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Paul
Hindemith
Sinfonie
„Mathis der Maler“
Engelkonzert
– Grablegung – Versuchung des heiligen Antonius
Paul Hindemith, in seiner Jugendzeit in
den 1920er Jahren wegen seiner atonalen und bizarren Kompositionen als
Bürgerchreck verschrien, schrieb seine Sinfonie „Mathis der Maler“ auf
Bestellung von Wilhelm Furtwängler für das Berliner Philharmonische Orchester.
Die Uraufführung 1934 in Berlin war ein großer Erfolg, auch für den von den
Nazis angegriffenen Komponisten, was diese jedoch nicht davon abhielt, sein
Schaffen weiterhin zu diffamieren und ein Aufführungsboykott zu verhängen, dass
den Komponisten in die Emigration trieb.
Die Sinfonie ist eng verzahnt mit der gleichnamigen
Oper, die zur Zeit der Bauernkriege im 16. Jahrhundert spielt und mit der sich
Hindemith schon länger beschäftigte, die aber erst 1938 ihre Uraufführung in
Zürich erlebte. Die drei Sätze der Sinfonie weisen auf Altarbilder des
Isenheimer Altars von Matthias Grünewald hin und sollten als Kernstücke der
Oper erkannt werden. Der erste Satz „Engelkonzert“ ist das Vorspiel, die Musik
der „Grablegung“ erklingt in der Oper in der Sterbeszene der Tochter des
Bauernführers Schwab. Der dritte Satz „Versuchung des heiligen Antonius“
schildert eine Szene mit Mathis’ Visionen aus dem sechsten Bild der Oper.
Giselher Schubert schreibt im Booklet
der 3-CD-Box der DGG Hindemith conducts Hindemith, dass der
Komponist die Auffassung vertrat, „[der Interpret habe] nur die Aufgabe, eine
Komposition ohne störende individualistische Beimischung darzubieten.“ Hinter diesem Statement verbirgt sich ein
Eintreten für eine neue Sachlichkeit, sowohl in Kompositionen als auch in Interpretationen,
nach der spätromantischen Phase überschwänglicher Gefühlsbetonung. Hindemith
war nicht immer zufrieden mit den Interpretationen einiger seiner Werke, die er
gehört hatte, und war froh, als ihm die DGG anbot, mit den Berliner
Philharmonikern eine Auswahl eigener Kompositionen selbst einzuspielen, um zu
zeigen, wie seine Musik gemeint sei. Es war allerdings nicht die erste Aufnahme
der Sinfonie mit dem Komponisten am Pult der Berliner Philharmoniker: bereits
1934 erfolgte eine Einspielung von Telefunken auf Schellackplatten, die nach
dem Krieg auch auf LP vertrieben wurde.
Nach meinen Recherchen begann sich nach
Hindemiths DGG-Produktion das Interesse der Plattenfirmen an der Sinfonie zu
steigern und es erschienen in jährlicher Folge diese Aufnahmen:
Dieses Tempo ebbte in den folgenden
Jahren allerdings merklich ab. Bis heute ist die Diskographie der Sinfonie
überschaubar geblieben. Das Werk lädt kaum dazu ein, einen persönlichen Stil zu
präsentieren, der sich von anderen Interpreten abhebt. Die unten vorgestellten
Aufnahmen stehen jedoch alle auf hohem Niveau, einige schaffen es neben
Hindemiths eigener Aufnahme zu bestehen.
Hier noch einen Blick auf die einzelnen
Sätze:
Satz 1: Hindemith orientiert sich an das klassische Muster des Sonatensatzes,
mit langsamer Einleitung, Exposition mit 3 Themen, Durchführung und Reprise,
die allerdings kurz ausfällt. In der Einleitung wird dreimal hintereinander
(mit Crescendo) der Gesang „Es sungen drei Engel ein süßen Gesang“
dargeboten (Posaunen, Hörner, Trompeten). Am Ende der Durchführung kehrt er
dann drei nach Ziff. 17 triumphierend zurück. Die Durchführung ist als Fuge
gearbeitet, mit einem eigenen Fugenthema. Dazu gesellt sich das 1. Thema und
das Engel-Thema bei Ziff. 16.
Der 2. Satz beginnt getragen, gespielt
von den Streichern. Aufhorchen lässt der Eintritt der Solo-Flöte, danach der
Oboe, geheimnisvoll, wie aus einer anderen Welt, wenn die Musiker einen guten
Tag haben. Wichtig ist, dass der vorgegebene Rhythmus eisern durchgehalten wird.
Wie zuvor im Kopfsatz steht zu Beginn
des Finales eine langsame Einleitung – man kennt so etwas bereits von Haydn.
Hindemith schreibt über diesen Satz in lateinischer Sprache: „Ubi eras bone
Jesu / ubi eras, quare non affuisti / ut sanares vulnera mea?“ („Wo warst du,
guter Jesus, wo warst du? Warum bist du nicht dagewesen, um meine Wunden zu
heilen?“) Die Musik folgt im rezitativen Stil diesen Worten: ausdrucksvoll,
dringlich, aber auch anklagend. Der Hauptteil ist nun mehrteilig, zunächst sehr
lebhaft, in dem das Thema unisono von den Streichern sowie Fagott
intoniert wird und mit einer gehetzt wirkenden Bläserbegleitung versehen ist.
Dieser Teil kulminiert in einem mehrfach zitierten Motiv, dem in der Oper die
Worte „Wir plagen dich“ unterlegt sind (Ziff. 10). Ein langanhaltender Triller
der 1. Geigen auf c‘‘‘‘ leitet zu einem ruhigen Abschnitt über, der sich
im Ausdruck jedoch langsam steigert und zum vorläufigen Höhepunkt bei größter
Kraftentfaltung der Musik führt. Ein 7-taktiges Thema, zunächst in den 2.
Geigen, nun in Celli und Bässen, dann in den Klarinetten – alles lebhaft
umspielt von den restlichen Streichern – setzt sich bis fast zum Satzende fort.
Dazu gesellt sich der bei Ziff. 31 einsetzende Choral in den Holzbläsern „Lauda
Sion Salvatorem“ („Herr Zion der Erlöser“). Ein „Halleluja“ im Blech (mit aller
Kraft!) beschließt den Satz.
5 |
Pierre Monteux |
Sinfonie-Orchester des Dänischen Rundfunks |
EMI |
1962 |
25‘37 |
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live – wache Aufmerksamkeit, ein starkes Plädoyer für
den Komponisten Hindemith und seine „Mathis-Sinfonie“, I bewegt, teilweise
tänzerisch, III ab Ziff. 21 zugespitzt, Stretta |
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5 |
Paavo Järvi |
hr-Sinfonieorchester Frankfurt |
naïve |
2010/12 |
27‘54 |
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live – überaus deutliches Musizieren; nur Hindemith, fast
kein Järvi; farbiges Klangbild mit sehr guter Balance und Transparenz |
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5 |
Paul Hindemith |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1955 |
27‘38 |
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der Komponist am Pult, I deutliche Stimmführungen,
Espressivo, III trotz schnellem Tempo Musik mit Nachdruck formuliert, mit
viel Drive – Klang an einigen Tutti-Stellen etwas kompakt |
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5 |
Herbert Blomstedt |
San Francisco Symphony Orchestra |
Decca |
1987 |
26‘49 |
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I Stimmführungen offengelegt, überwiegend frisch musiziert,
II in Bögen musiziert, Spannung, III die innere Unruhe vieler Stellen gut
getroffen; deutliches, aber unaufdringliches Musizieren – Blomstedts
Sympathie für diese Musik bleibt nicht verborgen, sehr gute Balance und
Transparenz |
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5 |
Claudio Abbado |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1995 |
27‘01 |
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live – Abbados Interpretation hat in den beiden ersten Sätzen
etwas Zerbrechliches, in III dreht der Dirigent auf – sehr breites
Klangspektrum, p-Bereich gut differenziert |
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5 |
William Steinberg |
Pittsburgh Symphony Orchestra |
Capitol EMI |
1956 |
26‘40 |
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I und III entschlossenes Musizieren, musikantisch, immer
den Blick nach vorn gerichtet, II streng im Zeitmaß – gute Balance und
Transparenz |
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5 |
William Steinberg |
Boston Symphony Orchestra |
DGG |
1971 |
25‘53 |
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Steinberg lässt nun noch etwas schneller musizieren,
Interpretation ähnlich wie zuvor, sehr gute Differenzierung, auch im
dynamischen Bereich (p),
breite Klangpalette |
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5 |
Constantin Silvestri |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1958 |
28‘10 |
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I bewegter HT nach sehr ruhiger E, II eindringlich, III ähnlich
wie Satz I – Hindemiths Dynamik weitgehend übernommen, offener Klang,
überragende Interpretation |
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4-5 |
Eugene Ormandy |
Philadelphia Orchestra |
CBS Sony |
1962 |
26‘47 |
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deutliches, präzises Musizieren, klar, II die langsame
Musik um Ziff. 14/15 bewegter als gewöhnlich – Demonstration höchster
Orchesterkultur, warmes Klangbild |
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4-5 |
Herbert Kegel |
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig |
Eterna Berlin
Classics |
1980 |
27‘17 |
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Kapellmeister Kegel erweist sich hier als guter Anwalt der
Partitur: deutliches Musizieren, transparent, rhythmisch genau, sparsamer
Umgang mit dem Espressivo, Sinn für Proportionen |
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4-5 |
Jascha Horenstein |
London Symphony Orchestra |
Chandos |
1972 |
29‘00 |
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I bewegtes Musizieren, Horenstein sorgt für ein farbiges
Klangbild, II rhythmisch genau, III Tremolo der 1. Vl. um Ziff.14 zu leise,
etwas zurückhaltendes Tempo |
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4-5 |
Sergiu Celibidache |
Schwedisches Radio-Sinfonie-Orchester |
DGG |
1970 |
27‘17 |
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live, ▼ |
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4-5 |
Sergiu Celibidache |
SDR Sinfonie-Orchester Stuttgart |
Rundfunk-Aufnahme |
1971 |
27‘32 |
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live,
▼, Festkonzert zum 25-jährigen Bestehens des
Orchesters |
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4-5 |
Michael Gielen |
SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden |
SWF-Aufnahme, unveröffentlicht |
1967 |
26‘41 |
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der Partitur auf der Spur, I immer deutliches
Musizieren, wird besonders im Fugenteil evident, II eindringlich –
Rundfunk-Klangbild der späten 1963-Jahre |
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4-5 |
Wolfgang Sawallisch |
Philadelphia Orchestra |
EMI |
1994 |
26‘53 |
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I E vom HT gut voneinander abgesetzt, etwas kompakte
Tutti-Stellen, II Sawallisch bleibt etwas distanziert, schneller als in der
Partitur vorgesehen, III Ziff. 31 ff. Horn als Kontrapunkt zu weich, auch
hier eher geschlossener Klang |
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4-5 |
Esa-Pekka Salonen |
Los Angeles Philharmonic Orchestra |
Sony |
2000 |
30‘58 |
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I sachliches Musizieren, alles sehr korrekt, Salonen
führt die Musik vor, als Hörer verspüre ich jedoch kein Miterleben; der
Dirigent steigert sich jedoch von Satz zu Satz und hinterlässt in III einen
sehr guten Eindruck, hier darf die Große Trommel wie sonst in keiner anderen
Aufnahme markant auftreten, ohne den Gesamtklang zu stören – sehr guter Klang |
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4-5 |
Paul Kletzki |
Orchestre
de la Suisse Romande |
Decca |
P 1969 |
26‘13 |
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I E einige Noten verkürzt, Empathie für die Musik
spürbar, II mehr bewegt als die Partitur verlangt, III überzeugend –
plastisches Klangbild |
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4 |
Leonard Bernstein |
Israel Philharmonic Orchestra |
DGG |
1990 |
28‘04 |
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live – Bernstein lässt große Empathie für „Mathis der
Maler“ spüren, jedoch übertreibt er vor allem bei der dynamischen Gestaltung,
aus einem f wird schnell ein ff, aus einem ff ein fff,
so klingt die Musik an manchen Stellen zu aufgeplustert und plakativ,
vordergründig; verschwiegen sei jedoch nicht, dass der Maestro jedoch auch
ganz zart aufspielen lässt, z. B. in Satz II |
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4 |
Eugen Jochum |
Concertgebouworchester Amsterdam |
APL |
1979 |
26‘05 |
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live – Jochums Sympathie für diese Partitur kommt durch
das weniger präsente Klangbild nicht richtig zum Tragen, an lauten
Tutti-Stellen (III) etwas kompakt, dabei Streicher benachteiligt, II zwischen
Ziff. 1 und 2 Rhythmus nicht stabil |
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4 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1957 |
27‘09 |
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I 1. Th. etwas lustlos, auch beim 3. vermisse ich den
drängenden Impuls, deutliches Triangel-Tremolo am Ende, III A-Teil könnte
lockerer gespielt sein, Ziff. 8-10 klanglich komprimierter als zuvor, am
besten klingen die leisen Stellen, festliches Finale – insgesamt etwas
kompakter Klang |
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In den Jahren 1970 und 1971 setzte
Celibidache Hindemiths „Mathis-Sinfonie“ auf seine Konzertprogramme in
Stockholm und Stuttgart. Die Mitschnitte lassen auf Sympathie für diese
Partitur schließen. Man ist Zeuge eines organischen Musizierens, die einzelnen
Abschnitte der jeweiligen Sätze werden aufeinander bezogen. Immer wieder trifft
man auf spannungsvolle Momente. Seine Tempi bleiben im üblichen Rahmen. Beim
Stockholmer Mitschnitt versucht der Dirigent, wie bereits von anderen Aufnahmen
bekannt, sein Orchester mittels akustischer Signale zu Höchstleistungen
anzutreiben, in Stuttgart unterbleiben sie gänzlich. Dieses Konzert wurde nur auf einer Doppel-LP
zusammen mit Bruckners 7. Sinfonie veröffentlicht. Klanglich tritt sie leider
hinter der DGG-Produktion zurück.