Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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2. Sinfonie C-Dur op. 61
Mancher Leser dieser Web-Seite wird sich wundern, dass nicht, wie sonst hier üblich, die Auflistung der Aufnahmen am Anfang steht, sondern der Autor seine Gedanken über Schumanns 2. Sinfonie C-Dur mitteilen möchte.
Nachdem Schumann die Phase seine Klavierwerke hinter sich gelassen hatte, wandte er sich dem Lied zu und schuf auch in diesem Genre herausragende gültige Kompositionen. Danach versuchte er sich in der Komposition rein instrumentaler Musikstücke. Aus tiefster Überzeugung war er der Meinung, dass ein vollgültiger Komponist sich auch auf diesem Gebiet der Instrumentalmusik zu behaupten habe, mit Sonaten, Trios, Quartetten, Sinfonien, Instrumentalkonzerten, wie es von dem übergroßen Vorbild Beethoven und auch vom verehrten Franz Schubert vorgezeichnet war. Folgerichtig studierte Schumann deren Partituren und trieb intensive Kontrapunktstudien, teilweise zusammen mit seiner Frau Clara, vor allem Musik von Bach. Auffallend scheint mir, dass die nun erschienenen Werke in der kompositorischen Anlage, der Kombination der Stimmen eine Verdichtung erfuhren, jedoch ihre Ursprünglichkeit, die man in seinen früheren Werken so bewundern konnte, einbüßten und zum bewusst geformten, gestalteten Material hinübergeführt wurden. Schumanns mühevolle Arbeit, melodische Einfälle zu verwertbaren Themen zu formen, sie mit anderen sinnvoll zu verknüpfen und in eine überkommene Form einzubringen, ist allenthalben hörbar. Nicht immer gelingt dies m. E. überzeugend, mit am wenigsten in seiner C-Dur-Sinfonie, chronologisch gesehen bereits seine dritte. Sie entstand am Ende einer schweren depressiven Phase, in dem auch Gedanken über den möglichen Verlust seiner Clara auftraten. Schumann selbst teilt mit: „Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch halb krank; mir ist’s als müßte man ihr das anhören. Erst im letzten Satz fing ich an mich wieder zu fühlen, wirklich wurde ich auch nach Beendigung des Werkes wieder wohler. Sonst aber, wie gesagt, erinnert sie mich an eine dunkle Zeit.“
Eine Aufführung von Schuberts letzter Sinfonie in C-Dur D. 944, die Schumann erleben konnte, könnte ihn zur Komposition einer neuen Sinfonie, in derselben Tonart, bewogen haben, was ein Eintrag in seinem penibel geführten Haushaltsbuch vermuten lässt. Innerhalb eines Jahres, vollendete er die Sinfonie, die am 5.11.1846 von seinem Freund Felix Mendelssohn im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt wurde. Die motivisch-thematische Arbeit tritt stärker als in seinen bisher geschaffenen Werken hervor und lässt das Vorbild Beethoven durchscheinen. Wie dieser in der Mehrzahl seiner Sinfonien lässt Schumann seine C-Dur-Sinfonie mit einer langsamen Einleitung beginnen, aus der sich das folgende Allegro rhythmisch und thematisch entwickelt. Vor allem das fanfarenartige Thema der Trompeten und der anderen Blechbläser zieht sich durch die Sinfonie bis in den Finalsatz hinein. Ob sich Schumann an den Anfang von Haydns Sinfonie Nr.104 D-Dur erinnerte, die dieses Motiv gleich zu Beginn bringt, kann nicht bewiesen werden, da wir nicht wissen, ob er diese überhaupt kannte. Signalthemen der Trompeten hatten einen gewissen Bekanntheitswert, noch Richard Strauss bediente sich eines zu Beginn seiner Tondichtung „Also sprach Zarathustra“.
Neben diesem Haydn-Motiv, verarbeitete Schumann weitere Zitate, so, als müsse er sich bei der Komposition des anspruchsvollen Werkes der Patenschaft von Bach und Beethoven versichern: das Thema des langsamen Satzes ist dem Eröffnungsmotiv aus Bachs Triosonate aus dem „Musikalischen Opfer“ (Anfang des Largos) nachgebildet. Im Finale Beethoven (s.u.).
Der Allegroteil des 1.Satzes kündet an allen Ecken von Schumanns Ringen mit dem thematischen Material, der Hörer erlebt, wie der Komponist mit den Motiven und - kurzatmigen - Themen kämpft, um eine plausible, musikalisch überzeugende Form auszuarbeiten. Es ist jedoch nicht zu überhören, dass viele Abschnitte schematisch durchgeführt und immer wieder wiederholt werden. Man hat den Eindruck, dass die Musik nicht von der Stelle kommt und in ein Kreisen mündet, das nicht weit entfernt vom Leerlauf ist, aus dem die Musik sich nur mittels eines Kraftakts befreien kann. Besonders auffällig erlebt der Hörer das im 2.Satz, Allegro vivace, der einem Perpetuum Mobile gleicht. Das Kopfthema der Einleitung erscheint plötzlich, man könnte auch sagen: endlich, in Takt 384 wie ein deus ex machina und führt den Satzschluss quasi gewaltsam herbei, sehr überzeugend bei Sinopoli-Dresden, Klemperer und Celibidache. Auch im 4. Satz werden die Themen kaum verarbeitet, sondern immer wieder rekapituliert. Weitaus am überzeugendsten ist das ausdrucksvolle Adagio espressivo, der 3.Satz, gelungen, mit ausgeprägten Seufzermotiven sowie fallenden Septimen. Im Finalsatz, dessen 1. Thema sich wieder an Haydns Fanfarenmotiv anlehnt und dessen 2. Thema wiederum Bachs Motiv erinnert, bricht die Musik in der Mitte kraftlos zusammen, so, als ob sich das thematische Material nun erschöpft habe (T. 279). Nach 3 Generalpausen bringt Schumann ein völlig neues (?) Thema, dass das musikalische Geschehen nun bis zum Schluss ziemlich beherrscht. Es ist wieder, wie bereits in der Fantasie C-Dur op. 17, eine Reminiszenz an Beethovens „Nimm sie hin denn, diese Lieder“, das letzte Lied aus dessem Zyklus „An die ferne Geliebte“. Wer es bis hierher noch nicht gehört hat: gerade in der 2. Sinfonie beschwört Schumann immer wieder seine Liebe zu Clara, Peter Gülke spricht von „Claras zweitem Leben in Schumanns Musik“.
Merkwürdig ist, dass Schumann den Gestus der Musik mit Eintritt des „Nimm-sie-hin“-Themas jetzt nicht ändert, es geht im Grunde so weiter wie bisher. Lässt sich nach all den geschilderten „Ungereimtheiten“ bei der C-Dur Sinfonie noch von einem großen Wurf, gar einem Meisterwerk, sprechen? Günter Wand hat in einem Interview die 2. Sinfonie „kranke Musik“ genannt und sie nicht aufgeführt, auch Furtwängler konnte sich nicht für sie erwärmen. Nur 4 Aufführungen in den Jahren 1927/28 sind bezeugt (J. Hunt), dagegen dirigierte er die 4. Sinfonie in weit über 70 Programmen.
Merkwürdig jedoch erscheint die Beliebtheit des Werkes zumindest beim Publikum, manche halten sie für Schumanns beste Sinfonie. Auf der einen Seite höre ich die 2. immer wieder gern, auf der anderen weiß ich auch um die problematischen Seiten des Werkes: das Kreisen, das nicht Weiterkommen, auf der Stelle treten, die ewigen Wiederholungen, die vielen Kadenzierungen, die Diskrepanz zwischen äußerer Brillanz und innerer Unruhe, Zerrissenheit und vielleicht auch Ratlosigkeit. Es ist kaum eine Entwicklung im kompositorischen Verlauf zu entdecken. Im Gegensatz dazu sei erwähnt, dass Schubert in seiner 9.Sinfonie C-Dur im letzten Satz auch immer wieder bestimmte Motive, Themen wiederholt, aber er beleuchtet sie jedesmal ein wenig anders, abwechslungsreicher, das gelang Schumann nicht! Für mich auffallend ist, dass diese, ich möchte mal sagen, Schwäche bei Schumann gerade in den eher formgebundenen Werken (Sinfonie, Sonate, Streichquartett) zu beobachten ist, in anderen Stücken viel weniger.
Welche Kriterien sind nun für die Beurteilung der Tondokumente anzulegen, auf was soll sich eine Bewertung stützen? Doch eigentlich nur auf die in der Partitur niedergelegten Anweisungen, das äußere Erscheinungsbild: Tempi, Dynamik, Phrasierung, dazu Klangbild, Durchhörbarkeit. Das Innenleben des Werkes bleibt dem Hörer verborgen.
Reiner |
Chicago Symphony Orchestra |
Dante Arlecchino |
1957 |
39‘27 |
5 |
live – Reiners überlegen formende Hand ist in fast jedem Takt gegenwärtig, Klang mit sehr viel Körper, verträgt keine zu schnellen Tempi |
Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS/Sony |
1958 |
36‘20 |
5 |
|
Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS/UA |
1952 |
34‘50 |
5 |
|
Szell |
Cleveland Orchestra |
Ermitage |
1957 |
35‘31 |
5 |
live |
Szell |
Berliner Philharmoniker |
Testament |
1969 |
37‘23 |
5 |
live |
Paray |
Detroit Symphony Orchestra |
Mercury |
1955 |
33‘53 |
5 |
erstaunlicher Klang, I zieht das Tempo bei T. 175 etwas an, II Grundtempo auch in den Trios beibehalten, Allegro molto vivace fabelhaft realisiert, kurze Rit. T. 20 und 54 genau dosiert, ohne den Fluss der Musik aufzuhalten, Trio I wie Mendelssohn, IV genaueste Artikulation immer auf die Höhepunkte zu |
Dohnanyi |
Cleveland Orchestra |
Decca |
1988 |
37‘12 |
5 |
W – helles Klangbild, Instrumente klar gezeichnet, I Blech immer genau dosiert, II viele Details, kurze und prägnante sf, III mehr sachlich |
Järvi, Paavo |
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen |
RCA |
2011 |
37'19 |
5 |
W – lebendiges Musizieren, immer deutlich, schwungvoll, präzise, Akzente genau gesetzt, immer auch auf die Nebenstimmen achtend, Klang und Transparenz bestens, I un poco piu vivace genau dosiert, Stimmführungswechsel herausgearbeitet, II sinnvolle kurze Ritardandi in den Trios, III sehr farbig, spannungsvolle Crescendi, wunderbar gestalteder Schluss |
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||||||
Sawallisch |
Staatskapelle Dresden |
EMI |
1972 |
37‘04 |
4-5 |
W – I ahnungsvolle Einleitung, mit brio durch den Satz, lebendig, geformt, III im Detail nicht so deutlich gezeichnet wie Dohnanyi, dafür jedoch mehr Wärme, IV leidenschaftlich, überzeugend – Sawallisch glaubt an Schumann |
Schuricht |
SDR Sinfonie-Orchester Stuttgart |
hännsler |
1959 |
36‘16 |
4-5 |
|
Kletzki |
Israel Philharmonic Orchestra |
Decca Doremi |
1956 |
32‘53 |
4-5 |
I Allegroteil vorwärtstreibend, dramatisch, II nicht so spritzig wie z. B. bei Paray, III genaue Umsetzung der dynamischen Vorzeichen, ruhiges, trotzdem auch lebendiges Musizieren, IV punktierter Fanfarenrhythmus könnte schärfer sein – transparentes Klangbild, zum Ende hin kompakt |
Mitropoulos |
Wiener Philharmoniker |
Orfeo |
1954 |
35‘06 |
4-5 |
live – I lastende Einleitung, Klage, Hauptteil dramatisch, II furioser Schluss, überzeugende Werksicht, III etwas zu unruhig, IV mit Konzept; dieses Werk schien M. eine Herzensangelegenheit zu sein |
Holliger |
WDR-Sinfonie-Orchester Köln |
audite |
2013 |
36'02 |
4-5 |
W – geschmeidiges Musizieren, sehr klar und durchsichtig III Andante, mehr linear dargestellt, IV Holliger versucht Schumanns Defizite durch aufmerksame Interaktionen zwischen den Instrumenten entgegenzuwirken |
Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
40‘16 |
4-5 |
W |
Levine |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1987 |
38‘04 |
4-5 |
W – gutes Klangbild, I in der Einleitung geheimnisvolles Fagott, II viele Details, III Orchesterinstrumente genau dosiert |
Inbal |
New Philharmonia Orchestra London |
Philips |
1971 |
38‘58 |
4-5 |
W – insgesamt viel Schumann, Orchesterklang etwas angeraut, III ausdrucksvoll, IV aufs Finale zielend |
Thielemann |
Philharmonia Orchestra London |
DGG |
1996 |
41‘53 |
4-5 |
W |
Skrowaszewski |
Radio-Philharmonie Saarbrücken |
Oehms |
2007 |
38‘21 |
4-5 |
W - frisch und lebendig, ausdrucksvolles Adagio |
Boult |
London Philharmonic Orchestra |
Pye |
1957 |
30‘38 |
4-5 |
ein überzeugendes Plädoyer für Schumanns 2. Sinfonie, abgesehen vom zu schnell und zu nüchtern gespielten langsamen Satz; in den schnellen Sätzen versucht B. den Hörer fast zu überrumpeln |
Oramo |
Philharmonisches Orchester Stockholm |
Sony |
2008 |
38‘00 |
4-5 |
W – E suchend, Allegro sehr lebendig, rhythmisch akzentuiert, II immer sehr lebendig, III con espressivo, Basslinie T. 48-55 dezent, aber deutlich, IV hymnischer Ausklang |
Schuricht |
Conservatoire Orchester Paris |
Decca |
1952 |
34‘15 |
4-5 |
|
Nézet-Séguin |
Chamber Orchestra of Europe |
DGG |
2012 |
34'45 |
4-5 |
W – live – I in der E nur ein Tempo, es wird nichts „gemacht“, beweglich, wendig immer geschmeidig musiziert, kein Stillstand, II dominierende immer wieder kehrende Spielfiguren der 1. Viol. Ganz trocken, federndes Musizieren, Blech immer in den Gesamtklang eingebettet, III etwas wenig Espressivo, klingt leicht distanziert, blass, IV Bläsereinwürfe T. 45 ff hätten mehr Farbe vertragen, Musik klingt etwas wie abgeschnurrt – sehr gute Balance, Kammerorchesterformat! |
Chailly |
Gewandhausorchester Leipzig |
Decca |
2006 |
34‘42 |
4-5 |
W – in Mahlers Fassung, keinesfalls an Schumann vorbei interpretiert oder überinterpretiert, Höhepunkte im Finale |
Sinopoli |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1982 |
38‘09 |
4-5 |
W |
Sinopoli |
Sächsische Staatskapelle Dresden |
DGG |
1992 |
37‘49 |
4-5 |
W |
Celibidache |
RAI Orchester Rom |
IDIS |
1960 |
35‘34 |
4-5 |
live - insgesamt überzeugender als die spätere Interpretation aus München, abgesehen von der langsamen Einleitung, die Celi dort mit viel mehr Spannung auflud, in allen Sätzen wählt er ein schnelleres Tempo, auch im langsamen Satz, den er molto espressivo vorüberziehen lässt; im Finale überspielt er durch das stringende Tempo Schumanns kompostorische Löcher, auch heizt er den Musikern wieder kräftig ein! |
Jordan, Armin |
Orchestre de la Suisse Romande |
Erato |
1990 |
36‘00 |
4-5 |
sehr lebendig, III erfüllt, T. 8 f schönes Duett Ob. und Fg. |
|
||||||
Bernstein |
New York Stadium Symphony Orchestra |
Decca/DGG |
1953 |
39‘22 |
4 |
W |
Solti |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1969 |
35‘43 |
4 |
W – I Allegro ohne ma non troppo, II Scherzo etwas atemlos, aber möglicherweise von Schumann so gewollt, III schwächster Satz, nur die Noten, IV schlank |
Celibidache |
Münchner Philharmoniker |
EMI |
1994 |
43‘39 |
4 |
live – immer mäßiges Tempo, I großartige Einleitung, III chromatische Basslinie der Vc. und Kb. bringen Spannung, IV am Schluss C-Dur-Apotheose |
Janowski |
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra |
ASV |
P 1986 |
35‘33 |
4 |
W – der Partitur aufmerksam auf der Spur, IV am Schluss kein ritardando wie in der Partitur! |
Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1971 |
36‘11 |
4 |
streicherbetontes Klangbild (Vl. 1), stört zumindest im 3. Satz, da die Bläser oft überlagert werden |
Levine |
Philadelphia Orchestra |
RCA |
1977 |
38‘13 |
4 |
W – saftiges Klangbild, tiefe Streicher nicht vernachlässigt, I leidenschaftlich, II beherzt, III nicht so spannungsvoll wie bei BPh, IV liebe zu Details |
Zinman |
Baltimore Symphony Orchestra |
Telarc |
1989 |
38‘07 |
4 |
W – Geigen in höchsten Lagen leicht stahlig, Klang insgesamt etwas geschlossener als 2003, traditionelle Darstellung auf hohem Niveau |
Comissiona |
Houston Symphony Orchestra |
Pro Arte |
1986 |
39‘32 |
4 |
W – Dirigent tritt hinter das Werk zurück, I gelungene Einleitung, II Trio 1 könnte etwas spritziger sein, III tremolierende Oboe |
Joeres |
Royal Philharmonic Orchestra London |
BIS |
1997 |
38‘36 |
4 |
W – I Orchester straff geführt, II Trio 1 etwas langsamer, könnte etwas spritziger sein, III hell und durchsichtig, mehr sachlich, IV leidenschaftlich gespannt |
Muti |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
P 1978 |
36‘33 |
4 |
W- saftiges Klangbild, jedoch von Streichern beherrscht, II lebendig im Sinne der Partitur, III könnte etwas leiser sein, T. 48 ff lebt das Orchester auf, IV 1. Teil furios; Holz mehr im Hintergrund, viel C-Dur, plakativ |
Bernstein |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1985 |
42‘35 |
4 |
W - live |
Eschenbach |
NdR Sinfonie-Orchester |
RCA |
1999 |
39‘13 |
4 |
W – helles Klangbild |
Schuricht |
Orchestre National de France |
Erato |
1955 |
36‘24 |
4 |
live |
Ansermet |
Orchestre de la Suisse Romande |
Decca |
1965 |
37‘50 |
4 |
W – keinesfalls auftrumpfend, die lyrischen Abschnitte aufwertend, lebendig, durchsichtiger Klang, III überzeugend, gespannt, IV kein C-Dur Jubel, Ansermet im Lager der Zweifler? |
Kubelik |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1964 |
37‘10 |
4 |
leicht dichtes Klangbild, Darstellung könnte differenzierter sein, III überzeugend, IV zu wenig zupackend |
Muti |
Wiener Philharmoniker |
Philips |
1995 |
37‘32 |
4 |
W – I kein überzeugendes Konzept, II nicht so zupackend wie bei POL, III vornehmer, IV Holzbläser besser eingefangen |
Haitink |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1984 |
36‘36 |
4 |
wenig Widerstände, etwas glatt, Adagio am besten gelungen |
Chailly |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Decca |
|
38‘04 |
4 |
werkgerechte Interpretation ohne besondere persönliche Note, die schnellen Sätze könnten etwas zupackender sein |
Rattle |
Berliner Philharmoniker |
BPh Media |
2013 |
37'57 |
4 |
W. live – E T. 1-24 Schumann und Rattle kreisen um sich selbst,danach Action, T. 50-61 wenig Spannung, Leerlauf in der Durchführung, III wenig Inbrunst, IV Rattle versucht die Schwächen der Partitur zu überspielen, gefällt am besten – durch seine Musizierweise unterstreicht R. die floskelhafte Musiksprache Schumanns, Sinfonie für ihn kaum eine Herzensangelegenheit |
Kubelik |
Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
CBS Sony |
1979 |
39‘03 |
4 |
W – Klangbild noch dichter, insgesamt nur Mittelmaß, III leicht schleppend |
Ansermet |
Kölner Rundfunk Sinfonie-Orchester |
WDR |
1956 |
37‘05 |
4 |
W - live – unveröffentlicht, etwas vitaler als 1965, orchestral einige Abstriche |
Eschenbach |
Bamberger Symphoniker |
Virgin |
1991 |
41‘48 |
4 |
W – stellenweise etwas langsamer und mit geringerer Spannung, volleres und leicht dunkleres Klangbild |
Konwitschny |
Gewandhausorchester Leipzig |
Berlin Classics |
1961 |
34‘48 |
4 |
W – bewegte Tempi, keine persönliche Note |
Klemperer |
New Philharmonia Orchestra |
EMI |
1966 |
40‘58 |
4 |
gewichtiges Musizieren, in den Ecksätzen auch schwerfällig, im Finale schreitend stampfend; Klemperer leuchtet in die Partitur hinein, ohne jedoch neue Erkenntnisse zu gewinnen, sehr durchsichtig |
Suitner |
Staatskapelle Berlin |
Denon |
1987 |
36‘24 |
4 |
kompakter Klang, entfernt, Bässe insgesamt zu leise, im Finale auch das 2. Thema (Vc.) |
Barenboim |
Staatskapelle Berlin |
Teldec |
2003 |
37‘31 |
4 |
W – II Trio 1 könnte etwas lockerer sein, Stretta burschikos, III Orchesteralltag, wenig inspiriert |
Marriner |
Academy of St. Martin-in-the-Fields |
hännsler Brilliant |
1988 |
34‘41 |
4 |
W - orchestral wie bei Marriner gewohnt alles bestens, jedoch glatt, mehr an der Oberfläche |
|
||||||
Vonk |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
EMI |
1991 |
35‘55 |
3-4 |
live – alles sehr lebendig, manche Stellen auch nur beiläufig; etwas kompakter Klang, Blechbläser auch in Tuttistellen nicht herausgehoben |
Masur |
Gewandhausorchester Leipzig |
RCA |
1973 |
35‘25 |
3-4 |
W - I Einleitung und Hauptteil passen tempomäßig nicht zusammen, Hauptteil etwas schwerfällig, II mehr beiläufig, III Andante, schnell durch den Satz, IV |
Masur |
London Philharmonic Orchestra |
Teldec |
1990 |
33‘34 |
3-4 |
W – Einleitung besser als 1973, vieles nur al fresco, mehr an der Oberfläche als im Werk, Beziehung zum Werk nicht hörbar |
Roschdestvensky |
Staatliches Sinfonie-Orchester von Estland |
Melodya Olympia |
1978 |
33‘51 |
3-4 |
kein TOP-Orchester, III trotz Andante-Tempo am besten gelungen, IV etwas eintönig |
Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
Testament |
1941 |
34‘06 |
3-4 |
live – rhythmisch akzentuiertes Orchesterspiel, (zu) deutliches Blech, II Streicherfiguren überhastet und nicht immer deutlich, wird im Laufe des Satzes besser, Trio 2 langsamer, III eher sachlich, T. 48 ff Geigen schwülstig, Zwischenspiel T. 62 ff wie Etüde, IV plakativ, zusätzliche Trompetenstimme ab T. 552 |
Interpretationen nach historisch informierter Aufführungspraxis und (teilweise) mit Originalinstrumenten:
Zinman |
Tonhalle Orchester Zürich |
Arte Nova |
2003 |
35‘42 |
4-5 |
W |
Gardiner |
Orchestre Revolutionaire et Romantique |
DGA |
1997 |
37‘25 |
4-5 |
W |
Goodman |
The Hanover Band |
RCA |
1993 |
34‘30 |
4-5 |
W |
|
||||||
Herreweghe |
Orchestre des Champs Elysées |
HMF |
1996 |
37‘09 |
4 |
W |
Harnoncourt |
Chamber Orchestra of Europe |
Teldec |
1994 |
35‘36 |
4 |
W - live |
Norrington |
SWR Sinfonie-Orchester Stuttgart |
hänssler |
2004 |
37‘13 |
4 |
W - live |
Dausgaard |
Schwedisches Kammerorchester |
BIS |
2005 |
35‘12 |
4 |
W |
|
||||||
Merz |
Klassische Philharmonie Düsseldorf |
ebs |
1993 |
37‘38 |
2-3 |
W |
Schumanns Sinfonien konnten sich seit ihrem Erscheinen nie so richtig bei Dirigenten und folglich beim Publikum durchsetzen. Jene warfen dem Komponisten gemessen an Berlioz, Weber und Mendelssohn Mängel in der Orchestrierung vor. Gustav Mahler, ein Bewunderer von Schumanns Sinfonien, unterzog die Partituren einer Revision, um die Absichten des Komponisten dem Publikum deutlicher mitzuteilen. Zu Beginn der 2. Sinfonie lässt er vom Blech nur die Trompeten spielen, im Allegro wird das Hauptthema nur von den Streichern übernommen, die Verdopplung durch die Holzbläser entfällt. Es würde hier zu weit führen, um auf alle 355 Änderungen einzugehen. Riccardo Chailly hat kürzlich eine Gesamtaufnahme in der Edition von Gustav Mahler veröffentlicht. Es ist jedoch nicht die erste, bereits 1987 legte Aldo Ceccato mit dem Bergen Philharmonic Orchestra bei BIS eine Einspielung vor, die jedoch hierzulande geringe Beachtung fand, auch ich kenne sie nicht. George Szell hielt die komplette Neuorchestrierung der Schumannschen Sinfonien durch Gustav Mahler für einen äußert unglückseligen Fehlgriff, da er den Charakter der Werke verfälsche. Szell nahm jedoch selbst einige Retuschen vor, die sich teilweise mit der Mahlers decken: Verdünnung der Instrumentation, um die Themen klarer heraus zu arbeiten, Modifizierung der Dynamik, um die wichtigsten Stimmen hervortreten zu lassen. Der Verzicht auf die Wiederholung im 1. Trio des Scherzos geht auch auf Mahler zurück. Auch Otto Klemperer greift in die Partitur der 2. Sinfonie ein: in der Einleitung nur Trompeten, im 2.Trio des Scherzos spielen die Bratschen in T. 240-254 sowie T. 263-281 nicht staccato sondern pizzicato!, gleiches kann man im Finale ab T. 406 hören. Dimitri Mitropoulos verstärkt im 4. Satz T. 142 ff die Melodie des Kontrabasses durch eine Bassposaune. Arturo Toscanini kam auf die fragwürdige Idee, kurz vor Schluss eine zusätzliche Trompetenstimme einzuführen.
Anmerkungen zu den einzelnen Sätzen:
1. Satz: Im 2. Teil der Einleitung (un poco piu vivace) baut Schumann ab T. 25 eine Spannung auf, auf derem Höhepunkt T. 33/34 die Trompetenfanfare erstrahlt, die sofort anschließend noch von 2 Posaunen überhöht wird, sehr eindrucksvoll z. B. bei Kletzki, Paray, Szell, Toscanini, Solti und Joeres. Bei Kubelik-BP und Sinipoli-WP klingen die T. 35/36 unterbelichtet. In den Takten 96-99 lässt Inbal sehr deutlich die Melodie der 1. Geigen von T. 92-95 von den Kontrabässen wie vorgesehen in tiefer Lage wiederholen, bei sehr vielen Interpretationen geht das unter. Ab T. 110 bis 116 bringen die beiden Flöten, sofern man sie wahrnimmt, taktweise zwei kurze Töne als Oktavsprünge. Nur wenige Dirigenten lassen dies deutlich werden, z. B. Celibidache, Klemperer, Sawallisch, Janowski, Muti-WP, Herreweghe, Thielemann und Dausgaard. T. 219-239 kommentieren und erweitern die Celli Musik der Geigen und Bratschen. Meistens kommt nur ein tiefes Geraune aus den Lautsprechern, nicht so bei Chailly-COA, Inbal und Zinman-89, etwas leiser, aber noch deutlich vernehmbar, lassen Sawallisch, Dohnanyi, Muti-WP und Thielemann die Celli erklingen. Im 2. Satz bremst Schumann in T. 20 die Melodie der Holzbläser ein wenig ab, alle Dirigenten außer Schuricht ignorieren dieses ritardando, bei seiner Wiederholung in T. 54 erinnern sich noch Bernstein-60 sowie Thielemann an diese Anweisung. T. 73-75 spielen die Streicher thematisch nicht verbunden allein, Schuricht belebt hier die 1. Geigen, auch bei Szell-69, Mitropoulos, Bernstein, Norrington, Gardiner, Thielemann und Dausgaard bleiben diese Takte nicht unverbindlich, allein Barenboim gestaltet hier eine große Szene auf kleinstem Raum. Im 1. Trio des Scherzos schreibt der Komponist für die Takte 121 und 155 ein Ritardando, viel organischer klingt die Musik, wenn man mit der Verlangsamung bereits T. 118 bzw. 152 beginnt, wie z. B. bei Ansermet, Szell, Celibidache, Mitropoulos, Dohnanyi, Bernstein, Inbal und Levine. Am Ende des 2.Trios legen Schuricht-55 und Szell zwischen T. 281 und 282 sowie zwischen T. 285 und 286 ein kleines „sprechendes“ Päuschen ein, die Musik hält für einen Augenblick inne, atmet aus, bevor sie T. 299 das Finale erreicht. Im 3. Satz, Adagio espressivo, schreibt Schumann zwischen den beiden Hauptteilen T. 62-73 als Überleitung eine polyphone Bewegung der Geigen, später noch durch Bratschen verstärkt, möglicherweise eine Reminiszenz an seiner Bachstudien. Zu den Streichern gesellen sich parallel zweimal Klarinetten, dann zweimal Fagotte. Diese Blasinstrumente hört man nur deutlich bei Jordan, Dohnanyi, Marriner, Zinman, Goodman, Barenboim und Dausgaard. 4. Satz: beim ersten Erscheinen des 2. Themas T. 199 ff setzt Schumann eine bewegte Triolenbewegung von 2. Violinen und Bratschen dagegen, meist wird diese nur lustlos oder verwaschen abgespult. Nicht so bei Kubelik und Sawallisch, die deutlich die Eigenständigkeit herausstellen, auch Skrowaczewski, Dohnanyi, Eschenbach-NdR, Levine, Merz, Zinman-89 und Thielemann lassen deutlicher artikulieren. Am Ende des 1. Teils des Finales bricht die Musik, wie schon oben erwähnt, kraftlos zusammen, Eschenbach führt das Ermatten deutlich vor.
Anmerkungen zu einigen Dirigenten:
Für Carl Schuricht schien Schumanns 2. Sinfonie eine Herzensangelegenheit zu sein, immerhin sind mindestens drei Tondokumente überliefert, die mich alle überzeugen. 1952 spielte er sie mit dem ihm verbundenen Conservatoire Orchester Paris für Decca im damaligen schmalbrüstigen Decca-Klang ein, mich stört dabei die nadeldürre Oboe, die man in den 50er-Jahren auch in Londoner Orchestern sowie im Concertgebouw Orkest spielte, diese Oboe hat fast keine Ausdruckskraft, wie sie bei Schumann so wichtig ist. Drei Jahre nach dieser Studio-Produktion entstand eine Aufnahme beim Festival in Montreux mit dem Orchestre National de France, interpretatorisch liegt sie auf der vorgegebenen Linie, leider ist sie viel weniger deutlich, kompakter ausgefallen. Mit weit besseren Klangverhältnissen wartet die SDR-Aufnahme aus Stuttgart auf, in der ein jung gebliebener Schuricht Musik seines Herzens dirigiert. In allen drei Aufnahmen nimmt er im Scherzo das Trio I etwas langsamer, sowie im Finale der Schlussabschnitt ab T. 394 etwas schneller.
Ein anderer Schumannianer war George Szell, von dem ich vier Aufnahmen vorstellen kann, die auch alle als Spitzenleistungen anzusehen sind. Mit Schwung geht er durch die schnellen Sätze, hält dabei seine Musiker immer zu differenziertem und nuanciertem Spiel an, immer wieder werden Details freigelegt, die man sonst nur selten hören kann. Der langsame Satz wird innerlich, jedoch nicht gefühlig, musiziert. Hier kann man erleben, dass Musizieren immer auch mit Singen einhergeht, mit Einatmen und Ausatmen. Die Berliner Philharmoniker spielen etwas weniger schlank als die Kollegen vom Cleveland Orchester. In allen vier Aufnahmen verzichtet Szell auf die Wiederholung im 1. Trio des Scherzos.
Wenn sich Plattenfreunde über Schumann unterhalten, fällt auch immer der Name Leonard Bernstein, der zwei Gesamtaufnahmen der Sinfonien hinterlassen hat. Die 2. nahm der damals in Europa noch unbekannte junge Dirigent bereits 1953 mit den New Yorker Philharmonikern auf, die auf dem Hüllenetikett als New York Stadium Symphony Orchestra benannt wurden, ein Pseudonym, das auf ihre Freiluftkonzerte in den Sommermonaten in Upper Manhattan hinweist. Neben der 2.Sinfonie wurden noch Beethovens Eroica, Brahms‘ 4., Dvoraks 9. sowie Tschaikowskys Pathetique eingespielt. Die Interpretation der 2. Sinfonie reicht noch nicht an die spätere Aufnahme des NYPO heran, so wird in den schnelleren Sätzen auch lebendig und beherzt musiziert, die beiden letzten Sätze sind jedoch noch zu sachlich gehalten, im Adagio fehlt das Espressivo, im Finale noch die Leidenschaft, das Feuer. Alles das kann man in der 1960er-Aufnahme bewundern, dazu im 2. Satz eine furiose, überzeugende Coda sowie im Adagio ein ausdrucksvolles Singen der Instrumente. Die Aufnahme klingt saftig mit etwas Hall. Mit diesem Klang kann die Wiener live-Aufnahme nicht ganz mithalten, die Tontechniker der CBS und der DGG haben von je unterschiedliche Klangideale, auch wenn die Tonmeister und –techniker wechseln. Interpretatorisch wirkt diese Aufnahme nicht mehr so selbstverständlich sicher. Die Aufnahme wirkt ernster, viele Stellen, z. B. die Einleitung, wirken nicht mehr so intensiv gestaltet, geformt wie früher. Das Adagio, 1 Min. langsamer als 1960, wirkt jetzt etwas schleppend, vorsichtig. Im Finale jedoch wird den Holzbläsern mehr Aufmerksamkeit zuteil als früher. Hier spürt man auch etwas von der Anstrengung Schumanns bei der Komposition des Werkes.
Mit der Veröffentlichung der 2.Sinfonie im CD-Startprogramm der DGG Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde der Name Giuseppe Sinopoli weltbekannt, zurecht, legte er doch eine Interpretation vor, die weit oben platziert werden musste. Da beeindruckte sofort der Ernst und die Leidenschaft, das stellenweise Aufgewühlte seines Musizierens. Das Adagio brachte er mehr nervös als expressiv. Die Violinen im Finale ab T. 61 wurden nicht als Füllstimmen erkannt, sondern brachten Unruhe in diesen Abschnitt. Insofern bewegt sich diese Aufnahme nahe bei den Absichten des Komponisten. Zehn Jahre später erarbeitete Sinopoli mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, deren Chefdirigent er inzwischen geworden war, eine Gesamtaufnahme der vier Schumann-Sinfonien. Auch hier überzeugt die 2., die Einleitung klingt nun mehr gesungen als vergrübelt, der Hauptsatz nicht ganz so expressiv, dagegen wird das Scherzo im Allegroteil wie besessen dargeboten. Sinopoli gönnt sich nicht die Ruhe des langsamen Satzes, er weiß um die bedrohlichen Mächte der Nachbarsätze.
Thielemanns Interpretation der 2. Sinfonie kann man oberflächlich als geschmäcklerisch, verquer abtun, wenn man die Tempiwechsel, die dynamischen Modifikationen, die überraschenden, da ungewohnten Akzente hört. Sie passen nicht so recht in das Bild der Sinfonie, das die meisten Dirigenten entwerfen. Bei ihnen geht die Sinfonie triumphierend zu Ende, von Muti wird das C-Dur geradezu beschworen. Thielemann vertritt nach meinem Dafürhalten so ziemlich als einzigster eine gegenteilige Auffassung, die sich jedoch aus der Biografie Schumanns und des Werkes begründen lässt: nach einer Phase tiefster Depressionen überwindet Schumann diese Zeit nicht mit einer festlichen, daseinsfreudigen oder heroischen Komposition, man könnte meinen, er versucht das zunächst. Aber schon am Ende des 1. Satzes tritt nach Ansicht des Dirigenten Ermattung auf, nicht Zuversicht. Schon das 1. Trio des Scherzos wird etwas langsamer gespielt, das 2. Trio noch langsamer, man meint, die beiden Einschübe führten in eine andere Welt, davon soll jedoch der Zuhörer nichts erfahren. Der 3. Satz kennt nicht die dunklen Seiten des Lebens. Sehr ausdrucksvoll vermittelt der Dirigent die innige Musik, auch bei sehr langsamen Tempo bricht die Spannung nicht zusammen. Bewundernswert setzt er die Bässe leise aber bestimmt als Kontrapunkt den Holzbläsern gegenüber. Im 4. Satz gerät die anfangs festliche, Zuversicht ausstrahlende Musik schon ab T. 150 ins Stocken, das Tempo nimmt ab und die Musik bricht zusammen . Bei Thielemann soll der Hörer an dieser Stelle spüren, dass die Musik nicht den beabsichtigten Part zu Ende bringen kann. Der zweite Teil mit „Nimm sie hin denn...“ wird insgesamt langsamer, steigert sich jedoch wieder bis zum G-Dur Höhepunkt in T. 392. Im abschließenden 3. Teil schleppt sich die Musik regelrecht bis zum Ende. Die geschilderte Interpretation ist gewiss recht einseitig, wenn Thielemann dies so ausdrücken möchte, aber schlüssig nach all dem, was wir von Schumann wissen. Vor diesem Hintergrund kann man nur anerkennend von einer gelungenen Interpretation sprechen.
Von den CDs in historisch informierter Aufführungspraxis gefallen mir die Aufnahmen unter Gardiner und Goodman am besten. Beide Ensembles pflegen einen abgerundeten Klang und legen stimmige Interpretationen vor, wobei Gardiner sich um klar definierte rhythmische Ausführung kümmert. Insgesamt bevorzugt er etwas die Bläser. Geheimnisvoll lässt er das 2. Trio im Scherzo erklingen. Der Höhepunkt ist der 3. Satz, ein ausdrucksvolles Singen in romantischem Geist. Bei Goodman gefällt das lockere Musizieren, ohne zu viel Druck, das kommt vor allem dem Scherzo zugute. Bei Herreweghe spielen die Instrumente noch federnder, eleganter. Er lenkt sein Augenmerk auf Partiturdetails. Leider fallen in den vielen lauten Tutti-Abschnitten die Trompeten zu sehr heraus. Bei ihm schließt die Sinfonie in moderatem Tempo, gelassen, jedoch mit Nachdruck, jenseits der großen sinfonischen Geste. Harnoncourt lässt keinen Zweifel aufkommen, dass die 2. Sinfonie eine große Sinfonie ist. Das Klangbild der Aufnahme ist hell, offen, Harnoncourt lässt keine Möglichkeit aus, die Blechbläser sich in strahlendem Glanz zu präsentieren, leider sind sie dann etwas zu grob (4. Satz). Kein Wunder, wenn in dieser Aufnahme das Adagio espressivo weniger innig klingt. Im 2. Trio des Scherzos zergliedert der Dirigent die Melodien für mein Empfinden zu sehr, da fehlen mir die Bögen. Norrington gelingt eine beeindruckende Einleitung, leider ist sie im Blick zum folgenden Hauptteil zu großformatig geraten, der eher bedächtig gespielt wird, das passt nicht recht zusammen. Der 3. Satz ist mir zu schnell gespielt, romantisches Empfinden wird nicht zugelassen. Im 4. Satz stimmt nicht immer die Klangregie, wenn z.B. beim 2. Thema die Celli sich richtig gegen die anderen Instrumente durchsetzen können. Das Klangbild von Zinmans Zürcher Aufnahme ist hell und durchsichtig, das Orchester spielt lebendig und locker mit guter Artikulation. Mich beeindrucken immer wieder die genauen deutlichen Akzente. Der dritte Satz wird trotz eines Andante-Tempos sehr erfüllt dargeboten. Überraschend die geschmackvollen Verzierungen, die Zinman spielen lässt, kein anderer Dirigent hat dies bisher bei Schumann gewagt: im Adagio T. 8 und auch später in der Oboenstimme, T. 76 bei der Flöte, im Finale T. 334 und 342 bei den 1. Violinen.
Die Aufnahme mit Dausgaard klingt mir insgesamt zu uneben, trotz des klein besetzten Streicherkörpers steht es mit der Klangbalance nicht immer zum besten, so lassen sich Stimmverläufe nicht immer genau verfolgen. Laute Tutti-Akkorde klingen oft zu knallig, das Orchester scheint immer auf der Lauer zu liegen, was Unruhe ins Spiel bringt. Auch wenn der 3. Satz nicht zu schnell gespielt wird, klingt er doch zu steril, da das Spiel eher an der Oberfläche stattfindet und tiefere Schichten der Musik unberührt bleiben. Die Einspielung mit Florian Merz und der Klassischen Philharmonie Düsseldorf spielt mit reduziertem Streicherapparat, um die Bläserstimmen besser hervortreten zu lassen. Leider schüttet er das Kind mit dem Bade aus, wenn die Blechbläser oft sehr laut erklingen und somit die Holzbläser erdrücken. Als i-Tüpfelchen darf dann noch der Paukist wahre Orgien auf seinen Instrumenten mit beinharten Schlegeln veranstalten (z. B. am Ende des 2. Satzes)! Das scheint mir völlig indiskutabel. Noch anzumerken ist, dass Merz Schumanns Phrasierungsbögen sklavisch umsetzt, das führt dazu, dass die Musik an vielen Stellen sehr kurzatmig klingt (z. B. Einleitung, 3. Satz).
eingestellt am 17. 08. 10
letzte Ergänzung 30. 10. 15