Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Robert Schumann

 

„Papillons“ op. 2

 

Neubearbeitung und Ergänzung 12. 03. 21

 

 

Robert Schumann muss fasziniert gewesen sein von Maskenbällen in der Karnevalszeit, in der Fastnacht oder beim Fasching. In drei Klavierwerken beschäftigt er sich zu Beginn seines Komponistenlebens mit dem bunten Treiben, den Verkleidungen, den Unwirklichkeiten: „Carneval“ op. 9, „Ein Faschingsschwank aus Wien“ op. 26 und zuerst „Papillons“ op. 2 („Schmetterlinge“), komponiert 1829-1831. Es sind 12 Miniaturen in einem charakteristischen unverwechselbaren Klanggewand  mit hohem Wiedererkennungswert. Gewidmet hat sie Schumann seinen Schwägerinnen Therese, Rosalie und Emilie Schumann.

 

Meiner Untersuchung liegt die alte Peters-Ausgabe von Emil Sauer zugrunde. Neuere, wie etwa die von Henle, werden hier und da Abweichungen aufzeigen, vor allem bei den Wiederholungen. Im ersten Stück wird mittels eines Walzers eine Ballszene skizziert. Dort werden die beiden Wiederholungen immer beachtet. Am Ende von Nr. 2 liest man bei Peters kein Wiederholungszeichen sondern ein D.C., was jedoch dasselbe meint. Etliche Pianisten verzichten darauf, andere wiederholen jedoch nur die Takte 5 bis 12, wie Kempff-67, Nat, Rösel, Demus, Zacharias, Hamelin, Schiff, Kirschnereit und Licad. Das dritte Stück darf nicht zu schnell gespielt werden, es muss immer ein Schreiten vernehmbar sein. Kempff wiederholt bei DGG und BBCL die gesamte Nr. 4. Im fünften Stück werden von einigen Pianisten die ersten acht Takte wiederholt, und zwar von Kempff, Nat, Cortot, Sofronitzki, Richter, Demus, Perahia, Slobodyanik, Luisada, Le Sage und Kirschnereit. Ähnlich geht es in Nr. 7 zu, hier werden die Takte 1-8 wiederholt von Ashkenazy, Schiff-2010, Vladar, Perahia, Hamelin, Slobodyanik, Egorov, Vermeulen, Luisada, Le Sage, Schuch und Kirschnereit. Zacharias spielt das gesamte Stück zweimal. Die Takte 17 und 18 in Nr. 8 sind rhythmisch identisch, auf zwei Achtel folgen zwei Viertel. Schumanns Anweisung, die zweite Achtel in beiden Händen zu arpeggieren, wird für manchen Spieler etwas zu knifflig und lädt zum Schummeln ein, obwohl der Komponist das Tempo hier etwas zurücknimmt. Manche verzichten ganz auf das Arpeggio, wie Zacharias und Oppitz. Cortot bringt das Arpeggio auf die erste Achtel, Slobodyanik auf die erste Viertel, Schumann aber kann es nicht mehr hören und kommentieren. Das längste und interessanteste Stück ist Nr. 11, hier sollen die Takte 4-11 wiederholt werden, was bei allen Interpreten außer bei Cortot geschieht. Einige wiederholen auch die folgenden Takte 12-31, nämlich Ashkenazy, Schiff-2010, Zacharias, Oppitz, Vladar, Vermeulen, Luisada, Schuch und Vorraber. Arrau nimmt sich der Takte 32-39 nochmals an.  Hamelin der Takte 40-47. Im Finale ruft Schumann nach einer Einleitung die Ballszene des ersten Stücks in Erinnerung. Das nächtliche Vergnügen ist nun beendet und die Gesellschaft stiebt auseinander. Sehr schön hat das Schumann in der Oberstimme der Takte 49-72 nachgezeichnet. Die Glocke schlägt die sechste Stunde an und der Spuk ist vorbei. Ein zaghaft angestimmter neuer Walzer bleibt nur noch Erinnerung. Auf eine Besonderheit sei noch hingewiesen: Schumann markiert in T. 47 als Orgelpunkt das tiefe d und möchte über die ganze Dauer desselben (bis T. 73) das rechte Pedal getreten wissen. Bei richtiger Ausführung verschwimmen Melodien und Melodiefetzen zu einem gläsernen Klang. Perahia und Slobodyanik verzichten auf das sfz in T. 47.

 

Zweimal war ich bei Radio-Sendungen der Papillons Ohrenzeuge einer Amputation derselben, als nach T. 88 der Walzer immer leiser wurde und die kleine Pause folgte, hat der mit dem Stück wohl nicht vertraute Techniker gemeint, nun sei Schluss und folglich die Musik – ohne die poetischen letzten Takte – beendet. Das Ist zum Schmunzeln, zugleich aber auch ein Ärgernis.

 

 

5

Svjatoslav Richter

BBCL

1963

14‘43

 

live, ▼

5

Svjatoslav Richter

EMI

1962

14‘28

 

live, ▼

5

Wilhelm Kempff 

BBCL

1969

12‘38

 

live, ▼

5

Wilhelm Kempff 

Decca

1951

12‘12

 

5

Wilhelm Kempff 

DGG

1967

12‘06

 

5

Yves Nat

EMI

1954

12‘45

 

poetische Stimmungsbilder im Wechsel von Stück zu Stück, gute dynamische Gestaltung, überzeugende Tempi

5

Robert Casadesus

CBS   Sony

1960

12‘23

 

live, nach Akkordspiel immer wieder zu lockerem und schwebendem Musizieren zurückfindend

5

Alfred Cortot

EMI

1935

12‘20

 

mit wacher Aufmerksamkeit, geschmeidig, immer locker, Nr. 11 ohne Wiederholung

5

Eric Le Sage

alpha

2005

12‘40

 

fantasiereiche Darstellung mit vielen pulsierenden Abschnitten, Nr. 4 kein Presto, in Nr. 8 ohne dritte Wiederholung

 

 

 

4-5

Christian Zacharias

EMI

1978

15‘24

 

fantasiereiche Umsetzung, nachdenklich, aber auch mit jugendlichem Schwung

4-5

Vladimir Sofronizki

Urania

1952

14‘06

 

live, viel Poesie, die einzelnen Stücke sehr gut charakterisiert, man höre nur einmal Nr. 5; auf der anderen Seite nimmt sich der Pianist jedoch zu viele Freiheiten in der Dynamik, da hört man ein f  fast immer als ff gedonnert – bei der Digitalisierung fand eine schlecht gepresste LP mit etlichen Knackern Verwendung

4-5

Jean-Marc Luisada

RCA

2000

15‘48

 

Luisada lotet die Interpretationsmöglichkeiten der einzelnen Stücke genau aus, nuancierte Darstellung, Nr. 4 kein Presto

4-5

Marc-André Hamelin

hyperion

2002

14‘20

 

Hamelin lässt sich von Schumanns Komposition inspirieren, immer lockeres Klavierspiel, Nr. 1 elegant (sonst nirgendwo)

4-5

Stefan Vladar

HMF

2005

14‘46

 

sympathische Darstellung, mit mehr Bodenhaftung als Luisada oder Le Sage, Nr. 3 teilweise legato

4-5

Anja Dorfmann

RCA

1951

11‘44

 

zielstrebig nach vorn, schwungvoll und nuancenreich

4-5

Andras Schiff

ECM

2010

14‘48

 

 

 

 

 

4

Vladimir Ashkenazy

Decca

1984

15‘04

 

bei Ashkenazy vermisst man das Leichte, Nr. 1 nicht locker, Nr. 3 etwas behäbig, Nr. 7 zu ernst, Nr. 11 ragt positiv heraus – schöner Klavierton

4

Matthias Kirschnereit

Berlin Classics

2010

16‘06

 

das Reflektieren über Schumanns op. 2 verstellt den Blick auf die Schmetterlinge, etwas verkopfte Interpretation, Nr. 4 kein Presto, nachdenklich, Nr. 5 nahezu ein Andante, Pianist lotet den Klang aus, Nr. 8 legato und staccato deutlich voneinander unterschieden – immer wieder Rubati

4

Samson François

EMI

1955

12‘55

 

stellenweise sehr zart und empfindsam, auch elegant, jedoch auch heruntergedroschene Akkorde, es fehlen fast alle Wiederholungen, Nr. 9 endlich einmal Prestissimo

4

Peter Rösel

Eterna              Berlin Classics

1978

14‘49

 

Klavierspiel im abgesicherten Modus, jedoch nicht so locker, kaum Schmetterlinge, stellenweise (zu) nachdenklich, dynamische Darstellung nicht immer nach Schumanns Vorlage, sehr helles Klangbild, teilweise etwas harter Anschlag

4

Gerhard Oppitz

RCA

1990

14‘30

 

tadellose Pianistik, man vermisst jedoch das Leichte, das Flatterhafte, insgesamt zu fest

4

Nelson Freire

Decca

2002

12‘56

 

gefällig, gediegen, Nr. 4 kein Presto

4

Andras Schiff

Denon

1977

15‘54

 

4

Cecile Licad

Sony

P 1990

14‘30

 

technische Realisierung steht vor gestalterischem Ausdruck, dynamische Differenzierung im p-Bereich großzügig, Nr. 3 legato

 

 

 

 

3-4

Claudio Arrau

Philips

1974

15‘45

 

insgesamt zu beschwertes und langsames Klavierspiel, dynamische Differenzierung im p-Bereich nicht ausgeschöpft, Nr. 11 zusätzliche Wiederholung ab T. 32 bis zum Schluss – Nachtfalter?

3-4

Youri Egorov

EMI

1981

14‘54

 

die technische Umsetzung verdient Respekt, man vermisst jedoch an vielen Stellen das spezielle Flair dieser Musik, Nr. 3 legato

3-4

Jörg Demus

MCPS

1972-76

13‘13

 

mehr die technische Seite als Schumanns Poesie bedient, nüchterne Lesart, Nr. 3 legato vom ersten zum zweiten Ton, auch Nr. 9 T. 9 und T. 17, Nr. 10 am Anfang etwas fest

3-4

Murray Perahia

CBS   Sony

1977

14‘04

 

virtuoses Klavierhandwerk herausgestellt, musikalisch nur die große Linie nachgezeichnet, dynamische Differenzierung im p-Bereich sehr großzügig, Nr. 3 legato

 

 

 

 

3

Herbert Schuch

Oehms

2009

13‘55

 

Schuch scheint sich noch nicht darüber klar gewesen zu sein, wie er die Papillons anzufassen hat; etwas sprunghaft, dynamische Differenzierung im p-Bereich großzügig, Nr. 10 Virtuosität herausgestellt

3

Alex Slobodyanik

EMI

1998

15‘22

 

besonderer Blick auf artistisch-angelegte Abschnitte, sie verselbständigen sich; Musik klingt an einigen Stellen so, als wäre sie von Chopin, Nr. 3 teilweise legato

3

Franz Vorraber

Thorofon

P 2003

17‘44

 

persönlich gefärbte Darstellung, viele Stücke im langsamen Tempo, Schmetterlinge bleiben wegen Überlastung am Boden

 

 

Ausführung mit Hammerflügel

 

3-4

Jan Vermeulen

Accent

2010

16‘47

 

Fortepiano von Johann Nepomuk Tröndlin, Leizig, 1830-1835 – sorgfältig, aber etwas schwergewichtig, Schmetterlinge heben nicht ab, gemäßigte Tempi, Nr. 4 kein Presto

 

 

 

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Wilhelm Kempff

 

Zwei Studio-Produktionen und ein Konzertmitschnitt der Papillons sind mit Wilhelm Kempff am Flügel überliefert. Unter philologischen Gesichtspunkten gleicht keine der Aufnahmen genau einer der anderen, das bezieht sich hauptsächlich auf den Umgang mit den Wiederholungen, weniger jedoch auf die fantasiereiche Gestaltung der einzelnen kurzen Stücke, bei denen Kempff immer überzeugt. Beim Londoner Mitschnitt wechselt er im letzten Stück in den ersten acht Takten bei der Wiederholung die Artikulation. Die DGG-Aufnahme verfügt über das beste Klangbild.

 

 

Svjatoslav Richter

 

Klavierwerke von Schumann fanden sich immer wieder in den Konzertprogrammen des russischen Pianisten. In der 1960er Jahren waren die „Papillons“ dabei, von denen zwei Mitschnitte auf Platten veröffentlicht wurden. Beide Interpretationen sind fabelhaft und erfreuen sowohl mit schwungvollem Spiel als auch einer poetischen Darstellung. Richter spielt immer ganz nahe am Notentext und überzeugt auch mittels einer sehr guten dynamischen Differenzierung. Wenn mich nicht meine Ohren täuschen, tritt er in Stück 6 in den Takten 7-12 das una corda-Pedal und erreicht damit einen leisen und fahlen Klang, allerdings nur im Londoner Mitschnitt.

 

 

Andras Schiff

 

Zwei Studioproduktionen sind mit Andras Schiff greifbar: Die älteste stammt aus dem Jahr 1977 (Denon), also zu Beginn seiner internationalen Karriere. Die zweite hat er 2010 als reifer Künstler bei ECM aufzeichnen lassen. Diese ist der früheren vorzuziehen, da der Pianist hier ein wenig schneller aber auch differenzierter spielt. In beiden Aufnahmen weicht er in Nr. 3 von Schumanns Artikulation ab und spielt er die Akkorde überwiegend gebunden.

 

 

eingestellt: 16.05.05

Neubearbeitung 12.03.21

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