Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Franz Schubert
Die schöne Müllerin op. 25 D.
795
Von den 23
Liedern, die der Schriftsteller Wilhelm Müller unter dem Titel „Die schöne Müllerin“
veröffentlichte, hat Franz Schubert drei nicht komponiert. Vorangestellt wurde
ein Prolog, an den Schluss ein Epilog gesetzt. Auf der EMI-CD Fischer-Dieskaus
von 1961 sind beide (von FD gesprochen) erhalten. Bei Brigitte Fassbaender werden zusätzlich noch die drei nicht vertonten
Texte von ihr gesprochen. Auch so verfährt Ian Bostridge,
hier werden Prolog und Epilog, sowie vier nicht komponierte Texte von
Fischer-Dieskau gesprochen. Interessant Müllers Titulierung des Zyklus als
Melodram, darauf wurde bis heute selten oder nie hingewiesen.
Hinweise zu
einzelnen Liedern:
Lied 1 „Das
Wandern“: In Takt 13 singen etliche Interpreten „hat nicht Rast...“ anstelle
von: „hat nicht Ruh...“, Hüsch singt in der 4. Strophe T.14 „mit den muntern Reihn...“ statt „mit den muntren Reihn“.
Lied 2
„Wohin?“: Hier sollte der Pianist auch Augenmerk auf die Begleitung seiner
linken Hand werfen und nicht nur das Rauschen und Plätschern des Wassers
nachahmen, sehr gut gelöst von Reimann. In T. 27/28 bzw. T. 31/32 steht
„frischer rauschte,“ B. Fassbaender, Olaf Bär, J. Protschka, B. Skovhus sowie Peter Schreier (bei Ragossnig) singen hier jedesmal
„heller rauschte“, Gerhard Hüsch kann sich nicht entscheiden und singt beim erstenmal richtig „frischer“, beim zweiten jedoch „heller“.
Lied 5 „Am
Feierabend“: nach der Partie „jeder Knappe tut mir’s
nach“ verlangsamt sich bei fast allen Interpreten das Tempo, bei Hüsch am
stärksten, obwohl im Notentext kein Hinweis darauf zu finden ist, über Takt 59
steht lediglich etwas schneller.
Einigermaßen im Tempo bleiben Trekel, Skovhus und
Wunderlich-57.
Lied 9 „Des
Müllers Blumen“: Die Klaviereinleitung wird auch von einigen wie Bohle und Gage
als Nachspiel gebracht.
Lied 10
„Tränenregen“: Das Strophenlied beginnt mit einem viertaktigen Vorspiel und
endet mit einem bis auf die Schlusskadenz identischen Nachspiel. Laut Notentext
sollte vor der zweiten und dritten Strophe das Klaviervorspiel wiederholt
werden. In der Praxis jedoch beginnen alle Interpreten die Strophen 2 und 3
ohne dieses Vorspiel, ausgenommen Fritz Wunderlich in seiner ersten Aufnahme
und Thomas Quasthoff. Bei der Stelle „sie sprach: es kommt ein Regen“ hört man
von H. Deutsch in der Aufnahme von Skovhus die einzelnen Tropfen.
Lied 12
„Pause“: T. 64 ff. „Ist es der Nachklang meiner Liebespein? Soll es das
Vorspiel neuer Lieder sein?“ klingt fast wie ein Rezitativ, sollte jedoch nicht
langsamer oder gedehnt vorgetragen werden.
Lied 13 „Mit
dem grünen Lautenbande“: Das vorige Lied endet mit einem tiefen B-Dur-Akkord,
dieses hier beginnt ebenfalls mit einem B-Dur-Akkord, nur eine Oktave höher.
Lorenz und Stutzmann lassen diesen (abermaligen) Akkord weg, auch
Fischer-Dieskau in seinen letzten beiden Aufnahmen, und der Pianist beginnt
sogleich mit der Tonleiter. Durch diese Maßnahme werden beide Lieder
aneinandergekoppelt.
Lied 16 „Die
liebe Farbe“: Mit diesem Lied wird das Ende sprichwörtlich eingeläutet. Während
aller drei Strophen hören wir das Totenglöckchen auf dem Ton fis.
Lied 17 „Die
böse Farbe“: Hier erleben wir einen euphorischen aber auch höchst verängstigten
Müllerburschen, die Stelle „O binde von der Stirn dir ab das grüne, grüne Band“
muss wie gehetzt gesungen werden, als wenn er sich verfolgt fühlte. Hier ist
ein adäquates Zusammenspiel von Sänger und Pianist von besonderer Wichtigkeit.
Nur wenige bieten hier eine wirklich überzeugende Leistung: Prégardien, Pears, Güra, Trekel,
Kaufmann, Schreier-Schiff, Lorenz, Souzay,
Fischer-Dieskau, außer in seiner letzten Aufnahme, Behle und Stutzmann.
Lied 18
„Trockene Blumen“: Das Ganze ist in der Art eines Trauermarsches erfunden, das
Marschtempo muss hier durchgehalten werden. Sehr viele singen/spielen bei der
Dur-Stelle „Und wenn sie wandelt am Hügel vorbei“ fälschlicherweise schneller,
außer Fischer-Dieskau, Prey, Gerhaher, Bär, Jarnot,
Wunderlich-57, Trekel, Lorenz, Stutzmann, Schreier-Olbertz, Haefliger-Dähler, Behle und Quasthoff.
Lied 19 „Der
Müller und der Bach“: Das Lied beginnt in der Stimmung wie „Der Leiermann“ aus
der Winterreise. Auch hier ist unbedingt das Tempo einzuhalten.
Lied 20 „Des Baches
Wiegenlied“: Auch in diesem Lied klingt wieder das Totenglöckchen, nur viel
langsamer. Im Klaviervorspiel hören wir im doppelten Bordoun
in halben Noten viermal hintereinander gleichzeitig e-h, wenn der Sänger
einsetzt, dasselbe noch einmal. Im Notentext sind die dritte und vierte Halbe
mit einem Bindebogen verbunden, d. h. nur dreimal wird das e-h im Klavier
angeschlagen. Gerald Moore bei Schiøtz, Werba, Parsons und Reimann negieren jedoch (überzeugend!)
den Bindebogen und schlagen die Töne viermal an, daraus wird dann mit den
folgenden vieren ein eindrucksvolles Totengeläut.
Männerstimmen – Tenor:
Christoph Prégardien |
Andreas Staier |
DHM BMG |
1991 |
59‘41 |
5 |
Hammerflügel nach J. Fritz,
Wien um 1818 |
Werner Güra |
Jan Schultz |
HMF |
1999 |
63‘04 |
5 |
|
Daniel Behle |
Sveinung Bjelland |
Capriccio |
2009 |
57‘03 |
5 |
|
Peter Schreier |
Konrad Ragossnig |
Berlin Classics |
1980 |
64‘29 |
5 |
mit Gitarrenbegleitung |
|
||||||
Hans Peter
Blochwitz |
Cord
Garben |
DGG |
1988 |
63‘02 |
4-5 |
|
Peter Schreier |
Walter Olbertz |
DGG Berlin Classics |
1971 |
61‘25 |
4-5 |
|
Peter Schreier |
Andras Schiff |
Decca |
1989 |
62‘46 |
4-5 |
|
Fritz Wunderlich |
Hubert Giesen |
DGG |
1965 |
64‘01 |
4-5 |
|
Axel Schiøtz |
Gerald Moore |
EMI |
1945 |
60‘46 |
4-5 |
|
Ernst Haefliger |
Erik Werba |
Sony |
P 1970 |
60‘59 |
4-5 |
|
Ernst Haefliger |
Jörg-Ewald Dähler |
Claves |
1982 |
60‘09 |
4-5 |
Hammerflügel von Brodmann
~1820 |
Christoph Prégardien |
Michael Gees |
Challenge |
2007 |
61‘41 |
4-5 |
|
Ian Bostridge |
Graham Johnson |
hyperion |
1995 |
62‘33 |
4-5 |
Laufzeit
ohne Rezitationen |
Walther Ludwig |
Michael Raucheisen |
DGG |
1951 |
65‘27 |
4-5 |
|
Julius Patzak |
Walter Klien |
Vox Andromeda |
1954 |
54‘34 |
4-5 |
|
Julius Patzak |
Michael Raucheisen |
Preiser Membran |
1943 |
62‘24 |
4-5 |
|
|
||||||
Franzisco
Araiza |
Irwin Gage |
DGG |
1984 |
67‘00 |
4 |
|
Josef Protschka |
Helmut Deutsch |
Capriccio |
1986 |
66‘38 |
4 |
|
Fritz Wunderlich |
Kurt Heinz Stolze |
BMG Sony |
1957 |
65‘05 |
4 |
|
Fritz Wunderlich |
Hubert Giesen |
hänssler |
1964 |
54‘11 |
4 |
SWR-Aufnahme |
Walther Ludwig |
Walter Bohle |
Berlin Classics |
1957 |
61‘10 |
4 |
|
Peter Pears |
Benjamin Britten |
Decca |
P 1960 |
63‘14 |
4 |
|
|
||||||
Maximilian
Schmitt |
Gerold
Huber |
Oehms |
2013 |
66'28 |
3-4 |
|
Rudolf
Schock |
Gerald
Moore |
Electrola Relief |
1958 |
65‘47 |
3-4 |
|
|
||||||
Jonas Kaufmann |
Helmut Deutsch |
Decca |
2009 |
63‘06 |
3 |
|
Männerstimmen – Bariton:
Roman Trekel |
Oliver Pohl |
Oehms |
2004 |
60‘02 |
4-5 |
|
Siegfried Lorenz |
Norman Shetler |
Berlin Classics |
1987 |
68‘05 |
4-5 |
|
André Schuen |
Daniel
Heide |
DGG |
2020 |
70‘42 |
4-5 |
|
Matthias Goerne |
Eric
Schneider |
Decca |
2001 |
71‘31 |
4-5 |
|
Matthias Goerne |
Christoph
Eschenbach |
HMF |
P 2009 |
71‘02 |
4-5 |
|
|
|
|
|
|
|
|
Gerhard Hüsch |
Hans Udo Müller |
EMI u.a. |
1935 |
58‘39 |
4 |
|
Gerard Souzay |
Dalton Baldwin |
Philips |
1964 |
63‘46 |
4 |
|
Hermann Prey |
Leonard Hokanson |
Philips DGG |
1971 |
61‘41 |
4 |
|
|
||||||
Dietrich Fischer-Dieskau |
Jörg Demus |
DGG |
1968 |
60‘54 |
3-4 |
|
Dietrich Fischer-Dieskau |
Gerald Moore |
EMI |
1961 |
59‘11 |
3-4 |
|
Dietrich Fischer-Dieskau |
Gerald Moore |
EMI |
1951 |
65‘46 |
3-4 |
|
Dietrich Fischer-Dieskau |
Gerald Moore |
DGG |
1971 |
62‘02 |
3-4 |
|
Benjamin Luxon |
David Willison |
Chandos |
1988 |
62‘49 |
3-4 |
|
Christian Gerhaher |
Gerold Huber |
Sony |
2003 |
65‘45 |
3-4 |
|
Olaf Bär |
Jeoffrey Parsons |
EMI |
1986 |
65‘07 |
3-4 |
|
Bo Skovhus |
Helmut
Deutsch |
Sony newton |
1997 |
59'25 |
3-4 |
|
Florian
Boesch |
Malcolm
Martineau |
Onyx |
2013 |
62‘42 |
3-4 |
|
|
||||||
Konrad Jarnot |
Alexander Schmalcz |
Oehms |
2008 |
68‘28 |
3 |
|
Thomas Quasthoff |
Justus Zeyen |
DGG |
2005 |
61‘17 |
3 |
Bassbariton |
Frauenstimmen – Mezzosopran/Alt:
Stutzmann |
Inger Södergren |
Calliope |
2008 |
65‘52 |
4-5 |
|
Brigitte Fassbaender |
Aribert Reimann |
DGG |
1993 |
61'49 |
4-5 |
Laufzeit
ohne Rezitationen |
Hinweise zu Sängern und Interpretationen:
Seit dem Tode
von Fritz Wunderlich im Jahre 1966 gilt bei sehr vielen Musikfreunden die
Interpretation seines im Vorjahr aufgenommenen Zyklus‘ „Die schöne Müllerin“
als die Referenzaufnahme des Werkes. Gelobt wird die glockenklare Stimme, die
reife und überlegene Gestaltung der einzelnen Lieder, was alles zutrifft.
Im Vergleich
mit nahezu 30 anderen Aufnahmen ergibt sich bei mir folgendes Bild:
Wunderlichs Pluspunkt
ist eindeutig seine einzigartige Stimme und wie sie der Sänger in den Dienst
des jeweiligen Liedes stellt, ungekünstelt und mit großer Natürlichkeit, das
nimmt den Hörer sogleich gefangen. Leider hinterlässt sein Vortrag vor allem
bei langsamen Liedern und Strophenliedern (Wiederholung des fast Gleichen) den
Eindruck einer leichten Eintönigkeit, da hätte ich mir ein fantasievolles
Eingehen auf den Text gewünscht. Dasselbe gilt auch für seinen langjährigen
Klavierpartner Hubert Giesen, der meist nur den Begleiter abgibt und dem Sänger
den Vortritt lässt. Ein Jahr vor der Plattenaufnahme entstand für den Südfunk
Stuttgart, heute SWR, eine Rundfunkproduktion, die der Verlag hännsler vorgelegt hat und der zum Vergleich einlädt.
Wunderlichs Stimme gefällt mir hier besser, sie ist etwas „rauchig“ und klingt
nicht so geglättet, war sie näher am Mikrofon? Beim Lied „Wohin?“ holt hier
Giesen die Bassmelodie besser nach vorn als bei DGG, in dieser Aufnahme punktet
Wunderlich beim Lied „Eifersucht und Stolz“ an der Stelle „da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster raus“, im
übernächsten Lied „Die böse Farbe“ stößt Giesen bei der Stelle „Horch, wenn im
Wald ein Jagdhorn schallt ...“ an seine pianistischen Grenzen. Berührend in der
SWR-Produktion sind die Takte „ach unten, da unten...“ im vorletzten Lied, da
wird der Tod zur Gewissheit. Als größtes Manko dieser Rundfunk-Aufnahme muss
die Auslassung von sieben Strophen bei den Strophenliedern genannt werden,
wovon das Booklet leider schweigt, das mindert eindeutig den Wert dieser CD.
Inzwischen wieder auf dem (legalen) Markt ist Wunderlichs allererste Aufnahme aus
dem Jahr 1957 (Aufnahme Ariola), hier begleitet Kurt Heinz Stolze den Sänger,
diese Aufnahme des 27-Jährigen hat nach wie vor seine Berechtigung auf dem
Plattenmarkt. Auch wenn sich der Sänger bei seinem Singen zu fast schülerhafter
Genauigkeit anhält, bei Strophenliedern wenig Differenzierung und wenig
Spontaneität spüren lässt, bezaubert doch seine wunderbar geformte klare Stimme
mit der mühelos erreichten glockenhellen Höhe, das ist seitdem nie wieder so zu
hören gewesen. Lied 1 wird noch etwas zögerlich und vorsichtig angegangen, Die
„Ungeduld“ (7) gelingt sehr souverän, jedoch ohne Überschwang. Im Lied 12
nehmen die meisten Interpreten ab der Stelle „Warum ließ ich das Band auch
hängen so lang?“ das Tempo mehr oder weniger zurück, nicht so Wunderlich, bei
dem in dieser Aufnahme immer noch die Viertelschläge des Grundtempos
mitschwingen. Wunderlichs Begleiter Kurt Heinz Stolze ist vom Klang her, wie
lange üblich, etwas zurückgesetzt, er spielt sehr korrekt, kann aber keine
bemerkenswerten Akzente setzen.
Ernst Haefliger war nicht nur auf der Opernbühne ein
geschätzter Sänger, sondern auch als Evangelist sowie als Liedersänger weltweit
bekannt. Seine runde, helle und klare Stimme passt sehr gut zu
Schubert-Liedern, speziell hier zur „Schönen Müllerin“. Er singt den Zyklus
schlicht, aber doch im Großen und Ganzen eindringlich und ist immer bemüht, in
großen Bögen zu gestalten. Sein Begleiter Erik Werba
liefert jedoch nur routiniert gekonntes Klavierspiel ab, ohne eigene Aussagen
beizusteuern. Erfreulich dagegen der von Jörg Ewald Dähler zu verantwortende
Klavierpart in der jüngeren Aufnahme. Dähler nutzt die Klangfarben des
Hammerflügels jedoch nicht so stark wie Andreas Staier,
auch gestalterisch reicht er an diesen nicht ganz heran. Haefliger und Dähler unterstützen
sich jedoch gegenseitig und legen eine sehr gute Einspielung vor. Erwähnen
möchte ich hier nur das letzte Lied „Gute Nacht“, das
die beiden fast entmaterialisiert eingefangen haben, beeindruckend! Haefliger
hat die „Müllerin“ ca.1958 auch für DGG eingespielt, am Flügel saß damals
Jaqueline Bonneau, die auch als Begleiterin von Gerad
Souzay bekannt geworden ist. Diese Aufnahme, die auf
CD wahrscheinlich nie veröffentlicht wurde, stand mir leider nicht zur
Verfügung.
Ein weiterer Tenor,
der in seiner langen Karriere meistens in Oper bzw. Operette große Erfolge
feiern konnte, war Rudolf Schock. Liedgesang war nicht sein ureigenes
Territorium, und Liedaufnahmen rar gesät. Immerhin nahm er für Electrola die
„Schöne Müllerin“ auf mit Gerald Moore am Flügel. Der Opernbetrieb ließ seine
Stimme im Laufe der Jahre etwas fest und weniger wandlungsfähig werden. Die
Höhe gelingt nicht immer ohne Stemmen, gut zu beobachten in „Ungeduld“: bei
„Dein …“ nimmt Schock die Stimme zurück, um das Erkämpfen der Höhe zu
verbergen. Ein geringerer Luftvorrat führt hier und da zum Nachatmen, fällt
aber nicht so sehr auf. Das Timbre in der Mittellage und in der Tiefe wirkt
sehr grau, uninteressant. Aber man begegnet immer wieder kultiviertem Singen,
die Portamenti, denen man zuweilen begegnet, sollte man unter
zeitbedingt abhaken. Nicht gefallen die leider sehr vielen Ritardandi,
besonders in „Pause“, mit denen Schock bestimmte Textabschnitte unterstreichen
möchte, aber auch am Ende von Strophen. Wenn man das immer wieder hört, wirkt
dies maniriert. In „Die böse Farbe“ wird die Stimme
etwas schwerer und kaum geschwind vorgetragen. Stimme und Flügel stehen in
einem guten klanglichen Verhältnis. Gerald Moore auch hier zuverlässig.
Sehr bekannt
und geachtet ist auch das englische Duo Peter
Pears und Benjamin Britten, das neben der
„Schönen Müllerin“ auch eine geschätzte Aufnahme der „Winterreise“ vorgelegt
hat. Die Aufnahme der „Schönen Müllerin“ gefällt mir weniger, einmal aufgrund
der oft unwirklich klingenden Singstimme, dann stört mich auch die mangelhafte
deutsche Aussprache: Vokalverfärbungen, Auslassung des r bei Endungen,
Aussprache des ch. Die langsamen Lieder des Zyklus
hinterlassen bei mir einen besseren Eindruck als die schnellen und
dramatischen. Im zweiten Lied ist der Klavierbass zu leise, schön: „O Bächlein
meiner Liebe“ im 6. Lied, im 11. Lied „Mein“ wird die Stimme bei „die geliebte
Müllerin“ instrumental, nicht vokal geführt, im vorletzten Lied steuert
Britten, dessen Klavierspiel mich insgesamt gesehen hier nicht sonderlich
überwältigt, ein ausdrucksvolles Klaviernachspiel bei. Trotz der genannten
Mängel besitzt die Aufnahme doch ihren eigenen Charme.
Vom
österreichischen Tenor Julius
Patzak liegen mir zwei Einspielungen vor. Die älteste wurde vom
Reichsrundfunk 1943 aufgenommen, am Flügel saß der damals meistbeschäftigte und
als Liedkapazität anerkannte Michael Raucheisen. Die Aufnahme wurde von Preiser
veröffentlicht, findet sich aber auch in der großen Lied-Retrospektive
Raucheisens mit 66 CDs bei Membran-documents. Die
zweite Aufnahme wurde, vermutlich in Österreich, in Zusammenarbeit mit dem
damals noch jungen österreichischen Pianisten Walter Klien
1954 für Vox erstellt. Dem Sänger wird oft vorgeworfen, dass bei seinem Singen
immer wieder sein Wiener Tonfall störend hervortrete. Was scheinbar als Manko
gilt, kann sich bei der „Müllerin“ als Vorteil erweisen, Schubert war doch auch
Wiener und die Lieder wurden in seinem Wiener Freundeskreis nicht, wie wir es
heute erwarten, im lupenreinen Hochdeutsch gesungen! Bei Raucheisen ist Patzaks
Stimme (hier nicht mehr ein junger Müllerbursche) mehr nach vorn geholt und das
Klavier etwas zurückgesetzt, es klingt auch etwas stumpf. Raucheisen liefert
nicht viel mehr als eine dienende Klavierbegleitung ab, das Rauschen des
Bächleins im 2. Lied gehört zu den besseren Momenten. Im 5. Lied wird die
Stelle „und der Meister spricht zu allen“ von Patzak auffallend deklamatorisch
vorgetragen, Lied 11 ist etwas zu langsam, sehr gut gelungen die Stelle „und es
durchschauert mich“ in Lied 12 sowie „da steckt kein sittsam
Kind den Kopf zum Fenster raus“ in Lied 15. Der Pianist Walter Klien in Patzaks zweiter Aufnahme sieht sich von Schuberts
Klaviersatz gefordert, er steuert ein profiliertes Klavierspiel bei, was sehr
viel zum positiven Eindruck dieser Einspielung beiträgt. Gleich im ersten Lied
geht er ganz zur Sache und verbietet ein unbeschwertes Dahinschlendern längs
des Baches. Beim Sänger sind die 11 Jahre an seiner Stimme seit der ersten
Aufnahme nicht spurlos vorübergegangen, sie ist immer noch sehr
modulationsfähig, klingt aber schon ein wenig schütter, und auch die Höhe kommt
nicht mehr so sicher, siehe „Dein ist mein Herz“. Trotzdem gefällt mir diese
Aufnahme etwas mehr, da interessanter und glaubhafter.
Noch lange
Zeit nach dem 2. Weltkrieg galt, nicht nur in Deutschland, die Aufnahme von Axel Schiøtz und
Gerald Moore als die am besten gelungene, das ist nachzuvollziehen. Der
dänische Tenor verfügt über eine baritonal gefärbte
Stimme voller Wohlklang, was sich gerade auch bei den tiefer
liegenden Liedern als Vorteil erweist. Schiøtz
geht den Liedtexten auf den Grund und bietet eine mehr als üblich erfüllte
Textauslegung. Gerald Moore gefällt mir hier besser als in späteren Aufnahmen,
er spielt stellenweise expressiver und man spürt das aufmerksame Miteinander.
Peter Schreier hat die „Müllerin“ oft im Konzertsaal gesungen mit
verschiedenen Partnern am Flügel. Mindestens vier Einspielungen sind bekannt,
von denen ich drei hier vorstelle. Die älteste wurde mit dem Pianisten Walter Olbertz für VEB Deutsche Schallplatten in Co-Produktion mit
der DGG aufgenommen, heute im Vertrieb von Berlin Classics. Beim Hören erleben
wir ein sehr kultiviertes, ausgeglichenes Singen, bestes Legato, darin Fritz
Wunderlich überlegen, jedoch mit wenig Metall in der Stimme, gewiss ein Relikt
seiner Ausbildung im Dresdner Kreuzchor. Schreier geht immer auf den Text ein
und setzt die breite Klangfarbenpalette seines Organs vorteilhaft um. Lied 11
T. 40: das vierte „Mein“ ist bei ihm nicht der Abschluss der Zeile, sondern
zeugt von Gewissheit, dass die Müllerin nun tatsächlich sein ist. Rein
gesangstechnisch liegt hier eine der besten Aufnahmen vor, leider scheint hier
und da doch die Absicht durch. Beim Lied 17 klingt die Schlüsselstelle „O binde
von der Stirn dir ab das grüne grüne Band“ zu
kultiviert. Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten nimmt man Wunderlich den
Müllerburschen eher ab.
Etwa 20
Jahre später traf sich Peter Schreier mit dem ungarischen Pianisten Andras
Schiff im Studio, um erneut eine Aufnahme des Liederzyklus‘ zu erstellen. Hier
hat die Stimme zeitbedingt ein wenig an Körper eingebüßt, spricht jedoch in der
Höhe noch mühelos an. Einige Lieder werden jetzt etwas langsamer gesungen.
Schiff befreit den Klavierpart aus der reinen Begleitfunktion und setzt etliche
deutliche Akzente, nirgends sonst hört man eine solch profilierte Klavierstimme
im Lied 3 „Halt“. Warum gleich im ersten Lied die letzte Strophe „O Wandern,
Wandern meine Lust“ verzögert angegangen wird, wird mir nicht recht klar. Lied
12 wird viel langsamer als vorher, viel nachdenklicher gesungen. Fast ohne
Pause geht es nach Lied 14 sofort weiter, was gut zur Dramaturgie des Zyklus‘
passt. Lied 19 klingt als definitives Abschiedslied, danach ist ein sehr
langsames Tempo bei „Des Baches Wiegenlied“ nicht mehr angezeigt. Außer diesen
beiden beschriebenen Einspielungen steht eine weitere CD mit Schreier zur Wahl,
es handelt sich um eine wirkliche Alternative, da der Klavierpart von einer
Gitarre übernommen wird, die der Wiener Gitarrist und Lautenist Konrad Ragossnig in Zusammenarbeit mit John A. Duarte erstellt
hat, Ragossnig spielt auch hier erfolgreich seinen
Part. Bei Verwendung dieses Instruments muss das Verhältnis von Stimme und
Instrument neu definiert werden. Schreier gestaltet sehr intensiv den Text,
mehr als bei den Klavierzyklen, das Ganze klingt privater, zurückgenommen,
allerdings kann der Sänger hier und da eine Portion Selbstmitleid in der Stimme
nicht verbergen. In Lied 3 kommt die Gitarre ausdrucksmäßig an ihre Grenzen,
Schreier versucht jedoch dieses Manko stimmlich wettzumachen. Als Alternative
zu herkömmlichen Aufnahmen ist mir diese CD sehr sympathisch.
Christoph Prégardien hat bisher zwei hervorragende Aufnahmen von Schuberts
erstem Liederzyklus eingespielt, die älteste Aufnahme mit Andreas Staier ist eine Spitzenaufnahme, wobei der Pianist am
Hammerflügel auch seinen Gutteil dazu beigetragen hat. In der zweiten Aufnahme,
die 16 Jahre später entstand, wird der Sänger von seinem langjährigen
herausragenden Begleiter Michael Gees unterstützt.
Prégardiens Stimme ist hier breiter, ausladender, dunkler gefärbt und nicht
mehr ganz so beweglich wie vorher. Auch die Höhe kommt nicht mehr ganz so
mühelos. Beim Vergleich von Lied zu Lied ist die erste Aufnahme darstellerisch
und technisch noch souveräner ausgefallen, das Lied „Ungeduld“ klingt hier noch
überzeugender, ebenfalls „Dein ist mein Herz ...“. Der Klavierklang bei Staier ist offener, die hier oft so wichtigen Bassmelodien
werden besser gezeichnet als beim „normalen“ Flügel von Gees,
der mir etwas kompakt aufgenommen scheint. Was diese zweite Aufnahme jedoch
interessant macht, sind die vielen, noch nie gehörten, Verzierungen, mit denen
Prégardien einzelne Liedmelodien ausschmückt und die Gees
(teilweise) übernimmt. Im Beiheft dieser CD erklärt der ausgewiesene
Schubert-Forscher Walter Dürr in einem Essay den historischen Hintergrund.
Schuberts langjähriger Freund, der Sänger Johann Michael Vogl, wurde nach dem
Tod des Komponisten vom Verleger Anton Diabelli
beauftragt, eine Neuausgabe des Liederzyklus‘ vorzubereiten. Dabei fügte er
u.a. auch nach damaligem Usus der Singstimme Verzierungen bei. Diese wurden in
späteren Neuausgaben jedoch wieder getilgt. Prégardien greift auf diese
Tradition aus der Schubert-Zeit zurück, folgt jedoch nicht Vogls Vorschlägen,
sondern setzt Ornamente nach eigenem Gusto ein. Der Hörer muss sich erst an
diese neuartige Ausführung gewöhnen, ich denke jedoch, dass der Sänger hier
geschmackvoll zu Werke gegangen ist.
Josef Protschkas Aufnahme der „Schönen
Müllerin“ gilt seit ihrem Erscheinen bei vielen Liedfreunden als eine der
gelungensten Aufnahmen. Sie loben seine schöne bewegliche Tenorstimme, die
keine Höhenprobleme kennt und mit schlanker Stimmführung die Lieder dem Hörer
nahebringt. Im Ausdruck bleibt die Stimme jedoch meist eher neutral, Protschka bemüht sich um Nachgestaltung des Textes, z.B. im
„Morgengruß“ bei „bückt und weint“, oder im „Tränenregen“ bei „Geselle, Geselle
mir nach“. Kaum wird ein Lied jedoch zum
Ereignis, das gelungendste ist für mich „Trockene
Blumen“, einige Lieder würden m.E. bei schnellerem Vortrag gewinnen. Helmut
Deutsch bleibt auf der durch den Sänger vorgezeichneten Linie, ohne eigene
Akzente zu setzen.
Werner Güra hat in den letzten Jahren einige bemerkenswerte
Liedaufnahmen auf den Plattenmarkt gebracht, u.a. auch „Die schöne Müllerin“,
er wird hellwach begleitet von Jan Schultz. Güra
verfügt über eine helle schlanke Tenorstimme mit Metall, die er wohldosiert
einsetzt. Sehr schön gestaltet, wie improvisiert, der Übergang von Lied 12 zu
Lied 13. Im folgenden Lied „Der Jäger“ kommt am Schluss der ganze Ärger des
Müllerburschen über seinen Konkurrenten bestens heraus, Lied 19 endet mit einem
ausdrucksvollen Nachspiel des Klaviers. Das Lied „Mein“ wird m. E. etwas zu
langsam angegangen, dadurch wird die Gewissheit „mein“ nicht ganz glaubhaft
vermittelt. Der Hörvergleich Lied 8 „Morgengruß“ von Güra
und Wunderlich zeigt folgendes: Güra versucht von
Strophe zu Strophe dem unterschiedlichen Text gerecht zu werden, mit Erfolg,
Wunderlich singt da einheitlicher, ohne den genauen Blick auf’s
textliche Detail, also weniger interessant. Wunderlichs Stimme verfügt jedoch
über mehr Kern als die von Güra und auch Prégardien.
Die Aufnahme
der „schönen Müllerin“ mit dem Tenor Hans Peter Blochwitz war leider
nicht lange im Katalog. Im Gegensatz zu den meisten Sängerinnen und Sängern
breitet er nicht schon bald nach Beginn den lastenden Schleier der Schwermut
über die Müller-Lieder, eine Wendung spüre ich erst beim Lied 16 „Die liebe
Farbe“, übrigens auch im Tempo. Blochwitz‘ schlanke Stimme bleibt immer locker
und strahlt Optimismus aus, auch wenn einige Textstellen etwas anderes
andeuten. Insgesamt bevorzugt er rasche Tempi, im Lied 5 ab T. 59 wird es sehr
geschwind. Manche Achtelbewegungen in Lied 11, z. B. „eure Melodein“
oder „Reim allein“, klingen darob etwas flüchtig. Sehr eindringlich das letzte
Lied. In Zusammenarbeit mit dem aufmerksamen Cord Garben am Flügel ist hier ein
Zyklus entstanden, der, wie ich meine, Schuberts Vorstellungen ganz nahe kommt.
Den Namen
eines weiteren deutschen Tenors sollte man sich unbedingt merken, auch wenn er
hierzulande noch nicht über die ihm gebührende Resonanz verfügt: Daniel Behle, der mit seinem norwegischen
Klavierpartner Sveinung Bjelland
eine Spitzenaufnahme der Müller-Lieder vorgelegt hat. Behle verfügt über eine
jugendlich sympathische, schlank geführte, nicht so ausladende und völlig
unangestrengt klingende Stimme, es ist eine Wonne, ihm zuzuhören. Vorbildlich
die Partnerschaft mit Bjelland, dessen
ausdrucksvolles, gewandtes, hellwaches Klavierspiel überzeugt, z.B. im Lied
„Danksagung an den Bach“. Hier betont der Pianist in der Oberstimme etwas die
von Takt zu Takt wiederkehrenden Töne h-d....h-c-d....h-d....h-c-d usf. und
schafft so einen Kontrapunkt zur Liedmelodie. Behle singt glaubhaft den
Abschied von Lied 17 „zum Abschied deine Hand“, im folgenden Trauermarsch am
Anfang von „Trockene Blumen“ spürt man sofort, dass es keine Hoffnung mehr
gibt, Behle nimmt hier seine Stimme ganz zurück, sie klingt fast unwirklich,
danach bei „und wenn sie dann wandelt ...“ wird die Stimme wieder runder und
voller, großartig!
Die Aufnahme
der „Schönen Müllerin“ mit dem britischen Tenor Ian Bostridge
stand ziemlich am Anfang seiner Plattenkarriere und überzeugt
mich mehr als seine späteren CDs mit Liedern, überwiegend bei EMI erschienen.
Bei den ersten Liedern klingt sein Gesang etwas eintönig, weniger abwechselnd,
er wandelt sich aber zu einer überzeugenden Ausdeutung des Textes, dem man
seine Sympathie nicht entziehen kann. Seine Stimme klingt schlank, hell, rund,
immer locker und verfügt über einen guten Registerausgleich. Auch ist ihr eine
gute Textverständlichkeit zu eigen, idiomatischer als in späteren Produktionen.
Das zweite Plus der CD ist der Pianist Graham Johnson, der sein Klavierspiel
dem Text unterordnet, der Hörer achte z. B. auf das Murmeln des Baches in Lied
2 oder Lied 17.
Der bekannte
deutsche Tenor Jonas Kaufmann
hat inzwischen auch eine Aufnahme der „Schönen Müllerin“ vorgelegt, sie wurde
live mitgeschnitten. Kaufmann bemüht sich meist erfolgreich um die
Ausgestaltung der Texte (Strophenlieder). Anfangs möchte man ihm den jungen
Müllerburschen nicht so ganz abnehmen, er singt eher wie ein Gutsherr, im
weiteren Verlauf des Liederzyklus‘ gewöhnt man sich jedoch an diese Stimme, die
für einen Lied-Sänger recht schwer anspringt. Beim Vergleich lassen sich
gravierende Mängel nicht überhören: Im Startlied „Das Wandern“ kommen die
Sechzehntel bei „Müller sein“ und „Wandern ein“ recht ungenau, wie gehudelt,
ebenso in Lied 11 „Schalle heut“. Beim Lied „Am Feierabend“ setzt Kaufmann
seine mächtige Stimme wie auf der Opernbühne ein, sehr auf Effekte aus, auch in
Lied 6 forciert er die Stelle „liebt sie mich“ zu sehr. Beim beliebten Lied
„Ungeduld“ gelingt es seiner Stimme an der Stelle „Dein ist mein Herz“ erst
beim dritten Anlauf sich frei zu singen, der Abgesang „bleiben“ ist stimmlich
nicht mehr unter Kontrolle. Im Lied 13 gelingt dem Sänger ein passabler Beginn,
die Fortsetzung „So sprachst du Liebchen“ wird jedoch völlig unsensibel
aufgemotzt. Ich könnte noch weiter beckmessern, höre jedoch hier auf. Kaufmanns
Stimme wird zu großformatig in diesen intimen Liedern eingesetzt, der Sänger
kann sich nicht entscheiden zwischen Opernbühne und Liedvortrag. Nach dieser
Begegnung kann ich nur schreiben: als Siegmund ist er mir willkommen, jedoch
nicht als Müllerbursche.
Vom heute
nur noch wenigen Musikfreunden bekannten Tenor Walther Ludwig sind zwei Studio-Aufnahmen von
der „Schönen Müllerin“ erhalten geblieben. 1951 spielte er sie mit dem
Altmeister der Klavierbegleitung, Michael Raucheisen, für die Deutsche
Grammophon Gesellschaft ein, sechs Jahre später mit Walter Bohle für Eterna.
Natürliches Singen zeichnet Ludwigs helle Tenorstimme aus, die sehr beweglich
geführt wird. Etliche zeitbedingte Portamenti sollten die heutigen Hörer nicht
stören. In der späteren Aufnahme begegnen wir einem älteren Müllerburschen, die
Stimme spricht zwar voll an, ist jedoch nicht mehr ganz so frisch wie früher.
Beim Hören fällt auf, dass der Sänger mit seinen jeweiligen Partnern jedes Lied
individuell ausdeutet, mehr als man es bei den meisten anderen beobachten kann.
Raucheisen ist Ludwig dabei ein aufmerksamerer Partner als Bohle, der sich mehr
unterordnet. Bei Raucheisen murmelt im 2. Lied der Bach und im Folgenden ist
das „Rädergebraus“ nicht zu überhören. Im Lied „Pause“ gibt Raucheisen ein
schnelleres Tempo vor, das von Ludwig dann doch „überhört“ wird, das klingt bei
Bohle stimmiger. Dem Geschmack der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
ist sicher der übertriebene Vortrag am Ende des Liedes „Ungeduld“ geschuldet:
„Dein ist mein Herz.“ Auch das immer parate Rubato geht in diese Richtung. Gut
getroffen in beiden Aufnahmen die Stelle „mit langem Halse“ im Lied Nr.15, oder
Nr.17 „schadenfroh“. Im Lied „Trockene Blumen“ hat man den Eindruck, als
spräche Ludwig mit den Blumen, zumindest in der 1. Strophe (nur 1951). Beim
letzten Lied lässt Ludwig 1957 die Strophen 2 und 4 aus, 1951 wählt er dem Text
entsprechend in jeder Strophe ein anderes Tempo.
Der
spanische Tenor Francisco Araiza besitzen wir eine im Großen und Ganzen
gelungene Aufnahme der Müller-Lieder. Einen großen Anteil daran hat auch Irwin
Gage mit seiner phantasievollen Ausgestaltung des Klavierparts. Araizas
Aussprache ist ziemlich akzentfrei, er lässt sich auf die Textvorlagen ein und
greift Möglichkeiten zur Differenzierung auf. Bei lauterem Singen verliert die
Stimme (Metall) einiges von ihrer Modulationsfähigkeit, im f wird bei
hohen Tönen auch mal gestemmt. Übertreibungen, wie z. B. bei „Dein ist mein
Herz“, geht er jedoch aus dem Wege. In diesen Liedern wird dann auch etwas
unbekümmert und mit mehr Vibrato gesungen. Ruhigere Lieder wie z. B. Nr.8 und
10 gelingen viel überzeugender.
Eine der
jüngsten Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ hat Maximilian Schmitt eingespielt,
am Klavier begleitet von Gerold Huber. Der Vortrag ist leider wenig
abwechslungsreich. Schmitt steht dem Text etwas distanziert gegenüber, das
führt zur Eintönigkeit, da keine rechte Stellung bezogen wird. Er bemüht sich
die Worte immer deutlich zu singen, darüber vergisst er zu sehr die große
Linie, alles klingt zu sehr kontrolliert. Lied Nr. 2 ist insgesamt zu schwer,
Nr. 9 zu gekünstelt, kein fließendes Singen. Beim Lied 11 wird die Stelle „Die
geliebte Müllerin ist mein“ nur gesungen, nicht glaubhaft vermittelt. Tiefe
Endnoten einer Melodie klingen mit zu viel Vibrato, wie ein leichtes Erbeben,
nicht ruhig strömend. Die letzten Lieder des Zyklus überzeugen am meisten.
Über eine
angenehme Stimme, die in allen Lagen gut anspricht, verfügt der junge André
Schuen, der hier eine respektable Leistung
abliefert. Als Hörer ist man Zeuge eines kultivierten Singens, der Sänger
scheint genau zu prüfen, mit welchen Mitteln er seine Stimme an einer
bestimmten Stelle einsetzen muss. Vielleicht ist dies der Grund, warum für
etliche Lieder ein eher langsames Tempo gewählt wird, wie z. B: Lied 6, da
nimmt der Sänger auch seine Stimme sehr zurück, das aber überzeugt! Bei
schnelleren Liedern dagegen werden „längere“ Noten (Viertel, punktierte
Viertel) hier und da verkürzt gesungen. Mit dem Pianisten Daniel Heide
verbindet Schuen eine gute Partnerschaft.
Kommen wir
nun zu den Bariton-Stimmen. „Die schöne Müllerin“ wurde für
Tenorstimme mit Klavierbegleitung komponiert. Es ist den Bariton-Sängern nicht
zu verdenken, wenn sie sich für diesen wunderbaren Liederzyklus einsetzen, aber
das Resultat ist auch problematisch, da Schubert die Klavierbegleitung ziemlich
tief gelegt hat, in den Liedern 1, 4 und teilweise 3 und 12 ist auch die rechte
Hand bereits im Bassschlüssel notiert. Durch die für die tieferen Stimmen
nötige Transponierung nach unten wird der Klang zusätzlich dunkler und auch
etwas stumpf.
Eine der
ältesten Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ entstand im Jahre 1935 mit Gerhard Hüsch und dem Pianisten Hanns Udo Müller für Electrola, von beiden
gibt es auch eine Aufnahme der „Winterreise“. Seine Stimme liegt etwas hinten
und ist für den Müllerburschen ein wenig zu dunkel. Mit dem Liedgeschehen
wandelt sich sein Vortragsstil: anfangs leicht und locker, in den letzten
Liedern, in denen von Abschied und Tod gesungen wird, schwerfälliger und
nachdrücklicher, mit Mitleid in der Stimme (Nr.19 „Ach unten, da unten“). Die Klavierbeleitung im 4. Lied ist so wie bei Behle-Bjelland erwähnt, im letzten Lied beschränkt man sich auf
die Strophen 1, 3 und 5.
Hermann Prey wird von
vielen aufgrund seines Ausflugs in leichtere musikalische Gefilde nicht als
ernstzunehmender Interpret im klassisch-romantischen Liedrepertoire anerkannt.
Seine leicht rauchige und teils tränenrührige Stimme, die er auch hier nicht
immer verleugnen kann (z. B. Nr. 7 „Dein ist mein Herz, ... ewig, ewig
bleiben“), wird als zu vordergründig chargierend abgewiesen. Die CD zeigt aber
auch den großen Einsatz des Sängers, man spürt, dass hier eine Identifikation
mit dem Müllerburschen vorliegt, man glaubt ihm, was er singt, die
Verunsicherung, die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit hin zum Tod. Es ist
keine erstklassige Interpretation, aber eine ungekünstelt ehrliche, das sollte
man anerkennen.
Christian Gerhaher verfügt über eine helle Baritonstimme, die er sehr
diszipliniert einsetzt. Er bemüht sich, meist große Phrasen, der Textvorlage
angepasst, zu singen. Auffallend ein sehr guter Registerausgleich und wenn
angezeigt, wird immer legato gesungen. Sein Vortrag des Liederzyklus‘ bleibt im
Ganzen jedoch objektiv, zu objektiv, auf Dauer wird dies langweilig, die
Spannung fällt. Gerold Hubers Klavierbegleitung ist gepflegt, aber nicht mehr.
Problematisch
die CD mit Konrad Jarnot
und dem Pianisten Alexander Schmalcz. Man lauscht
einem gewichtigen Vortrag, teilweise langsamer als gewöhnlich, insgesamt
gesehen ein viel zu deklamatorisches Singen, zu betulich. Hier wird schnell
klar, warum die Müllerin den Jägerburschen vorzieht. Belegstellen: Lied 4: hier
werden einzelne Worte besonders herausgehoben „dein Singen, dein Klingen“, oder
ihm eine Bedeutung zugestellt, die eigentlich nicht gemeint war, Lied 7 und 11:
angestrengte Höhe, Vokalverfärbung bei „Dein“, Lied 8: sehr gedehnt, Lied 12:
noch mehr, Lied 19: gekünstelt vorgetragen, Lied 20: total verschleppt.
Kurz vor dem
Fall der Berliner Mauer entstanden in der Dresdner Lukaskirche für das
ostdeutsche Label VEB Deutsche Schallplatten im Abstand von nur einem Jahr zwei
Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ mit erstklassigen ostdeutschen Sängern: 1986
ging Olaf Bär mit Geoffrey Parsons ins Studio, ein Jahr später folgten
Siegfried Lorenz mit Norman Shetler am Flügel. Olaf Bär verfügt über eine geschmeidige jedoch wenig
charakteristische Stimme mit geringem Wiedererkennungswert. Er singt schlicht
und ziemlich natürlich, immer wieder erfreut man sich an seiner Legato-Kultur,
echte Höhepunkte werden jedoch kaum gesetzt. Leider setzt Bär bei seinem Singen
wenig Klangfarben ein, das macht seinen Vortrag nach einigen Liedern eintönig
und gar langweilig, zusätzlich dann noch, wenn er langsame Tempi wählt, wie in
den Liedern 8 bis 10. Geoffrey Parsons begleitet mehr routiniert. Siegfried Lorenz geht den Zyklus mit
viel mehr Temperament an, mit schlank geführter Stimme, die meist legato
geführt wird, charakterisiert er die einzelnen Lieder, eine ganze Palette von
Klangfarben unterstützt sein Singen überzeugend und lässt die verschiedenen
Ebenen der Dichtung-Komposition deutlich hervortreten, z. B. in Lied 15. Zu
loben ist auch die sehr gute Partnerschaft mit dem Pianisten Norman Shetler.
Lied 11 „Mein“ klingt leider etwas angestrengt, in Lied 14 bei der Stelle
„treten und wühlen in dem Feld“ lässt der Klavierbass diesen Vorgang
gegenwärtig werden.
Noch etwas
besser gefällt mir die Interpretation von Roman
Trekel und Oliver Pohl. Der Sänger befragt
aufmerksam alle Textzeilen und passt seine Stimme mit viel Fantasie der
jeweiligen Aussage an, wobei er beste Unterstützung seitens seines Begleiters
erfährt. Hervorzuheben ist auch die gute Lautstärkedifferenzierung besonders
auch im Piano-Bereich, viele Lieder oder Teile derselben werden in diesem
Bereich vorgetragen. Lied 11 „Mein“ wird ziemlich schnell gesungen, was der
Interpretation sehr gu tut, anrührend erklingt das
vorletzte Lied „Der Müller und der Bach“.
Thomas Quasthoff
(Bassbariton!) besitzt eine ausladende Stimme, die für viele Lieder einfach zu
tief liegt, meist sind sie um eine Terz nach unten transponiert - und teilweise
brüchig und zu mächtig klingt. Auch wenn er sich bemüht, den unterschiedlichen
Aussagen des Textes gerecht zu werden, verbindet man diese Stimme kaum mit
einem jugendlichen Liebhaber. Davon abgesehen leistet sich der Sänger etliche
gesangstechnische Mängel. Quasthoff singt mit viel, oft zu viel Vibrato, besonders
bei Tönen, die über eine Viertelnote hinaus gehen, z. B. bei Lied 6 „O Bächlein
meiner Liebe“: die Tonproduktion ist nicht gleichmäßig, anfangs wird fast kein
Vibrato eingesetzt, danach jedoch vermehrt, vgl. auch Lied 12 bei „Lieder“ T.68
f. und T.76 f. Viele Töne klingen zu hohl, da zu weit hinten produziert, z.B.
Lied 19 „Wo ein treues Herze“, oder brüchig. In Lied 11 nimmt Zeyen sowohl
Vorspiel als auch Nachspiel mit zu viel Pedal, beim Lied 12 klingt die Stelle
„Meine Laute hab ich gehängt an die Wand“ viel zu
gekünstelt. Da Quasthoff das Lied 14 zu langsam angeht, klingt es zu
schwerfällig. Gleich zu Beginn von Lied 17 hört man bei „Ich möchte ziehen in
die Welt hinaus“ die ganze Arbeit des Sängers an dieser Zeile noch mit, das
Nachspiel leidet wieder unter zuviel Pedal des
Pianisten.
Auch der französische Bariton Gerad Souzay
setzt oft Vibrato ein, es ist aber in den Gesamtklang der schönen und
wohlklingenden Stimme bestens eingebettet. Auch wenn er sich um eine adäquate
Textausdeutung bemüht, bleibt er bei vielen Liedern doch etwas indifferent, da
seine Aussprache es ihm nicht immer erlaubt, mit kleinen Nuancen zu agieren, so
bleiben immer unerfüllte Stellen stehen. Störend auch die Vokalverfärbungen, z.
B. in Lied 7, bei „ewig“ hört man eine Mischung aus ä und ö, aber kein e, oder
in Lied 19 bei „Liebe“, davon abgesehen ist das Lied anrührend gesungen.
Besonders im dritten Lied muss man die plastische Klavierbegleitung von Dalton
Baldwin hervorheben, man hört im Klavierbass sich förmlich die Räder drehen.
Schlicht vorgetragen schließt der Zyklus mit dem letzten Lied.
Dietrich Fischer-Dieskau darf natürlich in der
Übersicht nicht fehlen. Insgesamt sind vier kommerzielle Aufnahmen überliefert,
verteilt über einen Zeitraum von zwanzig Jahren. Zu meinen Lieblingen zählen
sie nicht, dazu singt Fischer-Dieskau in allen Aufnahmen zu unstet, etwas
darüber hinweg, oft zu theatralisch, im Vortrag manchmal zu spöttisch, zu
abgehoben, so „als ob“, was m. E. überhaupt nicht zu den „Müller-Liedern“ passt.
Da singt ein Städter, der sich in den Ferien aufs Land verirrt und sich in die
schöne Müllerstochter verknallt hat. Ich erspare mir
hier, auf die vielen kaum gelungenen Stellen hinzuweisen. Fischer-Dieskau
verfügt über einen hellen, sehr beweglichen Bariton und muss erfreulicherweise
nicht immer so tief transponieren wie andere Sänger seines Faches, z. B. trägt
er das letzte Lied nicht in C-Dur, wie in der Bariton-Ausgabe vorgesehen,
sondern in Cis-Dur vor. An die Spitze stelle ich (persönlich) die Aufnahme, die
seinerzeit überhaupt nicht veröffentlicht wurde, am Klavier sein langjähriger
Begleiter Jörg Demus. Erst bei der Planung der
Fischer-Dieskau-Edition der DGG im Jahre 2000 erinnerte man sich ihrer und so
erblickte sie zwölf Jahre später (für kurze Zeit) das Licht der Welt. Diese
Aufnahme besitzt die beste Klang-Präsenz, was den Sänger als auch den Pianisten
betrifft, das Klavier ist hier plastischer aufgenommen als bei allen anderen
Aufnahmen Gerald Moores, der wiederum klaviertechnisch die Nase vorn hat,
jedoch nicht immer mit der nötigen Fantasie agiert.
Viele
Freunde der „Schönen Müllerin“ werden sich nach dem Hören der CD mit Matthias Goerne fragen,
ob so eine voluminöse und tiefe Baritonstimme, die zwar sehr gut geführt ist,
jedoch eher nach einem Müller im fortgeschrittenen Alter klingt, dem Zyklus
gerecht werden kann, das ist nicht von der Hand zu weisen. Trotz allem ist dem
Sänger zusammen mit Eric Schneider am Flügel eine beeindruckende Interpretation
gelungen. Wie sich die beiden auf Text und Musik einlassen und damit umgehen,
ist schon äußerst hörenswert. Goerne und Schneider
gelingen immer wieder facettenreiche Momente. Die langsamen Lieder oder
Abschnitte werden oft langsamer gesungen als bei den meisten der anderen
Interpretationen. Nr.13 „Mit dem grünen Lautenbande“ ist allerdings schneller
als vorgesehen genommen, was dem Lied guttut. Insgesamt gesehen bevorzuge ich
bei der „Schönen Müllerin“ auch Tenöre, aber warum sollte man eine tiefere
Stimme vor vornherein in Frage stellen? Goerne und
Schneider geben da beste Argumente. Inzwischen hat eine weitere Interpretation
mit Goerne den Plattenmarkt erreicht, jetzt nimmt
Christoph Eschenbach den Part am Flügel ein. Interpretatorisch hat sich jedoch
kaum etwas geändert. Viele Lieder werden fast auf die Sekunde genau im selben
Tempo vorgetragen. In Lied 5 „Am Feierabend“ ist ein Fehler in T. 22 bei
„merkte“ zu vermelden, fällt aber kaum auf. Im folgenden Lied „Der Neugierige“
gelingt die 5. Strophe nicht ganz so innerlich wie früher. Im letzten Lied wird
Goerne von Strophe zu Strophe langsamer, aber das
hörte man schon auf der ersten CD.
Für den
österreichischen Bariton Florian Boesch ist Wilhelm Müllers Text nur
eine Vorlage, die es mit Leben auszufüllen gilt. Boesch bringt sich selbst als
Müllerburschen ein und als Zuhörer spürt man stellenweise eine etwas
übertriebene Nähe zum Text, die hier und da als affektiert empfunden werden
kann, z. B. Lied 2. Immer wieder hört man auch kleine Tempoverschiebungen. Lied
9 wird in Abschnitten gesungen, man vermisst die Linie. In Lied 12 setzt Boesch
vor T. 56 eine lange Pause. Beim Pianisten Martineau fällt zu Beginn von Lied 5
die unterschiedliche Artikulation der jeweils drei Achtelakkorde auf, die in
der zweiten Strophe jedoch gleichmäßig erklingen, wie es der Notentext
vorsieht. Von Fantasie zeugen die Gestaltung der Vor- oder Nachspiele in
einigen Liedern, die nicht immer nach dem gleichen Muster abgeliefert werden.
Anderseits stößt man auch auf Routine.
Der
englische Bariton Benjamin Luxon verfügt
über eine angenehm schlanke Stimme. In den schnelleren Liedern scheint er sich
wohler zu fühlen als in den langsameren, das Depressive streifenden Gesängen,
dort setzt er bei langen Noten nach meinem Empfinden zu viel Vibrato ein. Er
bringt eine gut verständliche Aussprache ein, trotzdem man merkt sofort, dass
hier kein deutscher Sänger am Werk ist. Im angelsächsischen Sprachraum wird man
seine Darbietung sicher höher einordnen. Am Flügel sitzt hier David Willison, der über eine gute Non-Legato-Technik verfügt, in
vielen schnellen Liedern klingt sein Instrument regelrecht perkussiv und
erinnert etwas an alte Hammerflügel. Sowohl Luxon als
Willison musizieren auf einer Linie. Lied 16 wird
sehr langsam vorgetragen und in Nr. 20 „Des Baches Wiegenlied“ klingt am Ende
die Musik wie erstarrt.
Neu in
meiner Sammlung ist eine Aufnahme vom dänischen Bariton Bo Skovhus
mit Helmut Deutsch am Flügel. Die hellklingende Baritonstimme von Skovhus scheint
mir hier etwas grau ausgefallen zu sein, da sie insgesamt wenig Farben freigibt
und auch nicht sonderlich modulationsfähig scheint. Stimmverfärbungen in der
Höhe und bei lauten Stellen sind keine Seltenheit. Die geschwinden Lieder geht
der Bariton energisch an, er hält sich auch an Schuberts Tempowünsche und
vermeidet unbegründete Ritardandi. Manche Lieder
klingen etwas unbekümmert. Oft stehen in seinem Vortrag 2 oder 3 Noten
ungebunden nebeneinander; anstatt dass diese mit der folgenden zu verbinden,
baut Skovhus eine Minipause ein oder gibt dem folgenden Konsonanten mehr Raum
als eigentlich vorgesehen.
Fast eine
Kuriosität ist die Einspielung der „Schönen Müllerin“ mit der französischen
Altistin Nathalie Stutzmann
und ihrer Begleiterin Inger Södergren. Als Hörer
fragt man sich, ob dies bei diesen ausgesprochenen Männerliedern zu einem
befriedigenden Ergebnis führen kann. Ja! Anfangs ist man ob des Klanges
irritiert, man gewöhnt sich jedoch schnell daran. Stutzmann geht sehr
sorgfältig an die verschiedenen Strophen des Textes heran und bemüht sich meist
erfolgreich, dem Text gerecht zu werden. Hier einige Belegbeispiele: Lied 6 „O
Bächlein meiner Liebe .... stumm“: der Hörer spürt die ganze Enttäuschung,
kurzdarauf: „O Bächlein meiner Liebe .... wunderlich“: hier gelingt es der
Sängerin, ihrer Stimme magische Klänge zu entlocken. In Lied 10 wird die
Stimmung der 3. Strophe „Und in dem Bach versunken der ganze Himmel schien“
schön nachempfunden. Lied 16 wird sehr langsam und ohne Vibrato, das macht hier
Sinn, Lied 19 trotz des langsamen Tempos sehr eindringlich und immer gespannt
gesungen. Hinweisen möchte ich noch auf einen Fehler – oder war es Absicht? –
in der Klavierbegleitung: in Takt 3 wird die letzte Viertel verzögert gespielt,
dasselbe auch im Nachspiel, ich kann darin keinen Sinn erkennen. Alle Lieder
sind in der Regel um eine Terz nach unten transponiert. Fünfzehn Jahre zuvor
hat Brigitte Fassbaender den Zyklus mit Aribert Reimann am Flügel
aufgenommen, jetzt ist die CD auch in meiner Sammlung angekommen. Fassbaender bringt dem Zyklus viel Empathie entgegen und
holt ihn aus der privaten Sphäre und stellt ihn in den Konzertsaal,
Fassbaenders Herkunft von der Bühne ist nicht zu überhören, dabei wird sie
bestens unterstützt vom Komponisten Aribert Reimann am Flügel, der als
Begleiter über die meisten aus der Zunft seiner Kolleginnen und Kollegen
herausragt und einen wesentlichen Anteil am positiven Gesamteindruck
beisteuert. Mir gefällt u.a. auch die Prägnanz seines Klavierspiels. Die
Sängerin ist bemüht, ihren Gesang immer dem Text anzupassen, z. B. in Lied 2:
„Was sag ich denn vom Rauschen?“ (da spricht sie mit sich selbst) wird
unmerklich aber trotzdem deutlich als Frage von der folgenden Antwort (für das
Publikum) abgesetzt: „das kann kein Rauschen sein“. Es ließen sich jetzt noch
eine ganze Anzahl ähnlicher Stellen nachschieben. Neben diesen positiv-Posten
soll das weniger gelungene nicht unter den Tisch fallen: Fassbaenders Stimme
klingt durchgehend ein wenig verhallt, ob dies Absicht war oder vom
Aufnahmeraum herrührt, lässt sich kaum mehr sagen. Auch
fallen einige Tonverfärbungen beim Konsonanten i in hoher Lage und bei
lautem Singen auf. Hier und da klingt ihre Stimme bei besonders emotional
besetzten Stellen, wie z. B. „Dein ist mein Herz“, doch recht divenhaft. Trotz
allem liegt hier eine gültige Aufnahme einer Frauenstimme vor.
eingestellt am 14. 08. 2011
zuletzt ergänzt am 09. 12. 2022