Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Sinfonie Nr. 94 G-Dur
Sinfonie
„mit dem Paukenschlag"
Adagio
cantabile, Vivace assai – Andante – Menuetto, Allegro
molto – Allegro molto
Diese Sinfonie entstand im
Jahr 1791 auf seiner ersten Londoner Reise und wurde im folgenden Jahr dort
uraufgeführt. Sie gehört zur Gruppe der ersten sechs Londoner Sinfonien, denen
auf seiner zweiten Londoner Reise sechs weitere folgten. Die Sinfonie G-Dur Nr.
94 ist wohl die bekannteste aus dieser Werkreihe. Haydn lässt den Dirigenten in
Bezug auf ihre Interpretation viel weniger Spielraum als etwa Beethoven oder
die Romantiker, insofern müsste es viel leichter sein, zum Kern der Musik
vorzustoßen und diesen auch zu treffen. Die wenigsten Überraschungen bietet der
Kopfsatz, der schulmäßig ausgearbeitet ist, in dem jedoch dem ersten Thema viel
mehr Platz eingeräumt wird als dem zweiten. Beim vergleichenden Hören mit
Partitur werden jedoch unterschiedliche Artikulationen bestimmter Motive
evident: Unmittelbar vor dem langen f-Abschnitt ab T. 21 spielen die
Geigen drei Achtelnoten, Haydn verlangt staccato, so wird es meist
ausgeführt. Einige Dirigenten entscheiden sich jedoch für legato, so
Karajan, Ferencsik, Solti, Dorati, Bernstein und Slatkin. Ein Bewegunggrund für
diese Spielweise könnte sein, dass der Komponist bei ähnlichen Stellen auch legato
vorsieht, so in T. 42 und T. 157 am Beginn der Reprise. Giulini
wählt noch einen anderen Weg; er lässt diese drei Achtel wie die vorhergehenden
artikulieren: die beiden ersten gebunden, das dritte abgesetzt. In derselben
Weise lassen Furtwängler, van Beinum, Karajan, Giulini, Maazel und Tate die beiden Einwürfe der Oboe in
den Takten 40/41 sowie 219/220 spielen, obwohl Haydn staccato verlangt.
Viele Musikfreunde meinen
aufgrund des effekthaschenden Paukenschlags im zweiten Satz – der in
Wirklichkeit ein ff-Tutti-Akkord des gesamten Orchesters ist –, dass
sich der Komponist hier kompositorisch ein wenig ausgeruht habe, dies
widerspricht aber der musikalischen Substanz des Satzes. Tatsache ist, dass
gerade dieser Satz mit seinen sieben Variationen sehr kunstvoll und
abwechslungsreich erfunden wurde. Das zugegeben simpel klingende Thema ist in
zwei Abschnitte unterteilt – jeweils mit Wiederholung – und beschäftigt
zunächst nur die Streicher. Nach dem sogenannten Paukenschlag folgt der zweite
Abschnitt, auch mit Wiederholung. Während zunächst weiterhin die Streicher
spielen, treten bei der Wiederholung Holzbläser und zwei Hörner hinzu. Die
folgenden Variationen folgen nun keinesfalls dem im Thema vorgestellten
Formschema: Während in der ersten beide Teile wiederholt werden, variieren die
zweite, vierte und sechste jeweils nur die ersten acht Takte.
Die erste Variation beginnt
mit einem f-Akkord des ganzen Orchesters. Goodman, Bernstein, Haenchen, Ferencsik und Slatkin bringen diesen Akkord so kräftig, als wäre es ein
weiterer Paukenschlag. Auf der Zählzeit zwei sollen
die Streicher leise weiterspielen, Giulini, der sich
wohl intensiv mit Haydns dynamischen Absichten auseinandergesetzt hat, lässt in
diesen ersten zwei Takten die zweiten Geigen, Bratschen und Bässe laut spielen.
Motiviert für diese Lesart haben ihn wahrscheinlich die Takte fünf und sechs,
in denen Haydn für diese Instrumente f verlangt. Er passt also diese
Takte dynamisch aneinander an. Fast alle anderen Dirigenten ignorieren Haydns f
in Takt 5 und spielen hier durchgehend p. Man könnte fragen, hat da der
Komponist nicht aufgepasst, oder der Notenstecher geschludert? Nach Giulinis Auffassung kann man das glauben. Auch auf eine
Ungleichheit in der Artikulation in Takt 2 und 6 im ersten Teil sowie T. 10 im
zweiten muss hingewiesen werden. Nach Haydns Wille sollen dort die ersten drei
Sechzehntel der ersten Geige (Takt 6 auch der Flöte) staccato gespielt werden.
Viele Dirigenten haben sich jedoch für legato entschieden: u. a. Toscanini,
Furtwängler, Monteux, Szell, Beecham, Lehmann, Ludwig, Krips,
Knappertsbusch, van Beinum,
Celibidache, Richter, C. Kleiber, Sawallisch und Maazel. Eine ähnliche
Abweichung findet man auch in der vierten Variation. Dort verlangt der
Komponist nach dreimal vier Sechzehnteln der Oboe eine
Viertel, er vermerkt extra ten. (tenuto=gehalten), entsprechend auch in
Takt 6 auf der zweiten Zählzeit. Eine Anzahl von
Dirigenten negieren die Viertel und lassen die Oboe einfach mit vier Sechzehnteln weiterspielen: so Monteux, Furtwängler,
Scherchen, Schmidt-Isserstedt, van Beinum, Knappertsbusch, Krips, Steinberg, Celibidache, Richter, C. Kleiber,
Sawallisch und Maazel. Spätestens hier stellt sich die Frage nach einer
authentischen Partiturausgabe. Das Kölner
Haydn-Institut, das eine kritische Gesamtausgabe herausgegeben hat (ab 1958),
berichtet, dass nur von einem Drittel von Haydns Werken Autographe vorliegen,
bei den restlichen Werken musste vorwiegend aus Stimmenmaterial das Werk
rekonstruiert werden. Die bereinigte Ausgabe der Sinfonie Nr. 94 erschien erst
im Jahre 1997, also zu einer Zeit, als die meisten der hier versammelten
Aufnahmen längst aufgenommen waren. Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass
sich die Dirigenten sogleich diese ziemlich authentische Ausgabe zu Eigen
gemacht haben. Dafür sprechen auch unterschiedliche Artikulationen der zweiten
Geigen im Trio des dritten Satzes: Haydn bindet im zweiten Teil ab T. 71 bei
ihrer Begleitstimme immer zwei Achtel zusammen – mit dieser Spielweise gehen
erste Geigen und Fagott bereits im ersten Teil voran –, viele Dirigenten
negieren jedoch die Zweiergruppen der Sekundgeiger und lassen alle Achtelnoten
mehrere Takte lang staccato ausführen, das klingt zwar reizvoll, wir
wissen jedoch nicht, ob es Haydns Absicht entspricht. Man könnte noch einige
weitere Stellen mit abweichender Artikulation nennen, das führt dann doch zu
weit.
Kehren wir noch einmal zum
zweiten Satz zurück: Wie zu Zeiten der Klassik üblich, ist eine der Variationen
in Moll zu führen (minore). Haydn beugt sich
in Variation 2 dieser Konvention, allerdings nur für vier Takte, dann verlässt
er c-Moll und sofort geht es in As-Dur weiter. In der vierten Variation
verlässt er die strenge Form, bei der das Thema unverändert gegenwärtig ist,
verarbeitet nur den Themenkopf und gesellt ihm schnelle absteigende Läufe sowie
weitere Figuren zu. Das Ruhige und Überschaubare des Themas ist hier vorbei,
dafür sorgt auch der ständige Tonartenwechsel. In der fünften Variation
wiederholen die beiden Geigen notengetreu und unisono das Thema. Darüber erfindet
der Komponist ein wundervolles Zwiegespräch von Flöte und Oboe. Das Besondere
daran ist noch, dass sich letztere nicht an das vorgegebene Vierertaktschema
des Themas anpassen, sondern in fünf bzw. sieben Takten phrasieren; das setzt
sich im wiederholten zweiten Variationsteil fort, jetzt treten noch zwei Hörner
hinzu. Sehr poetisch schließt dieser Satz: nach einem lauten verminderten
Akkord des gesamten Orchesters kehrt die Musik zur Grundtonart C-Dur zurück.
Oboe und Fagott bringen noch einmal das Thema, es klingt jedoch wie eine leise
Verabschiedung desselben.
Der Tanzsatz
dieser Sinfonie entspricht nicht ganz Haydns gepflegtem Schema, nicht Allegro
ist in der Partitur vermerkt, sondern Allegro molto. Bei diesem
ungewöhnlich schnellen Tempo denkt man unverzüglich an Beethovens 1. Sinfonie,
bei der der dritte Satz, Menuetto, auch den Zusatz Allegro
molto trägt. Die meisten Dirigenten misstrauen bei Haydn dem Zusatz molto
und lassen in mäßigerem Tempo aufspielen.
Auch der Finalsatz dieser 94.
Sinfonie fällt aus dem Rahmen. Er beginnt schulmäßig mit dem ersten Thema in
der Grundtonart G-Dur, darauf folgt das zweite Thema in der Dominanttonart
D-Dur. Nach 99 Takten beginnt die Durchführung, zunächst suchend in C-Dur, nach
vier Takten geht es jedoch in der Grundtonart weiter. Auffallend ist, dass hier
nur das erste Thema durchgeführt wird und Haydn auch nach T. 140 den
musikalischen Faden zu verlieren scheint. Nach wenigen Takten greift er noch
einmal das Hauptthema auf und führt es erneut durch, diesmal jedoch mit mehr
motivischer Arbeit und viel Dramatik . In Takt 181 ist
endlich die Reprise erreicht. Brauchte Haydn beim Beginn für das erste Thema
noch 72 Takte, so reichen ihm jetzt nur 27. Auch das zweite Thema muss sich nun
mit 16 Takten begnügen. Dann folgt die knappe Coda, die in Takt 233 auch noch
mit einem plötzlichen Paukenwirbel aufwartet, den viele Dirigenten aber
übersehen. Wahrhaft – eine ungewöhnliche Sinfonie!
Die Wiederholung im Kopfsatz
wird meistens gespielt, ausgenommen bei Beecham, Monteux, Furtwängler, Knappertsbusch, Scherchen, Krips,
Schmidt-Isserstedt, Ludwig, Celibidache und C.
Kleiber. Lediglich Monteux verzichtet auch auf die Wiederholung der 2.
Variation (minore) in Satz zwei.
5 |
Thomas Beecham |
Royal Philharmonic Orchestra London |
EMI |
1957 I/II Paris 1958 III/IV London |
22‘32 |
|
I viel Drive, lustbetontes Musizieren, dynamische Differenzierung im p-Bereich nicht immer top, II in Richtung Adagio, Paukenschlag breit, aber im Metrum, Atmosphäre, III kraftvolles Menuett, fast schon ein Scherzo, mit viel Charme, IV nicht überhitzt |
||||
5 |
Carlos Kleiber |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
WDR unveröffentlicht |
1972 |
20‘22 |
|
live – genaues und doch entspanntes und harmonisches Musizieren, keine extremen Tempi, Verzicht auf große philharmonische Besetzung – gute Transparenz und Balance |
||||
5 |
George Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS Sony |
1967 |
24‘01 |
|
I nicht übertrieben schnell, stattdessen vorbildhafte Artikulation, II Andante, Paukenschlag sehr präzise, ohne Überrumpeln-wollen, ohne Humor, straff und klar musiziert, III frisch, fast wie ein schneller Walzer, IV virtuoses Spiel, Streicher etwas bevorzugt |
||||
5 |
Jeffrey Tate |
English Chamber Orchestra |
EMI |
P 1992 |
24‘09 |
|
frisch musiziert, ansprechend, hervorragende dynamische Differenzierung, ausgeglichene Tempowahl, sehr gute Transparenz und Balance, farbiges Klangbild |
||||
5 |
Pierre Monteux |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1959 |
20‘09 |
|
s. u. |
||||
5 |
Antal Dorati |
Philharmonia Hungarica |
Decca |
1972 |
22‘16 |
|
aufmerksames Dirigat in allen Sätzen, lebendiges Musizieren, farbiges Klangbild, sehr gute Transparenz und Balance, IV überschäumende Musizierlaune |
4-5 |
Colin Davis |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1981 |
23‘34 |
|
I sorgfältiges und lebendiges Musizieren, Blech und Pauke beleben das Klangbild, II schnelles Andante, „Paukenschlag" sehr knapp, Hörner T. 104/05 wenig deutlich, III munter, farbiger Bläserklang, IV nur Allegro – ausgeglichenes Klangbild |
||||
4-5 |
Josef Krips |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1957 |
22‘32 |
|
I E gefühlvolle Bläser, HT schwungvoll, einige Portamenti, II prägnant, Streicher in f-Passagen etwas rau, T. 145-152 ahnungsvoll gespielte Streicherbegleitung, III nur Allegro, Menuett mit einem Anflug von Behäbigkeit, Trio mit viel Klangsinn, IV lebendig |
||||
4-5 |
Georg Solti |
London Philharmonic Orchestra |
Decca |
1983 |
23‘20 |
|
I bedeutungsvolle E, stürmischer HT, elastisches Musizieren, sportlich, II bewegtes Andante, geradlinig, genau, jedoch etwas distanziert, III kein Allegro molto, etwas behäbig, IV spürbare Vitalität, pointiert artikuliert – sehr gute Transparenz und Balance |
||||
4-5 |
Pierre Monteux |
Boston Symphony Orchestra |
WHRA |
1956 |
20‘15 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Dennis Russell Davies |
Stuttgarter Kammerorchester |
Sony |
1999 |
23‘59 |
|
I mit spürbarer Hingabe, schwungvoll, II inspiriert, nuancenreich, deutliches Fagott, III kein Allegro molto, stattdessen gewichtig, IV konzentriert – insgesamt unspektakulär, ein wenig nüchtern |
||||
4-5 |
Eugen Jochum |
London Philharmonic Orchestra |
DGG |
1972 |
24‘44 |
|
s. u. |
||||
4-5 |
Mariss Jansons |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
BR Klassik |
1997 |
24‘28 |
|
live – I E fast schon ein Andante, HT kraftvolles, farbenreiches Musizieren, II kantabel, fantasiereich, abgesehen von f-Partien immer locker, III kraftvolles Menuett, kein Allegro molto, liebevoll gestaltetes Trio, IV ausgelassen, jenseits von Routine |
||||
4-5 |
Adam Fischer |
Österreich-Ungarisches Haydn-Orchester |
Nimbus Brilliant |
1988 |
23‘35 |
|
I/IV von musikalischer Energie sprühendes Musizieren, farbiges Klangbild, III gemächlich, könnte akzentuierter gespielt werden – Bläser treten (zu sehr) zurück |
||||
4-5 |
Jesús Lopez-Cobos |
Kammerorchester Lausanne |
Denon |
1992 |
23‘48 |
|
aufmerksames Dirigat, elastisches Orchesterspiel, farbiger Klang, gute Transparenz und Balance sowie dynamische Differenzierung, ausgeglichene Tempowahl – II Pauke am Schluss (T. 149 ff) zu leise |
||||
4-5 |
Günther Herbig |
Dresdner Philharmonie |
Eterna Berlin Classics |
1975 |
23‘53 |
|
I prickelndes Allegro, straff musiziert, II breiter „Paukenschlag", Haydns Notentext sensibel nachgezogen, III wie selbstverständlich, IV vital, Musik im Kern getroffen |
||||
4-5 |
Wilhelm Furtwängler |
Wiener Philharmoniker |
EMI |
1951 |
22‘39 |
|
s. u. |
4 |
Eduard van Beinum |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca Retrospective |
1951 |
21‘57 |
|
|
I E Bläser anfangs mit zu viel Druck, auf hohem Niveau, II mit viel Klangsinn, T. 145 Oboe verdeckt Fagott, III markant akzentuiert, Tanzcharakter betont, jedoch kein Allegro molto, IV vital – Pauke vernachlässigt, durchsichtiges Klangbild, Lautstärke im p-Bereich großzügig ausgelegt |
|||||
4 |
Hans Schmidt-Isserstedt |
NDR Sinfonie-Orchester Hamburg |
Capitol Tahra |
1955 |
22‘30 |
|
|
I großbesetztes Orchester, Dirigent verfügt über Stilgefühl für diese Musik, mäßiges Tempo, II mit einer erhabenen Ruhe gespielt, Pauke T. 149-153 genau in den musikalischen Kontext eingepasst, III gemächlich, IV kein Allegro molto, ausgeglichen, gefällig – Sätze 1 und 2 überzeugen mehr |
|||||
4 |
Fritz Lehmann |
Berliner Philharmoniker |
DGG forgotten records |
1950 |
25‘55 |
|
|
I natürlich ungezwungen, ein Hauch akademisch, 2. Violinen beim Doppelschlag T. 195 etwas gequetscht, II Adagio, exakt, jedoch etwas starr, Hörner T. 104/05 zu leise, III zu behäbig, großbesetztes Orchester wirkt aufgeplustert, IV nur Allegro, sorgfältig – insgesamt für die Aufnahmezeit gute Transparenz, gute dynamische Differenzierung |
|||||
4 |
Hermann Scherchen |
Orchester der Wiener Staatsoper |
Westminster DGG |
1951 |
24‘58 |
|
|
I E Adagio molto, HT sehr gewichtig, Partitur durchleuchtet, II fast schon Adagio, Scherchen übernimmt nicht alle von Haydns Artikulationszeichen, strahlende Tutti-Stellen, zum Ende hin etwas langsamer, III kräftiges Menuett, zartes Trio – großbesetztes Orchester, Haydn als bedeutender Komponist herausgestellt |
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4 |
Eugen Jochum |
Staatskapelle Dresden |
Eterna Berlin Classics |
1967 |
25‘12 |
|
|
s. u. |
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4 |
William Steinberg |
Pittsburgh Symphony Orchestra |
Capitol EMI |
1958 |
24‘20 |
|
|
Steinberg stellt sich hinter das Werk, dynamische Differenzierung noch nicht ausgeschöpft – I die große Linie nachgezeichnet, entschiedener Zugriff, II mehr im Mainstream, III gebremstes Tempo |
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4 |
Leonard Bernstein |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1985 |
24‘47 |
|
|
live – s. u. |
|||||
4 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1982 |
23‘22 |
|
|
I mäßiges Tempo, ohne Überschwang musiziert, II im Vergleich zu Satz 1 zu schnell, interpretatorischer Gleichlauf, Pauke T. 149 ff viel zu leise, III Menuett mit Schwung, Trio wie durchgespielt, IV lebendig, klanglich nicht so durchgearbeitet wie z. B. bei Solti – in allen Sätzen Streicher-beherrschte Tuttiabschnitte |
|||||
4 |
Hans Knappertsbusch |
Berliner Philharmoniker |
audite |
1950 |
24‘25 |
|
|
live – I E spannungsvoller Aufbau, HT mit gebremsten Tempo, trotzdem Haydn auf der Spur, II Adagio, straffer und präziser Paukenschlag, T. 149 ff kein pp, III behäbig, auch etwas grob, T. 38-40 und T. 48-51 plötzlich langsamer, IV jeweils beim 2. Thema deutlich langsamer – individuell geprägter Interpretationsstil, großbesetztes Orchester, an den Tutti-Stellen dicke Bässe, Publikumsstörungen |
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4 |
Karl Richter |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1961 |
25‘38 |
|
|
I natürliches Musizieren, konzentriert, II mäßiges Tempo, etwas routiniert, mehr Mainstream, T. 145 Oboe verdeckt Fagott, Pauke T. 149 ff zu leise, III breit genommenes Menuett, ohne Charme, wenig Spannung, IV kein Allegro molto, wie „auf-Nummer- sicher" gespielt |
|||||
4 |
Wolfgang Sawallisch |
Wiener Symphoniker |
Philips Decca |
1961 |
23‘21 |
|
|
I , schneller, ausgelassener HT, jedoch etwas einförmig, II aufmerksam, III kein Allegro molto, etwas nüchtern, IV lebendig – Klangbild nicht so farbig wie bei späteren Philips-Aufnahmen |
|||||
4 |
Lorin Maazel |
Radio-Sinfonie-Orchester Berlin |
audite |
1975 |
22‘32 |
|
|
live – I entspanntes Musizieren, aber immer aufmerksam, II bewegtes Tempo, zu stromlinienförmig, Pauke T. 149 ff zu leise, III ansprechend, IV vital, ausgewogen |
|||||
4 |
Leonard Slatkin |
Philharmonia Orchestra London |
RCA |
1993 |
22‘46 |
|
|
I schwungvoll, neigt bei Tutti-Stellen zum Auftrumpfen, II-IV „moderner" Zugriff: durchgezogen, sachlich, mehr vorgeführte Orchesterqualität – insgesamt etwas hektisch, wenig Charme |
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4 |
Leopold Ludwig |
NDR Sinfonie-Orchester Hamburg |
Vox MPCS |
~ 1958 |
21‘57 |
|
|
I frisches Tempo, unbekümmert, II im Thema ganz kurze Achtel, Streicher an lauten Stellen teilweise scharf klingend, Pauke T. 149 ff zu leise, III behäbiges Menuett, erdverbunden, Phrasierung im Trio nicht einheitlich. IV fröhlich, lustbetont – dynamische Differenzierung insgesamt wenig ausgeprägt, Unterschiede zwischen p und pp gering |
|||||
4 |
Carlo Maria Giulini |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
hänssler |
1979 |
24‘52 |
|
|
live , s. u. |
|||||
3-4 |
Wilhelm Furtwängler |
Wiener Philharmoniker |
WFHC |
1950 |
23‘01 |
|
live, s. u. |
||||
3-4 |
Janos Ferencsik |
Ungarische Staatsphilharmonie Budapest |
Hungaroton Delta |
P 1972 |
23‘35 |
|
I temperamentvoller Vortrag, stürmisch, jedoch wenig delikat, eher robust, II gediegen, wenig Spannung, III geradlinig, wenig Feinschliff, IV vital zupackend – Haydns Musik wurde in seiner Generation im Vergleich zu Beethoven, Brahms u. a. noch nicht mit demselben Ernst gespielt |
||||
3-4 |
Sergiu Celibidache |
Berliner Philharmoniker |
audite |
1946 |
24‘04 |
|
live – I E sehr langsam, erster „Paukenschlag" bereits T. 15, HT konzentriert, an leisen Abschnitten Tempo etwas zurückgenommen, groß besetztes Orchester, II Adagio, sämig, wenig Spannung, III Tempovorschriften unbeachtet, zäh und derb, Rubati, IV endlich im Tempo, durchgepeitscht – Aufnahme insgesamt zu disperat |
||||
3-4 |
Carlo Maria Giulini |
Berliner Philharmoniker |
Testament |
1976 |
25‘54 |
|
live, s. u. |
||||
3-4 |
Leonard Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1971 |
26‘21 |
|
s. u. |
3 |
Arturo Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
RCA |
1953 |
19‘13 |
|
I Presto, wie ein Parforce-Ritt, II schnelles Andante, Var. 1 tiefe Streicher etwas derb, Var. 3 am Schluss Instrumente nicht immer genau zusammen, im f und ff lärmend, III gehetzt, durchgepeitscht, mechanisch, IV lärmende Tuttis – überwiegend Streicher-beherrschtes Klangbild, Haydn-Affinität? |
Interpretationen nach
informierter Aufführungspraxis sowie mit Originalinstrumenten
5 |
Christopher Hogwood |
The Academy of Ancient Music |
Decca |
1984 |
24‘09 |
|
I spürbare Vitalität, elastisches Musizieren, II kräftiger Paukenschlag, vergleichbar mit einem Blitz, pointiert artikuliert, III nur Allegro, IV leicht und locker – Artikulation der Streicher nicht immer nach Vorlage |
||||
5 |
Sigiswald Kuijken |
Le Petite Bande |
DHM |
1992 |
23‘20 |
|
I entschieden voran, fantasiereich, II ganz leiser Beginn, „Paukenschlag" etwas breiter, farbenreich, pulsierende Tutti-Abschnitte, III fantasiereich, IV spannungsintensive Beredtheit, lustbetontes Musizieren – Pauke könnte insgesamt etwas mehr hervortreten |
||||
5 |
Roy Goodman |
The Hanover Band |
hyperion |
1992 |
23‘20 |
|
I pointiert artikuliert, mit Verve, jedoch auch ein wenig starr, II „Paukenschlag" wie bei Hogwood, mit Hingabe, IV kraftvoll, Musik läuft wie am Schnürchen – Pauke immer präsent, jedoch nicht aufdringlich |
Interpretationen nach informierter
Aufführungspraxis mit modernen Instrumenten
5 |
Thomas Fey |
Heidelberger Symphoniker |
hänsler |
1998 |
23‘49 |
|
I aufmerksames Dirigat, temperamentvoll, farbiges Klangbild, II Fey schaltet blitzschnell in T. 33 von f auf p um, bemerkenswerte Coda bei reduziertem Tempo, III wollte Haydn das Menuett so schnell?, Trio deutlich langsamer, nuancenreich, IV con spirito – angerauter Klang, bei den Tuttistellen darf das Perkussive stärker hervortreten, sehr gute dynamische Differenzierung |
||||
5 |
Frans Brüggen |
Orchester des 18. Jahrhunderts |
Philips |
1992 |
23‘00 |
|
I orchestrale Vehemenz, II Potential der Musik ausgeschöpft, III ausgelassenes Menuett, Trio etwas zurückhaltender, IV überschäumende Musizierlaune – etwas geglättender Klang |
4-5 |
Roger Norrington |
SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart |
hänssler |
2009 |
21‘42 |
|
puristische Strenge, Stilbewusstsein, sehr gute Differenzierung und Balance, jedoch sparsamer Umgang mit Klangfarben, wenig Charme |
||||
4-5 |
Nikolaus Harnoncourt |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Teldec |
1990 |
23‘04 |
|
I E Musik beginnt ungewöhnlich düster, HT Oboe T. 40/41 sowie T. 55/56 legato statt staccato, so gehen die Motive fast unter, II etwas starr musiziert, ohne Charme, III schwungvolles Menuett, Trio etwas langsamer, IV etwas hektisch – helles Klangbild, gute Transparenz und Balance, bei Tutti-Abschnitten blechgepanzert |
||||
4-5 |
Hartmut Haenchen |
Kammerorchester „Carl Philipp Emanuel Bach" Berlin |
Eterna Berlin Classics |
P 1991 |
2321 |
|
sorgfältiges, jedoch etwas zu sachliches Musizieren, weniger Charme, sehr gute Transparenz und Balance, Haenchen übernimmt nicht immer Haydns Phrasierungen und Artikulationen, aus Staccato wird Legato und umgekehrt, es gibt jedoch auch so Sinn – II Pauke am Satzende zu leise, IV kein Allegro molto |
Transkription für Flöte,
Streichquartett und Cembalo von Johann Peter Salomon:
|
|
Florilegium |
Channel |
2002 |
21‘50 |
|
ansprechende Interpretation, für neugierige Haydn-Fans |
Hinweise zu Interpreten
und Interpretationen
Pierre Monteux
Der französische Dirigent
hatte bei Haydn ein gutes Händchen. Sehr lebendig und facettenreich spielen die
Wiener Philharmoniker auf, der Schlusssatz zieht wie ein Wirbelwind vorüber.
Der Live-Mitschnitt aus Boston ist in den ersten drei Sätzen noch geringfügig
schneller, kann jedoch klanglich nicht ganz mithalten, so bleiben z. B. die
Hörner in den Takten 103/104 zu leise und der Tuttiklang ist zu stumpf. Im
Finalsatz verzögert Monteux beim Eintritt des zweiten Themas etwas das Tempo.
Wilhelm Furtwängler
Furtwänglers Haydn-Repertoire
war recht schmal, John Hunt verzeichnet in seiner
Furtwängler-Diskographie nur die Sinfonien Nr. 88, 94 und 104. In früheren
Jahren standen in Konzertsälen außer den drei genannten zumindest noch die
Sinfonie Nr. 100 sowie das D-Dur-Cellokonzert auf dem Programm. Die
Paukenschlag-Sinfonie zählt zu den relativ wenigen Studio-Produktionen des
Dirigenten, sie entstand im Januar 1951 bereits im Magnettonverfahren, wurde
aber im Vereinigten Königreich wie üblich noch auf drei Schellackplatten
veröffentlicht, kam in den anderen Staaten jedoch als LP in den Handel. Das
Klangbild ist für die Aufnahmezeit präsent und erfreulich transparent. Gleich
in der kurzen Einleitung kann man den Meister der Spannung und Entspannung
erleben, danach folgt ein heiterer Haydn, keine Beethoven-Imitation. Das gilt
in gleicher Weise auch für das Menuett sowie den Finalsatz. Für den
Variationssatz wählt Furtwängler ein recht langsames Tempo, die Musik klingt so
etwas betulich. Bei der Artikulation und Phrasierung präsentiert er oft eigene
Vorstellungen. Die Var. 7 samt anschließender Coda
werden romantisch aufgeladen. Ein Jahr zuvor stand die Sinfonie bei einer
Tournee mit den Wiener Philharmonikern in nordische Hauptstädte, sowie Den
Haag, Münster und Bern auf dem Programm. Die japanische
Furtwängler-Gesellschaft hat den Stockholmer Rundfunkmitschnitt auf CD
veröffentlicht. Gegenüber der Studio-Platte werden hier die Ecksätze schneller,
die Binnensätze jedoch langsamer gespielt, insgesamt ist die Interpretation
ähnlich. Wie meist in damaliger Zeit wurde das Konzert auf Acetatplatten
gespeichert, was ein ständiges Rauschen und Knacken zur Folge hat. Der Klang
ist zudem entfernt und kompakt eingefangen. Wer die EMI-Platte besitzt, kann
auf diese Veröffentlichung verzichten.
Eugen Jochum
Jochums musikalische Wurzeln und
Interpretationshaltung reichen noch ins 19. Jahrhundert zurück, das ist noch bei
seinen beiden Studioaufnahmen, die nur fünf Jahre auseinander liegen, zu hören.
Er wusste noch nichts von historisch-informierter Aufführungspraxis samt
reduzierter Orchesterbesetzung, vor allem bei den Streichern. Entsprechend
großformatig klingt die Aufnahme mit der Dresdner Staatskapelle. Der Dirigent
achtet jedoch bei sorgfältigem Spiel auf eine gute Balance beim Zusammenspiel
mit den Holzbläsern sowie auf immer transparenten Klang. Für den Kopfsatz und
das Menuett wünschte ich mir allerdings ein etwas schnelleres Tempo. Die lauten
Tutti-Passagen des Andantes klingen etwas schwerfällig. Einzig das Finale
gefällt mit schwungvollem, allerdings nicht immer delikatem, Spiel. Die
folgende Aufnahme aus London klingt ein wenig lebendiger, im Kopfsatz begegnet
uns auch ein etwas schnelleres Tempo. Grund dafür mag der weniger stark
besetzte Streicherapparat zu sein. Insgesamt nimmt
auch diese Aufnahme mit dem ein wenig hellern
Klangbild für sich ein. Im dritten Satz wird jedoch etwas zu breit musiziert,
auch ist die Artikulation im Trio nicht so deutlich wie in Dresden. Im Finale
dagegen klingt das oft überspielte Pizzicato der beiden Violinen T. 227-232
dezent, in London jedoch deutlicher. Am Ende des zweiten Satzes in den Takten
149-153 ist die Pauke in der frühen Aufnahme genau in den Gesamtklang
eingepasst, später hört man sie leiser.
Carlo Maria Giulini
Der italienische Dirigent
hatte von Haydn lediglich die Sinfonie Nr. 94 im Repertoire. In den siebziger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts führte er sie mit den Berliner
Philharmonikern sowie dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks auf,
die Mitschnitte der beiden Konzerte erreichten den Schallplattenmarkt. Längst
vom Markt verschwunden ist jedoch seine Studioproduktion mit dem Londoner Philharmonia Orchester.
Von den Konzertmitschnitten
stelle ich den aus München vor den aus Berlin. Letzterer beginnt schon in der
Einleitung sehr ernsthaft, danach wird kraftvoll, sorgfältig aber auch sehr
gewichtig musiziert, vom heiteren Haydn keine Spur. Im zweiten Satz herrscht
große Ruhe, nur der bedrohliche „Paukenschlag" schafft Abwechslung. Kurz
vor Schluss ist die Pauke nicht zu hören. Das Menuett besitzt einen Anflug von
Behäbigkeit – „Papa Haydn"? – auch das Finale ist meiner Meinung nach ohne
Schwung gespielt. Die Münchner Aufnahme gefällt etwas besser, da hier insgesamt
lebendiger gespielt wird, auch hört man die schon erwähnte Pauke gegen Ende des
zweiten Satzes.
Leonard Bernstein
Mit dem amerikanischen
Dirigenten stehen zwei Aufnahmen zum Vergleich an. Im Jahre 1971 entstand eine
Studio-Einspielung mit den New Yorker Philharmonikern, die wenig Haydn-Nähe
besitzt. Abgesehen vom Finalsatz pflegt Bernstein langsame Tempi, so klingt der
Kopfsatz sehr gewichtig, streng und ernst. Der Variationssatz klingt als Adagio
schon phlegmatisch, hatte der Dirigent schon an den „Papa Haydn" gedacht?
Behäbig geht es im Menuett weiter, die Vorschläge werden hier als Achtel
gespielt, auch in der folgenden Aufnahme. Erst im Finalsatz geht es richtig zu
Sache, jedoch etwas hemdsärmelig. Insgesamt lässt Bernstein Streicher-betont
spielen; die dynamische Differenzierung im p-Bereich ist recht pauschal.
Besser gefällt da der Konzertmitschnitt mit den Wiener Philharmonikern, auch
wenn nicht wesentlich schneller gespielt wird. Der Klang hat hier mehr Farbe,
auch weil die Bläser viel mehr hervortreten dürfen. Im zweiten Satz erschreckt
ein kräftiger Paukenschlag, vergleichbar mit einem nahen Blitz. Trotz des
gleich schnellen Tempos hat das Menuett die frühere Behäbigkeit verloren. Im Finale
verpassen die zweiten Geigen dem Seitenthema einen tänzerischen Anstrich.
eingestellt am 10.05.18