Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Klaviersonate a-Moll D. 845 (op. 42)

Moderato – Andante poco mosso – Scherzo, Allegro vivace, Trio, un poco piu lento – Rondo, Allegro vivace

   

Auf dem Titelblatt des Erstdrucks seiner neuen Klaviersonate in a-Moll-Sonate, es ist bereits die dritte in dieser Tonart, lässt Schubert mit Stolz vermerken: Première Grande Sonate, 15 Sonaten oder einzelne Sätze waren ihr jedoch bereits vorausgegangen. Die Widmung erfolgte an Erzherzog Rudolf, den Freund und Gönner Beethovens. Bald nach ihrem Erscheinen bringt die bekannte Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung eine lobende Besprechung dieses Werkes und stellt es in die Reihe der größten Sonaten Beethovens. So eine Beachtung hatte eine Komposition Schuberts bisher nicht erfahren können. Kompositionstechnisch geht Schubert jedoch seine eigenen Wege, die sich nicht an Beethovens dialektische und kantige Vorgehensweise orientiert. Gleichwohl klingen in den Ecksätzen Stimmungen auf, die Beethoven nahestehen. Insbesondere Friedrich Gulda erinnert in seinen Einspielungen daran.  

Hinweise zu den Sätzen:

 Satz 1 (a-Moll): Der Schubert-Kenner Paul Badura-Skoda schreibt im Booklet seiner Gesamtaufnahme aller Klaviersonaten treffend: erstes Thema – Beginn wie eine beängstigende Traumvision [legato-Motiv mit Mordent auf der zweiten Note im pp], abgelöst von einem energischen Marschmotiv [Viertelnoten, staccato im mf] – zwischen diesen beiden entwickelt sich ein Wechselspiel. Völlig neuartig ist die Verschmelzung von Durchführung und Reprise, ein Vorgang, der Bruckners 8. um 60 Jahre vorausnimmt, dann die gigantische Schlussentwicklung zu einem Todesmarsch.

Dem Marschmotiv wird während der Entwicklung ab T. 26 ein Klopfmotiv – unisono in beiden Händen – vorangestellt. Diesem markanten Motiv, bestehend aus vier Achteln mit Oktavsprung zu Beginn und einer nachfolgenden Viertel, nimmt in der Entwicklung des Satzes eine wichtige Stelle ein und begegnet Spielern und Hörern bis zum Satzschluss. Die dritte und vierte Achtel sowie die nachfolgende Viertelnote sollen staccato ausgeführt werden. In den Takten 77/79, 81/84,  87-89, sowie später T. 237 und 242 fehlt jedoch der staccato-Punkt über der Viertel, das klingt dann ein wenig versöhnlicher. War das vom Komponisten bewusst so gewollt oder nur eine Nachlässigkeit bei der Drucklegung? Die Viertel ohne staccato wird nur von wenigen Pianisten ausgeführt: Kempff, Goode, Marks, und Katz.

 Hingewiesen sei noch auf eine weitere Stelle: In den Takten 14/14 sowie 17/18 spielt die Oberstimme jeweils die Töne h-h-gis, wobei das zweite h als Auftakt mit einem Bogen mit dem folgenden gis verbunden, also legato zu spielen ist. Von vielen Interpreten wird diese, zugegeben kurze, Artikulation übersehen, einige bleiben hier im Ungefähren. Nach Notentext verfahren  Badura-Skoda, Lupu, Dalberto, Goode, Schiff, Endres, Marks, Lifits, Lewis, Katz, Kirschnereit und Schwizgebel.

 Auch im zweiten Satz (C-Dur) könnte man im Thema über die staccato-Punkte diskutieren, die jedoch von der Mehrheit der Pianistinnen und Pianisten übernommen werden. Über das vergleichbar lange Thema von 32 Takten (16 + 16) hat Schubert 5 Variationen verfasst, wobei die dritte nach c-Moll und die vierte nach As-Dur ausweichen. Pianistinnen und Pianisten, die bei ihrem Vortrag ältere Notenausgaben verwenden, spielen im zweiten Teil der ersten Variation 12 Takte. In allen anderen Variationen sind es vergleichbar allerdings 16 Takte. Der schon oben erwähnte Badura-Skoda hat 1958 darauf hingewiesen. Er führt die Auslassung von vier Takten auf einen Stichfehler beim Wechsel auf eine nächste Seite beim Erstdruck zurück (s. Neue Zeitschrift für Musik 119, 1958 S. 635-643). In seiner revidierten Ausgabe im Verlag Henle hat Badura-Skoda diese vier Takte  hinzugefügt. Seitdem werden sie von den meisten Pianistinnen und Pianisten übernommen.

Der dritte Satz ist ein Scherzo in a-Moll. Hier werden die Spannungen des ersten Satzes wieder aufgenommen, bezeichnend für die Musik sind die abrupten Harmoniewechsel. Amir Katz weist im Booklet seiner Einspielung auf eine Ähnlichkeit zur 5. Variation von Beethovens Diabelli-Variationen hin. Ganz im Gegensatz zu dieser motorischen Bewegung steht das ganz anders geartete Trio, das nach Schuberts Willen nur un poco piu lento, also nur etwas langsamer gespielt werden soll, also kein Adagio gemeint ist.  Eine tiefgründige Musik, nur mit wenigen Noten skizziert.

Der vierte Satz, (ebenfalls a-Moll) ist für ein Schubert-Finale recht kurz gehalten. Hier ist nicht das Rondothema, huschende Achtel, die Hauptsache, sondern die Couplets mit ihren kraftvollen Akzenten und Akkordballungen. Die Themen entwickeln sich, klingen wieder ab und erscheinen aufs Neue. Insgesamt gesehen schreitet die Musik etwas ziellos voran. Die letzten Takte erinnern an den Schluss des ersten Satzes.

Im ersten Satz scheint die Zeit teilweise stillzustehen, im Finale jedoch davonzulaufen. Je mehr ich die a-Moll-Sonate höre, bin ich von der Größe ihrer Musik beeindruckt. Von hier ist es zu den letzten Sonaten nur ein kleiner Schritt.

Schubert wünscht eine Wiederholung der Exposition im Kopfsatz, die von den meisten Ausführenden auch befolgt wird, Ausnahmen: Kempff-DG, Badura-Skoda, Gulda-67, Haskil, Klien und Damgaard.

   

5

Radu Lupu

Decca

1979

36‘35

 

I gleichwohl empfindsam als auch kräftig zupackend, viel Dramatik in der Durchführung, II profilierte Darstellung, bis ins Kleinste ausgefeilt, III herb, ungestüm, Trio klar, aber nicht weich, IV beherzter Zugriff, Schuberts Dynamik

5

Friedrich Gulda

ORF    Andante

1967

26‘51

 

5

Friedrich Gulda

Amadeo

1977

33‘29

 

5

Maria João Pires

DGG

2011

39‘35

 

I genaue Umsetzung des Notentextes, nachdenklich, Attacke und Poesie gleichermaßen berücksichtigt, II das tänzerischer Moment des Themas nicht übersehen, Pires gibt jeder Variationen die ihr eigene Physiognomie, bewunderungswürdige Anschlagskultur, beschauliches Scherzo, weniger Dramatik, wunderbar ausgeglichenes Trio, IV Ziellosigkeit der Achtelbewegung wird evident

5

Michail Lifits

Decca

2014

41‘49

 

Lifits erobert sich und uns Schuberts op. 42 – I Moderato beim Wort genommen, sehr gute Artikulation, Orientierung an Schuberts Dynamikangaben, Klang des Flügels gut abgebildet, II wissende, liebevolle Umsetzung des Notentextes, mäßiges Tempo, ohne, dass der Spannungsbogen reißt, III und IV auf dem Niveau der vergangenen Sätze

5

Paul Badura-Skoda

RCA

1971

31‘43

 

5

Paul Badura-Skoda

RCA

1968

33‘04

 

5

Louis Schwizgebel

Arparte  HMF

2016

35‘53

 

I aufmerksame Umsetzung des Notentextes, Dramatik überwiegt, II überzeugende Differenzierung, feinfühlig gestalteter Satzschluss, III ausdrucksstarkes Scherzo, Trio nach Schuberts Willen un poco piu lento, IV mit Nachdruck

 


4-5

Alfred Brendel

Philips

1974

35‘07

 

4-5

Alfred Brendel

Philips

1987

35‘15

 

4-5

Anton Kuerti

Analekta

1984

38‘00

 

I schwerblütig, gewichtig, scharfe Farbwechsel, II mit viel Klangsinn, III sehr langsames Trio, geringere Wärme, IV Schuberts Ratlosigkeit unterstreichend

4-5

Christian Zacharias

EMI

P 1978

35‘58

 

4-5

Christian Zacharias

EMI

1992

36‘52

 

4-5

Maurizio Pollini

DGG

1973

36‘23

 

I Moderato, gelöstes Musizieren, selten auftrumpfend, subtil differenziert, II inspiriert, ausdrucksstark, Überleitungen am Ende von V 2-4 lassen aufhorchen, wunderbar empfundener Satzschluss, III kontrastreiches Scherzo, schlichtes, aber tief empfundenes Trio, IV scharfe Farbwechsel

4-5

Matthias Kirschnereit

Berlin Classcs

2011

37‘07

 

I suchend, etwas verträumt, aber auch beklemmend, bis der Klopf-Rhythmus die Oberhand gewinnt, II staccato-Achtel überspielt, überlegene Gestaltung der einzelnen Variationen, III das Trio hinterlässt einen etwas beklemmenden Eindruck

4-5

Andras Schiff

Decca

1992

36‘25

 

I überwiegend lyrisch empfunden, stellenweise wie verträumt, unaufgeregt, mehr dem Leisen wie dem Lauten verhaftet; in Schuberts Kammer, nicht auf dem Podium musiziert; Moderato ernst genommen, II ähnliche Haltung wie in Satz 1, III Trio zart, jedoch nicht innig, IV bei den f-Stellen nicht auftrumpfend

4-5

Amir Katz

Sony

2005

36‘15

 

I entschieden, brillant formuliert, disziplinierte Musikalität, II klare Artikulation, gestalterischer Ernst, feinfühlige Übergänge, III Trio mit Feingefühl – technische Brillanz schiebt sich etwas vor Schuberts Ausdruckspotential

4-5

Mitsuko Uchida

Philips

1998

37‘41

 

I überzeugende Dynamik mit bemerkenswerten Schattierungen, Akkorde in den lauten Abschnitten immer ausgewogen, nie knallig oder scharf und drängend, insgesamt geringere Dramatik, II Kontraste nicht nur durch Vorgaben des Notentextes sondern auch durch Tempomodifikationen zwischen den einzelnen Variationen herbeigeführt, Textvariante in V 1 zweiter Abschnitt, III im Scherzo rhythmische Energie nutzend, Trio mit viel Poesie, IV überwiegend vehementer Zugriff

4-5

Alan Marks

Nimbus

1994

38‘55

 

live, I Marks betont mehr den epischen Charakter der Musik, II große Sensibilität für Schuberts Schöpfung, III Differenzierung im p-Bereich nicht ausgeschöpft, Scherzo kaum leichtfüßig, Trio weniger innerlich, IV Musik ohne Ziel erlebbar gemacht

4-5

Alain Planès

HMF

2000

37‘09

 

I sich Zeit lassend, angemessene Dynamik, geringere Spannung, II das Spezifische der Variationen herausgearbeitet, III mit wacher Aufmerksamkeit, IV klare Artikulation, elastisches Musizieren

4-5

Walter Klien

VOX

P 1973

30‘40

 

I phantasievoller Umfang mit dem Notentext, gespannte Darstellung, II Klien verzichtet auf die Wiederholungen in den jeweils zweiten Abschnitten, mit spürbarer Hingabe, III markantes Scherzo, Trio mit Feingefühl, IV Dynamik etwas pauschal

4-5

Wilhelm Kempff

Decca

1953

34‘34

 

4-5

Wilhelm Kempff

DGG

1965

29‘02

 

 

 

4

Svjatoslav Richter

Melodya   BMG

1957

35‘35

 

I gezogen, (sehr) gewichtig, in der Durchführung (T. 120-141) schnelleres Tempo, II überwiegend locker, ausgenommen V 3, jedoch kaum empfindsam, III fester Zugriff, jedoch auch facettenreich, Trio voller Melancholie, IV überwiegend motorisch, bei den f-Stellen schroff

4

Michael Endres

Capriccio

1994

35‘00

 

den Anforderungen des Notentextes gerecht werdend, Musizierlaune steht insgesamt vor tieferem Eindringen in Schuberts Gedankenwelt, I entschieden, doch weniger kämpferisch, IV Achtelthema T. 1-46 zu laut

4

Richard Goode

Nonesuch

1990

34‘35

 

I eher zurückhaltend, gepflegt, geschmackvoll, mit den dynamischen Kräften haushaltend – Schuberts Dramatik keineswegs ausgeklammert, jedoch nicht exponiert, ausgewogen, gelöstes Musizieren

4

Ingrid Haebler

Philips   Decca

1970

35‘25

 

I ausgewogen, jedoch nicht mit höchster Differenzierung, II vehementer Zugriff, jedoch mehr an der Oberfläche agierend, III Scherzo: locker, männlicher Vortragsstil, Trio: schön, jedoch etwas geheimnislos, IV etwas grobkörnig

4

Gerhard Oppitz

hänssler

2009

41‘02

 

I episch, Dramatik auf Sparflamme, II sich viel Zeit lassend für Schuberts himmlische Längen, III Trio kein pp, ohne Raffinessen, IV kontrolliert, Kontraste etwas überspielt

4

Paul Lewis

HMF

2012

35‘30

 

I relativ langsamer Beginn, dann aber schneller, kein festes Tempo, Dramatik etwas aufgesetzt, T. 283 letzte Note im Bass etwas länger, nicht staccato, II Verzicht auf staccato, alles gebunden, V 3 im langsameren Tempo, Interpretation etwas auf Brillanz angelegt, III Scherzo rhythmisch pointiert, IV keine Tempokonstanz, furioser Schluss

 

 

3-4

Michel Dalberto

Denon    Brilliant

1989

36‘26

 

I überwiegend episch, geringe Bandbreite bei der Dynamik, etwas geglättet, II  überwiegend heiter und gefällig, glücklicher Schubert, III moderate Dynamik, Trio etwas unterbelichtet, IV Tempovarianten – Dalberto pflegt eine etwas oberflächliche Brillanz, die Eigenart jedes Satz wird kaum getroffen

 

 

3

John Damgaard

Classico      TIM

P 2002

32‘13

 

I nur eine Draufsicht, anfangs nur p oder f, in der Durchführung besinnt sich der Pianist auf den Notentext, II fließendes Tempo, Interpretation nach Gusto, einige Rubati, III etwas willkürlich, wenig Innerlichkeit im Trio, IV an der Oberfläche bleibend

3

Clara Haskil

Tahra

1956

24‘57

 

live, eingeengte Dynamik in allen Sätzen, pauschal, starkes Rauschen – I bewegter Vortragsstil, männlicher Einschlag, unverzärtelt, Dramatik, II sehr bewegt, V 2 wie ein Virtuosenstück, Verzicht auf die zweiten Wiederholungen, V 5 zu laut, ohne Poesie, III auch hier ohne zweite Wiederholungen, Trio zu schnell und zu laut, IV Musik überfahren. grob – insgesamt zu viel Willkür, op. 42 ist jedoch stärker als Haskil – nur für Haskil-Fans

 

Interpretationen mit Hammerflügel


5

Andreas Staier

Teldec

1995

35‘42

 

Hammerflügel von Johann Fritz, Wien um 1825 – I mit mehr Gewicht als Badura-Skoda, una corda-Pedal verleiht einigen Stellen eine neue Dimension, wie T. 105-125 und Beginn der Reprise, II sehr differenziert, III das Unwirsche und Zerrissene des Scherzos sehr gut dargestellt, im Trio eine ganz andere Welt, IV Staier nimmt dem Satz das Flüchtige – Interpretation für die einsame Insel

 


4-5

Paul Badura Skoda

Arcana

1993

33‘33

 

Hammerflügel von Conrad Graf,  Wien um 1823 - ▼ 

 

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

Wilhelm Kempff

Als Wilhelm Kempff 1953 in London für die Decca Schuberts dritte a-Moll-Sonate einspielte, wird es wohl eine der ersten Aufnahmen dieses Werkes gewesen sein, die auch jahrelang keinen Nachfolger gefunden hat. In meinem ältesten Bielefelder Schallplatten-Katalog (1966) ist außer Friedrich Wührers Gesamt-Aufnahme für Vox keine Plattenaufnahme von D. 845 verzeichnet. Kempff muss diese Sonate geliebt haben, ich selbst konnte sie mit ihm im Konzertsaal zweimal erleben. Dafür spricht auch, dass sie – zusammen mit der G-Dur-Sonate D. 894 – als erste Schubert-Sonate für die DGG ausgewählt wurde. Kempffs Darstellung ist im Großen und Ganzen Schubert-affin, mit einigen Kempffschen Eigenarten, z. B. Darstellungen von Akkorden. Im Andante negiert der Pianist die staccato-Punkte und führt das Thema völlig legato vor. Insgesamt spielt er einfühlsam und mit viel Poesie, besonders auch am Ende der fünften Variation. Das Trio im dritten Satz wird ganz zurückgenommen. Eine überlegene dynamische Gestaltung zeichnet  den Rondo-Satz aus. Warum T. 460 (in beiden Aufnahmen) fast überspielt wird, bleibt Kempffs Geheimnis.

Die schon erwähnte zweite Aufnahme von 1965 sollte (nach Willen der DGG?) auf eine Plattenseite gepresst werden, auf die Rückseite kam die Sonate D. 894. Nach damaliger Presstechnik war dies nur mit Kürzungen möglich: Im ersten Satz fehlt die Wiederholung der Exposition und im Andante fällt jede zweite Wiederholung der einzelnen Variationen weg. So lernte ich das Werk kennen. Der Klang der Neuaufnahme ist etwas besser, interpretatorisch hat sich jedoch kaum etwas geändert. Das Trio des dritten Satzes klingt nicht mehr so verbindlich wie früher.

Paul Badura-Skoda

Der Wiener Pianist hat sich jahrzehntelang mit Schuberts Klaviersonaten beschäftigt, nicht nur auf Flügeln von Bösendorfer und Steinway, sondern auch auf Hammerflügeln aus der Schubert-Zeit, ein Zeichen für sein Interesse für die historisch-informierte Aufführungspraxis. Neben seiner praktischen Tätigkeit als Pianist trat er auch als Herausgeber der Schubert-Sonaten im Verlag Henle hervor, vor allem bei der Bearbeitung der vielen unvollendeten Sonaten, die er durch behutsame Ergänzungen zur spielfähigen Werken den Pianistinnen und Pianisten zur Verfügung stellte und sie so aus dem Dunkel der Musikgeschichte herausholte.

Die Sonate D. 845 hat Badura-Skoda innerhalb von wenigen Jahren zweimal für RCA aufgenommen, die mich beide überzeugen. Den Kopfsatz spielt er 1968 energisch, vorwärtstreibend, überwiegend dramatisch, mit einer inneren Unruhe. Warum er dabei auf die Wiederholung der Exposition verzichtete, ist nicht nachzuvollziehen. Im Andante irritiert mich etwas eine nicht konsequente Handhabung der staccato-Punkte in der Oberstimme des Themas. Thema und die einzelnen Variationen werden jedoch gut voneinander abgesetzt. Schuberts Dramatik und Poesie kommen deutlich zum Tragen. In der zweiten Wiederholung der dritten Variation bringt er in den Takten 99/100 ein deutliches Ritardando. Das Ende der letzten Variation erreicht wie ein Abschiedsgesang eindringlich die Ohren der Zuhörer. Einen guten Kontrast schafft der Pianist zwischen Scherzo und Trio, wobei im Scherzo das piano leiser sein könnte. Sehr unruhig, wie getrieben, endet diese Interpretation. In der drei Jahre späteren Neuaufnahme – im Rahmen einer Gesamteinspielung – wählt Badura-Skoda marginal schnellere Tempi. Im ersten Satz – wieder ohne Wiederholung – klingt die Musik stellenweise etwas geschmeidiger, die ppp-Stelle T. 105 ff. erhält nun einen leiseren und unheimlicheren Anstrich. Im Thema des zweiten Satzes werden die staccato-Punkte dem Notentext angepasst. Schuberts Dramatik kommt noch mehr zum Tragen. Im Scherzo bemüht sich der Pianist um eine bessere Differenzierung im pp-Bereich. Das Trio klingt dagegen etwas weniger innerlich wie früher. Noch unerbittlicher als früher lässt der Pianist das Rondo zu Ende gehen. Trotz der erwähnten Einwände handelt es sich hier um gültige Interpretationen im Geiste Schuberts.

Wie schon oben angedeutet, kann der Schubert-Freund auch auf eine Interpretation mit einem Hammerflügel zurückgreifen. In den Jahren 1991-1996 hat Badura-Skoda eine Gesamt-Aufnahme der Schubert-Sonaten mit verschiedenen Instrumenten der Zeit beim kleinen Label Arcana vorgelegt. Die a-Moll-Sonate besitzt eine längere Spielzeit, da der Pianist nun auch die  Exposition wiederholt, das Tempo insgesamt ist jedoch in allen Sätzen etwas schneller. Die Musik im Kopfsatz klingt jetzt unruhiger, besonders die Durchführung (T. 133 ff.). Die Kontraste zwischen legato und staccato werden jetzt stärker ausgespielt. Im Andante sowie dem Trio des dritten Satzes muss sich die Poesie leider der Mechanik des Instruments unterordnen. Im Finale bleibt der Pianist leider hinter Schuberts Dynamikvorstellungen zurück.

Friedrich Gulda

Gulda hat Schuberts dritte a-Moll-Sonate zweimal eingespielt. Die erste Aufnahme entstand 1967 beim ORF – im Jahr seiner Beethoven-Gesamtaufnahme für Amadeo – und wurde später vom Label Andante in einer 4-CD-Box herausgebracht. Dem Pianisten gelingt hier eine der fesselnsten Interpretationen, die ich kenne. Gulda spielt sehr konzentriert und bringt im Kopfsatz die innere Dramatik aber auch die Melancholie hervorragend zum Klingen. Er orientiert sich immer an Schuberts Dynamik, sie kann im 2. Satz auch sehr schroff ausfallen. Das ist nicht unbedingt die Art, wie man es bei Schubert erwartet. Das Scherzo wird von Gulda kompromisslos schnell genommen und dem langsamen Trio gegenüber gestellt. Für das abschließende Rondo bemüht Gulda das Schroffe und Unwirsche (Triller) nach Beethovens Manier.

10 Jahre später (1977) entstand für das österreichische Label Amadeo eine offizielle Studio-Aufnahme. Hier gibt sich Gulda etwas gezügelter, nicht ganz so dramatisch wie zuvor, er bringt auch die Wiederholung im Kopfsatz. Sehr überzeugend gelingt ihm der Beginn der Durchführung (T. 104 ff.). Für den zweiten Satz nimmt sich Gulda jetzt mehr Zeit und erreicht dabei einen höheren Grad an Binnendifferenzierung. Insgesamt klingt dieser Satz jetzt etwas epischer, bei allerdings geringerer Spannung. Viel Empfindung schafft der Pianist in der abschließenden 5. Variation. Das Tempo im Scherzo wird gegenüber früher etwas zurückgenommen und Im Finale erinnert Gulda wieder an Beethoven. Der Klang der Aufnahme entspricht Guldas Interpretationshaltung: etwas herb. Auch diese Interpretation zähle ich zu den gültigsten dieser Sonate.

Alfred Brendel

Der in Österreich geborene Wahl-Engländer Brendel hat sich Zeit seines Pianisten-Lebens immer auch mit Schuberts Sonaten-Schaffen beschäftigt, dabei berücksichtigte er jedoch nur die späteren bekannten Sonaten, die er teilweise bis zu viermal festhielt. Die erste Aufnahme der a-Moll-Sonate entstand 1974 für das Philips-Label. Im Vergleich zum ein Jahr älteren Landsmann Gulda legt legt Brendel mehr Wert auf einen ausgewogenen Klang, sein Anschlag ist weicher, jedoch weniger differenziert. In der 5. Variation des zweiten Satzes nimmt Brendel ab T. 131 viel Pedal und schafft eine geheimnisvolle Atmosphäre bis hin zum Satzschluss. Im im Vergleich zu Gulda langsameren Scherzo nimmt Brendel ab T. 70 das Tempo noch etwas zurück. Das Trio klingt ganz verhalten, fast gläsern. Verbindlicher, nicht so scharf umrissen beschließt der Rondo-Satz diese Sonate. Die Tempi in Brendels zweiter Aufnahme (1987) sind, abgesehen im Finale, nur geringfügig schneller als früher. Der erster Satz klingt nun etwas herber, die Bässe kommen in der Durchführung des erstend Satzes bei T. 126 ff. etwas deutlicher. Im Finale des Andante-Satzes ist der Hörer gefangen von der Poesie, die Brendel hier zaubert. Im Trio des dritten Satzes bringt Brendel mehr Farben ein und ermöglicht einen wunderbar magischen Klang. Beide Brendel-Interpretationen gehören zu den besten der Schubert-Diskographie.

Christian Zacharias

Als EMI-Electrola Mitte der 1970er-Jahre den 25jährigen Pianisten Christian Zacharias unter Vertrag nahm, durfte er neben Haydn und Scarlatti zwei Klaviersonaten von Schubert aufnehmen, die nicht das gängige Repertoire bedienten, die Sonate G-Dur D. 894 und vorliegende a-Moll-Sonate D. 845, die ihm im Großen und Ganzen gelangen. Im Kopfsatz herrscht ein geradliniges Musizieren vor, kämpferisch, im ernsten Tonfall, teilweise düster, auch verbissen. Damit rückt er die Sonate in Richtung Beethoven, auch wenn er sich an Schuberts Dynamik hält. Den Variationssatz spielt Zacharias als Musik eines Einsamen, konzentriert und herb. Im schroff gespielten Scherzo betont er die dynamischen Kontraste. In völligem Gegensatz dazu klingt das Trio wie aus einer anderen Welt. Unwirsch, wie getrieben endet bei Zacharias das Finale. Mehr als 10 Jahre später bringt das selbe Label eine Neuaufnahme (digital) dieser Sonate mit Zacharias heraus, im Rahmen einer Aufnahme der späteren Schubert-Sonaten. Das Klangbild ist nun etwas aufgehellt, der Pianist lässt mehr Licht in das Werk. An des Pianisten Musizierhaltung hat sich jedoch nicht viel geändert. Im Finale kommt die Musik nun etwas verbindlicher aus den Lautsprechern.

eingestellt am 08.09.21

 

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