Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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3 Klavierstücke D. 946

Allegro assai – Allegretto – Allegro

   

Diese drei Stücke zeigen den Hörern in ihrer Wildheit, ihrem Trotz, aber auch ihrer Melancholie und Hoffnungslosigkeit, wie es Schubert in seinen letzten Lebensmonaten ums Herz stand. Er hat die Stücke nicht zum Druck befördert, das Autograph legt nahe, das er es als noch nicht abgeschlossen sah und nochmals überarbeiten wollte. Es ist nicht auszuschließen, dass er an eine viersätzige Form dachte, wie bei den beiden bekannten Impromptu-Zyklen (D.899 und D. 935). Das dritte Stück hätte sich mit seiner Tanzform als Finale angeboten (P. Gülke im Booklet der Uchida-CD). Laut Autograph komponierte Schubert das erste Stück als Rondo mit zwei Couplets (A-B-A-C-A), später strich er die zweite Wiederholung des A-Teils aber auch den C-Teil (weniger konzentriert als die voran gestellten Teile). Als Grund für die Eliminierung könnte eine Überlänge vermutet werden. Bei der späteren Drucklegung (1868) hat Johannes Brahms die Streichungen nicht übernommen, er war es auch, der den drei Stücken ihren heutigen Namen gab. Die meisten Interpreten halten es mit Schuberts ursprünglicher Absicht und spielen auch Teil C, ausgenommen Kempff, Brendel, Pollini, Schiff, Oppitz, Lonquich, Staier, Lahusen, Bianconi, Lewis, Koudriakov, Chamayou und Perianes. Orkis lässt dem Hörer die Option, die eine oder die andere Fassung zu wählen.

Werfen wir noch einen Blick auf die einzelnen Stücke. Das erste überrascht sogleich mit ausgefallenen Tonarten: Teil A es-Moll, Teil B H-Dur, d. h. enharmonisch Ces-Dur, Teil C As-Dur und zu Beginn (A) mit einer ungestümen, wilden, fast gehetzten Musik. In diesem Teil sollte noch auf den Dialog zwischen rechter und linker Hand in den Takten 45- 56 hingewiesen werden, der oft übersehen wird. Schubert unterstreicht ihn zart mit einem dreimaligen Kontra-B. Vor das folgende Andante, Teil B, zart, feinfühlig, aber auch mürrisch auftrumpfend, hat Schubert ein alla breve-Zeichen gesetzt, womit er wahrscheinlich andeuten möchte, dass der Interpret hier nicht zu langsam, keinesfalls ein Adagio spielen sollte, wie es hier und da geschieht. In den Takten 143/144 verlangt der Komponist jeweils zwei arpeggierte Akkorde, in den folgenden Takten fehlen jedoch die entsprechenden Zeichen. Arrau-90, Brendel-75 und -87, Katsaris sowie Perianes wenden auch hier das Arpeggio an, möglicherweise in der Ansicht, dass Schubert dieses auch hier forderte. Es folgt ein mystisch klingender Übergang/oder eine Rückführung zu Teil A. Sind diese Takte noch im vorhergehenden Tempo (Katsaris) zu spielen oder wieder im schnellen Anfangstempo? Die Vorzeichen legen dies nahe. Der ursprünglich vorgesehene Teil C ist  ein Andantino in As-Dur, ebenso dreiteilig wie die beiden vorangestellten Stücke. Die Musik scheint mir hier weniger konzentriert als in A und B zu sein, eher skizzenhaft mit der Option einer späteren Überarbeitung.

Kommen wir zum zweiten Stück, das, wie sein Vorgänger, ebenfalls in Rondo-Form mit zwei Couplets A-B-A-C-A verfasst ist, jetzt jedoch mit umgekehrter Tempowahl in den Tonarten Es-Dur, c-Moll und as-Moll. Die beiden Wiederholungen im A-Teil sollten vom Interpreten nicht übergangen werden, um ein Ungleichgewicht zum geheimnisvollen B-Teil und noch mehr zum heiteren C-Teil zu vermeiden.

Das letzte Stück in dreiteiliger Form erhält sein Profil durch sein rhythmisch geprägtes Thema in C-Dur, immer wieder mit Synkopen angereichert. Im langsameren Mittelteil in Des-Dur (im drei-Halbe-Takt) scheint die Musik zur Ruhe kommen zu wollen. Es bleibt jedoch nur eine Episode, schon nach wenigen Takten baut sich über der Bassstimme ein immer wiederkehrendes hüpfendes Motiv, vorwiegend aus Achtelnoten, auf und bringt Unruhe in die Musik. Auffallend, im Vergleich zu Stücken aus früherer Zeit, schafft Schubert hier eine zeitliche Ausdehnung, wie sie bereits in seinem Streichquartett G-Dur D. 887 und im letzten Satz des Klaviertrios Es-Dur D. 929 zu beobachten ist. Die Musik findet keinen Abschluss, immer wieder kommt es zu Neuanfängen in erweiterten Tonarten. Dieses Phänomen, das Hinausschieben des Endes, erweist sich als Merkmal auch weiterer Kompositionen, die  noch kurz vor seinem Lebensende entstanden sind, vor allem in den Finalsätzen der drei Klaviersonaten in c-Moll, A-Dur und B-Dur sowie im Streichquintett C-Dur D. 956. Der dritte Satz endet mit einer Coda, quasi als Kehraus, die Synkopen wirken bis in den Schlussakkord hinein.

Die recht unterschiedlichen Laufzeiten der hier untersuchten Aufnahmen haben ihre Ursache weniger in den jeweils angeschlagenen Tempi als in der Befolgung von Schuberts Wiederholungszeiten sowie der Einbeziehung des Abschnitts C im ersten Stück. Alle Wiederholungen bringen Arrau-56 und -90, Pires, Pollini, Leonskaja, Sokolov, Katsaris, Staier, Lonquich, Orkis, Lahusen, Vogt, Dalberto, Lewis, Koudriakov und Perianes, die wenigsten Kempff-69, Arrau-59, Firkusny, Demus, Oppitz, Tan und El Bacha.

   

5

Grigory Sokolov

DGG

2013

34‘08

 

live – Musik erlebt und erzählt, teilweise auch etwas knorrig, überzeugender Tempokontrast zwischen Stück 1 und Stück 2, III geheimnisvolles Trio

5

Svjatoslav Richter

BMC

1963

32‘41

 

live – die Drei Klavierstücke als großformatige Musik, die den drei letzten Sonaten an Ausdruckskraft in nichts nachstehen, breite Dynamik, feinfühlige Übergänge, deutliche Tempokontraste innerhalb der Stücke, I A mit artistischer Leichtigkeit, Dialoge T. 45-53, B erhabene Ruhe, viel Espressivo, III A sehr schnell, wie getrieben, B ausdrucksstark – Klavierklang nicht immer gestochen scharf

5

Maria Joāo Pires

DGG

1997

32‘39

 

I persönliche Lesart, ausdrucksstark, sensibel, Abschnitte A und B gut von einander abgesetzt, II mit viel Fantasie, große Bögen, III auch hier fantasievoller Umgang mit dem Notentext – bemerkenswerte Anschlagskultur

5

Maurizio Pollini

DGG

1985

25‘14

 

geschmeidiges Spiel, immer sehr gut differenziert, I guter Kontrast zwischen den Abschnitten, II A schlicht, B dämonisch, C leicht und locker, unterschwellige Intensität, III Brodeln unter der Oberfläche

5

Wilhelm Kempff

DGG

1969

22‘23

 

s. u.

5

Wilhelm Kempff

BBCL

1969

20‘05

 

live, s. u.

5

Mitsuko Uchida

Philips

1997

25‘46

 

I A mit Impetus, B Anschlagsnuancen, II A bewegt, B gutes Tempo, jedoch etwas glatt, überzeugende Dynamik, C sehr bewegt, III elastisch, brillant

5

Paul Lewis

HMF

2011

25‘23

 

I locker, vorwärtstreibend; weicher, differenzierender Anschlag, Klangkultur, II C schneller als A, dazu Rubato, unruhiger, III etwas gleichförmig

   

4-5

Alfred Brendel

Philips

1975

23‘34

 

s. u.

4-5

Alfred Brendel

Philips

1987

25‘01

 

s. u.

4-5

Lars Vogt

Avi-music

2007

29‘49

 

mit Feingefühl nähert sich Vogt Schuberts Klavierstücken, eher lyrisch als dramatische Sicht, sehr gute dynamische Gestaltung; I Dialoge linke/rechte Hand T. 45-53 sanft herausgearbeitet, II B-Teil nicht auftrumpfend, wie ein Nocturne, III einige wenigen geringfügige Unebenheiten

4-5

Claudio Arrau

EMI

1956

36‘06

 

s. u.

4-5

Claudio Arrau

BBCL

1959

27‘14

 

s. u.

4-5

Claudio Arrau

Philips

1990

35‘55

 

s. u.

4-5

Javier Perianes

HMF

2007

31‘10

 

Perianes nicht auf dem Podium, sondern ins Private zurückgezogen, wie einst auch Schubert – I A ausdrucksstark, jedoch etwas herb, B langsam und nachdenklich, II B ohne Pathos zum Höhepunkt, eher Melancholie als Dramatik, III jeweils gemäßigte Tempi

4-5

Michael Endres

Oehms

2008

27‘45

 

Endres mit Empathie am Flügel, intuitive Einfühlsamkeit, gute Dynamik, ansprechende Tempi mit Kontrast, schöner Flügelklang, II viel Spannung in Teil B – leider leise Pedalgeräusche

4-5

Andras Schiff

Decca

1988

23‘34

 

akkurat gespielt, Musik immer im Fluss, lässt Schubert sprechen, vorgegebene Dynamik fast immer umgesetzt – insgesamt gute, objektive Darstellung, teilweise etwas blutleer

4-5

Peter Rösel

Eterna             Berlin Classics

1974/75

26‘31

 

durchdachtes Klavierspiel, mit Empathie am Werk, tempokonstant, Stilbewusstsein; II Dynamik im B-Teil ohne p

4-5

Bertrand Chamayou

Erato

2013

20‘25

 

geschmeidiges und differenziertes Klavierspiel, guter Tempokontrast zwischen den Stücken, I A energisch voran, II B spannend, leider keine zweite Wiederholung, III markant akzentuiert, B mit viel Klangsinn – schade, dass so viele Wiederholungen fehlen, Pedalgeräusche

     

4

Sergey Koudriakov

audite

2007

26‘50

 

I B mehr an der Oberfläche, weniger Tiefe, II kaum Tempogegensätze, B polierte Oberfläche, Höhepunkte nur angedeutet, C nur schön gespielt, III Spannung im Trio nicht immer gegeben – farbenreicher Anschlag, überzeugende dynamische Abstufungen

4

Gerhard Oppitz

hänssler

2007

20‘46

 

I anfangs stellenweise wie sich überstürzend, passt zu Schuberts Aufriss, Anschlag etwas fest mit weniger Klangfarben, großzügiger Einsatz des Pedals, II Übergang von A nach B geheimnislos, Terzentriller nicht so deutlich, III konventionell

4

Alfred Brendel

Vox  Brilliant

1962

23‘41

 

s. u.

4

Alexander Lonquich

Nuova Era

1989

27‘45

 

ansprechendes Klavierspiel; klarer, durchsichtiger Klavierklang; gute Tempowahl, kaum eigene Stellungnahme, II C fast ohne Spannung, Gleichlauf

4

Philippe Bianconi

Lyrinx

2006

26‘13

 

gefällige, kontrastreiche Interpretation, weniger tiefschürfend, manchmal wünschte ich mir etwas weniger Pedaleinsatz, schöner Flügelklang

4

Jörg Demus

DGG    Pianoforte

1958

24‘12

 

Schuberts Musik erzählt, jedoch mit wenig Spannung

4

Elisabeth Leonskaja

MDG

2003

32‘02

 

maskulines Klavierspiel, gemeiselte Akkorde, oft harter Anschlag, äußerlich, p-Bereich stiefmütterlich behandelt, I A energisch, B Adagio, II B sehr schnell, misterioso kann sich nicht entfalten, III MT Klang?, wenig tranquillo

4

Cyprien Katsaris

EMI

1975

33‘15

 

gepflegtes Klavierspiel, sachlich, etwas trocken, kaum ausdrucksstark, Empathie zu dieser Musik?, III Tempi in gutem Verhältnis

     

3-4

Gilbert Schuchter

Tudor

P 1970

28‘30

 

insgesamt objektive Darstellung, gemäßigte Tempi, etwas hölzernes Klavierspiel, I A ohne Druck, Adagio, spannungsvolle Rückleitung nach A, II C ohne Delikatesse, fast wie buchstabiert, III MT zerfällt, Zusammenhang geht verloren

3-4

Rudolf Buchbinder

Teldec

P 1979

23‘55

 

insgesamt kraft voll, jedoch oberflächliche Brillanz, technisch bewältigt, jedoch geglättet, Bassbegleitung zu gleichförmig, Musik wie abgeliefert, Poesie bleibt leider auf der Strecke

3-4

Rudolf Firkusny

BBCL

1980

20‘49

 

live – infolge des schnellen Tempos wirkt die Musik etwas flüchtig, nur eine Draufsicht, keine Hingabe spürbar, etwas kühl, I A assai, Klang anfangs etwas vernebelt, II kaum Dramatik, Höhepunkt T. 56 abgewürgt, III sehr schnell (Rekordtempo), B ohne jeden Tiefgang

3-4

Abdel Rahman El Bacha

forlane

1995

22‘33

 

insgesamt etwas einseitig, man vermisst ein „verweile doch, du bist so schön“, interpretatorische Lücken, Schuberts Schönheiten, der Tiefsinn kommen zu kurz, I A assai!, viel Druck, B leider nur eine Episode, C bewegt – nur wenige Wiederholungen

     

3

Michel Dalberto

Denon      Brilliant

1995

31‘02

 

Klavierspiel als Sport, hier am falschen Objekt, robust, viel Klavierdonner, Pianist schaltet vom p direkt ins ff statt ins f, für den Hörer ermüdend , I A schnell, (zu) forsch, B bleibt an der Oberfläche

 

 Interpretationen auf einem Hammerflügel

   

5

Nikolaus Lahusen

Celestial Harmonies

2000

29‘02

 

mit großem Ernst, innerer Empfindung aber auch Dramatik gestaltet, ausdrucksstark, ein Ereignis!, ganz nahe bei Schubert

5

Andreas Staier

Teldec

1995

25‘36

 

quasi natürliches Klavierspiel, stimmige Tempi, auf die Besonderheiten des Notentextes – Tempi, Harmoniewechsel, Dynamik – eingehend

     

4-5

Lambert Orkis

Virgin

1990

25‘10

 

Orkis bringt auf dieser CD das erste Stück ohne den C-Abschnitt. Dieses ist jedoch mit C-Abschnitt auf einem zusätzlichen Take greifbar. Im Vergleich zu Staier lotet Orkis die Musik etwas weniger intensiv aus, weniger poetisch, auch die Dynamik könnte mehr p aufweisen; klanglich etwas gleichförmig

 

4

Melvyn Tan

Virgin

1987

21‘57

 

Tan scheint sich die Klavierstücke nicht zur Herzensangelegenheit zu machen, geringe Tempogegensätze, eher eine Draufschau als ein tiefes Eindringen in die Partitur, aufgrund fehlender Wiederholungen abgespeckte Version

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Wilhelm Kempff

Parallel zu Schuberts Klaviersonaten bei der DGG wurden auch die Drei Klavierstücke D. 946 sowie weitere kürzere Stücke eingespielt. Diese Aufnahme sollte man als gültige Interpretation einmal gehört haben. Es ist eine durch und durch poetische Darstellung, die voll überzeugt. Nicht das laute Auftrumpfen steht hier im Mittelpunkt, sondern eher die bewundernswürdigen Nuancierungen, z. B. im 2. Stück Frage und Antwortspiel T. 1-9, im 3. Stück der abgeklärte Mittelteil mit seinen wunderbar farbigen Schattierungen oder die mirakulös gestalteten Übergänge. Auch die flexible Gestaltung bei den Wiederholungen sollte nicht vergessen werden zu erwähnen. Poesie ist ein Markenzeichen dieser Interpretation. Bei (fast) keinem anderen Pianisten fügt sich das dritte Stück als zwingender Abschluss der Serie ein. Etwas irritierend jedoch Im ersten Stück: bei Kempff scheinen in den Takten 3, 7, … die Punkte nicht hinter den Achteln sondern darüber zu stehen.

Im selben Jahr der Studioaufnahme standen die Drei Klavierstücke auch auf dem Programm von Kempffs Klavierabend in London, den die BBC mitgeschnitten und viele Jahre später auf BBCL zugänglich gemacht hat. Das oben gesagte gilt auch hier, mit ein paar Abstrichen: das p-Spiel ist weniger überzeugend (großer Saal), im zweiten Stück abgesehen vom B-Teil werden alle Wiederholungen weggelassen und zu Beginn des ersten und letzten Klavierstücks stört ein unruhiges Publikum.

 

Claudio Arrau

Claudio Arrau war meines Wissens der erste Klavierspieler, der Schuberts Drei Klavierstücke einspielte, 1956 in London für EMI. Im Gegensatz zu früheren EMI-LPs ist hier der Klavierklang gut abgebildet. Arrau arbeitet die Tempogegensätze in den einzelnen Stücken sehr gut heraus. Im ersten Stück beginnt er sehr schnell, feurig, trotzdem hat er noch Zeit, auf den Dialog zwischen rechter und linker Hand hinzuweisen. Langsam, nicht Andante, das alla-breve-Zeichen missachtend, spielt er mit Inbrunst den B-Teil. Arrau bringt auch das von Schubert gestrichene zweite Couplet (Teil C), hier etwas nachdenklich gespielt. Das zweite Stück klingt nicht ganz so überzeugend, melancholischer A-Teil, der c-Moll-Teil ist etwas starr und bei Teil C wünschte man sich etwas mehr an Delikatesse. Das letzte Stück spielt der Pianist im Gegensatz zu den beiden Vorgängern in ziemlich schnellem Tempo, jedoch mit ernstem Ausdruck und einer scharfen Klanglichkeit, etwas mehr Wärme würde dem Stück gut tun. Insgesamt liegt hier eine bemerkenswerte Interpretation vor, die allen Arrau-Verehrern Freunde manchen wird.

Die drei Jahre spätere BBC Studio-Aufnahme, ist eine abgespeckte Version der beschriebenen früheren, in der der Pianist auf die meisten Wiederholungen verzichtet. Der Mittelteil des dritten Stücks wird hier etwas schneller gespielt. In seinen letzten Lebensjahren wollte Arrau noch einmal die seiner Ansicht nach wichtigsten Klavierkompositionen erneut aufnehmen. Einiges ist fertig geworden, über die Ausdruckskraft der Musik kann man geteilter Meinung sein, manches verhinderte jedoch sein Tod im Jahre 1991. Wer bei den drei Klavierstücken eine milde Sicht erwartet, wird positiv überrascht werden. Wie in seiner ersten Aufnahme werden alle Wiederholungen befolgt, sein Klavierspiel ist jetzt weniger flexibel, ein wenig hölzern. Den erwähnten Dialog in Stück Eins kann man nur noch erahnen, das letzte Stück ist jetzt langsamer, besitzt aber mehr Wärme und Farbe als früher. Positiv zu Buche schlägt der hellere Klavierklang, in den sich jedoch entfernte Verkehrsgeräusche im Hintergrund eingeschlichen haben.

 

Alfred Brendel

Bevor der österreichische Pianist beim holländischen Label Philips Plattenkarriere machte, nahm er viel Beethoven auf, aber auch Mozart, Schubert, Schumann und Liszt. Die Platten wurden von Vox aufgenommen und vor allem für den amerikanischen Markt produziert, so nahm man in Europa wenig Notiz von diesem Ausnahme-Pianisten. Die erste Philips-LP (1975) mit den Drei Klavierstücken, gekoppelt mit den Impromptus D. 935, wies nachdrücklich auf diese bis dahin im Schatten der Impromptus und Moments Musicaux stehenden Klavierwerke hin. Für viele Musikfreunde war es vielleicht der Erstzugang zu diesen mirakulösen Stücken. Brendel glänzt mit einem geschmeidigen und facettenreichen Klavierspiel, angemessenen Tempi, differenzierter Dynamik und immer wieder spannenden Momenten. Ich meine, dass es der Pianist versteht, die Drei Klavierstücke als eine Gesamtheit darzustellen, in dem das dritte Stück nicht nur als ein weniger interessantes Anhängsel aufgefasst wird. Die digital-Aufnahme zwölf Jahre später bringt außer einem verbesserten Klang wenig Neues. Die Takte 17/18 im ersten Stück kommen jetzt organischer, auch der Dialog T. 45-53 wird dezent herausgestellt, im zweiten Stück kommt mir der C-Abschnitt schon etwas routiniert vor. In der Vox-Aufnahme von 1962, jetzt bei Brilliant verlegt, steckt schon alles drin, was man bei den späteren Interpretationen bewundert. Die Dynamik ist jedoch weniger verfeinert, im Misterioso des zweiten Stückes trifft er noch nicht den Kern, es sind mehr die Noten, weniger das, was dahinter steckt.

 

eingestellt am 12.04.19

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