikumsgeräusche stehengeblieben. Hubert Giesens Begleitung ist in allen Aufnahmen als zuverlässig zu bezeichnen, sie gibt dem Sänger die rechte Stütze, ohne dass ein gegenseitiges Geben und Nehmen die Musik belebt. Warum Giesen in Lied 13 die fünfmaligen staccato-Einwürfe bei jeder neuen Aufnahme anders artikuliert, muss offen bleiben.

 

Peter Schreier, Tenor

 

Nach Wunderlichs Tod stieg der Stern Peter Schreiers rasant, was nicht heißen soll, dass er es nur diesem Umstand zu verdanken habe. Weit gefehlt, als ehemaliger Kruzianer war ihm  für seine Sängerlaufbahn die höchst solide Ausbildung dieses Dresdner Instituts von großem Nutzen, als Konzertsänger sowohl wie auf der Opernbühne. Entsprechend lang dauerte seine Karriere. Zum Liedgesang fühlte er sich immer wieder hingezogen und spielte eine große Anzahl von Platten ein, auch Schumanns Dichterliebe, ich besitze drei Aufnahmen aus verschiedenen Jahren mit unterschiedlichen Klavierpartnern. Die älteste entstand mit Norman Shetler, hier nehmen die beiden Interpreten es sehr genau, es wird immer sehr bewusst gesungen – bei mäßigen Tempi – und klingt kaum einmal spontan. Stimme und Klavier laufen eher nebeneinander her, ohne sich gegenseitig zu stimulieren. Schöngesang geht vor Textausdeutung, so klingt es jedoch etwas artifiziell. Mehr als 10 Jahre später erfolgte eine Zweitaufnahme für VEB Deutsche Schallplatten in Partnerschaft mit Teldec. Christoph Eschenbach steuert eine professionelle Begleitung bei (vgl. das Nachspiel in Nr. 10), Schreiers Stimme verfügt jedoch nicht mehr über den früheren Schmelz, die Höhe klingt angestrengt. Ein erfreuliches Miteinander der beiden Künstler wirkt sich insgesamt positiv auf die Interpretation aus. Das trifft noch mehr bei Schreiers letzter Aufnahme mit dem Pianisten Andras Schiff zu, der mit viel Fantasie Schumanns Notentext ausdeutet. Stimmlich bietet sie etwas weniger, stattdessen ein sehr gutes  Zusammenwirken von Stimme und Flügel, bei etwas rascheren und überzeugenderen Tempi. Im letzten Lied singt Schreier, nur hier, nach der Fermate nicht in den ausklingenden Akkord hinein, wie es der Komponist wollte, sondern beginnt erst danach, eigentlich eine Lappalie. Der Hörer muss sich entscheiden, welche Interpretation ihm am besten zusagen wird.

 

eingestellt am 07.04.12

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