Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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Gustav
Mahler
Das
Lied von der Erde
Symphonie
für eine Alt- und eine Tenorstimme und großes Orchester
1.
Das
Trinklied vom Jammer der Erde
2.
Der Einsame
im Herbst
3.
Von der
Jugend
4.
Von der
Schönheit
5.
Der Trunkene
im Frühling
6.
Der Abschied
Das „Lied von der Erde“ entstand im
Anschluss an seine 8. Sinfonie Es-Dur im Jahre 1908 im Südtiroler Kurort
Toblach, wo sich Mahler in diesen Jahren mit Familie während des Sommerurlaubs
zurückzog, jedoch weniger „urlaubte“ als die Zeit zur Komposition eines neuen
Werkes zu nutzen. Für Mahler war es eine Zeit privater Schicksalsschläge: Der
Tod seiner ältesten Tochter, die erzwungene Demission vom Posten des Wiener
Hofoperndirektors, sowie die Diagnose einer lebensbedrohenden Herzkrankheit.
Die Textvorlagen, die seiner neuen Komposition zugrunde liegen, entstammen
einer Gedichtsammlung von Hans Bethge, „Die chinesische Flöte“ genannt, die
dieser wiederum aus chinesischen Gedichten aus der Tang-Zeit entnahm, die im 19. Jahrhundert
ins Französische und Anfang des 20. Jahrhunderts weiter ins Deutsche
übersetzt wurden. Man könnte also von Texten aus dritter Hand sprechen, die
Mahler an einigen Stellen zusätzlich bearbeitete. „Das Lied von der Erde“ wurde
im folgenden Jahr vollendet, aber erst 1911 durch Bruno Walter in München zur
Uraufführung gebracht.
Über das formale Konzept des Werkes und
seiner 6 Sätze ist viel und kontrovers geschrieben worden. Mahler selbst gab
den Hinweis mit seiner Bezeichnung „Symphonie für Tenor, Alt und großes
Orchester“, dass es in die Reihe seiner bisherigen Sinfonien einzureihen sei.
Viele Musikologen durchleuchteten die Partitur, kamen aber zu keiner
eindeutigen Zuordnung. Handelt es sich um einen Orchester-Lieder-Zyklus oder um
eine Symphonie, wie der Untertitel andeutet. Die Fachleute wiesen bestimmte
Abschnitte der Musik der Sonatenform zu, vor allem im Kopfsatz und dem
ausgedehnten Finale, das die Hälfte der kompletten Sinfonie ausmacht. Die
folgende 9. Sinfonie D-Dur steht in ihrer Struktur einer Sinfonie mit
Sonatenform eindeutig näher, auch wenn man berücksichtigt, dass diese in der
Romantik und Spätromantik individuell weiterentwickelt oder ausgeweitet wurde.
Der Mahler-Forscher Jens Malte Fischer äußert sich folgendermaßen: „Ein
Geheimnis der ungewöhnlichen Wirkung des Werkes liegt in der Coincidentia oppositorum, der Vereinigung des eigentlich Unvereinbaren,
Lied und Symphonie.“ Für ihn ist es der Schlusssatz, der „gewissermaßen
mit einem Ruck das Ganze auf das Niveau der großen Symphonietradition [reißt] …
Dieser Schlusssatz … stellt sich den größten seiner Adagios an die Seite,
übertrifft sie noch durch die Erzielung der gleichen Wirkung mit sehr viel
sparsameren Mitteln“ (J. M. Fischer: Gustav Mahler, Wien 2003, S. 695).
Wenden wir uns noch den SängerInnen zu.
An den Tenorsolisten werden höchste Ansprüche in Bezug auf Stimm- und
Gestaltungskraft gestellt. Vor allem die exponierten Töne in der Höhe stellen
eine ständige Herausforderung an seine Stimmbänder dar. Leider sind dem viele
der in meiner Übersicht aufgeführten Sänger nicht immer oder kaum gewachsen.
Vor diesem Hintergrund ist die niedrige Einordnung mancher gelobten Aufnahme zu
verstehen. Die Alt- (oder) Mezzosopranstimme – Mahler
hat auch stattdessen einen Bariton „erlaubt“ – ist für die Lieder mit überwiegend
lyrischem Charakter zuständig, Stellen mit extremer Höhe sind eher selten.
Leider ist durchaus Unzulängliches zu beobachten, ich denke an die vielen
Vokalverfärbungen, die die Textverständlichkeit herabsetzen (z. B. Kathleen Ferrier). In die gleiche Richtung geht ein fast ständiger
Einsatz des Vibratos, das mir manche Aufnahme verleidet.
Mahlers Orchester spielt in großer
Besetzung auf, mit dreifachem Holz und zusätzlichem Englischhorn,
Bassklarinette und Kontrafagott. Bei den Blechbläsern bleibt Mahler bei dem
Einsatz der aus der Romantik überlieferten Anzahl von 4 Hörnern, 3 Trompeten, 3
Posaunen und Basstuba. Das Schlagwerk ist mit
Glockenspiel, Celesta, Triangel, Becken, Tamtam, Tamburin, Pauken und großer
Trommel reichhaltig besetzt. Diese Instrumente werden allerdings höchst sparsam
eingesetzt. Eine herausragende Rolle jedoch spielen 2 Harfen, die dem
jeweiligen Satz eine charakteristische Stimmung und Färbung verleihen. Trotz
der großen Anzahl der Instrumente wirkt die Musik an den meisten Stellen nicht
überladen, da alle nur an wenigen Stellen zum Einsatz kommen. Viele
Abschnitte begegnen dem Hörer mit kammermusikalischer Zartheit, besonders im
„Abschied“.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass die
Stimmung im letzten Satz der 9. Sinfonie von einem Doppelschlagmotiv geprägt
wird, das bereits an zwei Stellen im LvdE anklingt:
1. Satz T. 79-81 sowie T. 134-145 und noch prägnanter im 6. Satz T. 87/88. Es
scheint, dass dieses den Komponisten wohl schon früher beschäftigt hat.
Trotz der genannten Schwierigkeiten ist
das LvdE häufig im Konzertsaal anzutreffen. Die
Diskographie ist im Laufe der Jahre stetig angewachsen und hat inzwischen die
100 überschritten, die meisten als Konzertmitschnitte. Ich habe mich in diesem
Vergleich auf 30 beschränkt.
5 |
Fritz Reiner |
Richard Lewis, T, |
Chicago Symphony Orchestra |
RCA |
1959 |
62‘34 |
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Reiner konnte als junger Student Mahler in der Oper und auf
dem Konzertpodium erleben, das prägte den angehenden Kapellmeister; bekannt
ist die Traditionskette von Mahler zu Walter sowie zu Klemperer, Fritz Reiner
sollte man dabei nicht vergessen; beste Orchesterführung, klares Musizieren,
sehr gute Transparenz; Lewis mit schlanker Stimme, leider kein idiomatisches
Deutsch, Forresters Stimme mit schlankem Vibrato, stellenweise auch etwas
wattiert |
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5 |
Hans Rosbaud |
Ernst Haefliger, T, Grace Hoffman, M |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
Tahra
Andromeda |
1955 |
61‘45 |
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live, Solisten und Rosbaud im
besten Einvernehmen, Dirigent geht den Verästelungen der Partitur nach,
inspiriert, scharfe Farbwechsel, klangvoller Espressivo-Stil, ansteckende
Spielfreude; Haefliger zeigt engagiertes Singen, stößt aber in der Höhe an
seine Grenzen, Hoffman mit guter Textverständlichkeit, engagiert und
ausdrucksstark – Orchester in Lied 5 stellenweise zu laut |
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5 |
Pierre Boulez |
Michael Schade, T, Violeta Urmana,
M |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1999 |
60‘19 |
||||
|
Boulez reinigt die Partitur, immer durchsichtig, musikalisches
Geschehen läuft wie ein Uhrwerk ab, ohne Impulse von außen; Schade mit hellem
Tenor, muss sich die Höhe bei exponierten Stellen erkämpfen, insgesamt klar,
gute Textverständlichkeit, Urmanas Vibrato hält
sich in Grenzen, auch hier gute Textverständlichkeit |
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Eduard van Beinum |
Ernst Haefliger, T, Nan Marriman,
M |
Concertgebouworchester Amsterdam |
Philips
Decca |
1956 |
60‘07 |
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|
van Beinum sorgt für einen
offenen Klang, geht auf die unterschiedlichen Stimmungen der Partitur ein,
gute Präsenz und Transparenz, Haefliger mit noch unverbrauchter Stimme, Marriman mit großem Stimmumfang und Ausdruckskraft,
Vibrato an einigen Stellen grenzwertig |
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Otto Klemperer |
Fritz
Wunderlich, T, |
Philharmonia and New Philharmonia
Orchestra London |
EMI |
1964/66 |
63‘59 |
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|
▼ |
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4-5 |
Bruno Walter |
Charles Kullman, T, |
Wiener
Philharmoniker |
EMI Dutton |
1936 |
57‘22 |
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|
live, ▼ |
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4-5 |
Bruno Walter |
Julius Patzak, T, Kathleen Ferrier,
A |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1952 |
60‘16 |
||||
|
▼ |
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4-5 |
Bruno Walter |
Ernst Haefliger, T, |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
63‘13 |
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|
▼ |
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4-5 |
Carl Schuricht |
Carl Martin Öhmann, T, Kerstin Thorberg,
M |
Concertgebouworchester Amsterdam |
Rundfunkmitschnitt |
1939 |
62‘19 |
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live, ▼ |
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4-5 |
Rafael Kubelik |
Waldemar Kmentt, T, Janet
Baker, A |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
BR Mitschnitt audite |
1970 |
62‘03 |
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live, Ergänzung zum DGG-Zyklus der Sinfonien,
engagiertes Musizieren, Kmentt muss sich die Höhe
abringen oder wechselt in die Kopfstimme, Baker mit ausgeglichener heller
Stimme, gute Textverständlichkeit, auch dann noch, wenn sie Vibrato einsetzt,
eine der besten in dieser Rolle |
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Carlos Kleiber |
Waldemar Kmentt, T, Christa Ludwig, M |
Wiener
Symphoniker |
Eigenlabel des
Orchesters |
1967 |
58‘07 |
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live, m. W. die
einzige Mahler-Aufnahme des Dirigenten, Kleiber gestaltet die Musik,
stellenweise hochdramatisch, Kmentt mit etwas mehr
Einsatz und besserer Höhe als bei Kubelik, Ludwig mit hohem Engagement,
leider Dauer-Vibrato und Tonverfärbungen, herabgesetzte Textverständlichkeit |
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4-5 |
Paul Kletzki |
Set Svanholm, T, Oralia Dominguez, A |
Wiener Symphoniker |
Orfeo |
1954 |
58‘16 |
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live, Aufnahme mit den überzeugendsten Solisten: Svanholm mit ziemlich sicherer Höhe, weniger
angestrengtes Singen, in Lied 1 bei T. 171 singt er bei „Rei- von „Reiche“
ein ges statt das verlangte es und
hebt so die erste Silbe hervor, in Lied 5 einige Lautverfärbungen; Dominguez
helle Stimme kommt klarer aus den Lautsprechern, jedoch auch bei ihr einige
Lautverfärbungen, im letzten Lied Singen in gelöstem Tonfall; Orchester in
Lied 4 stellenweise burschikos, bei Kletzki ist das
LvdE in besten Händen |
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4-5 |
Colin Davis |
Jon Vickers, T, Jessey Norman,
M |
London Symphony Orchestra |
Philips |
1981 |
69‘15 |
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Colin Davis geht mit Umsicht ans Werk, an Vickers Stimme
muss sich der Hörer erst gewöhnen, kein idiomatisches Deutsch, mit klanglicher
Wucht, kämpferisch, spontan, Lied 3 sehr schnell; Norman lässt sich in allen
Liedern mehr Zeit als andere Sängerinnen, ausgenommen bei Lied 4 Ziff. 14
„Das Roß …“, Lied 6: eindringliche E, sowohl
Orchester als auch Norman mit großer Intensität, spannungsvoller
Instrumentalabschnitt T. 288-373 |
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4-5 |
Michael Gielen |
Siegfried Jerusalem, T, Cornelia Kallisch,
M |
SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden und Freiburg |
hänssler |
1992/Jerusalem-2001/Kallisch |
63‘26 |
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Gielen pflegt ein überwiegend schlankes und
ausgeglichenes Musizieren, weniger Auftrumpfen, geschmeidiger Vortrag, ohne
alles umarmender Weltschmerz; Jerusalem setzt seine Heldentenorstimme
behutsam ein, nicht immer höhensicher, Kallisch
verzichtet auf emotionsgeladenen Vortrag, in Lied 4 bei der bewegten Stelle
nach Ziff. 14 nicht immer deutlich |
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4-5 |
Carlo Maria Giulini |
Francisco Araiza, T, Brigitte Fassbaender,
M |
Wiener Philharmoniker |
Orfeo |
1987 |
64‘10 |
|
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live, ▼ |
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4-5 |
Carlo Maria Giulini |
Francisco Araiza, T, Brigitte Fassbaender,
M |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1984 |
64‘10 |
|
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|
▼ |
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4-5 |
Gary Bertini |
Ben Heppner, T, Marjana Lipovsek,
M |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
EMI |
1991 |
61‘47 |
|
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live, Heppner mit großer strapazierfähiger Stimme,
heller Klang, gute Textverständlichkeit, einer der besten hier versammelten
Tenöre; Lipovsek mit ausladender Stimme, viel
Druck, nicht immer mit bester Textverständlichkeit, ausdrucksvoller Gesang
nach Ziff. 48 in Lied 6 bis zum Satzende – Bertini achtet auf einen hellen
Orchesterklang mit guter Transparenz |
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4-5 |
Leonard Bernstein |
René Kollo, T, Christa Ludwig, M |
Israel Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1972 |
63‘32 |
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live, Kollo ein Gewinn als Tenorsolist, mit schlanker Stimme
und guter Höhe; Ludwig mit viel Vibrato, besonders in Lied 4, manchmal
gekünstelter Gesang, je lauter, desto unverständlicher der Vortrag; am besten
gelingt der „Abschied“, der eine große Ruhe ausstrahlt; das ist auch das
Verdienst von Bernstein, der mit einem detailreichen und einfühlsamen
Orchesterspiel viel zum Erfolg dieser Aufnahme beiträgt |
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Bernard Haitink |
James King, T,
Janet Baker, M |
Concertgebouworchester Amsterdam |
Philips |
1975 |
65‘03 |
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Haitink zählt nicht zu den Interpreten mit ständig
zugespitztem Musizieren, gibt dem Orchester Zeit zum Atmen, Orchester und
Sänger in guter Balance, Kings Stimme mit dunklem Timbre, immer wieder
Drücker, klingt etwas angestrengt, Bakers helle Stimme nicht überanstrengt,
unter den Mezzos eine der überzeugendsten, gute
Textverständlichkeit |
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4 |
Otto Klemperer |
Anton Dermota, T, Elsa Cavelti, A |
Wiener Symphoniker |
Vox Intercord Tuxedo |
1951 |
52‘26 |
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▼ |
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4 |
Kurt Sanderling |
Peter Schreier, T, |
Berliner Sinfonie-Orchester |
Eterna
Berlin Classics |
1983 |
61‘52 |
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wie bei den meisten Aufnahmen kann man auch hier ein Gefälle
zwischen den beiden Solisten ausmachen. Peter Schreiers helle und schlanke
Stimme passt zwar gut zu Mahlers Musik, in der Höhe klingt sie jedoch
angestrengt und in der Diktion hier und da affektiert. Birgit Finnilä überzeugt mit ihren eindringlichen Vorträgen.
Beim LvdE spürt man Sanderlings Mahler-Erfahrung. |
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4 |
Herbert von Karajan |
René Kollo, T, Christa Ludwig, M |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1973 |
65‘58 |
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Karajan mit glänzendem Mahler-Blech,
vermeidet aufgesetzte Expressivität, gute Transparenz, jedoch auch einige
Spannungseinbrüche – Kollo als Heldentenor, Probleme mit der Höhe, die vielen
a‘‘ müssen erkämpft werden, Ludwig mit zunehmendem Vibrato,
flackernder Stimme, kehliges Singen, Stimmverfärbungen – Aufnahme ein Jahr
später als Bernstein mit denselben Solisten, musste es wieder Ludwig sein? |
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4 |
Jascha Horenstein |
John Mitchinson, T, Alfreda
Hodgson, A |
BBC Northern Orchestra |
Descant |
1972 |
69‘04 |
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überwiegend langsamere Tempi als üblich, Mitchinsons Stimme etwas eingedunkelt, schwer und
teilweise auch etwas heldisch, Hodgson nicht immer wünschenswert klar und
deutlich, oft (zu) viel Vibrato, herabgesetzte Textverständlichkeit, VI
lastend, schleppend, viel Vibrato, Orchester deckt Hodgson zu – Klangbild ein
wenig entfernt |
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4 |
Eugen Jochum |
Ernst Haefliger, T, Nan Marriman,
M |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
DGG |
1963 |
58‘06 |
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Haefliger engagiert, jedoch mit angestrengter Höhe, Lied
3 zu schnell, „Das Roß …. Nüstern“
herabgesetzte Textverständlichkeit, nur die große Linie; Marriman
mit Hingabe, breite Ausdrucksskala; Jochum pflegt eher ein sachliches
Musizieren, die Flatterzunge der Flöten in T. 285-289 kommt nicht heraus |
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4 |
Georg Solti |
Thomas Moser, T, Marjana Lipovsek,
M |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
1992 |
62‘39 |
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live, Solti mit viel Glut am Pult, hebt in VI bei
„Silberbarke“ die Klarinetten vorteilhaft heraus; Moser muss sich die hohen
Töne erkämpfen; Lipovsek im Vergleich mit hellerer
und leichter geführter Stimme, jedoch auch mit Vibrato, besonders in tiefer
Lage, dann herabgesetzte Textverständlichkeit, VI Orchester deckt T. 213-218
die Sängerin zu |
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3-4 |
Eugene Ormandy |
Richard Lewis,
T, Lili Chookasian, M |
Philadelphia Orchestra |
CBS Sony |
1966 |
58‘21 |
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Im Gegensatz zu fast allen mir bekannten Aufnahmen
scheint Ormandy seinem Orchester den wichtigsten Part in dieser Produktion
zuzuteilen, das mit üppiger Klangpracht aufwartet (in IV T. 70 ff. wildes,
fast rasendes Orchester). Die beiden Solisten haben hier das Nachsehen. Lewis
mit etwas besserer Aussprache als bei Reiner, sein Gesang ist jedoch
zerstückelt, man vermisst die Bögen. Bei Chookasians
Singen stört das Dauervibrato (s. Ludwig), das für
eine geminderte Textverständlichkeit verantwortlich ist. Leider werden die
Sänger hier und da vom Orchester überdeckt. |
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3-4 |
Yannick Nézet-Séguin |
Toby Spence, T,
Sarah Connoly, M |
London Philharmonic Orchestra |
LPO live |
2011 |
63‘38 |
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live, Spence muss sich die Höhe erkämpfen, Stimme wenig
variabel, viele Stellen könnten mehr p vertragen, Connolys
Dauervibrato schränkt die Textverständlichkeit
deutlich ein, Lied 4 Ziff. 14-16 zu gehetzt, Text? Lied 6 Spannung nicht
immer top; Nézet-Séguin bei lauten Tuttiabschnitten
etwas grob |
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Interpretationen mit Bariton (statt Alt), Tenor und Orchester |
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5 |
Simon Rattle |
Peter Seiffert, T, |
City of Birmingham Symphony
Orchestra |
EMI |
1995 |
63‘13 |
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Rattle mit hoher Affinität zu Mahlers „Lied“,
Stimmführungen deutlich nachgezeichnet, gute Transparenz, bestes Miteinander
zu den Sängern, gute dynamische Gestaltung; Seiffert ohne heldentenoralen
Einschlag, trifft aber die Stimmung, meistens lockerer Vortrag, Hampson mit
ziemlich natürlichem Vortrag ohne Übertreibungen, entspannt – insgesamt
klangschöne Aufnahme |
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4-5 |
Paul Kletzki |
Murray Dickie, T, Dietrich Fischer-Dieskau, B |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1959 |
61‘07 |
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Kletzki mit hoher Affinität zu Mahlers
Musik; Dickie mit angenehmer Stimme, weniger angestrengt, mehr entspannt;
Fischer-Dieskaus erste seiner drei Bariton-Aufnahmen, kaum Forcieren und sich
nach vorn schieben, kaum Manierismen |
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4 |
Josef Krips |
Fritz Wunderlich, T, Dietrich Fischer-Dieskau, B |
Wiener Symphoniker |
DGG |
1964 |
62‘47 |
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live, Wunderlich mit viel Druck, stellenweise auch etwas
rau, Fischer-Dieskau oft zu laut, zu gewollt im Ausdruck, z. B. in Lied 6 bei
„Ich sehne mich…“ |
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4 |
Kent Nagano |
Klaus Florian Vogt, T, Christian Gerhaher, B |
Orchestre Symphonique
de Montréal |
Sony |
2009 |
61‘17 |
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teilweise live, Nagano mit Feingefühl, moderater Zugriff,
oft zurückhaltend, geringere Spannung, Orchester und Solisten oft
nebeneinander als miteinander; Vogt zurückhaltend, schlanke Stimme, teilweise
etwas steif und künstlich; Gerhaher mit hohem Bariton, leider immer wieder
Vibrato, in Lied 4 bei Ziff. 14 schnell und wenig deutlich, insgesamt jedoch
gepflegter Vortrag |
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3-4 |
Jonathan Nott |
Roberto Saccà, T, Stephen Gadd, B |
Bamberger Symphoniker |
Tudor |
2016 |
61‘11 |
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Nott sorgt für ein farbiges Klangbild mit
sehr guter Transparenz, die Dynamik reicht bis zum geforderten ppp, gutes Tempogefühl, stellenweise fast eine
kammermusikalische Darbietung; bei den Solisten sieht es leider anders aus,
hier sind deutliche Abstriche festzustellen: Saccà
mit viel Vibrato, kein idiomatisches Deutsch, nicht immer textverständlich,
hohe Töne gestemmt, immer wieder Drücker, man wünschte sich mehr Bögen; Gadd mit etwas besserer Textverständlichkeit, gemahnt an
heldentenorale Stimme, weniger Vibrato wäre angemessener - schade |
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3-4 |
Leonard Bernstein |
James King, T, Dietrich Fischer-Dieskau, B |
Wiener Philharmoniker |
Decca DGG |
1966 |
66‘40 |
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Bernstein mit eigenwilliger Auslegung, stellenweise
etwas grob, scharf und äußerlich, immer wieder Rubati,
die Männerstimmen ähneln sich an einigen Stellen in ihrem Timbre, King
stellenweise etwas steif, Fischer-Dieskau pointiert, teilweise sentimental,
in Lied 6 ziemlich trocken, wenig Spannung |
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Transkription für Kammerorchester von A. Schönberg und R.
Riehn
|
Philippe Herreweghe |
Hans Peter
Blochwitz, T, Birgit Remmert, A |
Ensemble Musique Oblique |
HMF |
1993 |
62‘34 |
|
ohne Wertung |
Hinweise zu Interpreten und
Interpretationen
Bruno Walter
Außer Otto Klemperer gab es niemanden,
der Gustav Mahler sehr nahegestanden hat. Bereits mit 18 Jahren wurde er
Assistent Mahlers an der Hamburger Oper. Nach weiteren Stationen an
verschiedenen Opernhäusern traf er erneut mit dem Komponisten zusammen, als er
1901 als Kapellmeister an der Wiener Hofoper verpflichtet wurde, deren Chef zu
dieser Zeit Mahler war. Nach Mahlers frühem Tode 1911 besorgte Walter die
Uraufführung der bedeutenden Spätwerke „Das Lied von der Erde“ 1911 in München
und der 9. Sinfonie ein Jahr später in Wien. Walters spätere
Schallplattenaufzeichnungen dieser Werke muss man als authentisch ansehen. Im
Jahre 1936 dirigierte er in Wien „Das Lied von der Erde“, das von der
englischen Columbia live mitgeschnitten und recht bald auf Schellackplatten
veröffentlicht wurde. Solisten waren der amerikanische Tenor Charles Kullman sowie die schwedische Mezzosopranistin Kerstin Thorberg. Walter hat hier eine beeindruckende
Interpretation hinterlassen, gleichzeitig auch die schnellste der bis jetzt bekannten.
Nur unter Mühe gelingt es K. Thorberg im 4. Lied den
Text klar und deutlich zu formulieren. Charles Kullmans
Stimme trifft die deutsche Aussprache nicht immer ganz idiomatisch, das fällt
besonders bei e-Lauten auf, die dann wie ä klingen. Insgesamt hat die
Klangregie die Solisten etwas zurückgesetzt.
Nach dem 2. Weltkrieg kehrte der
Dirigent mehrmals zu Konzerten nach Wien zurück. 1952 nahm die englische Decca
mit Walter und den Philharmonikern „Das Lied von der Erde“ im Studio auf.
Solisten waren jetzt der Wiener Tenor Julius Patzak sowie die englische
Altistin Kathleen Ferrier. Walter bietet eine klare
Diktion des Werkes, die Tempi sind nur ein wenig langsamer als früher. Patzak
kann sein Wiener Idiom nicht ganz verbergen, was mich hier jedoch nicht stört.
Nicht anfreunden kann ich mich jedoch mit Ferriers
kehliger Stimme und der damit einhergehender Minderung der
Textverständlichkeit, besonders bei kurzen Notenwerten. Dirigent und Sängerin
standen in jenen Jahren in einer innigen künstlerischen Verbundenheit, die auch
vom Publikum und der4 Fachpresse gewürdigt wurde. Ein eindrucksvolles Singen,
trotz vieler Vokalverfärbungen, kann man ihr nicht absprechen. Der Klang der
Decca-LP ist der früheren Aufnahme deutlich überlegen.
Eine dritte Aufnahme entstand 8 Jahre
später, jetzt in Stereo, mit dem New York Philharmonic Orchestra. Das Orchester
klingt in dieser Aufnahme heller als die WP, auch die Stimmführungen sind
deutlicher zu vernehmen. Der 84-jährige Walter schlägt nun etwas langsamere
Tempi an, sie werden von aktuellen Einspielungen jedoch noch übertroffen.
Mildred Millers Mezzo klingt heller und bietet eine gute Textverständlichkeit.
Das gleiche gilt auch für den schweizerischen Tenor Ernst Haefliger, der bei
der hohen Lage des Tenorparts oft in die Kopfstimme wechseln muss.
Otto Klemperer
Otto Klemperers Londoner
Studio-Produktion des „Lied von der Erde“ gilt seit Erscheinen der LP bis heute
bei vielen Musikfreunden als das Nonplusultra der Interpretation dieses Werkes.
Sie klingt wie aus einem Guss, obwohl die Aufnahmesituation Mitte der 1960er
Jahre nicht das beste verhieß: Im Februar 1964 wurden einige Partien mit
Christa Ludwig produziert, im November desselben Jahres die Tenorlieder mit
Fitz Wunderlich. Danach löste der Produzent Walter Legge das Philharmonia Orchestra auf und entließ die Musikerinnen und
Musiker, ohne dass die letzten Stücke „im Kasten“ waren. Dazu kam es erst im
Juli 1966, als das New Philharmonia Orchestra London
ins Leben gerufen wurde. Jetzt konnte die LP auf dem Plattenmarkt erscheinen.
Klemperer gelingt es einen plastischen Klang mit dem alten und seinem
Nachfolge-Orchester zu formen, glasklar, ohne dass die grellen Partien zu kurz
kommen. Wunderlich singt sehr deutlich, wortverständlich, vorwiegend locker
und, am besten, mit der erforderlichen Höhe. Ch.
Ludwig, damals bei der EMI eine der Top-Künstlerinnen, kann jedoch mit ihrer
gaumigen und verschatteten Stimme nicht mithalten. Eine Anteilnahme an den
vertonten Texten kann man ihr nicht absprechen, jedoch ihre herabgesetzte
Textverständlichkeit stellt sich gegen ihre künstlerischen Absichten. Das
letzte Lied gelingt ihr zusammen mit Klemperer mit langem Atem und sehr
ausdrucksvoll. Das reicht jedoch nicht für einen Platz auf der obersten Stufe
meiner Bewertungsskala.
Nach seiner Rückkehr aus dem
amerikanischen Exil trat Klemperer oft in Wien auf und nahm für das
amerikanische Billiglabel Vox einige Schallplatten auf, die jedoch nicht in
Mitteleuropa vertrieben wurden und nicht als Konkurrenz zu den hier
eingespielten Kompositionen unter Leitung der etablierten Maestri
(Furtwängler, Karajan, Jochum, Böhm, van Beinum …)
wahrgenommen wurden, für Klemperer ein Ärgernis! Beim „Lied von der Erde“ wurde
Klemperer vom Tenor Anton Dermota, der Altistin Elsa
Cavelti sowie den Wiener Symphonikern begleitet. Dermotas
Stimme ähnelt der von Wunderlich, verfügt jedoch nicht über dessen Metall und
ist in der Höhe nicht so locker. Cavelti singt klarer als Christa Ludwig, mit
weniger Vibrato, ihre Textverständlichkeit gelingt auch nicht immer nach
Wunsch, am besten vielleicht im letzten Lied, das man hier in einem viel bewegteren Tempo hört wie kaum in einer anderen Aufnahme.
Das Klangbild der Platte ist belegt und mit vielen dumpfen
Hintergrundgeräuschen „verziert“.
Carl Schuricht
In seiner Anfangszeit als
Generalmusikdirektor von Wiesbaden setzte sich Schuricht
für das Schaffen von Gustav Mahler ein. Mit der Machtergreifung der
Nationalsozialisten nahm dies jedoch sein abruptes Ende. Schuricht
blieb aber in Deutschland bis 1944, dirigierte auch im benachbarten Ausland, so
im neutralen Holland, wo er bereits 1931 Konzerte mit dem Residenz Orchester
Den Haag sowie dem Concertgebouw Orchester Amsterdam gab. Auch in den folgenden
Jahren war er dort ein gerngesehener Gastdirigent, so z. B. am 05. Oktober
1939. Auf dem Programm stand nach einer Mozart-Sinfonie Mahlers „Lied von der
Erde“. Die Solisten waren der schwedische Tenor Carl Martin Öhmann sowie die
schwedische Altistin Kerstin Thorberg, die bereits
drei Jahre zuvor den Part in Wien bei Bruno Walter gesungen hatte. Von diesem
Konzert aus Amsterdam ist ein Rundfunkmitschnitt erhalten geblieben, der später
auch den Weg zur LP/CD fand. Im letzten der 6 Lieder findet sich etwa in der
Satzmitte ein längeres Zwischenspiel des Orchesters. Kurz bevor die Sängerin
wieder einsetzt, kommt es zu einem Zwischenfall. Der Mahler-Forscher und
Publizist Jens Malte Fischer äußert sich in einem Beitrag der Neuen Zürcher
Zeitung so: Der Mitschnitt dieses von Carl Schuricht
geleiteten Konzerts ist nun durch einen speziellen aussermusikalischen
Akzent geprägt worden. Gegen Ende des Werks, am Schluss des «Abschieds», gibt
es ein Orchesterzwischenspiel von grösster
Intensität, bevor die Altistin mit «Er stieg vom Pferd» wieder einsetzt. In
diesem Moment, in dem sich bei Takt 368 (zeitlich gesehen bei 19'30 in diesem
sechsten Abschnitt) das Orchester auf ein Pianissimo reduziert, ertönt aus dem
Zuschauerraum, deutlich hörbar auch für uns heute, der Einwurf einer
Frauenstimme mit holländischem Akzent: «Deutschland über alles, Herr Schuricht». Danach hört man eine leichte Unruhe im
Konzertsaal und den Ansatz eines zaghaften Pfiffes. (Quelle: Jens Malte
Fischer in NNZ vom 30.08.2014) Die „Ruferin“ verließ den Saal und das Konzert
wurde ohne weitere Störung bis zum Ende fortgesetzt.
Abgesehen von diesem Zwischenfall, der
sicher als deutliche Kritik an Schuricht gemeint war,
zähle ich diese Interpretation zu den besten auf dem Markt. Der Mahler-Kundige Schuricht hat das Orchester fest im Griff und führt es
sicher durch die schwierige Partitur. Einen großen Anteil tragen auch die
Altistin Thorberg mit einer Geschmeidigkeit in der
Linienführung sowie der leichten Höhe und ihr Landsmann Öhmann mit seiner
leicht ins Heldische gehender Tenorstimme. Leider ist die Aufnahme damals auf
Acetatplatten gespeichert worden, die für ein permanentes Grundrumpeln und
Knacken verantwortlich gemacht werden müssen. Das ist nichts für HiFi-Freaks.
Carlo Maria Giulini
Es wird kaum bestritten, dass der
italienische Maestro einen der vorderen Plätze im Ranking der besten Dirigenten
des „Liedes von der Erde“ einnimmt. Es gelingt ihm immer wieder den üppigen
Mahler-Klang aufzufächern, für eine hinreichende Transparenz zu sorgen. Sein
Musizieren ist immer eindringlich und kann betroffen machen. Wenn der Leser ihn
jetzt nicht an der Spitze findet, sollte man nicht vergessen die anderen
Mitwirkenden einzubeziehen, die entscheidend zum Gesamtbild einer Einspielung
beitragen, also die Sänger. In den beiden hier genannten Interpretationen sind
es der Tenor Francisco Araiza sowie die Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender in beiden zur Diskussion gestellten Aufnahmen.
Während der Tenor mit seiner hellen Stimme als Gewinn zu verbuchen ist, mit
deutlichem Vortrag, guter Textverständlichkeit und nicht gequetschter Höhe,
sehe ich Frau Fassbaenders Vortrag kritisch. An vielen Stellen stören mich ihr
starkes Vibrato sowie Tonverfärbungen beim Verständnis des Textes. Das klingt
dann doch zu gekünstelt, leider.
Die DGG-Aufnahme entstand unmittelbar
nach Konzerten in der Berliner Philharmonie, die von Orfeo ist ein Mitschnitt
von den Salzburger Festspielen drei Jahre später.
eingestellt am 27.02.24
ergänzt am 20.12.24