Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Joseph Haydn
Sinfonie Nr. 86 D-Dur
Adagio, Allegro spiritoso – Capriccio (Largo) – Menuetto (Allegretto) –
Allegro con spirito
Haydns 86. Sinfonie ist Teil von 6
Sinfonien, die 1784 auf Betreiben des noch jungen Comte d’Ogny von der Pariser
Freimaurer-Loge „Olympique“ bestellt wurden, nach ihrer Fertigstellung
und Uraufführung nannte man sie „Pariser“-Sinfonien. Man bot Haydn als Honorar
fürstliche 25 Louisdor für jede Sinfonie an, darüber hinaus noch weitere 5
Louisdor pro Stück für die Publikationsrechte, das waren damals rund 2000
österreichische Gulden. Bisher verdiente er keinen Gulden an einer Sinfonie,
das Komponieren derselben gehörte zu seinen Dienstobliegenheiten bei der
fürstlichen Familie Esterhazy. Der Komponist konnte sich dieses Auftrages kaum
entziehen und schuf 6 unterschiedliche Werke, die 1787, also drei Jahre später,
mit großem Erfolg in Paris aufgeführt wurden. Nikolaus Harnoncourt zieht im
Booklet seiner CD-Einspielung einen Vergleich zu Bachs 6 Brandenburgischen
Konzerten mit ihrer auffallenden Verschiedenheit, auch in den Tonarten.
Das Orchester beim Fürsten Esterhazy
war mit ca. 24-30 Musikern besetzt, das Orchester der Loge Olympique in
Paris verfügte jedoch über eine viel größere Anzahl von Instrumentalisten, u.
a. über 40 Geigen und 10 Kontrabässe. Für den Komponisten boten sich größere
Möglichkeiten, sein musikalisches Material zu verarbeiten. Das bedeutete nun
auch ein qualitativer Sprung bei der Komposition von Sinfonien: die Phase des
Experimentierens, des Suchens war vorbei und die Sinfonie setzte sich als
bedeutendste Gattung der Instrumentalmusik durch. Das herausstechende Opus
dieser neuen Art von Sinfonien war und ist die D-Dur-Sinfonie mit der Nummer
86, neben Streichern, Holzbläsern nun auch mit Hörnern, Trompeten und Pauken
besetzt, die zusammen für einen hellen und festlichen Glanz sorgen. Die Nähe zu
Mozarts „Haffner-Sinfonie“ D-Dur KV 385 aus dem Jahre 1782 ist nicht zu
überhören. Neben festlichem Glanz steckt diese Sinfonie auch voller
Überraschungen, vor allem im harmonischen Bereich. Das beginnt bereits in der
langsamen Einleitung und setzt sich im Hauptteil fort. Erst im 5. Takt wird die
Grundtonart D-Dur erreicht.
Hinweise zu den Sätzen:
1. Satz, Einleitung: die fallenden
Tonleitern T. 8 und 9 in den 1. Geigen kommen bei sehr vielen Aufnahmen zu
leise, werden vor allem vom Blech zugedeckt, Ausnahmen: Harry Blech und Antal
Dorati. Die Musik stützt sich im Hauptteil überwiegend aus Motiven des 1. Themas,
vor allem dem Klopfmotiv aus zwei Sechzehntel und drei angebundenen Achteln,
beginnend mit T. 25 (Auftakt), als Serie, dabei verschiedene Tonarten
durchlaufend. An ein zweites Thema scheint Haydn nicht zu denken, die
verschiedenen Variationen scheinen auszureichen. Indes, kurz vor Ende der
Exposition entschließt er sich doch noch ein zweites Thema in den Kontext
einzubauen, ab T. 64 als Auftakt bis T. 74, es handelt sich jedoch nur um eine
Episode, die Dominanttonart wird erst im letzten Takt erreicht. Eine
Verarbeitung entfällt, es wird jedoch je einmal in der Durchführung sowie in
der Reprise zitiert.
2. Satz:
Der langsame Satz in G-Dur wurde von Haydn „Capriccio“ überschrieben, hier
wechseln sich ein knappes viertaktiges harmloses Thema, das wiederholt wird,
mit Zwischenspielen ab, die musikalisch reichhaltiger gestaltet sind sowie
einen höheren Spannungsgrad vorzeigen.
3. Satz:
Menuett und Trio beide in der Haupttonart D-Dur. Der Tanzcharakter bleibt noch
erhalten, Taktverschiebungen können potentielle Tänzer jedoch ablenken und in
Gefahr bringen. Das ist im lieblichen Trio nicht zu erwarten.
4. Satz:
D-Dur, überschrieben Allegro con spirito. Das kurze viertaktige Thema,
mit seiner fünffachen Tonwiederholung, leicht und spritzig, entwickelt eine
ungezügelte Kraft. Das zweite Thema ist eine Umformung des ersten, schenkt der
Musik jedoch keinen anderen Charakter.
Die Wiederholungen im ersten, dritten und vierten Satz
werden von allen Interpreten befolgt, außer von Ansermet (1. Satz) und
Schuricht (4. Satz). Harnoncourt wiederholt im Kopfsatz auch die Durchführung
und Reprise.
Interpretationen in historischer Aufführungspraxis,
teilweise mit Originalinstrumenten
5 |
Thomas Fey |
Heidelberger Symphoniker |
hänssler |
2006 |
26‘20 |
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Sechzehntel-Vorschläge T. 25-31 und
später im schnellen Tempo verhuscht, insgesamt ausdrucksstarkes Musizieren,
stürmisch, drängend, Blech sorgt für festlichen Glanz, II starke dynamische
Gegensätze, T. 40 Pause mit Fermate? III schnörkellose Klarheit, IV festlich
auftrumpfend, Blech-betont |
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5 |
Frans Brüggen |
Orchester des 18. Jahrhunderts |
Philips |
1988 |
27‘31 |
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live, I E fallendeTonleitern T.
8 und 9 in den ersten Geigen verschleiert, insgesamt leichtes und lockeres
Musizieren, auch hier kommen die Sechzehntel-Vorschläge der 1. Geigen in den
Takten 25-31 trotz sf-Markierung nicht deutlich heraus, II kräftige
Streicher, III festliches Menuett, abwechslungsreiches Trio, IV con
spirito, leicht, locker |
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4-5 |
Nikolaus Harnoncourt |
Concentus Musicus Wien |
DHM |
2002 |
31‘27 |
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I E auch hier fallendeTonleitern
T. 8 und 9 in den ersten Geigen verschleiert, Zweiunddreißigstel-Terzen T.
18/19 in Ob. und Fg. nicht ganz deutlich, T. 65-73 etwas langsamer, II starke
dynamische Gegensätze herausgestellt, III rustikales Menuett, IV Haydns Komik
nicht überspielt |
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4-5 |
Bruno Weil |
Tafelmusik |
Sony |
1994 |
24‘50 |
|
I leichtes und lockeres
Musizieren, fallende Tonleitern T. 8 und 9 auch hier zu leise, II lockerer,
weniger streng wie Fey oder Brüggen, III schnelles Tempo, IV festlich,
Schlussakkord klingt nach |
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4-5 |
Sigiswald Kuijken |
Orchestra oft the Age of
Enligtenment |
Virgin |
1989 |
25‘48 |
|
I E fallende Tonleitern T. 8 und
9 auch hier zu leise, HT schnelles Tempo, teilweise jedoch etwas unruhig,
Klangbild etwas dicht und gepresst, II mit langem Atem, differenzierte
Darstellung, III ansteckende Spielfreude, IV zupackend, ausgelassen, großbogige
Gestaltung |
Interpretationen mit herkömmlichen Instrumenten
5 |
Carl Schuricht |
Sinfonie-Orchester des SDR
Stuttgart |
SWR Music medici arts |
1954 |
24‘23 |
|
I deutlicher Tempogegensatz zwischen
E und HT, zielstrebig nach vorn, stimmiges Musizieren, II Musik darf atmen,
ausgesungen, III Menuett und Trio gut gegenübergestellt, IV spritzig,
nuancenreich – guter Monoklang |
||||
5 |
Charles Dutoit |
Sinfonietta de Montreal |
Decca |
1991 |
25‘59 |
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I HT Allegro assai, mit
spürbarer Hingabe und ansteckender Spielfreude, II pointierte Dramatik,
abwechslungsreich, III deutlicher Kontrast zwischen Menuett und Trio, IV wie
Satz 1 |
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5 |
Colin Davis |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1979 |
26‘54 |
|
I mit spürbarer Hingabe, festes
Tempo, 1. Vl. T. 34 und 36 zu leise, II darstellerische Konzentration,
spannungsvolles Musizieren, III abwechslungsreich, IV aufmerksame Umsetzung
des Notentextes – farbiges Klangbild, gute Balance und Transparenz |
||||
5 |
Harry Blech |
London Mozart Players |
HMV forgotten records |
1953 |
26‘27 |
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I Haydns Feinheiten auf der
Spur, delikat, E deutliche 1. Vl. T. 8/9, II Largo-Tempo, mit Hingabe,
atmosphärisch dicht, III Trio mit einer Portion Charme, IV überzeugende
Musizierlaune – akzeptabler Monoklang |
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5 |
Hugh Wolff |
The St. Paul Chamber Orchestra |
Teldec |
1990 |
28‘16 |
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I prickelndes Allegro,
artistische Leichtigkeit, II sich Zeit lassend, Musik darf atmen, III
geringer Gegensatz zwischen Menuett und Trio, Trio fein gezeichnet, IV
spielfreudig mit einer Prise Sinnlichkeit – farbiger und polierter Klang |
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4-5 |
Simon Rattle |
City of Birmingham Symphony
Orchestra |
EMI |
1994 |
26‘15 |
|
I E eher ein Andante, HT
entschiedener Zugriff, Rattle stellt sich den Anforderungen des Notentextes,
III mit Tempogefühl, IV 1. Vl. treten T. 28-34 zurück |
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4-5 |
Neville Marriner |
Academy of St.
Martin-in-the-Fields |
Philips |
1981 |
26‘21 |
|
I E mit viel Espressivo, HT Allegro
assai, schwungvolles Musizieren teilweise jedoch wie gehetzt, II
aufmerksames Musizieren, Musik darf atmen, III Menuett und Trio vorteilhaft
gegenübergestellt, IV mit festlichem Glanz |
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4 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1980 |
28‘46 |
|
sorgfältig erarbeitet,
ausgewogen, Orchester trotz schnellen Tempos etwas breit aufgestellt, II sich
Zeit lassend, Musik mit Fantasie ausformuliert, III Menuett etwas fest, ohne
Eleganz, auch das Trio zieht sich hin, IV wenig locker, leider zu großformatig |
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4 |
Ernest Ansermet |
Orchestre de la Suisse Romande |
Decca |
1962 |
25‘01 |
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I Ansermet stellt sich hinter
das Werk, unprätentiös, geschmackvoll, ziemlich festes Tempo, II die
Vielschichtigkeit der Musik aufgezeigt, jedoch geringere Spannung, III
Menuett wie durchgespielt, Trio bietet mehr, IV Dirigent lässt die Musik
laufen |
||||
4 |
Adam Fischer |
Österreich-Ungarische
Haydn-Philharmonie |
Nimbus Brilliant |
1992 |
26‘40 |
|
I vehementer Zugriff,
temperamentvoll, f-Stellen meistens ff, klingen zu mechanisch,
II Musik in Verlaufsform, III Trio aufmerksam gestaltet, IV festes
Musizieren, auftrumpfend – offenes Klangbild, etwas basslastig |
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4 |
Kristjan Järvi |
Tonkünstler-Orchester
Niederösterreich |
Preiser |
2007 |
24‘35 |
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live, I Allegro assai,
kraftvoll vorwärtstreibend, fast wie atemlos durch den Satz, Musik gespielt,
aber auch entdeckt? II eher sachlich als gefühlvoll, T. 44/45 Flöte
undeutlich, III Menuett und Trio in gutem Kontrast, sowohl im Ausdruck als
auch im Tempo, IV mit viel Einsatz, Tutti-Abschnitte jedoch etwas grob |
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4 |
Leonard Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1967 |
28‘59 |
|
I E T. 12 breit ausgewalzt, HT
bewegtes Musizieren, stellenweise aggressiv, robust, etwas aufgeplusterter
Klang, T. 18-20 Holzbläser nicht genau im Tempo, II sehr gezogen, Bernstein
lässt auf „bedeutsam“ spielen, T. 26 1. Vl. kaum deutlich, III robustes Menuett,
Trio langsamer, etwas betulich, IV spritzig, ausgelassen |
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3-4 |
Antal Dorati |
Philharmonia Hungarica |
Decca |
P 1972 |
26‘12 |
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insgesamt eine gediegene sachliche
Darstellung, mit gezogenem 3. Satz, trug Haydn noch eine Perücke? im 1. Satz
bringt Dorati die fallenden Tonleitern T. 8/9, Spannungseinbruch T. 13-15,
Finale genau formuliert, jedoch kaum spritzig – helles und klares Klangbild |
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3-4 |
Kurt Sanderling |
Berliner Sinfonie-Orchester |
Eterna Eurodisc |
1971 |
27‘06 |
|
I Sanderling stellt sich hinter
die Partitur, Musizieren am Notentext entlang, keine eigene „Zutat“,
gediegen, II im Ausdruck nivelliert, III und IV Haydn hatte mehr Tempo und
Witz erwartet |
eingestellt am 04. 10. 24