Das Klassik-Prisma  
 Bernd Stremmel

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Mozart         home

Sinfonie D-dur KV 504 „Prager Sinfonie"

5

Markevitch

Berliner Philharmoniker

DGG

1954

24‘26

5

I E sehr gewichtig, sehr konzentriert, HT dramatisch, II intensiv gestaltet, III wie eine Burleske – trotz des Alters transparentes Klangbild

Schuricht

SdR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

1956

23‘01

5

live

Schuricht

Wiener Philharmoniker

EMI

1960

23‘11

5

live

Klemperer

RIAS Symphonie-Orchester Berlin

audite Urania

1950

25‘47

5

 

Dohnanyi

Cleveland Orchestra

Decca

1990

31‘04

5

absolut nur Mozart, sehr guter Klang, überzeugende Tempi in Satz 1 und 2, das Finale könnte durch schnelleres Tempo noch etwas gewinnen

Wand

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

WdR

~ 1966

24‘33

5

unveröffentlicht - I T.63-65, 136-138 u.181-183 Wand lässt den Bläsern den Vortritt, Musik spricht aus sich selbst, vielschichtige Darstellung zeugt von Wands ausgeprägtem Stilempfinden, II sehr gute Balance, molto cantabile, III nicht zu schnell

Wand

Gürzenich Orchester Köln

Club Français du Disques / Testament

1961

24‘49

5

ähnlich wie zuvor, sehr gute Balance, sehr gut abgestufte Dynamik

Suitner

Staatskapelle Dresden

Berlin classics

1968

26‘38

5

I con spirito, II con espressione, III konzentriert, immer wieder Blick auf Details

4-5

Krips

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1972

26‘46

4-5

I E exakt, jedoch nicht bedrohlich, HT federndes Musizieren, durchsichtiger Klang, keineswegs zu schnell, II Andante con moto, unverzärtelt, intensiv, III kein richtiges Presto

Walter

Wiener Philharmoniker

EMI u.a.

1936

22‘18

4-5

 

Walter

New York Philharmonic Orchestra

CBS Sony

1954

23‘11

4-5

live

Walter

Columbia Symphony Orchestra

CBS Sony

1959

24‘04

4-5

 

Kleiber, Erich

Wiener Philharmoniker

EMI  Preiser

1929

22‘36

4-5

I E gewichtig und konzentriert, HT con spirito, bewegt pulsierende Streicher, 2.Th. etwas langsamer, II con espressione, III konzentriert, jedoch ohne Kleiber-Glut – kompaktes Klangbild

Blomstedt

Staatskapelle Dresden

Denon

1982

29‘00

4-5

wie selbstverständlich musiziert, I sehr langsame E, nicht verschleppt, II sehr sorgfältig, intensiv

Ancerl

Staatskapelle Dresden

Berlin classics

1959

27‘14

4-5

I E anfangs wie suchend, HT 2.Th. etwas blass, deutliche Darstellung, könnte durch ein schnelleres Tempo noch gewinnen, II aufmerksames Dirigat, Musik immer im Fluss, III A. treibt an

Davis

Staatskapelle Dresden

Philips

1988

32‘13

4-5

großer Streicherapparat, I schön gespielt bei geringerer Dramatik, in Tuttis streicherbetont, II klangvoll, farbenreich, III etwas mehr Tempo bitte!

Schuricht

Orchester der Pariser Oper

Concert Hall Scribendum

1963

23‘35

4-5

 

Schuricht

Berliner Philharmoniker

Testament

1964

23‘20

4-5

live

Abendroth

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin

Eterna Berlin classics

1955

23‘23

4-5

I E bei der Don Giovanni-Stelle ein klein wenig schneller, pulsierendes Allegro, Fg.T.32f zu leise, II bewegtes Andante, farbig gestaltet, III pulsierendes Presto, dramatisch – für die Zeit der Aufnahme erstaunlich transparent

Sawallisch

Tschechische Philharmonie Prag

BMG

1978

28‘47

4-5

I E Spannung, HT konzentriert und inspiriert, etwas rauhe Streicher, II schön gesungen, III wie Satz 1

Sejna

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1953

22‘12

4-5

trotz des Alters sehr transparenter Klang - I gute E, T.16ff zugespitzt, HT con spirito, II Andante con moto, cantabile, jedoch etwas zu schnell, III Presto-Ausklang

Solti

Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester

WdR

~ 1956

24‘52

4-5

unveröffentlicht

Solti

Chicago Symphony Orchestra

Decca

1982

25‘43

4-5

 

Britten

English Chamber Orchestra

Decca

1970

32‘46

4-5

facettenreiches Orchesterspiel, I E lastend, Vl.1 Ende T.25 exaltiert, HT 2.Th.etwas langsamer, Fg. T.105ff etwas zu leise, III männlich

Solti

London Symphony Orchestra

Decca Membran

1951

25‘00

4-5

 

4

Vegh

Camerata Academica Salzburg

Orfeo

1996

29‘07

4

live – E etwas schleppend, HT 2.Th. deutlich abgesetzt, Stimmverlauf in der Durchführung gut zu verfolgen, etwas zu langsam, II ansprechend gestaltet, Streicher einige Unsauberkeiten in der Intonation, III farbig

Walter

Wiener Philharmoniker

DGG

1955

23‘38

4

live

Kubelik

Chicago Symphony Orchestra

Mercury

1953

23‘37

4

 

Kubelik

Wiener Philharmoniker

EMI

1961

24‘56

4

 

Zacharias

Kammerorchester Lausanne

MDG

1999

30‘51

4

I E konzentriert, HT Temperament und Präzision auf gemeinsamen niveauvollem Nenner, II schnelles Andante, sehr klar, weniger espressivo, III weniger Presto

Beecham

London Philharmonic Orchestra

EMI

1940

24‘32

4

 

Beecham

Royal Philharmonic Orchestra London

EMI Columbia

1950

24‘41

4

 

Marriner

Academy of St.Martin-in-the-Fields

Philips

1980

29‘10

4

I E geringe Spannung, HT Marriner vereint Transparenz mit Präzision, II Präzision mit weniger Temperament

Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1958

24‘15

4

 

Maag

Orchestra di Padova e del Veneto

Arts

1996

29‘39

4

HT festliches Allegro, Hörner auf HIP-Ebene, Blick auf Details, II liebevolle Umsetzung von Mozarts Notentext, III wird jeweils am Ende der Bläserakkorde T.4-9 und T.12-16 leiser, mindert etwas die Spannung, da der Fluss der Musik gebremst wird

Klemperer

Philharmonia Orchestra London

EMI

1962

25‘36

4

 

Krivine

Philharmonia Orchestra London

Denon

1988

30‘39

4

transparenter Klang, groß besetzter Orchesterapparat, I sauber musiziert, festlich, II lichtdurchflutet, mehr Routine, III T.186-203 Gegensatz zwischen Vierteln und Vierteln als Synkopen nicht deutlich, ansonsten keine Überraschungen

Mackerras

Prager Kammerorchester

Telarc

1986

34‘20

4

I schnelles Tempo, vorwärtstreibend, tranparent, gute Balance, II schnelles Andante, konzentriert, jedoch auch etwas nüchtern, III Presto, Musik etwas glatt, wie exekutiert – in Richtung HIP

Bernstein

Wiener Philharmoniker

DGG

1985

31‘12

4

großer philharmonischer Mozart, aus der Rückschau des 19.Jahrhunderts interpretiert, meistens sehr deutlich

Böhm

Berliner Philharmoniker

DGG

1959

25‘08

4

 

Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1947

23‘22

4

unbefriedigendes Klangbild, spitze Oboe, die nicht in den Holzbläserklang passt, I gewichtige E, HT rhythmische Energie des Satzes genutzt, II empfindsam, im romantischen Geist, III im Tutti gehen Bässe unter

Kubelik

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Orfeo

1985

25‘34

4

 

Tate

English Chamber Orchestra

EMI

1985

34‘15

4

I E lahm, HT wird Mozarts Partitur gerecht, Bläser und Streicher im rechten Lot, II T. lässt sich viel Zeit um Mozarts musikalische Schönheiten zu zelebrieren, III korrekt, aber nicht aufregend

3-4

Karajan

Berliner Philharmoniker

EMI

1970

24‘57

3-4

 

Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1977

24‘50

3-4

 

Böhm

Wiener Philharmoniker

Decca  DGG

1954

24‘33

3-4

 

Bour

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

Cascade

1964-78

27‘53

3-4

I Musik immer in Bewegung, sachlicher Musizierstil, Bässe bei Tuttistellen zu sehr im Hintergrund, II könnte in der Lautstärke differenzierter sein – wenig farbiges Klangbild

Jochum

Bamberger Symphoniker

Eurodisc BMG

1984

30‘44

3-4

I und II liebevoll nachgezeichnet, jedoch etwas zu zäh, III gefällt am besten, präsente Fagotte

Münchinger

Klassische Philharmonie Stuttgart

Intercord

1982

26‘33

3-4

I zahm, wenig Spannung, zu langsam, betulich, II Adagio statt Andante, III besseres Tempo

3

Barenboim

English Chamber Orchestra

EMI

1966

27‘54

3

I E sehr behäbig, keine Entwicklung, setzt sich im Allegro fort, fast keine Spannung, II die Musik quält sich dahin, III normal

Shelley

Royal Philharmonic Orchestra London

RPO

1994

25‘51

3

Routine, etwas geglättet, keine Ecken und Kanten, wenig Ausdruck, uneinheitliche Phrasierungen, Orchesterspiel nicht immer top

Interpretationen in historischer Aufführungspraxis, teilweise mit Originalinstrumenten:

5

Pinnock

The English Concert

DGA

1993

32‘38

5

I E Adagio, HT Tempo und Präzision auf gemeinsamen niveauvollem Nenner, männlich, heroisch, II gutes Tempo, farbenreiches Musizieren, III Presto, inspirierter Vortrag, überzeugend

Mackerras

Scottish Chamber Orcherstra

Linn

2007

36‘27

5

I E konzentriert, M. treibt nicht nur seine Musiker an, er achtet auch auf facettenreiches Musizieren, aufgrund des nicht zu schnellen Tempos erhält der Satz mehr Gewicht, II con spirito, III nicht ganz so schnell, pulsierend, in Tuttis klangliche Schärfung

Jacobs

Freiburger Barockorchester

HMF

2006

32‘28

5

I Echoeffekte bei Wiederholungen, barocke Prachtentfaltung in Tuttis, II nuancenreich, III Presto possible - von allen HIP-Aufnahmen diejenige mit ganz neuem Klang

Gardiner

English Baroque Soloists

Philips

1988

37‘05

5

Don Giovanni im Hinterkopf, ernst, sehr konzentriert, teilweise majestätisch, ein Menuett würde da nur stören, große Mozart-Sinfonie

4-5

Cambreling

SWR Sinfonie-Orchester Baden-Baden

Glor

2005

27‘01

4-5

I E auf T.28 (1) zielend, Spannung-Entspannung, HT rhythmisch akzentuiert, farbenreiches Orchesterspiel, II schnelles Andante, unverzärtelt, III kräftige Akzente

Hogwood

Academy of Ancient Music

Decca

1982

31‘28

4-5

silbrig heller Klang, gezähmte Pauke, konzentriertes und teilweise auch schwungvolles Musizieren, Holzbläser teilweise verdeckt

Harnoncourt

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Teldec

1981

37‘54

4-5

 

Harnoncourt

Chamber Orchestra of Europe

Teldec

1993

37‘52

4-5

live

Güttler

Virtuosi Saxoniae

Berlin classics

1997

29‘02

4-5

I frisch musiziert, rhythmische Energie der Partitur umgesetzt, II con moto, sehr aufmerksames Dirigat, leicht, teilweise schwebend, III con spirito

Norrington

London Classical Players

EMI

1991

36‘15

4-5

 

Müller-Brühl

Kölner Kammerorchester

Naxos

2001

29‘18

4-5

I und III Mozarts Notentext nach eigenem Gusto umgesetzt, farbenreiches Orchesterspiel, II duftig

4

Abbado

Orchestra Mozart

DGA

2006

36‘54

4

live – facettenreiches Musizieren, jedoch etwas fest, Musik leuchtet zu wenig, II schnelles Andante, Musik immer im Fluss, III Presto, gefällt am besten

Norrington

SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart

hänssler

2006

36‘31

4

live

Kavakos

Camerata Salzburg

Orfeo

2003

29‘10

4

live – I engagiert, konzertant, immer präsente Pk., II belebt, nicht immer einheitliche Phrasierungen, III manchmal etwas kurzatmig

3-4

ter Linden

Mozart Akademie Amsterdam

Brilliant

2002

33‘20

3-4

I E Bässe T.16, 18, 20 .. zu leise, HT um genaue Darstellung bemüht, jedoch etwas einförmig, akademisch, II klar, weniger espressivo, III akademisch akkurat – gute Balance, tranparenter Klang

 

Collegium aureum

DHM

1978

32‘52

3-4

Aufnahme des Übergangs, Bruch mit traditionellem Musizieren noch nicht ganz vollzogen, Aufnahme überrascht nicht!

 

Sinfonien von Haydn und Mozart lassen kaum Platz für individuelle Werkdeutungen, romantische Auffassungen, bezeichnenderweise fehlen hier meist die Vertreter dieser Musizierhaltung, z.B. Furtwängler, Knappertsbusch und Stokowski.

Im 1.Satz der D-dur Sinfonie „ohne Menuett", womit sie jahrzehntelang von der „Haffner-Sinfonie" in derselben Tonart abgegrenzt wurde, überwiegen die dramatischen Abschnitte, das 1. Thema ist viel länger als das 2., daraus lässt sich schließen, dass dem Komponisten das Dramatische wichtiger war als die lyrischen Momente. Bereits die Einleitung zum Satz beginnt mit einem kräftigen Akkord in D, wobei Mozart zunächst offen lässt, ob Dur oder moll gemeint ist. Für diesen Akkord von 3 Schlägen notiert der Komponist 2 Schläge f und direkt ohne diminuendo 1 Schlag p. Mozart beim Wort genommen haben Beecham, Markevitch, Kubelik-53, -61, Dohnanyi, Güttler, Jacobs, ter Linden, Ansermet und Pinnock kann man auch noch als gelungen gelten lassen, bei allen anderen Dirigenten wird ein Diminuendo gespielt. Einzig Peter Maag lässt fortepiano spielen, also ein kurzer lauter Akkord, danach sofort leise weiter. Viele Musikologen der Vergangenheit bringen die Prager-Sinfonie in den Zusammenhang zur voraufgegangenen Oper Die Hochzeit des Figaro, die er anlässlich seiner Reise nach Prag dort auch dirigiert und danach seine neue D-dur-Sinfonie uraufführt. Für mich stellt sich das anders dar, hat Mozart in den Takten 16 bis zum Ende der Einleitung nicht bereits eine Vorahnung der Komtur-Szene seiner folgenden Oper Don Giovanni, die damals noch nicht geplant war, komponiert? Die Stelle beginnt wie in der Oper in d-moll, sechsmal wechseln sich ein herrisch gebärdender Akkord grundiert von der Pauke und einem Schreiten der Bässe mit fast bittenden, ja zunehmend flehenden aufsteigenden Doppelschlägen der 1.Geigen ab. Gleichzeitig erklingt jeweils den ganzen Takt lang ein Liegeton der Fagotte, der recht bedrohlich klingen kann, wenn er denn laut genug gespielt würde. Leider lassen sich fast alle Dirigenten diesen Effekt entgehen, am deutlichsten hört man es bei Walter-59, Wand-61 und Barenboim, bei Karajan-77 fehlen die Fagotte nahezu! Erst danach ab Takt 28 versöhnen sich die beiden Gegensätze, in den letzten vier Takten bringt Mozart einen Nachklang dieser hochdramatischen Szene mit kommentierendem Fagott, das nicht unterschlagen werden darf wie bei Walter-36. Die Dämonie in den Takten 16-31 sollte bei der Interpretation nicht vergessen werden! Peter Maag stellt in den f-Takten 16, 18 ... die Liegetöne der Geigen und der Bratsche sehr deutlich heraus, bei den aufsteigenden Doppelschlägen der 1.Geigen lässt er beim letzten Doppelschlag crescendo spielen, das klingt interessant, bringt letztlich jedoch kaum einen Zugewinn an Spannung.

Im folgenden Hauptsatz fügt der Komponist mehrere Motive zu einem Thema zusammen. Eines davon klingt wie eine Vorwegnahme des Hauptthemas aus der Ouvertüre zur Oper Die Zauberflöte. In der Durchführung greift de Komponist hauptsächlich auf dieses Motiv zurück. Der 2.Satz ist Andante überschrieben, viele Interpreten lassen ihn jedoch noch schneller spielen, die Folge ist meist eine geringere Spannung der Musik. Für das Finale wünscht sich Mozart ein Presto. Alle drei Sätze sind in Sonatenform komponiert mit Wiederholung der jeweiligen Exposition, im Kopfsatz und im Finale stehen auch Wiederholungszeichen für Durchführung, Reprise und Coda. In neuerer Zeit werden alle Wiederholungen beachtet (Norrington, Harnoncourt, Mackerras, Abbado, Gardiner und Jacobs), die im 19.Jahrhundert geborenen Dirigenten lassen noch alle Wiederholungen weg (Beecham, Walter, Schuricht-60, -64, Ansermet, Kleiber und Senja), die meisten anderen bringen jeweils nur die ersten (Britten, Davis, Müller-Brühl, Hogwood, Dohnanyi, Güttler, Cambreling, Tate, Krivine, Kavakos sowie das Collegium aureum).

Sir Thomas Beecham hatte zu Mozarts Musik einen guten Draht. Allerdings war der Notentext für ihn nicht sakrosankt, nach eigenem Gutdünken oder Gefühl brachte er Änderungen ein, vor allem im Tempo und in der Dynamik, so lässt er im 1.Satz in T.228 schneller spielen, vor dem 2.Th. bremst er dann wieder ab. Im 2.Satz zeichnet er die Melodien liebevoll nach bei sehr langsamen Tempo. Auch das Finale schnurrt nicht ab, man hat den Eindruck, als höre sich der Dirigent selbst beim Musizieren zu. Einige zeitbedingte Portamenti gehören zum Musizieren dazu. Die Tempi haben sich im Laufe der Jahre kaum verändert. Die „neuere" Aufnahme ist klanglich etwas besser.

Bruno Walter hat den Plattensammlern drei Studio-Produktionen der Prager-Sinfonie hinterlassen, zusätzlich war ein Mitschnitt von den Wiener Festwochen 1955 kurz auf dem Markt. Am besten von allen gefällt mir die älteste Aufnahme aus dem Jahr 1936 mit den Wiener Philharmonikern, der Dirigent war damals bereits 60 Jahre alt, das merkt man dem Resultat kaum an: Walter wählt hier überzeugende Tempi, zeichnet Mozarts Melodien liebevoll nach, in den schnell genommenen Ecksätzen pulsiert die Musik regelrecht, ein männlicher Mozart. Beim 2.Thema des Kopfsatzes gibt er im Tempo etwas nach, die Fagotte am Ende der Einleitung geraten leider in den Hintergrund, das ist gewiss auch Ergebnis der damaligen Aufnahmetechnik, die uns ein kompaktes Klangbild hinterlässt, was vor allem in lauten Tutti-Passagen von Nachteil ist. 19 Jahre später steht der Dirigent erneut mit KV 504 am Pult der WP, der live-Mitschnitt, der 1991 in der Jubiläums-Edition der Wiener Philharmoniker zusammen mit Mahlers 4. veröffentlicht wurde, klingt nicht so präsent wie die Vorgängeraufnahme, stellenweise auch etwas topfig. Auch hier ist Walters Mozart-Kompetenz spürbar, die Aufnahme macht auf mich jedoch den Eindruck, als spielte man eher „auf Nummer sicher". Um die gleiche Zeit fand sich der Dirigent mit dem New York Philharmonic Orchestra zusammen für eine Aufnahmeserie von Mozart-Sinfonien, u.a. auch die Prager-Sinfonie. In Walters Werkauffassung hat sich grundlegend nichts geändert, jedoch scheint das Orchester etwas größer besetzt zu sein, das vermittelt den Eindruck einer großen Sinfonie, im Hinblick auf Beethoven, man könnte auch von einem philharmonischen Mozart sprechen. Die Musik wird ernster, gewichtiger dargeboten. Das gilt noch mehr für Walters letzte Aufnahme mit dem Columbia Symphony Orchestra aus Los Angeles aus dem Jahr 1959, als man Walters Interpretationen noch einmal im damals neuen Stereo-Klang festhielt. Das Klangbild ist tatsächlich besser, abgesehen von den zu mächtigen Bässen, jedoch der 83jährige Dirigent wählt altersbedingt langsamere Tempi.

Vier Jahre jünger als Walter war der Dirigent Carl Schuricht, der wie Walter in allen Musikepochen und Stilen als kompetender Sachwalter zu Hause war. Schuricht muss Mozarts Prager-Sinfonie geliebt haben, davon zeugen allein drei Konzertmitschnitte sowie eine Studioproduktion, die allesamt gelungen sind. Der Dirigent liebte einen gradlinigen, schlanken Mozart, er verstand es, immer wieder Spannungsbögen zu schlagen. Das Klangbild ist durchsichtig, zumindest in den Ecksätzen pulsiert die Musik, während das Andante mit Hingabe musiziert wird. Bei schnellem Tempo unterstreicht Schuricht den Buffo-Charakter des Finales. Am vorzüglichsten gelingt dies alles im Mitschnitt von den Ludwigsburger Schlossfestspielen im Jahre 1956. Dem Raum entsprechend war das Stuttgarter Rundfunkorchester nicht üppig besetzt. Auch 1960 im Salzburger Mozarteum musste sich Schuricht mit weniger Musikern zufrieden geben, ein Glück für die Musik. In der Durchführung des Kopfsatzes sind einige Takte nicht ganz deutlich geraten, außerdem geriet der Bassbereich den Tontechnikern etwas weniger durchsichtig, dies sind jedoch die einzigen Einwände gegen die im übrigen hervorragende Aufführung. Der letzte Mitschnitt entstand 1964 in der gerade neu gebauten Berliner Philharmonie. Der 1.Satz strotzt vor Vitalität, die man einem 84Jährigen kaum noch zutraut. Schon die dramatische Einleitung lässt aufhorchen, das Finale kommt allerdings nicht mehr so leichtfüßig aus den Lautsprechern. Erwähnen sollte man noch, dass die Differenzierung im piano-Bereich besser sein könnte, sie liegt jedoch auch bei anderen Kapellmeistern im Argen. Bei der Studioproduktion aus Paris mit dem dortigen Opernorchester (helle französischen Fagotte) fällt zunächst einmal der bessere Klang auf, das Klangbild ist gespreizter, sehr durchsichtig, jedoch mit etwas Hall angereichert. In den Ecksätzen wählt er wieder recht schnelle Tempi, aber auch im Andante, das nun nicht mehr die Intensität der live-Mitschnitte erreicht, trotzdem eine erfreuliche Aufnahme.

Mozarts Prager-Sinfonie kommt von allen Sinfonien des Meisters Otto Klemperers etwas kantigem Musizierstil wohl am meisten entgegen. Zwei Studio-Einspielungen liegen vor: 1950 erfolgte eine RIAS-Aufnahme in der Jesus-Christus-Kirche, später dann eine EMI-Aufnahme mit seinem Philharmonia Orchester. In Berlin erreicht er beim Fricsay-Orchester im Kopfsatz unter Einbeziehung der satzimmanenten rhythmischen Energie eine große Intensität, die schon leicht den Bereich des Heroischen streift. Im schneller als üblich musizierten Andante teilen sich dem Hörer pulsierende Streicher und ausdrucksvolle Bläser mit, im Finalsatz erlebt er detailbewusstes Musizieren mit viel Drive. Leider ist das Klangbild sehr flach. Die Londoner Aufnahme gelang trotz wesentlich besseren Klangs nicht mehr so zwingend, auch wenn Klemperer die Einleitung gravitätisch auflädt. Das Finale kommt exakt, jedoch fehlt der Vorwärtsdrang.

Karl Böhms Interpretationen der Prager Sinfonie sind stringend, klar und unverzärtelt, hier wird mehr mit dem Kopf als mit dem Herz musiziert. Das Andante zieht recht zügig vorüber. Die ältere Wiener Aufnahme klingt recht topfig, die Geigen beherrschen überwiegend den Klang, die Holzbläser sind meist nur in ihren Solo-Stellen zu orten. Die Berliner Produktion ist klanglich wesentlich besser ausgefallen, durchsichtiger, die Instrumente sind gut abgebildet. Auch musikalisch ist sie profilierter, so dass die CD mit den WP nur noch historisches Interesse beanspruchen kann.

Wer die Prager-Sinfonie mit Herbert von Karajan in seine CD-Sammlung einreihen möchte, sollte zu seiner ersten Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra greifen. Sie ist von allen seinen Einspielungen die natürlichste, noch weitgehend frei von Karajans Manie, alle Musik im Einheitsmischklang mit meist führenden 1.Geigen zu interpretieren. Das 2.Thema des 1.Satzes wird etwas langsamer gespielt, übrigens in der Aufnahme von 1970 auch, die dazugehörigen Fagotte T.105ff agieren zu sehr im Hintergrund. Das Andante lässt HvK recht zügig spielen. Am besten gefällt mir hier das Finale. Bei den beiden Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern treten schon in der Einleitung grobe Mängel hervor: 1970 klingen die T.3ff viel zu verzärtelt, dagegen die T.16ff pomposo, die letzten Takte 32-35 werden als schöne Stelle vorgeführt, jedoch abgekoppelt, ohne Funktion im Gefüge der Einleitung. Beim 1.Thema des Allegros „vergisst" der Maestro die thematisch wichtigen Zauberflötenanklänge der Geigen (T.41f, 49f, 75f ..). 1977 fehlt mir in der Einleitung der Biss, die wichtigen etwas unheimlichen Liegetöne der Fagotte T.16ff sind fast nicht zu hören. Am besten ist in diesen Einspielungen auch das Finale gelungen, obwohl die Holzbläser bei ihren Solostellen gut im Focus stehen, jedoch dann bei lauten Tuttistellen im Mischklang wieder untergehen.

Georg Soltis Decca-LP mit dem LSO war meine erste Prager-Sinfonie auf Platten, sie gefällt mir noch heute, auch wenn „bessere" den Weg in mein Plattenregal gefunden haben. Solti pflegt einen männlichen Mozart, genau gezeichnet und akkurat musiziert, jedoch klingen die schnellen Sätze (keine überzogenen Tempi) mehr oder weniger etwas fest, etwas unflexibel, das muss aber nicht stören. Auch vermisse ich etwas Sog im Kopfsatz. Das Klangbild der ersten Produktion ist sehr hell, im Bass auch etwas stumpf. Das Klangbild der Kölner Aufnahme ist da gerundeter. Am besten fällt diesbezüglich die CD mit dem Chicago SO aus, der Klang ist viel farbiger, jedoch nicht mehr so schlank wie in früheren Jahren. Trotz schön modellierter Bögen lässt die Spannung in der Einleitung des Kopfsatzes etwas nach, auch am Ende der Durchführung. Am besten gefällt da der Mittelsatz, indem Solti Mozarts Musik liebevoll nachzeichnet.

Mit Rafael Kubelik stehen drei Studio-Einspielungen zur Verfügung. Die erste wurde von dem damals noch jungen Label Mercury mit dem Chicago Symphony Orchestra, deren Chefdirigent Kubelik zu dieser Zeit war, nur mit einem Mikrophon aufgenommen. Die Aufnahme zeichnet sich durch einen hellen transparenten Klang aus, allerdings lassen sich die Stahlseiten vor allem der Geigen nicht immer überhören. Der erste Satz ist wie aus einem Guss musiziert, im schnellen Andante bleibt die Musik immer im Fluss, das Finale hätte ich mir etwas lockerer gewünscht, übrigens bei allen drei Aufnahmen. In den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts erstellte Kubelik eine Anzahl von LPs mit den Wiener Philharmonikern für EMI, unter anderem auch einige mit Werken Mozarts, darunter die Prager-Sinfonie. Der Kopfsatz gelingt hier nicht so überzeugend wie früher. Auch wenn es ihm gelingt, in der Einleitung einen Bogen vom Beginn zu der Don Giovanni-Stelle T.16ff zu spannen, wird doch deutlich langsamer musiziert, das 2.Th. nimmt er im Tempo noch zurück. Das Andante erklingt ähnlich wie früher. Insgesamt spielt das Wiener Orchester schlank bei transparentem Klang, die Fagotte im 1.Satz sind allerdings zu leise. Mit dem Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks liefert Kubelik interpretatorisch nichts Neues ab, die frühere Inspiration sucht man hier vergebens, die Tempi sind in allen Sätzen noch etwas langsamer, das Klangbild ist etwas runder eingefangen.

Nikolaus Harnoncourt, war einer der ersten, der die Alte-Musik-Bewegung maßgeblich beeinflusste. Mittlerweile ist er bei Bruckner angekommen. Nach den Einspielungen Bachscher Kompositionen wandte sich der Dirigent auch Mozarts großen Sinfonien zu, hierzu wählte er nicht mehr seinen Concentus Musicus sondern das Concertgebouw Orchester, mit dem er später u.a. auch einen Schubert-Zyklus kreierte. Die Prager-Sinfonie dirigiert er zupackend, manchmal geschärft, Blechbläser, vor allem Trompeten, und Pauken sind immer präsent, wenn es die Partitur verlangt. Er lässt sich Zeit, baut Spannungsbögen, leuchtet in die Musik. Dabei kommt er auch an einigen Stellen zu eigenwilligen Lösungen, z.B. lässt er im 1.Satz in T.63-65 und den entsprechenden späteren stellen die Bläser-Achtel gebunden spielen. Die Fagottstelle im selben Satz am Ende der Einleitung kommt allerdings seltsam leise. Das Andante wird con spirito dargeboten und das Finale knüpft an den Kopfsatz an. Das Klangbild ist sehr hell und immer transparent. Die mehr als zehn Jahre spätere live-Interpretation mit dem Chamber Orchestra of Europe bringt gegenüber früher kaum einen Zugewinn, das Fagott am Ende der Einleitung kommt nun deutlich, die Spielzeiten der Sätze haben sich kaum verändert, lediglich im Andante kann man den Eindruck gewinnen als würde schneller musiziert, obwohl Harnoncourt gerade mal 13 Sekunden einspart.

Roger Norringtons Einspielungen der Sinfonien Beethovens, Mozarts und Haydns galten seiner Zeit als Pioniertat der historisch-informierten Aufführungspraxis. Ganz stimmt dies jedoch nicht, bereits Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts begann das Collegium aureum unter Leitung von Franzjosef Maier für das Label Deutsche Harmonia Mundi (DHM) auf Instrumenten oder Nachbauten der Barockzeit bzw. der Frühklassik zu musizieren und die Ergebnisse auf Schallplatten festzuhalten. Zu recht berühmt wurden die Einspielungen der Brandenburgischen Konzerte. Deren Tempi waren noch sehr moderat und der Klang nicht so geschärft, gerade dies änderte sich bei Harnoncourt und Norringtons ersten Aufnahmen mit seinen London Classical Players, kein Wunder, dass Harnoncourts und Norringtons Aufnahmen fast wie eine Bombe in der Klassikwelt einschlugen. Nach mehr als zwanzig Jahren haben sich unsere Ohren an diese Musizierweise gewöhnt und sie wird als Alternative zur überkommenen wahrgenommen. Gerade in England fand Norrington etliche Nachahmer, z.B. Goodman, Hogwood, Pinnock. Die Instrumentalisten spielten zeitweise in mehreren dieser Ensembles. Wie interpretiert er nun KV 504? In der Einleitung hört man hier in T.27-31 einen Paukenwirbel, der in herkömmlichen Aufnahmen meist unterschlagen wird, die Barockpauken mit ihrem viel helleren Klang machen dies möglich. Das Allegro wird entspannt musiziert, teilweise etwas zackig, nicht zu schnell, in den Takten 63-65 und an den entsprechenden Stellen später lässt Norrington die Bläserachtel gebunden spielen. Das Andante kommt mit dem Zusatz con moto daher, die Musik ist immer im Fluss, und ein heiteres Finale beschließt mit allen vorgeschrieben Wiederholungen die Sinfonie. Als Norrington die Leitung des SWR-Sinfonie-Orchesters Stuttgart übernahm, übertrug er die gewonnenen Erkenntnisse auf ein großes klassisches Sinfonie-Orchester: z.B. weitgehender Verzicht auf Vibrato, auf Rubato, geschärfter Klang durch andere als die gewohnten Phrasierungen um die Musik als Klangrede sprechen zu lassen. Beim hörenden Vergleichen gefällt mir die Aufnahme mit dem Alte-Musik-Ensemble aus London besser, da sie mir authentischer klingt. Resultat: Ich respektiere Norringtons Musizierweise, kann jedoch nicht verbergen, dass mir seine Aufnahmen oft ein wenig blutleer, vor allem in den langsamen Sätzen, erscheinen, Mozarts Esprit kommt mir da zu kurz.

eingestellt am 17.05.12

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