Das Klassik-Prisma  
 Bernd Stremmel

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Sinfonie Nr.92 G-dur

„Oxford – Sinfonie"

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Rosbaud

Berliner Philharmoniker

DGG

1957

23‘19

5

durchsichtig, vitales Musizieren

Szell

Cleveland Orchester

Sony

1961

25‘40

5

bekannte Szell-Qualitäten, im 2.Satz mit dem Silberstift

Szell

Cleveland Orchester

CBS/UA

1949

23‘54

5

klar, durchsichtig, Blick auf alle Details gerichtet, Instrumente sehr austariert

Davis

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1983

27‘16

5

etwas saftiger als Szell

Rattle

Berliner Philharmoniker

EMI

2007

24‘42

5

live – Rattle nutzt Haydns Angebote zu einer persönlichen Sicht

 

Malko

Königliches Dänisches Orchester

EMI

1953

25‘44

4-5

I frisch musiziert, voller Energie, II insgesamt etwas ernste Grundhaltung, III Trio-Motiv festlich

Szell

Orchestre National Paris

Sony

1959

26‘47

4-5

live – breiterer Strich als in Cleveland, Orchester insgesamt nicht auf dieser Höhe

Walter

Conservatoire Orchester Paris

EMI

1938

22‘34

4-5

I Allegro molto, IV Presto molto, über manche kontrapunktische Feinheiten hinweg - klanglich erstaunlich frisch

Böhm

Wiener Philharmoniker

DGG

1974

28‘43

4-5

sachlich, alles genau abgezirkelt, jedoch fehlt etwas Esprit

Previn

Wiener Philharmoniker

Philips

1992

26‘42

4-5

I frisch, zupackend, II Andante, moll-Teil wenig intensiv, IV festliches Blech in Tutti-Abschnitten

Otterloo

Residenz Orchester Den Haag

Challenge

1950

24‘58

4-5

I romantische Einleitung, Hauptsatz sehr schnell, IV sehr schnell, nicht immer deutlich artikuliert

Fischer, Adam

Österreichisch-Ungarisches Haydn-Orchester

Nimbus

1991

27‘00

4-5

aufmerksam

Lopez-Cobos

Kammerorchester Lausanne

Denon

1995

25‘48

4-5

II kammermusikalisch, sehr durchsichtig, III etwas gleichförmig

Scherchen

Orchester der Wiener Staatsoper

Westminster/DGG

1951

25‘50

4-5

mit Ecken und Kanten, II minore: plötzlich, bestimmt, bedrohlich

 

Bernstein

Wiener Philharmoniker

DGG

1984

27‘49

4

live – philharmonischer Haydn, kein besonderes Profil, II langsamer minore-Teil

Ancerl

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO

1970

26‘14

4

live – philharmonischer Haydn, IV am besten

Klemperer

New Philharmonia Orchestra

EMI

1971

31‘09

4

ein wenig schwerfällig, in den Ecksätzen kraftvoll, III gravitätisch, schreitend; insgesamt jedoch stimmige Interpretation

Wolff

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt

hr-musik

2001

24‘50

4

Mannheimer „Walzen", Cembalo als b.c., historisierende Interpretation

 

Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1993

30‘48

3-4

live – kein rechter Zusammenhalt

auf Originalinstrumenten gespielt:

Jacobs

Freiburger Barockorchester

HMF

2004

29‘58

5

erfüllte Darstellung

 

Kuijken

Le Petite Bande

Virgin

1991

25‘27

4-5

I klar, deutlich, durchsichtig, II etwas zu Ernst, III mit dem Silberstift, IV makellos, jedoch etwas starr

Brüggen

Orchester des 18.Jahrhunderts

Philips

1995

24‘08

4-5

etwas saftiger als Kuijken, IV dynamische Kontraste

 

Leitner

Capella Coloniensis

Capriccio

1987

26‘40

4

zwischen dem Klang eines herkömmlichen und dem HIP- Orchesters, etwas brav

Haydns Sinfonie Nr.92 in G-dur trägt den bekannten Namen Oxford-Sinfonie, da sie im Rahmen der Feierlichkeiten anlässlich der Ernennung Haydns zum Ehrendoktor der Universität Oxford im Juli 1791 gespielt wurde. Mancher Musikfreund wird sie deshalb – vielleicht als Vorläufer – der folgenden 12 Londoner Sinfonien zuordnen, was jedoch nicht der Tatsache entspricht. Der große Erfolg der Sinfonien Nr.82 – 87 in Paris bewogen die Veranstalter der dortigen Konzerte, neue Sinfonien bei Haydn für Paris zu bestellen. Die Sinfonien Nr.90 – 92 sind die Früchte der Arbeit für die Pariser Auftraggeber.

Der geschäftstüchtige Haydn verkaufte die drei Sinfonien gleichzeitig auch dem schwäbischen Fürsten Kraft Ernst von Oettingen-Wallerstein, der an seinem Hof eines der besten Orchester der damaligen Zeit beschäftigte und ein großer Liebhaber von Haydnscher Musik war.

Die Sinfonie Nr.92 ist ganz offensichtlich ein Werk für Kenner, wie es seine Pariser, später Londoner Zuhörer waren. Viele kontrapunktische Finessen wie gleichzeitiges Erklingen verschiedener Motive, Engführungen, Kanons zeugen von Haydns hochstehendem Kompositionswissen und sind in den Durchführungen der Exposition und Reprise in den Ecksätzen zu bewundern. Gleichzeitig zeigt sich in ihr auch Haydns Sinn für Humor, wenn auch manchmal nur angedeutet. Lassen Sie mich beides an Hand der Partitur belegen: Nach der 20-taktigen langsamen Einleitung beginnt leise das Hauptthema, jedoch in der falschen Tonart, der Dominante D-dur. Diese vier Takte stellen den Vordersatz des Hauptthemas dar, darauf folgt ein längerer, weit ausgreifender rhythmisch bestimmter Nachsatz in der Haupttonart, vom ganzen Orchester forte gespielt. Beim dritten Erscheinen des Hauptthemas T. 57-60 stellt Haydn den Streichern eine Tonleiter der Oboen in Terzen zu. Die ersten beiden Takte sollen p gespielt werden, die folgenden beiden piu p = leiser, das wiederholt sich entsprechend auch in der Reprise T.205-208. Fast kein Dirigent geht hier auf Haydns Anweisung ein und lässt leiser spielen, nur Walter und Rattle schenken dieser „Kleinigkeit" ihre Aufmerksamkeit, Klemperer deutet die Reduzierung etwas an. Erst am Ende der Exposition erscheint endlich (wieder leise) das tänzerische 2. Thema (T.72-79). In der unmittelbar sich anschließenden Durchführung wandelt es seinen Charakter und erscheint in grimmigem Ausdruck, gekoppelt mit dem Vordersatz des Hauptthemas. Die Reprise beginnt T.125 wie die Exposition, Vordersatz in D-dur, Nachsatz in G-dur. Dann noch einmal Vordersatz in F-dur, Nachsatz in d-moll, begleitet von einem Solo des Fagotts. Haydn schreibt extra Solo in die Partitur, also ist ihm diese Stelle wichtig, Rattle weist in seiner Interpretation aufmerksam darauf hin. Am Ende des Satzes widmet sich der Komponist ausführlicher dem 2. Thema, das dann endlich in T.191 (schulmäßig) in der Haupttonart G-dur erscheinen darf, wobei sich Oboe und Flöte abwechseln.

Den 2. Satz – Adagio - gliedert Haydn in drei Teile, A in D-dur, B minore in d-moll, A‘ maggiore wieder in D-dur. Teil A wird von einem gesanglichen Thema getragen, das dreimal hintereinander in jeweils abgewandelter Instrumentation erscheint. Den richtigen Ausdruck für diese Musik zu finden dürfte nicht schwer sein, sofern man sich an Haydns Tempovorschrift Adadio hält. Viele Dirigenten sehen das nicht so, sie spielen entweder zu langsam – allen voran Celibidache, aber auch Klemperer – oder im Andante-Tempo, wie Bernstein, Ancerl, Previn, Wolff, Lopez-Cobos und Brüggen; dann kann die Musik etwas unruhig werden. Der moll-Mittelteil (B) sollte nicht nur laut, sondern etwas zackig bestimmt, militärisch vorgetragen werden. Die Wirkung ist um so größer, wenn er überraschend einsetzt, in Haydns Noten findet sich kein Hinweis auf einen vorzubereitenden Übergang! Bei Walter und Bernstein überrascht dieser kaum, jedoch bei Scherchen und noch mehr bei Jacobs, der es prächtig schneidend knallen lässt. Bei Celibidache wird der minore-Charakter total abgewürgt. Was nützen da schöne Bläserdetails, wenn der Kern der Musik nicht getroffen wird. Haydn hat in diesem Satz mehrmals den Fagottspielern herausgehobene Partien zugedacht, die Dirigenten müssen die Hinweise nur aufgreifen: T.33/34, entsprechend T.84/85 und T.62-65. Ancerl, Wolff und Rattle lassen im Sinne des Komponisten spielen, bei Walter und Fischer erklingen die Fagotte etwas leiser. C.Davis fügt in T.69 für die Trompeten noch einen zusätzlichen Halteton hinzu. Kurz vor Ende des langsamen Satzes wirft Haydn noch einmal einen, nun aber versöhnlichen Blick, auf Motive aus dem moll-Teil T.99 ff (Oboen, Flöte und Fagotte).

Der 3. Satz – Menuett – im Andante-Tempo, zeugt von Haydns Humor: die vielen Synkopen, vornehmlich im Trio, führen den Hörer beim Suchen nach den Taktschwerpunkten an der Nase herum. Bein Ancerl erklingt das Menuett schwer, gravitätisch, ebenso bei Klemperer. Nicolai Malko verleiht ihm einen festlichen Anstrich. Bei Celibidache wiederum klingt mir das Menuett zu schwerfällig, man kann den Eindruck gewinnen, der alte Papa Haydn stolpere durch seine Musik, es erklingen viele Töne ohne einen rechten Zusammenhang. In den beiden Abschnitten des Trios spielen jeweils 2 Hörner und 2 Fagotte ein absteigendes Motiv (synkopisch, beginnend auf der Zählzeit 3, nicht wie eigentlich erwartet auf 1), das nach drei Takten wiederholt wird. Im 1. Teil des Trios sollen die Bläser zuerst laut, dann weniger laut, im 2. Teil umgekehrt, also zuerst mf,dann f spielen. Viele Dirigenten scheinen Haydns Angaben nicht gelesen zu haben, da alle Motive in ziemlich gleicher Lautstärke vorgetragen werden. Malko und Rattle gehen noch über Haydn hinaus, indem sie bei den jeweiligen Wiederholungen die Tonstärken austauschen. Zum Schluss noch einen Hinweis auf T.65f: Haydn möchte diese drei Noten noch leiser gespielt wissen. Nur Szell, Malko und A.Fischer setzen dies um.

Den abschließenden letzte Satz hat der Komponist mit Presto überschrieben, also sehr schnell. Böhm, Bernstein, Klemperer, Scherchen, Celibidache und Lopez-Cobos lassen nur Allegro spielen. Walter, Otterloo und Jacobs versuchen ein Presto assai, bei Otterloo wird einiges undeutlich, da bei einem so schnellen Tempo die Artikulation nachlässt.

Zu den Wiederholungen:

Die Wiederholung der Exposition im 1.Satz wird von allen ausgeführt, außer von Rosbaud, Scherchen, Celibidache. Jacobs lässt sowohl im 1. als auch im 4. Satz zusätzlich die Durchführung mit Reprise wiederholen, d.h: alles wird nacheinander zweimal vorgetragen. 3. Satz: Im Menuett gibt es traditionell zwei Wiederholungen, ebenso im Trio. Menuett: Walter, Rosbaud und Szell-49 lassen die 2. Whlg. weg. Trio: Scherchen, Rosbaud und Szell-49 lassen die 2. Whlg. weg. 4. Satz: Die Wiederholung der Exposition fehlt bei Walter, Scherchen, Szell-49 und –61sowie bei Celibidache.

eingestellt am 29.04.09

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