Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Dvorak    home

Antonin Dvorak

 

 Violinkonzert a-Moll op. 53

 

Allegro ma non troppo – Adagio, ma non troppo – Allegro giocoso, ma non troppo

 

Dvoraks Konzert entstand 1879, ein Jahr nach dem Konzert von Brahms, auf Bestellung des Verlegers F. Simrock, der bereits mit dem Verkauf der 8 slawischen Tänzen op. 46 guten Gewinn eingefahren hatte. Dvorak nahm den Auftrag an, beriet sich bei der Arbeit mit dem Geiger und Brahms-Freund Joseph Joachim. Der erhob jedoch nach Fertigstellung Bedenken:  

Der formale Aufbau des ersten Satzes entspreche nicht dem Formschema der von Beethoven über Brahms überliefert sei, auch die Instrumentierung sei zu opulent ausgefallen. Dvoraks Überarbeitungen bis 1882 fanden auch keine Gnade. Joachim spielte das Werk zwar ohne Öffentlichkeit in der Berliner Musikhochschule, deren Direktor er damals war, quasi als interne Prüfung, zur Uraufführung brachte er das ihm gewidmete Konzert jedoch nicht. Diese übernahm der mit Dvorak befreundete Geiger František Ondřišek im Herbst 1883 in Prag mit großem Erfolg. Auch eine zweite Aufführung in Wien zwei Monate später wurde sehr günstig aufgenommen.

 

1. Satz: (a-Moll) In Anlehnung an die Kopfsätze von Beethovens 5. und Brahms‘ 2. Klavierkonzert lässt Dvorak sein Violinkonzert wie eine Kadenz beginnen. Nach Vorstellung des Hauptthemas durch das Orchester antwortet die Sologeige mit Arpeggien, wie sie in Kadenzen üblich sind. Diese werden von vielen Geigerinnen und Geigern verlangsamt dargeboten. Die 14 Takte lässt der Komponist wiederholen, allerdings eine Quarte höher. Das Hauptthema samt Veränderungen nimmt den größten Raum im ersten Satz ein, ein geformtes 2. Thema bringt Dvorak erst ab T. 148, und das nur einmal in der Durchführung, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann. Eine Reprise beginnt T. 217, wird aber nicht schulmäßig eingeführt und endet in einem langsamen und leisen Abschnitt, den man als Beginn des langsamen Satzes deuten könnte. Diese Musik klingt insgesamt ziemlich rhapsodisch, J. Joachim meinte wahrscheinlich: unfertig. Ungeachtet dieser vermeintlichen strukturellen Schwäche bietet der Satz jedoch eine Fülle melodischer Eingebungen sowie geigerischer Herausforderungen.

 

2. Satz: Der tief empfundene Satz (F-Dur) ist das Herzstück des Konzerts; bei einer Aufführung sollten Orchesterinstrumente und Sologeige immer in Balance gehalten werden. Dvorak hat um die Geige herum ein feines Gespinst von Motiven und Melodien gepflochten, die leider oft nicht wahrgenommen werden können, wenn die Geige klanglich nach vorn gezogen wird.

 

3. Satz: Durch die Verwendung einiger slawischer Rhythmen, vor allem Furiant als Rondo-Thema (A-Dur) und Dumka (e-Moll) genau in der Mitte, hat Dvorak dem Satz eine gewisse Leichtigkeit verpasst, die dem Brahms-Konzert abgeht – trotzdem hat es bis heute nicht dessen Popularität erreicht.

Ich bin kein Komponist und darf mir kein Urteil in dieser Hinsicht anmaßen. Trotzdem erlaube ich mir den Hinweis, dass die Takte 700-730 klanglich gewinnen würden, wenn in den drei Abschnitten der Melodie nicht durchgehend die Flöte spielen, sondern sich mit der Oboe (T. 710 ff.) abwechseln würde. Ab T. 720 sollte danach wieder die Flöte übernehmen.

 

 

5

Johanna Martzy

Ferenc Fricsay

RIAS Symphonie-Orchester Berlin

DGG

1953

32‘02

 

 

 

beglückende Symbiose zwischen Solistin und Dirigent, beherzter Zugriff mit großer Musizierfreude, Geige immer vorn, trotzdem kammermusikalische Transparenz, I an vielen Stellen, schon zu Beginn, saugt Martzy die Töne aus ihrer Geige, II viel Bogendruck zu Beginn, auch später, Musik bleibt jedoch immer lebendig, III im Tempo zurückhaltend – runder, jedoch kein polierter Klang

 

5

Isaac Stern

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS   Sony

1965

32‘24

 

 

 

 

5

Váša Prihoda

Paul van Kempen

Preußische Staatskapelle Berlin

DGG     ACR

P 1943

33‘19

 

 

 

 

5

Julia Fischer

David Zinman

Tonhalle Orchester Zürich

Decca

P 2013

31‘59

 

 

 

keine bisher gehörte Aufnahme bietet eine derartige klare Transparenz; schlanker Geigenton, Fischer mit einer traumhaften Sicherheit, Orchester greift aktiv ins musikalische Geschehen ein, offene Stimmverläufe, bei allem Nachdruck achtet Zinman auf einen schlanken Klang, bestes Miteinander, I die kadenzartigen Abschnitte zu Beginn nimmt Fischer etwas langsamer, immer wieder leichte Ritardandi

 

5

Pamela Frank

Charles Mackerras

Tschechische Philharmonie Prag

Decca

1997

32‘02

 

 

 

Solistin und Dirigent stehen im Dienst der Partitur, sehr gutes Miteinander, sorgfältige Darstellung, überzeugende Tempi – farbiges Klangbild

 

5

Maxim Vengerov

Kurt Masur

New York Philharmonic Orchestra

Teldec

2000

33‘12

 

 

 

live, natürlich musikalischer Fluss, selbstverständliche Perfektion, Solist und Orchester mit Empathie am Werk, Geigenklang von hoher Dichte, jedoch ohne Fett, ausdrucksstark, III Furiant und Dumka könnten sich vom Tempo her noch mehr voneinander abheben – farbiges Klangbild

 

5

Christian Tetzlaff

John Storgårds

Helsinki Philharmonic Orchestra

Ondine

2015

30‘15

 

 

 

 

5

Frank Peter Zimmermann

Jíři Belohlevek

Tschechische Philharmonie Prag

Decca

P 2014

29‘27

 

 

 

 

 

   

 

4-5

Váša Prihoda

Jaroslav Krombholc

Prager Rundfunk-Sinfonie-Orchester

Multisonic

1956

31‘28

 

 

 

live,

 

4-5

David Oistrach

Karel Ancerl

Prager Rundfunk-Sinfonie-Orchester

Praga

1950

30‘21

 

 

 

live,

 

4-5

David Oistrach

Kyrill Kondraschin

Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR

BMG

Brilliant

1949

31‘49

32‘12

 

 

 

 

4-5

Isaac Stern

Dimitri Mitropoulos

New York Philharmonic Orchestra

Idis

1951

31‘25

 

 

 

live,

 

4-5

Gerhard Taschner

Lovro von Matacic

Berliner Philharmoniker

RRG   Tahra

1942

30‘57

 

 

 

Der neue Konzertmeister des Orchesters stellt sich mit dem Dvorak-Konzert vor und liefert eine respektable Interpretation ab; im Adagio mit viel Bogendruck, sattem Klang sowie intensiver Gestaltung. Matacic steuert eine detailreiche Begleitung bei, zu Beginn spielt das Orchester jedoch etwas zu wuchtig – Aufnahme aus dem Haus des Rundfunks, auf Magnettonband festgehalten, relativ guter Klang

 

4-5

Christian Tetzlaff

Libor Pešek

Tschechische Philharmonie Prag

Virgin

1992

30‘47

 

 

 

 

4-5

Thomas Zehetmair

Eliahu Inbal

Philharmonia Orchestra London

Teldec

1989

30‘16

 

 

 

Solist und Dirigent lassen sich erfolgreich auf das Potential von Dvoraks Konzert ein, klares Musizieren, die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen, gute Transparenz, Orchester nicht im Hintergrund, schlanker Geigenton

 

4-5

Isabelle Faust

Jíři Belohlavek

The Prague Philharmonia

HMF

2003

31‘25

 

 

 

Faust bleibt ihrem Part nichts schuldig, mit Verve gespielt, schlanker Geigenton, sparsames Vibrato, sehr gutes Miteinander, I T. 50-54 Fl. und Ob. klanglich nicht voneinander abgehoben, II immer lebendig, III Musik als Selbstläufer, Spannung nicht immer bis zum letzten

 

4-5

Josef Suk

Malcolm Sargent

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1964

31‘52

 

 

 

live,

 

4-5

Josef Suk

Karel Ancerl

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1960

31‘39

 

 

 

 

4-5

Nathan Milstein

William Steinberg

Pittsburgh Symphony Orchestra

Capitol    EMI

1957

29‘06

 

 

 

 

4-5

Edith Peinemann

Peter Maag

Tschechische Philharmonie Prag

DGG

P 1966

33‘33

 

 

 

 

4-5

Frank Peter Zimmermann

Franz Welser-Möst

London Philharmonic Orchestra

EMI

1992

30‘29

 

 

 

 

4-5

Augustin Hadelich

Jakub Hrůša

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Warner

2019

31‘33

 

 

 

Hadelich mit Geschmack und dem richtigen Sinn für diese Musik, gutes Miteinander, aber immer wieder Temporücknahmen bei lyrischen Stellen, I Ob. und Hrn. dürfen bei T. 175-181 endlich einmal deutlich hervortreten – eine gute Klangtechnik ermöglicht eine erfreuliche Balance und Transparenz

 

4-5

Midori

Zubin Mehta

New York Philharmonic Orchestra

CBS     Sony

1988

31‘31

 

 

 

geigerisch perfekte Leistung, trotz gutem Miteinander lässt Mehta der Solistin immer den Vortritt, temperamentvolles Finale – klangschöne Aufnahme

 

4-5

Isabella Steinbacher

Marek Janowski

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

Rundfunkaufnahme

2009

33‘31

 

 

 

Steinbacher im Akkordspiel etwas rau, Janowski zuverlässiger Partner, der mehr aus der Partitur herausholt als andere, achtet auf das sinfonische Gerüst, Klangbild klar und deutlich, sehr gutes Miteinander, klangschöne Aufnahme

 

 

   

 

4

Itzhak Perlman

Daniel Barenboim

London Philharmonic Orchestra

EMI

1974

31‘31

 

 

 

Eine Aufnahme mit zwei Seiten: Perlmans spieltechnische Meriten, seine Gestaltungskraft, sein leuchtender Ton nehmen für sich ein. Daneben Barenboims etwas laue, uneinheitliche Orchesterführung, der es nicht gelingt, dem Konzert seine eigene Physiognomie zu geben. Das fängt beim Tempo an, wenn der Dirigent das Tempo vom Solisten nicht aufgreift und fortführt, sondern etwas ruhiger spielen lässt. Ich habe den Eindruck, dass das Orchester (etwas lustlos) hinter dem Solisten her spielt. Das wird durch den Klang, der die Sologeige bevorzugt, noch etwas verstärkt. So spielt in II die Oboe T. 85-87 nur im Off – das böhmische Kolorit des Stückes kommt etwas zu kurz, sowohl bei Perlman als auch beim Orchester

 

4

Váša Prihoda

Hans Müller-Kray

Sinfonie-Orchester des SDR Stuttgart

Podium

1956

33‘23

 

 

 

 

4

Josef Suk

Vaclav Neumann

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1978

31‘46

 

 

 

4

Ruggiero Ricci

Walter Süsskind

Saint Louis Symphony Orchestra

Vox   Brilliant

1974

29‘04

 

 

 

geigerisch ohne Fehl, ein mehr im Hintergrund agierendes Orchester „verweigert“ eine gute Kommunikation, die Artikulation geht etwas unter – positiv macht sich das Böhmische Kolorit der Aufnahme bemerkbar

 

4

Ida Haendel

Hans-Müller-Kray

Sinfonie-Orchester des SDR Stuttgart

SWR Classic

1965

31‘26

 

 

 

live, Haendel oft mit viel Bogendruck, überzeugt jedoch durch Musikalität und vollkommene Beherrschung des Instruments, Geige (leider) immer vor dem Orchester, so kann sich das feingesponnene Orchesterkolorit nicht richtig entfalten; so verwundert es nicht, wenn der 2. Satz blass bleibt; Orchester in Tuttis gewichtig, technisch auf höherem Niveau als bei Peinemann, Eingangstempo etwas zäh

 

4

Kyung-Wha Chung

Riccardo Muti

Philadelphia Orchestra

EMI

1988

33‘21

 

 

 

Chung geigerisch perfekt, trotzdem bleiben Einwände: in I nimmt sie das Tempo in Solo-Passagen zurück, Spannung nicht immer gehalten, besonders am Ende eines Themas, bei der tänzerischen Stelle T. 162 ff. bleibt Muti zu vornehm blass, II Klang etwas entfernt, Chung säuselt dann, T. 37-40 wenig Transparenz im Orchesterklang, III geringe Spontanität – kräftige Bässe

 

4

Sarah Chang

Colin Davis

London Symphony Orchestra

EMI

2001

33‘35

 

 

 

I immer wieder Tempowechsel, Chang scheint eher Abschnitte als das Ganze im Blick zu haben, Divergenz zwischen geigerischer Potenz und Gestaltungsvermögen, III Balance nicht immer top, kein restlos zufriedenstellendes Miteinander, niedriger Spannungslevel, III gefällt am besten

 

4

Nathan Milstein

Rafael Frühbeck de Burgos

New Philharmonia Orchestra London

EMI

1966

28‘54

 

 

 

 

4

Akiko Suwanei

Ivan Fischer

Budapest Festival Orchestra

Philips

1999

29‘58

 

 

 

I kein festes Tempo, an lyrischen Stellen langsamer, gefälliger Stil, die geigerische Kompetenz steht außer Frage, II hoher Bogendruck, viel Vibrato, eine wirkliche Innigkeit will sich jedoch nur wenig einstellen, III schnelles Tempo. Dumka im MT kaum langsamer – als Virtuosenkonzert interpretiert

 

4

Shlomo Mintz

James Levine

Berliner Philharmoniker

DGG

1986

35‘30

 

 

 

viel Bogendruck und Vibrato, Musik zu zelebriert, zerfällt in Abschnitte und tritt auf der Stelle, langsamste mir bekannte Interpretation, opulenter Klang – sehr edel – mit geringem böhmischem Anteil, insgesamt auf höchstem technischem Niveau; offenes, transparentes Klangbild; da fällt mir HvK ein: „alles so schön wie irgend möglich"

 

4

Edith Peinemann

Hans-Müller-Kray

Sinfonie-Orchester des SDR Stuttgart

SWR Classic

1958

33‘28

 

 

 

 

4

Guila Bustabo

Hans-Schmidt-Isserstedt

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

Tahra

1955

30‘57

 

 

 

live, I viel Bogendruck, nach vorn gespielt, Schmidt-Isserstedt öffnet die Partitur, gute Transparenz, transparentes Klangbild, II mehr Vibrato als nötig, Sprung von T. 106 zu T. 139, also ohne Trompetenstelle!! (Herabstufung), III mehr gelassen

 

4

Salvatore Accardo

Colin Davis

Concertgebouworchester Amsterdam

Philips

P 1980

32‘53

 

 

 

zwiespältige Aufnahme: Davis hinterlässt eine große Partiturnähe, in der die Orchesterinstrumente den ihnen zugewiesenen Platz einnehmen – auf der anderen Seite der technisch versierte Accardo, der die Musik mit einem Polierlappen zum Glänzen bringen will, jedoch das böhmische Kolorit der Musik nicht zum Klingen bringt

 

 

   

 

3-4

Georg Kulenkampff

Eugen Jochum

Berliner Philharmoniker

Telefunken  Andromeda

1937

30‘08

 

 

 

Geige vorn, überwiegend musikantischer Vortrag, mehr eine deutsche als eine böhmische Angelegenheit, I Sprung von T 184 zu T. 208, II hier viel Bogendruck, III Orchester etwas beschwert und zu brav, vgl. T. 190 ff – erstaunliche Transparenz

 

   3-4

Nathan Milstein

Ernest Ansermet

Schweizerisches Festspielorchester

audite

1955

29‘35

 

 

 

live,

 

3-4

Anne-Sophie Mutter

Manfred Honeck

Berliner Philharmoniker

DGG

2013

33‘24

 

 

 

I muss der Beginn so schmachtend gespielt werden?  mehr gefühls- als strukturbezogen, auftrumpfender Gestus des Themas noch unterstrichen, II con molto sentimento, gefühlsbetont, schmachtend, Musik steht zeitweise still, III wieder in Böhmen zurück: Rausschmeißer, temperamentvoller Vortrag – Orchesterklang mit viel Fett, bei lauten Tuttistellen auch aufgeplustert

 

 

   

 

3

Hermann Krebbers

Anton Kersjes

Amsterdam Philharmonic Orchestra

EMI

P 1973

30‘26

 

 

 

keine variable Tongebung, wenig flexibel, teilweise rau, Artikulation nicht gleichmäßig, II es gelingt dem Geiger hier nicht, die ersten vier Takte als Gesang (=Thema) zusammenzufassen, viel Vibrato, Sprung von T. 106 zu T. 139 – kein Hörvergnügen

 

3

Yehudi Menuhin

George Enesco

Orchestre Conservatoire de Paris

EMI    Naxos

1936

30‘28

 

 

 

Aufnahme des 20jährigen Menuhin, spontan wirkende Musizierfreunde, unbändiges Temperament, jedoch immer wieder unausgeglichen, unbekümmert, teilweilweise wie hemdsärmelig, gekratzte Töne, Geige beherrscht das Klangbild, Orchester außer in Tutti-Abschnitten zurück, Einzelheiten der Artikulation nicht hörbar, I Ob. T. 50-54 vernachlässigt

 

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Váša Prihoda

Einer der kompetentesten Anwälte von Dvoraks Violinkonzert war sein späterer Landsmann Váša Prihoda, der das Konzert bereits während des 2. Weltkrieges in Berlin aufnehmen durfte. Am Pult stand der kompetente holländische Dirigent Paul van Kempen. Prihoda nähert sich dem Konzert mit großem Einfühlungsvermögen, mit Herzblut, auch mit enormer Kraft, wenn es die Partitur anzeigt. Der Geiger pflegt überwiegend einen schlanken Ton, ohne verstärkendes Vibrato, abgesehen von einigen Stellen im Adagio. Im 3. Satz fehlt T. 690-699 die 1. Geige – Die Aufnahme von ACR ist sehr gut restauriert und wird allen Freunden des Dvorak-Konzerts empfohlen.

Die beiden anderen Aufnahmen stammen beide aus dem Jahr 1956. In seiner Heimat gab er ein umjubeltes Konzert beim Festival „Prager Frühling“. Das Konzert wurde vom Rundfunk mitgeschnitten und später von Multisonic auf CD veröffentlicht. Hier arbeitet der Geiger das Virtuose, die effektvolle Seite des Konzerts mehr als früher heraus. Das fällt vor allem im Finale ins Auge, in dem er die Theatralik der Musik betont, das slawische Temperament rückt nach vorn. Im zweiten Satz bemüht Prihoda mehr Vibrato als in der Studio-Aufnahme. Dieser nähert sich der Geiger wiederum in der Konzertaufnahme beim SDR Stuttgart – ich bin mir nicht sicher, ob es sich um einen live-Mitschnitt handelt – sie bietet jedoch den besten Klang. Das Adagio gerät hier etwas gezogen, etwas dick und ausgewalzt, Solist und Orchester spielen mehr neben- als miteinander. Die Luft ist nicht aufgeladen wie beim Prager Mitschnitt. Im Finale sind bei Tutti-Schlägen Solist und Orchester nicht immer exakt zusammen.

 

Nathan Milstein

Nathan Milsteins erste Aufnahme entstand 1951 für RCA mit dem Dirigenten Antal Dorati, zwei weitere folgten mit William Steinberg (1957) sowie in Stereo mit Rafael Frühbeck de Burgos (1966) für EMI. Technisch spielt sich Milstein hier an die Spitze der damaligen Geigenvirtuosen. Jedoch sind Zweifel erlaubt, ob Dvoraks Partitur allein durch Zurschaustellung geigerischer Technik beizukommen ist oder noch andere Parameter heranzuziehen sind. Die Ausdruckskraft der Dumka im MT des Rondos wird z. B. nicht wahrgenommen. Von seinen Begleitern gefällt mir Steinberg mit seinem deutlichen und klaren Orchesterspiel am besten. Vor wenigen Jahren brachte audite eine CD mit Gastspielen des Geigers von den Luzerner Festwochen heraus, beim Dvorak-Konzert stand Ernest Ansermet am Pult des Festspielorchesters. Milstein liefert auch hier einen perfekten Part ab, der mit Dvorak jedoch kaum vertraute Dirigent bemüht sich redlich. Der Rundfunkmitschnitt mit seinem kompakten Klang und der vorgezogenen Geige kann sich technisch nicht mit den Studio-Aufnahmen messen.

 

David Oistrach

Sieben Jahre vor Prihoda trat David Oistrach mit demselben Orchester und dem Dvorak-Konzert beim Prager Frühling auf. Am Pult stand damals Karel Ancerl. Oistrach nähert sich dem Konzert mit hoher geigerischer Kompetenz und großer Musikalität. Das Orchester ist bei Solo-Stellen leider oft weit nach hinten gerückt, so dass Einzelheiten nicht immer wahrgenommen werden können. Mit betörendem Geigenton und beseelter Kantabilität kann man das Adagio erleben. Im Finale kommt das Virtuose zu seinem Recht. Leider klingt die Flöte T. 700 ff. wie weggeschnitten. Bei den vielen Tuttischlägen sind Solist und Orchester nicht immer hundertprozentig zusammen.  Ein Jahr vor diesem Prager Konzert entstand in Moskau eine Studio-Aufnahme mit Oistrach und dem Stattlichen Sinfonie-Orchester der UdSSR, am Pult stand Kyrill Kondraschin. Hier hat die Klangregie Oistrach mit großem Ton in den Fokus genommen. Der Dirigent lässt anfangs etwas schwelgerisch aufspielen, dabei braucht man auch etwa eine Minute länger als in Prag. Im folgenden Adagio erreicht man hier nicht die Wärme wie später, Oistrach gelingt jedoch eine beseelte Umsetzung des Notentextes. Im Finale wünschte man sich die Bässe etwas schlanker.

 

Isaac Stern

Sterns Studio-Aufnahme des Dvorak-Konzerts entstand vergleichbar spät. Hier wird auch sichtbar, wie schwer es das Konzert im Vergleich zu den bekannten klassisch-romantischen Konzerten damals hatte. Eine Plattenaufnahme wurde immer noch als geschäftliches Risiko gesehen. Diese Aufnahme jedoch, mit Eugene Ormandy als Partner, wurde bei ihrem Erscheinen zurecht als ein großer Wurf wahrgenommen, mit einem guten Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung. Das Orchester spielt jedoch etwas breit auf, Ormandy lässt nicht so locker musizieren als Fricsay. Da war Dimitri Mitropoulos bei einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall 15 Jahre vorher etwas näher an der Partitur. Stern spielt mit romantischer Einfühlsamkeit, auch wenn die Geige klanglich vorgezogen wird, ist hier eine stilvolle Interpretation festgehalten. Im Finale wird Dvoraks Folklore nicht ganz ausgereizt, es ist mehr absolute Musik.

 

Josef Suk

Zweimal hat Suk Dvoraks Konzert mit der Prager Philharmonie eingespielt: 1960 stand Karel Ancerl am Pult. Im ersten Satz ist ein guter Ausgleich zwischen zupackenden und lyrischen Abschnitten zu bewundern. An Solo-Stellen treten Orchesterinstrumente jedoch immer wieder zu sehr in den klanglichen Hintergrund, womit das Klangbild etwas blass wirkt. Das ändert sich jedoch ab dem Adagio, wo die Bläser deutlicher aufspielen dürfen. In der Artikulation sind sie hier genauer als in der späteren Aufnahme unter Leitung von Vaclav Neumann. Der letzte Satz wird sorgfältig absolviert, der Überschwang böhmische Tänze bleibt jedoch etwas unterbelichtet. In der 1978er Aufnahme hat Suks Geigenton mehr Fülle als früher. Neumann nimmt den Kopfsatz mehr als eine Minute schneller als Ancerl, kann den Klang aufgrund einer mangelnden Balance zwischen Solisten und Orchesterinstrumenten nicht mehr profilieren, siehe z. B. T. 175-T.181, wo kein Dialog zwischen Ob. und Hrn. hörbar wird. Das setzt sich leider auch im 2. Satz fort, dem es an Spannung fehlt. Im Finale jedoch holt Neumann auf und verordnet dem Orchester einen farbigen Klang. Am höchsten stelle ich bei Suk einen Mitschnitt aus London, bei dem Malcolm Sargent am Pult des BBC Symphony Orchestra stand. Es ist eine großartige Darstellung geworden mit opulentem Klang im Tutti, der das böhmische Kolorit des Konzerts bestens herausstellt. Solist und Orchester agieren auf gleicher Ebene, ein erfülltes Musizieren. Bemerkt sei noch. dass sich Sargent über Dvoraks pp-Forderungen beim Orchester hinwegsetzt und dem Klang mehr Leuchtkraft verordnet. Trotz des Alters eine gute Alternative.

 

Edith Peinemann

Die deutsche Geigerin Edith Peinemann konzertierte auf allen Kontinenten, u. a. mit George Szell und Georg Solti, hat jedoch international keine Karriere gemacht, vielleicht verabscheute sie das Star-Wesen. Vom Dvorak-Konzert stehen zwei Aufnahmen in meinem Archiv. Zwei Jahre nach dem Gewinn das ARD-Wettbewerbs im Fach Geige spielte sie das Konzert in Stuttgart unter Leitung von Hans-Müller-Kray, der hier dreimal als Begleiter auftritt (auch bei Prihoda und Haendel). Das Orchester spielt hier etwas rau, in Tutti-Abschnitten wenig locker, fast wie buchstabiert. Die Geigerin hat das Stück drauf, wie man in Fachkreisen spricht, scheint jedoch noch in der Musik zu stehen und noch nicht über ihr. Im zweiten Satz setzt sie viel Bogendruck ein, wodurch die Musik (zu) gewichtig, zu inszeniert auftritt. Ein paar Jahre später wurde sie von der DGG für das Dvorak-Konzert verpflichtet, am Pult der Tschechischen Philharmonie steht nun Peter Maag. Das Orchester klingt gepflegter als früher. Die Holzbläser wünschte man sich jedoch an etlichen Stellen noch mehr nach vorn geholt. An lyrischen Stellen im ersten Satz wird das Tempo etwas zurückgenommen. Im Adagio kommt es zu einer beglückenden Zwiesprache zwischen Solistin und dem Orchester. Im Finale holt Maag einige sonst kaum beachtete Melodien der Streicher nach vorn. Das Tempo ist jetzt etwas schneller als früher, die böhmische Musik könnte jedoch lockerer dargestellt werden. Das Klangbild ist offenen und verfügt über eine gute Transparenz.

 

Frank Peter Zimmermann

Seit Jahren hinterlässt der deutsche Geiger Frank Peter Zimmermann sowohl als Solist auf dem Konzertpodium als auch als Kammermusiker einen hervorragenden Eindruck. Von Dvorak-Violinkonzert hat er bereits zwei Aufnahmen vorgelegt. 1992 spielte er es zusammen mit Franz Welser-Möst ein, sorgfältig, ohne Leichtigkeit, in festem Tempo. Die CD wurde damals sehr gelobt, obwohl die Balance zwischen Solisten und Orchester damals nicht die beste war. Das änderte sich in der folgenden Aufnahme aller Sinfonien und Konzerte von Dvorak mit der Tschechischen Philharmonie unter Leitung des zu früh verstorbenen Jíři Belohlavek. Die Zusammenarbeit ist hier besser und Zimmermann erreicht hier ein höheres Maß an Erfahrung im Umgang mit op.53 (vergleiche den satten Geigenton in tiefer Lage im 2. Satz). Der Dirigent sorgt für ein farbiges Klangbild. Mehr böhmische Folklore wird jetzt dem Finalsatz entlockt.

 

Christian Tetzlaff

Ein weiterer deutscher Weltklasse-Geiger begegnet uns in Christian Tetzlaff, der eine vergleichbare Karriere wie FP Zimmermann hinlegt. Auch er hat Dvoraks Konzert zweimal aufgenommen. In der ersten Aufnahme in Zusammenarbeit mit Libor Pešek bleibt das Orchester noch etwas zurückhaltend, entspannt, im letzten Satz wünschte man sich etwas mehr Drive. Die folgende Produktion mit John Storgårds besitzt nun mehr Farbe und noch etwas mehr an Saft. Die Holzbläser beleben mehr das Klangbild, so z. B. T 138-T. 141 im 1. Satz. Auch öffnet der Dirigent bisher „unerhörte“ Horndetails im Finale. Tetzlaffs Geigenton erreicht hier noch etwas mehr an Fülle gegenüber der Erstaufnahme.

 

 eingestellt am 28. 10. 22

 

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