Das Klassik-Prisma |
|
Bernd
Stremmel |
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Fantasie C-Dur
op. 17
Richter |
Praga |
1959 |
29‘55 |
5 |
live – viel Atmosphäre, grandiose Schlusssteigerung, im Diskant bei f-Stellen leichtes Klirren, Huster |
Richter |
Supraphon |
1959 |
29‘49 |
5 |
höherer Pegel und besserer Klang als oben, Stretta: etwas mehr Fehlgriffe |
Arrau |
aura |
1959 |
33‘41 |
5 |
live – passionato!!, die „blaue Blume" gefunden |
Pollini |
DGG |
1973 |
30‘43 |
5 |
kontrolliert und doch passionato |
Kuerti |
|
2003 |
30‘17 |
5 |
live Kanada – fiebernde Interpretation |
Horowitz |
Sony |
1965 |
30‘27 |
5 |
live – eine richtige Fantasie, schöne Basslinien, Stretta gebremst |
Hamelin |
hyperion |
1999 |
32‘37 |
5 |
was sich Arrau mühsam abringen muss, klingt hier ganz unangestrengt, sehr gute dynamische Abstufungen, die Stretta endlich mal viel bewegter, auch ein Klangerlebnis |
Backhaus |
EMI |
1937 |
28‘21 |
5 |
Betonung der Zusammenhänge |
Fischer, Annie |
BBCL |
1971 |
29‘38 |
5 |
3. Satz: viel Atmosphäre, Spannung-Entspannung! |
Fischer, Annie |
EMI |
1959 |
28‘40 |
5 |
3. Satz: sehr klar und fast filigran in den leisen Stellen - etwas stumpfer Klang |
Kempff |
BBCL |
1969 |
30‘55 |
5 |
live – klingt von allen Kempff-Mitschnitten am besten |
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Richter |
EMI |
1961 |
31‘43 |
4-5 |
nicht so überschwänglich wie oben, schöne Klangfarben |
Kempff |
Orfeo |
1956 |
29‘20 |
4-5 |
WDR - der folgenden Aufnahme ähnlich, klingt ihr noch etwas überlegener |
Kempff |
Orfeo |
1958 |
29‘25 |
4-5 |
live Salzburg – fantasiereiches Spiel, keine Angst vor der Stretta, aber letztlich nicht bewältigt - trockener Klang |
Kempff |
DGG |
1957 |
29‘51 |
4-5 |
kommt an die live-Aufnahme nicht ganz heran, aber mehr Geheimnisse als 1971 |
Andsnes |
EMI |
1995 |
29‘48 |
4-5 |
sehr gut, es fehlt jedoch noch das letzte Quentchen |
Bingham |
Bayer records |
1988 |
32‘40 |
4-5 |
organisches Spiel, dynamische Vorzeichen ernstgenommen, sehr guter Klavierklang |
Curzon |
Orfeo |
1974 |
29‘35 |
4-5 |
live – empathisch, viel Atmosphäre, Stretta pianistisch nicht bewältigt |
Sofronitzki |
Melodya |
|
27‘28 |
4-5 |
live – Steigerung von Satz zu Satz, 3. Satz mit großer Passion, Spannung-Entspannung |
Anda |
DGG |
1963 |
27‘34 |
4-5 |
2. Satz in manchmal beängstigendem Tempo, ein Rausch, sehr guter Klang |
Arrau |
BBCL |
1960 |
32‘57 |
4-5 |
live – kontrollierter als 1959, am Schluss weniger Spannung, Klang etwas stumpf |
Kempff |
DGG |
1971 |
31‘29 |
4-5 |
klanglich beste Aufnahme von Kempff |
Rosen |
Etcetera |
P 1983 |
32‘58 |
4-5 |
im Ausdruck kontrolliert, 2. Satz sehr gutes Trio „etwas langsamer-scherzando" |
Glemser |
Naxos |
2002 |
32‘51 |
4-5 |
gut, jedoch ohne das gewisse Etwas |
Katchen |
Decca |
1957 |
31‘35 |
4-5 |
gut, jedoch ohne das gewisse Etwas |
|
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Arrau |
Philips |
1966 |
34‘18 |
4 |
weniger Überschwang, dafür bedeutungsvoller |
Nat |
EMI |
1953 |
28‘46 |
4 |
Klang etwas stumpf, höhenbeschnitten - schade |
Moiseiwitsch |
Testament |
1953 |
27‘42 |
4 |
der entscheidende Funke fehlt |
Fischer, Edwin |
EMI |
1949 |
26‘57 |
4 |
erstaunlich zügig gespielt, 2. Satz zu schnell für E.F. |
Bolet |
Decca |
1986 |
32‘45 |
4 |
Bolet lässt sich Zeit, erzählend, weniger schwärmerisch, 2.Satz: fehlende Unruhe – guter Klang |
Curzon |
Decca |
1954 |
30‘25 |
4 |
in den beiden ersten Sätzen langsamer als 1974, weniger Passion |
Argerich |
CBS |
P 1978 |
27‘35 |
4 |
passionato, viel Oberstimme, insgesamt etwas leichtgewichtig |
Würtz |
Brilliant |
2001 |
30‘13 |
4 |
sonorer Klang, Ausdrucksdefizite, Stretta aufgesetzt |
Larrocha |
Decca |
1975 |
31‘50 |
4 |
nicht fiebernd, gelassen, 3.Satz am besten |
Richter |
Philips |
P 1994 |
32‘45 |
4 |
live – nicht mehr so leidenschaftlich, ohne Überschwang, Klavier bei lauten Stellen etwas stumpf |
Ashkenazy |
Decca |
1965 |
31‘38 |
4 |
unbekümmert, jugendlich |
Perahia |
Sony |
1985 |
29‘55 |
4 |
schönes Klavierspiel, ohne Auslotung der Extreme |
Lortie |
Chandos |
1998 |
32‘29 |
4 |
weniger leidenschaftlich |
Ashkenazy |
Decca |
1993 |
30‘10 |
4 |
souveräner, kalkulierter, aber nicht überzeugender als 1965 – im 3. Satz klingt der Flügel belegt |
Bringuier |
audite |
2006 |
29‘23 |
4 |
auf dem Weg zu Schumann, Stretta wird nicht als Herausforderung hörbar |
Brendel |
Vanguard |
1966 |
31‘46 |
4 |
erst der Schlusssatz überzeugt |
Perl |
Arte Nova |
1991 |
33‘05 |
4 |
am Schluss taktweise, nicht großbogig gespielt |
Rubinstein |
RCA |
1965 |
33‘09 |
4 |
zu ruhig und abgeklärt, Pflichtstück? |
Hough |
Virgin |
1988 |
31‘06 |
4 |
1. Satz am Anfang nur ein Rausch, wenig gegliedert, 2. Satz am besten |
Freire |
Philips |
1984 |
30‘33 |
4 |
live - 2. Satz gute Stretta, 3. Satz zu wenig Geheimnisse, Schluss zu früh abgebremst |
Kissin |
RCA |
1995 |
32‘46 |
4 |
1. Satz: linke Hd. zu filigran, 2. Satz: scherzando ohne Handschrift, gute Stretta, 3. Satz etwas handfest, nicht so organisch |
Oppitz |
RCA |
1990 |
31‘08 |
4 |
dynamische Vorschriften nicht immer ernst genommen, oft zu laut, 3. Satz nur technisch bewältigt |
Mautner |
Sony |
P 1998 |
31‘47 |
4 |
2. Satz: punktierte Achtel-Ketten nicht genügend markant, 3. Satz: gute Dynamik, überzeugender Schluss |
Casadesus |
Sony |
1960 |
28‘59 |
4 |
live – 1. Satz: viel Atmosphäre, 2. Satz: punktierte Achtel-Ketten wenig elegant, keine Steigerung, 3. Satz: wenig getragen, etwas drängend, unruhig |
Brendel |
Philips |
P 1982 |
30‘01 |
4 |
1.Satz beredter, vielschichtiger als 1966, 2. Satz akademisch, 3. Satz wenig geheimnisvoll |
Kirschnereit |
Arte Nova |
2004 |
31‘06 |
4 |
1. Satz nicht sehr inspiriert, einförmig, 2. Satz: Stretta angestrengt, 3. Satz am besten |
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Pletnjew |
DGG |
2003 |
33‘09 |
3-4 |
Pletnjew auf der Suche nach neuen Interpretationslösungen: ignoriert oft Schumanns Lautstärkevorgaben, viele Abschnitte werden einzeln betrachtet, getüftelt, hier und da interessante Details aber kein übergeordneter Bogen, Stretta geht nicht folgerichtig aus dem Vorhergehenden hervor, manirierte Darstellung, nur für fortgeschrittene Hörer – sehr guter Klavierklang |
Biss |
EMI |
2006 |
30‘56 |
3-4 |
1. Satz: eher gelassen als leidenschaftlich, 2. Satz: alles in gesicherten Bahnen, wenig Risiko, 3. Satz: noch nicht in Schumann Welt eingedrungen |
Buchbinder |
EMI |
1985 |
32‘56 |
3-4 |
robust, keine Geheimnisse, mehr Noten als Musik |
Bach |
Novalis |
1989 |
33‘32 |
3-4 |
1.Satz zu gemächlich, der Zusammenhang zerbricht, 3. Satz: überzeugender Schluss |
Nakamura |
Sony |
1991 |
28‘33 |
3-4 |
verwechselt Leidenschaft mit schnellem Spiel, etüdenhafte Züge |
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Vorraber |
Thorofon |
1999 |
39‘02 |
2-3 |
1. Satz: zu gemächlich, keine Leidenschaft, wie buchstabiert, 2. Satz: Vorrager tüftelt, setzt sich überall Stolpersteine, 3. Satz: auf den Spuren von Afanassieff, bleiern |
Der Komponist nannte sein
Werk ursprünglich Dichtungen für das Pianoforte. Anfangs (1836) gab es
nur einen Satz mit der Überschrift Ruinen. Er ist wie ein Sonatensatz
konzipiert, anstelle der Durchführung im Mittelteil steht ein Variationsteil,
„im Legendenton" überschrieben. Pathos steht neben verinnerlichten, auch
resignativen Abschnitten. Durch häufiges Synkopieren geht das Gefühl für die
Taktschwerpunkte fast verloren, darüber hinaus erleben wir einen ständigen
Wechsel von Tempi und Tonarten. Es ist schon seltsam, dass in einem C-Dur-Stück
Kadenzierungen zur Haupttonart erst am Ende des
Satzes erfolgen, da wo Schumann das letzte Lied aus Beethovens Liederkreis „An
die ferne Geliebte" wörtlich zitiert: „Nimm sie hin denn, diese
Lieder". Schumann schrieb seiner geliebten, aber von ihm getrennten Clara
Wieck über diesen Satz „... wohl mein Passioniertestes, was ich je gemacht habe
– eine tiefe Klage um dich".
Beethovens Lied erscheint
hier in doppelter Bedeutung: ein Gruß an Clara, der er den Satz zusandte, andererseits
war der Erlös aus der Musik Franz Liszt zugedacht, der Geld für ein
Beethoven-Denkmal sammelte, das in Bonn errichtet werden sollte.
Der 2. Satz mit der
Überschrift Trophäen, später geändert in Triumphbogen, wird
durchweg von einem Marschthema beherrscht, dessen Rhythmus an den 2. Satz aus
Beethovens Klaviersonate A-Dur op. 101 erinnert. Und eine weitere
Beethoven-Melodie findet sich hier: das leise vorzutragende Thema des
Variationssatzes der Sonate f-Moll op. 57, der Appassionata,
hier jedoch gleich zu Beginn mf und dann in der Mitte als grandioser
Höhepunkt ff zu spielen. Am Schluss steht die berüchtigte Stretta mit
ihren weiten Sprüngen in Gegenrichtung in beiden Händen, „viel bewegter"
überschrieben. Den meisten Pianisten reicht schon „etwas bewegter". Die
Bewältigung dieser Stelle sollte m. E. jedoch nicht das Urteil über Gelingen
oder Nichtgelingen dieses Satzes entscheidend beeinflussen.
Der 3. Satz Palmen,
später Sternenkranz, „langsam und getragen, durchweg leise zu
halten", beendete Schumann ursprünglich mit einer wörtlichen Wiederholung
des Schlusses des 1. Satzes. Vor der Drucklegung 1839 verwarf er diese Lösung
jedoch und schrieb das uns bekannte Finale, das nach einer Steigerung verklärt
in C-Dur ausklingt.
1839 tilgte Schumann die ursprünglichen
Satzüberschriften und nannte das grandiose Werk schlicht Fantasie und
widmete es Franz Liszt. Im Blick auf seine Form könnte man es entsprechend des von Schumann verehrten Beethoven als Sonata quasi una Fantasia bezeichnen.
Dem amerikanischen
Pianisten und Musikforscher Charles Rosen gebührt das Verdienst, uns mit der
Erstausgabe des Werkes bekanntgemacht zu haben. Die zu rühmende Kassette des
holländischen Labels Etcetera enthält außerdem noch
Aufnahmen der Erstausgaben der Impromptus op. 5, der Davidsbündlertänze
op. 6 sowie der Kreisleriana op. 16.
eingestellt am 10.12.06
Seit der Veröffentlichung
dieser Übersicht vor knapp zwei Jahren ist mein Archiv um sieben Aufnahmen
erweitert worden: drei Neuproduktionen mit jüngeren Künstlern sowie vier
Aufnahmen, teils live, teils im Rundfunkstudio entstanden mit Pianisten, die
mit dem Komponisten Schumann in besonderer Beziehung standen, Wilhelm Kempff, Annie Fischer und Svjatoslav
Richter.
Von Kempff
liegen mir nun fünf Aufnahmen vor, die beiden Studio-Einspielungen der DGG,
eine Aufnahme des WDR aus dem Jahre 1956 (neu), ein Mitschnitt von den
Salzburger Festspielen 1958 sowie ein Mitschnitt der BBC aus der Queen
Elizabeths Hall vom 3. Nov. 1969 (neu). Die Kölner Aufnahme klingt mir der
Salzburger etwas überlegen, die Stretta im 2. Satz ist besser gelungen, der
Klang des Flügels erscheint etwas dunkler und insgesamt ausgeglichener.
Übertroffen werden beide noch von dem Londoner Mitschnitt der BBC, hier klingt
der Flügel noch voller, sonorer. Den 2. Satz spielt Kempff
gelassen, mäßig, wie von Schumann notiert, die Stretta bleibt aber auch hier
ein Problem. Wen das stört, greife dann lieber zu einem der beiden Studio-CDs
der DGG.
Kempffs Kampf mit den technischen
Anforderungen vor allem am Ende des 2. Satzes stellt für heutige Pianisten kein
Thema dar. Ohne das erforderliche pianistische Rüstzeug sind sie bei den
zahlreichen Wettbewerben von vornherein chancenlos. Die geistige Durchdringung
des jeweils gespielten Werkes und die Umsetzung in Klänge bedarf
jedoch noch eines langen Reifeprozesses. In zehn oder zwanzig Jahren werden
Klara Würtz, Jonathan Biss und Nicolas Bringuier an und mit den Meisterwerken gewachsen und
gereift sein.
Der von Supraphon
neuveröffentlichte Konzertmitschnitt mit Richter aus Prag entstand einen Tag
vor dem des Labels Praga. Der Interpretationsansatz
deckt sich bei beiden. Die Supraphon-Aufnahme besitzt einen höheren
Aufnahme-Pegel und ist klanglich besser austariert. Die Praga-CD
strahlt jedoch mehr Atmosphäre aus, so dass diese meine erste Wahl bei Richter
bleibt, auch wenn am 1. Konzerttag der Schlusssatz noch ruhiger und abgeklärter
gelingt.
Annie Fischers „neue"
Studio-Aufnahme der BBC übertrifft ihre sehr gute Vorgänger-CD von EMI noch ein
wenig, da sie insgesamt etwas spontaner, freier klingt, so, als sei sie auf dem
Konzertpodium mitgeschnitten worden.
letzte Ergänzung am
01.11.08