Das Klassik-Prisma |
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Bernd
Stremmel |
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1. Sinfonie D-Dur op. 25
„Symphonie
classique“
Allegro
– Larghetto – Gavotta, non troppo Allegro – Molto Vivace
Prokofieffs 1. Sinfonie entstand am Ende
seiner Ausbildung am St. Petersburger Konservatorium 1916/17 und wurde ein Jahr
später in derselben Stadt uraufgeführt. Es war nicht sein erster Versuch in
diesem Genre, zuvor entstanden bereits drei Sinfonien, die als Studienwerke
anzusehen sind und unveröffentlicht blieben. Die Entstehung der Symphonie classique wird als bekannt
vorausgesetzt: Konzertführer, CD-Booklets und einschlägige Internetbeiträge
berichten darüber ausführlich, dabei stützen sie sich meistens auf Prokofieffs
Angaben in seiner Autobiographie. Die Sinfonie sollte wie eine von Haydn
geschaffene klingen, wenn dieser zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt hätte.
Prokofieff hält sich jedoch nur oberflächlich an das einst von Haydn
geschaffene Kompositionsmuster. Mit Witz führt er den Hörer auf das Glatteis,
indem er ungewohnte harmonische Wendungen bringt, inklusive falsche Schlüsse.
Auch die klassische Periodenbildung steht zur Diskussion. Andererseits finden,
vor allem im Finale, „Mannheimer Raketen“ (= schnelle, aufsteigende Tonleiter)
immer wieder Verwendung. Es liegt hier keine ausgesprochen moderne Musik vor,
wie sie der Komponist bis dahin seinen Lehrern sowie dem Publikum präsentierte,
eher eine liebenswürdige Parodie des klassischen Vorbilds. Die Sinfonie kann
man sachlich, mit kühlem Kopf spielen. Sie ist aber erst dann richtig
interessant, wenn Fantasie, Feinsinn und Humor hinzutreten. Der Musikologe
Diether de la Motte äußerte sich einst treffend: „Die Sinfonie ist ein Werk, das allen Hörern das „Du“ anbietet.“
Es folgen einige Hinweise zu den
einzelnen Sätzen:
1. Satz: So leicht und unbeschwert sich
die Symphonie classique dem Hörer
darbietet, ist sie für die Orchestermusiker keineswegs, etliche heikle Stellen
erfordern höchste Aufmerksamkeit und müssen im Zusammenspiel genauestens
geprobt werden. Dazu gehören gleich zu Beginn die ersten beiden Takte vor
Beginn des ersten Themas. Bei einer Studio-Aufnahme können sie immer wieder
geprobt werden, bis sie perfekt und locker klingen. Eine Konzertdarbietung ist
jedoch wie ein Sprung ins kalte Wasser, deshalb fangen einige Dirigenten hier
etwas vorsichtig an.
Das zweite Thema, T. 45 ff von den
ersten Geigen grazioso vorgetragen,
wird von einem Fagott in durchgehenden Viertelnoten begleitet, sie entpuppen
sich bei genauerem Hinsehen/-hören als sogenannte Albertibässe aus der Zeit der
Klassik, in Klaviersonaten oder als Begleitung im Orchester meistens durch
Bratschen und Celli oder auch Fagotte. Die Exposition ist durch eine
(ungewohnte) Generalpause von der Durchführung getrennt. In ihr gewinnt das zweite Thema die Überhand, es
tauscht seinen grazioso-Charakter
gegen einen majestätisch klingenden Marsch ein, wobei das Thema abwechselnd in
tiefer, unterstützt durch die Hörner, und hoher Lage zu hören ist. Auf dem
Höhepunkt setzen die Geigen eine Viertelnote später ein, die jetzt dazu
tretenden Trompeten vier Takte danach jedoch „richtig“. Die Sprengkraft dieser
rhythmischen Verschiebung gilt es deutlich herauszustellen, auch wenn es für
„moderne“ Ohren nichts Ungewöhnliches mehr ist.
Der 2. Satz, ein Larghetto in der
fünfteiligen Form ABA’B’A‘, beginnt mit einer viertaktigen Einleitung der
Streicher sowie einer Pauke. Am Ende des Satzes begegnen wir ihr erneut, jetzt
jedoch um zwei Takte plus einer Viertel verlängert. Aufmerksame Dirigenten
heben dort das zweimalige cis-a der
Pauke ein wenig hervor, was dann sehr stimmungsvoll klingt. Am Satzanfang
vermisst man es, wenn man den Satz gut kennt.
Im sehr knappen 3. Satz verwendet
Prokofieff kein „klassisches“ Menuett (im Dreivierteltakt), sondern eine aus
der Barockzeit stammende Gavotte (im zwei-Halbe-Takt), mit einem
charakteristischen halbtaktigen Auftakt zu Beginn. Das Trio ist über
fortlaufenden Bordoun-Quinten komponiert, wie man es zu Haydns Zeit in der
Volksmusik findet. Die Wiederholung der Gavotte stellt eine komprimierte
Fassung des ersten Abschnitts dar, die Verwendung der Flöten entführt den Hörer
nun in die Zeit des Rokoko.
Dem Finalsatz liegt wie dem Kopfsatz die
Sonatenform zugrunde, sogar mit Wiederholung der Exposition, die in unseren
Aufnahmen durchgehend befolgt wird. Aus dem klassischen Kanon übernimmt
Prokofieff hier die Motivspiegelung beim 2. Thema: die ersten Geigen bringen
mehrmals ein aufwärts hüpfendes Motiv, das anschließend von Klarinetten und Fagotten
wieder nach unten geleitet wird. Wenn diesen beiden Bläsern dieselbe
Aufmerksamkeit wie den Geigen zu Teil wird, klingt diese Stelle richtig
witzig-fröhlich. Darüber breiten Flöten und Oboen einen locker gewebten
Klangteppich aus Achtelnoten – wieder in Alberti-Manier – aus. Diese Takte sind
für die Bläser sehr heikel.
Das unbeschwerte Schlussgruppenthema (T.
75 ff), nacheinander von Flöte und ersten Geigen vorgetragen, erhält in der
unmittelbar folgenden Durchführung einen quasi dramatischen Anstrich: Flöten,
Oboen, Klarinetten und erste Geigen möchten es am liebsten zuerst vortragen und
fallen sich dabei ins Wort. Kurz vor Satzschluss sind sich die Instrumente dann
einig (T. 203 ff) und bieten es in harmonischem Einklang zum Besten.
5 |
Dimitri
Kitajenko |
Moskauer Philharmoniker |
Melodya |
1987 |
13‘31 |
|
s. u. |
||||
5 |
Pierre
Monteux |
Boston Symphony Orchestra |
WHRA |
1958 |
13‘29 |
|
live, s. u. |
||||
5 |
Ferenc
Fricsay |
RIAS Symphonie-Orchester Berlin |
DGG |
1954 |
13‘56 |
|
I ganz entspannt, Stimmverläufe
bestens zu verfolgen, deutliches Streicher-Arpeggio in den ersten beiden
Takten, gute Transparenz und Balance, II Atmosphäre, III die unterschiedliche
Instrumentation der Abschnitte A und A‘ genauestens herausgearbeitet, IV molto vivace, wie ein Wirbelwind |
||||
5 |
Efrem
Kurtz |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
P 1958 |
13‘39 |
|
I sehr farbiges Klangbild, delikates Musizieren,
rhythmische Verschiebung T. 137-140 weniger deutlich, Pizzicati der Kb etwas
zu leise, II wie eine spannende Erzählung, IV lebendig – insgesamt breite
Dynamik |
||||
5 |
Sergiu
Celibidache |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1948 |
14‘51 |
|
s. u. |
||||
5 |
Joseph
Swensen |
Scottish Chamber Orchestra |
Linn |
2003 |
14‘00 |
|
aufmerksames Dirigat, artikulatorische Feinarbeit, mit viel
Klangsinn, sehr gute Transparenz und Balance |
4-5 |
Georg
Solti |
Chicago Symphony Orchestra |
Decca |
1982 |
13‘35 |
|
|
I drängend, ungeduldig, saftiger
Klang, großbesetztes Orchester, II bessere Transparenz als in Satz I, farbiger
Klang, Atmosphäre, IV bewegt, pulsierend, schwungvoll, sehr farbig |
|||||
4-5 |
Yuri
Temirkanov |
St. Petersburg Philharmonic Orchestra |
RCA |
1991 |
14‘05 |
|
|
entspanntes Musizieren, breites
Klangbild mit etwas Hall, gute Dynamik, IV farbiger Klang, nicht forciert |
|||||
4-5 |
William
Steinberg |
Pittsburgh Symphony Orchestra |
Capitol EMI |
1953 |
13‘17 |
|
|
I sehr hurtig, tänzerisches 2. Th., II
nicht ganz so durchgearbeitet wie Satz 1, III Gavotte, kein Menuett, IV
überschäumende Musizierlaune – gute Transparenz und Balance, guter Monoklang |
|||||
4-5 |
Arturo
Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
RCA |
1951 |
13‘47 |
|
|
insgesamt entspanntes Musizieren, Musik
meist auf den Punkt gebracht, für Toscanini-Aufnahmen guter und transparenter
Klang – I sehr lebendig, II schwerblütige E, Satz könnte insgesamt etwas
beweglicher sein |
|||||
4-5 |
|
Orpheus
Chamber Orchestra |
DGG |
P 1988 |
13‘59 |
|
|
detailreiches Musizieren, vorbildliche
dynamische Gestaltung, sehr gute Balance und Transparenz, farbiges Klangbild
(Holzbläser), trotz aller Meriten: der Interpretation fehlt ein Lächeln – II
Zweiunddreißigstel-Noten in Flöten T. 50 und 52 wirklich einmal deutlich, nachdenklicher
Schluss |
|||||
4-5 |
Leonard
Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS
Sony |
1968 |
13‘23 |
|
|
I mit spürbarer Hingabe, Bernsteins
Temperament und Prokofieffs Musik im Gleichklang, II immer lebendig,
deutliche Zweiunddreißigstel der Flöte T. 50/52, IV ausgelassen, Bernstein
versprüht gute Laune – farbiges Klangbild mit hinreichender Transparenz,
dynamische Differenzierung im p-Bereich
nicht ausgeschöpft |
|||||
4-5 |
Claudio
Abbado |
London Symphony Orchestra |
Decca |
1969 |
13‘51 |
|
|
s. u. |
|||||
4-5 |
Kyrill
Kondraschin |
Staatskapelle Dresden |
Eterna Berlin Classics |
1955 |
12‘59 |
|
|
I lebendig, Stimmverläufe gut zu verfolgen,
II Atmosphäre, III Gavotte etwas derb, IV molto
vivace – gute Transparenz und Balance |
|||||
4-5 |
Igor
Markevitch |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1951/52 |
13‘21 |
|
|
I sehr transparent, Stimmverläufe gut
nachgezeichnet, in I und II etwas herber Klang, III unterschiedliche
Gestaltug der Abschnitte A und A‘ weniger deutlich als z. B. bei Fricsay, IV
schwungvoll |
|||||
4-5 |
Kurt
Masur |
Dresdner Philharmonie |
Eterna |
1969 |
13‘21 |
|
|
s. u. |
|||||
4-5 |
Neville
Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
Decca |
1972 |
14‘02 |
|
|
sorgfältig, mehr sachlich als
temperamentvoll, gute dynamische Differenzierung, sehr gute Transparenz und
Balance, auf bekanntem hervorragendem Academy-Niveau |
|||||
4-5 |
Neville
Marriner |
London Symphony Orchestra |
Philips |
1980 |
14‘13 |
|
|
in der Anlage ähnlich wie acht Jahre zuvor,
jetzt großbesetztes Orchester, vermindert die Leichtigkeit – I nicht ganz so
quirlig, II bewegt, anfangs zu wenig sensibel, IV mit etwas mehr Nachdruck |
|||||
4-5 |
Dimitri
Kitajenko |
Gürzenich-Orchester Köln |
Phoenix Capriccio |
P 2008 |
14‘39 |
|
|
s. u. |
|||||
4-5 |
Pierre
Monteux |
Orchestre National Paris |
M&A |
1958 |
14‘15 |
|
|
live, s. u. |
|||||
4-5 |
Hugh
Wolff |
Saint Paul Chamber Orchestra |
Teldec |
1992 |
13‘25 |
|
|
sauber musiziert, Stimmverläufe gut nachgezeichnet,
alles läuft wie geschmiert; helles, offenes Klangbild, stimmige Tempi |
|||||
4-5 |
Sergiu
Celibidache |
Berliner Philharmoniker |
audite |
1946 |
14‘14 |
|
|
live, s. u. |
|||||
4-5 |
André
Previn |
Los Angeles Philharmonic Orchestra |
Philips |
1987 |
13‘34 |
|
|
s. u. |
|||||
4 |
Kurt
Masur |
London Philharmonic Orchestra |
Teldec |
1990 |
14‘06 |
|
s. u. |
||||
4 |
Karel
Ancerl |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1956 |
12‘34 |
|
I sehr lebendig, zugespitztes
Musizieren, rhythmische Verschiebung T. 137-140 nicht deutlich, II immer
lebendig, hellwach musiziert, IV Allegro molto, Blech an den wenigen Stellen
nicht nach seiner Funktion eingesetzt – spitzer Klang mit Hall |
||||
4 |
Claudio
Abbado |
Chamber Orchestra of Europe |
DGG |
1986 |
13‘04 |
|
s. u. |
||||
4 |
Gennadi
Roshdestvensky |
Großes Staatliches Sinfonie-Orchester
des Rundfunks und Fernsehens der UdSSR |
Melodya |
1966/67 |
13‘06 |
|
unnatürlicher Klang, hohe Geigen, Flöten und
Trompeten klingen spitz und drahtig, Bässe bleiben unterbelichtet, I sehr
lebendig, II gelassen, IV betörender Klang der Flöte bei Abschnitt A‘ - bei günstigeren Aufnahmebedingungen würde eine Höherstufung
erfolgen |
||||
4 |
André
Previn |
London Symphony Orchestra |
EMI |
1978 |
14‘01 |
|
s. u. |
||||
4 |
Philippe
Jordan |
Orchestre de l’Opera de Paris |
Erato |
2016 |
13‘57 |
|
leicht asketischer Klang, Hörner und vor
allem Trompeten deutlicher als bei fast allen anderen Interpretationen,
andererseits auch überspielte Motive und Floskeln – II ruhig, etwas
distanziert, IV gefällt am besten |
||||
4 |
James
Gaffigan |
Nederlands Philharmonic Orchestra |
Challenge |
2016 |
14‘14 |
|
I schwungvoller Vortrag, orchestral
jedoch ein wenig robust, II stimmungsvoll, eher spätromantischer als
klassischer Klang, III B-Abschnitt weniger differenziert, IV con spirito |
||||
4 |
Riccardo
Muti |
Symphonie-Orchester des Bayerischen
Rundfunks |
BR Media |
1999 |
14‘40 |
|
live – I kein Losstürmen, eher
gemäßigt, 2. Th etwas langsamer, II gelassen, anfangs wenig Spannung, später
schon, deutliche Zweiunddreißigstel der Flöte T. 50/52, III A mit Nachdruck,
IV mit Witz und Humor |
||||
4 |
Riccardo
Muti |
Philadelphia Orchestra |
Philips |
P 1992 |
13‘50 |
|
I etwas wuchtig, weniger filigran, II
bewegt – insgesamt gut, lässt jedoch nie aufhorchen, großformatiger
Orchesterklang, opulent, Bässe wünschte man sich schlanker |
||||
4 |
Seiji
Ozawa |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1989 |
15‘48 |
|
sorgfältig, sauber, aber etwas
distanziert – I-III klar, deutlich, jedoch in mäßigem Tempo und geringerer
Spannung, IV jetzt endlich etwas schneller |
||||
4 |
Eugene
Ormandy |
Philadelphia Orchestra |
CBS
Sony |
1961 |
12‘44 |
|
I großformatig, immer deutliche
Stimmführungen, 2. Th pointiert, deutliche Verschiebung T. 137-140, II sehr
bewegt, Sechzehntel-Noten wünschte man sich etwas filigraner, III Abschnitte
A und B wie nur durchgespielt, A‘ aufmerksamer gestaltet, IV temperamentvoll
– eine der schnellsten Aufnahmen |
||||
4 |
Herbert
von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1981 |
13‘58 |
|
I ohne spürbare Hingabe, Balance nicht
immer überzeugend, da den ersten Geigen eine führende Rolle eingeräumt wird,
II sachlich, Bässe klanglich benachteiligt, III überzeugendes Finale T. 29
ff, IV ausgewogen, mehr an der Oberfläche musizierend – nicht sonderlich
farbiger Klang |
||||
4 |
Alberto
Zedda |
Orchestre de Chambre de Lausanne |
Virgin |
1990 |
14‘15 |
|
Musizieren auf hohem Niveau,
sachlicher Vortragsstil, Zedda achtet mehr als andere auf Hörner und Trompeten |
||||
4 |
Carlo
Maria Giulini |
Chicago Symphony Orchestra |
DGG |
1976 |
14‘24 |
|
I gepflegtes Musizieren, in ruhiger
Gangart, II jetzt bewegter, gestalterischer Ernst, III herb, IV eher sachlich
als temperamentvoll |
||||
4 |
Gerard
Schwarz |
Los Angeles Chamber Orchestra |
Delos |
1984 |
13‘12 |
|
I scharfe Klanglichkeit, Neigung zum
Auftrumpfen, weniger geschliffen, II sehr bewegt, kein ruhender Pol, IV von
musikalischer Energie sprühende Interpretation – auffallend ähnliche
Artikulationen (entgegen der Partitur) zu Giulini im dritten Satz bei T. 5/6,
10/11 und 12/13 |
||||
4 |
Michael
Tilson Thomas |
London Symphony Orchestra |
Sony |
1991 |
14‘44 |
|
I selbstverständliche Perfektion,
jedoch kaum Esprit, deutliche Verschiebung T. 137-140, II bewegt, etwas
sachlich kühl, III im B-Abschnitt Bässe als Bordoun nicht zu vernehmen, IV mit
Schwung, aber auch hier sachlich |
3-4 |
Sergiu
Celibidache |
Münchner Philharmoniker |
EMI |
1988 |
16‘44 |
|
live, s. u. |
||||
3-4 |
Mstislav
Rostropovitch |
Orchestre National de France |
Erato |
1986 |
15‘22 |
|
I gemächlich, ohne Esprit, in der
Durchführung exponiertes Blech, II Adagio, Anflug von Behäbigkeit, IV jetzt
adäquateres Tempo |
||||
3-4 |
Theodore
Kuchar |
Nationales Sinfonie-Orchester der
Ukraine |
Naxos |
1995 |
15‘34 |
|
I Orchester etwas fest, weniger geschmeidig
musizierend, II angenehm ruhig, IV etwas eindimensional – Aufnahmetechnik
gelingt es nicht einen farbigen Bläserklang zu präsentieren, Oboe in allen
Sätzen deutlich zurückgesetzt, Pauke hat einen höheren Stellenwert als in den
meisten anderen Aufnahmen |
3 |
Yuri
Simonov |
Royal Philharmonic Orchestra London |
RPO Eigenlabel |
1996 |
14‘28 |
|
Musik geschieht wie von selbst, teilweise
wie mit erhobenem pädagogischem Zeigefinger, II Abschnitt B tapsig, III
schleppend, ohne Esprit, IV ohne Schwung |
Hinweise
zu Interpreten und Interpretationen
Pierre
Monteux
Nach Anhören der beiden vorliegenden
Konzert-Mitschnitte wünschte man sich auch von Monteux eine kommerzielle
Aufnahme von Prokofieffs erster Sinfonie, was leider versäumt wurde. Der
Dirigent verfügt über ein besonderes Gespür für diese Musik und lässt sie zu
einem Erlebnis werden. Er durchleuchtet die Partitur, zeigt die Strukturen der
Komposition auf und lässt den Hörer an den Instrumentationsfinessen teilhaben.
Das tritt vor allem bei der Bostoner Aufnahme zutage, die schon in Stereo
mitgeschnitten wurde. Die Pariser Aufnahme, obwohl in zeitlicher Nähe
entstanden, fällt dagegen etwas zurück: Das Orchester erreicht nicht das Niveau des BSO, vielleicht
hat Monteux deshalb die Tempi in allen Sätzen etwas zurückgenommen. Der Klang
ist weniger offen und auch weniger farbig.
Sergiu
Celibidache
Als der neue Chefdirigent Celibidache
1946 in Berlin mit den Philharmonikern Prokofieffs Symphonie Classique aufführte, war es für die meisten der Zuhörer
eine Novität, da Musik aus dem bolschewistischen Russland jahrelang in
Deutschland nicht erwünscht war. Die Aufführung wird ein Erfolg gewesen sein,
keine zwei Jahre später wurde die Sinfonie vom deutschen Label Electrola für
die Schallplatte aufgezeichnet. Der Konzertmitschnitt und die Plattenaufnahme
ähneln sich interpretatorisch: Celibidache leuchtet in die Partitur, sorgt für
eine genaue und deutliche Artikulation, achtet auf Details und legt
Stimmführungen frei. Im Gegensatz zu den meisten Dirigenten setzt er sein
Augenmerk auch auf das Blech, das jetzt nicht nur beim Akkordspiel hervortritt.
Die Tempi sind, abgesehen vom Finale, ein wenig langsamer als üblich. Der
Rundfunkmitschnitt ist der Plattenaufnahme wie erwartet unterlegen, bei lauten
Tutti-Stellen klingt das Orchester rau, teilweise ist er auch übersteuert. Die
Plattenaufnahme dagegen wartet für die Aufnahmezeit und die Umstände der
Produktion (Blockade Berlins) mit einem einigermaßen guten Klang auf.
Vierzig Jahre später, während seiner Zeit
als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, stand auch Prokofieffs Sinfonie
auf dem Programmzettel. Die Tempi während der ersten drei Sätze sind nun
gedehnt, die Musik klingt phlegmatisch, jedoch immer sehr deutlich. Hier wird
den beiden Hörnern und Trompeten noch mehr Aufmerksamkeit zuteil. Den zweiten
Satz nimmt der Maestro unter die Lupe. Wer hören will, was Prokofieff so alles
in die Partitur geschrieben hat, liegt hier richtig. Mit dem Finalsatz kehrt
Celibidache dann wieder in die Konzertnormalität zurück.
Kurt
Masur
Masurs erste Aufnahme der Symphonie Classique entstand mit der
Dresdner Philharmonie, als dessen Chefdirigent er zu dieser Zeit fungierte. Sie
ist eine gute bis sehr gute Produktion, sehr lebendig gespielt, auch im
langsamen Satz. Das engagierte Orchester klingt jedoch nicht so gepflegt wie
die Staatskapelle, die Streicher spielen teilweise etwas rau. Im ersten Satz
könnte das Fagott die Begleitung des zweiten Themas etwas lockerer bringen, in
der Durchführung kommt die rhythmische Verschiebung des zweiten Themas sehr gut
heraus. Höhepunkt der Aufnahme ist das Finale, in der Masur das Burleske der
Musik sehr gut trifft. Die Platte klingt hell, transparent und ist mit etwas
Hall versehen. Auf der späteren CD mit dem London Philharmonic Orchestra wird
schöner und gepflegter musiziert, jedoch im abgesicherten Modus, die Musik geht
nicht so nahe als vorher. Alle Sätze werden etwas langsamer dargeboten, der
abgerundete Klang für nimmt jedoch für sich ein.
André
Previn
Zwei Interpretationen liegen mit Previn
vor, die sich interpretatorisch nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Mit
entschiedenem Zugriff geht der Dirigent den Kopfsatz an und lässt lebendig
musizieren. Klar und spannungsintensiv verläuft der zweite Satz, wobei die Philips-Aufnahme
bewegter musiziert wird, auch in der ausgewogenen Gavotte. Das Finale klingt in London aufgekratzt,
jedoch nach meinem Empfinden etwas distanziert. Die Musiker aus Los Angeles
gehen lockerer, unbeschwerter zur Sache. Diese Aufnahme gefällt mir etwas
besser, sie verfügt über eine bessere Transparenz und ein insgesamt weicheres
Klangbild.
Claudio
Abbado
Zwei Studio-Produktionen unter Leitung
von Abbado stehen dem Hörer zur Verfügung, dabei gefällt mir die ältere mit dem
London Symphony Orchestra etwas besser. Hier wird differenzierter musiziert,
Abbado geht mehr ins Detail, die Ecksätze werden etwas schneller musiziert. Die
spätere CD mit dem Chamber Orchestra of Europe klingt polierter und damit etwas
geglättet. Der zweite Satz erfährt hier eine lebendige Darstellung.
Dimitri
Kitajenko
Der Dirigent scheint zu Prokofieffs
Erstling eine besonders enge Beziehung zu haben, neben zwei Studio-Produktionen
existieren noch weitere Rundfunkmitschnitte. Mit dem Moskauer Philharmonikern
gelang dem Newcomer 1987 eine exzeptionelle Einspielung: Locker, leicht und
spritzig zieht die Musik vorüber, die Stimmführungen werden sehr gut
nachgezeichnet, die Artikulation ist immer sehr deutlich, das unterstützt auch
die messerscharfe Transparenz des Musizierens. Lobenswert ist auch der
vorbildliche Umgang mit der Dynamik. Dazu tritt – für russische Verhältnisse –
ein guter Klang. Köstliche Bläserdetails, man achte nur einmal auf das Fagott,
zeugen von Kitajenkos aufmerksamen Umgang mit Prokofieffs meist humorvoller
Musik, sie runden den außergewöhnlichen Eindruck ab.
Die spätere Aufnahme mit dem Kölner
Gürzenich-Orchester ist auch gut, im Vergleich zur früheren jedoch nur
durchschnittlich geraten. Kitajenko gelingt es hier nicht, die Musik so auf den
Punkt zu bringen wie in Moskau. Sie klingt bei langsameren Tempi etwas breiter,
auch ist der Klang insgesamt weniger differenziert, was aber auch der
Aufnahmetechnik angelastet werden kann.
eingestellt
am 21.06.18