Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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8 Slawische Tänze op.
46
Die
Tänze erfordern vom Dirigenten ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Erstaunlich ist
die Fülle der Melodien – von Themen kann man nicht sprechen, da jene nicht verarbeitet,
sondern immer in neuer Instrumentierung, in wechselndem harmonischem Gewand,
mit zwei bis drei Nebenstimmen als Kontrapunkt, erscheinen. Es macht Erstaunen,
mit welcher Kunstfertigkeit Dvorak zu Werke geht. Man muss gestehen, dass die
Tänze jedoch auch ohne diese Zutaten gemeinsam mit den Füllstimmen, die die
Harmonie festigen, aber auch rhythmische Akzente setzen, ihren Reiz ausüben
(Magerkost). Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Vorgehen von Franz Schubert in
vielen seiner Kompositionen ist nicht zu übersehen. Ein wichtiges Kriterium bei
der Ausführung ist auch der Geschmack der Musiker, besonders des Dirigenten, um
dem künstlerischen Anspruch dieser Meisterwerke wirklich gerecht zu werden.
Dvoraks
Wiederholungen werden von den meisten Dirigenten befolgt, lediglich George
Szell (1962-65) und Fritz Rieger lassen einige aus.
5 |
Charles
Mackerras |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1999 |
36‘00 |
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Mackerras hat die richtige
Vorstellung von dieser Musik und setzt sie punktgenau um, eine rundherum
gelungene Einspielung. Stimmführungen, die Mehrstimmigkeit, Dvoraks
Instrumentationsreichtum, die überzeugende Tempowahl sowie der Gebrauch der
Dynamik gehen hier eine glückliche Symbiose und schaffen einen plastischen
Klang mit bester Transparenz und Balance. Das Schlagzeug wirkt nicht
aufdringlich. Einen Hinweis zu Tanz 8: In kaum einer anderen Aufnahme kommt
in T. 29 der Eintritt der Oboe und der zweiten Geige so deutlich wir hier. |
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5 |
George
Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS Sony
UA |
1956 |
35‘43 |
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s. u. |
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5 |
George
Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS Sony |
1962-65 |
34‘40 |
|
s. u. |
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5 |
Rafael
Kubelik |
Symphonie-Orchester des Bayerischen
Rundfunks |
DGG |
1973 |
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s. u. |
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5 |
Ivan
Fischer |
Budapest Festival Orchestra |
Philips |
1999 |
35‘02 |
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kreativer und fantasievoller Umgang
mit dem Notentext, Nebenstimmen immer in das Ganze eingebunden, frisch und
locker musiziert, überzeugende Tempowahl einschließlich Tempovarianten,
Triangel zu leise |
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5 |
Jean Martinon |
London Symphony
Orchestra |
Decca |
1958 |
35‘50 |
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Themen werden zum großen Teil auch
durch das Tempo charakterisiert, das ist hier gut gelungen, z. B in Tanz 1,
der tatsächlich durchgehend als Presto gespielt wird, und nicht spätestens ab
T. 85 langsamer wird; in Nr. 2 tragen Tempogegensätze zu einem
abwechslungsreichen Musizieren bei; in Tanz 7 gelingt es Martinon,
den Aufbau des Satzes incl. Crescendi fesselt
darzustellen! gute dynamische Differenzierung |
4-5 |
Michail
Pletnjew |
Russisches National Orchester |
DGG |
1994 |
37‘05 |
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Dvoraks diffizile Instrumentation
gut herausgearbeitet, geschmackvoll, sehr farbig, nicht auftrumpfend,
Klarinette etwas vernachlässigt, über die Tempowahl lässt sich streiten: Nr.
4 zu langsam, Nr. 5 prima, Nr. 7 warum nicht etwas schneller? |
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4-5 |
Vaclav
Talich |
Tschechische Philharmonie |
Supraphon |
1950 |
37‘38 |
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Talich hat ein gutes
Gespür für diese Musik, Instrumentationsvarianten werden dezent
herausgestellt, flexibler Umgang mit dem Tempo, hier und da wünschte man sich
noch eine Verschärfung, die Dynamik fällt jedoch etwas pauschal aus, vor
allem im p-Bereich, im f/ff wird der Klang etwas fest, dabei
hört man das Schlagzeug kaum differenziert dargeboten, insgesamt
musikantischer Vortrag – niedriger
Pegel, von LP transferiert (Sup. 11 0647-2001) |
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4-5 |
Lorin
Maazel |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1988 |
39‘46 |
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eine Super-Aufnahme der ersten drei
Tänze: rhythmisch betontes Musizieren, durchgefeilt, farbiger Klang,
Instrumentationsdetails gehen nicht verloren, breite Dynamik, Tempogegensätze
werden herausgestellt, sehr gute Transparenz und Balance. So müsste es weiter
gehen. Tanz 4 wünschte man sich etwas schneller, leider schlägt das
Musizieren jetzt mehr zu einer Demonstration des dirigentischen
Potentials sowie der Qualitäten des Orchesters um, es wird zur Manier, der
Hörer weiß sofort, wie es weitergeht und wird nicht mehr gefordert - schade |
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4-5 |
Nikolaus
Harnoncourt |
Chamber Orchestra of Europe |
Teldec Warner |
2001 |
36‘51 |
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eigenwillige Interpretation, teils
aggressiv und zugespitzt, in allen Tänzen nicht immer nach Dvoraks
Tempovorgaben, das Zuhören macht jedoch Spaß!, manche Stellen klingen wie ein
Galopp nach Straußscher Art, ist das noch Original Dvorak?, Petruschka scheint schon um die Ecke zu schauen, immer
präsentes Schlagwerk, in den ersten Tänzen werden Klarinetten zu
stiefmütterlich behandelt - Nr. 2 T.
62-69 Espressivo
unterschlagen |
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4-5 |
Antal
Dorati |
Minneapolis Orchestra |
Mercury |
1958 |
35‘53 |
|
s. u. |
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4-5 |
Antal
Dorati |
Bamberger Symphoniker |
Vox alto |
1974 |
35‘18 |
|
s. u. |
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4-5 |
Vaclav
Neumann |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1985 |
37‘32 |
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Tanzmusik seiner böhmischen Heimat,
dafür sorgt auch das Schlagzeug, musikantischer Ansatz, aber auch
feinsinniges Musizieren, Dvorak meisterhafte Instrumentation wird
herausgestellt, Liebe zu dieser Musik ist immer wieder zu spüren; Tanz Nr.1
guter Aufbau mit Steigerung, viel Gefühl ist im Einsatz, Nr. 6 zu langsam,
etwas fest, Nr. 7 Trompeten T. 144-154 hervorgehoben |
4 |
Christoph
von Dohnanyi |
Cleveland Orchestra |
Decca |
1989 |
37‘14 |
|
Dohnanyi bevorzugt ein geschliffenes
und vornehmes Musizieren, das eher entfernt an Tanzmusik erinnert, das
Rustikale fehlt jedoch, weniger spritzig – Nr. 1 ab T. 85 etwas langsamer,
Nr. 2 sehr gute Differenzierung sowohl im Tempo als auch beim Abwechseln der
Melodien, Nr. 3 ab T. 66 wieder etwas langsamer, auch bei T. 85 und T. 127 |
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4 |
Fritz
Rieger |
Münchner Philharmoniker |
DGG |
1953 |
31‘09 |
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Rieger bleibt immer in Partiturnähe, vor allem in Tempoangelegenheiten, kein
Schleppen, Balance nicht immer top, DGG-Klangbild der 50er Jahre, einige
Wiederholungen ausgelassen – Nr. 1 animato!,
Nr. 4 das HT klingt wenig präsent,
auch im weiteren Verlauf des Satzes, die Takte 88-99 ausgelassen, Nr. 5
Artikulation eher beiläufig, Nr. 6 zweites Thema bei T. 43 ff. mit wenig
Profil, insgesamt etwas blass, Nr. 8 die große Linie nachgezeichnet |
3-4 |
Rafael
Kubelik |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1955 |
34‘32 |
|
s. u. |
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3-4 |
Artur
Rodzinski |
Royal Philharmonic
Orchestra London |
Westminster |
1955 |
39‘03 |
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Rodzinskis Tempowahl
überzeugt nicht immer; so wird in vielen Tänzen fest, wenig locker und kaum
spritzig, tänzerisch musiziert, manches klingt behäbig (Nr. 4), in
Tutti-Abschnitten kompakter Klang |
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3-4 |
Joseph
Keilberth |
Bamberger Symphoniker |
Telefunken Warner |
1956 |
36‘26 |
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insgesamt solide, routiniert, ohne Feinsinn dargeboten, der Tanzcharakter kommt oft zu kurz,
Keilberth achtet mehr auf die große Linie (Geigen),
als Nebenstimmen einzubinden, Klangbild in Tutti-Abschnitten flach und wenig
transparent, Duft der Triangel vernachlässigt |
3 |
Rudolf
Schwarz |
BBC Symphony
Orchestra |
World Record
Club HMV |
P 1962 |
38‘00 |
|
insgesamt sauber musiziert, jedoch
wenig Tempokontraste, meist ohne Schwung, auch hat man den Eindruck, der
Dirigent hole nicht alles aus der Partitur heraus, z. B. in Nr. 3 fehlt bei
den vielen dreimaligen kurzen Tutti-Akkorden das Feuer, der Schmiss; das
führt dazu, dass man als Hörer nach drei bis vier Tänzen gesättigt ist |
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3 |
Andrew
Davis |
Philharmonia Orchestra London |
CBS |
P 1981 |
39‘49 |
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viele Tänze leiden unter
schwergängigem Tempo, das oft zu – nicht beabsichtigten – ernsten Stimmungen
führt, es fehlt die feurige Begeisterung – Nr. 3, Mehrstimmigkeit nicht
herausgestellt, Nr. 7 asketisch, ohne Durchschlagskraft, wenig Profil, |
Hinweise zu Interpreten und Interpretationen:
George Szell
Szells Interpretationen der
slawischen Tänze gefallen durch ihre schwungvolle und meist differenzierte
Darstellung, wenn man von Dvoraks dynamischen Anweisungen absieht, die von
Szell hier und da abgewandelt werden, wahrscheinlich um den Effekt zu steigern.
Auch auf die flexiblen Tempi samt ihren geschmackvollen Ritardanti
muss hingewiesen werden. Die Mono-Aufnahme klingt farbig, wird aber durch die
Stereo-Produktion, die sich über mehrere Sitzungen von 1963-1965 hinzog, noch
übertroffen. Hier verzichtet Szell jedoch über einige Wiederholungen. Am Rande
erwähnt sei noch, dass der Maestro bereits 1947 fünf Tänze aus op. 46 (3) und
op. 72 (2) mit dem Cleveland Orchester aufgenommen hat.
Antal Dorati
Dorati hat ein gutes
Feeling für diese Musik und weiß, wie man sie zum Klingen bringt: mittels
temperamentvollem Vortrag, prägnantem Musizieren, Sinn für Orchesterfarben und
guter Tempowahl. Dabei wechselt er reaktionsschnell ohne Vorbereitung von einem
Tempo zum andern, das wirkt dann äußert lebendig. Auch die sehr gute
Differenzierung darf nicht vegessen werden. Das seine
Aufnahmen bei mir nicht auf dem Siegertreppchen stehen hat äußere Gründe. Die
Mercury-Aufnahme enthält Stellen, die eigentlich hätten korrigiert werden
müssen. Gleich in Tanz 1 spielen die Geigen in T. 101-108 unsauber, in Tanz 6
ist das Orchester in T. 29/30 nicht genau zusammen, wiederum die Geigen in T.
42. Das Orchester klingt bei lauten Tutti-Stellen kompakt, bullig, dabei treten
auch die Geigen zu sehr hervor. Die viel später entstandene Vox-Aufnahme, nun
beim Label alto als CD erhältlich, liegt ebenfalls
interpretatorisch ziemlich weit vorn. Hervorzuheben sind die stellenweise
schneidenden Blechattacken. In Tanz 1 lässt er im Unterschied zu früher
Bratschen und Klarinetten bei Ziffer E T. 70 ff. mehr hervortreten. Der Klang
der Aufnahme ist jedoch nicht besser als bei Mercury, sondern anders: im Tutti
heller, aber auch flächiger mit geringem Tiefenrelief, also mit weniger Körper.
Rafael Kubelik
Der tschechische
Dirigent hat die beiden Zyklen slawischer Tänze seines Landsmanns Antonin
Dvorak zweimal für die Schallplatte im Studio produziert. Die erste entstand
1955 mit den Wiener Philharmonikern beim Label Decca, die zweite nach seinem
Wechsel zur DGG mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks, das er
bereits seit 1961 leitete. Beide Aufnahmen unterscheiden sich sowohl vom Klang
als auch vom Handwerklichen. Die Decca-Platte klingt flächig mit wenig Relief,
in Tutti-Partien auch kompakt, hier dominiert auch das Becken zu sehr, das hört
sich dann etwas nach „open air“ an. Kubelik wählt
einen musikantischen Ansatz, wobei das Lyrische einen höheren Stellenwert
erhält als das Dramatische. Manche Stellen klingen etwas pauschal, nicht ganz
durchgearbeitet, auch einige Artikulationsunsauberkeiten sind nicht zu
überhören.
Die Neuaufnahme ist
eine Weiterentwicklung des früheren Ansatzes, wartet jedoch mit einem viel
besseren Klangbild auf, mit mehr Transparenz, immer wieder werden Details
freigelegt, die man früher kaum wahrnahm. Kubelik erfreut mit einem frischen,
zugespitzten, feurigen und schwungvollen Musizieren, das für sich einnimmt.
Dezente Rubati gehören zu dieser Musik. Der Umgang
mit dem Schlagwerk ist hier vorbildlich, auch im Hinblick auf Aufnahmen anderer
Dirigenten. Kubeliks DGG-Aufnahme gehört in die Spitzengruppe der mir bekannten
Interpretationen.
eingestellt am 17.03.19