Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Violinkonzert e-Moll op. 64
Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll, übrigens sein zweiter Beitrag zu diesem Genre, wird oft zusammen mit den Konzerten von Beethoven und Brahms in einem Atemzug genannt und damit diesen Gipfelwerken zur Seite gestellt. Im Mendelssohn-Konzert lassen sich – im Kopfsatz – zwar auch Exposition, Durchführung und Reprise, 1. und 2. Thema ausmachen, aber wir müssen einen gravierenden Unterschied zu den erstgenannten feststellen: das Konzert gehört im Wesentlichen ganz dem Solisten, dem Orchester sind nur wenige kürzere Abschnitte zugeteilt, wo es allein spielen darf. Sonst ist es Begleiter und Diener des Geigers. Dem Orchesterleiter bleiben weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Vielleicht aus diesem Grunde mach(t)en viele namhafte Dirigenten einen Bogen um das e-Moll-Konzert, z. B. Klemperer, Kleiber, Solti, Dohnanyi, Maazel, Muti. Der Hauptreiz für Solist und Publikum ist die blühende und glühende Melodik sowie die abwechslungsreiche Gestaltung von Mendelssohns musikalischen Einfällen. Sie sichern dem Werk einen bleibenden Platz im Repertoire.
Der 1. Satz (ohne die bisher übliche Orchester-Exposition) ist mit „Allegro molto appassionato“ überschrieben. Ist diese Anweisung gleich zu Beginn beim Einsetzen der Solo-Violine zu hören? Leider selten, überzeugend führt sie Jascha Heifetz in allen seinen Einspielungen vor, gewiss auch eine Folge des raschen Tempos, das Heifetz anschlägt. Im Gegensatz zu diesem spielt Gil Shaham den Anfang so langsam, als sei es erst die Einleitung zum nun Folgenden. Mendelssohn möchte auch, dass der Solist zunächst leise beginnt. Menuhin-Furtw.,-Frühbeck, Gitlis und Capuçon ignorieren den Hinweis des Komponisten, beginnen gleich mf und spielen sich auf Kosten der Atmosphäre, die diesen Takten innewohnt, in den Vordergrund. Isaac Stern-Ormandy spannt in den ersten Takten einen großen Bogen, unter dem das Hauptthema in seiner ganzen Schönheit erstrahlen kann, auch Nathan Milstein. Uto Ughi und Leila Josefowicz dagegen stören durch unruhige Phrasierung den Fluss der Musik. Das ruhige 2. Thema (Partiturbuchstabe E bzw. L, T. 133 ff bzw. 377 ff) wird in allen untersuchten Einspielungen mehr oder weniger langsam dargeboten, Mendelssohn notiert lediglich tranquillo = ruhig, Ausnahmen: Menuhin, Enescu, Spalding, Gitlis. Georg Kulenkampff führt vor, wie man fast ohne ritardando das 2. Thema intensiv gestalten kann. Die meisten Interpreten bremsen das Tempo ab T. 121 ab, Perlman, Vengerov und Lin sehr stark, Heifetz, Spalding, Milstein, Kulenkampff, Francescatti, Szeryng, Haendel und Gitlis nur geringfügig. Bei Shlomo Mintz und Viviane Hagner beginnt der „Bremsweg“ bereits bei Buchstabe D = T. 113. Kein Geiger möchte es sich entgehen lassen, das süßliche 2. Thema ausdrucksvoll vorzuführen, einige jedoch tun des Guten zu viel und lassen die Musik am Ende (T. 162-168) stillstehen (de Vito-Furtw., Shaham, Mutter-HvK, Kennedy, Hagner, Jansen und Josefowicz). Ab T. 168 stürmt die Musik wieder los, hier beginnt die Durchführung, die mit der von Mendelssohn ausgeschriebenen Kadenz endet. Auf eine Stelle in der Durchführung möchte ich noch hinweisen (T. 223-226): nach den fünf zwei- bzw. eintaktigen Akkorden, gegen die sich die Solo-Violine mit dem Hauptthema stellt, weist Mendelssohn dieser eine viertaktige schwärmerische Melodie in tiefer Lage zu, deren Ausdruckspotential meist nicht wahrgenommen wird, Ausnahme: Perlman, bei Haitink noch mehr als bei Barenboim, der aus den vier Takten ein kleines Kabinettsstück macht. Auch Menuhin (-Furtw., -Davis, -Frühbeck de B.), Kennedy, Midori, Mintz, Lin, Znaider und Josefowicz kosten diese Stelle aus. Janine Janson scheint das Ausdruckspotential dieser acht Noten nicht entdeckt zu haben.
Der 2. Satz – Andante – schließt sich pausenlos an den ersten an. Der Solist sollte nicht zu sehr in den Vordergrund rücken, Mendelssohn hat die Geige genau in das Klanggeflecht eingebunden, das dann seine Balance verliert. Nach 8 Takten Einleitung, bei Furtwängler fühlt man sich an Bruckner erinnert, beginnt die Solo-Geige mit einem Gesangsthema, das während des ganzen Abschnitts (bis T. 50) fortgesponnen wird, während überwiegend nur die Streicher begleiten. Hörner und Trompeten leiten in T. 51 den 2. Abschnitt ein. Er soll leise beginnen und nach vier Takten f erreichen. Bei lautem Beginn kann die Musik in einen Mendelssohn keineswegs gemäßen Hollywood-Sound umschlagen, z.B. bei Hope, Stern-Kubelik, Spalding, Sitkovetzkyund Schmid. Nigel Kennedy setzt im gesamten Abschnitt zu viel Bogendruck sowie übermäßig viel Vibrato ein, die Musik schmachtet sentimental dahin, ähnlich erleben wir es bei Josefowicz und Lin.
Nach einer kurzen Reminiszenz an den 1. Satz schließt sich der Schlusssatz an - Allegro molto vivace. Er wird von einem Thema beherrscht – vollständig allein von der Solo-Violine vorgetragen, das an die bewegten Abschnitte aus der Musik zu „Ein Sommernachtstraum“ erinnert. Für den Solisten ist es geigerisch die größte Herausforderung in diesem Konzert, hier kann er endlich sein virtuoses Potential herausstellen.
Hier nun die Aufnahmen:
Szigeti |
Beecham |
London
Philharmonic Orchestra |
EMI/Columbia |
1933 |
26‘53 |
5 |
Solist
und Dirigent im Einvernehmen, alles sehr seriös, zeitbedingte Portamenti, II
gesungen, strahlt Ruhe aus |
Milstein |
Walter |
New
York Philharmonic Orchestra |
CBS |
1945 |
24‘00 |
5 |
|
Milstein |
Steinberg |
Pittsburgh
Symphony Orchestra |
EMI |
1953 |
25'43 |
5 |
|
Stern |
Malko |
Königlich
Dänisches Sinfonie-Orchester |
Danacord |
1951 |
26‘24 |
5 |
live |
Stern |
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
Sony |
1958 |
27‘18 |
5 |
|
Kreisler |
Blech |
Preußische
Staatskapelle Berlin |
EMI |
1924 |
25'48 |
5 |
schwärmerischer
Geigenton, II klingt wie Musik aus den glücklichsten Zeiten des Lebens,
dunkle Schatten treten zurück, wunderbarer Dialog T. 52ff, III völlig
unbeschwert – Orchester agiert im Hintergrund |
Kreisler |
Ronald |
London
Philharmonic Orchestra |
EMI |
1935 |
26‘03 |
5 |
sonorer
Geigenton, I gewichtiges Orchester, jedoch nicht langsamer, II Tempo etwas
schneller, nicht die schönen Melodien auskostend sondern etwas
klassischer=moderner, III lässt sich etwas mehr Zeit, klassisch gezügelt |
Oistrach,
David |
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
CBS Naxos |
1955 |
27‘12 |
5 |
|
Heifetz |
Beecham |
Royal
Philharmonic Orchestra |
RCA |
1949 |
24‘00 |
5 |
|
Mullova |
Gardiner |
Orchestre Revolutionaire et Romantique |
Philips |
2001 |
25‘29 |
5 |
live
– aufmerksames Miteinander, wenig Vibrato, II zügig, jedoch intensiv
gestaltet, III eher gelassen, keinesfalls Virtuosität herausstellend |
Perlman |
Haitink |
Concertgebouw Orchester
Amsterdam |
EMI |
1983 |
27‘36 |
5 |
schlanker
Geigenton, alles blitzsauber, aber nicht langweilig, Haitink aufmerksamer
Begleiter, gut abgestufte Dynamik |
|
|||||||
Milstein |
Barzin |
Philharmonia Orchestra |
EMI |
1960 |
25‘26 |
4-5 |
|
Milstein |
Szell |
Berliner
Philharmoniker |
Orfeo |
1957 |
25‘15 |
4-5 |
live |
Milstein |
Abbado |
Wiener
Philharmoniker |
DGG |
1972 |
25‘39 |
4-5 |
|
Milstein |
Markevitch |
Schweizerisches Festspielorchester |
Archipel |
1953 |
26'27 |
4-5 |
live |
Oistrach,
David |
Kondraschin |
Staatliches
Sinfonie-Orchester der UdSSR |
Brilliant |
1949 |
27‘39 |
4-5 |
|
Mullova |
Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
Philips |
1990 |
27‘04 |
4-5 |
gute
Balance zwischen Solistin und Orchester, Mendelssohns dynamische Vorgaben
befolgt, II Andante, III nicht als Reißer |
Heifetz |
Toscanini |
NBC
Symphony Orchestra |
Naxos |
1944 |
23‘16 |
4-5 |
|
Heifetz |
Cantelli |
NBC
Symphony Orchestra |
Claque
Notes Archipel |
1954 |
23‘57 |
4-5 |
live |
Haendel |
Müller-Kray |
SDR-Sinfonie-Orchester
Stuttgart |
hänssler |
1953 |
26'02 |
4-5 |
gute
Aufnahme, Müller-Kray ein aufmerksamer Begleiter,
der gut zu differenzieren weiß, II stimmungsvoll, III mit Temperament |
Widmann,
Carolin |
|
Chamber Orchestra of Europe |
ECM |
2016 |
26'57 |
4-5 |
I
flink und poetisch, aber an diesen Stellen immer mit zurückgenommenem Tempo,
II wie eine Gesangsszene, Pizzicati die Bässe zu
gleichförmig, III nicht als Reißer – gute Balance, Zusammenspiel mit
Orchester hervorragend, sparsamer Umgang mit Vibrato |
Mutter |
Masur |
Gewandhausorchester
Leipzig |
DGG |
2008 |
25‘50 |
4-5 |
|
Mintz |
Abbado |
Chicago
Symphony Orchestra |
DGG |
1980 |
28‘59 |
4-5 |
Solist
und Orchester im Einklang, Tempo könnte in den Ecksätzen etwas schneller sein |
Campoli |
Beinum |
London
Philharmonic Orchestra |
Decca Dutton |
1949 |
27‘25 |
4-5 |
gute
Orchesterleistung, jedoch klanglich zurück gesetzt, II intensiv, III
unaufgeregt, dem Ideal sehr nahe |
Campoli |
Boult |
London
Philharmonic Orchestra |
Decca |
P 1959 |
26‘10 |
4-5 |
in
der Anlage wie 1949, klanglich jedoch besser, II nicht mehr ganz so zwingend |
Stern |
Kubelik |
Concertgebouw Orchester
Amsterdam |
RNM |
1951 |
26‘17 |
4-5 |
live |
Stern |
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
Sony |
1950 |
26‘13 |
4-5 |
|
Andrei
Korsakov |
Vladimir
Fedosseijew |
Großes Orchester des Rundfunks und
Fernsehens der UdSSR |
Vista
Vera |
1983 |
24‘33 |
4-5 |
live – Solist und Dirigent haben eine klare
Vorstellung vom Werk, Solist leider immer klanglich vorn, hat ein gutes
Gespür für diese Musik, immer locker, nichts wird forciert, Tempo steht
bereits mit dem ersten Takt, dezente Rubati – I
Bläser T. 189 ff. fast nicht da |
Martzy |
Kletzki |
Philharmonia Orchestra London |
EMI Testament |
1955 |
27‘05 |
4-5 |
aufmerksames
Miteinander auf sehr hohem Niveau ausgenommen im 2.Satz |
Kavakos |
|
Camerata Salzburg |
Sony |
2008 |
27'53 |
4-5 |
I
kein molto appassionato zu Beginn, Crescendo T. 290 bis zur Kadenz zu zahm, II
aufmerksames Fagott, III A. Molto! Sehr lebendig, ein Feuerwerk – Camerata begleitet aufmerksam |
Bell |
Norrington |
Camerata Salzburg |
Sony |
2001 |
27‘33 |
4-5 |
Streicher
ohne Vibrato, I eigene Kadenz, II etwas distanziert, Mendelssohns dynamische
Angaben umgesetzt, III Holzbläser im fabelhaften Dialog mit Bell, entspanntes
Musizieren |
Bell |
Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
Decca |
1986 |
28‘54 |
4-5 |
Neuaufnahme
– I schlackenloses Geigenspiel, leicht und locker, sehr gute Differenzierung,
mit Feingefühl, viel Espressivo, Academy hier groß besetzt, übliche Tempoänderungen,
Kadenz von Mendelssohn, II spannender als 2001; III spritzig, Orchester an
Solo-Stellen etwas zurückgesetzt – insgesamt etwas geglättet, poliert, mehr
als bei Norrington, übliche Verzögerungen |
Chang,
Sarah |
Jansons |
Berliner
Philharmoniker |
EMI |
1997 |
27‘43 |
4-5 |
live
– I kein großer Geigenton, Mendelssohn auf der Spur, II schön gesungen, III
entspannt |
Hahn |
Wolff |
Oslo
Philharmonic Orchestra |
Sony |
2001 |
26‘04 |
4-5 |
live
– schlackenlos gegeigt, I persönliche Note? II sehr schön |
Tretjakow |
Fedossejew |
Großes Sinfonie-Orchester der UdSSR |
Brilliant |
1984 |
27‘28 |
4-5 |
live
– I Beginn schön ausgeformt, Solo-Violine etwas im Vordergrund, Tongebung
könnte etwas schlanker sein, bringt viel Mendelssohn rüber, II Balance besser,
III gute Lautstärkedifferenzierung |
Ferras |
Silvestri |
Philharmonia Orchestra |
EMI |
1957 |
27‘46 |
4-5 |
ohne
Mätzchen, gradlinig, II Höhepunkt |
Elman |
Golschman |
Orchester
der Wiener Volksoper |
Vanguard |
1955 |
28‘19 |
4-5 |
I
Orchester straff geführt, jedoch nicht zackig, abwechslungsreicher Geigenton,
lebendig, zupackend, II viel Atmosphäre, III gelöst, Sommernachtstraum |
Menuhin |
Enescu |
Orchestre des Concerts Colonne Paris |
EMI |
1936 |
25‘40 |
4-5 |
|
Grumiaux |
Krenz |
New
Philharmonia Orchestra |
Philips |
1972 |
26‘41 |
4-5 |
|
Vengerov |
Masur |
Gewandhausorchester
Leipzig |
Teldec |
1993 |
27‘22 |
4-5 |
I
perfekt geigender Solist im Vordergrund, II u.III Balance hier besser, gute
dynamische Differenzierung |
Szeryng |
Dorati |
London
Symphony Orchestra |
Mercury |
1964 |
26‘31 |
4-5 |
stimmige
Interpretation, stellenweise zu viel Stahlsaiten, II Solist intensiv, Dorati
etwas pauschal, ausgenommen Anfang |
Ferschtman |
Bakels |
Het Gelders Orkest |
Challenge |
2015 |
26‘43 |
4-5 |
I
mit Hingabe, konzentriert, sensibel, männlich, herzhafter Zugriff an
Tutti-Stellen, gute Zusammenarbeit, übliche Tempoänderungen, II einige wenige
Drücker, jedoch sensibler Umgang mit dem Notentext, III Klangrede vor Beginn |
Zimmermann |
Albrecht |
Radio
Sinfonie-Orchester Berlin |
EMI |
1985 |
29‘37 |
4-5 |
I
kein molto, Solist und Orchester gut miteinander, II sehr schöner 2.Teil –
sowohl der 2. als auch der 3.Satz könnten etwas schneller sein, III gelungene
Legato-Läufe |
Kagan |
Masur |
Gewandhausorchester
Leipzig |
Live
Classics |
1983 |
29‘59 |
4-5 |
live
– Kagan und Masur im Dienste von Mendelssohn, II
weniger intensiv als I und III |
Hudecek |
Smetacek |
Radio-Sinfonie-Orchester
Prag |
Panton Supraphon |
1974 |
25'35 |
4-5 |
I
schlanker Geigenton, entschieden eingesetzt, Orchester an Begleitstellen oft
zu leise, II breit, beinahe schon ein Adagio, T. 51 zu laut begonnen, aufmerksames
Orchester, III klingt insgesamt sehr spontan – gute Tempi |
Chung |
Dutoit |
Orchestre Symphonique de Montreal |
Decca |
1981 |
25‘31 |
4-5 |
I
recht zügig, männlich, mit Kraft, unverzärtelt, II
Solistin etwas zu viel Vibrato, III lebendig |
Sitkovetzky, Dimitry |
Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
hännsler |
1995 |
27‘47 |
4-5 |
lebendiges
Miteinander, II Sitkovetzky: lange Noten nicht
ausgesungen, etwas glatt |
|
|||||||
Haendel |
Sargent |
National
Symphony Orchestra |
Decca Dutton |
1945 |
27‘53 |
4 |
erstaunlich
guter Klang, Geigenton nicht ganz so leuchtend wie Martzys,
gutes Zusammenspiel |
Martzy |
Schmidt-Isserstedt |
Sinfonie-Orchester
des NDR |
Tahra |
1954 |
27‘22 |
4 |
live
– II etwas unruhig in der Tongebung und im Zusammenspiel, II sehr lebendig,
Orchester hat Mühe mitzuhalten, live- Atmosphäre, kleine Fehler |
Francescatti |
Szell |
Members
of the Cleveland
Orchestra |
CBS |
1961 |
24'11 |
4 |
|
Francescatti |
Mitropoulos |
New
York Philharmonic Orchestra |
Sony |
1954 |
25‘09 |
4 |
|
Midori |
Jansons |
Berliner
Philharmoniker |
Sony |
2003 |
27‘40 |
4 |
live
– I Tempowechselbäder, Orchester im Tutti etwas kompakt, keine große Linie, eher
Einzelabschnitte, III Orchester etwas grob |
Chen |
Harding |
Schwedisches
Radio-Sinfonie-Orchester |
Sony |
2011 |
27'37 |
4 |
I
Chen schon bei T. 265 langsamer, dort jedoch weniger Atmospähre,
maßvolle Kadenz, nicht auftrumpfend, Orchester könnte im Finalpresto
etwas hervortreten, Iiruhig und ausdrucksvoll, III
könnte etwas spritziger sein – Harding aufmerksamer Begleiter |
Znaider |
Mehta |
Israel
Philharmonic Orchestra |
RCA |
2005 |
27‘15 |
4 |
live
– schlanker Geigenton, dynamisch gut abgestuft, wenig eigene Aussage, III
besser, gutes Miteinander von Solist und Orchester |
Menuhin |
Furtwängler |
Berliner
Philharmoniker |
EMI |
1952 |
26‘40 |
4 |
|
Grumiaux |
Haitink |
Concertgebouw Orchester |
Philips |
1960 |
25‘50 |
4 |
|
Grumiaux |
Moralt |
Wiener
Symphoniker |
Philips |
1954 |
26‘18 |
4 |
|
Heifetz |
Münch |
Boston
Symphony Orchestra |
RCA |
1959 |
23‘37 |
4 |
|
Suk |
Ancerl |
Tschechische
Philharmonie Prag |
Supraphon |
1964 |
26‘24 |
4 |
in
der Auffassung überzeugend, jedoch nicht so geschliffen wie bei
Spitzenaufnahmen, II weniger Spannung |
Oistrach,
Igor |
Konwitschny |
Gewandhausorchester
Leipzig |
Berlin
Classics |
1956 |
25‘40 |
4 |
I
überstürzte Triolen des Solisten T.25-39, insgesamt nicht so geschliffen wie
bei Spitzenaufnahmen |
Capuçon |
Harding |
Mahler
Chamber Orchestra |
Virgin |
2003 |
27‘03 |
4 |
I
flink durchs Konzert, schlanker Ton, auch das Orchester hat kein bisschen Fett
angesetzt, II wirkt irgendwie blutleer, distanziert, steril, III am besten
gelungen, Sommernachtstraum – alles sehr klar und durchsichtig |
Zukerman |
Bernstein |
New
York Philharmonic Orchestra |
Sony |
1969 |
28‘42 |
4 |
I
gute dynamische Differenzierung, schön gegeigt, lässt sich Zeit, II Geigenton
zu mächtig, zu viel Druck, Spätromantik, zelebriert, III große Geste,
dynamisch weniger gut differenziert, Mendelssohn? |
Zukerman |
Giulini |
Kölner
Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
hänssler |
1979 |
29'03 |
4 |
live,
die Kehrseite der Medaille – I zu Beginn schwerfällig, wird aber schneller,
Z. beim 2. Thema mit zu viel Bogendruck, viele Rubati, herbstliche Farben, II Adagio, inspiriert,
facettenreich - in allen Sätzen
(zu) gewichtiges Orchesterspiel, Giulini ein guter Partner, transparentes Klangbild |
de
Vito |
Furtwängler |
RAI
Orchester Turin |
Urania |
1952 |
29‘35 |
4 |
|
de
Vito |
Sargent |
London
Symphony Orchestra |
EMI Idis |
1951 |
28‘41 |
4 |
|
Hagner |
Schneidt |
Radio
Sinfonie-Orchester Berlin |
Capriccio |
1989 |
28‘13 |
4 |
I
Solo-Violine im Vordergrund, deshalb musikalischer Verlauf nicht immer gut zu
verfolgen, II Solopart gut gesungen, im B-Teil nicht übertrieben |
Spalding |
Ormandy |
Philadelphia
Orchestra |
Victor Strings |
1941 |
25‘42 |
4 |
I
fast keine Tempomodifikationen, frisch, II zu viel Bogendruck, teilweise
rührselig, III beim Spiccato-Spiel leicht kratzig – für die Zeit erstaunlich
frisches Klangbild |
Kulenkampff |
Schmidt-Isserstedt |
Berliner
Philharmoniker |
Telefunken
Dutton |
1935 |
27‘03 |
4 |
Orchester,
außer bei Tuttis, zurückgenommen, I Solist männlich, unverzärtelt,
II breiter Strich, etwas flattrig, besonders in der tiefen Lage – Aufnahme von
Musik eines jüdischen Komponisten 1935 in Berlin !!! |
Schneiderhan |
Fricsay |
Radio
Sinfonie-Orchester Berlin |
DGG |
1956 |
27‘20 |
4 |
|
Schneiderhan |
Schmidt-Isserstedt |
Sinfonie-Orchester
des NDR |
unveröffentlicht |
1960 |
27‘56 |
4 |
live |
Rabin |
Boult |
Philharmonia Orchestra |
EMI |
1957 |
28‘29 |
4 |
Rabin
der Techniker, I nicht besonders romantisch, I weniger Allegro, II Rabin
eindeutig im Vordergrund, gelungener Dialog im 2.Teil, III Satz hat wenig
Spannung, da zu sehr auf den Solisten konzentriert |
Ricci |
Gamba |
London
Symphony Orchestra |
Decca |
1957 |
26‘42 |
4 |
I
Solist etwas vorgezogen, souveräner Ricci, ohne aus dem Konzert eine Virtuosennummer zu machen, Gamba
begleitet zuverlässig, mehr aber nicht, übliche Tempoänderungen, II viel
Spannung in Abschnitt 2, die Bläser wünschte man sich farbiger, III etwas akademisch, ohne
Mendelssohn-Feuer – Ricci/Gamba rangiert am Anfang
dieser Skala, Ricci/Celibidache am Ende |
Ricci |
Celibidache |
Sinfonie-Orchester
des NdR |
Tahra |
1951 |
29‘17 |
4 |
live
– I 2.Thema mit Inbrunst, nicht alle Passagen geschliffen, II etwas flattrige
Tongebung, aufmerksame Orchesterbegleitung, III alla marcia,
zu langsam, deshalb nur geringe Spannung |
Lin |
Tilson Thomas |
Philharmonia Orchestra |
CBS |
1982 |
28‘30 |
4 |
perfekte
Aufnahme ohne besondere eigene Note, II Solist zu viel Vibrato, zu viel
Zucker |
Jansen |
Chailly |
Gewandhausorchester
Leipzig |
Decca |
2005 |
26‘42 |
4 |
live
– I Solo: mehr kleine Abschnitte als große Bögen, Fluss der Musik gebremst,
etwas unruhig, II zart, III T. 107-116 Geige zu sehr zurück |
Laredo |
|
Scottish Chamber Orchestra |
IMP |
P 1986 |
27‘52 |
4 |
ohne
Dirigent, Orchester in die Rolle des Begleiters gedrängt |
Menuhin |
Kurtz |
Philharmonia Orchestra |
EMI |
1958 |
26‘32 |
4 |
|
|
|||||||
Mutter |
Karajan |
Berliner
Philharmoniker |
DGG |
1980 |
30‘27 |
3-4 |
|
Taschner |
Lehmann |
Bamberger
Symphoniker |
EMI |
1953 |
26‘12 |
3-4 |
I
Geige vorgezogen, etwas unruhig, nicht immer perfekt, Taschner fast das
Konzert als Virtuosenstück auf, II saugender
Geigenton, Portamenti, Orchester nur Begleitung, III mehr Mendelssohn als in
den anderen Sätzen, Stahlsaiten |
Stern |
Bernstein |
Israel
Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1967 |
28‘02 |
3-4 |
live |
Francescatti |
Previtali |
RAI
Orchester Turin |
Tahra |
1953 |
27'56 |
3-4 |
live |
Rachlin |
Norrington |
SWR
Sinfonie-Orchester Stuttgart |
unveröffentlicht |
|
27‘28 |
3-4 |
Solist
mit, Orchester ohne Vibrato!?, I Rachlin setzt
eigene Schwerpunkte in der Kadenz, II Solo-Vl. mit
üppigem Vibrato, III Stahlsaiten, die Elfen tanzen nur pflichtgemäß |
Kennedy |
Tate |
English
Chamber Orchestra |
EMI |
1987 |
28‘56 |
3-4 |
I
Tempowechselbäder, II aufmerksame Orchesterbegleitung, III am besten gelungen
|
Schmid |
Raiskin |
Rheinische
Philharmonie Koblenz |
Oehms |
2008 |
27'01 |
3-4 |
I
Geigenstimme hört man T. 105-112 fast nirgends so deutlich, immer wieder
Tempowechsel, Zeichen von Spontanietät?, II
Orchester T. 52 zu laut, könnte lockerer und Leichter sein, III wenig
Abwechslung in Schmids Tongebung, ohne Mendelssohnsche
Leichtigkeit – Tutti-Klang etwas klobig |
Ughi |
Prêtre |
London
Symphony Orchestra |
RCA |
1981 |
26‘38 |
3-4 |
I
2.Thema Geigenton zu viel Druck, klingt etwas gequetscht, II Orchester nur
Begleitung, III großzügige dynamische Differenzierung – mehr Virtuosenkonzert als Mendelssohn |
Perlman |
Barenboim |
Chicago
Symphony Orchestra |
Erato |
1993 |
26‘21 |
3-4 |
I
Orchester meldet sich erst ab T.25, Klangbalance zugunsten des Solisten stark
verschoben, Perlman lupenrein, fabelhaft, II Solist mit viel Vibrato, Mittelteil
rührselig |
Shaham |
Sinopoli |
Philharmonia Orchestra |
DGG |
1988 |
30‘13 |
3-4 |
I
Tempowechselbäder, II anfangs schwer lastend, nicht wie eine Blume, die sich
beim Sonnenaufgang öffnet, III überzeugender |
Graffin |
Rousi |
Orchestra
di Padova e del Veneto |
Cobra |
2013 |
26‘24 |
3-4 |
I
schlanke Tongebung, immer wieder werden wenige Töne für einen Augenblick
zurückgenommen, beim Solisten mehr als beim Orchester, das klingt etwas affektiert,
Solist führt, übliche Tempoänderungen, Kadenz vom Solisten, II Tongebungen
hier etwas flackrig, T. 68 schmachtendes Solo, anfangs überdeutliche Pizzicati der Bässe, Präsenz der einzelnen
Orchester-Instrumente nicht immer gegeben, das Klangbild wünschte man sich
etwas farbiger, Presto-Abschnitt T. 473 ff kaum überzeugend |
Menuhin |
Frühbeck
de Burgos |
London
Symphony Orchestra |
EMI |
1971 |
27‘13 |
3-4 |
|
|
|||||||
Gitlis |
Swarowsky |
Wiener
Symphoniker |
Vox |
~ 1955 |
23‘59 |
3 |
I
schnelles Tempo, lyrische Passagen kommen dabei kaum zu ihrem Recht, Virtuosenkonzert, II starkes Dauervibrato
des Solisten nervt!, Orchester im Hintergrund, III
Stahlsaiten, mangelnde dynamische Differenzierung – Mendelssohn? |
Josefowicz |
Dutoit |
Orchestre Symphonique de Montreal |
Philips |
1999 |
29‘38 |
3 |
I
Tempowechselbäder, eher Abschnitte als Zusammenhang, Violine zu viel Vibrato ,aufmerksame
Orchesterbegleitung, III etwas derb, kratzig, das Schwebende, Hüpfende fehlt,
klingt eher nach Tschaikowsky |
Steinbacher |
Dutoit |
Orchestre de la Suisse Romande |
Pentatone |
2014 |
29‘53 |
3 |
I
Solistin etwas steif, klebt an den Noten, viel Bogendruck, mehr Abschnitte als
ein Ganzes, man wünschte sich mehr Leichtigkeit und Lockerheit bei der
Tongebung und beim Spiel, Musik tritt auf der Stelle, übliche
Tempoänderungen, II Vibrato, Pizzicati der Bässe in
Abschnitt 2 mit wenig Spannung, III insgesamt kaum Spannung |
Menuhin |
Davis |
London
Symphony Orchestra |
BBCL |
1964 |
26‘32 |
3 |
|
Erstfassung 1844:
Hope |
Hengelbrock |
Chamber Orchestra of Europe |
DGG |
2007 |
25‘49 |
4-5 |
historisch informierte Interpretation, Portamenti der Solo-Violine, aufgerautes Klangbild |
van Keulen |
Markiz |
Neue Sinfonietta Amsterdam |
BIS |
1998 |
25'35 |
4-5 |
erste Einspielung der Fassung der Uraufführung, lebendige Tempi, Geige zu Beginn unterschiedlich präsent, Finale könnte noch etwas spritziger sein – Markiz ist ein einfühlsamer Begleiter |
Aufnahme mit Instrumenten aus der
Entstehungszeit des Violinkonzerts:
Hudson |
Goodman |
The Hanover Band |
Nimbus |
1988 |
26'59 |
5 |
Konzertmeister als Solist, sehr gutes Zusammenspiel, an lyrischen Stellen schöner, intensiv leuchtender Geigenton, von musikalischer Energie sprühendes Finale |
Anmerkungen zu Interpreten und Interpretationen:
Von
Isaac Stern kenne ich fünf
Aufnahmen, zwei sind unter Leitung von Eugene Ormandy – früher selbst Geiger -
im Studio produziert worden, die anderen wurden beide im Jahr 1951 im
Konzertsaal mitgeschnitten. Die Dirigenten hier waren der russisch-gebürtige
Nikolai Malko sowie Rafael Kubelik. Dazu stößt noch
ein Konzertmitschnitt mit dem Israel Philharmonic
Orchestra unter Leonard Bernstein. Die Aufnahmen decken einen Zeitabschnitt von
siebzehn Jahren ab, in dem sich Sterns Auffassung vom Mendelssohn-Konzert kaum
gewandelt hat. In den Studio-Aufnahmen fällt auf, dass sich während dieser
Jahre nicht nur die Klangtechnik verbessert, sondern sich auch Ormandys Orchester in Bezug auf Tonschönheit
weiterentwickelt hat. Stern geht das Konzert mit kraftvollem Ton an, der jedoch
keineswegs üppig klingt, sondern Sterns Erzählkunst auf seiner Geige
geschmeidig dem Hörer darbietet. Am besten gefallen mir die Ormandy-Aufnahme in
Stereo von 1958 sowie die live-Aufnahme aus Kopenhagen mit Malko.
Der 2. Satz ist jeweils wunderbar ausgesungen, die Orchester begleiten sehr
aufmerksam und im Finale sprühen die Funken. Im Vergleich Stern –
Kreisler/Blech klingen Sterns Aufnahmen schon ein wenig bemüht, da nicht so
leicht, locker, elfenhaft im Passagenwerk. Der Mitschnitt mit Bernstein am
Pult, fällt etwas ab. Der Maestro legt ein langsameres Tempo vor, das im
Verlauf des Satzes immer wieder modifiziert wird. Die Orchester-Tutti klingen
aufgeputscht, bei lauten Spitzen auch leicht übersteuert, an eine Plattenveröffentlicht
war damals wahrscheinlich nicht gedacht. Das klingt nicht gerade sensibel.
Sterns Geigenton kann immer noch gefallen, klingt hier jedoch weniger
geschmeidig als in den oben genannten Aufnahmen. Das Andante besitzt hier einen
höheren Grad an Sensibilität.
Nathan Milstein: Von diesem in Odessa geborenen Geiger liegen mir vier Studio-Einspielungen sowie zwei Konzertmitschnitte aus Luzern und Salzburg unter der Leitung von Igor Markevitch bzw. George Szell vor. Seine erste Aufnahme mit Bruno Walter aus dem Jahr 1945 gefällt mir am besten, sie ist im 1. Satz sehr lebendig gespielt, im 2. Satz gestaltet Milstein intensiv und ausdrucksvoll seinen Part und im Finale zielen die Interpreten ein Feuerwerk ab, ohne Mendelssohns Musik zu überfahren. Die folgende Aufnahme betreute William Steinberg, zur vorhergehenden gibt es kaum Unterschiede, abgesehen vom besseren Klang. Der Finalsatz ist immer noch sehr lebendig, jedoch etwas weniger schnell gespielt. Bewunderungswürdig ist bei Milstein, wie er die ersten zehn Takte unter einem großen Bogen zusammenfasst. Auch die beiden anderen Studio-Produktionen können gefallen, der 2.Satz mit Barzin ist ein Juwel, bei Abbado nimmt die verbesserte Klangtechnik für sich ein, was vor allem der Durchhörbarkeit zu Gute kommt. Da hapert es etwas beim Salzburger-Mitschnitt mit Szell und den Berliner Philharmonikern, klanglich ist sie nicht optimal aufgezeichnet, die einzelnen Orchester-Instrumente bzw. Gruppen sind leider nicht differenziert wahrzunehmen, auch hier überzeugt ein gelungener 2.Satz. Etwas besser klingt der noch ältere Mitschnitt von den Luzerner Festwochen, er ist zwar kompakt aber besitzt auch eine gewisse Transparenz. Das Klangbild ist leider wenig farbig. Markevitch nimmt sich etwas mehr Zeit, besonders im 2. Satz.
Mit David Oistrach kenne ich eine Aufnahme aus Philadelphia sowie eine noch ältere russische Aufnahme mit Kondraschin. Am Heiligabend (!) des Jahres 1955 nahm Oistrach mit Ormandy gleich drei (!) Konzerte auf. Außer dem von Mendelssohn noch Bachs E-dur sowie Mozarts D-dur Konzert KV 218. Oistrach macht in dieser Aufnahme klar, dass es sich seiner Meinung nach um ein klassisches, nicht unbedingt ein romantisches Konzert handelt. Beim 2. Thema erlaubt sich Oistrach keine gefühlsbetonten Drücker, die Temporelationen zwischen den einzelnen Abschnitten gefallen, der 3. Satz ist lebendig gestaltet. Bekanntlich spielt der Geiger auch hier mit mehr Bogendruck als andere. Die ältere Moskauer Produktion klingt im 1. Satz gelöster als 1955, lastete damals noch der Druck des USA-Debuts auf ihm? 1949 lässt er das 2. Thema schwärmerisch aufblühen. Das Klangbild ist jedoch entfernter, daran gewöhnt sich das Ohr aber schnell. Den einen oder anderen Hörer wird indes der hervorstechende Klang der Stahlsaiten von Oistrachs Instrument stören. Oistrachs Sohn Igor Oistrach spielt in seiner frühen Aufnahme aus Leipzig alle Sätze schneller als der Vater, im 1. Satz gibt es dabei einige überstürzte Triolen (T. 25 ff), auch der 3. wird sehr schnell genommen. Für mich will sich das Mendelssohn-Idiom bei ihm nicht richtig einstellen.
Mit Zino Francescatti stehen hier drei Aufnahmen zur Diskussion: 1954 spielte der französische Geiger das Konzert mit Dimitri Mitropoulos und dem NYPO ein, es ist ein gut durchschnittliche Aufnahme, der 1. Satz männlich, auftrumpfend dargeboten, der letzte mit Schwung, jedoch nicht sonderlich differenziert. Francescatti arbeitet mit viel Bogendruck. In der Stereozeit stand George Szell am Pult, der viele Details öffnet, für einen transparenteren Klang sowie etwas schnellere Tempi sorgt, die Geige bleibt jedoch nach wie vor (etwas robust) im Vordergrund, es ist ein Mendelssohn in Werktagskleidung. Nach dem dramatischen Kopfsatz folgt ein unverzärteltes Andante con moto, das trotzdem intensiv gestaltet wird. Für das Finale haben sowohl Solist als Dirigent ein gutes Gespür, es bleiben aber Wünsche offen. Neben diesen Studio-Produktionen steht noch ein Konzertmitschnitt als Turin mit Fernando Previtali am Pult. Die Geige ist immer vorn und wird mit viel Bogendruck gespielt, den Läufen fehlt es an Eleganz. Das Orchester ist eher ein Begleiter als Dialogpartner, im zweiten Satz kommen die viele Pizzicati der Streicher zu wenig markiert. Auch der 3. Satz wird routiniert angegangen, dem Solisten unterlaufen einige unsaubere Stellen. Der Klang ist kompakt, an Tuttistellen gibt es leichte Verzerrungen.
Dass Wolfgang Schneiderhan zeitlebens ein profunder Anwalt des Beethoven-Violinkonzerts war, ist allgemein bekannt, bei Mendelssohn trifft dies jedoch m. E. nicht zu. Dafür ist Schneiderhans Geigenton etwas zu breit, ausladend und wirkt deshalb hier und da auch breiig. Am wenigsten stört das noch im Mittelsatz. Mendelssohns Melodien sollten eher mit dem Silberstift gezeichnet werden und vertragen weniger breit gemalte Linien. Dass es sich bei der Platteneinspielung mit F. Fricsay als Partner um keinen Einzelfall handelt, beweisen auch Rundfunk-Mitschnitte unter Leitung von H. Schmidt-Isserstedt und H. Iwaki.
Yehudi Menuhin steht beim Mendelssohn-Konzert mit fünf Aufnahmen in meiner Sammlung. Die älteste wurde noch von seinem Lehrer und Mentor Georges Enescu begleitet, der Solist war damals 20 Jahre alt und bereits einige Jahre auf den Konzertpodien unterwegs. Zu Menuhins Werdegang empfehle ich ausdrücklich die Lektüre des entsprechenden Artikels in J. W. Hartnacks kenntnisreichen Buches „Große Geiger unserer Zeit“ (Zürich 1977). Beim Vergleich von Menuhins Aufnahmen gefällt mir eindeutig die mit Enescu am besten. Hier trifft er intuitiv den richtigen Ton, sein Geigenspiel klingt natürlich und unangestrengt. Das 2. Thema des 1. Satzes ist nur unwesentlich verzögert, im 2. Satz setzt er nur wenig Vibrato ein. Seine zweite Aufnahme entstand 1952 unter Leitung von Wilhelm Furtwängler im Berliner Studio Jesus-Christus-Kirche. Menuhin setzt gleich zu Beginn statt p bereits mf ein, beim 2. Thema wird er, wie fast alle anderen Geigerinnen und Geiger auch, langsamer. Furtwängler steuert nicht nur eine adäquate Begleitung bei, sondern lenkt auch den Blick auf musikalische Zusammenhänge, gut zu verfolgen nach der Kadenz bis zur Wiederholung des 2. Themas. Den 2. Satz beginnt Furtwängler wie ein Bruckner-Adagio, danach geht es jedoch zügiger voran, Orchester und Solist spielen die vielen p-Stellen zu laut. Der letzte Satz wird eher sinfonisch gewichtig als ein unbeschwerter Kehraus genommen, Menuhins Geigenspiel ist dabei nicht immer schlackenlos. Dieses Manko erlebt man in den späteren Aufnahmen verstärkt. Als besondere Schwachstelle muss man das Finale in der live-Aufnahme mit C. Davis erkennen, bei der erhebliche Intonationsprobleme hinzu kommen. Man hat den Eindruck, als bewältige Menuhin den Satz nur noch mechanisch. Die Stereo-Einspielung mit E. Kurtz gefällt mir da besser. Bei seiner letzten Aufnahme mit R. Frühbeck de Burgos ist die Geige wie zu Mono-Zeiten etwas im Vordergrund platziert, nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, da einige Passagen (z. B. T. 418-427) geigerisch wenig überzeugen können. Im 2. und 3. Satz lässt die dynamische Differenzierung sowohl beim Orchester als beim Solisten zu wünschen übrig, im 2. Satz spielt Menuhin auch mit (zu) viel Bogendruck. Beim 3. Satz scheinen Solist und Orchester nicht richtig zu einem Miteinander zu finden.
Gioconda de Vitos Geigenton ist nicht immer genau fokussiert. Wenn sie zu viel Bogendruck einsetzt, wirkt er etwas flattrig, flüchtig, mal breit, dann wieder spitz. In der Tempogebung neigt die Geigerin zu abrupten Wechseln, z. B. T. 97 prescht sie plötzlich los, ebenso T. 181, da muss der Dirigent aufpassen, dass das Orchester mithält. Beim 2. Thema des 1. Satzes wird sie nach und nach langsamer, so dass die Musik vor Selbstverliebtheit fast still steht, vor allem in der Aufnahme mit Furtwängler.
Von Arthur Grumiaux liegen mir drei Studio-Aufnahmen vor, von denen mir die zuletzt unter der umsichtigen Mitwirkung von Jan Krenz produzierte am besten gefällt. Hier wird konzentrierter gespielt als bei den Vorgänger-Aufnahmen mit Rudolf Moralt bzw. Bernard Haitink. Bei Krenz lässt Grumiaux Blicke ins Innenleben des Konzerts zu, bei Moralt scheint weniger geprobt worden zu sein, Routine macht sich hier und da breit, stellenweise klingt die Musik etwas hölzern, Pluspunkt: die con forza-Stelle T. 219 f kurz vor Schluss, aber die kann nur dem Solisten gut geschrieben werden. Haitink übertrifft zwar Moralt, kann jedoch mit seinem Orchester Grumiaux nicht richtig herausfordern.
Bei Anne Sophie Mutter stehen dem Musikfreund zwei Aufnahmen zur Verfügung. Die erste entstand nach Beginn ihrer Karriere unter der Obhut ihres Mentors Herbert von Karajan, der ihr seinen Stempel aufdrückte. Die Laufzeit des 1. Satzes wird nur noch von Sinopoli/Shaham überboten. Es entsteht kaum ein Zusammenhang zwischen den Werkabschnitten, Mutter konzentriert sich auf ihren Part, sie wirkt noch scheu, etwas starr, Karajan begleitet mit schönen Klängen, aber es ereignet sich fast nichts. Ganz anders die jüngste Aufnahme mit dem bewährten Kurt Masur als Begleiter, in der sich die in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen Mutters im Umgang mit op. 64 widerspiegeln. Der gewandelte Zugang zum Werk ist überall greifbar, besonders in den kontrastreich genommenen Ecksätzen.
eingestellt am 01.08.09
zuletzt ergänzt und bearbeitet am 20.12.18