Das
Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Antonin Dvorak
Klaviertrio f-Moll op. 65
Allegro ma non troppo –
Allegretto grazioso, Meno mosso – Poco Adagio –
Allegro con brio
Wer Dvoraks
7. Sinfonie liebt, wird auch am f-Moll-Trio Gefallen finden, Leidenschaft als
Gemeinsamkeit, aber auch Ausdrucksintensität und die sogenannte böhmische Seele.
Das Trio
wurde komponiert im Februar/März 1883 in einer für Dvorak schweren Zeit, nach
dem Tode seiner Mutter im Dezember 1882. Als weiteres Indiz für seine
niedergedrückte Stimmung könnte auch der geringe Erfolg seiner historischen
Oper Dimitrij im Oktober 1882 gewesen sein, beides ein Anlass für die
Depressionen Anfang des Jahres 1883, die sein Schaffen vorübergehend lähmte.
Mit dem neuen
Trio, es ist bereits sein drittes, geht eine Veränderung in seiner
Kompositionsweise einher, weg von böhmisch/slawisch geprägten Werken, hin zu
einer leidenschaftlichen und persönlichen Musiksprache, wie er sie auch in
Werken seines Vorbildes und Mentors Johannes Brahms fand, z. B. im
Klavierquintett f-Moll op. 34 oder dem 3. Klaviertrio c-Moll op. 60, unter
dessen kompositorischem Einfluss Dvorak etwa ab 1875 stand. Bei den formalen
Abläufen folgt Dvorak nicht ganz herkömmlichen Schemata, obwohl er die
Sonatenform nicht hinter sich lässt, sondern eigene Wege sucht. Bei der
Komposition findet er jedoch nicht sogleich den gewünschten Tonfall, sowie die
passende Form. Erst eine Umarbeitung bringt die Lösung, dabei wird auch die
Reihenfolge der Mittelsätze vertauscht.
Der 1. Satz
ist von durchführungsartigen Elementen durchzogen, in Anlehnung von Brahms‘
Kompositionsweise. Noch bevor ein Thema abgeschlossen ist, beginnt schon seine
Verarbeitung. Der Satz besitzt sinfonische Weite, es herrscht eine
charakteristische Unruhe, ein leidenschaftlicher und verzweifelter Tonfall vor.
Der Komponist sorgt für eine ausgiebige Verarbeitung der Themen, die aus
kleinen Motivbausteinen entwickelt sind, für eine große Verdichtung, auch in
der Ruhe bleibt noch unterschwelliges Drängen. In den vielen Moll-Partien gibt
es immer wieder kurze Dur-Aufhellungen. Das Schwanken zwischen Dur und Moll
prägt diesen, aber auch die anderen Sätze.
Der 2. Satz
ist ein Scherzo in cis-Moll, kurz wird H-Dur gestreift, im Stil eines
slawischen Tanzes, aber mit trotzigem Ausdruck und ruppigem Spiel. Dvorak hat
ihm die Tempovorschrift Allegro grazioso mitgegeben. Allegro ist für die
Spieler kein Problem, grazioso jedoch wird kaum getroffen, das gelingt
nur, wenn man sich in der dynamischen Intensität zurückhält. Das kurze Trio in
Des-Dur bringt eine Aufheiterung, bleibt jedoch nur eine Episode.
Der
melodienselige 3. Satz in As-Dur, mit einem pathetischen Marsch in gis-Moll im Mittelteil, ist insgesamt der ruhende Pol des
Trios.
Das Finale in
f-Moll erinnert mit seinem rhythmisch gefassten Thema an einen Furiant, wieder
spannungsgeladen, mit aggressiven Ausbrüchen. Erst allmählich und in langer
Steigerung wird der Durchbruch nach (F-) Dur erreicht, der klassische Zielpunkt
eines jeden romantischen Werkes in Moll.
Der
Musikwissenschaftler Ludwig Finscher schreibt über
dieses Trio: Es sei „in jeder Hinsicht ein Ausnahmewerk, in seinem
gespannten und bis fast zum Ende düsteren Ton, seiner Kompliziertheit und nicht
zuletzt seiner ungewöhnlichen Ausdehnung auf fast 40 Minuten Spieldauer.“
In meinem
ersten „Bielefelder Katalog“ (Katalog der Schallplatten klassischer Musik,
Bielefelder Verlagsanstalt) vom März 1966 ist von Dvorak nur das berühmte „Dumky-Trio“ e-Moll op. 90 mit drei Aufnahmen vertreten,
unser f-Moll-Trio op. 65 fehlt vollständig. Die Heifetz-Aufnahme von 1963 hatte
damals den deutschen Markt noch nicht erreicht. Meine erste LP war die Aufnahme
des David-Oistrach-Trios (1951) in der Veröffentlichung von Ariola-Eurodisc. Wahrscheinlich blieb sie lange Jahre die einzige
Aufnahme auf dem deutschen Plattenmarkt. Ob es sich überhaupt um die erste
Aufnahme des Trios handelt, entzieht sich meiner Kenntnis. In den Jahren ab
1975 kommen jedoch von Zeit zu Zeit Neueinspielungen auf den Markt, es ist
jedoch eine überschaubare Zahl. Heute hat jedes Klavier-Trio das f-Moll-Trio in
seinem Repertoire und spielt es ein, so dass im Augenblick kein Mangel an guten
Interpretationen herrscht. Die Musiker spielen es technisch perfekt, ihre
Interpretation jedoch klingen ähnlich, es gelingt ihnen nicht immer restlos
überzeugend, in das Innere des Werkes einzudringen und das besondere Flair zu
treffen.
5 |
Isabelle Faust, Violine Jean-Guihen Queyras,
Violoncello Alexander Melnikow, Klavier |
HMF |
2003 |
38‘00 |
|
überwiegend leidenschaftliches Musizieren
(wie auf dem Podium), böhmisches Flair, bei aller überschäumender
Musizierlaune wird Wert auf einen differenzierten Vortrag gelegt, bestes
Miteinander, sehr gute Balance und Transparenz, perfekt |
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5 |
Beaux Arts Trio |
Philips |
P
1969 |
38‘35 |
|
I gepflegtes Musizieren, gute
Balance, mehr Kammermusik als böhmische Seele, mit Übersicht musiziert, gute
dynamische Differenzierung, II Tanzcharakter herausgestellt, Buchst. G sehr
deutlich, III hoher Spannungsgrad, Stimmführungen nicht überspielt, IV ganz
nahe an der Partitur |
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5 |
Odeon Trio |
Intercord |
1981 |
39‘29 |
|
▼ |
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5 |
Odeon Trio |
Intercord Saphir |
1978 |
39‘37 |
|
▼ |
|||
5 |
Sitkovetzky Trio |
BIS |
2013 |
39‘25 |
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in den lauten Abschnitten eher
heroisch als dramatisch, andererseits nachdenklich, zurückhaltend, zart;
Dynamik an der Partitur orientiert, sehr gutes Miteinander, sehr gute
Balance, Pianistin fügt sich sehr gut in das Klanggefüge – beste Kammermusik!
Alternative zu den überwiegend dramatisch ausgerichteten Interpretationen |
|||
5 |
Wiener Klaviertrio |
MDG |
2004 |
36‘14 |
|
überwiegend leidenschaftlicher
Vortrag, nuancenreich, sehr gutes Miteinander, slawischer Einschlag spürbar,
III Andante – sehr gute Balance und Transparenz, sehr guter Klang |
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4-5 |
Yuval Trio |
DGG |
1973 |
38‘22 |
|
I pointierte Dramatik,
gestalterischer Ernst, Dvoraks Pathos ausspielend, sehr gutes Miteinander,
gute Balance und Transparenz, II etwas gewichtiger als üblich, III Andante,
spontan wirkende Musizierfreude, IV kapriziös aber auch gewichtig |
|||
4-5 |
Christian Tetzlaff, Violine, Tanja Tetzlaff, Violoncello, Lars Vogt, Klavier |
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2018 |
40‘31 |
|
▼ |
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4-5 |
Christian Tetzlaff, Violine, Boris Pergamenschikoff, Violoncello, Lars Vogt, Klavier |
EMI |
2002 |
39‘14 |
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live, ▼ |
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4-5 |
Smetana Trio |
Supraphon |
2006 |
37‘35 |
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I gepflegtes, differenziertes
Musizieren, II im Trio viel böhmisches Herzblut, das trifft auch in III zu,
das Vc. tritt an einigen Stellen etwas zurück, IV temperamentvoll, immer
locker – helles Klangbild |
|||
4-5 |
Abegg Trio |
Tacet |
1999 |
42‘29 |
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I Dvoraks Vorlage nahezu bestes
umgesetzt, der Vl. wünschte man sich an diversen
Stellen etwas mehr Geigenglanz, II bei Buchst. G nicht ganz deutlich, III mit
großer Ruhe, IV das Knorrige des Satzes gut herausgearbeitet, aber auch
einige Längen werden hörbar – sehr gutes Zusammenspiel |
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4-5 |
Triple Forte |
Atma |
2015 |
38‘56 |
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immer der Partitur auf der Spur,
sauberes, schlankes sowie leidenschaftliches Musizieren, detailgenau, bestes
Miteinander – das Trio hält sich sehr gut an die Partitur, macht alles
richtig, es fehlt m. E. das letzte Quäntchen bis zum Dvorak-Glück – insgesamt
beste Kammermusik! |
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4-5 |
Trio Wanderer |
HMF |
2016 |
36‘18 |
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bewegtes Musizieren, klar, mit
deklamatorischer Brillanz, Balance nicht immer top, Vc. muss oft
zurücktreten, III Andante-Tempo, besonders hier ersetzt französische Klarheit
böhmisches Flair |
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4-5 |
Münchner Klaviertrio |
Genuin |
2010 |
37‘25 |
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I / II nuanciertes Spiel,
einfühlsam, überwiegend schlankes Musizieren, III im Andante-Tempo, ohne
slawische Seele, zurückhaltend, erst gegen Satzende bessert sich der
Eindruck, IV warum nicht mehr Drive? – sehr gutes Miteinander, gute Balance |
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4-5 |
Trio Fontenay |
Teldec |
1987 |
41‘25 |
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I die unterschiedlichen
Aggregatzustände der Musik gut nachgezeichnet, sehr gutes Miteinander, II A
kaum grazioso, etwas (zu) fest musiziert, B überzeugt mehr, III im
Ausdruck etwas zurückhaltend, IV klingt stellenweise etwas angestrengt, nordddeutsch kühl? |
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4 |
Busch Trio |
Alpha |
2015 |
40‘25 |
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in den schnellen Sätzen
zugespitztes Musizieren, mit erhöhtem Druck, stellenweise etwas robust, dabei
wenig locker musiziert, aber auch nachdenklich gestaltete Abschnitte, große
dynamische Bandbreite, im f-Bereich wünschte man sich jedoch etwas
mehr Differenzierung, klangliche Dichte, alle Instrumente gleichberechtigt |
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4 |
Suk Trio |
Supraphon Denon |
1977 |
39‘54 |
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I leidenschaftlicher Vortrag, Klavier
nicht immer wünschenswert geschmeidig, Balance nicht immer top, Geige
teilweise spitz klingend, bei lauten Stellen robustes Musizieren, dichtes
Klangbild, II bei Buchst. B schwerfällig, bei F kein p, III mit langem
Atem, sehr gute Balance, IV wenig Brio, Vc. gegenüber Klavier oft im
Hintertreffen, mäßiges Tempo |
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4 |
David Oistrach Trio |
Melodya Eurodisc Brilliant |
1951 |
39‘39 |
|
▼ |
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4 |
Jascha Heifetz, Violine, Gregor Piatigorsky, Violoncello, Leonard Pennario, Klavier |
RCA |
1963 |
32‘08 |
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I „non troppo“ fällt weg,
aufgewühlt, unruhig, Heifetz oft mit kratziger Tongebung, II Allegro molto,
hitzig, III sehr bewegt, von einem ruhenden Pol kann hier keine Rede sein, IV
viel Brio, trotz einiger Espressivo-Stellen insgesamt jedoch sachlich nüchtern |
Hinweise zu
Interpreten und Interpretationen
Odeon Trio
Im Abstand
von nur drei Jahren produzierte Intercord zwei Aufnahmen
des f-Moll-Trios von Dvorak. Es wundert nicht, dass es bei den Interpretationen
kaum Unterschiede zu verzeichnen gibt. Das Trio mit Kurt Guntner,
Angelica May und Leonard Hokanson widmet sich Dvoraks
Opus mit ganzer Hingabe, das Cello spielt mit viel Körper und großer
Ausdruckskraft, man hört es hier nicht nur als Füllstimme. Die tief empfundene
Leidenschaft im Adagio kommt in der zweiten Aufnahme noch etwas mehr zum
Tragen.
Lars Vogt und
Freunde
Mit
Lars Vogt am Flügel und dem Geiger Christian Tetzlaff liegen zwei Einspielungen
des f-Moll-Trios vor, die beide von sehr hoher Qualität zeugen. Die erste ist
ein Mitschnitt vom Heimbach-Festival 2002, hier hat der erfahrene Kammermusiker
Boris Pergamenschikoff den Cellopart inne. Als Hörer
erlebt man in den Ecksätzen ein leidenschaftliches Musizieren, die Musik ist
immer sehr lebendig. Die drei Solisten sind um einen hellen und aufgelockerten
Klang bemüht. Das Scherzo vermittelt Atmosphäre, das schaffen sie im Adagio
jedoch nicht immer, auch die Balance hätte hier und da noch mehr Aufmerksamkeit
verdient. Das ist live-Musizieren. 16 Jahre später übernimmt in der
Studio-Produktion die Schwester von Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff, den
Cellopart. Hier im Studio wird in erster Linie Kammermusik gemacht, d. h.
genaueres und klares Musizieren steht im hier Vordergrund, entsprechend sind
die klanglichen Verhältnisse. Auch herrscht im 2. Satz viel Atmosphäre und eine
gute Transparenz vor. Dem Adagio fehlt es jedoch etwas an Innerlichkeit, es ist
mir etwas zu sachlich. An manchen Stellen ordnet sich die Cellistin Tanja
Tetzlaff manchmal (noch) ihrem Bruder unter, sie spielt nicht immer so
eigenständig wie Pergamenschikoff, das mindert etwas
den Rang.
eingestellt am 12.05.23