Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Franz Liszt
1. Klavierkonzert Es-Dur
Allegro maestoso – Quasi Adagio – Allegro
vivace – Allegro marziale animato
Liszts 1. Klavierkonzert
ist vorwiegend monothematisch gearbeitet, d. h. ein (Haupt-) Thema beherrscht
das ganze Werk. Anstatt „Thema“ müsste man eher von „Motiv“ sprechen, es
umfasst nur vier Takte. Auch die weiteren Themen in den folgenden Sätzen sind
äußerst knapp gehalten. Eine Verarbeitung im
klassischen Sinn findet kaum statt. Liszt wechselt assoziativ von einem Thema
zum nächsten. Die Anregung für diese Form könnte der Komponist von Schuberts
Fantasie für Klavier C-Dur D. 760, der Wandererfantasie,
erhalten haben, Liszt hat sie sicher öffentlich vorgetragen und auch später (~
1851) eine Bearbeitung für Klavier und Orchester angefertigt. Auch für die
viersätzige Anlage des Konzerts kann die Wandererfantasie
Pate gestanden haben. Mit dieser Viersätzigkeit habe
ich jedoch meine Probleme, nicht weil Liszt eigentlich nur drei Sätze zählt,
den 2. Satz jedoch in zwei musikalisch völlig anders geartete Abschnitte
aufteilt, die durch einen dünnen Doppelstrich voneinander getrennt sind. Im
ersten Teil hören wir ein Notturno in ABC-Form, im zweiten ein als Allegro
vivace überschriebenes Scherzo, in dem übrigens ein Triangel als
Soloinstrument eingesetzt ist. Der konservative Wiener Kritiker Eduard Hanslick – nicht unbedingt ein Freund und Förderer
Lisztscher Kompositionen – nannte das Es-Dur-Konzert deshalb auch boshaft „Triangelkonzert". Diese beiden Teile des 2. Satzes
sollten als zwei getrennte Sätze gezählt werden, bei vielen Plattenaufnahmen
wird auch so verfahren. Mein Haupteinwand gegen eine Satz-Zählung ist jedoch
der, dass Liszt gegen Ende des Scherzos erneut das Hauptthema des 1. Satzes
einbringt, quasi als Anfang einer Reprise wie in der klassischen Konzertform
(ab T. 210), somit führt Liszt seine formale Konstruktion hier selbst ad
absurdum.
Im
Es-Dur-Konzert liegt die musikalische Führerschaft eindeutig beim Solisten, er
hat das musikalische Geschehen in der Hand, das Orchester sekundiert nur.
Unmittelbar im Anschluss an das zweite Erscheinen des Themas im 1. Satz
antwortet der Pianist in den Takten 37-41 dreimal hintereinander in jeweils
wechselnden Tonarten mit einer aufsteigenden Akkordfolge. Bei sehr vielen
Pianisten klingen die Akkorde irgendwie gleich, Sauer, Kempff, Gieseking,
Arrau, Foldes, ABM, Anda, Thibaudet
und Yundi Li jedoch spielen sie von Mal zu Mal
nachdrücklicher nach dem Prinzip „Du musst es dreimal sagen!", das
überzeugt. Der 2. Satz beginnt wie ein Notturno, ausdrucksvoll und innig, wird vom
Klavier aber schnell aus der stillen Kammer auf die Bühne gezerrt. Das
Einleitungs-Motiv wird zweimal hintereinander gespielt: zuerst aufsteigend und
absteigend von Celli und Kontrabässen, danach noch einmal von den Geigen, wobei
die restlichen Streicher nur Akkordtöne aushalten. An dieser Stelle werde ich
immer an Webers Einleitung der Freischütz-Ouvertüre erinnert (T. 3/4 und T.
7/8). Bei Liszt setzt dann wieder der Pianist zu einem längeren Solo ein (T.
9-32), wobei die rechte Hand zunächst eine ausdrucksvolle Melodie in langen
Noten spielt, die sich aber bald zu einer leidenschaftlichen Passage (T. 20
ff.) wandelt. Die linke Hand begleitet durchgehend mit auf- und absteigenden
Tönen aus der jeweiligen Harmonie. Die meisten Pianisten spielen hier nach der
Methode Melodie und Begleitung, also die rechte Hand spielt etwas lauter, nicht
so bei Wilhelm Kempff und Byron Janis, die den Tönen der Begleitung durch
geschickte Artikulation einen eigenen Duft verleihen. Die Stelle a poco piu appassionato (T. 20.ff.) spielt ABM-53 mit großer
Leidenschaft, gefolgt wiederum von Kempff und Yundi.
Viele Klavierspieler knallen die Akkorde T. 26-28 kraftvoll heraus, können dann
aber nichts mit der folgenden leiser werdenden und
dabei in die Tiefe fallenden Melodie anfangen. Nicht so Kempff, Gieseking
(wieder die Alten!) und Anda, bei ihnen klingen die
drei Takte nicht floskelmäßig, sondern ausdrucksvoll beseelt. Dann folgt im 2.
Satz der aufgewühlte Mittelteil, der wiederum mit einem Abstieg endet nun aber energicamente in Akkorden und nicht leiser zu
spielen ist. Viele Pianisten werden jedoch leiser und lassen die Töne
ausklingen. Gieseking, Farnadi und Bulva enden jedoch wie vorgeschrieben im Forte. Nun
schließt sich wieder eine ruhige Melodie an, una
corda quieto, also leise und mit gedrücktem linken Pedal
(und nicht langsamer) zu spielen. Sehr zart klingt es bei Arrau-Rosbaud, Gilels, Kempff, Brendel,
Lortie, Zimerman und Yundi. Cherkassky, Cziffra, Berman, François sowie Beroff
werden noch ruhiger und spielen am Ende wie verlangt dolcissimo. Dann
schließt sich der dritte Abschnitt (C) an. Der Pianist spielt 21 Takte lang
einen Triller, der in der linken Hand mit gebrochenen Akkordtönen sekundiert
wird. Interessant gestaltet der Komponist die Stelle mit begleitenden
Solo-Instrumenten: Flöte, Klarinette, Oboe, Cello und wieder Klarinette. Der
Pianist sollte die Ohren der Zuhörer jedoch nicht nur den Soloinstrumenten
überlassen, sondern auch seinen Flügel einbringen. Da überzeugt Geza Anda hier
durch seine „sprechende" Trillerkette überlegen, das sollte man einmal
gehört haben! Danach folgt der 3. Satz mit dem Solo-Triangel. Es sollte in
verschiedenen Lautstärkegraden und rhythmisch exakt gespielt werden, keines
falls zu laut, mehr dezent im Hintergrund, wie bei Richter, Entremont,
Pennario, Berman-Giulini.
Zu laut ertönt der Triangel bei Rubinstein-Dorati, de Groot und ABM-Rohan, zu
leise bei Arrau-Davis, Brendel, Haitink, Lortie und
Ott. In den beiden anderen Aufnahmen mit ABM sowie bei Ax
klingt der jeweils letzte Triangelschlag zu lange
nach. In den Takten 99-104 sowie 129-136 werden die Spielfiguren des Klaviers
durch eine Flöte verstärkt, hat Liszt da ungeschickt instrumentiert, da man sie
kaum hört? Nicht übersehen haben sie Scherchen, Silvestri, Ludwig, Wood,
Gielen, Wolff und Kondraschin bei Janis. Die Takte
164/65 werden von ABM geradezu herausgemeißelt, bei Arrau-42 und -52
zugespitzt, bei Cliburn klingen sie dagegen gleichgültig, harmlos. Beim bereits
oben erwähnten Eintritt der Reprise in T. 210 steht über dem zweiten
ausgehaltenen Akkord der Bläser ein Fermate-Zeichen, d. h., dass dieser Akkord
länger als sein Vorgänger ausgehalten werden soll (es fungiert wie ein
Ausrufezeichen). Diese Fermate wird jedoch nur von sehr wenigen Dirigenten
beachtet: Wood, Sargent, Leibowitz, Otterloo, Mitropoulos, Fricsay, Ackermann, Kondraschin, Conlon, Salonen und Plasson.
Das Hauptthema
des Finales klingt fast wie eine Umformung des Notturno-Themas, einige Takte
später erscheint es in erneuter Transformation in Posaunen, Fagotten und tiefen
Streichern (T.17-19 und T. 21-23). Dieser Satz ist von Liszt als
Kulminationspunkt des ganzen Konzerts konzipiert, wo alle Themen und Motive zum
Schluss in einer (etwas aufgeplusterten) Apotheose zusammengefügt werden, neben
virtuosem Klavierspiel ist in diesem Satz die Interaktion zwischen
Solist und Orchester auch am dichtesten. Zum Schluss meiner Betrachtung
des wachsenden musikalischen Grases ein Hinweis noch auf Liszts späteren
Schwiegersohn Richter Wagner, dessen Venusbergmusik aus dem Tannhäuser
von den Streichern T.110-115 zitiert wird.
Eindeutig als Virtuosenkonzert wird das 1. Klavierkonzert interpretiert
von Rubinstein, François, Katchen, Cziffra, Bulva, Argerich, Freire
und Berezowsky.
5 |
Svjatoslav Richter |
Kyrill Kondraschin |
London
Symphony Orchestra |
Philips |
1961 |
18‘10 |
|
durchsichtiger
Klang – I Solisten gut nach vorn geholt, II Rezitativteil scharf von
Nachbarabschnitten abgehoben, schlanke Streicher, III Trgl. dezent, aber sehr
präzise, IV etwas langsames Tempo unterstützt den grandioso-Charakter
des Satzes |
|||||
5 |
Krystian Zimerman |
Seiji Ozawa |
Boston
Symphony Orchestra |
DGG |
1987 |
18‘23 |
|
I nimmt sich
für die lyrischen Abschnitte viel Zeit, gute Verbindung von zur Schau
gestellter Virtuosität mit lyrischer Versenkung, III noch nie so gehörtes
Tremolo der lk. Hd
T.184-89, IV nach Liszts Vorstellungen |
|||||
5 |
Walter
Gieseking |
Henry Wood |
London
Philharmonic Orchestra |
EMI |
1932 |
17‘30 |
|
I anfangs
großer Auftritt, II leuchtender Diskant, gibt auch einfachen Tonfolgen
Gewicht, IV leidenschaftliches Musizieren, immer schlank und locker – für das
Aufnahmejahr erstaunlich guter Klang |
|||||
5 |
Emil von Sauer |
Felix Weingartner |
Conservatoire Orchester Paris |
Columbia
EMI |
1938 |
18‘09 |
|
klares Klavierspiel, deutliche Artikulation,
beseelt, eher musikantisch als zirzensisch, gutes Miteinander, I maestoso
herausgestellt, II lk. Hd. zu Beginn mit Duft –
Klang historisch, jedoch einigermaßen transparent, Flügel nach vorn gezogen,
Holzbläser im Tutti zu leise |
|||||
5 |
Geza Anda |
Otto
Ackermann |
Philharmonia Orchestra London |
EMI Testament |
1955 |
20‘09 |
|
I und IV den
jeweiligen Satz ohne Hast neu durchleuchtet, Ackermann hält das Orchester zu
genauester Diktion an, II großartig „sprechender" Triller (langsamer als
gewöhnlich) T. 56-76 |
|||||
5 |
Martha
Argerich |
Claudio
Abbado |
London
Symphony Orchestra |
DGG |
1968 |
17‘25 |
|
Argerich und
Abbado im besten Einvernehmen, alles immer hell und durchsichtig, ohne
romantische Emphase und Schwulst, trotzdem eindeutig ein Virtuosenkonzert |
|||||
5 |
Emil Gilels |
Kyrill Kondraschin |
Staatliches
Sinfonie-Orchester der UdSSR |
Brilliant |
1949 |
18‘24 |
|
I die Ausführenden
lassen sich Zeit, Themen können plastisch hervortreten, III rhythmisch
akzentuiertes Spiel mit großem Einsatz – laute Tutti-Stellen kompakt, trotz
des Alters der Aufnahme alles sehr deutlich |
|||||
Byron Janis |
Kyrill Kondraschin |
Moskauer Philharmoniker |
Mercury
newton |
1962 |
17‘17 |
|
|
bestes
Miteinander im Dienst der Komposition |
|||||
5 |
Andor Foldes |
Leopold Ludwig |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1953 |
17‘51 |
|
Solist und Orchester agieren nicht neben-
sondern miteinander, einerseits lockeres Klavierspiel, andererseits springt Foldes blitzschnell in den Angriffmodus,
zurückhaltende Triangel – für die Aufnahmezeit gute Transparenz und breite
dynamische Palette |
|||||
5 |
Shura Cherkassky |
Ferenc
Fricsay |
RIAS
Symphonie-Orchester |
audite |
1952 |
18‘05 |
|
live – I
E-Kadenz T.16 ff: Cherkassky befolgt genau Liszts
Anweisung un poco ritenuto e molto
rinforzando, II der Pianist versenkt sich bei lyrischen Partien in Liszts
Musik, geht in der Lautstärke fast bis zum Unhörbaren, ohne, dass die
Spannung einbricht – Cherkassky verfügt über die
Pranke eines Löwen aber auch über die Pfoten eines Kätzchens |
|||||
5 |
Shura Cherkassky |
Heinz
Wallberg |
Bamberger
Symphoniker |
Denon |
1964 |
19‘35 |
|
gerade noch
5, jedoch nicht mehr so lebendig wie die live-Aufnahme mit Fricsay |
|||||
|
||||||
4-5 |
Earl Wild |
Malcolm
Sargent |
Royal
Philharmonic Orchestra London |
Chesky |
1962 |
18‘43 |
|
straff und
überzeugend musiziert, I sehr gewichtig |
|||||
4-5 |
Claudio
Arrau |
Eugene
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
Columbia |
1952 |
19‘12 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Claudio
Arrau |
Hans Rosbaud |
Rundfunk-Sinfonie-Orchester
Berlin |
Urania History u. a. |
1942 |
18‘19 |
|
▼ |
|||||
4-5 |
Arturo
Benedetti Michelangeli |
Dimitri
Mitropoulos |
Orchestre del Maggio Musicale di Firenze |
Tahra |
1953 |
18‘55 |
|
live, ▼ |
|||||
4-5 |
Cor de Groot |
Willem van Otterloo |
Radio
Philharmonisches Orchester Hilversum |
Philips forgotten records |
1951 |
18‘09 |
|
auf sehr
hohem Niveau musiziert |
|||||
4-5 |
Alfredo Perl |
Yakov Kreizberg |
BBC Symphony Orchestra |
Oehms |
P 2004 |
17‘47 |
|
Perl wird seiner Virtuosenrolle
gerecht, Klavierklang mit viel Körper, überträgt sich auch auf das Orchester,
das etwas dunkel gefärbt ist, gutes Miteinander, Holzbläser in
Tuttiabschnitten zu leise |
|||||
4-5 |
Wilhelm
Kempff |
Anatole Fistulari |
London
Symphony Orchestra |
Decca |
1954 |
19‘10 |
|
helles
Klangbild, etwas flach – nicht immer die große Geste, nicht Dauerspannung,
sondern auch immer wieder entspanntes Musizieren, III T.166-180 Klavier als
Begleiter der Streicher |
|||||
4-5 |
René Duchable |
James Conlon |
London
Philharmonic Orchestra |
Erato |
1983 |
18‘29 |
|
seriöse
Darstellung, ohne Pomp und auftrumpfende Dramatik, helles Klangbild, sehr
durchsichtig, Duchable durchgehend sehr locker |
|||||
4-5 |
Jean-Yves
Thibaudet |
Charles
Dutoit |
Orchestre Symphonique
de Montreal |
Decca |
1990 |
17‘50 |
|
Liszts
Passagenwerk und Läufe wie von Mendelssohn, sehr leicht und locker, Dutoit
steuert duftige Orchesterbegleitung bei, leichtgewichtiger Liszt – Liszt für
Liszt-Verächter |
|||||
4-5 |
Julius Katchen |
Ataúlfo Argenta |
London
Philharmonic Orchestra |
Decca |
1957 |
18‘35 |
|
Klangbild
etwas mulmig, I grandioso T. 90 ff. könnte
noch prächtiger ausfallen, II T.9 ff. lk. Hd.
uneben, IV eindeutig Virtuosenfutter, jedoch nicht
bis ins Letzte ausgefeilt |
|||||
4-5 |
Edith Farnadi |
Hermann
Scherchen |
Orchester der
Wiener Staatsoper |
Westminster Tahra |
1951 |
17‘38 |
|
Fernadi wird ihrer Aufgabe
gerecht, Scherchen immer Anwalt der Partitur |
|||||
4-5 |
Jorge Bolet |
Lawrence Foster |
Radio-Symphonie-Orchester Berlin |
audite |
1971 |
19‘05 |
|
live, überwiegend ausdrucksvolles Klavierspiel,
deutliches Orchester, gutes Miteinander, Triangel jedoch zu leise |
|||||
4-5 |
Philippe Entremont |
Eugene
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
CBS |
1959 |
18‘19 |
|
I mehr als
Schaustück, Orchester-Solisten müssen zurücktreten, II Philadelphia
Streichersound, III rhythmisch akzentuiert |
|||||
|
||||||
4 |
Michel Beroff |
Kurt Masur |
Gewandhausorchester
Leipzig |
EMI Eterna |
1977 |
17‘33 |
|
Liszt glatt poliert, Orchester könnte etwas präsenter sein |
|||||
4 |
Leonard Pennario |
René Leibowitz |
Royal
Philharmonic Orchestra London |
Chesky |
1963 |
18‘05 |
|
Klangbild
weniger aufgefächert, aufmerksames Orchester, I virtuos, II T.20-30 zu zahm,
T.51ff nicht in ihrer Besonderheit erfasst – in Richtung Virtuosenkonzert
gespielt |
|||||
4 |
Lazar
Berman |
Carlo Maria Giulini |
Wiener
Symphoniker |
DGG |
1976 |
19‘50 |
|
I
Solostellen sehr zurückhaltend, fast privat, II T. 9-32 auch wie für sich
selbst gespielt, T. 50 mit T. 51 organisch verbunden, sonst nahezu immer
getrennt, III Giulini achtet bei dem Triangel auf
unterschiedliche Lautstärkegrade, deshalb nie aufdringlich, IV T. 30-45 bzw.
T. 73-80 Solopart molto non legato |
|||||
4 |
Josef Bulva |
Daniel
Nazareth |
Sinfonie-Orchester
von Radio Luxemburg |
Mediaphon |
1986 |
18‘40 |
|
technisch alles
auf das Beste, musikalisch jedoch etwas eindimensional, Virtuosenkonzert |
|||||
4 |
Emmanuel Ax |
Jukka Pekka
Salonen |
Philharmonia Orchestra London |
Sony |
1992 |
17‘59 |
|
I und IV
relaxed gespielt, nicht auftrumpfend, immer präsent und klar, II T. 51 ff.
etwas zu robust – insgesamt weniger persönlich geprägte Auffassung |
|||||
4 |
Jorge Bolet |
David Zinman |
Rochester
Philharmonic Orchestra |
Vox u .a. |
1979 |
19‘24 |
|
solide,
Orchesterinstrumente teilweise etwas zurückgesetzt |
|||||
4 |
Ludwig
Hoffmann |
Leopold
Ludwig |
NDR
Sinfonie-Orchester
Hamburg |
NDR |
1961 |
17‘17 |
|
unveröffentlicht
– I gelassen, II T. 10 ff. leuchtender Diskant, lk.
Hd. jedoch nur Begleitung, III nachdrückliche Trillerstelle T. 228-237 |
|||||
4 |
Louis Lortie |
George Pehlivanian |
Residenz
Orchester Den Haag |
Chandos |
2000 |
17‘50 |
|
nachdenklich,
lyrische Grundhaltung, schlankes Musizieren |
|||||
4 |
Yundi Li |
Andrew Davis |
London
Symphony Orchestra |
DGG |
2006 |
17‘42 |
|
sehr viele Rubati, kein festes Tempo, Höhepunkte werden mit
Tempobeschleunigungen angegangen, Klavierspiel stellenweise auch sehr
filigran, Klangregie nicht immer optimal, Holz oft zugedeckt |
|||||
4 |
Arturo
Benedetti Michelangeli |
Rafael
Kubelik |
RAI
Orchester Turin |
Frequenz u.
a. |
1961 |
18‘00 |
|
live, ▼ |
|||||
4 |
Artur
Rubinstein |
Alfred
Wallenstein |
RCA Victor
Symphony Orchestra |
RCA |
1956 |
17‘11 |
|
I bei der strepitoso-Stelle T. 19-22 Erleichterung im Klavierpart?, II Solisten T. 57-76 wenig espressivo, III
nicht so schnell, stattdessen mehr gestaltet, IV eindeutig Virtuosenkonzert |
|||||
4 |
Artur
Rubinstein |
Antal Dorati |
Dallas
Symphony Orchestra |
RCA |
1947 |
16‘11 |
|
I
Allegro-Abschnitte sehr straff, gelungener Dialog zw. Solisten und Klavier T.
52 ff., II Streicher zu Beginn zu laut, auch T. 33-35 sowie T. 57-76, III
sehr schnell, virtuos, Triangel könnte etwas leiser sein, IV eindeutig Virtuosenkonzert |
|||||
4 |
Lise de la Salle |
Lawrence Foster |
Gulbenkian Orchester Lissabon |
naïve |
2012 |
19‘14 |
|
lyrische Abschnitte werden von der Pianistin genüsslich
ausgekostet, ansonsten agiert sie kämpferisch, insgesamt wirkt die
Interpretation auf den Hörer etwas unruhig, I in der Kadenz zu Beginn
überzeugt die strepitoso-Stelle nicht –
farbiges Klangbild |
|||||
4 |
Claudio
Arrau |
Colin Davis |
London
Symphony Orchestra |
Philips |
1979 |
20‘52 |
|
▼ |
|||||
4 |
Alice Sara Ott |
Thomas Hengelbrock |
Münchner Philharmoniker |
DGG |
2009 |
1938 |
|
Ott technisch brillant,
mit virtuosem Aplomb, Orchester solide, eher in der Begleitrolle, sehr hell
intonierter Flügel |
|||||
4 |
Samson
François |
Constantin
Silvestri |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1960 |
|
|
Virtuosenkonzert, Orchester lediglich
in Begleitrolle |
|||||
4 |
György Cziffra |
André Cluytens |
Orchestre National de I’ORTF |
ica classics |
1959 |
19‘02 |
|
live, mir gefällt dieser Mitschnitt besser als
die Studio-Produktion zwei Jahre zuvor, der Stellenanteil des Orchesters ist
angehoben, besseres Miteinander, auch die klangliche Seite überzeugt mehr,
wenn auch keinesfalls optimal |
|||||
|
||||||
3-4 |
Annie
Fischer |
Otto
Klemperer |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1960/62 |
18‘34 |
|
zwischen Beginn
und Fertigstellung der Aufnahme liegen zwei Jahre, I sehr durchsichtig und
klar, man hat den Eindruck, als ob Klemperer nicht ganz hinter Liszts
emphatischem Aufriss stehen würde, II etwas unentschlossenes Miteinander, III
Zusammenspiel im Orchester nicht immer genau, IV Bläserstelle T. 46 ff.
zugedeckt, musikalische Zusammenhänge nicht immer klar |
|||||
3-4 |
Alfred
Brendel |
Bernard
Haitink |
London
Philharmonic Orchestra |
Philips |
1972 |
18‘01 |
|
I sehr
gelassen, manche Solostellen wie z.B T.97ff klingen
wie aus dem Zusammenhang herausgelöst, II anfangs Streicher kaum espressivo,
T.10ff kühl, IV Orchester könnte außerhalb der
lauten Tutti etwas mehr gefordert sein |
|||||
3-4 |
Alfred
Brendel |
Michael
Gielen |
Wiener
Symphoniker |
Vox Brilliant |
1957 |
19‘11 |
|
I etwas
schwerblütig, II wie 1972, III etwas kühl und lustlos, IV ohne Feuer – bleibt
hinter Liszts Erwartungen zurück |
|||||
3-4 |
Lazar
Berman |
Kyrill Kondraschin |
Philharmonisches
Jugend-Orchester Moskau |
Brilliant |
1952 |
18‘42 |
|
I einzelne
Stellen, kein richtiger Zusammenhang, T. 9-32 nach innen, nicht nach außen
gespielt, III sehr lebendig – Jugendorchester schlägt sich tapfer,
Spielkultur der Streicher könnte noch verbessert werden |
|||||
3-4 |
Nelson
Freire |
Michel Plasson |
Dresdner Philharmonie |
Berlin
Classics |
1994 |
17‘27 |
|
I auf der
einen Seite tiefes Versenken, andererseits stürmisches Vorwärtsdrängen, II T.
69-76 ziemlich lieblos, III viel Oktavgeklingel, IV Danse
macabre – Virtuosenkonzert,
Orchester spielt nur Nebenrolle, Triumph zirzensischen Musizierens |
|||||
3-4 |
Arturo
Benedetti Michelangeli |
Jindrich
Rohan |
Yomiuri Symphony Orchestra |
aura |
1965 |
18‘41 |
|
live Tokyo, ▼ |
|||||
3-4 |
György Cziffra |
Pierre Dervaux |
Conservatoire
Orchester Paris |
EMI |
1957 |
18‘58 |
|
Cziffra und Dervaux beschwören das negative Bild des nur auf Effekte
zielenden Komponisten Liszt, zirzensisches Spiel im Vordergrund |
|||||
3-4 |
Boris Berezowsky |
Hugh Wolff |
Philharmonia Orchestra London |
Teldec |
1994 |
16‘50 |
|
technisch mehr
als super, musikalisch jedoch sehr einseitig, die vielen lyrischen
Einsprengsel wirken wie unbeteiligt gespielt, leider steuert der Dirigent
kaum gegen |
|||||
3-4 |
Van
Cliburn |
Eugene
Ormandy |
Philadelphia
Orchester |
RCA |
1968 |
18‘18 |
|
Orchester gefällt
besser als Solist, der ziemlich unbeteiligt spielt, pflichtgemäß |
|||||
|
||||||
___ |
Dinu Lipatti |
Ernest Ansermet |
Orchestre de la Suisse Romande |
EMI |
1947 |
19‘33 |
|
live - sehr starkes
fortwährendes Rauschen überdeckt die Musik, Orchester im Hintergrund, kein
Hörgenuss, eine gerechte Würdigung ist unmöglich, ausschließlich für
eingefleischte Lipatti-Fans |
Hinweise zu
Interpreten und Interpretationen:
Der in Berlin
ausgebildete chilenische Pianist Claudio Arrau wird meist mit Musik von
Beethoven, Schumann und Brahms in Verbindung gebracht. Dass er jedoch auch ein
vorzüglicher Interpret der Klavierkonzerte, der Sonate, der Etüden sowie
weiterer Klavierstücke von Franz Liszt war, wird manchen Hörer vielleicht überraschen.
Ich habe ihn 1968 sowohl als Interpret von Beethoven-Sonaten als auch
Lisztscher Klavierstücke im Konzertsaal erlebt. Auf meinem Programmzettel
notierte ich mir damals: so wie Arrau Liszt spielt, wirkt die Musik
überzeugend. Arrau interessierte sich wenig für die äußeren, reißerischen
Effekte, die es bei Liszt zur Genüge gibt, nicht für die gedonnerten Akkorde
und glitzernden Läufe, sondern mehr für die kompositorischen
Sinn-Zusammenhänge, für die lyrischen Tiefen, für den nachhaltigen Ausdruck und
kam mit dieser Interpretationshaltung auch zu überzeugenden Ergebnissen. Drei
Aufnahmen des Es-Dur-Konzerts liegen mir vor, die älteste stammt aus Berlin und
stand unter Leitung von Hans Rosbaud. Es handelt sich
um eine hervorragende Interpretation (Notturno con anima, Finale furios), die Interpreten sind hellwach dabei,
jedoch kann sich kein Genuss beim Hören einstellen, da viele Orchesterstellen
klanglich zugedeckt sind, das Klangbild ist gepresst,
einige Verzerrungen müssen in Kauf genommen werden. Die 10 Jahre später in
Philadelphia produzierte Aufnahme ist da wesentlich besser, vor allem
klanglich, die schon früher beobachteten Arrau-Tugenden kommen hier gut heraus.
Nach dem Wechsel zum Label Philips Anfang der 1960er Jahre konnte der Pianist
sein Repertoire in noch größerem Umfang nach und nach in die Rillen bannen.
Auch die Liszt-Konzerte wurden, nun unter Leitung von Colin Davis, nochmals
produziert. Vielleicht kam die Aufnahme schon zu spät, hier wird wieder sehr
sauber musiziert, jedoch nicht mehr mit dem Nachdruck früherer Jahre, bereits
die ersten vier Takte klingen müde, der 2.Satz ist bereits zu langsam, das
Finale kommt ohne Eleganz daher. Wer sich die Ormandy-Aufnahme besorgen kann, sollte
da schnellstens zugreifen.
Mit Arturo
Benedetti Michelangeli liegen mir drei Aufnahmen
vor, allesamt Konzertmitschnitte mit verschiedenen Dirigenten. Die älteste
Aufnahme stammt vom Maggio Musicale Fiorentino, ABM
und Mitropoulos musizieren aus einem Guss, das Orchester unterstützt den
Pianisten mit einer genauen musikalisch begründeten Begleitung, es wird
gelassen musiziert, wenn von der Partitur verlangt, auch mit großer Geste.
Negativ zu Buche schlagen die zu lange nachklingenden Triangel-Töne, ein im
Finale nicht immer genau zusammenspielendes Orchester sowie ein
Gedächtnisfehler des Pianisten in den Takten 70-72, der vermutlich wenigen
auffällt. Die akustische Seite ist leider kaum überzeugend ausgefallen: an
lauten Stellen ist das Klangbild leicht verzerrt und der Flügel klirrt in hohen
Lagen.
Die Aufnahme
unter Leitung von Rafael Kubelik wurde in Turin mitgeschnitten, die klanglichen
Verhältnisse der Aufnahme sind hier wesentlich besser. Kubelik bleibt bei der
Gestaltung des Orchesterparts jedoch hinter Mitropoulos zurück. Auch hier
dämpft der Triangel-Spieler sein Instrument kaum ab, die Takte 70-72 klingen
nun wie notiert. Bei allen Aufnahmen Benedetti Michelangelis
gefällt mir besonders, wie er Liszts Musik zum Sprechen bringt. Die Aufnahme
aus Tokyo unter Leitung von Jindrich Rohan sagt mir am wenigsten zu. Die
Orchester-Tutti kommen knallig und wenig differenziert daher, es wird selten
zwischen Haupt- und Nebenstimmen unterschieden, alles klingt recht pauschal.
Auch der Triangel ist viel zu laut und die Beckenschläge (Achtel- und
Viertelnoten) werden selten wie notiert gespielt. Das Überraschendste dieses
Mitschnitts ist ABMs gewandelte Auffassung dieses Konzerts: nicht mehr so
beherrscht wie vorher, was nicht ungenau heißen soll, sondern wir erleben ihn
als Draufgänger, der ein Virtuosenkonzert zum Sieg
führt. Im Nachhinein kann man nur bedauern, dass die EMI, ABMs damalige
Plattenfirma, es versäumt hat, eine Studio-Aufnahme mit dem großen
italienischen Künstler zu machen.
eingestellt am 28.04.11
ergänzt am 15.09.23