Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Franz Schubert

 

Die schöne Müllerin op. 25 D. 795

 

 

Von den 23 Liedern, die der Schriftsteller Wilhelm Müller unter dem Titel „Die schöne Müllerin“ veröffentlichte, hat Franz Schubert drei nicht komponiert. Vorangestellt wurde ein Prolog, an den Schluss ein Epilog gesetzt. Auf der EMI-CD Fischer-Dieskaus von 1961 sind beide (von FD gesprochen) erhalten. Bei Brigitte Fassbaender werden zusätzlich noch die drei nicht vertonten Texte von ihr gesprochen. Auch so verfährt Ian Bostridge, hier werden Prolog und Epilog, sowie vier nicht komponierte Texte von Fischer-Dieskau gesprochen. Interessant Müllers Titulierung des Zyklus als Melodram, darauf wurde bis heute selten oder nie hingewiesen.

 

Hinweise zu einzelnen Liedern:

Lied 1 „Das Wandern“: In Takt 13 singen etliche Interpreten „hat nicht Rast...“ anstelle von: „hat nicht Ruh...“, Hüsch singt in der 4. Strophe T.14 „mit den muntern Reihn...“ statt „mit den muntren Reihn“.

Lied 2 „Wohin?“: Hier sollte der Pianist auch Augenmerk auf die Begleitung seiner linken Hand werfen und nicht nur das Rauschen und Plätschern des Wassers nachahmen, sehr gut gelöst von Reimann. In T. 27/28 bzw. T. 31/32 steht „frischer rauschte,“ B. Fassbaender, Olaf Bär, J. Protschka, B. Skovhus sowie Peter Schreier (bei Ragossnig) singen hier jedesmal „heller rauschte“, Gerhard Hüsch kann sich nicht entscheiden und singt beim erstenmal richtig „frischer“, beim zweiten jedoch „heller“.

Lied 5 „Am Feierabend“: nach der Partie „jeder Knappe tut mir’s nach“ verlangsamt sich bei fast allen Interpreten das Tempo, bei Hüsch am stärksten, obwohl im Notentext kein Hinweis darauf zu finden ist, über Takt 59 steht lediglich etwas schneller. Einigermaßen im Tempo bleiben Trekel, Skovhus und Wunderlich-57.

Lied 9 „Des Müllers Blumen“: Die Klaviereinleitung wird auch von einigen wie Bohle und Gage als Nachspiel gebracht.

Lied 10 „Tränenregen“: Das Strophenlied beginnt mit einem viertaktigen Vorspiel und endet mit einem bis auf die Schlusskadenz identischen Nachspiel. Laut Notentext sollte vor der zweiten und dritten Strophe das Klaviervorspiel wiederholt werden. In der Praxis jedoch beginnen alle Interpreten die Strophen 2 und 3 ohne dieses Vorspiel, ausgenommen Fritz Wunderlich in seiner ersten Aufnahme und Thomas Quasthoff. Bei der Stelle „sie sprach: es kommt ein Regen“ hört man von H. Deutsch in der Aufnahme von Skovhus die einzelnen Tropfen.

Lied 12 „Pause“: T. 64 ff. „Ist es der Nachklang meiner Liebespein? Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?“ klingt fast wie ein Rezitativ, sollte jedoch nicht langsamer oder gedehnt vorgetragen werden.

Lied 13 „Mit dem grünen Lautenbande“: Das vorige Lied endet mit einem tiefen B-Dur-Akkord, dieses hier beginnt ebenfalls mit einem B-Dur-Akkord, nur eine Oktave höher. Lorenz und Stutzmann lassen diesen (abermaligen) Akkord weg, auch Fischer-Dieskau in seinen letzten beiden Aufnahmen, und der Pianist beginnt sogleich mit der Tonleiter. Durch diese Maßnahme werden beide Lieder aneinandergekoppelt.

Lied 16 „Die liebe Farbe“: Mit diesem Lied wird das Ende sprichwörtlich eingeläutet. Während aller drei Strophen hören wir das Totenglöckchen auf dem Ton fis.

Lied 17 „Die böse Farbe“: Hier erleben wir einen euphorischen aber auch höchst verängstigten Müllerburschen, die Stelle „O binde von der Stirn dir ab das grüne, grüne Band“ muss wie gehetzt gesungen werden, als wenn er sich verfolgt fühlte. Hier ist ein adäquates Zusammenspiel von Sänger und Pianist von besonderer Wichtigkeit. Nur wenige bieten hier eine wirklich überzeugende Leistung: Prégardien, Pears, Güra, Trekel, Kaufmann, Schreier-Schiff, Lorenz, Souzay, Fischer-Dieskau, außer in seiner letzten Aufnahme, Behle und Stutzmann.

Lied 18 „Trockene Blumen“: Das Ganze ist in der Art eines Trauermarsches erfunden, das Marschtempo muss hier durchgehalten werden. Sehr viele singen/spielen bei der Dur-Stelle „Und wenn sie wandelt am Hügel vorbei“ fälschlicherweise schneller, außer Fischer-Dieskau, Prey, Gerhaher, Bär, Jarnot, Wunderlich-57, Trekel, Lorenz, Stutzmann, Schreier-Olbertz, Haefliger-Dähler, Behle und Quasthoff.

Lied 19 „Der Müller und der Bach“: Das Lied beginnt in der Stimmung wie „Der Leiermann“ aus der Winterreise. Auch hier ist unbedingt das Tempo einzuhalten.

Lied 20 „Des Baches Wiegenlied“: Auch in diesem Lied klingt wieder das Totenglöckchen, nur viel langsamer. Im Klaviervorspiel hören wir im doppelten Bordoun in halben Noten viermal hintereinander gleichzeitig e-h, wenn der Sänger einsetzt, dasselbe noch einmal. Im Notentext sind die dritte und vierte Halbe mit einem Bindebogen verbunden, d. h. nur dreimal wird das e-h im Klavier angeschlagen. Gerald Moore bei Schiøtz, Werba, Parsons und Reimann negieren jedoch (überzeugend!) den Bindebogen und schlagen die Töne viermal an, daraus wird dann mit den folgenden vieren ein eindrucksvolles Totengeläut.

 

Männerstimmen – Tenor:

 

Christoph Prégardien

Andreas Staier

DHM      BMG

1991

59‘41

5

Hammerflügel nach J. Fritz, Wien um 1818

Werner Güra

Jan Schultz

HMF

1999

63‘04

5

 

Daniel Behle

Sveinung Bjelland

Capriccio

2009

57‘03

5

 

Peter Schreier

Konrad Ragossnig

Berlin Classics

1980

64‘29

5

mit Gitarrenbegleitung

 

 

Hans Peter Blochwitz

Cord Garben

DGG

1988

63‘02

4-5

 

Peter Schreier

Walter Olbertz

DGG

Berlin Classics

1971

61‘25

4-5

 

Peter Schreier

Andras Schiff

Decca

1989

62‘46

4-5

 

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

DGG

1965

64‘01

4-5

 

Axel Schiøtz

Gerald Moore

EMI

1945

60‘46

4-5

 

Ernst Haefliger

Erik Werba

Sony

P 1970

60‘59

4-5

 

Ernst Haefliger

Jörg-Ewald Dähler

Claves

1982

60‘09

4-5

Hammerflügel von Brodmann ~1820

Christoph Prégardien

Michael Gees

Challenge

2007

61‘41

4-5

 

Ian Bostridge

Graham Johnson

hyperion

1995

62‘33

4-5

Laufzeit ohne Rezitationen

Walther Ludwig

Michael Raucheisen

DGG

1951

65‘27

4-5

 

Julius Patzak

Walter Klien

Vox     Andromeda

1954

54‘34

4-5

 

Julius Patzak

Michael Raucheisen

Preiser

Membran

1943

62‘24

4-5

 

 

 

Franzisco Araiza

Irwin Gage

DGG

1984

67‘00

4

 

Josef Protschka

Helmut Deutsch

Capriccio

1986

66‘38

4

 

Fritz Wunderlich

Kurt Heinz Stolze

BMG   Sony

1957

65‘05

4

 

Fritz Wunderlich

Hubert Giesen

hänssler

1964

54‘11

4

SWR-Aufnahme

Walther Ludwig

Walter Bohle

Berlin Classics

1957

61‘10

4

 

Peter Pears

Benjamin Britten

Decca

P 1960

63‘14

4

 

 

 

Maximilian Schmitt

Gerold Huber

Oehms

2013

66'28

3-4

 

Rudolf Schock

Gerald Moore

Electrola     Relief

1958

65‘47

3-4

 

 

 

Jonas Kaufmann

Helmut Deutsch

Decca

2009

63‘06

3

 

 

 

Männerstimmen – Bariton:

 

Roman Trekel

Oliver Pohl

Oehms

2004

60‘02

4-5

 

Siegfried Lorenz

Norman Shetler

Berlin Classics

1987

68‘05

4-5

 

André Schuen

Daniel Heide

DGG

2020

70‘42

4-5

 

Matthias Goerne

Eric Schneider

Decca

2001

71‘31

4-5

 

Matthias Goerne

Christoph Eschenbach

HMF

P 2009

71‘02

4-5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gerhard Hüsch

Hans Udo Müller

EMI u.a.

1935

58‘39

4

 

Gerard Souzay

Dalton Baldwin

Philips

1964

63‘46

4

 

Hermann Prey

Leonard Hokanson

Philips      DGG

1971

61‘41

4

 

 

 

Dietrich Fischer-Dieskau

Jörg Demus

DGG

1968

60‘54

3-4

 

Dietrich Fischer-Dieskau

Gerald Moore

EMI

1961

59‘11

3-4

 

Dietrich Fischer-Dieskau

Gerald Moore

EMI

1951

65‘46

3-4

 

Dietrich Fischer-Dieskau

Gerald Moore

DGG

1971

62‘02

3-4

 

Benjamin Luxon

David Willison

Chandos

1988

62‘49

3-4

 

Christian Gerhaher

Gerold Huber

Sony

2003

65‘45

3-4

 

Olaf Bär

Jeoffrey Parsons

EMI

1986

65‘07

3-4

 

Bo Skovhus

Helmut Deutsch

Sony      newton

1997

59'25

3-4

 

Florian Boesch

Malcolm Martineau

Onyx

2013

62‘42

3-4

 

 

 

Konrad Jarnot

Alexander Schmalcz

Oehms

2008

68‘28

3

 

Thomas Quasthoff

Justus Zeyen

DGG

2005

61‘17

3

Bassbariton

 

 

Frauenstimmen – Mezzosopran/Alt:

 

Stutzmann

Inger Södergren

Calliope

2008

65‘52

4-5

 

Brigitte Fassbaender

Aribert Reimann

DGG

1993

61'49

4-5

Laufzeit ohne Rezitationen

 

 

 

Hinweise zu Sängern und Interpretationen:

 

Seit dem Tode von Fritz Wunderlich im Jahre 1966 gilt bei sehr vielen Musikfreunden die Interpretation seines im Vorjahr aufgenommenen Zyklus‘ „Die schöne Müllerin“ als die Referenzaufnahme des Werkes. Gelobt wird die glockenklare Stimme, die reife und überlegene Gestaltung der einzelnen Lieder, was alles zutrifft.    

Im Vergleich mit nahezu 30 anderen Aufnahmen ergibt sich bei mir folgendes Bild:

Wunderlichs Pluspunkt ist eindeutig seine einzigartige Stimme und wie sie der Sänger in den Dienst des jeweiligen Liedes stellt, ungekünstelt und mit großer Natürlichkeit, das nimmt den Hörer sogleich gefangen. Leider hinterlässt sein Vortrag vor allem bei langsamen Liedern und Strophenliedern (Wiederholung des fast Gleichen) den Eindruck einer leichten Eintönigkeit, da hätte ich mir ein fantasievolles Eingehen auf den Text gewünscht. Dasselbe gilt auch für seinen langjährigen Klavierpartner Hubert Giesen, der meist nur den Begleiter abgibt und dem Sänger den Vortritt lässt. Ein Jahr vor der Plattenaufnahme entstand für den Südfunk Stuttgart, heute SWR, eine Rundfunkproduktion, die der Verlag hännsler vorgelegt hat und der zum Vergleich einlädt. Wunderlichs Stimme gefällt mir hier besser, sie ist etwas „rauchig“ und klingt nicht so geglättet, war sie näher am Mikrofon? Beim Lied „Wohin?“ holt hier Giesen die Bassmelodie besser nach vorn als bei DGG, in dieser Aufnahme punktet Wunderlich beim Lied „Eifersucht und Stolz“ an der Stelle „da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster raus“, im übernächsten Lied „Die böse Farbe“ stößt Giesen bei der Stelle „Horch, wenn im Wald ein Jagdhorn schallt ...“ an seine pianistischen Grenzen. Berührend in der SWR-Produktion sind die Takte „ach unten, da unten...“ im vorletzten Lied, da wird der Tod zur Gewissheit. Als größtes Manko dieser Rundfunk-Aufnahme muss die Auslassung von sieben Strophen bei den Strophenliedern genannt werden, wovon das Booklet leider schweigt, das mindert eindeutig den Wert dieser CD. Inzwischen wieder auf dem (legalen) Markt ist Wunderlichs allererste Aufnahme aus dem Jahr 1957 (Aufnahme Ariola), hier begleitet Kurt Heinz Stolze den Sänger, diese Aufnahme des 27-Jährigen hat nach wie vor seine Berechtigung auf dem Plattenmarkt. Auch wenn sich der Sänger bei seinem Singen zu fast schülerhafter Genauigkeit anhält, bei Strophenliedern wenig Differenzierung und wenig Spontaneität spüren lässt, bezaubert doch seine wunderbar geformte klare Stimme mit der mühelos erreichten glockenhellen Höhe, das ist seitdem nie wieder so zu hören gewesen. Lied 1 wird noch etwas zögerlich und vorsichtig angegangen, Die „Ungeduld“ (7) gelingt sehr souverän, jedoch ohne Überschwang. Im Lied 12 nehmen die meisten Interpreten ab der Stelle „Warum ließ ich das Band auch hängen so lang?“ das Tempo mehr oder weniger zurück, nicht so Wunderlich, bei dem in dieser Aufnahme immer noch die Viertelschläge des Grundtempos mitschwingen. Wunderlichs Begleiter Kurt Heinz Stolze ist vom Klang her, wie lange üblich, etwas zurückgesetzt, er spielt sehr korrekt, kann aber keine bemerkenswerten Akzente setzen.

 

Ernst Haefliger war nicht nur auf der Opernbühne ein geschätzter Sänger, sondern auch als Evangelist sowie als Liedersänger weltweit bekannt. Seine runde, helle und klare Stimme passt sehr gut zu Schubert-Liedern, speziell hier zur „Schönen Müllerin“. Er singt den Zyklus schlicht, aber doch im Großen und Ganzen eindringlich und ist immer bemüht, in großen Bögen zu gestalten. Sein Begleiter Erik Werba liefert jedoch nur routiniert gekonntes Klavierspiel ab, ohne eigene Aussagen beizusteuern. Erfreulich dagegen der von Jörg Ewald Dähler zu verantwortende Klavierpart in der jüngeren Aufnahme. Dähler nutzt die Klangfarben des Hammerflügels jedoch nicht so stark wie Andreas Staier, auch gestalterisch reicht er an diesen nicht ganz heran. Haefliger und Dähler unterstützen sich jedoch gegenseitig und legen eine sehr gute Einspielung vor. Erwähnen möchte ich hier nur das letzte Lied „Gute Nacht“, das die beiden fast entmaterialisiert eingefangen haben, beeindruckend! Haefliger hat die „Müllerin“ ca.1958 auch für DGG eingespielt, am Flügel saß damals Jaqueline Bonneau, die auch als Begleiterin von Gerad Souzay bekannt geworden ist. Diese Aufnahme, die auf CD wahrscheinlich nie veröffentlicht wurde, stand mir leider nicht zur Verfügung.

 

Ein weiterer Tenor, der in seiner langen Karriere meistens in Oper bzw. Operette große Erfolge feiern konnte, war Rudolf Schock. Liedgesang war nicht sein ureigenes Territorium, und Liedaufnahmen rar gesät. Immerhin nahm er für Electrola die „Schöne Müllerin“ auf mit Gerald Moore am Flügel. Der Opernbetrieb ließ seine Stimme im Laufe der Jahre etwas fest und weniger wandlungsfähig werden. Die Höhe gelingt nicht immer ohne Stemmen, gut zu beobachten in „Ungeduld“: bei „Dein …“ nimmt Schock die Stimme zurück, um das Erkämpfen der Höhe zu verbergen. Ein geringerer Luftvorrat führt hier und da zum Nachatmen, fällt aber nicht so sehr auf. Das Timbre in der Mittellage und in der Tiefe wirkt sehr grau, uninteressant. Aber man begegnet immer wieder kultiviertem Singen, die Portamenti, denen man zuweilen begegnet, sollte man unter zeitbedingt abhaken. Nicht gefallen die leider sehr vielen Ritardandi, besonders in „Pause“, mit denen Schock bestimmte Textabschnitte unterstreichen möchte, aber auch am Ende von Strophen. Wenn man das immer wieder hört, wirkt dies maniriert. In „Die böse Farbe“ wird die Stimme etwas schwerer und kaum geschwind vorgetragen. Stimme und Flügel stehen in einem guten klanglichen Verhältnis. Gerald Moore auch hier zuverlässig.

 

Sehr bekannt und geachtet ist auch das englische Duo Peter Pears und Benjamin Britten, das neben der „Schönen Müllerin“ auch eine geschätzte Aufnahme der „Winterreise“ vorgelegt hat. Die Aufnahme der „Schönen Müllerin“ gefällt mir weniger, einmal aufgrund der oft unwirklich klingenden Singstimme, dann stört mich auch die mangelhafte deutsche Aussprache: Vokalverfärbungen, Auslassung des r bei Endungen, Aussprache des ch. Die langsamen Lieder des Zyklus hinterlassen bei mir einen besseren Eindruck als die schnellen und dramatischen. Im zweiten Lied ist der Klavierbass zu leise, schön: „O Bächlein meiner Liebe“ im 6. Lied, im 11. Lied „Mein“ wird die Stimme bei „die geliebte Müllerin“ instrumental, nicht vokal geführt, im vorletzten Lied steuert Britten, dessen Klavierspiel mich insgesamt gesehen hier nicht sonderlich überwältigt, ein ausdrucksvolles Klaviernachspiel bei. Trotz der genannten Mängel besitzt die Aufnahme doch ihren eigenen Charme.

 

Vom österreichischen Tenor Julius Patzak liegen mir zwei Einspielungen vor. Die älteste wurde vom Reichsrundfunk 1943 aufgenommen, am Flügel saß der damals meistbeschäftigte und als Liedkapazität anerkannte Michael Raucheisen. Die Aufnahme wurde von Preiser veröffentlicht, findet sich aber auch in der großen Lied-Retrospektive Raucheisens mit 66 CDs bei Membran-documents. Die zweite Aufnahme wurde, vermutlich in Österreich, in Zusammenarbeit mit dem damals noch jungen österreichischen Pianisten Walter Klien 1954 für Vox erstellt. Dem Sänger wird oft vorgeworfen, dass bei seinem Singen immer wieder sein Wiener Tonfall störend hervortrete. Was scheinbar als Manko gilt, kann sich bei der „Müllerin“ als Vorteil erweisen, Schubert war doch auch Wiener und die Lieder wurden in seinem Wiener Freundeskreis nicht, wie wir es heute erwarten, im lupenreinen Hochdeutsch gesungen! Bei Raucheisen ist Patzaks Stimme (hier nicht mehr ein junger Müllerbursche) mehr nach vorn geholt und das Klavier etwas zurückgesetzt, es klingt auch etwas stumpf. Raucheisen liefert nicht viel mehr als eine dienende Klavierbegleitung ab, das Rauschen des Bächleins im 2. Lied gehört zu den besseren Momenten. Im 5. Lied wird die Stelle „und der Meister spricht zu allen“ von Patzak auffallend deklamatorisch vorgetragen, Lied 11 ist etwas zu langsam, sehr gut gelungen die Stelle „und es durchschauert mich“ in Lied 12 sowie „da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster raus“ in Lied 15. Der Pianist Walter Klien in Patzaks zweiter Aufnahme sieht sich von Schuberts Klaviersatz gefordert, er steuert ein profiliertes Klavierspiel bei, was sehr viel zum positiven Eindruck dieser Einspielung beiträgt. Gleich im ersten Lied geht er ganz zur Sache und verbietet ein unbeschwertes Dahinschlendern längs des Baches. Beim Sänger sind die 11 Jahre an seiner Stimme seit der ersten Aufnahme nicht spurlos vorübergegangen, sie ist immer noch sehr modulationsfähig, klingt aber schon ein wenig schütter, und auch die Höhe kommt nicht mehr so sicher, siehe „Dein ist mein Herz“. Trotzdem gefällt mir diese Aufnahme etwas mehr, da interessanter und glaubhafter.

 

Noch lange Zeit nach dem 2. Weltkrieg galt, nicht nur in Deutschland, die Aufnahme von Axel Schiøtz und Gerald Moore als die am besten gelungene, das ist nachzuvollziehen. Der dänische Tenor verfügt über eine baritonal gefärbte Stimme voller Wohlklang, was sich gerade auch bei den tiefer liegenden Liedern als Vorteil erweist. Schiøtz geht den Liedtexten auf den Grund und bietet eine mehr als üblich erfüllte Textauslegung. Gerald Moore gefällt mir hier besser als in späteren Aufnahmen, er spielt stellenweise expressiver und man spürt das aufmerksame Miteinander.

 

Peter Schreier hat die „Müllerin“ oft im Konzertsaal gesungen mit verschiedenen Partnern am Flügel. Mindestens vier Einspielungen sind bekannt, von denen ich drei hier vorstelle. Die älteste wurde mit dem Pianisten Walter Olbertz für VEB Deutsche Schallplatten in Co-Produktion mit der DGG aufgenommen, heute im Vertrieb von Berlin Classics. Beim Hören erleben wir ein sehr kultiviertes, ausgeglichenes Singen, bestes Legato, darin Fritz Wunderlich überlegen, jedoch mit wenig Metall in der Stimme, gewiss ein Relikt seiner Ausbildung im Dresdner Kreuzchor. Schreier geht immer auf den Text ein und setzt die breite Klangfarbenpalette seines Organs vorteilhaft um. Lied 11 T. 40: das vierte „Mein“ ist bei ihm nicht der Abschluss der Zeile, sondern zeugt von Gewissheit, dass die Müllerin nun tatsächlich sein ist. Rein gesangstechnisch liegt hier eine der besten Aufnahmen vor, leider scheint hier und da doch die Absicht durch. Beim Lied 17 klingt die Schlüsselstelle „O binde von der Stirn dir ab das grüne grüne Band“ zu kultiviert. Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten nimmt man Wunderlich den Müllerburschen eher ab.

Etwa 20 Jahre später traf sich Peter Schreier mit dem ungarischen Pianisten Andras Schiff im Studio, um erneut eine Aufnahme des Liederzyklus‘ zu erstellen. Hier hat die Stimme zeitbedingt ein wenig an Körper eingebüßt, spricht jedoch in der Höhe noch mühelos an. Einige Lieder werden jetzt etwas langsamer gesungen. Schiff befreit den Klavierpart aus der reinen Begleitfunktion und setzt etliche deutliche Akzente, nirgends sonst hört man eine solch profilierte Klavierstimme im Lied 3 „Halt“. Warum gleich im ersten Lied die letzte Strophe „O Wandern, Wandern meine Lust“ verzögert angegangen wird, wird mir nicht recht klar. Lied 12 wird viel langsamer als vorher, viel nachdenklicher gesungen. Fast ohne Pause geht es nach Lied 14 sofort weiter, was gut zur Dramaturgie des Zyklus‘ passt. Lied 19 klingt als definitives Abschiedslied, danach ist ein sehr langsames Tempo bei „Des Baches Wiegenlied“ nicht mehr angezeigt. Außer diesen beiden beschriebenen Einspielungen steht eine weitere CD mit Schreier zur Wahl, es handelt sich um eine wirkliche Alternative, da der Klavierpart von einer Gitarre übernommen wird, die der Wiener Gitarrist und Lautenist Konrad Ragossnig in Zusammenarbeit mit John A. Duarte erstellt hat, Ragossnig spielt auch hier erfolgreich seinen Part. Bei Verwendung dieses Instruments muss das Verhältnis von Stimme und Instrument neu definiert werden. Schreier gestaltet sehr intensiv den Text, mehr als bei den Klavierzyklen, das Ganze klingt privater, zurückgenommen, allerdings kann der Sänger hier und da eine Portion Selbstmitleid in der Stimme nicht verbergen. In Lied 3 kommt die Gitarre ausdrucksmäßig an ihre Grenzen, Schreier versucht jedoch dieses Manko stimmlich wettzumachen. Als Alternative zu herkömmlichen Aufnahmen ist mir diese CD sehr sympathisch.

 

Christoph Prégardien hat bisher zwei hervorragende Aufnahmen von Schuberts erstem Liederzyklus eingespielt, die älteste Aufnahme mit Andreas Staier ist eine Spitzenaufnahme, wobei der Pianist am Hammerflügel auch seinen Gutteil dazu beigetragen hat. In der zweiten Aufnahme, die 16 Jahre später entstand, wird der Sänger von seinem langjährigen herausragenden Begleiter Michael Gees unterstützt. Prégardiens Stimme ist hier breiter, ausladender, dunkler gefärbt und nicht mehr ganz so beweglich wie vorher. Auch die Höhe kommt nicht mehr ganz so mühelos. Beim Vergleich von Lied zu Lied ist die erste Aufnahme darstellerisch und technisch noch souveräner ausgefallen, das Lied „Ungeduld“ klingt hier noch überzeugender, ebenfalls „Dein ist mein Herz ...“. Der Klavierklang bei Staier ist offener, die hier oft so wichtigen Bassmelodien werden besser gezeichnet als beim „normalen“ Flügel von Gees, der mir etwas kompakt aufgenommen scheint. Was diese zweite Aufnahme jedoch interessant macht, sind die vielen, noch nie gehörten, Verzierungen, mit denen Prégardien einzelne Liedmelodien ausschmückt und die Gees (teilweise) übernimmt. Im Beiheft dieser CD erklärt der ausgewiesene Schubert-Forscher Walter Dürr in einem Essay den historischen Hintergrund. Schuberts langjähriger Freund, der Sänger Johann Michael Vogl, wurde nach dem Tod des Komponisten vom Verleger Anton Diabelli beauftragt, eine Neuausgabe des Liederzyklus‘ vorzubereiten. Dabei fügte er u.a. auch nach damaligem Usus der Singstimme Verzierungen bei. Diese wurden in späteren Neuausgaben jedoch wieder getilgt. Prégardien greift auf diese Tradition aus der Schubert-Zeit zurück, folgt jedoch nicht Vogls Vorschlägen, sondern setzt Ornamente nach eigenem Gusto ein. Der Hörer muss sich erst an diese neuartige Ausführung gewöhnen, ich denke jedoch, dass der Sänger hier geschmackvoll zu Werke gegangen ist.

 

Josef Protschkas Aufnahme der „Schönen Müllerin“ gilt seit ihrem Erscheinen bei vielen Liedfreunden als eine der gelungensten Aufnahmen. Sie loben seine schöne bewegliche Tenorstimme, die keine Höhenprobleme kennt und mit schlanker Stimmführung die Lieder dem Hörer nahebringt. Im Ausdruck bleibt die Stimme jedoch meist eher neutral, Protschka bemüht sich um Nachgestaltung des Textes, z.B. im „Morgengruß“ bei „bückt und weint“, oder im „Tränenregen“ bei „Geselle, Geselle mir nach“.  Kaum wird ein Lied jedoch zum Ereignis, das gelungendste ist für mich „Trockene Blumen“, einige Lieder würden m.E. bei schnellerem Vortrag gewinnen. Helmut Deutsch bleibt auf der durch den Sänger vorgezeichneten Linie, ohne eigene Akzente zu setzen.

 

Werner Güra hat in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Liedaufnahmen auf den Plattenmarkt gebracht, u.a. auch „Die schöne Müllerin“, er wird hellwach begleitet von Jan Schultz. Güra verfügt über eine helle schlanke Tenorstimme mit Metall, die er wohldosiert einsetzt. Sehr schön gestaltet, wie improvisiert, der Übergang von Lied 12 zu Lied 13. Im folgenden Lied „Der Jäger“ kommt am Schluss der ganze Ärger des Müllerburschen über seinen Konkurrenten bestens heraus, Lied 19 endet mit einem ausdrucksvollen Nachspiel des Klaviers. Das Lied „Mein“ wird m. E. etwas zu langsam angegangen, dadurch wird die Gewissheit „mein“ nicht ganz glaubhaft vermittelt. Der Hörvergleich Lied 8 „Morgengruß“ von Güra und Wunderlich zeigt folgendes: Güra versucht von Strophe zu Strophe dem unterschiedlichen Text gerecht zu werden, mit Erfolg, Wunderlich singt da einheitlicher, ohne den genauen Blick auf’s textliche Detail, also weniger interessant. Wunderlichs Stimme verfügt jedoch über mehr Kern als die von Güra und auch Prégardien.

 

Die Aufnahme der „schönen Müllerin“ mit dem Tenor Hans Peter Blochwitz war leider nicht lange im Katalog. Im Gegensatz zu den meisten Sängerinnen und Sängern breitet er nicht schon bald nach Beginn den lastenden Schleier der Schwermut über die Müller-Lieder, eine Wendung spüre ich erst beim Lied 16 „Die liebe Farbe“, übrigens auch im Tempo. Blochwitz‘ schlanke Stimme bleibt immer locker und strahlt Optimismus aus, auch wenn einige Textstellen etwas anderes andeuten. Insgesamt bevorzugt er rasche Tempi, im Lied 5 ab T. 59 wird es sehr geschwind. Manche Achtelbewegungen in Lied 11, z. B. „eure Melodein“ oder „Reim allein“, klingen darob etwas flüchtig. Sehr eindringlich das letzte Lied. In Zusammenarbeit mit dem aufmerksamen Cord Garben am Flügel ist hier ein Zyklus entstanden, der, wie ich meine, Schuberts Vorstellungen ganz nahe kommt.

 

Den Namen eines weiteren deutschen Tenors sollte man sich unbedingt merken, auch wenn er hierzulande noch nicht über die ihm gebührende Resonanz verfügt: Daniel Behle, der mit seinem norwegischen Klavierpartner Sveinung Bjelland eine Spitzenaufnahme der Müller-Lieder vorgelegt hat. Behle verfügt über eine jugendlich sympathische, schlank geführte, nicht so ausladende und völlig unangestrengt klingende Stimme, es ist eine Wonne, ihm zuzuhören. Vorbildlich die Partnerschaft mit Bjelland, dessen ausdrucksvolles, gewandtes, hellwaches Klavierspiel überzeugt, z.B. im Lied „Danksagung an den Bach“. Hier betont der Pianist in der Oberstimme etwas die von Takt zu Takt wiederkehrenden Töne h-d....h-c-d....h-d....h-c-d usf. und schafft so einen Kontrapunkt zur Liedmelodie. Behle singt glaubhaft den Abschied von Lied 17 „zum Abschied deine Hand“, im folgenden Trauermarsch am Anfang von „Trockene Blumen“ spürt man sofort, dass es keine Hoffnung mehr gibt, Behle nimmt hier seine Stimme ganz zurück, sie klingt fast unwirklich, danach bei „und wenn sie dann wandelt ...“ wird die Stimme wieder runder und voller, großartig!

 

Die Aufnahme der „Schönen Müllerin“ mit dem britischen Tenor Ian Bostridge stand ziemlich am Anfang seiner Plattenkarriere und überzeugt mich mehr als seine späteren CDs mit Liedern, überwiegend bei EMI erschienen. Bei den ersten Liedern klingt sein Gesang etwas eintönig, weniger abwechselnd, er wandelt sich aber zu einer überzeugenden Ausdeutung des Textes, dem man seine Sympathie nicht entziehen kann. Seine Stimme klingt schlank, hell, rund, immer locker und verfügt über einen guten Registerausgleich. Auch ist ihr eine gute Textverständlichkeit zu eigen, idiomatischer als in späteren Produktionen. Das zweite Plus der CD ist der Pianist Graham Johnson, der sein Klavierspiel dem Text unterordnet, der Hörer achte z. B. auf das Murmeln des Baches in Lied 2 oder Lied 17.

 

Der bekannte deutsche Tenor Jonas Kaufmann hat inzwischen auch eine Aufnahme der „Schönen Müllerin“ vorgelegt, sie wurde live mitgeschnitten. Kaufmann bemüht sich meist erfolgreich um die Ausgestaltung der Texte (Strophenlieder). Anfangs möchte man ihm den jungen Müllerburschen nicht so ganz abnehmen, er singt eher wie ein Gutsherr, im weiteren Verlauf des Liederzyklus‘ gewöhnt man sich jedoch an diese Stimme, die für einen Lied-Sänger recht schwer anspringt. Beim Vergleich lassen sich gravierende Mängel nicht überhören: Im Startlied „Das Wandern“ kommen die Sechzehntel bei „Müller sein“ und „Wandern ein“ recht ungenau, wie gehudelt, ebenso in Lied 11 „Schalle heut“. Beim Lied „Am Feierabend“ setzt Kaufmann seine mächtige Stimme wie auf der Opernbühne ein, sehr auf Effekte aus, auch in Lied 6 forciert er die Stelle „liebt sie mich“ zu sehr. Beim beliebten Lied „Ungeduld“ gelingt es seiner Stimme an der Stelle „Dein ist mein Herz“ erst beim dritten Anlauf sich frei zu singen, der Abgesang „bleiben“ ist stimmlich nicht mehr unter Kontrolle. Im Lied 13 gelingt dem Sänger ein passabler Beginn, die Fortsetzung „So sprachst du Liebchen“ wird jedoch völlig unsensibel aufgemotzt. Ich könnte noch weiter beckmessern, höre jedoch hier auf. Kaufmanns Stimme wird zu großformatig in diesen intimen Liedern eingesetzt, der Sänger kann sich nicht entscheiden zwischen Opernbühne und Liedvortrag. Nach dieser Begegnung kann ich nur schreiben: als Siegmund ist er mir willkommen, jedoch nicht als Müllerbursche.

 

Vom heute nur noch wenigen Musikfreunden bekannten Tenor Walther Ludwig sind zwei Studio-Aufnahmen von der „Schönen Müllerin“ erhalten geblieben. 1951 spielte er sie mit dem Altmeister der Klavierbegleitung, Michael Raucheisen, für die Deutsche Grammophon Gesellschaft ein, sechs Jahre später mit Walter Bohle für Eterna. Natürliches Singen zeichnet Ludwigs helle Tenorstimme aus, die sehr beweglich geführt wird. Etliche zeitbedingte Portamenti sollten die heutigen Hörer nicht stören. In der späteren Aufnahme begegnen wir einem älteren Müllerburschen, die Stimme spricht zwar voll an, ist jedoch nicht mehr ganz so frisch wie früher. Beim Hören fällt auf, dass der Sänger mit seinen jeweiligen Partnern jedes Lied individuell ausdeutet, mehr als man es bei den meisten anderen beobachten kann. Raucheisen ist Ludwig dabei ein aufmerksamerer Partner als Bohle, der sich mehr unterordnet. Bei Raucheisen murmelt im 2. Lied der Bach und im Folgenden ist das „Rädergebraus“ nicht zu überhören. Im Lied „Pause“ gibt Raucheisen ein schnelleres Tempo vor, das von Ludwig dann doch „überhört“ wird, das klingt bei Bohle stimmiger. Dem Geschmack der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist sicher der übertriebene Vortrag am Ende des Liedes „Ungeduld“ geschuldet: „Dein ist mein Herz.“ Auch das immer parate Rubato geht in diese Richtung. Gut getroffen in beiden Aufnahmen die Stelle „mit langem Halse“ im Lied Nr.15, oder Nr.17 „schadenfroh“. Im Lied „Trockene Blumen“ hat man den Eindruck, als spräche Ludwig mit den Blumen, zumindest in der 1. Strophe (nur 1951). Beim letzten Lied lässt Ludwig 1957 die Strophen 2 und 4 aus, 1951 wählt er dem Text entsprechend in jeder Strophe ein anderes Tempo.

 

Der spanische Tenor Francisco Araiza besitzen wir eine im Großen und Ganzen gelungene Aufnahme der Müller-Lieder. Einen großen Anteil daran hat auch Irwin Gage mit seiner phantasievollen Ausgestaltung des Klavierparts. Araizas Aussprache ist ziemlich akzentfrei, er lässt sich auf die Textvorlagen ein und greift Möglichkeiten zur Differenzierung auf. Bei lauterem Singen verliert die Stimme (Metall) einiges von ihrer Modulationsfähigkeit, im f wird bei hohen Tönen auch mal gestemmt. Übertreibungen, wie z. B. bei „Dein ist mein Herz“, geht er jedoch aus dem Wege. In diesen Liedern wird dann auch etwas unbekümmert und mit mehr Vibrato gesungen. Ruhigere Lieder wie z. B. Nr.8 und 10 gelingen viel überzeugender.

 

Eine der jüngsten Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ hat Maximilian Schmitt eingespielt, am Klavier begleitet von Gerold Huber. Der Vortrag ist leider wenig abwechslungsreich. Schmitt steht dem Text etwas distanziert gegenüber, das führt zur Eintönigkeit, da keine rechte Stellung bezogen wird. Er bemüht sich die Worte immer deutlich zu singen, darüber vergisst er zu sehr die große Linie, alles klingt zu sehr kontrolliert. Lied Nr. 2 ist insgesamt zu schwer, Nr. 9 zu gekünstelt, kein fließendes Singen. Beim Lied 11 wird die Stelle „Die geliebte Müllerin ist mein“ nur gesungen, nicht glaubhaft vermittelt. Tiefe Endnoten einer Melodie klingen mit zu viel Vibrato, wie ein leichtes Erbeben, nicht ruhig strömend. Die letzten Lieder des Zyklus überzeugen am meisten.

 

Über eine angenehme Stimme, die in allen Lagen gut anspricht, verfügt der junge André Schuen, der hier eine respektable Leistung abliefert. Als Hörer ist man Zeuge eines kultivierten Singens, der Sänger scheint genau zu prüfen, mit welchen Mitteln er seine Stimme an einer bestimmten Stelle einsetzen muss. Vielleicht ist dies der Grund, warum für etliche Lieder ein eher langsames Tempo gewählt wird, wie z. B: Lied 6, da nimmt der Sänger auch seine Stimme sehr zurück, das aber überzeugt! Bei schnelleren Liedern dagegen werden „längere“ Noten (Viertel, punktierte Viertel) hier und da verkürzt gesungen. Mit dem Pianisten Daniel Heide verbindet Schuen eine gute Partnerschaft.

 

Kommen wir nun zu den Bariton-Stimmen. „Die schöne Müllerin“ wurde für Tenorstimme mit Klavierbegleitung komponiert. Es ist den Bariton-Sängern nicht zu verdenken, wenn sie sich für diesen wunderbaren Liederzyklus einsetzen, aber das Resultat ist auch problematisch, da Schubert die Klavierbegleitung ziemlich tief gelegt hat, in den Liedern 1, 4 und teilweise 3 und 12 ist auch die rechte Hand bereits im Bassschlüssel notiert. Durch die für die tieferen Stimmen nötige Transponierung nach unten wird der Klang zusätzlich dunkler und auch etwas stumpf.

 

Eine der ältesten Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ entstand im Jahre 1935 mit Gerhard Hüsch und dem Pianisten Hanns Udo Müller für Electrola, von beiden gibt es auch eine Aufnahme der „Winterreise“. Seine Stimme liegt etwas hinten und ist für den Müllerburschen ein wenig zu dunkel. Mit dem Liedgeschehen wandelt sich sein Vortragsstil: anfangs leicht und locker, in den letzten Liedern, in denen von Abschied und Tod gesungen wird, schwerfälliger und nachdrücklicher, mit Mitleid in der Stimme (Nr.19 „Ach unten, da unten“). Die Klavierbeleitung im 4. Lied ist so wie bei Behle-Bjelland erwähnt, im letzten Lied beschränkt man sich auf die Strophen 1, 3 und 5.

 

Hermann Prey wird von vielen aufgrund seines Ausflugs in leichtere musikalische Gefilde nicht als ernstzunehmender Interpret im klassisch-romantischen Liedrepertoire anerkannt. Seine leicht rauchige und teils tränenrührige Stimme, die er auch hier nicht immer verleugnen kann (z. B. Nr. 7 „Dein ist mein Herz, ... ewig, ewig bleiben“), wird als zu vordergründig chargierend abgewiesen. Die CD zeigt aber auch den großen Einsatz des Sängers, man spürt, dass hier eine Identifikation mit dem Müllerburschen vorliegt, man glaubt ihm, was er singt, die Verunsicherung, die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit hin zum Tod. Es ist keine erstklassige Interpretation, aber eine ungekünstelt ehrliche, das sollte man anerkennen.

 

Christian Gerhaher verfügt über eine helle Baritonstimme, die er sehr diszipliniert einsetzt. Er bemüht sich, meist große Phrasen, der Textvorlage angepasst, zu singen. Auffallend ein sehr guter Registerausgleich und wenn angezeigt, wird immer legato gesungen. Sein Vortrag des Liederzyklus‘ bleibt im Ganzen jedoch objektiv, zu objektiv, auf Dauer wird dies langweilig, die Spannung fällt. Gerold Hubers Klavierbegleitung ist gepflegt, aber nicht mehr.

 

Problematisch die CD mit Konrad Jarnot und dem Pianisten Alexander Schmalcz. Man lauscht einem gewichtigen Vortrag, teilweise langsamer als gewöhnlich, insgesamt gesehen ein viel zu deklamatorisches Singen, zu betulich. Hier wird schnell klar, warum die Müllerin den Jägerburschen vorzieht. Belegstellen: Lied 4: hier werden einzelne Worte besonders herausgehoben „dein Singen, dein Klingen“, oder ihm eine Bedeutung zugestellt, die eigentlich nicht gemeint war, Lied 7 und 11: angestrengte Höhe, Vokalverfärbung bei „Dein“, Lied 8: sehr gedehnt, Lied 12: noch mehr, Lied 19: gekünstelt vorgetragen, Lied 20: total verschleppt.

 

Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer entstanden in der Dresdner Lukaskirche für das ostdeutsche Label VEB Deutsche Schallplatten im Abstand von nur einem Jahr zwei Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ mit erstklassigen ostdeutschen Sängern: 1986 ging Olaf Bär mit Geoffrey Parsons ins Studio, ein Jahr später folgten Siegfried Lorenz mit Norman Shetler am Flügel. Olaf Bär verfügt über eine geschmeidige jedoch wenig charakteristische Stimme mit geringem Wiedererkennungswert. Er singt schlicht und ziemlich natürlich, immer wieder erfreut man sich an seiner Legato-Kultur, echte Höhepunkte werden jedoch kaum gesetzt. Leider setzt Bär bei seinem Singen wenig Klangfarben ein, das macht seinen Vortrag nach einigen Liedern eintönig und gar langweilig, zusätzlich dann noch, wenn er langsame Tempi wählt, wie in den Liedern 8 bis 10. Geoffrey Parsons begleitet mehr routiniert. Siegfried Lorenz geht den Zyklus mit viel mehr Temperament an, mit schlank geführter Stimme, die meist legato geführt wird, charakterisiert er die einzelnen Lieder, eine ganze Palette von Klangfarben unterstützt sein Singen überzeugend und lässt die verschiedenen Ebenen der Dichtung-Komposition deutlich hervortreten, z. B. in Lied 15. Zu loben ist auch die sehr gute Partnerschaft mit dem Pianisten Norman Shetler. Lied 11 „Mein“ klingt leider etwas angestrengt, in Lied 14 bei der Stelle „treten und wühlen in dem Feld“ lässt der Klavierbass diesen Vorgang gegenwärtig werden.

 

Noch etwas besser gefällt mir die Interpretation von Roman Trekel und Oliver Pohl. Der Sänger befragt aufmerksam alle Textzeilen und passt seine Stimme mit viel Fantasie der jeweiligen Aussage an, wobei er beste Unterstützung seitens seines Begleiters erfährt. Hervorzuheben ist auch die gute Lautstärkedifferenzierung besonders auch im Piano-Bereich, viele Lieder oder Teile derselben werden in diesem Bereich vorgetragen. Lied 11 „Mein“ wird ziemlich schnell gesungen, was der Interpretation sehr gu tut, anrührend erklingt das vorletzte Lied „Der Müller und der Bach“.

Thomas Quasthoff (Bassbariton!) besitzt eine ausladende Stimme, die für viele Lieder einfach zu tief liegt, meist sind sie um eine Terz nach unten transponiert - und teilweise brüchig und zu mächtig klingt. Auch wenn er sich bemüht, den unterschiedlichen Aussagen des Textes gerecht zu werden, verbindet man diese Stimme kaum mit einem jugendlichen Liebhaber. Davon abgesehen leistet sich der Sänger etliche gesangstechnische Mängel. Quasthoff singt mit viel, oft zu viel Vibrato, besonders bei Tönen, die über eine Viertelnote hinaus gehen, z. B. bei Lied 6 „O Bächlein meiner Liebe“: die Tonproduktion ist nicht gleichmäßig, anfangs wird fast kein Vibrato eingesetzt, danach jedoch vermehrt, vgl. auch Lied 12 bei „Lieder“ T.68 f. und T.76 f. Viele Töne klingen zu hohl, da zu weit hinten produziert, z.B. Lied 19 „Wo ein treues Herze“, oder brüchig. In Lied 11 nimmt Zeyen sowohl Vorspiel als auch Nachspiel mit zu viel Pedal, beim Lied 12 klingt die Stelle „Meine Laute hab ich gehängt an die Wand“ viel zu gekünstelt. Da Quasthoff das Lied 14 zu langsam angeht, klingt es zu schwerfällig. Gleich zu Beginn von Lied 17 hört man bei „Ich möchte ziehen in die Welt hinaus“ die ganze Arbeit des Sängers an dieser Zeile noch mit, das Nachspiel leidet wieder unter zuviel Pedal des Pianisten.

 

 Auch der französische Bariton Gerad Souzay setzt oft Vibrato ein, es ist aber in den Gesamtklang der schönen und wohlklingenden Stimme bestens eingebettet. Auch wenn er sich um eine adäquate Textausdeutung bemüht, bleibt er bei vielen Liedern doch etwas indifferent, da seine Aussprache es ihm nicht immer erlaubt, mit kleinen Nuancen zu agieren, so bleiben immer unerfüllte Stellen stehen. Störend auch die Vokalverfärbungen, z. B. in Lied 7, bei „ewig“ hört man eine Mischung aus ä und ö, aber kein e, oder in Lied 19 bei „Liebe“, davon abgesehen ist das Lied anrührend gesungen. Besonders im dritten Lied muss man die plastische Klavierbegleitung von Dalton Baldwin hervorheben, man hört im Klavierbass sich förmlich die Räder drehen. Schlicht vorgetragen schließt der Zyklus mit dem letzten Lied.

 

Dietrich Fischer-Dieskau darf natürlich in der Übersicht nicht fehlen. Insgesamt sind vier kommerzielle Aufnahmen überliefert, verteilt über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Zu meinen Lieblingen zählen sie nicht, dazu singt Fischer-Dieskau in allen Aufnahmen zu unstet, etwas darüber hinweg, oft zu theatralisch, im Vortrag manchmal zu spöttisch, zu abgehoben, so „als ob“, was m. E. überhaupt nicht zu den „Müller-Liedern“ passt. Da singt ein Städter, der sich in den Ferien aufs Land verirrt und sich in die schöne Müllerstochter verknallt hat. Ich erspare mir hier, auf die vielen kaum gelungenen Stellen hinzuweisen. Fischer-Dieskau verfügt über einen hellen, sehr beweglichen Bariton und muss erfreulicherweise nicht immer so tief transponieren wie andere Sänger seines Faches, z. B. trägt er das letzte Lied nicht in C-Dur, wie in der Bariton-Ausgabe vorgesehen, sondern in Cis-Dur vor. An die Spitze stelle ich (persönlich) die Aufnahme, die seinerzeit überhaupt nicht veröffentlicht wurde, am Klavier sein langjähriger Begleiter Jörg Demus. Erst bei der Planung der Fischer-Dieskau-Edition der DGG im Jahre 2000 erinnerte man sich ihrer und so erblickte sie zwölf Jahre später (für kurze Zeit) das Licht der Welt. Diese Aufnahme besitzt die beste Klang-Präsenz, was den Sänger als auch den Pianisten betrifft, das Klavier ist hier plastischer aufgenommen als bei allen anderen Aufnahmen Gerald Moores, der wiederum klaviertechnisch die Nase vorn hat, jedoch nicht immer mit der nötigen Fantasie agiert.

 

Viele Freunde der „Schönen Müllerin“ werden sich nach dem Hören der CD mit Matthias Goerne fragen, ob so eine voluminöse und tiefe Baritonstimme, die zwar sehr gut geführt ist, jedoch eher nach einem Müller im fortgeschrittenen Alter klingt, dem Zyklus gerecht werden kann, das ist nicht von der Hand zu weisen. Trotz allem ist dem Sänger zusammen mit Eric Schneider am Flügel eine beeindruckende Interpretation gelungen. Wie sich die beiden auf Text und Musik einlassen und damit umgehen, ist schon äußerst hörenswert. Goerne und Schneider gelingen immer wieder facettenreiche Momente. Die langsamen Lieder oder Abschnitte werden oft langsamer gesungen als bei den meisten der anderen Interpretationen. Nr.13 „Mit dem grünen Lautenbande“ ist allerdings schneller als vorgesehen genommen, was dem Lied guttut. Insgesamt gesehen bevorzuge ich bei der „Schönen Müllerin“ auch Tenöre, aber warum sollte man eine tiefere Stimme vor vornherein in Frage stellen? Goerne und Schneider geben da beste Argumente. Inzwischen hat eine weitere Interpretation mit Goerne den Plattenmarkt erreicht, jetzt nimmt Christoph Eschenbach den Part am Flügel ein. Interpretatorisch hat sich jedoch kaum etwas geändert. Viele Lieder werden fast auf die Sekunde genau im selben Tempo vorgetragen. In Lied 5 „Am Feierabend“ ist ein Fehler in T. 22 bei „merkte“ zu vermelden, fällt aber kaum auf. Im folgenden Lied „Der Neugierige“ gelingt die 5. Strophe nicht ganz so innerlich wie früher. Im letzten Lied wird Goerne von Strophe zu Strophe langsamer, aber das hörte man schon auf der ersten CD.

 

Für den österreichischen Bariton Florian Boesch ist Wilhelm Müllers Text nur eine Vorlage, die es mit Leben auszufüllen gilt. Boesch bringt sich selbst als Müllerburschen ein und als Zuhörer spürt man stellenweise eine etwas übertriebene Nähe zum Text, die hier und da als affektiert empfunden werden kann, z. B. Lied 2. Immer wieder hört man auch kleine Tempoverschiebungen. Lied 9 wird in Abschnitten gesungen, man vermisst die Linie. In Lied 12 setzt Boesch vor T. 56 eine lange Pause. Beim Pianisten Martineau fällt zu Beginn von Lied 5 die unterschiedliche Artikulation der jeweils drei Achtelakkorde auf, die in der zweiten Strophe jedoch gleichmäßig erklingen, wie es der Notentext vorsieht. Von Fantasie zeugen die Gestaltung der Vor- oder Nachspiele in einigen Liedern, die nicht immer nach dem gleichen Muster abgeliefert werden. Anderseits stößt man auch auf Routine.

 

Der englische Bariton Benjamin Luxon verfügt über eine angenehm schlanke Stimme. In den schnelleren Liedern scheint er sich wohler zu fühlen als in den langsameren, das Depressive streifenden Gesängen, dort setzt er bei langen Noten nach meinem Empfinden zu viel Vibrato ein. Er bringt eine gut verständliche Aussprache ein, trotzdem man merkt sofort, dass hier kein deutscher Sänger am Werk ist. Im angelsächsischen Sprachraum wird man seine Darbietung sicher höher einordnen. Am Flügel sitzt hier David Willison, der über eine gute Non-Legato-Technik verfügt, in vielen schnellen Liedern klingt sein Instrument regelrecht perkussiv und erinnert etwas an alte Hammerflügel. Sowohl Luxon als Willison musizieren auf einer Linie. Lied 16 wird sehr langsam vorgetragen und in Nr. 20 „Des Baches Wiegenlied“ klingt am Ende die Musik wie erstarrt.

Neu in meiner Sammlung ist eine Aufnahme vom dänischen Bariton Bo Skovhus mit Helmut Deutsch am Flügel. Die hellklingende Baritonstimme von Skovhus scheint mir hier etwas grau ausgefallen zu sein, da sie insgesamt wenig Farben freigibt und auch nicht sonderlich modulationsfähig scheint. Stimmverfärbungen in der Höhe und bei lauten Stellen sind keine Seltenheit. Die geschwinden Lieder geht der Bariton energisch an, er hält sich auch an Schuberts Tempowünsche und vermeidet unbegründete Ritardandi. Manche Lieder klingen etwas unbekümmert. Oft stehen in seinem Vortrag 2 oder 3 Noten ungebunden nebeneinander; anstatt dass diese mit der folgenden zu verbinden, baut Skovhus eine Minipause ein oder gibt dem folgenden Konsonanten mehr Raum als eigentlich vorgesehen.

 

 

Fast eine Kuriosität ist die Einspielung der „Schönen Müllerin“ mit der französischen Altistin Nathalie Stutzmann und ihrer Begleiterin Inger Södergren. Als Hörer fragt man sich, ob dies bei diesen ausgesprochenen Männerliedern zu einem befriedigenden Ergebnis führen kann. Ja! Anfangs ist man ob des Klanges irritiert, man gewöhnt sich jedoch schnell daran. Stutzmann geht sehr sorgfältig an die verschiedenen Strophen des Textes heran und bemüht sich meist erfolgreich, dem Text gerecht zu werden. Hier einige Belegbeispiele: Lied 6 „O Bächlein meiner Liebe .... stumm“: der Hörer spürt die ganze Enttäuschung, kurzdarauf: „O Bächlein meiner Liebe .... wunderlich“: hier gelingt es der Sängerin, ihrer Stimme magische Klänge zu entlocken. In Lied 10 wird die Stimmung der 3. Strophe „Und in dem Bach versunken der ganze Himmel schien“ schön nachempfunden. Lied 16 wird sehr langsam und ohne Vibrato, das macht hier Sinn, Lied 19 trotz des langsamen Tempos sehr eindringlich und immer gespannt gesungen. Hinweisen möchte ich noch auf einen Fehler – oder war es Absicht? – in der Klavierbegleitung: in Takt 3 wird die letzte Viertel verzögert gespielt, dasselbe auch im Nachspiel, ich kann darin keinen Sinn erkennen. Alle Lieder sind in der Regel um eine Terz nach unten transponiert. Fünfzehn Jahre zuvor hat Brigitte Fassbaender den Zyklus mit Aribert Reimann am Flügel aufgenommen, jetzt ist die CD auch in meiner Sammlung angekommen. Fassbaender bringt dem Zyklus viel Empathie entgegen und holt ihn aus der privaten Sphäre und stellt ihn in den Konzertsaal, Fassbaenders Herkunft von der Bühne ist nicht zu überhören, dabei wird sie bestens unterstützt vom Komponisten Aribert Reimann am Flügel, der als Begleiter über die meisten aus der Zunft seiner Kolleginnen und Kollegen herausragt und einen wesentlichen Anteil am positiven Gesamteindruck beisteuert. Mir gefällt u.a. auch die Prägnanz seines Klavierspiels. Die Sängerin ist bemüht, ihren Gesang immer dem Text anzupassen, z. B. in Lied 2: „Was sag ich denn vom Rauschen?“ (da spricht sie mit sich selbst) wird unmerklich aber trotzdem deutlich als Frage von der folgenden Antwort (für das Publikum) abgesetzt: „das kann kein Rauschen sein“. Es ließen sich jetzt noch eine ganze Anzahl ähnlicher Stellen nachschieben. Neben diesen positiv-Posten soll das weniger gelungene nicht unter den Tisch fallen: Fassbaenders Stimme klingt durchgehend ein wenig verhallt, ob dies Absicht war oder vom Aufnahmeraum herrührt, lässt sich kaum mehr sagen. Auch fallen einige Tonverfärbungen beim Konsonanten i in hoher Lage und bei lautem Singen auf. Hier und da klingt ihre Stimme bei besonders emotional besetzten Stellen, wie z. B. „Dein ist mein Herz“, doch recht divenhaft. Trotz allem liegt hier eine gültige Aufnahme einer Frauenstimme vor.

 

eingestellt am 14. 08. 2011

zuletzt ergänzt am 09. 12. 2022

 

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