Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Edvard Grieg
Klavierkonzert a-Moll op. 16
Allegro moderato – Adagio – Allegro moderato
molto e marcato, quasi Presto, Andante sostenuto
Grieg schuf sei einziges
Konzert 25jährig während des Sommers 1868 in einem kleinen Gartenhäuschen in
der Nähe der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, ein Jahr später wurde es in
Kopenhagen uraufgeführt, am Flügel saß Edmund Neupert, dem das Konzert auch
gewidmet ist. Einer der ersten, der sich für das Konzert einsetzte, war Franz
Liszt, der es in Rom – so die Legende – vom Blatt gespielt haben soll.
Tschaikowsky rühmte die bezaubernde Anmut, die Unmittelbarkeit und Frische der
musikalischen Empfindung. In Deutschland jedoch stieß es zunächst auf
Ablehnung, man bemängelte u. a. seine gestückelte Zusammensetzung, die nicht
dem musikalischen Weltbild der führenden Kritiker entgegenkam. Heute jedoch ist
es eines der beliebtesten Klavierkonzerte der Romantik. Einfallsreiche und
einprägende Melodien, von der norwegischen Folklore beeinflusst, durchziehen
die Musik. Das Klavier spielt in diesem Konzert die erste „Geige“, das
Orchester hat sich zurückzuhalten, was durch die dynamischen Vortragszeichen
(unfreiwillig?) noch unterstrichen wird. Von einer innigen Verzahnung der
musikalischen Abläufe wie bei Schumann kann keine Rede sein, auch wenn dies von
einigen Musikologen behauptet wird. Die einzige Anlehnung an Schumann ist der
Beginn des Werkes, wenn sich der Solist in einer kurzen Kadenz dem Publikum
vorstellt. Auch der Klaviersatz erinnert mich kaum an Schumann, eher an Liszt,
besonders deutlich wird dies in der langen Kadenz.
Der Komponist war nach der
Uraufführung noch nicht ganz zufrieden mit seinem Konzert und feilte an
etlichen Stellen, unbemerkt von der musikalischen Öffentlichkeit. In den Jahren
1906/07, kurz vor seinem Tode, erfolgte eine grundlegende Revision der
Instrumentierung, die später in allen Aufnahmen übernommen wird. Inzwischen
gibt es auch eine CD-Aufnahme der Urfassung, auf die unten hingewiesen wird.
Werfen wir noch einen Blick auf
bestimmte Stellen in den Sätzen:
1. Satz: ungewöhnlich beginnt
die Musik mit einem Crescendo der Pauke, dem in Takt 2 ein kurzer
Tutti-Akkord des Orchesters und gleichzeitig der Eintritt des Solisten erfolgt.
Dieser Akkord ist heikel, wie die Aufnahmen beweisen. Er ist nicht immer
Zielpunkt des Pauken-Crescendos, wie ihn der
Komponist vermutlich gedacht hat, sondern kommt manchmal bereits eine Idee zu
früh oder zu spät, nach dem der Paukist seinen Höhepunkt bereits erreicht hat.
Bei Konzertmitschnitten trifft man ihn auch verwackelt an. Perfekt abgestimmt
hört man die Stelle bei Matacic, Kempe, Blomstedt,
Menges, Previn und Aadland.
Nach der Einleitungskadenz des Solisten stellen Holzbläser und Horn das
Hauptthema vor, jeweils kommentiert von staccato-Noten der Streicher.
Grieg versieht in diesen vier Takten die jeweils erste Note mit einem tenuto-Strich,
sie sollen also im Gegensatz zu den folgenden Noten nicht staccato
gespielt werden. In den Noten der Streicher fehlen in den Takten 8 und 10
jedoch diese tenuto-Zeichen. Alle Interpreten halten dies für ein
Versehen und passen die Artikulation bei den Streichern die der Bläser an.
Einige Takte später stellt der
Solist das Thema vor. Hier ist folgendes zu beobachten: Vor dem ersten Ton der
Akkordfolge (a-Moll) setzt Grieg einen kurzen Vorschlag im Bass, vor der
zweiten Akkordfolge ist es jedoch ein Achtel-Akkord mit denselben Bassnoten.
Bei der Wiederholung in C-Dur verfährt der Komponist in gleicher Weise. Diese
rhythmische Differenzierung wird seltsamerweise nicht von allen
Pianisten/-innen wahrgenommen. Genau artikulieren hier insbesondere Arrau, Cherkassky, Richter-Haaser, Jenner, Schmidt, Ohlsson, Duchable, Moog, Perahia,
Bavouzet, Moog und Ott. Der Italiener Benedetti Michelangeli bietet noch eine Besonderheit an: die
a-Moll-Akkordfolge spielt er mf, die folgende in C-Dur leiser. Diese
Lesart bringt er jedoch nur in seiner ersten Aufnahme von 1942.
Die überwiegende Zahl der
Ausführenden halten sich an die dynamischen Vorgaben der Partitur, bei der an
sehr vielen Stellen die Bläser leise spielen sollen, während der Solist/die
Solistin ein f oder ff lesen. Dementsprechend ist die Balance
gestört. In den Takten 33/34 und 37/38 treten die Holzbläser in einen Dialog
mit Geigen und Bratschen, ebenso in der Reprise. Während letztere den Ohren
nicht ganz entgehen, verlieren sich die jeweils sechs staccato-Achtel
der Bläser im ff-Spiels des Klavieres. Das ist nicht geschickt
instrumentiert. Viele Leser werden evtl. gar nicht wissen, wovon ich hier rede,
weil sie die Bläser in diesen Takten noch nie gehört haben. Wenn man die Stelle
kennt, wird man nur bei Blomstedt, Masur und Marriner-Ousset
leise die wenigen Akkorde hören können.
Unmittelbar vor der langen
Kadenz spielt das Orchester nochmal wie eine Apotheose das Hauptthema. Bei den meisten
Aufnahmen hört man es ff von den Geigen gespielt, bei anderen hat sich
auch die Trompete in den Klang gemischt. Bei Szell, Ludwig, Kondraschin,
Karajan-BP, Dorati, Fjeldstad, Previn
und Kitajenko überstrahlen die beiden Trompeten das
gesamte Orchester.
Im ersten Abschnitt der Kadenz
verlangt Grieg 21mal sehr schnell hintereinander die Sequenz f-e-d-h in
der viergestrichenen Oktave, ein pianistischer Glitzer-Effekt. Die meisten Interpreten
scheinen der Ansicht zu sein, dass es auch mit weniger genug ist, lediglich
Arrau, Aeschbacher, Richter-Haaser, Gutierrez und Andsnes
halten durch. Amputationen höre ich auch im dritten Abschnitt nach der
fallenden chromatischen Tonleiter mit beiden Händen: Da stellt Grieg in vier
Abschnitten nach und nach einen der Akkordfolgen des Hauptthemas vor, fff.
Sie werden miteinander verbunden durch jeweils eine schnelle
Vierundsechzigstel-Bewegung (18 Töne), die leise, fast huschend, rasend in
tiefer Basslage zu spielen sind (Liszt!). Nach meiner
Beobachtung wird diese Bassbewegung bei den ersten drei Folgen von den meisten
Solisten/innen verkürzt dargeboten, da sie schnell zu den nächsten mächtigen
Akkorden übergehen wollen. Partitur-gemäß verhalten sich hier Arrau, Gutierrez,
Zilberstein und Mustonen.
3. Satz: Der Rhythmus des
Themas ist dem norwegischen Springtanz „Halling“
entlehnt. Er erinnert mich bei den ersten Noten an das dritte Moment musical von Schubert. Wie bereits im ersten Satz gibt es auch
hier Balanceprobleme zwischen laut spielendem Flügel und Orchesterinstrumenten.
In T. 21/22 sowie 26/26 betrifft es das leise zu spielende Horn, gleichzeitig
wird diesem auch noch ein molto crescendo abverlangt, eine
Kleinigkeit für den Hornisten, was jedoch kaum befriedigend zu vernehmen ist.
Ackermann, Wallenstein, Rodzinski, Fjeldstad, Karajan-POL, Ormandy, Davis, Boult,
Weldon, Marriner, Jansons, Previn und Chailly richten
ihre Aufmerksamkeit auf diese Stelle. Nachdem im Mittelteil zunächst Streicher,
dann die Soloflöte mit Begleitung hervorgetreten ist, darf ab T. 156 der
Solist/die Solistin die einschmeichelnde, mit impressionistischem Einschlag
liebäugelnde Melodie der Flöte übernehmen und weiterentwickeln. Zur Begleitung
ist dem Flügel ein Solo-Cello zugeteilt, da es nur sehr leise spielen soll,
wird es in sehr vielen Aufnahmen verschluckt, nicht bei Blomstedt, Rosbaud, Milton, Boult, Rodzinski, Ormandy-Cliburn, Davis-71, Menges, Tennstedt, N.
Järvi, Jansons, Kitajenko, Grüner-Hegge,
Gergiev und Oramo. In die Schlussapotheose, basierend
auf der Flötenmelodie des Mittelteils, mischen Rosbaud,
Jansons, Weldon, Nagano und Aadland die erste
Trompete mit dem Holzbläserklang. Bei allen anderen Einspielungen tritt sie
triumphierend heraus.
Genug mit der Beckmesserei,
hier sind nun die Aufnahmen:
5 |
Leif Ove Andsnes |
Mariss Jansons |
Berliner
Philharmoniker |
EMI |
2002 |
28‘45 |
|
souverän, hier
stimmt einfach alles, bestes Miteinander, die Aufnahme hat mehr Fleisch als
die frühere Aufnahme |
|||||
5 |
Emil Gilels |
Eugen Jochum |
Concertgebouw
Orchester Amsterdam |
Tahra |
1979 |
31‘43 |
|
live, I etwas
breit, mit viel Nachdruck, aber nicht schleppend, überlegenes Klavierspiel, Gilels bietet so viel Virtuosität wie nötig, gibt jedoch
nicht den Draufgänger, gutes Miteinander, überzeugender Wechsel von Spannung
und Entspannung, II viel Espressivo, sehr gut intonierter Flügel, III Trp. in den Finaltakten etwas aufdringlich – sehr gute
Transparenz, guter Klang |
|||||
5 |
Walter Gieseking |
Hans Rosbaud |
Staatskapelle
Berlin |
Columbia |
1937 |
26‘01 |
|
▼ |
|||||
5 |
Clifford Curzon |
Øvin Fjeldstad |
London Symphony
Orchestra |
Decca |
1959 |
29‘04 |
|
sorgfältige und aufmerksame
Orchesterbegleitung, sehr gutes Miteinander, I Curzon arbeitet in der Kadenz
bei Tempo 1 die drei Ebenen (Melodie, Triller und Bass-Arpeggien) deutlich
heraus, auch die una corda-Stelle
hebt sich dynamisch von dem Vorausgehenden ab, II belebte E, III im MT Streicher nicht nur Untermalung, sorgen für Atmosphäre,
Schlussakkord mit Crescendo – gute Balance und Transparenz |
|||||
5 |
Geza Anda |
Rafael Kubelik |
Berliner
Philharmoniker |
DGG |
1963 |
30‘49 |
|
überzeugende romantische
Einspielung, das Werk steht im Vordergrund, sehr gute Partnerschaft,
Orchester bleibt immer locker |
|||||
5 |
Solomon |
Herbert Menges |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI Testament |
1956 |
29‘04 |
|
Grieg ganz ernst
genommen, die Musik steht im Vordergrund, nicht das oberflächlich Effektvolle
– sehr gute Partnerschaft, auffallend guter Klang, vermutlich Solomons letzte
Aufnahme |
|||||
5 |
Claudio Arrau |
Alceo Galliera |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI Testament |
1957 |
32‘02 |
|
▼ |
|||||
5 |
Claudio Arrau |
Christoph von
Dohnanyi |
Concertgebouw
Orchester Amsterdam |
Philips |
1962 |
32‘43 |
|
▼ |
|||||
5 |
Steven Bishop-Kovacevich |
Colin Davis |
BBC Symphony
Orchestra |
Philips |
1971 |
29‘22 |
|
der jugendliche
Pianist erobert Grieg, lustbetontes Klavierspiel, mit mitreißendem Schwung in
den Ecksätzen; Davis aufmerksamer Mitgestalter, öffnet Partien, die sonst
unentdeckt bleiben |
|||||
5 |
Garrick Ohlsson |
Neville Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
hänssler |
1996 |
30‘18 |
|
vehementer
Zugriff in den Ecksätzen, mit viel Leidenschaft, immer im Einklang mir der Partitur, immer wieder gelungener Spannungsaufbau
mit anschließender Rücknahme, Pianist und Dirigent in bester Partnerschaft |
|||||
5 |
Javier Perianes |
Sakari Oramo |
BBC Symphony
Orchestra |
HMF |
2014 |
30‘43 |
|
sorgfältige,
stimmungsvolle und klangschöne Aufnahme, Klavierpart immer rhythmisch belebt |
|||||
5 |
Herbert Schuch |
Eivind Aadland |
WDR
Sinfonie-Orchester
Köln |
audite |
2014 |
29‘53 |
|
eine CD, die man
„unbesehen“ kaufen kann, Idiom des Konzerts hervorragend getroffen, sehr gute
Balance und Transparenz, lesenswertes Booklet; allerdings machen sich an
einigen Stellen, immer dann, wenn der Flügel allein zu hören ist, leise
Brummgeräusche im tiefen Bereich breit, die ich mir nicht erklären kann: I T.
33 und T. 37, II T. 45/46, III T. 19/20 und T. 51 |
|||||
|
||||||
4-5 |
Benno Moisseiwitsch |
Otto Ackermann |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI Testament |
1953 |
28‘05 |
|
Moisseiwitsch weist auf Griegs
Musik, nicht auf seine Technik, I ausgeglichen, Atmosphäre, Kadenz am Ende
etwas modifiziert, II stimmungsvoll, Holz könnte T. 49 ff. etwas deutlicher
herauskommen, III Cello-Solo im MT zu leise |
|||||
4-5 |
Arturo Benedetti
Michelangeli |
Rafael Frühbeck
de Burgos |
New Philharmonia Orchestra London |
BBCL |
1965 |
27‘12 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Dinu Lipatti |
Alceo Galliera |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI |
1947 |
28‘45 |
|
I rhapsodischer
Ansatz, funkelnde Pianistik, II in romantischem
Geist, Holz könnte T. 49 ff. etwas mehr hervortreten, III überzeugendes
Tempo, Horn T. 21 ff. zu zahm, Blech bei lauten Tutti-Stelle leicht verzerrt,
Balance nicht immer zufriedenstellend |
|||||
4-5 |
Svjatoslav Richter |
Kyrill Kondraschin |
Moskauer
Philharmoniker |
Praga |
1964 |
26‘35 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Radu Lupu |
André Previn |
London Symphony
Orchestra |
Decca |
1973 |
30‘43 |
|
I T. 7-10
weniger rhythmisch, Solist T. 19 ff. aufmerksamer, insgesamt aber viel Duft,
schwelgerisch, hohe Affinität zu Griegs Musik, II farbenreich, spannungsvoll
– Previn nur Begleiter, weniger ein Mitgestalter |
|||||
4-5 |
Leif Ove Andsnes |
Dimitri Kitajenko |
Bergen Philharmonic
Orchestra |
Virgin |
1990 |
30‘26 |
|
Interpreten
nähern sich einfühlsam Griegs Konzert, technisch brillanter Solist, sehr gute
Balance und Transparenz, helles Klangbild |
|||||
4-5 |
Nikolai Lugansky |
Kent Nagano |
Deutsches
Symphonie-Orchester Berlin |
naive |
2013 |
30‘46 |
|
I Lugansky lässt sich Zeit, genießt Griegs Melodien,
entspanntes Musizieren, Orchester folgt ihm, II Nocturne, III Holz leider
etwas zurück, weniger geformt als Satz 1, markante Pk,
MT sehr ruhig, wie Satz 2 – kultiviert, aus der Interpretation spricht
Empathie für Griegs Konzert |
|||||
4-5 |
Joseph Moog |
Nicholas Milton |
Radiophilharmonie
Saarbrücken |
Onyx |
2013 |
29‘13 |
|
live, Griegs
Partitur wie aus dem Ärmel geschüttelt, sportlicher Zugriff, dabei
überwiegend kantabel, sehr gute Partnerschaft zwischen Pianisten und
Dirigent, aufmerksames Publikum |
|||||
4-5 |
Julius Katchen |
Istvan Kertesz |
London Symphony
Orchestra |
Decca |
1962 |
27‘42 |
|
I I teilweise wie entfesseltes Klavierspiel, effektvolle
Darstellung, T. 16/17 großer Auftritt, saftiger Klang, III Bläser nicht
zurückgestellt, Trp im ff etwas scharf, T.
124 Klavier und Tutti nicht genau zusammen – Katchen
im p-Bereich großzügig, Virtuosenkonzert,
aber geschmackvoll aufgetischt in Liszt-Manier |
|||||
4-5 |
Shura Cherkassky |
Adrian Boult |
London
Philharmonic Orchestra |
Eurodisc |
P
1966 |
28‘53 |
|
Cherkassky zeigt eine hohe
Affinität zu Griegs Konzert, Boult zuverlässiger
Partner, beherzter Zugriff, aber auch viel Espressivo, helles Klangbild, gute
Balance und Transparenz |
|||||
4-5 |
Murray Perahia |
Colin Davis |
Symphonie-Orchester
des Bayerischen Rundfunks |
CBS Sony |
1988 |
29‘44 |
|
mit Nachdruck,
aber auch elegant und filigran, immer geschmeidig, stellenweise lustbetontes
Klavierspiel, III Davis übersieht im Andante maestoso der
Schluss-Apotheose keineswegs die fz in den
Takten 5 und 7 vor dem Satzende – sehr gute Balance und Transparenz |
|||||
4-5 |
Lars Vogt |
Simon Rattle |
City of Birmingham Symphony Orchestra |
EMI |
1992 |
31‘30 |
|
I etwas freies
Tempo, hell intonierter Flügel, entfetteter Klavierklang; ich habe den
Eindruck, dass den Musikern die technische Bewältigung nähersteht als die
musikalische, II hier mehr Gefühl, in der E Rhythmus der Streicher etwas
schwammig, III Cello-Solo im MT zu leise, keine Spannung – insgesamt gutes
Miteinander |
|||||
4-5 |
Artur Rubinstein |
Alfred
Wallenstein |
RCA Victor
Symphony Orchestra |
RCA |
1961 |
28‘13 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Leon Fleisher |
George Szell |
Cleveland
Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
29‘38 |
|
technisch super,
jedoch etwas kühl, wenig romantisch, Klang könnte farbiger sein |
|||||
4-5 |
Nelson Freire |
Rudolf Kempe |
Münchner
Philharmoniker |
CBS Sony |
1968 |
28‘23 |
|
Freire
jugendlich unbekümmert, spielerisch, manchmal auch etwas pauschal. Kempe ist
ein aufmerksamer Mitstreiter, der das richtige Feeling für Griegs Musik
mitbringt, aber auch das Derbe nicht unterschlägt – offenes Klangbild, gute
Transparenz |
|||||
4-5 |
Claudio Arrau |
Colin Davis |
Boston Symphony
Orchestra |
Philips |
P
1981 |
32‘59 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Jorge Bolet |
Riccardo Chailly |
Radio-Sinfonie-Orchester
Berlin |
Decca |
1985 |
31‘41 |
|
I
gestalterischer Ernst, sich Zeit lassend, klares Musizieren, Musik akribisch
ausformuliert, feinsinnig, II viel Atmosphäre, III etwas zu gewichtig – guter
Klang, Bolet mit Pranke, aber auch mit
Samthandschuhen |
|||||
Alexander Jenner |
Odd Grüner-Hegge |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
Bertelsmann forgotten records |
1960 |
30‘02 |
|
|
souverän agierender Pianist, spürbare Vitalität,
überzeugende Musizierlaune; Dirigent hellwacher Mitgestalter, der maßgeblich
am Gelingen der Aufnahme beiträgt, II kein pp, bemerkenswerte
Begleitung von Vc und Fg
ab T. 56, III mit viel Temperament – gute Balance und Transparenz |
|||||
|
||||||
4 |
Cziffra |
Georges Tzipine |
Orchestre National de l’ORTF |
ica classics |
1959 |
29‘16 |
|
live, ▼ |
|||||
4 |
Alice Sara Ott |
Esa-Pekka
Salonen |
Symphonie-Orchester
des Bayerischen Rundfunks |
DGG |
2015 |
30‘08 |
|
live, I
pauschale Dynamik bei Pianistin, Kadenz im gezügelten Tempo; man hat den
Eindruck, Ott bleibt hinter ihren gestalterischen Möglichkeiten zurück, auch
im dritten Satz, II Nocturne. Stimmung getroffen, III Orchester in
Begleitfunktion oft zu leise, stimmungsvoller MT – hervorragender Klang,
Salonen im Einklang mit Ott |
|||||
4 |
Hans Richter
-Haaser |
Rudolf Moralt |
Wiener
Symphoniker |
Philips forgotten records |
1958 |
27‘47 |
|
I/III
überwiegend kraftvoll, sorgfältig, Balance jedoch nicht an allen Stellen top,
II im Andante-Tempo, T. 79/80 Flügel: im Bass deutliches staccato –
die Individualität des Konzerts kommt nicht immer ganz durch, wenig
farbenreicher Klang |
|||||
4 |
Wilhelm Backhaus |
John Barbirolli |
New Symphony
Orchestra |
EMI Warner
Membran |
1933 |
26‘02 |
|
Backhaus spielt
das Konzert nicht als Reißer, ohne trocken zu wirken, die Ausführenden
verzichten nicht auf Gefühle; die lyrischen Abschnitte werden schlank, ohne
Schwulst, gespielt, II zeitbedingte Portamenti, III Thema hätte noch
prägnanter gefasst werden können – für das Alter der Aufnahme erstaunliche
Transparenz |
|||||
4 |
Lilya Zilberstein |
Neeme Järvi |
Gothenburg Symphony
Orchestra |
DGG |
1986 |
29‘43 |
|
spontanes
Musiziergefühl, mehr die große Geste als Detailarbeit, darunter leidet
allerdings die Spannung, in der Dynamik etwas großzügig |
|||||
4 |
Walter Gieseking |
Herbert von
Karajan |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI |
1951 |
29‘13 |
|
▼ |
|||||
4 |
John Ogdon |
Paavo Berglund |
New Philharmonia Orchestra London |
EMI |
P
1972 |
28‘36 |
|
I Orchester in
Begleitfunktion oft klanglich zurückgestellt, hier Miteinander nicht auf
höchstem Niveau, II Interpretation mit Gefühl, jetzt bessere Zusammenarbeit,
III Orchesterpart etwas fest und schwerfällig, Finale kommt ohne Presto aus |
|||||
4 |
Cécile Ousset |
Neville Marriner |
London Symphony
Orchestra |
EMI |
1984 |
29‘17 |
|
beste
Partnerschaft, sehr lebendige Ecksätze, jedoch etwas glatt, Marriner hat
immer einen Blick für die Holzbläser, III Ousset
prägnant geformtes Thema – insgesamt etwas routiniert |
|||||
4 |
Artur Rubinstein |
Antal Dorati |
RCA Victor
Symphony Orchestra |
RCA |
1949 |
26‘43 |
|
▼ |
|||||
4 |
Artur Rubinstein |
Alfred
Wallenstein |
RCA Victor
Symphony Orchestra |
RCA |
1961 |
28‘13 |
|
▼ |
|||||
4 |
Olli Mustonen |
Herbert
Blomstedt |
San Francisco
Symphony Orchestra |
Decca |
1994 |
30‘15 |
|
ausgedünnter,
asketischer Klavierklang, I animato ab T. 31 zu zahm, auch in der
Reprise, II modellhafte Einleitung, wie aus einem Guss, III Mustonen hinterlässt einen verkrampften Eindruck;
Blomstedt liefert was die Partitur verlangt – sehr gute Balance und
Transparenz, ein zwiespältiger Eindruck |
|||||
4 |
Jean-Yves Thibaudet |
Valery Gergiev |
Rotterdam
Philharmonic Orchestra |
Decca |
1999 |
29‘25 |
|
Griegs Musik
überwiegend auf Eleganz reduziert, poliert, Holzbläser in Begleitfunktion zu
leise, III Vc T. 156-162 unterbelichtet |
|||||
4 |
Svjatoslav Richter |
Lovro von Matacic |
Orchester der
Oper Monte Carlo |
EMI |
1974 |
28‘35 |
|
▼ |
|||||
4 |
Svjatoslav Richter |
David Oistrach |
Philharmonisches
Orchester Bergen |
Intaglio |
1968 |
27‘05 |
|
live, ▼ |
|||||
4 |
Adrian
Aeschbacher |
Leopold Ludwig |
Berliner
Philharmoniker |
DGG |
1953 |
28‘42 |
|
I Interpreten
gehen mit Empathie zu Werke, überwiegend geradliniges Musizieren,
stellenweise ausgelassen, Oberstimmen-betont, kompakter Klang, Balance nicht
immer zufriedenstellend (II Holz T. 49 ff. zu leise, ebenso in III T. 46
ff.), Holz gegenüber Streichern insgesamt benachteiligt |
|||||
4 |
Noriko Ogawa |
Ole Kristian
Ruud |
Philharmonisches
Orchester Bergen |
BIS |
2002 |
30‘49 |
|
entspanntes,
sorgfältiges Musizieren, mit Geschmack, das Epische überwiegt, Ruud sorgt für
einen durchsichtigen Klang, der auch die Holzbläser nicht vernachlässigt, II
etwas spannungsarm |
|||||
4 |
Gina Bachauer |
George Weldon |
Royal
Philharmonic Orchestra London |
EMI |
P
1960 |
29‘13 |
|
konventionelle
Darstellung auf gutem Niveau, ohne Höhepunkte |
|||||
4 |
Yuri Boukoff |
Artur Rodzinski |
Royal
Philharmonic Orchestra London |
Westminster forgotten records |
1955 |
29‘59 |
|
insgesamt
bewegte Darstellung, II deutliche Stimmführung in der E, T. 23/24 Solo-Vc mit zu viel Vibrato, insgesamt aber stimmungsvoll, III
poco animato, Th T. 9 und auch später etwas schwerfällig |
|||||
4 |
François-René Duchable |
Theodor Guschlbauer |
Philharmonisches
Orchester Straßburg |
Erato |
1985 |
27‘51 |
|
Duchable nähert sich Griegs
Konzert zu geschäftsmäßig neutral, bewegte Tempi – beim Klangbild wünschte
man sich mehr Transparenz, Holz in Begleitfunktion oft zurückgesetzt,
Orchester etwas pauschal, bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück |
|||||
4 |
Annerose Schmidt |
Kurt Masur |
Gewandhausorchester
Leipzig |
Eterna Berlin Classics |
1969 |
29‘02 |
|
I animato-Vorschriften
ohne Aufforderungscharakter, lau umgesetzt, Bläser in der Durchführung T. 89-98
gut, Bläser vorn, II Flöte wünschte man sich mit mehr Leuchtkraft, III die
große Linie, Th dynamisch wenig differenziert |
|||||
|
||||||
3-4 |
Jean-Efflem Bavouzet |
Edward Gardner |
Bergen Symphony
Orchestra |
Chandos |
2017 |
28‘12 |
|
untadeliges Klavierspiel,
Dirigent und Orchester überlassen das Feld dem Pianisten; obwohl Heimspiel,
klingt die Aufnahme doch eher wie nur durchgespielt, ohne rechte Anteilnahme,
halbherzig; I T. 43-45 Ob blüht nicht auf, Begleitung von Fl
und Hrn T. 89-97 ohne Dringlichkeit, II wenig
Atmosphäre, III wo sind die Fg T. 46 ff? |
|||||
3-4 |
Horacio
Gutierrez |
Klaus Tennstedt |
London
Philharmonic Orchestra |
EMI |
1977 |
32‘35 |
|
I Orchester
klingt bei den bewegten Klavierepisoden zu schwerfällig, die animato-Stellen
bleiben ohne Pfiff, Gutierrenz sorgfältig und
ziemlich überzeugend, temperamentvoll, II zu zögerlich, kein accel. wo
es angezeigt ist, III Begleitung des Orchesters oft zu zurückhaltend, T.
21/22 und T. 25/26 ohne Horn – ein zwiespältiger Eindruck |
|||||
3-4 |
Van Cliburn |
Eugene Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
RCA |
1968 |
29‘39 |
|
I Cliburn lässt
sich gerade bei den animato-Stellen viel Zeit, T. 31 ff. und T. 129
ff. etwas steif, Ormandy verleiht den Tutti-Stellen viel Sound, II in der E
Musik mit viel Weichzeichner, schön! III Pianist ohne Eleganz, etwas grob,
Griegs dynamische Erwartungen ignoriert |
|||||
3-4 |
Krystian Zimerman |
Herbert von
Karajan |
Berliner
Philharmoniker |
DGG |
1981 |
31‘59 |
|
Grieg-Konzert
eine Visitenkarte des Pianisten, gefällige Tempi, II 2. Th sehr langsam,
wächst nicht organisch aus dem Vorgehenden heraus, aufgeblasene
Tutti-Passagen, fast bräsig, Orchester stellenweise in der Nähe von
Filmmusik, II Orchester entrückt (Stokowski am Pult?), Kitsch ist nicht weit
entfernt, HvK bietet nur Abschnitte, keinen
Zusammenhalt, III quasi presto zum Satzende nicht umgesetzt – Balance
zugunsten des Flügels verschoben |
|||||
3-4 |
Cziffra |
André Vandernoot |
Philharmonia Orchestra
London |
EMI |
1958 |
31‘13 |
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▼ |
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3-4 |
Arturo Benedetti
Michelangeli |
Mario Rossi |
RAI
Orchester Rom |
Bella Musica |
1963 |
27‘16 |
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live, ▼ |
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3-4 |
Arturo Benedetti
Michelangeli |
Alceo Galliera |
Otchestre del Teatro alla
Scala |
Telefunken u. a.
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1942 |
30‘41 |
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▼ |
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2 |
Josè Irtubi, Klavier und Ltg. |
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Orchestre de l’Association des Concerts Colonne Paris |
Columbia forgotten
records |
1956 |
27‘51 |
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Interpretation
aus dem Geiste romantischen Virtuosentums, immer wieder die große Geste,
Dynamik nicht immer nach Partitur, Irtubi wähnt
sich als Liszt am Flügel, eine Karikatur, stellenweise überdreht, Orchester
pauschal, bei lauten Tutti-Stellen knallige Akkorde, mangelhafte Balance |
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Interpretation
nach historisch-informierter Aufführungspraxis, Erard-Flügel |
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3-4 |
Alexy Zuev |
Kenneth
Montgomery |
Orchester des
18. Jahrhunderts |
NIFC |
2016 |
29‘51 |
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live, I
Orchester übernimmt T. 7-10 nicht die Artikulation des Pianisten, Fg-Begleitung T. 57 ff. dringt nicht durch, Pianist
bremst T. 155 statt animato, II Solist nimmt die
Vierundsechzigstel-Ornamente ab T. 39 sehr frei, Orchester T. 55-62 zahm,
Spannung bricht mitten in T. 80 ein, III abrupte Tempiwechsel
– befand sich die Interpretation noch im Experimentierstadium? |
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Originalfassung
1868/1872 |
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Love Derwinger |
Jun’ichi Hirokami |
Norrköpping Symphony
Orchestra |
BIS |
1993 |
30‘03 |
Hinweise zu Interpreten
und Interpretationen
Artur Rubinstein
Rubinsteins Interesse an Griegs
Konzert wurde erst später geweckt, als er längst weltberühmt geworden war.
Während seiner Ausbildung in Berlin galt es unter Fachleuten für unbedeutend,
also überging er es. Sein neuer Produzent bei RCA, John Pfeiffer, wollte
unbedingt dieses Konzert mit ihm aufnehmen und versprach sich dabei für beide
Seiten ein Verkaufserfolg. Eine Mitarbeiterin von RCA drängte ihm die Noten
geradezu auf. Er schreibt darüber in seinen Memoiren Mein glückliches Leben
auf S. 593: „Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es leicht zu spielen
und außerordentlich reizvoll war.“ Nach nur drei Tagen Studium (Wahrheit?
Legende?) wurde das Konzert 1942 mit Ormandy und dem Philadelphia Orchester
aufgenommen und wurde schnell zu einem Plattenrenner. Irgendwann später
erklärte er das Konzert zu einem seiner Lieblingswerke und führte es oft auf.
Für die Schallplatte nahm er es danach noch dreimal auf, Dorati und Wallenstein
waren seine späteren Dirigenten. Die erste Produktion mit Ormandy konnte nicht
die überzeugendste sein, dazu kannte er das Stück noch nicht in allen seinen
Facetten. Nach meinem Dafürhalten steigerte er sich jedoch von Mal zu Mal.
Leider bringen die begleitenden Orchester nicht das Niveau, was man erwarten
konnte. Anfangs waren es Balance-Probleme, wenn die Begleitstimmen zu sehr in
den Hintergrund verbannt wurden oder Stimmführungen im Verborgenen blieben. Ein
klanglicher Sprung nach vorn war die Dorati-Aufnahme (1949), jedoch die
dynamischen Vorstellungen des Dirigenten deckten sich nicht immer mit der
Partitur. Die Einleitung des Adagios klingt etwas unruhig. Sechs Jahre später
erfolgte eine weitere Aufnahme mit dem Cellisten und Dirigenten Alfred
Wallenstein sowie dem RCA Victor Symphony Orchestra, die ich jedoch nicht
kennengelernt habe. Weitere fünf Jahre später wurde sie abgelöst von einer
Stereo-Aufnahme, ebenfalls mit Wallenstein und dem RCA-Orchester. Hier sind die
Tempi in allen Sätzen ein wenig langsamer. Rubinstein nutzt die gewonnene Zeit
zu einer intensiveren Gestaltung mit mehr Überblick und mehr Gefühl. Im
Vergleich spielt Rubinstein das Konzert jedoch schneller als die meisten seiner
Kolleginnen und Kollegen.
Walter Gieseking
Mit Gieseking am Flügel sind
mir zwei Aufnahmen bekannt: Die erste wurde 1937 in Berlin mit Hans Rosbaud am Pult der Staatskapelle für Columbia
aufgezeichnet und trifft voll und ganz den Nerv der Musik. Pianist und Dirigent
gelingen ein organisches Musizieren, das fällt sofort im Umgang mit dem Tempo
auf. Die mit animato bezeichnete Stellen
gelingen dem Pianisten wie elektrisierend. Rosbaud
achtet immer genau auf ein transparentes Klangbild, so z. B. auch in den ersten
Takten des zweiten Satzes. Das Finale wird mit viel Drive gespielt. Am Ende
wird die Trompete nicht demonstrativ, wie so oft, herausgestellt. Trotz des
Alters klingt die Aufnahme nicht kompakt. Diese interpretatorische Höhe
erreicht die zweite Einspielung mit Herbert von Karajan am Pult des Philharmonia Orchesters nicht. Die Ursache liegt darin,
dass der Dirigent Griegs Musik vorführt, wie sie seiner Meinung nach gespielt werden sollte. So klingt das Orchester gleich
zu Beginn (T. 16/17) aufgeplustert, sehr bedeutend. Karajan lässt insgesamt
langsamer spielen, schafft damit jedoch nicht die Spannung der älteren
Aufnahme. Er vermag nicht den Zusammenhang zu kreieren, wie dies Rosbaud gelang.
Claudio Arrau
Sehr viele Musikfreunde
verbinden den Namen Arrau mit Beethoven oder Brahms, wissen jedoch nicht, dass
er auch ein veritabeler Anwalt des
Grieg-Klavierkonzerts war. Mit Arrau habe ich drei Aufnahmen verglichen. Die
erste wurde 1957 in London mit Alceo Galliera am Pult
des Philharmonia Orchesters erstellt. Hier wird der
Notentext genau umgesetzt, ein kurzes Beispiel aus dem ersten Satz: Arrau
stellt die Takte 53/54 (leiser) gegen die folgenden Takte 55/56 (lauter), auch
bei der Wiederholung in der Reprise, weitere Beispiele könnten folgen. Auch der
Dirigent hat eine genaue Vorstellung vom Werk und setzt sie um. Es kommt zu
einem erfüllten organischen Musizieren, vielleicht auch deshalb, dass man sich
Zeit lässt. Zu Beginn des zweiten Satzes werden die Stimmführungen der
Streicher genau herausgestellt, ohne mit dem Zeigefinger darauf zu weisen. Das
schafft Atmosphäre. Die spürt man auch im Mittelteil des Finales, wenn die
Zweiunddreißigstel der Geigen und Bratschen (dicht am Steg zu spielen) sich
beglückend der Flöte nähern. In der Kadenz des Kopfsatzes bringt Arrau bei
Tempo 1 die drei Ebenen gut heraus. Dies gelingt ihm auch in seiner zweiten
Aufnahme, die jetzt nach dem Wechsel zum Philips-Label mit dem
Concertgebouw-Orchester und dem jungen Christoph von Dohnanyi eingespielt
wurde. Außer dem etwas runderen Klangbild sowie dem etwas herausgehobenen Klang
des Solo-Cellos ist sie der Vorgänger-Aufnahme ähnlich. Die dritte und letzte
Aufnahme entstand ebenfalls für Philips mit dem Boston Symphony Orchestra und
Colin Davis am Pult. Dieser, ein gelernter Klarinettist, holt die Bläser, vor
allem das Holz, mehr nach vorn. Arrau versieht sein Akkord-Spiel mit noch etwas
mehr Nachdruck, rückt die Musik so aber in die Nähe von Brahms, der
beabsichtigte jugendliche Schwung geht verloren. Auch Davis setzt die Musik im
Adagio mehr unter Druck als seine Kollegen.
Svjatoslav Richter
Richter steht mit drei
unterschiedlichen Aufnahmen in meinem Regal. Die älteste ist ein
Konzertmitschnitt aus Moskau mit den dortigen Philharmonikern und ihrem
Chefdirigenten Kyrill Kondraschin aus dem Jahre 1964.
Der Pianist spielt nachdenklich und dann wieder stürmisch mit viel passionato,
z. B. im Finale. Immer wieder erhöht er blitzschnell die Spannung um sie
dann wieder zu lösen, so z. B. im zweiten Satz T. 33 ff. oder T. 43 ff. Richter
und Kondraschin verleihen dem Konzert ein individuelles
Gepräge. Der Mitschnitt klingt hell und transparent. Das Blech kommt in ff-Akkorden
leicht verzerrt aus den Lautsprechern. Wie in vielen anderen Aufnahmen auch zu
beobachten, können sich Begleitfiguren vor allem der Bläser nicht immer wie
vorgesehen durchsetzen. Das Publikum schien vom Vortrag gefesselt zu sein und
verhält sich äußerst konzentriert. Auch mir gefällt diese Aufnahme mit Richter
am besten. Vier Jahre später entstand ein zweiter Mitschnitt aus Bergen mit dem
dortigen Sinfonie-Orchester. Am Pult steht Richters Landsmann und zeitweiliger Violinbegleiter David Oistrach, der inzwischen auch als
Dirigent auftritt. Diese Interpretation besitzt weniger Spannung, sie ist
ordentlich, ohne besondere Akzente zu setzen. Im Adagio will sich eine Notturno-Stimmung
nicht einstellen. Auch die folgende Studio-Produktion mit dem Orchester der
Oper von Monte Carlo unter Leitung von Lovro von Matacic
kann nur mit einem besseren Klangbild aufwarten, interpretatorisch jedoch
bleibt sie zu gepflegt, was beim Grieg-Konzert keineswegs ausreicht.
Georges Cziffra
Der ungarische Pianist konnte
sich erst spät im Westen bekannt machen. Immer wieder kritisiert wurde seine
Exzentrik, die dem jeweiligen Werk Gewalt antun konnte. Ohne Frage jedoch stand
seine frappante Virtuosität. Das zeigt sich auch in den beiden Aufnahmen des
Grieg-Konzerts, die im Abstand eines Jahres entstanden. Die ältere stammt aus
einem Londoner EMI-Studio, am Pult des Philharmonia-Orchesters
stand André Vandernoot. Cziffra
beginnt eigentlich so, wie es in den Noten steht, aber bei der nächsten Stelle,
die seine Virtuosität lockt, greift er kräftig zu. Hier und da kommt es auch zu
kürzeren Textvarianten. Besonders deutlich wird es in der Kadenz des ersten
Satzes, in der er bei der chromatisch fallenden Oktav-Passage, rasend schnell
vorgetragen, die linke Hand nachschlagen lässt. Warum war das Grieg nicht
eingefallen? Auch am Ende der Kadenz bringt er noch eigene Ideen ein. Ein Jahr
später stellte er sich mit diesem Konzert in Paris dem Publikum; am Pult des Orchestre National stand der hier wenig bekannte Georges Tzipine. Seltsamerweise verzichtet Cziffra
jetzt auf die zuvor beschriebenen Eigenwilligkeiten und spielt viel näher am
Notentext. Der zweite Satz wird vom Orchester bewegter vorgetragen, aber auch
unruhiger, es ist kein Nocturne. Erst wenn sich der Pianist einbringt, wandelt
sich die Stimmung und es wird der Poesie Raum gegeben. Ähnliches hört man im
Mittelteil des dritten Satzes.
Arturo Benedetti Michelangeli
Als Benedetti Michelangelis Paradepferd unter den Klavierkonzerten galt
das Konzert von Edward Grieg, dass er immer wieder aufführte. Zahlreiche
Mitschnitte, viele zweifelhafter Herkunft, sind auf dem internationalen Markt
greifbar. Leider entspricht ihre technische Seite in keiner Weise dem sehr
hohen Niveau, mit dem sich der wählerische Pianist diesem Konzert näherte. Aus
dieser Sicht ist es schade, dass es neben der frühen Aufnahme mit Galliera
keine Studio-Produktion einer seriösen Firma aus den 1960er/70er Jahre gibt.
Die für mich einzig gültige Aufnahme entstand in London mit Frühbeck de Burgos
am Pult. Hier erleben wir einen feurig agierenden Pianisten, der sich in der
Kadenz wie ein Hexenmeister kreiert, dass ist Futter fürs Publikum im Saal der
Royal Festival Hall. Das Orchester ist von der BBC nicht optimal eingefangen
worden, worunter vor allem die Bläser leiden. Im Adagio nimmt ABM ab T. 29 die
Vierundsechzigstel-Girlanden der rechten Hand sehr schnell und mit hohem
Fingerdruck, so spielt kein anderer diese Stelle. Zuletzt das Finale: In den
Eckteilen erleben wir einen furiosen Pianisten, der vom Tempo her alle anderen
in den Schatten stellt, Frühbeck de Burgos hat Mühe mit dem Orchester den
Anschluss zu halten. Das Thema selbst wird bei diesem Tempo weniger
differenziert dargeboten.
eingestellt am 17. 12. 2021
ergänzt am 02. 05.2022