Das Klassik-Prisma |
|
Bernd
Stremmel |
Diese Webseite ist urheberrechtlich geschützt
Maurice Ravel
Klavierkonzert für die
linke Hand D-Dur
in einem
Satz
Lento
– Allegro – Tempo I – Kadenz – Allegro
Auf einer Wien-Reise 1929 lernte Ravel den
österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein kennen, der im 1. Weltkrieg seinen
rechten Arm verloren hatte, für einen Pianisten normalerweise ein Todesurteil.
Dieser ließ sich jedoch nicht entmutigen und fertigte Transkriptionen für die
linke Hand an, die er in Konzerten vortrug. Vielleicht kannte er Brahms‘
Bearbeitung von Bachs Chaconne für die linke Hand. Auch erteilte er
Kompositionsaufträge, z. B. an Richard Strauss, der ein „Parergon zur Sinfonia
Domestica“ op. 73 sowie „Panathenäenzug“ op.74 für Wittgenstein schrieb, eines
der beiden Stücke lernte Ravel in Wien kennen. Dieser war fasziniert von den
Künsten des einarmigen Pianisten, der in Folge einen Auftrag für ein
Klavierkonzert für die linke Hand an Ravel vergab. Ob dieser Herausforderung
unterbrach dieser seine Arbeit am begonnenen G-Dur Konzert und komponierte
innerhalb von ca. neun Monaten das Konzert für die linke Hand in D-Dur. Die
Uraufführung erfolgte 1932 in Wien mit Paul Wittgenstein am Flügel und Robert
Heger am Pult der Wiener Symphoniker. Ein Jahr später erfolgte eine Aufführung
in Paris, wo Ravel selbst dirigierte. Vorausgegangen war jedoch eine heftige
Auseinandersetzung von Pianist und Komponist, der sich
weigerte, die Abweichungen Wittgensteins vom Notentext zu akzeptieren. Es
dauerte lange, bis sich das Konzert im Konzertsaal durchsetzen konnte, im
Gegensatz zum schnell populär gewordenen G-Dur Konzert. Die erste
Schallplatteneinspielung erfolgte 1939 durch Alfred Cortot und Charles Münch im
Paris.
Das Konzert für die linke Hand stellt
nicht nur eine Herausforderung für den Pianisten dar, sondern erfordert auch
vom Hörer eine konzentrierte Zuwendung. Man muss es mehrmals in kurzen
Abständen hören, wozu Tonträger eine große Unterstützung anbieten. Im Gegensatz
zum G-Dur-Konzert will es erobert werden.
Wie aus einem Urnebel kommend –
vergleichbar mit dem Anfang von Wagners Rheingold – beginnt ganz leise die
Musik, zunächst nur von tiefen Streichern und dem Kontrafagott vorgetragen. Die
meisten Dirigenten übersehen in T. 7 das Tamtam, das ebenfalls piano zu spielen
hat, aber ein Tamtam soll nicht überhört werden! Am deutlichsten bringt es
Galliera in der Aufnahme mit Werner Haas, auch Rosbaud bei Anda, Münch bei
Cortot, Paray mit Monique Haas sowie Foster bei Larrocha vergessen es nicht.
Eine große Steigerung führt T. 32 zu einem grellen dissonanten Akkord, um dem
Pianisten das Spiel freizugeben. Nach einer Kadenz-artigen Einleitung stellt er
das thematische Material vor, das ab T. 59 das Orchester im ff verarbeitet, mit schmetternden
Trompeten (T.71/72) und Hörnern (T.73/74). Leider gehen hier die Blechbläser
meistens im Gesamtklang unter, Rosbaud bringt am besten die Trompeten,
Immerseel die Hörner. Ein Wechsel der Melodie von der Pauke zu zu Cello und
Kontrabass (T. 65) wird sehr oft übersehen. Nach einem lyrischen zweiten Thema,
vom Flügel vorgestellt, dialogisieren Solist und Orchester. Ravel arbeitet in
kürzeren Abschnitten, die eine Steigerung erfahren und dann wieder abgebrochen
werden, das klingt auch wie abgewürgt, als wenn die musikalischen Mittel
erschöpft wären. Bemerkenswert ist der allmählich stärker werdende
Marschrhythmus, der im Allegro-Teil (T. 121 ff.) eingefügt wird und die Musik
teils unterschwellig, teils offen beherrscht. Ab T. 152 dient er sich dem
Klavier bei einem neuen Thema an, das als Scherzo zu erkennen ist.
Spielerisches verbindet sich hier mit Marschmäßigem. Mit dem Takt 269 wird die
Musik wieder langsamer und leise, eine unheimliche Spannung liegt über der vom
Fagott vorgetragenen Melodie, die mich an Strawinskys Sacre erinnert. Eine gedämpfte
Posaune, dazu ein Tambourin, danach eine Holzblocktrommel sowie der
Marsch-Rhythmus steigern die Spannung und führen letztendlich zu einem wie eine
Katastrophe klingenden Ausbruch. Nach einem lebendigen Zwischenspiel mit
jazzartigen Rhythmen, bei immer wieder neuen Ansätzen besinnt sich Ravel auf
das ursprüngliche, rhythmisch reichhaltige thematische Material, das in den
Takten 479-471 mit viel Pathos einen Triumph feiern darf, bevor die große
Kadenz des Solisten ihren Anfang nimmt. Irgendwie erinnert sie mich an die
beiden letzten Variationen aus Beethovens letzter Klaviersonate c-Moll op. 111
mit ihrer ausdrucksvollen Oberstimme samt Trillern und der filigranen
Begleitung im Bassbereich. Ravel schafft dies alles nur mit der linken Hand,
die zusätzlich noch tiefere Bassnoten zu bewältigen hat und eine
Dreistimmigkeit herbeiführen soll. In die letzten Takte dieser Kadenz bringt
sich wieder das Orchester ein und bringt das Stück zusammen mit dem Solisten
wie in einem Gewaltausbruch schnell zu Ende. Der tragische Unterton des
Konzerts, der immer wieder aufbricht, verbindet man nicht unbedingt mit Ravels
Musik.
Beim Blick auf sein Schaffen entdeckt
man, dass er immer wieder Unikate hervorbrachte, kein Werk gleicht in Erfindung
und Ausformung dem anderen, so auch bei den beiden Klavierkonzerten.
5 |
Krystian Zimerman |
Pierre Boulez, London Symphony Orchestra |
DGG |
1996 |
17‘57 |
|
||||||||
|
die frühere Boulez-Aufnahme: das London Symphony
Orchestra mit etwas sinnlicherem Klang als das Cleveland Orchestra,
Melodie-Wechsel zum Kontrabass T. 65 kommt weniger deutlich, weiträumig
angelegte Dispositionen, gute Balance und Transparenz, Zimerman lebendiger
als Aimard, setzt auch kräftige Akzente, zunehmende Spannung in der Kadenz |
|
||||||||||||
5 |
Robert Casadesus |
Hermann Scherchen, Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
Medici arts
Tahra |
1957 |
17‘57 |
|
||||||||
|
live, ▼ |
|
||||||||||||
5 |
Geza Anda |
Hans Rosbaud, SWF Sinfonie-Orchester |
hänssler |
1952 |
19‘11 |
|
||||||||
|
Transparenz bereits zu Beginn, Rosbaud hat eine klare
Vorstellung vom Stück und verwirklicht es mit dem gleichgesinnten Anda, die
Musik wird auch unter der Oberfläche gestaltet; Anda nirgends glatt,
wahrscheinlich spielte er das Konzert zum ersten Mal; für die Zeit
erstaunliches Klangbild |
|
||||||||||||
5 |
Zoltan Kocsis |
Ivan Fischer, |
Philips |
1996 |
17‘34 |
|
||||||||
|
sehr leiser Beginn, Kontrafagott im Nebel, anschließend
jedoch sehr gute Transparenz und Balance, Fischer stellt die Besonderheiten
der Instrumentation heraus, das Skurile und das plötzlich überraschend Grelle
wird gut getroffen; Kocsis im ersten Solo rhapsodisch, im zweiten Solo
(T.78ff.) empfindsam, im Ganzen sehr souverän |
|
||||||||||||
5 |
Michel Beroff |
Claudio Abbado, London Symphony Orchestra |
DGG |
1987 |
17‘12 |
|
||||||||
|
insgesamt breiter Orchesterklang mit guter Transparenz,
aufmerksamer Abbado, präsente Pauke, der Melodie-Wechsel zum Kontrabass T. 65
kommt jedoch weniger deutlich, Beroff schenkt der Bassmelodie T. 17 ff. etwas
weniger Aufmerksamkeit als Kolleginnen und Kollegen, er spielt insgesamt
leiser, aber feingliedriger als François, in den zweistimmigen und
dreistimmigen Passagen der Kadenz bleibt Beroff deutlich, aber dezenter als
sein älterer französische Kollege |
|
||||||||||||
|
|
|||||||||||||
4-5 |
Leon Fleisher |
Sergiu Comissiona, Baltimore Symphony Orchestra |
Vanguard Philips |
1982 |
17‘27 |
|
||||||||
|
souveräner Pianist, bei der zweistimmigen und
dreistimmigen Passage in der Kadenz kann man als Hörer den Atem anhalten ob
der Virtuosität der Ausführung, Orchester ziemlich transparent, deutliches piu vivo ed accel. T. 437 ff. |
|
||||||||||||
4-5 |
Monique Haas |
Paul Paray, Orchestre National Paris |
DGG |
1965 |
17‘38 |
|
||||||||
|
▼ |
|
||||||||||||
4-5 |
Monique Haas |
Charles Münch, Boston Symphony Orchestra |
Tahra |
1960 |
19‘48 |
|
||||||||
|
live, ▼ |
|
||||||||||||
4-5 |
Robert Casadesus |
Eugene Ormandy, Philadelphia Orchestra |
Columbia Philips |
1947 |
16‘57 |
|
||||||||
|
▼ |
|
||||||||||||
4-5 |
Robert Casadesus |
Eugene Ormandy, Philadelphia Orchestra |
CBS Sony |
P 1972 |
17‘25 |
|
||||||||
|
▼ |
|
||||||||||||
4-5 |
Robert Casadesus |
Sergiu Celibidache, Wiener Symphoniker |
Orfeo |
1952 |
17‘47 |
|
||||||||
|
live, ▼ |
|
||||||||||||
4-5 |
Pierre-Laurent Aimard |
Pierre Boulez, Cleveland Orchestra |
DGG |
2010 |
18‘44 |
|
||||||||
|
Boulez lässt im HIP-Stil musizieren, überwiegend leicht
und locker, Melodie-Wechsel zum Kontrabass T. 65 kommt weniger deutlich, gute
Balance und Transparenz, Aimard souverän, mit viel Espressivo an der piu lento-Stelle T. 82 ff. – über der
Interpretation liegt jedoch in gewisse Kühle |
|
||||||||||||
4-5 |
Alfred Cortot |
Charles Münch, Conservatoire Orchester Paris |
EMI Naxos Dutton |
1939 |
15‘26 |
|
||||||||
|
Erstaufnahme des Konzerts, gleichzeitig auch die
schnellste – zu Beginn (Pegel etwas angehoben) deutliches Kontrafagott, im
ersten Solo immer präsente Unterstimme, Orchester-Tutti leider sehr kompakt,
bis T. 245 meistens sehr lebendig, dann jedoch Tempo zurückgenommen (neue
Matrize?), in der zweiten Hälfte auffallend motorisch |
|
||||||||||||
4-5 |
Alicia de la Larrocha |
Lawrence Foster, London Philharmonic Orchestra |
Decca |
1972 |
18‘40 |
|
||||||||
|
zupackendes, aber auch immer wieder filigranes
Klavierspiel; kluge Dynamik in der Kadenz, spannendes Schluss-Crescendo,
aufmerksame Orchesterbegleitung |
|
||||||||||||
4-5 |
Julius Katchen |
Istvan Kertesz, London Symphony Orchestra |
Decca |
1968 |
17‘38 |
|
||||||||
|
anfangs sehr durchsichtig, kein Klangnebel, das ändert
sich leider, wenn das Blech zu laut wird (T. 23 ff.), insgesamt jedoch eine
stimmige Umsetzung der Partitur, die plötzlich herausbrechende Dämonie der
Musik bleibt jedoch unterbelichtet; souveräne Kadenz, die nicht stillsteht,
sondern Spannung aufbaut, präsentes Schlagwerk, guter Klang |
|
||||||||||||
4-5 |
Andrej Gavrilov |
Simon Rattle, |
EMI Warner |
P 1978 |
17‘38 |
|
||||||||
|
erstes Tutti mit zu viel Blech, wenig transparent, man fühlt
sich an die Fanfare von Janaceks Sinfonietta erinnert, im weiteren Verlauf
jedoch aufmerksame und werkgetreue Begleitung; Gavrilov suggeriert deutlich
eine Zweihändigkeit, aufgewühlte Kadenz, im Anschlag mehr Martellato als bei
den meisten anderen Interpreten, erinnert an François |
|
||||||||||||
4-5 |
Samson François |
André Cluytens, Conservatoire Orchester Paris |
EMI |
1959 |
18‘13 |
|
||||||||
|
Orchester-Tutti ab T. 23 weniger transparent, das bessert
sich jedoch bald, Orchester insgesamt unter bester Anleitung von André
Cluytens, farbiges Schlagwerk; François steigt mit kräftigem Anschlag ins
erste Solo ein, kerniger Ton, trotzdem immer klar, Flügel immer sehr präsent,
geradlinig, in der Kadenz deutliche zweistimmige und dreistimmige Passagen,
Mittelstimme nur Begleitung, bei François vermisse ich den Blick auf die
Zwischentöne |
|
||||||||||||
4-5 |
Cecile Ousset |
Simon Rattle, City of Birmingham Symphony Orchestra |
EMI Warner |
1990 |
18‘50 |
|
||||||||
|
geschmeidiges auch filigranes Klavierspiel, perlende
Zweiunddreißigstel in der Kadenz; transparenter Beginn, T. 7-10
zurückhaltende Trompeten und Hörner, Melodie-Wechsel von der Pauke zum
Kontrabass T. 65 kommt weniger deutlich, im Ganzen jedoch guter Klang |
|
||||||||||||
|
|
|||||||||||||
4 |
Robert Casadesus |
Dimitri Mitropoulos, Wiener Philharmoniker |
Orfeo |
1957 |
17‘34 |
|
||||||||
|
live, ▼ |
|
||||||||||||
4 |
Werner Haas |
Alceo Galliera, Orchester der Oper Monte Carlo |
Philips Decca |
1968 |
17‘34 |
|
||||||||
|
Galliera sorgt anfangs für mehr Transparenz als in vielen
anderen Aufnahmen zu hören, insgesamt durchsichtiges Klangbild mit französischem
Flair und immer wieder neu aufgebauter Spannung; Haas bleibt auch in den
vertracktesten Passagen immer transparent und entsprechend ausdrucksvoll; die
Interpretation bewegt sich jedoch zu sehr im Spielerischen, die tragisch
anmutenden Momente werden kaum beleuchtet |
|
||||||||||||
4 |
François-Joel Thiollier |
Antoni Witt, Polnisches Radio-Sinfonie-Orchester |
Naxos |
1993 |
18‘18 |
|
||||||||
|
überzeugende solistische Leistung, gute Zusammenarbeit
mit dem Dirigenten, bei T. 65 wird der Melodie-Wechsel von der Pauke zum
Kontrabass nicht nachvollzogen, insgesamt jedoch etwas einseitig nach vorn
gespielt, das D-Dur-Konzert ist kein Divertissement; transparentes Klangbild,
jedoch mit weniger Präsenz als in vergleichbaren neueren Produktionen |
|
||||||||||||
|
|
|||||||||||||
3-4 |
Abdel Rahman El Bacha |
Marc Soustrot, |
Forlane |
1984 |
18‘14 |
|
||||||||
|
El Bacha immer hellwach, geschmeidiges Klavierspiel,
Orchester bringt sich kaum selbst ein, mehr an der Oberfläche agierend, Tutti
T. 460 ff. zu zahm, kaum Spannungsaufbau vor T. 523 |
|
||||||||||||
3-4 |
Anne Queffélec |
Alain Lombard, Philharmonisches Orchester Straßburg |
Erato |
1975 |
18‘43 |
|
||||||||
|
Zusammenspiel nicht immer überzeugend, hört sich an wie
eine Pflichtaufgabe, Queffélec im ersten Solo rhythmisch verwaschen,
insgesamt wenig persönlichkeitsstark |
|
||||||||||||
|
|
|||||||||||||
3 |
Rolf-Dieter Arens |
Heinz Rögner, Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin |
Eterna Berlin Classics |
P 1987 |
21‘47 |
|
||||||||
|
anfangs sehr verhangen, erstes Tutti ohne Transparenz,
zweites Tutti zu langsam, das folgende Solo klingt etwas ratlos, suchend,
insgesamt ohne Esprit; die Kadenz zerfällt in Abschnitte, keine Bögen, die
Zweiunddreißigstel sind nur Beiwerk, nicht Teil des Ganzen |
|
||||||||||||
|
|
|
|
|
|
|
|
|||||||
Interpretationen
mit Instrumenten aus Ravels Zeit
4-5 |
Claire Chevallier, Erard-Flügel 1905 |
Jos van Immerseel, Anima Eterna |
ZigZag |
2005 |
20‘38 |
|
insgesamt mäßiges Tempo, Kontrafagott zu Beginn sehr
leise und undeutlich, Melodiesprung von Pauke zu Kontrabass T. 65 wie
unbeachtet, im Ganzen jedoch farbiger Klang mit guter Transparenz, die im
Tutti T. 356 ff. besser ausfällt als üblich, spannendes Schluss-Crescendo;
Chevallier macht sich Ravels Partitur zu eigen, spielt sich nach vorn, zieht
sich aber auch dezent zurück, ohne sich vom Orchester abdrängen zu lassen,
expressiver Vortrag T. 83 ff., an Tutti-Stellen mischt sich der Klang des
Erard-Flügels besser als bei modernen Instrumenten |
Hinweise
zu Interpreten und Interpretationen
Robert
Casadesus
Der französische Pianist Robert
Casadesus hat sich Zeit seines Lebens für Ravels Konzerte, besonders auch für
das für die linke Hand eingesetzt. Zweimal ging er damit ins Studio, außerdem
sind mehrere Konzertmitschnitte erhalten, drei von ihnen sollen hier verglichen
werden. Beide Studio-Produktionen, entstanden mit dem Philadelphia Orchester
unter seinem langjährigen Leiter Eugene Ormandy, die erste im Jahre 1947, die
zweite 1971, ähneln sich in der Umsetzung der Partitur. Die Stereo-Platte mit
etwas mehr Präsenz bleibt jedoch klangtechnisch hinter den damaligen
Möglichkeiten zurück: das Orchester wird gegenüber dem Flügel zurückgesetzt,
die Einsätze einzelner Instrumente fallen weniger deutlich als erhofft aus.
Casadesus, das gilt für alle der mir bekannten Aufnahmen, scheint vom ersten
Takt an den gesamten Klavierpart bis zum ersten Tutti im Blick zu haben, er
spielt keine Abschnitte sondern sieht auf das Ganze.
Dabei gelingt ihm rhythmische Spannung mit filigraner Spielweise zu vereinen,
was man besonders in der langen Kadenz beobachten kann. Die meiner Meinung nach
gelungenste Aufnahme ist der Mitschnitt aus Köln mit Hermann Scherchen am Pult,
der auf äußerste Klarheit verbunden mit klanglicher Schärfe achtet. Hier bleibt
der Einsatz der Instrumente am Ende der Kadenz nicht im klanglichen Nebel wie
z. B. bei Ormandy. Die Schlaginstrumente werden bestimmt eingesetzt, ohne sich
nach vorne zu drängen oder nur als rhythmische Untermalung wahrgenommen zu
werden. Scherchens Spannung vermisse ich etwas bei Sergiu Celibidache, der den
Orchesterklang mehr in die Breite führt, ohne jedoch langsamer zu werden. Auch
die Transparenz fällt gegenüber jener Aufnahme zurück: Die
zweiunddreißigstel-Sextolen von Trompeten und Hörnern T. 71-74 gehen, obwohl
Ravel ff vorschreibt, im Tutti-Klang
verloren: Das kann aber auch die Aufnahmetechnik (nur ein Mikrophon) vermasselt
haben. Ähnliches ist beim Salzburger Mitschnitt mit Dimitri Mitropoulos zu
vermuten, bei dem am wenigsten „Orchester-Informationen“ ans Ohr des Hörers
dringen und an einigen Stellen auch die Balance zugunsten des Blechs verschoben
ist, da hilft auch die im Booklet zitierte Begeisterungshymne eines Rezensenten
dem Hörer am Lautsprecher nicht weiter.
Monique
Haas
Auch Monique Haas hat sich für die Musik
ihres Landsmanns immer wieder eingesetzt und auf Schallplatte dokumentiert. Vom
D-Dur-Konzert kann man auf eine Pariser Studio-Einspielung mit dem erfahrenen
Paul Paray zurückgreifen, den ich sehr schätze, der mich hier aber ein wenig
enttäuscht. Es kann auch an der Aufnahme der DGG liegen, die nicht so
transparent klingt wie seine früheren Mercury-Platten. Im ersten
Orchester-Tutti sind die Sextolen der Trompeten und Hörner (T. 71-74) nur zu
erahnen. Der Klang bessert sich jedoch im Laufe des Konzerts. Monique Haas
spielt immer sehr klar, französisch, man spürt ihre langjährige Beschäftigung
mit Ravels Klaviermusik. In der ausgedehnten Kadenz bleibt sie transparent,
locker, die Dreistimmigkeit (T. 495 ff.) scheint für sie keine Herausforderung
zu sein, so klingt es jedenfalls. Bemerkenswert die allmähliche Steigerung bis
zum Orchestereinsatz. Als weitere Aufnahme mit Monique Haas kann auf einen
Konzertmitschnitt aus Boston mit Charles Münch zurückgegriffen werden, der fünf
Jahre vor der Studio-Produktion entstand. Die Transparenz des Beginns verliert
sich jedoch im ersten Tutti, das auch etwas gezogen klingt. Im weiteren Verlauf
kehren klarere Verhältnisse ein. Münch legt auch ein Auge auf die Schlaginstrumente,
die der zweiten Hälfte des Konzerts Farbe und rhythmische Kontur verleihen.
Nervosität oder Unaufmerksamkeit eines Trompeters können zu einem verfrühten
Einsatz T. 60 geführt haben. In beiden Aufnahmen hört man französische Bläser.
Monique Haas‘ Klavierspiel ist hier noch freier und gleichzeitig intensiver
gestaltet als im Studio.
eingestellt
am 05.02.20