Das Klassik-Prisma |
|
Bernd
Stremmel |
Diese Webseite ist urheberrechtlich geschützt.
Franz Schubert
Klaviersonate B-Dur D. 960
Molto moderato – Andante sostenuto – Scherzo, Allegro
vivace con delicatezza – Allegro ma non troppo
Die B-Dur-Sonate ist die letzte
Klaviersonate Schuberts und wurde vor dem Ausbruch seiner tückischen Krankheit
am 26. September 1828, etwas weniger als zwei Monate vor seinem Tode,
vollendet. Viele Musikologen äußern die Ansicht, der Komponist habe noch bei
klarem Bewusstsein, aber vor dem Wissen des nahen Todes, das Werk zu Papier
gebracht, was sich auf die Stimmung zumindest der beiden ersten Sätze
ausgewirkt haben soll. Hier sind Zweifel angemeldet, a) wie Skizzen belegen,
wurde sie als abschließender Teil einer Trias bereits im Frühjahr des
Todesjahres 1828 geplant, b) weil Schubert das Werk noch am 27. September
zusammen mit der c-Moll und A-Dur-Sonate selbst aufgeführt hat. Außerdem
unternahm er im Oktober zusammen mit seinem Bruder Ferdinand noch eine
Wanderung von Wien nach Eisenstadt, um Haydns Grab zu besuchen. Bei einem
Erschöpfungszustand aufgrund der Erkrankung wäre sie kaum möglich gewesen.
Hinweise zu den Sätzen:
1. Satz: Die
Sonatenhauptsatzform wird nicht in Frage gestellt, jedoch mit einem nicht
üblichen dritten Thema ausgeweitet. Die Themencharakterisierung weicht jedoch
vom Üblichen ab: die beiden ersten Themen lyrisch, mit wenig Kontrast, erst mit
dem 3. Thema kommt Unruhe in den Satz, der bis dahin völlig undramatisch
verlief. Das 1. Thema erscheint in zwei Abschnitten, zunächst fließend,
choral-ähnlich, dann in der entfernten Des-Dur-Tonart scheinbar schneller, der
höhere Bewegungsgrad ist jedoch durch die Verwendung von Sechzehnteln im Bass
eingearbeitet, an Stelle Viertel und Achtel. Das 2. Thema, enharmonisch
verwechselt von ges in fis, erscheint – ungewöhnlich – in der Tenorlage und
öffnet den Horizont. Das etwas zappelige 3. Thema aus gebrochenen Dreiklängen
in Triolen hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Motiven aus der vorangegangenen
A-Dur-Sonate.
Schubert erwartet, dass die
Exposition wiederholt wird, was früher ignoriert wurde, seit den 1970er Jahren
jedoch befolgt wird. Diese W bewirkt jedoch auch, dass ein langer Satz
zusätzlich verlängert wird. Alfred Brendel hält diese W für einen Fehler: der
Wechsel zwischen laut und leise in den neun prima volta-Takten und
danach der plötzliche Triller-Donner störten den gleichmäßigen Fluss der Musik.
Für andere Musikologen entlädt sich hier die unterschwellige angestaute
Spannung der vorausgegangenen Takte. Die Durchführung berührt nacheinander die
drei Themen, das letztere mit seinen ab- und aufsteigenden Akkordbrechungen in
Achteltriolen wandert durch diverse Tonarten, beginnend in A-Dur und erreicht
auf dem Höhepunkt Des-Dur, der Nebentonart des Satzes. Dieser schnellen
Bewegung setzt Schubert in der linken Hand, später auch in der rechten, eine
Folge von einer Halben mit zwei folgenden Achteln entgegen, die eine gewisse
Stabilität vermitteln. Im weiteren Verlauf der Durchführung wirken sie
bestimmend, paaren sich mit einer Kette von Achtel-Akkorden und durchlaufen
wiederum verschiedene Tonarten. Bis sie vom 1. Thema abgelöst werden, bei
Beibehalt der Achtel-Akkorde abwechselnd in der linken und rechten Hand. Am
Ende der Durchführung scheint Schubert die Erkenntnis aufgegangen sein, dass es
auf diese Weise nicht mehr weitergehen kann (T. 209), keine Steigerung mehr
möglich ist. Mit einem chromatischen Abgang steuert er wie hilfesuchend auf den
bekannten Triller auf ges zu, nach einer kurzen Pause wird er zwei
Oktaven tiefer auf dem Kontra-ges wiederholt , alles im ppp. Nach einer
längeren Pause beginnt nun die Reprise ohne Überraschungen.
Der dreiteilige 2. Satz hat
Schubert in den Außenteilen mit einer mehr oder weniger ausgeprägten
Melancholie belegt. Die Melodie der rechten Hand könnte man mit einem Nocturne
in Verbindung bringen, wäre da nicht die Begleitfigur aus rhythmisch markanten
staccato-Noten in der linken Hand, die sich von Oktave zu Oktave drei
Stockwerke hinauf und über die höchste Note des Diskants hinaus bewegen und so
die sanfte Nocturne-Melodie umgarnt. Das erinnert an die Pizzicati des 2. Cello
im 2. Satz des Streichquintetts in C-Dur. Trotz dieser jeweils kurzen Noten
schafft Schubert einen Orgelpunkt über cis, anschließend über gis,
der der Musik eine überirdische Ruhe verleiht. Solisten und -innen sollten den
Rhythmus der linken Hand strengstens absolvieren: der Abstand vom ersten zum
zweiten Ton ist (gedacht) über die Pause hinaus eine Doppelpunktierung, der
zweite Ton also eine Zweiunddreißigstel, in etlichen Takten trifft sie in der
Melodie der rechten Hand auf eine Sechzehntel, beide dürfen aber nicht zusammen
angeschlagen werden, zuerst kommt die Sechzehntel in der r. Hd., dann in den
Klang hinein die Zweiunddreißigstel in der lk. Hd. (vgl T. 9-12, 16, 26-28).
Diese Feinheit wird oft überspielt, sogar von Claudio Arrau, der ob seiner
peniblen Umsetzung des Notentextes schon legendär geworden ist.
Ab T. 34 ändert Schubert die
Begleitung ein wenig: der Rhythmus wird vereinfacht (später auch so im
Wiederholungsteil) und die Achtel überspannen nun nicht mehr vier, sondern drei
Oktaven.
Der Mittelteil des Andantes ist
nun positiver besetzt und strahlt Zuversicht aus. Das hymnische Thema erscheint
viermal hintereinander, in verschiedenen Tonarten und mit zwei sich
abwechselnden Begleitungen, so ergibt sich ein Schema a-b-a-b. In der
Wiederholung des ersten Teils (A‘) möchte ich noch auf den Wechsel von Gis-Dur
nach C-Dur (T. 102/103) aufmerksam machen: der Diskant-Ton gis´´ wird
hier nach g‘´ übergeleitet, ohne dass eine Zäsur entstehen darf.
Sensible Musikerinnen und Musiker können die besondere Atmosphäre dieses
Übergangs mit Nachdruck vermitteln.
Mit dem Scherzo (B-Dur) betritt
Schubert eine andere Welt, lebhaft soll es hier zugehen, aber auch mit
Delikatesse musiziert werden. Das Tempo ist bei den meisten Interpreten kein
Problem, delicatezza zu vermitteln gelingt jedoch nicht immer. Der
Melodie im Trio (b-Moll) wird durch Synkopen und heftigen Sforzati ihrer Ruhe
beraubt.
Der letzte Satz wird, wie
bereits der Kopfsatz, mit drei Themen bestritten, einem munteren ersten Thema
folgt ein eher fließendes, das einem seiner Impromptus entsprungen sein könnte.
Das dritte Thema (f-Moll), mächtig aufbrausend, beruhigt sich bald und wird von
Schubert in einen unbeschwerten stilisierten Tanz in F-Dur überführt. Die
knappe Durchführung bezieht sein thematisches Material aus dem 1. Thema. Auf
die Ähnlichkeit des 1. Themas im Finale zum letzten (hinzukomponierten) Satz
von Beethovens Streichquartett B-Dur op. 130 ist mehrfach hingewiesen worden.
Etwas seltsam, wie fragend oder auch bedrohlich, klingt der einleitende Akkord
von zwei g-Tönen im Oktavabstand, ihm begegnet man immer wieder. Das ist
keine neue Erfindung des Komponisten, bereits im letzten Satz des Forellenquintetts
wandte er sie an. Mit einer knappen Stretta endet Schuberts letzte
Klaviersonate.
Zur Diskographie: die erste
Aufnahme der B-Dur-Sonate stammt vermutlich von Ernst Victor Wolf, einigen
vielleicht bekannt als Klavierbegleiter von Alexander Kipnis (Hugo Wolf
Society), sie wurde zwei Jahre vor Schnabel von der amerikanischen Columbia in die
Rillen gebannt, sie liegt mir allerdings nicht vor. Beide Aufnahmen blieben auf
dem Plattenmarkt folgenlos. Erst nach dem zweiten Weltkrieg tasteten sich
einige Labels mit ihren Künstlern nach vorn: Melodya mit Maria Judina 1947 (in
der westlichen Welt jedoch unbemerkt), Decca mit Wilhelm Kempff 1950, Philips
mit Clara Haskil 1951, Electrola mit Eduard Erdmann 1953 sowie Friedrich Wührer
bei Vox 1953. Studio-Einspielungen blieben weiterhin die Ausnahme, in den
1960ern erschienen LPs mit Annie Fischer, Geza Anda, und Artur Rubinstein.
Große Aufmerksamkeit erregte die Studio-Aufnahme von Svjatoslav Richter 1972,
einmal durch das ungewöhnlich breite Tempo des Kopfsatzes, andererseits durch
die expressiv gespielten neun prima volta-Takte vor der Wiederholung (weiteres
siehe unten). Nach Richter fand die Befolgung der Wiederholung mehr und mehr
Beachtung und ist heute Standard. Parallel dazu begegnet man der B-Dur-Sonate
mehr und mehr im Konzertsaal als auch auf Tonträgern. Heute scheint es Kult zu
sein, sich mit D.960 zu präsentieren.
W: Wiederholung der
Exposition im 1. Satz
Grigory Sokolov |
Opus 111 |
1992 |
42‘40 |
|||
live, W, fantastische Umsetzung des Notentextes, wunderbare dynamische Abstufungen, nuancenreich, ausdrucksstark, immer elastisches Klavierspiel, Synthese zwischen klassischer Klarheit und organischem Musizieren – kaum Störungen |
||||||
5 |
Artur Schnabel |
EMI Arabesque |
1939 |
36‘29 |
||
|
I spontan wirkende Musizierfreude, flexibel im Anschlag und in der Tempogestaltung, ausdrucksstark, aber auch geheimnisvoll, II mit Feingefühl bei den wechselnden Tonarten, Sensibilität für die Stimmungen des Satzes, III pointierter Vortrag |
|||||
5 |
Krystian Zimerman |
DGG |
2016 |
43‘03 |
||
|
W, I /II ein Hohelied des p, natürlich musikalischer Fluss, höchst stimmiges Musizieren mit viel Atmosphäre, III mit Feingefühl, Pianist misst den sf im Trio keine große Bedeutung bei, IV rhythmische und harmonische Wendungen akribisch ausformuliert, ansteckende Spielfreude – bei lauten Stellen immer ein dumpfes Klingen des Resonanzkörpers des Flügels |
|||||
5 |
Svjatoslav Richter |
Eurodisc Melodya Sony |
1972 |
46‘26 |
||
|
W, ▼, I Interpretation nuancierter, runder und geschliffener als in den restlichen seiner Aufnahmen, auch im Tempo, in der Dynamik und im Klang, der allerdings etwas trocken ist, II deutlicher Gegensatz zwischen A und B, A‘ mit Zuversicht (auch in den anderen Aufnahmen), in A‘ vor C-Dur-Eintritt kleine Verzögerung, III elastisch, spielfreudig, hier Trio deutlich vom Scherzo abgehoben |
|||||
5 |
Svjatoslav Richter |
BBCL Living Stage |
1964 |
46‘27 |
||
|
live, W, ▼, Richter mit äußerster Konzentration, nirgends wirken die prima volta-Takte Nr. 7/8 so verstörend wie hier, Durchf. etwas schneller bis zum Höhepunkt T. 173, III eine andere Welt: Scherzo sehr schnell, Trio geringfügig langsamer, IV Th. 1 und 2 schlank, Th. 3 wie ein Vulkanausbruch – insgesamt sehr geschmeidig, geringfügige Störungen |
|||||
5 |
Svjatoslav Richter |
Praga |
1972 |
46‘44 |
||
|
live, W, ▼, I ganz langsam, sehr ernst, die Musik scheint fast stillzustehen, Dynamik weitgehend nach Noten, Durchf. nur etwas schneller – Flügel nicht mehr der Jüngste, fast keine Störungen |
|||||
5 |
Rudolf Serkin |
CBS Sony |
1975 |
43‘45 |
||
|
W, ▼ |
|||||
5 |
Rudolf Serkin |
CBS Sony |
1977 |
42‘26 |
||
|
live, W, ▼ |
|||||
5 |
Dina Ugorskaja |
Avi |
2019 |
48‘34 |
||
|
W, I langsam, nuanciertes Spiel, Betroffenheit ausstrahlend, kaum dramatisch, II Adagio, mit innerer Ruhe, A wie Satz 1, B Trost spendend, III in die Musik hineinhörend, IV Tempo nach Vorlage, Pianistin atmet mit der Musik, die bis ins Letzte bedacht und ausformuliert wird |
|||||
5 |
Anton Kuerti |
Analekta |
1984 |
45‘20 |
||
|
W, I in die Musik versunken, nach exponierten Stellen zieht sich Kuerti wieder zurück, II A wie resignierend, B Hoffnung schöpfend, III Notentext aufmerksam und fantasiereich umgesetzt, IV überwiegend gelöst |
|||||
5 |
Radu Lupu |
Decca |
1991 |
39‘22 |
||
|
W, I ebenmäßiger Vortrag, schnörkellose Klarheit, mit Hingabe, II A und A‘ Einsamkeit ausstrahlend, B hier schimmert Hoffnung durch, III trotz des schnellen Tempos mit Delikatesse, IV energisch, aber auch feinfühlend |
|||||
5 |
Eduard Erdmann |
Orfeo |
1950 |
31‘16 |
||
|
▼ |
|||||
5 |
Eduard Erdmann |
Tahra |
1951 |
31‘19 |
||
|
▼ |
|||||
5 |
Eduard Erdmann |
Electrola EMI |
1953 |
31‘33 |
||
|
▼ |
|||||
5 |
Clifford Curzon |
Decca |
1972 |
34‘26 |
||
|
I eher dramatisch als kontemplativ, Curzon zieht das Tempo ab T. 25 leicht an, 2. Th. T. 48 ff. (lk. Hd.) hervorgehoben, II immer wieder unruhig und betroffen, IV entschieden voran, Thema-Anfänge nicht immer p, bei f/ff-Stellen harter Anschlag |
|||||
5 |
Clifford Curzon |
Orfeo |
1974 |
34‘55 |
||
|
live Salzburg, in der Anlage wie Studio-Aufnahme, hier aber mit Spontanität, II insgesamt etwas ausgeglichener, IV mit jugendlichem Schwung und stellenweise viel Dramatik – vergleichsweise guter Klang |
|||||
5 |
Jewgenij Koroliov |
Tacet |
1995 |
40‘40 |
||
|
W, kommt an Sokolovs singuläre Aufnahme nicht ganz heran, ohne dessen Delikatessen im Anschlag, in der Dynamik und ihren agogischen Finessen, geradlinig, auf sehr hohem Niveau, IV überzeugt am meisten |
|||||
5 |
Alan Marks |
Nimbus |
1994 |
46‘20 |
||
|
live, W, I mit spürbarer Hingabe, inspirierter Vortrag, sich Zeit lassend, viele kurze Nebenstimmen in der Durchführung hervorgeholt, II A kontemplativ, B sehnsuchtsvoll, könnte etwas leiser sein, IV die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen |
|||||
5 |
Leon Fleisher |
Vanguard |
2004 |
43‘21 |
||
|
W, ▼ |
|||||
5 |
Maurizio Pollini |
DGG |
1987 |
40‘03 |
||
|
W, auf der einen Seite äußerste Kontrolle über den mechanischen Ablauf, auf der anderen eine hohe Expressivität, in der sich auch eine gewisse Scheu vor Schuberts Schöpfung offenbart, die jedoch nicht mit Kühle verwechselt werden sollte |
|||||
5 |
Marc-André Hamelin |
Hyperion |
2017 |
45‘19 |
||
|
W, I Anfang sehr langsam, danach schneller, ebenso bei W, zu Beginn der Durchführung und Reprise, viel Espressivo, II kontemplative Entrücktheit, IV bleibt der Notenvorlage nichts schuldig |
|||||
5 |
Paul Lewis |
HMF |
2002 |
36‘26 |
||
|
I Lewis hört in die Musik hinein, gelungene dynamische Schattierungen, prägnante Artikulation, ab T. 20 etwas schnelleres Tempo, ab T. 97 wieder Rücknahme, II A empfindsam, Lewis achtet im Bass auf die (gedachte) Doppelpunktierung, d. h. der zweite Ton kommt etwas später und ist kürzer, B hymnisch, fließend, III sportlich, dabei immer nuanciert und trotz der Kürze abwechslungsreich, IV ausgelassen – angenehmer Klang |
|||||
5 |
Stephen Hough |
hyperion |
1998 |
43‘30 |
||
|
W, I und II Musik für sich selbst gespielt, nicht um ein Publikum zu überzeugen, man sollte dies nicht mit Zurückhaltung verwechseln, Schuberts Dynamik umgesetzt, das gilt für alle Sätze, II weltabgewandt, III feine dynamische Abstufungen, IV zurückhaltendes Tempo |
|||||
5 |
Wilhelm Kempff |
Decca |
1950 |
35‘41 |
||
|
I Pianist lässt sich Zeit, facettenreiches Klavierspiel, im Gegensatz zu Schnabel und Erdmann ruhiger mit etwas mehr Atmosphäre, II A rechte Hd. hervorgehoben, B in Abschnitten, III delikat bei mäßigem Tempo, IV die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen, auftrumpfendes 3. Thema – für die Zeit insgesamt gutes Klangbild |
|||||
5 |
Wilhelm Kempff |
DGG |
1967 |
43‘16 |
||
|
W, I bei Akkorden etwas geschmeidiger, etwas weicher Klang, mit weniger Kern als bei Decca, im Ausdruck wie Abschied nehmend, II jetzt noch langsamer, wie resignierend, III phantasievoller Umgang mit Schuberts Musik, den Scherzo-Gedanken vergessend, IV nicht ganz so konzentriert wie früher, brüchige Akkorde beim 3. Thema |
|||||
5 |
Christian Zacharias |
EMI |
1992 |
43‘55 |
||
|
W, I Zacharias geht feinfühlig mit der Musik um, stellenweise wehmütig, II betroffen, III Trio im selben Tempo wie Scherzo, nur wie eine Episode, IV lyrischer Teil des 3. Themas T. 185 ff. wie eine Vision |
|||||
5 |
Lars Vogt |
Avi-classics |
2006 |
46‘01 |
||
|
W, I mit Nachdruck musiziert, Atmosphäre, innere Ruhe, Schuberts Dynamik umgesetzt, verstörende Takte 165-173, II A und A‘ betroffen. B Hoffnung schöpfend, III Trio langsamer, in die Musik hineinhörend, IV die unterschiedlichen Stimmungen gut getroffen – weicher Klavierklang |
|||||
5 |
Michael Korstick |
Ars Musici CPO |
2003 |
48‘43 |
||
|
W, I überwiegend zurückhaltend, wie scheu, bemerkenswerte Durchführung mit ihrer am Ende gespielten Aussichtslosigkeit, II A fahle Stimmung, B beklommen, III schnelles Trio mit penibel ausgeführten sf, so, als wolle er an Schuberts Absicht zweifeln, IV aufmerksame Gestaltung – herausragende Artikulation, leise Pedalgeräusche |
|||||
5 |
Alfred Brendel |
Philips |
1988 |
36‘35 |
||
|
▼ |
|||||
5 |
Alfred Brendel |
Philips |
1971 |
35‘59 |
||
|
▼ |
|||||
5 |
Alfred Brendel |
Philips Decca |
1997 |
36‘58 |
||
|
live, ▼ |
|||||
5 |
Alfred Brendel |
Decca |
2008 |
37‘21 |
||
|
live, ▼ |
|||||
5 |
David Levine |
Virgin |
1990 |
42‘23 |
||
|
Aufnahme von persönlicher Handschrift geprägt, die sich aber an Schuberts Notenvorlage orientiert: I molto moderato, schleppendes Tempo, mächtiges Crescendo T.34/35, nur allmählich etwas schneller ab T. 80, das ist notwendig, sonst würden die Akkordbrechungen ziemlich hölzern klingen; ein Gleiches gilt für die Durchf. ab T. 131, ab T. 99 wieder Tempo I, diese Tempomodifikationen kommen behutsam, wie organisch, II A sehr ernste Stimmung, wie anklagend, teilweise mit Pathos, B bittersüß, A‘ C-Dur-Stelle wie eine Erlösung, III starker Szenenwechsel, Trio viel langsamer, übertrieben starke sfp im Bass, IV trotz aller Beweglichkeit scheint Levine noch nicht „erlöst" zu sein, immer wieder Aufbäumen – eine Aufnahme, die man so nicht alle Tage hört, weit abseits vom Mainstream, aber trotzdem ganz nahe bei Schubert |
|||||
|
||||||
4-5 |
Svjatoslav Richter |
Brilliant |
1961 |
43‘42 |
||
|
W, live, ▼, I Tempo etwas variert, am Ende der Durchführung – etwas schneller – steuert die Musik auf einen Stillstand hin, II deutlicher Gegensatz zwischen A und B, A‘ Zuversicht bleibt, III/IV schnelleres Tempo als bei den restlichen Aufnahmen – heller, aber auch harter Flügelklang, vor allem im Diskant, etliche Huster |
|||||
4-5 |
Valery Afanassieff |
ECM |
1985 |
47‘15 |
||
|
W, live, Afanassieff hört in die Musik hinein, I überwiegend empfindsames Musizieren, die neun prima volta-Takte (vor der W) werden als Ereignis herausgestellt, Triller auf tiefem Ges verlängert, II Adagio, lastend, mit langem Atem, B Spiel der Harmonien, Spannung gehalten, III Sch Pianist spart beim p, pointiert, T Klänge erkundet, IV die drei Themen deutlich voneinander abgesetzt, viel Dramatik in der Durchführung – hell intonierter Flügel, keine Störungen |
|||||
4-5 |
Ingrid Haebler |
Philips Decca |
1967 |
37‘03 |
||
|
I mit viel Legato, aber auch Dramatik in der Durchführung, schlanker Anschlag, klares Klangbild, II sensibler Umgang mit dem Notentext, überzeugend, III Haebler entdeckt die spielerische Seite der Musik, IV immer verbindliches Musizieren |
|||||
4-5 |
Clara Haskil |
Orfeo |
1957 |
31‘40 |
||
|
live, I in der Anlage wie die frühere Studio-Einspielung, klingt jedoch weicher und etwas persönlicher, II bewegt, sehr deutlich, die Musik klingt bei A‘ so, als wolle sie die Pianistin rasch bewältigt haben, III und IV ausdrucksstark |
|||||
4-5 |
Clara Haskil |
Philips |
1951 |
31‘53 |
||
|
I lebendige Darstellung mit (ab T. 26) Tempomodifikationen, Beginn der Durchführung zu laut, klare Artikulation, II gestalterischer Ernst, innig, III zu Beginn kein pp, Trio kaum langsamer, IV schnelles Tempo, unruhig |
|||||
4-5 |
Artur Rubinstein |
RCA |
1969 |
38‘29 |
||
|
I Rubinstein erzählt mit viel Empathie Schuberts Musik, sich Zeit lassend, unaufgeregte Art, II schnörkellose Klarheit, etwas distanziert, III wenig pp/p, Trio etwas langsamer, IV spontanwirkende Musizierfreude – Pianist hält sich mit einer persönlichen Stellungnahme zurück |
|||||
4-5 |
Alicia de Larrocha |
Decca |
1975 |
39‘54 |
||
|
W, I dynamische Gestaltung, die insistierenden Achteltriolen in der linken Hand (T. 36 ff.) immer deutlich, II A viel Melancholie, B Hoffnung scheint durch, IV markant akzentuiert, Dynamik nicht immer nach Vorlage |
|||||
4-5 |
Annie Fischer |
EMI |
1960 |
33‘07 |
||
|
I fließendes Musizieren, schneller als üblich, Orientierung an Schuberts vorgegebener Dynamik, auf dem Höhepunkt der Durchf. T. 167-173 ziemlich kompakter Klang, auch an anderen ff-Stellen, II Melancholie sowohl in A als auch A‘ trotz zeitweiligem Aufbäumen, Scherzo passt sich in das Gesamtkonzept der Sonate gut ein, Trio etwas verträumt, IV Kehraus, überwiegend unbeschwert – Pianistin hat bei ihrer Interpretation das Muster der klassischen Sonatensatzform im Auge, schnell-langsam-schnell-schnell |
|||||
4-5 |
Annie Fischer |
Hungaroton |
1968 |
35‘31 |
||
|
I ähnlich wie EMI, alle Sätze ein wenig langsamer, T. 167-173 hier besser, II A cresc. weniger forciert als früher, , B Bässe dezent, aber wichtig, IV T. 167/68 minimale Verspieler – Flügelklang nicht so rund wie bei EMI, jedoch etwas durchsichtiger |
|||||
4-5 |
Wilhelm Kempff |
BBCL |
1967 |
36‘49 |
||
|
live, bei der Darstellung auf der Linie der früheren Aufnahmen, vor der Reprise Tempo etwas zurückgenommen, II wie bei DGG, III weniger speziell als bei DGG, weniger interessant, IV technisch nicht ganz bewältigt, T. 156 ff. und am Ende einige Fehlgriffe, 1. Th. zu laut – aufmerksames Publikum, etwas gepresster Klang, weniger deutlich als 1950 |
|||||
Maria João Pires |
DGG |
2011 |
43‘24 |
|||
W, ▼ |
||||||
4-5 |
Vladimir Sofronitzki |
Brilliant |
1956 |
36‘26 |
||
|
live, I ruhig, aber nicht so extrem wie Judina, ziemlich stabiles Tempo, nuanciertes Spiel, ausgewogen, II A mit viel Empathie, B langsamer, lastend, A‘ Verzweiflung, III schnelles Scherzo, Trio Hinweis auf die Verschiebungen der Harmonie, IV schnell, 2. Th etwas unruhig |
|||||
4-5 |
Mitsuko Uchida |
Philips |
1997 |
44‘34 |
||
|
W, I Thema anfangs weich, fließend, T. 36 nach cresc. kräftiges ff, wie herausschleudernd, an f-Stellen legt Uchida immer noch einiges zu, Rubati, überzeugend die p-Stelle T. 173 ff. bis zur Reprise, II A nachdenklich, überlegt, B innig, Flügel in den beiden ersten Sätzen bestens intoniert, III nur Mainstream, IV Bässe beim 1. Th etwas trocken, 3. Th kräftig auftrumpfend, leider auch in der Durchf. |
|||||
4-5 |
Walter Klien |
Vox |
1971-1973 |
42‘44 |
||
|
W, I Th. mit viel Innenspannung, intensive Gestaltung, jedoch nicht aufdringlich, II A klar, schnörkellose Diktion mit Wärme, B beste Gewichtung zwischen den Stimmen zueinander, III Trio etwas langsamer, IV schnelles Tempo |
|||||
4-5 |
Hideyo Harada |
audite |
2010 |
45‘56 |
||
|
W, I klare Diktion, deklamatorische Prägnanz, lyrisch-feinfühlig, einige behutsame Tempoverzögerungen, II pointierte Artikulation, warmherzige Darstellung, etwas langsam, III mehr auf Details als auf die große Linie achtend, IV Bassstimmen nicht übersehen, die wechselnden Beleuchtungen der Themen immer herausgestellt – Klavierklang sehr gut eingefangen |
|||||
4-5 |
Michael Kazakevich |
Conifer Classics |
1994 |
44‘12 |
||
|
W, I epischer Vortrag, sich Zeit lassend, trotzdem immer wieder ausdrucksstark, II fast schon Adagio, geradlinig, ohne Weltschmerz, III entspanntes Scherzo, IV fließend, f-Moll-Abschnitt nicht mit Pathos aufgeladen |
|||||
4-5 |
Andras Schiff |
Decca |
1993 |
42‘02 |
||
|
W, I abgesehen von den Ausbrüchen in der Durchführung überwiegend freundliche Grundstimmung, Zuversicht ausstrahlend, II con moto, empfindsam, keineswegs depressiv, III zielstrebig nach vorn, IV feinfühliger Umgang mit dem Notentext |
|||||
4-5 |
Paul Badura-Skoda |
RCA |
1968 |
41‘53 |
||
|
W, ▼ |
|||||
4-5 |
Paul Badura-Skoda |
RCA |
1971 |
40‘49 |
||
|
W, ▼ |
|||||
4-5 |
Richard Goode |
Nonesuch |
1978 |
37‘03 |
||
|
I lebendiger Vortrag, ziemlich festes Tempo, Pianist spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern vertraut der Wirkung des Notentextes, II A voller Melancholie, keinesfalls weinerlich, rührt nicht an Jenseitiges, sehr gute dynamische Abstufung, B positiv besetzte Musik, III Sch Goode lässt sich auf den Notentext ein, T etwas langsamer – B-Dur-Sonate hier eher an der Sonnenseite der Musik angesiedelt, sympathisch, eine Alternative! |
|||||
4-5 |
Peter Katin |
Olympia |
1987 |
44‘39 |
||
|
W, I unaufgeregte Darstellung, fließend, immer in Schubert-Nähe, II A schmerzerfüllt, B Hoffnung schöpfend, A‘ C-Dur sehr sanft, berührende Interpretation, III Sch hätte mehr p verdient, IV 1. Th immer mf statt p, fließendes Tempo, unbeschwert, locker |
|||||
Menachem Pressler |
BIS |
2012 |
45‘03 |
|||
|
W, I etwas schleppend, wird jedoch bald etwas schneller, glasklares Musizieren, transparent, in der Durchf. weniger Spannung, II A zögerlich, wie trauernd, B deutlicher Stimmungswechsel, überzeugend, A‘ C-Dur wie ein Trost, III Sch pointiert, zurückhaltendes Tempo, IV Abschied mit lächelnden Augen, warmherzig |
|||||
4-5 |
Deszö Ranki |
Denon |
1975 |
35‘26 |
||
|
I profilierte Darstellung, wache Aufmerksamkeit, II A rechtes Pedal nach Partitur bis zur Aufhebung in T. 42 gehalten, ergibt stellenweise einen gläsernen Klang, B schneller, etwas unruhig, III sportlich, IV schnelles Tempo, geschmeidige punktierte Achtel T. 185 ff., klingt insgesamt jedoch wie etwas abgespult |
|||||
4-5 |
Sergio Fiorentino |
Piano Classics MCPS |
1994 |
40‘28 |
||
|
I molto moderato, Pianist stellt sich hinter die Komposition, Musik spricht aus sich selbst, gelassen, II schmerzerfüllt, immer transparentes Klavierspiel, III Tanzcharakter herausgestellt, IV sich Zeit lassend, Blick immer auch auf Details – gute dynamische Gestaltung in allen Sätzen |
|||||
4-5 |
Peter Rösel |
Eterna Capriccio |
1984 |
44‘59 |
||
|
W, Schubert pur, Rösel stellt sich hinter die Partitur, mit langem Atem, pianistisch untadelig, jedoch kaum poliert, IV Themenkopf immer zögernder, fragende Haltung, kein Kehraus |
|||||
4-5 |
Stephen Kovavevich |
EMI |
1994 |
41‘24 |
||
|
W, I etwas unstet im Tempo: T. 27 ff. accel. um neues Tempo zu erreichen, T. 99/100 erneut, keine Pause vor dem tiefen Ges-Dur-Triller am Ende von 1.volta, fester Zugriff an f/ff-Stellen, etwas hilflos vor der Reprise, II A empfindsam gepaart mit anklagend, B gelöst, III spielfreudig, Trio eher nachdenklich, IV spontan wirkende Spielfreude, in der Durchf. dreht der Pianist auf |
|||||
4-5 |
Francesco Piemontesi |
Pentatone |
2018 |
41‘50 |
||
|
W, live, I dynamische Vorgehensweise bringt Spannung in den Ablauf des Satzes, 2. Th (T. 49 ff.) wird von Oberstimme bedrängt, II Pianist folgt nicht immer Schuberts dynamischen Vorgaben, trotzdem intensive Darbietung, III duftendes Scherzo, melancholisches Trio, IV überwiegend heiter, konzertant – Interpretation positiv nach vorn blickend |
|||||
|
||||||
4 |
Vladimir Sofronitzki |
Melodya HMF |
1960 |
36‘18 |
||
|
W, I jetzt schneller, T. 32/33 etwas gehudelt, in der Durchf. plötzlicher Wechsel zur Dramatik, Reprise in Tempo I, die folgenden Sätze werden schneller als 1956 genommen, II B Akkorde T. 43/47 sowie T. 68/72 wie vorgesehen nicht legato, betroffene Stimmung, III etwas geglättet, IV spielfreudig, fast schon gehetzt – etwas mattes Klangbild |
|||||
4 |
Leon Fleisher |
Columbia United Artists |
1956 |
33‘47 |
||
|
▼ |
|||||
4 |
Claude Frank |
Dorian |
2008 |
35‘11 |
||
|
Frank stellt sich hinter das Werk, I geradlinig, natürlich gestaltete Agogik, nicht auftrumpfend, II klar, Pianist scheint Gedanken an letzte Dinge zurückzustellen, III Anschlag wünschte man sich hier etwas schlanker und geschmeidiger, IV immer wieder störende Pedalgeräusche |
|||||
4 |
Friedrich Gulda |
ORF Andante |
1967 |
30‘42 |
||
|
I Gulda bürstet die Musik gegen den Strich, in fließendem Tempo, molto moderato ignorierend, nur die Notenvorlage umgesetzt, ohne ihren semantischen Unterbau, im Vergleich zu den meisten Interpreten deutlicher Tempogegensatz bei den beiden ersten Sätzen, II übliches Tempo, jedoch nicht schleppend, B innig, IV etwas sportlich |
|||||
4 |
Jewgenij Kissin |
RCA |
2003 |
45‘48 |
||
|
W, I Tempowechselbäder, eklektischer Vortrag, einige Stellen durch Pedalgebrauch etwas verschwommen, II Adagio A schmerzerfüllt, B zusätzlich starkes Basshämmern, etwas schneller, III Stimmungswechsel, flottes Sch, T nur Episode, IV flott, elegant, vorwärtsdrängend – Kissin sucht einen eigenen Zugang zur B-Dur-Sonate |
|||||
4 |
Emile Naoumoff |
EMI |
1990 |
40‘27 |
||
|
W, I geradlinig voran, immer klar artikuliert, viel Atmosphäre in der Durchführung, eher schön als betroffen machend, III im Trio Akzente im Bass zu schwach, geglättet, IV bei lauten Abschnitten etwas fest |
|||||
4 |
Christoph Eschenbach |
HMF |
P 2012 |
49‘10 |
||
|
W, Pianist kniet sich mehr in Schuberts Notentext als früher, mit langem Atem, Rubati, gereifter Musiker, II A Musik steht fast still, empfindsam, auch anklagend, A‘ betroffen machend, III Sch Musik gestaltet, jedoch zu langsam, etwas spröde, T zäh, IV Musik kommt nicht so recht vom Fleck, Eschenbach lässt sich von den vielen G-Akkorden ausbremsen |
|||||
4 |
Rudolf Buchbinder |
Sony |
2012 |
41‘39 |
||
|
W, I lyrische Passagen gefallen besser als dramatische, die mit hartem Anschlag genommen werden, am Ende von prima volta geradezu exaltiert, II ähnlicher Eindruck wie zuvor, T. 71-75 wie gewalttätig, III fantasievolle Gestaltung des Trios, IV etwas viel Leerlauf |
|||||
4 |
Murray Perahia |
Sony |
2002 |
40‘09 |
||
|
W, I fließendes Musizieren, kaum Verweilen, f immer dramatisch verstanden mit kräftigen Zugriffen, z. B. T. 165-173, II B zu fest, III schnelles Scherzo, Trio nur Episode, IV Ausklang, mehr technisch als musikalisch bewältigt |
|||||
4 |
Dieter Zechlin |
Eterna Berlin Classics |
P 1973 |
44‘00 |
||
|
W, Zechlin stellt sich hinter das Werk, I aufmerksam, eher ruhig als nervös, Musik mehr referierend als erlebt dargestellt, III etwas trocken, IV sachlich |
|||||
4 |
Zhu Xiao-Mei |
Mirare |
2004 |
40‘16 |
||
|
W, I am Notentext entlang, bewegt, T. 59 plötzlich schneller, pointierte Dramatik, II A Pedal meistens taktweise, melancholisch, etwas schwerblütig, B T. 68-75 etwas fest, A‘ nuanciert, III Sch Dynamik nach Schubert, nicht auftrumpfend, T zu laut, die plötzlichen p überspielt, IV Musik im Fluss, Themen voneinander abgesetzt, Dynamik nicht immer nach Partitur |
|||||
4 |
Claudio Arrau |
Philips |
1980 |
44‘08 |
||
|
W, I bedächtig, nachdenklich, T. 131 plötzlich schneller und kämpferisch, ab Reprise wieder Tempo I, II innere Ruhe, ausgewogener Vortrag, B betroffen machend, die drei Stimmen deutlich getrennt zu vernehmen, III Sch zurückhaltendes Tempo, ohne Glanz, IV 1. Th immer zweiteilig (T. 1-4, T. 5-8), 3. Th schneller, immer wieder Verzögerungen |
|||||
4 |
Maria João Pires |
Erato |
1985 |
41‘56 |
||
|
W, ▼ |
|||||
4 |
Gerrit Zitterbart |
gutingi |
1997 |
38‘42 |
||
|
W, live, I Pianist lässt die Musik sprechen, objektiv, II con moto, kein Verweilen, III Sch schnell und elegant, T Schuberts Unruhe gut herausgebracht, IV gelöstes Musizieren |
|||||
4 |
Philippe Cassard |
ambroise |
2001 |
43‘10 |
||
|
W, I unterschiedliche Aggregatzustände der Musik gut getroffen, T. 60-78 lk. Hd. keineswegs nur Beiwerk, II B ab T. 47 etwas schneller, hinterlässt keinen bleibenden Eindruck, III Dynamik im p wünschte man sich etwas differenziert, IV Musik wirkt auf mich wie gehetzt |
|||||
4 |
Cyprien Katsaris |
Teldec |
1985 |
43‘45 |
||
|
W, I moderates Tempo, durchsichtiges Klangbild, nicht eilend, nuanciertes Spiel, schön klingend, bestens kontrolliert, II Adagio, A ausgezirkeltes Spiel, B wirkt hier übertrieben künstlich, III mechanisch, kühles Trio, IV bewegt, pulsierend – technisch bestens bewältigt, Interpretation nicht durchgehend überzeugend |
|||||
4 |
Elisabeth Leonskaja |
Teldec |
1997 |
46‘18 |
||
|
W, I geradliniger Vortrag, bei cresc.-Stellen etwas fest im Anschlag, einige deutliche Rubati, mehr referierend als miterlebend, II etwas neutral, IV entlang des Notentextes – nichts falsch gemacht, lässt aber auch kaum aufhorchen |
|||||
4 |
Daniel Barenboim |
DGG |
1977 |
37‘57 |
||
|
▼ |
|||||
4 |
Lazar Berman |
Brilliant |
1980 |
45‘19 |
||
|
live, W, Berman liebt Schuberts Musik und sucht eigene Wege, I in der Durchf. eigene Dynamik, Rubati, Pause nach Arpeggio T. 112 verkürzt, T. 98 „neue" Melodie als Mittelstimme entdeckt: d-e-f-e-f, II A Spannungsbogen im Diskant T. 29 unterbrochen, auch in A‘, betroffen, B zu Beginn zu laut und zu fest, Rubati, Bässe ohne Staccati, III Scherzo nicht eilend, gelassen, IV erinnert an Schumanns „Himmlische Längen" – Berman liebt das Werk, Sätze 3 und 4 überzeugen am meisten – kaum Störungen |
|||||
4 |
Lazar Berman |
Discover |
1992 |
45‘00 |
||
|
liveW, etwas schneller, mehr nach vorn blickend, sonst wie 1980, II Unterbrechung der Spannungsbögen wie früher, A fahler Klang, B bessere Dynamik, Zuversicht, A‘ in kleinen Bögen, wie erschöpft, III Trio langsam, fast schon schwerfällig, aber ausdrucksvoll – kaum Störungen |
|||||
4 |
Michael Endres |
Capriccio |
1994 |
39‘16 |
||
|
W, Musik erzählt, aber weniger erlebt, nichts falsch gemacht, klingt jedoch etwas harmlos, II A con moto, IV gefällig |
|||||
4 |
William Youn |
Sony |
2019 |
41‘51 |
||
|
W, I Youn hält sich an die Notenvorlage, zurückhaltend, geht mit eigenen Ideen etwas sparsam um, II A wenig Ausdruck, fahl, B jetzt belebt, III Musik spricht für sich, IV klingt insgesamt noch brav, bleibt an der Oberfläche |
|||||
4 |
Wladimir Horowitz |
DGG |
1986 |
38‘54 |
||
|
▼ |
|||||
4 |
Michel Dalberto |
Denon Brilliant |
1995 |
42‘59 |
||
|
W, I festes Tempo, fließendes Musizieren, Dalberto lässt die Musik sprechen, gelassen, keine Pause vor dem Triller auf dem tiefen Ges vor der W, II A genaues Musizieren, Pianist spart jedoch bei der Gestaltung des Notentextes, B das Hymnische getroffen, A‘ keine Bindung von T. 102 zu T. 103, III totaler Stimmungswechsel: flottes Sch, T langsamer, immer deutlich sf, IV Dalberto bemüht sich bei den leeren G-Akkorden immer um einen schnellen Wechsel von f zu p, gelöstes Musizieren |
|||||
|
||||||
3-4 |
Christoph Eschenbach |
DGG Brilliant |
1974 |
43‘13 |
||
|
W, I elegant, schlank, weich, auf das musikalische Material reduziert, die Untiefen umschiffend, A empfindsam, B Pianist mit mehr Engagement, III Sch ohne Esprit, Eschenbach lässt die Musik nicht an sich heran, IV etwas harmlos |
|||||
3-4 |
Rudolf Firkusny |
BBCL |
1969 |
32‘17 |
||
|
live, I fließendes Tempo, zu schnell, Firkusny bietet nur das Gerüst des Satzes, die beiden ersten Sätze im Tempo angenähert, II con moto, A T. 5 auf Zz 1 oberster Ton cis statt h, B aufgewühlt, anfangs kein p, auch T. 68 f, A‘ anklagend bis zum Ende, III schnell, kräftige sf im Trio, IV fast atemlos, kein Verweilen, 1. Th. unwirsch, 2. Th. weniger lyrisch – Firkusny stellt die Sonate in Beethoven-Nähe |
|||||
3-4 |
Imogen Cooper |
Ottavo |
1989 |
36‘59 |
||
|
I immer wieder (zu viel) Pedaleinsatz, im p-Bereich noch nicht alles gewagt, offenes Musizieren, nichts bleibt verborgen oder nur angedeutet, etwas Hall, II A Musik wie vorgeführt, B gespielt, jedoch nicht erlebt, etwas distanziert, A‘ bei Eintritt des C-Dur-Abschnitts Spannung unterbrochen, III das Trio weniger geformt als möglich, zu viel Pedal, III das Besondere der Musik nicht entdeckt, zu viel Routine – man wünschte sich in ihrem Spiel mehr Klangfarben, etwas hartes Akkordspiel |
|||||
3-4 |
Gerhard Oppitz |
hänssler |
2007 |
47‘55 |
||
|
W, I das molto zu sehr betont, zögerliches Musizieren, führt zu Langatmigkeit, mit geringer Spannung, in der Durchführung für kurze Zeit besser, II insgesamt etwas nüchtern, trocken, III nichts falsch gemacht, jedoch nimmt mich Oppitz‘ Klavierspiel nicht mit, IV immer wieder Spannungseinbrüche |
|||||
3-4 |
Martin Stadtfeld |
Sony |
2007 |
39‘10 |
||
|
I bei lauten Stellen immer zupackend, Akkorde gehämmert, II bei der Begleitung der lk. Hd. wird jeweils der letzte Ton nicht staccato gespielt, sondern durch das Pedal verlängert, manchmal ist er auch nicht hörbar, damit fehlt der jeweils letzte Oktavsprung, A‘ etwas langsamer als A, IV ohne Übertreibungen, hier und da jedoch etwas Leerlauf |
|||||
3-4 |
Tatjana Nikolajewa |
BBCL |
1991 |
41‘17 |
||
|
W, I T. 104/105 jeweils die Viertelpause zum Taktbeginn überspielt, T. 105 zweiter Akkord als Arpeggio, Durchf. T. 140 ff. immer f oder ff, etliche Stellen etwas grob, II A mit gestalterischem Ernst, B jedoch etwas gefingert, III Scherzo ohne p und pp, bei der Wiederholung aufmerksamer, IV gelingt noch am besten |
|||||
3-4 |
Carol Rosenberger |
Delos |
1984 |
39‘58 |
||
|
I im Ges-Dur-Abschnitt T. 20 ff. lk. Hd. zu laut, forte bereits beim cresc. T. 34/35 erreicht, statt beim Zielton T. 36, Anfang der Durchf. im Tempo zurückhaltend, immer wieder Tempoverschiebungen, schöne Melodien herausgestellt, eklektisch, II A schwerblütig, B eher verhalten, überzeugender als Satz 1, III zögerliches Scherzo, IV Musik läuft, 2. Th. wie abgespult, Durchf. etwas unübersichtlich |
|||||
3-4 |
Geza Anda |
DGG |
1963 |
36‘48 |
||
|
I Tempowechselbäder, T. 99 langsamer und nachdenklich, T. 171 f. Pferdegetrappel? 2. Th. mit Dramatik; Andas Auffassung klingt eher in Richtung Liszt als nach Schubert, II Anda hier zurückhaltender, in bekannten Bahnen, A‘ C-Dur (T. 103 ff.) wie Blick in eine andere Welt, III stellenweise wie skandiert, T viel langsamer, mit Trauer beladen, IV virtuoser Ansatz, teilweise spieldosenhaft |
|||||
3-4 |
Aldo Ciccolini |
EMI |
P 1975 |
35‘23 |
||
|
I immer klar, nichts wird in die Musik hinein geheimnist, stabiles Tempo, II etwas objektiv, Gefühlsbefindlichkeiten bleiben außen vor, III im Sch nur p oder mf im Angebot, wie abgespult, IV ähnlicher Eindruck, dramatische Durchführung, grob |
|||||
3-4 |
Wladimir Horowitz |
RCA |
1953 |
32‘14 |
||
|
live, ▼ |
|||||
3-4 |
Karl Betz |
Christophorus |
1998 |
44‘07 |
||
|
I Musik etwas parzelliert, für sich stehende Abschnitte, ohne Bezug zu Nachbarn, Tempomodifikationen vor allem in der Durchführung, dort kräftiger Anschlag, zupackend mit geschärftem Klang, III kaum p oder pp, Musik weniger geschmeidig, Trio: zu starke Akzente im Bass, IV ähnlich wie Satz 1, 2. Thema wenig elegant. Mittelstimme zu laut – etwas harter Flügelklang |
|||||
|
||||||
3 |
Daniel Barenboim |
Erato Teldec |
1992 |
35‘58 |
||
|
▼ |
|||||
3 |
Gilbert Schuchter |
RCA Tudor |
P 1976 |
40‘39 |
||
|
I wechselnde Tempi, enggefasste Dynamik, Pianist greift kaum auf die vom Notentext angebotenen Möglichkeiten zurück, T. 167-172 technisch nicht ganz bewältigt, II sehr nüchtern, schwerfällig, Musik tritt auf der Stelle, III Scherzo durchgespielt, ohne dynamische Differenzierung, wenig geschmeidig, Trio etwas langsamer, IV zögerlich bemüht, Klavierspiel kaum auf höchstem Niveau |
|||||
3 |
Maria Judina |
Melodya |
1947 |
41‘38 |
||
|
W, I molto Adagio, ab T. 19 schneller mit zusätzlicher Beschleunigung (auch in der W), ab T. 36 Temporücknahme, Tempowechselbäder, 2. Th leiser als Oberstimme, II A Adagio, B immer deutliche Oberstimme, kein stabiles Tempo, A‘ etwas schneller als A, mit Hingabe musiziert, III schnell, deutlich betonte sf im Trio, IV sehr schnell, die Musik hinter sich lassend, wie entfesselt, in der Durchf. kein stabiles Tempo – eigene Vorstellungen der Komposition übergestülpt, aufnahmetechnische Mängel |
|||||
3 |
John Damgaard |
Classico TIM |
P 2002 |
39‘42 |
||
|
I sehr zögerlich, Musik teilweise parzelliert, Ab T. 73 schnelleres Tempo, ab T. 102 wieder langsamer, II kein Kontrast zu Satz 1, A rhythmisches Motiv der linken Hand nur nebenher, darf ihre immanente Kraft nicht entfalten, B die Oberstimme führt, III Schuberts Dynamik nicht übernommen, plötzliche Verlangsamung des Tempos, im Trio trennt Damgaard die jeweils drei letzten Noten von der Vordernote ab und artikuliert mit dem Rhythmus kurz-kurz-lang, IV hektisch |
|||||
|
||||||
2-3 |
Khatia Buniatishvili |
Sony |
2018 |
47‘08 |
||
|
I Th immer sehr langsam, zieht T. 29 das Tempo merklich an, ab T. 99 dann wieder langsamer, T. 78/79 gedonnert, großer Auftritt in der Durchführung T. 167, den d-Moll-Akkord T. 173 (eine Viertel auf 1) hört man noch einen Takt später, II A molto Adagio, Musik tritt auf der Stelle, weinerlich im Ausdruck, B belebtes Tempo, aber kaum innig, III die sf-Akzente im Trio (Bass) übertönen die legato-Klänge der re. Hd., IV Sechzehntel-Begleitung im 2. Th verwischt, am Ende geht auch die Spannung verloren, in der Durchführung dreht die Pianistin so richtig auf – sie scheint mit Schuberts Musik wenig anfangen zu können |
|||||
Interpretationen mit
Hammerflügel
|
||||||
5 |
Andreas Staier |
Teldec |
1996 |
44‘43 |
||
|
W, I sehr nahe bei Schubert, magische Takte 20-25, facettenreich, romantisch, II ernste Stimmung, teilweise bedrückend, III Staier wartet mit mehr Ideen zu den beiden Notenseiten auf als manch ein anderer Interpret, Trio eine andere Welt, IV facettenreich – Instrument von Johann Fritz ~ 1825 |
|||||
5 |
Malcolm Bilson |
Hungaroton |
1997/98 |
37‘36 |
||
|
I phantasievolle Gestaltung, einige kürzere Rubati, Klang kommt den späteren Instrumenten schon sehr nahe, II A schön gespielt, ohne besondere emotionale Beteiligung, A‘ wie anklagend (herausgehobene Bass-Sechzehntel), IV nuanciert – Hammerflügel von Gottlieb Hafner Wien ~ 1830, aufgenommen in Glenn Goulds Studio in Toronto |
|||||
|
||||||
4 |
Paul Badura-Skoda |
Arcana |
1992 |
40‘36 |
||
|
W, ▼ – Instrument von Conrad Graf, Wien ~ 1826 |
|||||
Hinweise zu Interpreten und Interpretationen
Eduard Erdmann
Neben Artur Schnabel war Eduard
Erdmann ab den 1930er Jahren einer der Pioniere bei der Verbreitung der
Schubertschen Klaviersonaten, vor allem der letzten. Schnabel begann 1935 mit
der Aufnahme der A-Dur-Sonate D. 959, 1937 folgten die 6 Moments Musicaux, zwei
Jahre später ließ er die Sonaten B-Dur D. 960 und D-Dur D. 850 folgen, alle für
HMV. Eduard Erdmanns Kontakte zur Schallplattenindustrie waren damals und auch
nach dem 2. Weltkrieg eher spärlich, vielleicht war er deshalb nur einem
kleinen Kreis von Musikfreunden bekannt. Immerhin konnte er zwischen 1949 und
1956 für Electrola die frühe A-Dur-Sonate D. 664, die drei letzten
Schubert-Sonaten sowie die Impromptus D. 899 im Studio aufzeichnen lassen.
Etwas umfangreicher ist aber der Fundus von Aufnahmen bei deutschen
Rundfunk-Sendern, die aber nicht alle und auch nur für wenige Jahre den
Plattenmarkt erreichten.
Von Schuberts B-Sonate stehen
mir drei Interpretationen zur Verfügung, einmal die erwähnte von Electrola/EMI
(1953), dann eine Aufzeichnung des WDR-Köln aus dem Jahre 1950 (Orfeo), sowie
eine weitere von Radio Bremen ein Jahr später, die Tahra herausgebracht hat.
Die Unterschiede bei den drei Interpretationen sind gering. Als Hörer erlebt
man ein unprätentiöses aber fantasievolles Klavierspiel, mit viel Sensibilität
für Schuberts Welt, jedoch ohne einen Anflug von Wienerischer Gefühligkeit. Den
ersten Satz nimmt er schneller als andere, das beobachtet man auch im Andante.
Dagegen werden Scherzo, fast wie ausgelassen, und Finale zügig durchgezogen. Im
2. Satz führt Erdmann die Takte 8-13 wie eine Anklage vor, erneut dann in T. 22
ff. (auch in der Wiederholung), die betroffen macht. Sehnsuchtsvoll erklingt
dann der B-Teil. Die im letzten Satz zu Beginn und dann mehrmals wiederholten
unisono angeschlagenen Oktav-Akkorde der linken Hand auf g nimmt Erdmann
kürzer als der Notentext verlangt, Ausnahme 1951. Wollte er den Fluss der Musik
nicht unnötig aufhalten? Sie erklingt unter Erdmanns Händen beinahe gehetzt,
jedoch mit hoher Spiritualität. Die lyrischen Passagen T. 86 ff. und später
können ihre Expressivität hier weniger entfalten als bei anderen Interpretinnen
und Interpreten. Trotz einiger Fehlgriffe in allen Aufnahmen überwiegt die
überragende künstlerische Leistung, die keine Herabstufung erforderlich macht.
Der Klang der alten
Mono-Aufnahmen ist gewiss nicht jedermanns Sache, die Ohren stellen sich aber
schnell auf die jeweilige Situation ein. Den besten Klang bietet die Orfeo-CD
aus Köln.
Der Münchner Musikkritiker
Karl-Heinz Ruppel würdigte den Pianisten in einem Nachruf: „EE war unter den
Pianisten der Gegenwart der unkonventionellste. Er spielte versunken,
expressiv, wie in einer Zwiesprache voll dunkler und erregender Geheimnisse
begriffen und so, als ob kein Publikum vorhanden wäre. Es war, als schlüge er
nicht nur die Töne und Akkorde der Schubertschen Musik, sondern die Musik
überhaupt aus dem Flügel; er war bei den „Müttern", wenn er spielte."
(Süddeutsche Zeitung vom 23.06.1958)
Rudolf Serkin
Zwei Einspielungen, die im
Abstand von zwei Jahren aufgezeichnet wurden, laden zum Vergleich ein. In der
Studio-Einspielung geht Serkin den vielen Verästelungen des Notentextes
(harmonisch, dynamisch und rhythmisch) nach, ohne dabei den Zeigefinger erheben
zu wollen. Die Bassnoten stellen die Musik immer auf ein sicheres Fundament.
Der Kopfsatz, aber auch das Andante strahlen einerseits Strenge aus,
andererseits vermitteln sie unterschwellig das Gefühl des Abschiednehmens,
zumindest beim Rezensenten. Die Musik bleibt fahl. Im Gegensatz zu den meisten
anderen Interpreten verfolgt der Pianist auch in den folgenden beiden Sätzen
sein einmal angeschlagenes Konzept, das bedeutet für die Musik des Scherzos,
dass sie ohne die gewünschte Delikatesse vorgetragen wird. Das ist keine
Interpretation der Beliebigkeit, hier „dient Serkin dem Geist der Musik"
(Joachim Kaiser).
Im zwei Jahre später
entstandenen Mitschnitt aus der Carnegie-Hall (zum 75. Geburtstag von Serkin)
krönt der Pianist das Konzert mit Schuberts B-Dur-Sonate. Im Großen und Ganzen
spielt er sie wie bereits zwei Jahre zuvor, etwas lockerer, bei ein wenig schnelleren
Tempi. Im dritten Satz erinnert sich Serkin jedoch der Satzüberschrift con
delicatezza und im Finale nimmt er die vielen p-Stellen etwas
großzügig. Was mir bei Serkin weniger gefällt, ist der (zu) metallisch
klingende Klang des Flügels.
Wladimir Horowitz
Den Klaviervirtuosen Horowitz
verbindet man kaum mit dem Namen Franz Schubert, vor allem nicht mit einer
Klaviersonate des Wiener Komponisten, die in den USA kaum gespielt wurden und
so niemand kannte. Als Zugabestücke griff er jedoch in seinen Konzerten
zuweilen zum Impromptu Ges-Dur aus D. 899 und zum Moment musical f-Moll aus D.
780. Beim Recital anlässlich der 25jährigen Wiederkehr seines USA-Debuts 1953
setzte er jedoch, zur Überraschung des Publikums und der Fachpresse, die
B-Dur-Sonate auf das Programm, nicht als krönenden Abschluss, sondern gleich an
den Anfang. Damit wollte er Zeigen, so sein Biograph Harold C. Schonberg, „dass
Serkin und der Nachwuchs […] kein Monopol auf dieses Stück besaßen."
Die Meinung war geteilt: Während das Publikum Horowitz‘ „Novität"
freundlich aufnahm, konnte die Interpretation Kritiker und Kollegen nicht
überzeugen, was man noch heute nachhören und nachvollziehen kann. Die Musik
wird unter Horowitz‘ Händen dramatisiert, einige Stellen werden vorgeführt,
Schuberts Dynamik der Effekte willen oft überfahren. Das Nachschlagen der
rechten Hand bei vielen Gelegenheiten (romantische Schule) sowie die häufigen
Rubati zeugen kaum von einer näheren Beziehung zu Schuberts singulärer
Komposition. Am besten gefällt noch das Andante.
32 Jahre später wurde der alte
Künstler noch zu einem Comeback in Deutschland und Europa überredet.
Tatsächlich gab er – von triumphalem Erfolg begleitet – Konzerte in den Jahren
1986 und 1987, unter anderem auch in seiner russischen Heimat Leningrad und
Moskau. Vorweg tätigte die DGG eine Studio-Aufnahme in seinem Wohnort New York,
sie sollte das Publikum auf die unmittelbar bevorstehenden Konzerte neugierig
machen. Im Vergleich zu 1953 kommt nun mehr Schubert als Horowitz aus den
Lautsprechern. Die große Überraschung ist, welche Klangfarben der alte Zauberer
seinem Flügel entlockt. Das Effekvolle wird auch nicht ganz unterdrückt
(Triller auf Ges vor der Wiederholung im 1. Satz). Einige pianistische
Geschmacksmuster auf früheren Zeiten, vor allem kein festes Tempo sowie
dynamische Eigenwilligkeiten, kann der Künstler auch jetzt nicht abstreifen.
Viele Musikfreunde begrüßten diese Schubert-Deutung.
Svjatoslav Richter
Als im Jahre 1973 Richters
Studio-Produktion der B-Dur-Sonate den Plattenmarkt erreichte – die
live-Aufnahmen waren noch nicht bekannt – war die Musikwelt überrascht,
teilweise auch verstört über die recht langsamen Tempi, die der Pianist den
beiden ersten Sätzen angedeihen ließ. Besonders verwiesen sie auch auf die
prima-volta-Takte, die vor der Wiederholung zu spielen sind, insbesondere auf
den Schluss mit dem verstörenden ff-Triller auf dem tiefen Ges.
So etwas hatte man früher kaum einmal gehört, kein Wunder, denn die
Wiederholung wurde in der Regel nicht gespielt. Ältere Pianisten wie Schnabel,
Kempff oder Erdmann verzichten auf die W im 1. Satz der B-Dur-Sonate, das war
gewiss nicht der Laufzeit der LP geschuldet. Sie wollten das Publikum für
Schuberts Sonaten gewinnen und nicht durch einen langen Kopfsatz ermüden und
abschrecken.
Richter war allerdings nicht
der erste sowjetische Pianist, der die W entdeckt hatte, bereits viele Jahre
vorher fing auch seine Kollegin Maria Judina ganz langsam an, wechselte dann
aber zu schnellerem Tempo. Da könnte man fragen, ob es in der auch im kulturellen
Bereich abgeschotteten Sowjetunion bezüglich dieser Sonate eine Tradition gab,
sie langsam zu beginnen und auch die Wiederholung zu spielen, ohne dass im
Westen davon Kenntnis genommen wurde. Sofronitzki kann nicht als Zeuge
aufgeführt werden, in seiner ersten Aufnahme lässt er die W weg, danach bindet
er sie ein. Aber wie stand es bei den einflussreichen Klaviermeistern Heinrich
Neuhaus, Konstantin Igumnov oder Alexander Goldenweiser? Diese Frage kann heute
kaum restlos geklärt werden, da die Quellen spärlich sind.
Auffallend ist jedoch, dass
sich in Bezug auf die Wiederholung im Kopfsatz und dessen langsamen Tempo viele
Interpretinnen und Interpreten Richters Vorstellungen nach Erscheinen seiner
Sudio-LP zu Eigen machen.
Leon Fleisher
Im Alter von 28 Jahren nahm
Fleisher zum ersten Mal Schuberts letzte Sonate auf, die Musik erklingt
durchsichtig und klar, gleichzeitig wird der Hörer Zeuge eines sensiblen
Umgangs mit dem Notentext. Jedoch nicht alles klingt schlüssig: einige Stellen
werden zu laut gespielt, z. B. der Anfang der Durchführung oder auch T:
146/147. Im zweiten Satz – ebenso wie der erste schneller als gewöhnlich –
spielt der Pianist in T. 5 auf Zz 1 den obersten Ton cis statt h,
ein Versehen? In den Takten 51 ff. erklingt die Sechzehntel-Begleitung zu laut.
Im Scherzo wünschte man sich mehr piano. Den Finalsatz nimmt Fleisher äußert
schnell, ohne dass jedoch Einbußen bei den rhythmischen Vertracktheiten in der
Durchführung hörbar werden, wie bei anderen Interpreten.
Nach der langjährigen Phase, in
der Fleisher nur mit der linken Hand spielen konnte, ermöglichte ihm eine
medizinische Behandlung ab 1998 auch wieder mit der rechten Hand zu spielen.
Aus dieser Zeit stammt seine zweite Einspielung der B-Dur-Sonate. Wenn man die
CD hört meint man, dass Fleisher erst jetzt Schuberts Musik richtig entdeckt
habe, er spielt mit mehr Kantabilität und Formbewusstsein, virtuose Aspekte
werden der Musik untergeordnet.
Paul Badura-Skoda
Drei Aufnahmen stehen hier zur
Verfügung. Im Jahre 1967 startete RCA eine Gesamtaufnahme aller
Schubert-Sonaten, inklusive der Fragmente, abwechselnd in Rom und Wien. 1968
wurde die B-Dur-Sonate aufgenommen, am Ende der Aufnahme-Serie nahm sich der
Pianist nochmal die drei letzten Sonaten vor, die auch aufgezeichnet wurden.
Das Booklet der CD-Box verrät kein Wort über den Grund der Neuaufnahme, es darf
aber angenommen werden, dass die Beschäftigung mit Schuberts Sonaten-Totale ein
etwas anderes Licht auf die letzten Sonaten beim Pianisten zeitigte, so kam es
1971 zur zweiten Aufnahme. Die Tempi sind ein wenig schneller als drei Jahre
zuvor, die Musik wirkt im Kopfsatz lebendiger und etwas dringlicher als früher.
Im Andante bringt Badura-Skoda das Pochen der Bass-Achtel nicht mehr so
penetrant deutlich, so klingen sie milder, natürlicher. Beim 3. Satz ziehe ich
die Erstaufnahme vor, der Notentext wird fantasievoller gestaltet und nicht nur
durchgezogen, im kurzen Trio herrscht das Gefühl von Sehnsucht vor. In dieser
Aufnahme klingt die Musik im Finale als Selbstläufer, bei der Wiederholung
werden die einzelnen Themen etwas mehr umrissen. Der Klang des Flügels in Rom
(1968) ist etwas heller als der in Wien (1971) gespielt wurde.
Die meisten Klaviermusikfreunde
wissen von der Liebe Badura-Skodas zu alten authentischen Instrumenten aus dem
18./19. Jahrhundert, die er auch sammelte. So verwundert es nicht, dass er nach
der Klavierfassung von Schuberts Sonaten auch noch eine mit historischen
Instrumenten folgen ließ. 1992 erfolgte die Aufnahme der B-Dur-Sonate auf einem
Hammerflügel von Conrad Graf aus Wien ~ 1826. Die Dissonanzen in den Akkorden
kommen hier viel deutlicher zur Geltung als bei den moderierten modernen
Instrumenten. Der A-Abschnitt im Andante wirkt betroffen, leider kann sich
Badura-Skoda nicht zu einem richtigen p durchringen, die pochenden
Sechzehntel im Bass werden deutlich herausgestellt, insgesamt jedoch wirkt mir
dieser Satz zu unruhig. Auch in den beiden letzten Sätzen geht der Pianist
sorglos mit der Dynamik um, dabei gehen viel Nuancen verloren.
Alfred Brendel
Schuberts Klaviermusik
begleitete Alfred Brendel ein Leben lang. Immer wieder wurden auch
Plattenaufzeichnungen, hauptsächlich vom Label Philips, erstellt. Im Falle der
B-Dur-Sonate stehen vier Aufnahmen zur Verfügung, die sich jedoch nicht
wesentlich voneinander unterscheiden. Im Kopfsatz lässt der Pianist die Musik
aus sich selbst heraus sprechen. An lauten Stellen lässt er keine aufgesetzte
Dramatik zu. Beachtenswert ist der Umgang mit Schuberts Dynamik, vor allem im p-Bereich.
Den langsamen Satz spielt Brendel empfindsam, nicht emotional aufgeladen, auch
hier besticht die Abstufung der dynamischen Werte. Beim Scherzo wird Schuberts con
delicatezza nicht übersehen, das Trio bleibt nur ein Intermezzo, die sf-Vorschriften
im Bass verleiten den Pianisten nicht der Musik dramatische Impulse zu
verleihen, indem sie zu deutlich herausgestellt werden. Unbeschwert verläuft
der Finalsatz, die drei Themen stellt Brendel in ihrer Eigenheit nebeneinander,
wobei der f-Moll-Abschnitt nicht überbewertet wird, aus dramatischem
Akkordspiel entwickelt sich rasch ein fließendes Musizieren mittels punktierter
Achtel, so, wie Schubert es vorgesehen hat. Mein Favorit ist die Aufnahme aus
dem Jahr 1988. Im Londoner Mitschnitt aus dem Jahre 1997 spielt der Pianist den
langsamen Satz im Gegensatz zu früher und später etwas schwerblütig, betroffen
machend. Hier gibt er der Musik des Scherzos etwas mehr Zeit. Die letzte
Interpretation stammt aus Brendels Abschiedstournee 2008, sie wurde in Hannover
mitgeschnitten. Sollte die etwas ernsthaftere Stimmung im Kopfsatz ein Indiz
für „das letzte Mal" sein? Wenn ja, gilt das nur für diesen Satz. Bereits
im Scherzo mit seinem lockeren Klavierspiel sind alle trüben Gedanken
verflossen.
Maria João Pires
Von der portugiesischen
Pianistin liegen mir zwei Studioaufnahmen vor. Die Erato-Produktion scheint mir
zumindest im Kopfsatz noch nicht durchgeformt und durchdacht. So muss sich hier
das 2. Thema (Tenorlage) der Oberstimme unterordnen. Im weiteren Verlauf des
Satzes werden die Alberti-Bässe T. 59-78 recht mechanisch abgeliefert. Ab T. 98
drosselt Frau Pires merklich das Tempo, dagegen klingt die Durchführung beinahe
wie gehetzt, das ist eine extrem persönliche Sicht. Dagegen bewegt sich die
Pianistin in den folgenden Sätzen näher am Notentext. Das Andante strahlt viel
Melancholie und Schmerz aus, die Begleitung im Mittelteil klingt T. 50 ff. und
T. 76 ff. wie verspielt. Das Trio im Satz 3 nimmt die Pianistin das Tempo viel
langsamer und spielt nachdenklicher. Das Finale klingt hier schneller als
gewöhnlich, jedoch nur das 1. Thema, das teilweise ungestüm und kapriziös aus
den Lautsprechern kommt.
26 Jahre später nimmt sich Frau
Pires Schuberts letzte Sonate noch einmal vor, rückt jedoch in ihrer neuen
Sicht von den früheren Extremen ab. Im Kopfsatz spielt sie die Durchführung
immer noch vergleichsweise schnell, mit viel Hingabe erlebt der Hörer die
letzten Takte vor der Reprise. Im 3. Satz wird die frühere Version
weiterentwickelt – das Trio wird nicht mehr so langsam genommen – das gilt
ebenso für das Finale, sehr schön gelingen hier die legato-Melodien am Ende des
3. Themas.
Daniel Barenboim
Zu Barenboims erster Aufnahme
(DGG) wäre zu sagen: Schuberts Noten gespielt, aber keine persönliche
Auffassung des Pianisten, keine großen Ambitionen werden hörbar gemacht,
pianistisch untadelig, nur schön, für Otto Normalverbraucher. Die zweite
Aufnahme 15 Jahre später (Erato) bietet mehr Kritikpunkte: Die ersten drei
Sätze werden schneller genommen, jedoch ohne Qualitätssteigerung. Im 1. Satz
kann sich der Pianist nicht entscheiden, ob er in der Durchführung die jeweils
beiden Achtel nach der Halben kurz (Schubert) oder lang spielen soll (vgl. T.
146 ff. und T. 159 ff.). Die Sechzehntel-Kette T. 32 f. klingt verhudelt. Im
Andante läuft im A-Teil die linke Hand nur mit, in den T. 51 ff. und 76 ff.
wird die jeweils zweite Achtel ohne staccato gespielt. Unruhig und etwas
schnoddrig verläuft der letzte Satz, da wünschte man sich mehr an dynamischer
Differenzierung. Fazit: keine besondere Beziehung zu D. 960 spürbar.
eingestellt am 10.09.23