Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Robert Schumann

 

4. Sinfonie d-Moll op. 120

 

1841 – Andante con moto, Allegro di molto – Romanza, Andante – Scherzo, Presto, Trio –

 Allegro vivace

1851 - Ziemlich langsam, lebhaft – Romanze, ziemlich langsam – Scherzo, lebhaft, Trio – Lebhaft

 

Schumann beendete die Kompositionsskizze seiner 2. (heute 4.) Sinfonie am 7. Juni 1841. Vor die endgültige Ausarbeitung und die Instrumentierung schoben sich allerdings andere wichtige Vorhaben: die Drucklegung seiner 1. Sinfonie sowie der Fantasie für Klavier und Orchester, die Frühform des Klavierkonzerts, sowie Arbeiten an seinem Oratorium Das Paradies und die Peri und rückten die intensive Beschäftigung mit der d-Moll-Sinfonie in den Hintergrund. Es mangelte an Konzentration und führte zur Unzufriedenheit bei der endgültigen Ausarbeitung. Die neue Sinfonie erreichte bei ihrer ersten Aufführung in Leipzig auch nur einen Achtungserfolg. Schumann kümmerte sich (vorerst) nicht weiter um das Werk und wandte sich anderen Arbeiten zu. Zehn Jahre später nahm er sich die liegengebliebene Sinfonie erneut vor und begann mit einer Umarbeitung, die vor allem die Instrumentation betraf.

 

In dieser Neufassung wurde die „neue“ Sinfonie im März 1853 in Düsseldorf uraufgeführt und erzielte auf dem kurz darauffolgenden Rheinischen Musikfest einen großen Erfolg. Zwischen den beiden Fassungen der d-Moll-Sinfonie hatte Schumann jedoch zwei weitere Sinfonien komponiert, eine in C-Dur und eine in Es-Dur, so ergabt es sich, dass bei der Drucklegung die d-Moll-Sinfonie die Nr. 4 zugewiesen bekam und mit der hohen Opus-Zahl 120 versehen wurde. Johannes Brahms drang darauf, auch die frühere Fassung zum Druck zu befördern und stellte sich damit gegen seine Freundin Clara Schumann, die nur die letzte Fassung ihres inzwischen verstorbenen Mannes als gültig ansehen wollte. Er setzte sich über die Bedenken Claras hinweg und veranlasste die Drucklegung der Frühfassung, die 1891 erfolgte, 50 Jahre nach ihrer Fertigstellung.

 

In der Musikwelt, d. h. auf dem Konzertpodium, fand sie kaum Beachtung und auch die erste Schallplatteneinspielung erfolgte Jahrzehnte später.

 

Im Vergleich von Erstfassung und Neufassung treten einige bemerkenswerte Unterschiede auf, z. B. eine insgesamt durchsichtigere Satzstruktur in der Erstfassung, zügigere Tempi, 1841 mit den herkömmlichen italienischen Tempobezeichnungen versehen, zehn Jahre später die von Schumann inzwischen auch in seinen anderen Kompositionen verwendeten deutschen Tempobezeichnungen. Die Erstfassung kennt auch keine Wiederholungen in den Ecksätzen, wie sie 1851 vorgesehen sind (Mahler hat sie dann wieder gestrichen). Mit ihren vielen Oktavverdopplungen kann die Neufassung etwas pathetisch und klobig klingen, wenn der Dirigent nicht gegensteuert. Zwei Passagen sprechen jedoch eindeutig für die Neufassung: Es ist zum einen der Übergang von der langsamen Einleitung zum Hauptteil des 1. Satzes, der jetzt durch ein allmähliches, feierlich klingendes Accelerando erreicht wird. Zum andern der überarbeitete Übergang zwischen dem 3. und 4. Satz, der mit gedämpften, unheilschwangeren Tremoli der Bratschen und Celli sowie den Liegetönen der Klarinetten, Fagotte und tiefen Hörnern beginnt und einem feierlichen Choral der Blechbläser den Untergrund bereitet. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Schumann hier am Beginn der Wolfsschlucht-Szene von Webers „Freischütz“ Anregungen geholt hat.

 

In formaler Hinsicht sind die 4 Sätze als solche erhalten geblieben, sollen aber ohne Pause gespielt werden, auch wenn der Komponist nach dem 1. und 2. Satz je eine Pause von einem Takt notiert hat. Das bringt die beiden Klarinettisten jedoch in Bedrängnis, da sie bisher die C-Klarinette spielen (sollten) und dann ohne Unterbrechung zur B-Klarinette greifen sollen (sollten). Das war damals ein Problem, da erst die Mundstücke ausgetauscht werden mussten, man konnte nur mit feuchten Blättchen spielen (übrigens auch heute noch). Heutzutage haben es die Spieler bequemer, wenn sie auch im ersten Satz die B-Klarinetten einsetzen. Dem Komponisten war dieses Problem zumindest bei der Neufassung bewusst, denn er schreibt jetzt für die drei ersten Sätze die B-Klarinette vor und wechselt im Finale zur A-Klarinette. Lässt man die fast 100 untersuchten Aufnahmen Revue passieren, so stellt man fest, dass sich die meisten Dirigenten kaum um Schumanns Wunsch, die Sätze pausenlos ineinander überzugehen lassen, kümmern. Dem Verzicht auf Pausen begegnet man fast überwiegend nur bei den Darstellungen der Frühfassung, bei Schmöhe, Gardiner, Roth, Rattle und Gardiner.

 

Im Blick auf die überkommende Sonatenhauptsatzform wagt der Komponist hier eigene Wege. Der 1. Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung, die gleichsam Melancholie und auch Unentschlossenheit verbreibet. Gleich der erste Akkord (A-Dur) klingt 1841 wie derselbe in Beethovens 7. Sinfonie. In der Neufassung verzichtet Schumann auf diesen Akzent und bringt jetzt lang angehaltene Töne auf a bei Flöten, Oboen, Hörnern, 1. Geigen, Celli und Hörnern. Übrigens verwendet der Komponist hier Dreivierteltakt und Sechsachteltakt parallel, die Takte sind jeweils von derselben Dauer, jedoch die Schwerpunkte sind verschoben. Im Hauptteil spielt Schumann mit dem überkommenen Formschema: er verwendet in der Exposition zunächst zwei Themen, führt aber nach der kurzen Durchführung in der Reprise ein drittes – gesangliches – Thema ein, das fast wie ein Abschied klingt (etliche Dirigenten lassen dieses deutlich langsamer spielen). Danach werden sowohl Durchführung als auch Reprise noch einmal wiederholt. Diese Abweichung findet sich auch im Finalsatz.

 

Der mit Romanze überschriebene langsame Satz ist dreiteilig angelegt, übriges auch mit Wechsel von Dreivierteltakt und Sechsachteltakt. Schumann zitiert nach einer nur 12 Takte währender Elegie (a-Moll) eine Passage (B) aus der Einleitung zum 1. Satz. Vergleichbares wiederholt sich im Finalsatz, in der die stürmische Bewegung vom 1. Satz (T. 265—276) der Musik jetzt einen Energieschub verleiht. Es folgt quasi ein Mini-Konzertstück für Solo-Violine mit Begleitung (C) vor allem der Streicher. Den Satz beschließt die Wiederholung der Elegie, jetzt allerdings um eine Quarte nach oben alteriert.

 

In den Aufnahmen der Dirigenten Schmöhe und Hengelbrock hört man vor dem 3. Satz eine kurze Fanfare. In meiner Partitur der 1841er Fassung fehlt sie jedoch. Der 3. Satz ist im klassischen Sinn ein Scherzo mit Trio, von Schumann jedoch vierteilig angelegt. In der Wiederholung des Trios nimmt Schumann die Lautstärke nach und nach zurück und drosselt auch das Tempo, es klingt so, als wenn sich die Musik verabschieden wolle, so jedenfalls hört man es bei Chailly, Bernstein-WP und Dausgaard. Ohne Pause schließt sich nun die bereits oben erwähnte Überleitung an, die wiederum in den schnellen Finalsatz mündet.

 

Im Booklet der 1941er-Aufnahme äußert sich Nikolaus Harnoncourt über die beiden Fassungen: „In der Zeit, in der Schumann die Symphonie komponiert hat, und er hat sehr schnell komponiert, hat er mit den Ideen gelebt, Ideen, die identisch waren mit seinem Lebensrhythmus, mit seiner damaligen Spontanität[...].“ Bei der späteren Bearbeitung waren „die Spontanität, die Idee nicht mehr da, das waren komponierte Motive, die für ihn bereits Vergangenheit waren.[…] Ich finde die zweite Fassung auch wunderbar. Aber sie ist grundsätzlich anders, eben weil Schumann an dasselbe Werk von außen herangeht. Er verändert sehr vieles, was er im ersten Entwurf bestimmt nicht anders haben wollte, weil er in dem ganzen Stück gelebt hat. […] Die erste Fassung ist die des Erfinders, aus dem Moment des Erfindens heraus.“ Harnoncourt wendet sich auch gegen die weitverbreitete Meinung, dass Schumann „schlecht“ komponiert habe. Er hält die Instrumentation für eine Originalinstrumentation: „Schumann ist ein geborener Orchesterkomponist, die perfekte Instrumentation fällt ihm zu.[…] Schumann hat das aus Instinkt und aus Talent, aus sich heraus perfekt gemacht.“

 

Nach der langen und intensiven Beschäftigung mit beiden Fassungen sowie den genannten Statements von Harnoncourt gelange ich immer mehr zu der Einsicht, dass die Überarbeitung der ursprünglichen Niederschrift unnötig war und letztlich keine Verbesserung darstellt, wenn man von den bereits oben erwähnten Änderungen bei den Übergängen im 1. Satz und zum Finale absieht. Das heißt jedoch nicht, dass einige Aufnahmen der Zweitfassung mir nach wie vor lieb und teuer sind.

 

Gustav Mahler kannte vermutlich nur die Zweitfassung, er dirigierte sie zum ersten Mal 1900. Nach eigenen Angaben liebte er Schumanns Sinfonie und versuchte durch minimale Eingriffe dem Werk eine größere Wirkung zu verleihen, z. B., dass er die Verdopplungen bei Themen oder Melodien entfernte, also nur Streicher oder nur Holzbläser und nicht beide gemeinsam spielen ließ. Damit erhielt die Musik eine größere Transparenz. Ein weiterer Eingriff betrifft die Dynamik in Form von laut und leise, aber auch in der Dosierung von lauter- und leiser-werden. Die Wiederholungen im Kopfsatz und Finale werden gestrichen. Ich finde, dass Mahlers Änderungen dem “normalen“ Hörer kaum auffallen.

 

Zu den Wiederholungen: Die Wiederholungen im 2. Satz werden immer beachtet, im 3. fast immer. Auf die Wiederholung im Kopfsatz der Zweitfassung verzichten Pfitzner, Walter, Knappertsbusch, Szell, Münch, Krips, Rother, Cluytens, Celibidache und Cantelli. Die Wiederholung im Finale unterbleibt bei älteren Interpreten fast immer, aber auch bei „relativ“ jüngeren wie Solti, Kubelik, Sawallisch, Roshdestvensky und Tennstedt.

 

Aufnahmen der 2. Fassung 1851

 

5

Josef Krips

London Symphony Orchestra

Decca

1952

27‘00

 

 

E bestens disponiert, alles klar und deutlich, einerseits kraftvoll – andererseits zart, Verzicht auf Schwermut und Tragik (in allen Sätzen), nichts wird in die Musik hineingeheimnist – guter Monoklang

 

5

Günter Wand

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

RCA

1990

28‘23

 

 

live, Wand leuchtet in die Partitur, gute dynamische Gestaltung, Stimmführungen offengelegt

 

5

Wilhelm Furtwängler

Berliner Philharmoniker

DGG

1953

30‘44

 

 

 

5

Fritz Busch

Sinfonie-Orchester des NWDR Hamburg

NDR               Download

1951

27‘13

 

 

I HT überwiegend stürmisch bewegt, große Spannungsbögen, II C auch das Holz kommt zu Wort, III im Scherzo spontan wirkende Musizierfreude, Trio dagegen als Ruhepol, kontrastreiche Umsetzung; Retusche zwei Takte vor dem Übergang: anstelle der vier Akkorde steigende schnelle Tonleiter in Anlehnung der Erstfassung

 

 5

George Szell

Cleveland Orchestra

Epic       CBS        Sony

1960

25‘13

 

 

 

5

Nikolaus Harnoncourt

Berliner Philharmoniker

Teldec

1995

30‘07

 

 

live, I bewegte E, HT mit Nachdruck musiziert, immer deutlich und klar, etwas angerauter Klang, III straffes Scherzo, dem Trio gut gegenübergestellt, IV abwechslungsreich, keine Längen – sehr gute Balance und Transparenz

 

5

Wolfgang Sawallisch

Staatskapelle Dresden

EMI        Eterna

1972

27‘32

 

 

I hellwaches Musizieren, immer klare Artikulation, prägnante Rhythmik, Musizierlaune, II nuanciertes Spiel, gelöstes Musizieren. III Scherzo und Trio gut voneinander abgesetzt, IV kraftvoll – insgesamt geringe Temposchwankungen

 

5

Guido Cantelli

Philharmonia Orchestra London

ica classics

1954

23‘40

 

 

live,

 

5

Guido Cantelli

Philharmonia Orchestra London

EMI

1953

25‘26

 

 

 

5

Giuseppe Sinopoli

Sächsische Staatskapelle Dresden

DGG

1993

30‘09

 

 

I ernsthafte Interpretationshaltung, konzentriert, Nähe zu Schumanns Partitur spürbar, II lebendig, während am Ende von B alle Interpreten in den Takten 24-26 die Bratschen hervortreten lassen, bevorzugt Sinopoli die Celli und Fagotte, in den T. 50-52 schließt er sich jedoch seiner Zunft an, III im Scherzo dürfen immer wieder die Holzbläser hervortreten, guter Gegensatz von Scherzo und Trio

 

5

Paavo Järvi

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

RCA

2011

29‘21

 

 

kraftvoll nach vorn musiziert, immer lebendig, immer aufmerksam und differenziert, hell und klar, Blick auf Details, z. B. bringen die F-Hörner T. 95 ein deutliches sf auf b, T. 100 auf es, das bleibt bei anderen Aufnahmen unbeachtet, sehr gute Balance und Transparenz, III verspieltes Trio

 

5

Heinz Holliger

WDR Sinfonieorchester Köln

audite

2013

28‘48

 

 

I mit spürbarer Hingabe, entschieden voran, akzentreiches Musizieren, Schumanns Dynamik umgesetzt, II ausgewogen, III Scherzo bestimmt, aber locker, Trio wie selbstverständlich, IV rhythmisch akzentuiert, locker – sehr gute Balance und Transparenz, ein Plädoyer für die 2. Fassung

 

5

Thomas Dausgaard

Schwedisches Kammerorchester

BIS

2007

26‘12

 

 

I E gestaffelte Dynamik, geschmeidiges Musizieren, die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik herausgearbeitet, detailreich, trotz schnellen Tempos, II sehr bewegt, A: Ob. führt, III sehr lebhaft, Trio etwas langsamer – sehr gute Balance und Transparenz, in sich stimmige Interpretation

 

5

Philippe Herreweghe

Orchestre des Champs Elysées

HMF

 1996

30‘34

 

 

I gelassen, mit festlichem Anstrich, II ausgeglichen, mit mehr Melos als üblich, ruhender Pol in der Sinfonie, III langsameres Trio, gelungener Übergang zum Finale, IV trotz schnellen Tempos verbreitet der Dirigent keine Unruhe

 

 

 

 

4-5

Otto Klemperer

Philharmonia Orchestra London

EMI

1961

28‘09

 

 

 

4-5

Christoph von Dohnanyi

Cleveland Orchestra

Decca

1988

27‘00

 

 

ziemlich klares Musizieren, belebte Tempi, spannungsvoller Übergang zum Finale, IV spontan wirkende Musizierfreude

 

4-5

David Zinman

Baltimore Symphony Orchestra

Telarc

1989

30‘20

 

 

 

4-5

Adrian Boult

London Philharmonic Orchestra

Pye      EMI

1956

28‘25

 

 

I im HT zupackend, teilweise romantische Unruhe, II ziemlich langsam, zu Beginn Ob. lauter als Solo-Vc., auch in A‘, III gut ausformuliert, IV prägnantes Musizieren

 

4-5

Charles Münch

Orchestre National Paris

Disque Montaigne

1966

27‘04

 

 

live, gewichtiges Musizieren in romantischem Geist, Dramatik, 2. Th. etwas langsamer, II ziemlich langsam, III Trio könnte etwas leiser sein, feierlicher Übergang zum Finale, IV stürmisch – guter Rundfunk-Klang

 

4-5

Pierre Monteux

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1961

27‘03

 

 

live, geradlinig, bewegt, Musik mehr von der freundlichen Seite, die Sonne lässt sich viel mehr blicken als in anderen Interpretationen

 

4-5

Paul Paray

Detroit Symphony Orchestra

Mercury

1957

24‘53

 

 

I E nicht zu langsam, dramatisch, teilweise schroff, zackig, jugendlicher Schumann, II Ob. und Vc. in A und A‘ genau austariert, ab T. 12 schneller, III Scherzo etwas zackig, Trio zu Beginn mf statt p, IV fast presto, vitale Interpretation

 

4-5

Eugen Jochum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips     Decca

1960

27‘27

 

 

I E tragische Grundstimmung, Musik penibel nachgezeichnet, mit Nachdruck, dynamische Unterschiede zwischen p und f könnten etwas deutlicher ausfallen, II Schumann wünschte sich den Beginn leiser, IV etwas sachlich – klares Klangbild mit sehr guter Balance und Transparenz

 

4-5

Paul Kletzki

Israel Philharmonic Orchestra

EMI      Doremi

1956

28‘41

 

 

I Pk. In der E zu leise, etwas topfiger Klang (Doremi), herabgesetzte Transparenz, mäßiges Tempo, 2. Th. etwas verlangsamt, II ruhig, III spannungsvoller Übergang zum Finale, IV lebhaftes Tempo, klare Stimmführungen

 

4-5

Hermann Abendroth

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig

Eterna     Berlin Classics

1956

28‘21

 

 

live, I lebendiges und spannungsvolles Musizieren, mächtige Crescendi, bei lauten Abschnitten spitz klingende Geigen, Orchester insgesamt etwas holzschnittartig, II sehr ernst, Sechzehntel-Triolen der Solo-Violine etwas verwaschen, Abendroth arbeitet die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut heraus, III pathetischer Übergang zum Finale, IV zackig gespieltes 1. Th., beim 3. Th. langsamer, zum Schluss Stretta

 

4-5

Otto Ackermann

Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks

Guilde internationale du Musique         forgotten records

~ 1959

31‘25

 

 

I offener Klang in der E, die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen, II gelöstes Musizieren, III Trio langsamer, etwas verträumt, IV ähnlich Satz 1

 

4-5

André Cluytens

Orchestre National de la Radiodiffusion Française

Columbia      forgotten records

1950

24‘38

 

 

I HT schneller als üblich, frisches Tempo, ausdrucksstark, II Cluytens atmet mit der Musik, III Scherzo entschieden voran, IV zügig – Empathie für Schumanns Musik spürbar; kompakter Klang, etwas stumpf

 

4-5

Marek Janowski

Royal Liverpool Philharmonic Orchestra

ASV

P 1986

29‘51

 

 

I E etwas unruhig, HT zielstrebig voran, vor 3. Th. rit., II sehr nahe an der Partitur, III gelungene Gegenüberstellung von Scherzo und Trio, IV ausdrucksstark

 

4-5

James Levine

Berliner Philharmoniker

DGG

1990

29‘44

 

 

 

4-5

Herbert von Karajan

Staatskapelle Dresden

DGG

1972

29‘16

 

 

live,

 

4-5

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

Electrola      EMI

1957

28‘22

 

 

 

4-5

Dean Dixon

Orchester der Wiener Staatsoper

Westminster    forgotten records

1954

29‘36

 

 

I sehr lebhafter HT, aufgewühltes Musizieren, II eher bewegtes Tempo, so ist der Satz nur ein Intermezzo, III Akkorde wie gepeitscht, Trio anfangs kein p, deutlich langsamer, IV sehr lebhaft

 

4-5

Bernard Haitink

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1984

29‘44

 

 

in allen schnellen Sätzen straffes Musizieren, II Solo-Vl. in C leider zu sehr zurück, IV einige geringe Temposchwankungen, gute Balance und Transparenz

 

4-5

Erich Leinsdorf

Boston Symphony Orchestra

RCA

1963

31‘25

 

 

I E ziemlich langsam, im HT entschieden voran, deutliches Musizieren, mit Nachdruck, II Ob. dominiert in A, A‘ wenig Spannung, III gewichtiges Scherzo, verträumtes Trio (langsamer), IV im Stil von Satz 1, mäßiges Tempo, Pathos – gute Balance und Transparenz

 

4-5

Hans Rosbaud

SWF Sinfonie-Orchester Baden-Baden

SWR Classic

1961

27‘40

 

 

I E Rosbaud entdeckt in den T. 22-23 die Crescendo-Kraft der Wechselnoten a-gis in den Bässen, II bewegt, Abschnitt C wünschte man sich etwas leiser, Scherzo und Trio im selben Tempo, im Übergang kaum p, IV markant akzentuiert, klare Artikulation – transparenter Klang

 

4-5

Rafael Kubelik

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

CBS   Sony

1978

29‘04

 

 

 

4-5

Rafael Kubelik

Berliner Philharmoniker

DGG

1963

29‘44

 

 

 

4-5

Georg Solti

Wiener Philharmoniker

Decca

1967

29‘23

 

 

I lebhaft, aber nicht eilend, die f / ff-Akkorde kommen etwas schwer und wuchtig, II C etwas lustlos, III natürlich musikalischer Fluss, großformatiger Übergang zum Finale, IV zupackend

 

4-5

Guido Cantelli

NBC Symphony Orchestra

As-Discs      Archipel

1952

24‘01

 

 

live,

 

4-5

Riccardo Muti

Wiener Philharmoniker

Philips

1993

32‘14

 

 

I sehr langsame E, gewichtiges und sorgfältiges Musizieren, im Gegensatz zu Cantelli hat Muti mehr Abschnitte als das Ganze im Blick, II ziemlich langsam, Pizz. der Kb. in C zu leise, insgesamt jedoch stimmungsvoll, III gewichtiges Scherzo, poetischer Satzschluss, IV hier etwas lockerer

 

4-5

David Zinman

Tonhalle Orchester Zürich

Arte Nova

2003

26‘55

 

 

 

4-5

Neville Marriner

Academy of St. Martin-in-the-Fields

hänssler           Brilliant

1998

29‘15

 

 

sauberes Musizieren in bewährter Marriner-Manier, gute Tempi, lebendig, sehr gute Balance und Transparenz – II Abschnitte B und C etwas schneller, III Trio wünschte man sich etwas leiser

 

4-5

Gianandrea Noseda

BBC Symphony Orchestra

BBC music

2007

30‘01

 

 

live, Noseda stellt sich hinter die Partitur, in den schnellen Sätzen kraftvoller Musizierstil, markant akzentuiert, II B leiser, C Vl.-Solo nicht das Wichtigste, III Trio langsamer, guter dynamischer Ablauf im Übergang zum Finale

 

4-5

Sakari Oramo

Royal Stockholm Symphony Orchestra

Sony

2009

28‘45

 

 

I zielstrebig nach vorn, klangliche Wucht in den f / ff-Abschnitten, II A mit viel Espressivo, jedoch kein richtiges p, C ausdrucksstark, III Trio zu laut, IV 1. Th. scharf geschnitten, zugespitztes Musizieren mit viel Schwung

 

4-5

Michael Schǿnwandt

Sinfonie-Orchester des Dänischen Rundfunks

Chandos

1998

31‘22

 

 

I gewichtiges Musizieren, markant akzentuiert (in allen schnellen Sätzen), Pathos nicht verschmähend, II B leiser, C Pizz. der Kb. etwas fest und ohne Duft, III Trio langsamer, in der Überleitung Höhepunkt zwei Takte zu früh gesetzt, IV beim 3. Thema Tempo zurückgenommen, insgesamt festlich – gute Balance und Transparenz

 

 

 

 

4

Stanislaw Skrowaczewski

Deutsche Radio-Philharmonie Saarbrücken

Oehms

2007

33‘10

 

 

I gewichtiges, aber auch ebenso differenziertes Musizieren, markant akzentuiert, aber auch etwas gezogen, II mäßiges Tempo, B leider klanglich zurückgenommen, III wuchtiges Scherzo, deutlich langsameres Trio mit Feinsinn,

 

4

Eliahu Inbal

New Philharmonia Orchestra London

Philips

1970

32‘17

 

 

sorgfältige Darstellung, ausgewogen, leider mäßige Tempi, gute Balance und Transparenz

 

4

Christian Thielemann

Sächsische Staatskapelle Dresden

Sony

2018

31‘45

 

 

live,

 

4

Armin Jordan

Orchestre de la Suisse Romande

Erato

1990

31‘06

 

 

Jordan tritt hinter die Partitur zurück - I Kontrapunkt der Va., Vc. und Fg. T. 10-13 freigelegt, kräftiges Musizieren, an einigen ff-Stellen auch wie aufgeblasen (auch in IV), ausgewogen, in Verlaufsform, III Scherzo stampfend, IV sehr bewegt – großzügige dynamische Differenzierung im p-Bereich, gute Balance und Transparenz

 

4

Leonard Bernstein

Wiener Philharmoniker

DGG

1984

32‘20

 

 

 

4

Leonard Bernstein

New York Philharmonic Orchestra

CBS      Sony

1960

30‘07

 

 

 

4

Karl Böhm

London Symphony Orchestra

Andante

1975

31‘12

 

 

live, I sorgfältige Darstellung, der es etwas an Schwung gebricht, II A sehr langsam, C etwas spröde, III weihevolles Trio, IV auch hier ohne Schwung, klingt etwas pedantisch – gute Balance und Transparenz

 

4

Wilhelm Furtwängler

Luzerner Festspielorchester

SWF     audite

1953

30‘34

 

 

live,

 

4

Otto Klemperer

BBC Symphony Orchestra

ica classics

1955

27‘00

 

 

 

4

George Szell

Cleveland Orchestra

Columbia    Sony     Unites Artists

1947

24‘15

 

 

 

4

Hans Vonk

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

EMI

1992

30‘18

 

 

I E Crescendo setzt zu früh ein, deshalb ab T. 18 bereits ff statt f, HT orchestrale Vehemenz, große Sinfonie, II bewegt, B noch etwas schneller, III kräftiges Scherzo, IV schroffes Musizieren, etwas hemdsärmelig – offenes transparentes Klangbild, dynamische Differenzierung könnte deutlicher ausfallen, mit mehr p

 

4

Franz Konwitschny

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna     Berlin Classics

1961

30‘04

 

 

I darstellerische Konzentration, mit Verve, jedoch etwas fest, in Tutti-Stellen dichter Klang mit herabgesetzter Transparenz, II A Ob. und Vc. gutaufeinander abgestimmt, B und C schneller, III feste Tutti, klingen auftrumpfend, dem Übergang zum Finale fehlt es an Klarheit, IV überwiegend (zu) wuchtig – gute Balance

 

4

Artur Rother

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin

Urania

1947

25‘44

 

 

I Rother atmet mit der Musik, überwiegend kraftvoll, aber auch viel Espressivo, II A fast feierlich zelebriert, III Trio deutlich langsamer und gezogen, IV die unterschiedlichen Aggregatzustände der Musik gut getroffen – etwas verhangenes Klangbild

 

4

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1971

29‘51

 

 

 

4

Herbert von Karajan

Wiener Philharmoniker

DGG

1987

30‘27

 

 

live,

 

4

Gennadi Roshdestvensky

Staatliches Sinfonieorchester von Estland

Melodya      Olympia

1978

27‘54

 

 

I scharf klingende Geige in hoher Lage, etwas holzschnittartiges Musizieren, II A Cello vor der Oboe, Abschnitte B und C schneller, III spontanes Musiziergefühl, IV Musik in Verlaufsform, etwas lustlos

 

4

James Levine

Philadelphia Orchestra

RCA

1978

29‘20

 

 

 

4

Bruno Walter

NBC Symphony Orchestra

Iron Needle     Guild     IDIS

1940

24‘14

 

 

live, Klang von Toscaninis Orchester nicht optimal eingefangen, Laufgeräusche der Acetat-Platten, bei Tutti-Stellen teilweise enges Klangbild, auf der musikalischen Seite sieht es jedoch besser aus

 

4

Christoph Eschenbach

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

RCA

1998

30‘21

 

 

 

4

Hans Knappertsbusch

Staatskapelle Dresden

Hunt

1956

26‘33

 

 

live, I entschieden voran, bei lauten Stellen etwas robust, gemäßigtes Tempo, herabgesetzte Transparenz, II einige Rubati, III Scherzo und Trio deutlich voneinander getrennt, IV große Bögen, längere f / ff -Abschnitte etwas wuchtig

 

4

Klaus Tennstedt

Berliner Philharmoniker

EMI

1980

29‘30

 

 

I vorwärtsdrängend, großformatig, festlich, punktierter Rhythmus manchmal etwas großzügig formuliert, II Ob. dominiert in A, III im Scherzo lässt der Dirigent die Zügel locker, IV ab 3. Th. langsamer – mehr Tennstedt als Schumann

 

4

Yannik Nézet-Séguin

Chamber Orchestra of Europe

DGG

2012

28‘19

 

 

sauberes Musizieren, zügige Tempi, etwas betriebsam und glatt, II etwas distanziert, III Trio deutlich langsamer – eine Affinität zu Schumanns Partitur kommt bei mir nicht herüber

 

4

Fabio Luisi

Wiener Symphoniker

Orfeo

2007

29‘48

 

 

I E an der Partitur entlang dirigiert, HT anfangs stürmisch voran, mit Elan, danach langsamer, an lauten Tutti-Stellen etwas grob (auch in Satz 3 und 4), II routiniert, III Scherzo mit viel Druck, Trio dagegen viel langsamer, IV sehr bewegt

 

 

   

 

3-4

Sergiu Comissiona

Houston Symphony Orchestra

Pro Arte

1988

29‘46

 

 

Schumanns 4. Sinfonie in Verlaufsform, zu gleichmäßig gespielt, ohne Höhepunkte, wenig entdeckt, gelassen, Comissiona sieht mehr kurze Abschnitte als das Ganze, II Vc. vor der Ob.

 

3-4

Hans Pfitzner

Orchester des Deutschlandsenders

Radio-Mitschnitt

~ 1942

21‘54

 

 

I vorwärtsdrängend, aber immer wieder leichte Rubati, vor dem 3. Th. deutliches rit., II Solo-Vl. wenig deutlich, III wildes Scherzo – insgesamt Musizieren in spätromantischem Stil, Klang von hoher Dichte, Einzelheiten verschwimmen oder verschwinden, aus heutiger Sicht zu subjektiv  

 

3-4

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

EMI

1986

31‘04

 

 

live, I spannungsvolle E, zähes Tempo im HT, in Tutti-Abschnitten etwas aufgeplusteter Klang, erinnert an Spätromantik, Wiederholungen werden zu Durststrecken, II gebremstes Tempo, III Trio fast zum Einschlafen, IV Musik zieht sich dahin, obwohl objektiv nicht viel langsamer als in anderen Interpretationen

 

3-4

Otmar Suitner

Staatskapelle Berlin

Eterna     Denon

1987

30‘56

 

 

Suitner stellt sich hinter das Werk und hinterlässt keine eigene Handschrift, setzt kaum Schwerpunkte, insgesamt gediegen, I rit. in T. 4 auf die 3. Zählzeit, IV etwas lustlos – Klangbild etwas entfernt

 

3-4

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna        RCA

1973

29‘43

 

 

I schwungvoll, straff an der Partitur entlang musiziert, II Musik klingt hier wie nur durchgezogen, Solo-Vl. in C läuft nur mit, III Übergang zum Finale ohne Geheimnisse

 

3-4

Christoph Eschenbach

Bamberger Symphoniker

Virgin

1991

31‘44

 

 

 

3-4

Christian Thielemann

Philharmonia Orchestra London

DGG

2001

33‘37

 

 

 

3-4

Daniel Barenboim

Staatskapelle Berlin

Teldec

2003

33‘08

 

 

 

3-4

Daniel Barenboim

Chicago Symphony Orchestra

DGG

1975

28‘37

 

 

 

3-4

Simon Gaudenz

Odense Symphony Orchestra

CPO

2013

26‘46

 

 

I E kein einheitliches Tempo, T. 4-5 langsamer, HT sehr schnell, wie gehetzt, in T. 101-114 (auch später) Hörner mit dim. Versehen, II in B p statt mf, C zu schnell, III Gegensatz zwischen Scherzo und Trio in Tempo und Lautstärke gut gegenübergestellt, Sechzehntel der Vl. in der Überleitung kaum zu hören, IV Sinfonie im Endspurt – Gaudenz mit Schumann im Labor

 

3-4

Markus Stenz

Gürzenich Orchester Köln

GO live

2005/06

28‘02

 

 

live, das Klangbild leidet unter der permanenten Hervorhebung rhythmisch gezeichneter Motive der Blechbläser samt Pauken, das mag auch von der Aufnahmetechnik mitverantwortet sein, II lebendig, B und C wie nur abgespult, beim Übergang zum Finale wird der erste Einsatz der Blechbläser zu laut genommen, was ein organisches Crescendo verhindert, IV hektisch, kaum p – Orchesterleistung nicht immer ausgeglichen, der Mitschnitt hinterlässt keinen bleibenden Eindruck

 

 

   

 

3

Douglas Bostock

Tschechisches Philharmonisches Kammerorchester

NCA       Classico      TIM

P 2002

28‘06

 

 

Schumanns Musik klingt wie durchgezogen, geschäftig, unruhig, dynamische Differenzierung ist ziemlich pauschal, eine Empathie für das Werk ist nicht zu spüren

 

 

Zweitfassung mit Überarbeitungen von Gustav Mahler

 

 

5

Ricardo Chailly

Gewandhausorchester Leipzig

Decca

2006

25‘21

 

 

einfühlsame Umsetzung der Partitur, III poetisches Trio

 

 

 

 

4

Aldo Ceccato

Bergen Philharmonic Orchestra

BIS

1987/88

27‘55

 

 

Ceccato lässt an der Partitur entlang musizieren, ohne dass man als Hörer feststellt, er setze sich mit Nachdruck für Mahlers Lesart ein, IV Tempo bricht hin und wieder ein

 

 

Interpretationen nach historisch-informierter Aufführungspraxis sowie (teilweise) Original-Instrumenten (Fassung 1851)

 

 

5

Robin Ticciati

Scottish Chamber Orchestra

Linn

2013

29‘17

 

 

I sorgfältiges Musizieren trotz straffen Tempos, sehr guter Umgang mit der Dynamik, II in einem Tempo gespielt, nuanciertes Vorgehen, III Trio langsamer, mit viel Melancholie, IV knüpft an Satz 1 an

 

 

 

 

4-5

Roger Norrington

London Classical Players

EMI

1989

26‘53

 

 

I lebendige Darstellung; kerniger Klang in den Tutti-Abschnitten, in der das Blech hervortritt; II bewegt, C noch etwas schneller, III Trio kaum langsamer, eher locker, IV in Abweichung von der Partitur bringt der Dirigent die beiden Achtel in der (immer wiederkehrenden) Spielfigur in T. 2 gebunden, in der Durchführung jedoch nicht mehr – sehr gute Balance und Transparenz

 

 

 

 

4

John Eliot Gardiner

Orchestre Révolutionnaire et Romantique

DGA

1997

27‘42

 

 

I bewegtes Musizieren, Klang nicht so analytisch klar wie bei Norrington, II bewegt, Abschnitte B und C etwas schneller, III Trio etwas langsamer, IV sehr lebhaft, ruhelos, klingt wie durchgezogen

 

 

 

 

3

Forian Merz

Klassische Philharmonie Düsseldorf

ebs

P 1993

29‘30

 

 

Bevorzugung des Blechs und vor allem der Pauke, wirkt hier steif, I E in Einzelabschnitten, II Abschnitt B: Übertreibung von portato und legato in T. 20-27, C: Partien mit Solo-Vl. wie desinteressiert, III Tutti-Akkorde im Scherzo klingen wie „hau drauf“, in der Überleitung Paukenorgien T. 7-12, IV etwas harmlos, wenn keine Pauke zum Einsatz kommt – Merz‘ Interpretation hört sich so an, als müsse er dem Hörer (durch Übertreibungen) etwas beweisen

 

 

 

 

 

 

 

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Aufnahmen der 1. Fassung 1841

 

5

Thomas Hengelbrock

NDR Sinfonie-Orchester Hamburg

Sony

P 2011

24‘10

 

 

live, lebendig, teilweise auch mitreißend, vor dem Scherzo bisher nicht bekanntes Trompetensignal, Trio deutlich langsamer – ein Plädoyer für Schumanns Erstfassung!

 

5

Roy Goodman

The Hanover Band

RCA

1993

23‘04

 

 

lebendige Darstellung, fließendes Musizieren, Im Trio könnte das p etwas leiser ausfallen – sehr gute Balance und Transparenz

 

5

Georg Schmöhe

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

Schwann

1987

26‘40

 

 

inspiriertes und gelöstes Musizieren, überzeugendes Tempo, gute Balance und Transparenz, II A sehr langsam, B bewegter, C noch etwas schneller, III entschieden formuliertes Scherzo, Übergang mit Nachdruck, feierlich, im vorgesehenen Largo-Tempo

 

 

 

 

4-5

Nikolaus Harnoncourt

Chamber Orchestra of Europe

Teldec

1994

24‘02

 

 

Harnoncourt durchleuchtet die Partitur, in den lauten Tutti-Abschnitten im Klang hoher Blech-Anteil, ansonsten jedoch gute Balance, etwas sachlich, III Trio langsamer, IV einige kurze rit. – H. legt bei der Aufnahme das Autograph, das im Besitz von Brahms war, zugrunde, einige geringe Abweichungen zur Druckfassung

 

4-5

Heinz Holliger

WDR Sinfonieorchester Köln

audite

2012

23‘28

 

 

I Musik immer im Fluss, prägnantes Musizieren, Blick auf Details, II Klang mit viel Duft, Trio kaum langsamer, IV alles sehr korrekt

 

4-5

François Xavier Roth

Gürzenich-Orchester Köln

Myrios

2018

23‘44

 

 

I E sich vortastend, wie ratlos, HT prägnantes, rhythmisch akzentuiertes Musizieren (in allen schnellen Sätzen), mit Feingefühl, sehr gute Transparenz, helles Klangbild, jedoch etwas asketisch, Bass bleibt etwas blass, III gelungener Übergang zum Finale

 

4-5

Thomas Dausgaard

Schwedisches Kammerorchester

BIS

2006

23‘30

 

 

I Allegro di molto, wie verlangt; entschiedener Zugriff, etwas sachliches Musizieren, offenes Klangbild, sehr gute Balance und Transparenz, III Trio langsamer

 

4-5

Simon Rattle

Berliner Philharmoniker

BPh

2013

24‘49

 

 

live, I E etwas nüchtern, HT zielstrebig nach vorn, II natürlich musikantischer Fluss, C Solo-Vl. teilweise etwas zurück, III zupackendes Musizieren im Scherzo, Trio deutlich langsamer, inspiriert, das trifft auch auf die Überleitung zu, IV locker und elastisch

 

 

 

 

4

John Eliot Gardiner

Orchestre Révolutionnaire et Romantique

DGA

1997

23‘19

 

 

etwas unruhig, fast schon etwas gehetzt, dabei kommt das Formelhafte der Komposition mehr zum Vorschein als in anderen Interpretationen, III Trio langsamer, T. 225-232 kein pp, unruhiger Übergang zum Finale – Klang wenig offen

 

4

Kurt Masur

London Philharmonic Orchestra

Teldec

1990

24‘08

 

 

mehr Dramatik als 1981, mit breitem Pinsel, leider tritt das Holz gegenüber den Streichern zurück, abgerundeter Klang, etwas geglättet, nicht die von der Partitur gedachte Balance

 

 

 

 

3-4

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Berlin Classics

1981

24‘26

 

 

live, Masur setzt bei seiner Interpretation auf gewichtig, „bedeutend“, das Klangbild ist etwas kompakt und unterdrückt einige Details – Dirigent nähert sich hier dem Klangbild der späteren Fassung und verhilft nicht der Frühfassung zur Geltung, aus dem Rückblick musiziert

 

 

 

 

 

 

 

 

   

Hinweise zu Interpreten und Interpretationen

 

Otto Klemperer

 

Mit Klemperer als Dirigenten liegen mir zwei Studio- Aufzeichnungen vor, die früheste entstand 1955 mit dem BBC Symphony Orchestra im Londoner BBC-Studio, die spätere 1961 mit dem Philharmonia Orchestra für EMI, ebenfalls in London. Hier liegt im Kopfsatz ein gewichtiges Musizieren vor, mit harten Tuttischlägen, Klemperer achtet wie immer auf eine klare Umsetzung des Notentextes incl. einer guten Transparenz. Trotz des nicht gerade schnellen Tempos klingt die Musik im Hauptteil drängend. Beim zweiten Satz ist Klemperer einer der schnellen Dirigenten. Das Scherzo gleicht in der Diktion wie der Kopfsatz, das Trio kommt etwas langsamer. Mit Nachdruck wird das Finale musiziert.

 

Die ältere BBC-Aufnahme ähnelt der eben beschriebenen mit dem POL, der Kopfsatz ist jedoch ein wenig lebendiger, immer ist eine unterschwellige Unruhe spürbar. In der Romanze deckt die Oboe zu Beginn das Solo-Cello etwas zu. Das Trio könnte etwas leiser beginnen und das Finale endet mit einem furiosen Presto. Leider ist die klangliche Seite nicht so ausgewogen: Die Mikros waren vermutlich näher an den Instrumenten positioniert und vergrößern so den etwas rauen Klang der Aufnahme. Auch die Transparenz kann nicht ganz mit der der EMI-CD mithalten.

 

Wilhelm Furtwängler

 

Furtwänglers Aufnahmen entstanden im Abstand von drei Monaten im Jahre 1953. Die klassische Studioproduktion mit den Berliner Philharmonikern für die DGG wurde in der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche aufgezeichnet, eine der wenigen Studio-Aufnahmen Furtwänglers für dieses Label. Der Dirigent lässt mit viel Nachdruck und großem Ernst musizieren, eine tragische Sicht blickt immer durch, nicht nur im Kopfsatz, auch die anderen sind davon berührt. Furtwängler interpretiert die Sinfonie mit Blick auf Johannes Brahms. Im 2. Satz deckt die Oboe zu Beginn das Solo-Cello etwas zu. Das Trio wird viel langsamer musiziert. Im Übergang zum Finale investiert WF viel Pathos. Großformatig gelingt das Finale. Das Klangbild besitzt eine gute Transparenz.

 

Die zweite Aufnahme entstand im Luzerner Kunsthaus mit dem schweizerischen Festspielorchester und wurde zunächst nur über die französische Furtwängler-Gesellschaft vertrieben. Mittlerweile ist sie ganz offiziell beim Label audite zu besorgen. Die Aufnahme ist in Details nicht immer so klar wie die DGG-Produktion, das kann am weniger optimalen Klangbild liegen, das Orchester klingt oftmals rau, zuweilen auch scheppernd. Viel Espressivo gibt er 2. Satz frei, die lauten Tuttischläge im Scherzo klingen derb. Mehr Emotionen lässt Furtwängler im aufgewühlt klingenden Finalsatz zu. Auf meiner SWF-CD setzen beim Übergang zum Finale in T. 2 auf Zz zwei Blechbläser zu früh, jedoch sehr leise, ein. Beim Crescendo erreicht das Orchester zu früh den Höhepunkt.

 

George Szell

 

Szell hat sich immer wieder für die Schumann-Sinfonien eingesetzt, die zweite und vierte nahm er sogar zweimal auf. Bereits ein Jahr nach seiner Übernahme des Cleveland Orchesters als Chefdirigent ging er mit Schumanns 4. ins Aufnahmestudio. Hier spürt man bereits sein energisches Musizieren und die aufmerksame Umsetzung der Partitur. Die Aufnahme klingt jedoch etwas rau und bei lauten Tutti-Akkorden knallig. Der 2. Satz besitzt jedoch mehr Wärme. Im Finale beginnt er bereits 8 Takte vor schneller mit dem Accelerando. Die spätere Stereo-Aufnahme ist sowohl klanglich als auch durch punktgenaue Umsetzung der Partitur unter besonderer Beachtung des Rhythmus ein großer Sprung nach vorn. Über den bewegt gespielten 2. Satz weht ein Hauch von Melancholie. Trotz des Alters besitzt die Aufnahme eine sehr gute Balance und Transparenz.

 

Ähnlich wie Gustav Mahler, nimmt auch Szell einige Retuschen vor, die dazu dienen sollen, Schumanns Vorstellungen noch klarer herauszuarbeiten, ging aber nicht so weit wie Mahler. Im Booklet zu Sony-Masterworks-Heritage-Ausgabe P 1996 ist seine Einstellung zu Schumanns Sinfonien nachzulesen.

 

Herbert von Karajan

 

Schumann-Sinfonien standen eher selten auf Karajans Programmplänen, die 3. hat er vermutlich nie öffentlich aufgeführt. Durch den Zwang, alle „wichtigen“ Sinfonien mit Karajan für die DGG aufzunehmen, ließen sich die Schumann-Sinfonien nicht umgehen. Die erste Aufnahme jedoch wurde 1957 mit den Berliner Philharmonikern für Electrola erstellt, es war die 4. Sie wurde als Startprogramm des neuen Chefdirigenten des Orchesters in der Berliner Grunewald-Kirche zusammen mit Bruckners 8. und Hindemiths Mathis-Sinfonie aufgenommen. Vor allen späteren Aufnahmen gefällt sie mir mit seinen bewegten Tempi am besten. Die Einleitung zum ersten Satz hätte mehr piano verdient. In dieser Aufnahme zeichnet sich schon das Streicher-betonte Musizieren ab, das oft auf Kosten der Holzbläser geht. Mit Feingefühl nähert sich der Maestro der Romanze. Der Übergang vom Scherzo zum Finale ist bestens kalkuliert mit dem Höhepunkt auf T. 12. Auffallend das gelassene Tempo im Finale, auch in den späteren Aufnahmen. Der Monoklang ist vor allem im Kopfsatz noch kompakt. Die Nachfolge-Aufnahme 1971 für die DGG ist zwar in Stereo eingefangen, besitzt jedoch keinen optimalen Klang, etwas gedeckt und wenig offen. Auf der musikalischen Seite wird im Kopfsatz das 2. Thema langsamer genommen, die Einleitung hätte eine bessere Strukturierung verdient. Insgesamt lässt Karajan weniger schlank als früher musizieren und die Musik klingt hier etwas schwergewichtig. Im Scherzo hört man breit aufstampfende Akkorde, das klingt wie „hau drauf“, das Trio gefällt besser. In der Überleitung bleiben die geheimnisvollen Sechzehntel-Ketten der 1. Geigen zu leise. Das Finale wird nun noch langsamer gespielt, das 1. Thema kommt mir zu pompös daher.

 

Eine weitere Aufnahme wurde im Wien mit den dortigen Philharmonikern im Jahre 1987 mitgeschnitten, zur Zeit des Zerwürfnisses des Dirigenten mit den Berliner Philharmonikern. Der Mitschnitt gefällt besser, da er sich näher an Schumanns Partitur bewegt, jedoch klingt die Musik teilweise seltsam starr. Bei der Romanze fragt man sich, ob HvK noch die Musik in der Hand hat, oder sie nur geschieht. Dem Finale fehlt der Antriebswille, in den Takten 37-41 stockt der musikalische Fluss.

 

Eine Überraschung ist erneut ein Mitschnitt, jetzt von den Salzburger Festspielen mit der Staatskapelle Dresden, ein Jahr nach der Berliner Studio-Aufnahme entstanden. Hier zeigt Karajan mehr Sensibilität für op. 120 als in den drei anderen Aufnahmen, die Musik klingt gelöster. Leider blieb die CD nicht lange im DGG-Katalog.

 

Rafael Kubelik

 

Zwei Studio-Aufnahmen liegen mit Kubelik vor. Die erste wurde 1963 mit den Berliner Philharmonikern im Rahmen einer Gesamtaufnahme eingespielt. Hier wird ernsthaft musiziert, gewichtig und mit Nachdruck im Geist der Spätromantik. Der zweite Satz gerät ziemlich langsam und im dritten fallen die stampfenden Akkorde ins Ohr. Das ist ein Musizieren in Furtwängler-Nachfolge. 15 Jahre später erfolgte eine Neueinspielung in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk und seinem Symphonieorchester, dessen Chefdirigent Kubelik damals war. Er bietet hier keine neue Sicht auf die Partitur, lässt aber im Detail etwas lockerer und teilweise bewegter Musizieren. Der letzte Satz klingt lebendiger, obwohl er objektiv etwas langsamer musiziert wird. Das Klangbild ist nun mehr aufgefächert als in der früheren Aufnahme.

 

Leonard Bernstein

 

Auch bei Bernstein kann der Musikfreund auf zwei Aufnahmen der 4. Sinfonie zurückgreifen. Die erste entstand 1960 mit den New Yorker Philharmonikern, deren Chefposten er gerade eingenommen hatte. Im 1. Satz wird Schumanns Dynamik nicht immer umgesetzt, das hört man schon im ersten Akkord, insgesamt wird etwas zu laut musiziert. Großformatiges, in die Breite gehendes Musizieren herrscht im Hauptteil vor. Das setzt sich auch im 2. Satz fort, er beginnt sehr zart, entwickelt sich aber bald zu einer hohen Ausdrucksstärke. Auch im folgenden Satz wird immer gewichtig musiziert, auch im Trio, obwohl zurückgenommen. Im Übergang zum Finale wird der Höhepunkt zu früh erreicht, es ist kein organisches Anschwellen. Etwas vordergründig verläuft das Finale, mit etlichen deutlichen Rubati. Effektvolles Finale. Das spiegelte damals Bernsteins Musikauffassung wider. CBS hielt ein insgesamt helles und transparentes Klangbild fest.

 

 Fast ein Vierteljahrhundert später hörte das Wiener Publikum einen gewandelten Bernstein im Umgang mit Schumanns 4. Sinfonie. Die Tempi fallen nun etwas moderater aus, so bleibt Bernstein etwas mehr Zeit, sich intensiver mit der Partitur zu beschäftigen. Die Dynamik passt sich mehr Schumanns Erwartungen an. Im ersten Satz wird das Stürmische zurückgedrängt. In der Romanze wird in allen Abschnitten langsamer musiziert, geradezu feierlich. Leider ist die Balance in Abschnitt C etwas zuungunsten der Oboe verschoben. Das Scherzo gerät den Philharmonikern lockerer und über dem Trio breitet sich eine leichte Melancholie aus, wie bei einem Abschied. Der Übergang zum Finale gelingt nun stimmungsvoller, weil dynamisch besser. Fazit: NY mehr Bernstein, WP mehr Schumann.

 

Guido Cantelli

 

Cantelli hat sich in seinen letzten Lebensjahren wiederholt mit Schumanns 4. Sinfonie beschäftigt und erreicht dabei höchst beachtliche Deutungen. Er tritt als Dirigent hinter dem Werk zurück und lässt seine Orchester immer elastisch musizieren, bei etwas schnelleren Tempi als üblich, besonders im 2. Satz. Die Musik bleibt jedoch immer geschmeidig. Cantelli achtet immer wieder auch auf scheinbar übersehene Details, z. B. im 1. Satz den Kontrapunkt der Bratschen, Celli und Fagotte in den T. 10-14. Die Musik bleibt bei aller Dringlichkeit jeweils gelöst, ohne eine aufgesetzte romantische Attitüde. 3 Aufnahmen liegen mir vor, wobei ich von Jahr zu Jahr noch eine Steigerung in Bezug auf Balance und Passion der Darstellung feststelle. Der Mitschnitt vom Edinburgh Festival ist ein Glücksfall, als Hörer ist man überwältigt von der stimmigen Darstellung, die am Ende in mitreißendem Schwung schließt. Eine der besten Aufnahmen von Schumanns 4. Sinfonie.

  

David Zinman

 

Zinmans erste Aufnahme zeigt ein detailbewusstes Musizieren, gelöst, sehr klar und durchsichtig ist das Klangbild bei guter Transparenz. Bei dieser Aufnahme hat man den Eindruck: so könnte es sich Schumann vorgestellt haben. Die zweite Interpretation aus Zürich steht ebenfalls auf hohem Niveau, jetzt zeigt sich Schumanns Zinmans Hinwendung zur historischen Aufführungspraxis mit weniger Vibrato in den Streichern und einigen Verzierungen beim 3. Thema des ersten Satzes. Insgesamt klingt die Aufnahme etwas geglättet. Andererseits verstehe ich nicht, dass der Dirigent im Kopfsatz die Hörner versteckt (T. 101 ff.) und die kurzen Vorschläge der Blechblässer im Übergang zum Finale teilweise verschluckt. Das passt nicht zu Zinmans Präzisions-Verständnis. Überzeugend jedoch die dynamische Differenzierung beim 2. Thema des Finales T. 12 ff.

 

Christoph Eschenbach

 

Die beiden Gesamtaufnahmen mit Eschenbach liegen zeitlich nicht weit voneinander entfernt: 1991 wurde mit den Bamberger Symphonikern in Bamberg produziert, 7 Jahre später mit dem NDR-Sinfonie-Orchester in Hamburg. Im Falle der 4. Sinfonie hinterlässt die Bamberger-Produktion bei mir keinen bleibenden Eindruck. Der Kopfsatz ergeht sich in einem gemächlichen Tempo, bei geringerer Spannung und gestalterischer Blässe. In Teil C der Romanze verschwinden die Streicher fast hinter der Solo-Violine. Der etwas asketische Klang spricht auch nicht für eine Kaufempfehlung. Der einzige Lichtblick ist der gelungene Übergang vom 3. zum 4. Satz. Besser sieht es dagegen bei der 1998er Aufnahme für RCA aus. Außer im 3. Satz greift Eschenbach hier zu schnelleren Tempi, das führt auch zu einem Zugewinn an Drive, besonders im Finale. Auch hier glänzt der Dirigent mit einem sensibel formulierten Übergang von Satz 3 zu Satz 4. Der Klang der CD verfügt über mehr Saft und Farben.

 

Daniel Barenboim

 

Bei Barenboim liegt der Abstand zwischen seinen beiden Studio-Einspielungen bei 28 Jahren. Damals, 1975, hatte er noch wenig Dirigiererfahrung, entsprechend unbeholfen geht er hier bei der 4. Sinfonie vor. Die Einleitung hat wenig Struktur, im HT geht es zwar betriebsam zu, die Musik wird durchgespielt aber nicht geformt, alles ist gleich wichtig. Das führt zu einem interpretatorischen Leerlauf, sollen die wuchtigen Tutti-Akkorde dem entgegenwirken? Im 2. Satz bleibt der B-Abschnitt leiser als vorgesehen, am Ende setzt der Dirigent ein deutliches Ritardando. Im folgenden C-Abschnitt stehen die hervorgehobenen Pizzicati der Bässe nicht immer in Bezug zu den übrigen Streichern. Am Satzende beginnt das Ritenudo früher als vom Komponisten vorgesehen. Beim Übergang bringt Barenboim in Takt 2 auf der dritten Zählzeit leise einen nicht notierten Horneinsatz, übrigens auch später in Berlin. Die Interpretation des Finales erinnert an Satz 1. Der Klang ist ein Allerweltsklang, der mich kaum an Schumann erinnert. Im Nachhinein frage ich mich, warum die vielen Produktionen mit Barenboim? Mir ist keine einzige Aufnahme aus seiner Chicago-Zeit bekannt, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Bei der späteren Berliner CD geht der Dirigent im Kopfsatz mehr ins Detail und stellt die Themen in einen Zusammenhang. In der Romanze wird der A-Abschnitt langsamer musiziert, besitzt aber weniger Spannung, B ist leiser als vorgesehen, was den Kontrast herabmindert. Die Bässe in C sind jetzt integriert. Das Scherzo wird hier weniger schnell musiziert und das Trio noch langsamer, es ist zu sehr gezogen, die Musik steht fast still. Der Übergang wird auf „bedeutend“ aufgeplustert mit einem cresc. der Pauke. Im Finale schafft Barenboim ein entspanntes Musizieren, beim 3. Thema nimmt er das Tempo zurück. Klanglich gefällt mir die Aufnahme besser, sie ist offener und näher an Schumann.

 

James Levine

Levine hat Schumanns Sinfonien zweimal im Studio aufgenommen, mit dem Philadelphia Orchester für RCA und mit den Berliner Philharmonikern für die DGG. Im Falle der 4. Sinfonie bevorzuge ich die jüngere Aufnahme, in der sich der Dirigent sorgfältiger der Partitur nähert als zuvor. Im Kopfsatz werden die Abschnitte voneinander abgesetzt und nicht zusammengepresst. Dabei sind die Tempi etwas zurückhaltender als früher. Dem Scherzo verleiht Levine ein freundlicheres Gesicht und im Finale erlebt man ein verbindlicheres Musizieren als auf der RCA-CD. Die DGG-CD steht klanglich noch in der Nachfolge der Karajan-Ära, opulent, aber weniger detailreich.

 

Mit dem Philadelphia Orchester geht er etwas hemdsärmelig zu Wege: einerseits wird der Hörer Zeuge eines pulsierenden Musizierens, andererseits stört jedoch der aufgeblasene bullige Klang mit geringerer Trennschärfe, den gewiss auch die Tontechnik mit zu verantworten hat. Den Übergang zum Finale hätte man sich weniger pompös gewünscht. Dieses wird sehr schnell gespielt, die Akkorde kommen schneidend. Beim 3. Thema tritt Levine jedoch stark auf die Bremse, um danach wieder das Tempo zu beschleunigen. Das klingt zu plakativ. Bei den Berliner Philharmonikern rückt er wieder von dieser Haltung ab.

 

Christian Thielemann

In Thielemanns erster Aufnahme von Schumanns 4. Sinfonie spürt man noch das Suchen des Dirigenten nach Schumanns Absichten. Es wird meist gewichtig musiziert, die Musik wird mit Bedeutung aufgeladen, daraus resultieren dann auch langsame bis gezogene Tempi, z. B. im Kopfsatz beim 3. Thema oder im Trio des 3. Satzes. Im Finale stören zu viele Ritardandi. Der live-Mitschnitt aus der Tokyoter Santory Hall zeigt nun einen natürlicheren Zugang zur Partitur. Schumanns Musik kommt nun geschmeidiger, lockerer, weniger demonstrativ, aus den Lautsprechern. Als Hörer spürt man das längere Vertrautsein zwischen Orchester und Dirigenten, sowohl im musikalischen Fluss als auch im Klang, der hier natürlicher abgebildet ist als der etwas synthetische beim Philharmonia Orchestra.  Auch mit den Tempi kann man sich besser anfreunden.

 

eingestellt am 24.04.23

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