Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Schumann    home

Robert Schumann 

Klavierkonzert a-Moll op. 54

Allegro affettuoso-Intermezzo, Andantino grazioso-Allegro vivace

 

Schumann erfreut den Hörer in seinem Konzert nicht mit zahlreichen Themen und Melodien, sondern beschränkt sich auf Weniges, der Bläsersatz gleich nach der Klaviereinleitung ist noch mehr als nur ein Hauptthema, es beherrscht den ganzen Satz, wäre da nicht das kurze Seitenthema, könnte man von einer monothematischen Anlage sprechen. Schumanns kompositorischer Fantasie entspringen diverse Möglichkeiten im Umgang mit dem Hauptthema, wobei auch immer wieder das Orchester „mitreden“ darf, im Gegensatz zu so vielen zeitgenössischen Virtuosenkonzerten, in denen das Orchester nur als Diener des Solisten seinen Platz hatte, der in der Regel selbst am Flügel saß.

Der Kopfsatz ist im Großen und Ganzen ein von der Klassik geprägter Sonatensatz, während das Finale – eine Verbindung von Sonaten- und Rondoform – mit seinen brillanten Läufen und Akkordbrechungen mehr dem zeitgenössischen Geschmack entgegenkommt: „angenehm in die Ohren“ hatte schon Mozart seinem Vater geschrieben. Dazwischen steht ein dreiteiliges, vom Komponisten fein ausgearbeitetes Intermezzo. Sowohl das viertönige Thema des Intermezzos als auch das Hauptthema des 3. Satzes gehen auf das Hauptthema des Kopfsatzes zurück, insofern gelingt es Schumann ein verbindendes Band um die drei Sätze zu legen.

Schumann fordert von seinen Interpreten zu Beginn des 1. Satzes ein einheitliches Tempo, leider wird das oft nicht beachtet, da der Pianist in den ersten drei Takten zu schnell spielt, dann klingen die folgenden 8 Bläsertakte viel langsamer. Wenn er dann in seinem Solo ab T. 13 noch langsamer als die Bläser spielt, steht die Musik fast still. Danach beginnt der Dialog zwischen Solist und Streichern, die Holzbläser werden einige Takte später sozusagen als Ausrufezeichen dazugestellt, was von vielen Dirigenten „vergessen“ wird. In Schumanns Sinne hört man es z. B. bei Dohnanyi, Menges, Inbal, Krips, Kletzki, Kubelik, Dorati und Matacic. Nach dem ersten Orchester-Tutti führt der Pianist ab T. 47 mit einem mehrstimmigen staccato-Spiel das Seitenthema ein, in dem die linke Hand führt und die rechte um einen halben Takt nachfolgt, dabei die Melodie heraushebt. Überzeugend spielen das ABM, Moiseiwitsch, Richter, Monique Haas, François und Gulda. Unmittelbar anschließend bringt der Komponist noch einmal das Hauptthema, vom Klavier vorgetragen; jetzt, beim zweiten Mal, spielt dies Rubinstein leise, fast wehmütig, während andere Interpreten hier leicht auftrumpfen. Bei der Durchführung weicht Schumann von der überkommenen Form ab und gliedert sie in zwei Abschnitte: Zunächst erklingt in einem langsamen Andante-espressivo-Abschnitt ein wundervolles Zwiegespräch zwischen Flügel und Klarinette, später Flöte. Dazu setzen die Celli einen Kontrapunkt, wenn auch pp vorzutragen, sollte man sie nicht unterschlagen, auch Geigen und Bratschen treten taktweise hinzu. Im zweiten Abschnitt der Durchführung wird zunächst der Solo-Einstieg des Flügels vom Beginn des Satzes durchgeführt, das klingt wie eine Reprise, diese kommt jedoch erst in Takt 259.

Das dreiteilige Intermezzo beginnt mit einem Vier-Ton-Motiv (drei Sechzehntel, eine Achtel) abwechselnd von Klavier und Streichern jeweils zweimal. Im weiteren Verlauf treten diese zweieinhalb Takte mehrmals auf, Schumann verändert jedoch die Artikulation: Zu Beginn schreibt er Staccato-Punkte sowie zusätzlich Bindebögen darüber/darunter, d. h., dass die Noten kurz aber gleichzeitig auch gebunden zu spielen sind. In den Takten 16-19 fehlen diese Bögen, also ist hier ein reines Staccato angesagt. Das wiederholt sich in der Wiederholung des 1. Abschnittes ab T. 68. Beim Vergleich von hundert Aufnahmen muss man jedoch feststellen, dass sich bei Weitem nicht alle Interpreten an Schumanns Notentext halten. Eine gute Differenzierung bringen z. B. Moiseiwitsch, Backhaus, Nat, Solomon, Istomin, Hough, Perahia, Anda, Kempff, Pollini, Hewitt und Kissin.

 

5

Benno Moiseiwitsch

Otto Ackermann

Philharmonia Orchestra London

EMI         Testament

1953

30‘13

 

profiliertes Orchesterspiel, Sinn für Proportionen, gute Balance und Transparenz, jedoch etwas flacher Klang – sehr differenziertes Klavierspiel, deutliches Legato in Satz 1 T. 197-204, insgesamt con anima musiziert, Schumann-Glück! Aufnahme weist daraufhin, welch guter Begleiter Ackermann war

5

Geza Anda

Rafael Kubelik

Berliner Philharmoniker

DGG

1963

31‘52

 

5

Claudio Arrau

Karl Krüger

Detroit Symphony Orchestra

Columbia         MCPS

1944

29‘58

 

5

Wilhelm Kempff

Josef Krips

London Symphony Orchestra

Decca     DGG

1953

32‘10

 

5

Solomon

Herbert Menges

Philharmonia Orchestra London

EMI

1956

29‘41

 

sehr lebendige Darstellung, alles sehr deutlich, schlankes Musizieren, eher in der Klassik als der Romantik verhaftet, Solist und Dirigent halten sich beim Tempo, insbesondere bei Ritardandi, an Schumanns Vorgaben, das schärft die Physiognomie der Sätze, gute Präsenz und Transparenz

5

Lars Vogt

Simon Rattle

City of Birmingham Symphony Orchestra

EMI

1992

30‘14

 

I spannungsintensive Beredtheit, Atmen mit der Musik, II farbiges Spiel, subtil differenziert, MT dezentes Espressivo, III sehr locker, jenseits von Routine, mit Verve – sehr gute Partnerschaft, treffende Tempi

5

Leif Ove Andsnes

Mariss Jansons

Berliner Philharmoniker

EMI

2002

29‘45

 

aufmerksames Miteinander, sorgfältig, ausgeglichen, geschmeidig, rhythmische Komponente immer im Hinterkopf; Solist mit bemerkenswertem Anschlag, locker

5

Andras Schiff

Antal Dorati

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Decca

1983

31‘10

 

poetische Darstellung, differenziertes Klavierspiel, sehr gute Balance zwischen Klavier und Orchester, Schiff spielt sich nur dann nach vorn, wenn es die Partitur erfordert (3. Satz), folgerichtig nimmt er den Eingang und die entsprechenden Stellen T. 185-195 nicht ff sondern nur f

5

Maurizio Pollini

Claudio Abbado

Berliner Philharmoniker

DGG

1989

31‘00

 

live, ▼

5

Murray Perahia

Claudio Abbado

Berliner Philharmoniker

Sony

1994

30‘05

 

live, ▼

5

Jewgenij Kissin

Carlo Maria Giulini

Wiener Philharmoniker

Sony

1992

30‘22

 

live, ▼

5

Eugene Istomin

Bruno Walter

Columbia Symphony Orchestra

CBS     Sony

1960

30‘49

 

Orchester nicht nur Begleiter, sondern Mitgestalter, sehr gute Partnerschaft, überzeugende Tempowahl, keine übertriebenen Rubati – gute Transparenz, Orchester in Tutti-Passagen weniger geschliffen, Klang weniger farbig

5

Benedetto Lupo

Peter Maag

Radio-Orchester der italienischen Schweiz

Arts

1998

31‘56

 

Lupo und Maag haben das richtige Feeling für op. 54, Sinn für Proportionen, differenziertes Klavierspiel, I A. espressivo sehr stimmungsvoll, zart, II aufmerksames Miteinander – Orchester nicht in der A-Liga, jedoch beachtenswerte Leistung

 

 

 

4-5

Hans Richter-Haaser

Rudolf Moralt

Wiener Symphoniker

Philips

forgotten records

1958

29‘42

 

Solist und Dirigent stellen ein gemeinsam erarbeitetes stimmiges Konzept erfolgreich vor, I inspiriert, mit Hingabe, II nuancenreich, MT einfühlsam gestaltet, III straff und schwungvoll, fast atemlos

4-5

Christian Zacharias

Hans Vonk

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

EMI

1991

29‘14

 

live – I sehr lebendig, pulsierend, Grundtempo nicht aufgeweicht, II mit viel Klangsinn, III con spirito – erfreuliche Darstellung

4-5

Annie Fischer

Joseph Keilberth

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

ica classics

1958

31‘30

 

live, ▼

4-5

Annie Fischer

Hans Rosbaud

SWF Sinfonie-Orchester Baden Baden

SWR Classics

1959

31‘21

 

4-5

Claudio Arrau

Christoph von Dohnanyi

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Philips

1962

33‘48

 

4-5

Geza Anda

Ernest Bour

SWF Sinfonie-Orchester

hänssler

1963

30‘44

 

4-5

Walter Gieseking

Günter Wand

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

medici arts

1951

28‘50

 

live, ▼

4-5

Yves Nat

Eugène Bigot

Orchestre Symphonique Paris

EMI

1933

28‘41

 

I Nat als Begleiter immer deutlich (T.  35-39 und T. 290-294), belebte animato-Abschnitte T. 67 ff. und T. 320 ff., man hört im Andante-Teil mehr vom Orchester als in vielen späteren Aufnahmen, II wie selbstverständlich, III elegante Läufe und Akkordbrechungen – gute Zusammenarbeit zwischen Solist und Dirigent

4-5

Hélène Grimaud

David Zinman

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Erato

1994

30‘29

 

I fast schon ein sportlicher Zugriff, mit spürbarer Vitalität, jugendlich frisch, II im MT eher sachlich als gefühlsbetont, III zupackend, mit Hingabe – stabile Tempi, sehr gutes Miteinander

4-5

Hélène Grimaud

Esa Pekka Salonen

Sächsische Staatskapelle Dresden

DGG

2005

31‘04

 

I Aufnahme klingt etwas weniger brillant, dafür jedoch wärmer, Cellostimme im Andante der Durchführung dezent herausgestellt, II mit mehr emotionaler Beteiligung, III Pedalgeräusche

4-5

Murray Perahia

Colin Davis

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Sony

1987

30‘16

 

live, ▼

4-5

Wilhelm Backhaus

Günter Wand

Wiener Philharmoniker

Decca

1960

30‘37

 

I sparsamer Umgang mit Rubato, aufgelichteter Orchesterklang, Signalwirkung der Trp., II aufblühender Mittelteil, III Klavierbass etwas stumpf, Orchester an Tutti-Stellen kompakt – insgesamt eher klassisch als romantisch

4-5

Svjatoslav Richter

Janos Ferencsik

Ungarische National-Philharmonie

BMC

1954

28‘22

 

live, ▼

4-5

Svjatoslav Richter

Riccardo Muti

Wiener Philharmoniker

Orfeo

1972

29‘53

 

live, ▼

4-5

Arturo Benedetti Michelangeli

Dimitri Mitropoulos

New York Philharmonic Orchestra

aura

1948

28‘24

 

live, ▼

4-5

Maria João Pires

Claudio Abbado

Chamber Orchestra of Europe

DGG

1997

31‘40

 

I Tempo rubato, aber nicht übertrieben, II unterschiedliche Phrasierung T. 68-70, III deutliche Begleitung, sich vor Überschwang hütend – partnerschaftliches Musizieren

4-5

Rudolf Serkin

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS     Sony

1956

28‘41

 

4-5

Rudolf Serkin

Eugene Ormandy

Philadelphia Orchestra

CBS     Sony

1964

30‘45

 

4-5

Artur Rubinstein

Josef Krips

RCA Victor Symphony Orchestra

RCA

1958

32‘00

 

4-5

Martin Helmchen

Marc Albrecht

Orchestre Philharmonique de Strasbourg

Pentatone

2008

30‘16

 

aufmerksames Miteinander, frisches Musizieren, Orchester in Tutti-Abschnitten nicht immer ausgeglichen, kerniges Klavierspiel, III stürmisch drängend, Lust an instrumentaler Zuspitzung, musikalische Energie freisetzend

4-5

Myra Hess

Eduard van Beinum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

Tahra

1956

32‘29

 

live, ▼

4-5

John Ogdon

Paavo Berglund

New Philharmonia Orchestra London

EMI

1971

30‘52

 

I vorwärtstreibend, Berglund hebt die oft übersehene Cello-Stimme in der Durchführung dezent hervor, II immer im Dialog, III in großen Bögen, Proportionen beachtend – gutes Miteinander

4-5

Dinu Lipatti

Ernest Ansermet

Orchestre de la Suisse Romande

Decca

1950

30’25

 

live, Rundfunkmitschnitt – HT langsamer, Sechzehntel-Staccati im 2. Satz jetzt nach Partitur, Mittelteil con anima – kraftvolles wie elegantes Klavierspiel, kompakter Klang, leicht entfernt, an lauten Tutti-Stellen leicht verzerrt

4-5

Dinu Lipatti

Herbert von Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1948

29‘45

 

I farbiges Klavierspiel, sehr lebendig, HvK stellt sich auf den Solisten ein, II unterschiedliche Phrasierungen von Klavier und Str. T. 1-3, Mittelteil zu neutral, III kraftvolles, geschmeidiges und elegantes Klavierspiel, minimale Verzerrungen

4-5

Julius Katchen

Istvan Kertesz

Israel Philharmonic Orchestra

Decca

1962

30‘56

 

entschiedenes, in den Ecksätzen schwungvolles Musizieren, Sch. Tempovorgaben weitgehend verwirklicht, breite Ausdrucksskala, zupackendes Klavierspiel, gutes Miteinander sorgt auch für Transparenz und Balance

4-5

Maurizio Pollini

Herbert von Karajan

Wiener Philharmoniker

DGG

1974

30‘12

 

live, ▼

 

 

 

4

Annie Fischer

Otto Klemperer

Philharmonia Orchestra London

EMI

 

1960/62

32‘09

 

4

Svjatoslav Richter

Lovro von Matacic

Orchester der Oper Monte Carlo

EMI

P 1975

30‘02

 

4

Svjatoslav Richter

George Georgescu

Staatl. Sinfonie-Orchester der UdSSR

Brilliant

1958

29’15

 

live, ▼

4

Svjatoslav Richter

Witold Rowicki

Nationale Philharmonie Warschau

DGG

1958

29’33

 

4

Artur Rubinstein

Carlo Maria Giulini

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1967

32’03

 

4

Artur Rubinstein

Franco Caracciolo

Orchestra A. Scarlatti di Napoli

Arts

1964

32’05

 

live, ▼

4

Samson François

Paul Kletzki

Orchestre National Paris

EMI

1958

30’23

 

wechselseitiges Nehmen und Geben zwischen Pianisten und Orchester, I im A. espressivo Vc parallel zu den Bassnoten des Klaviers, leise, aber deutlich; piu animato T. 205 ff. könnte etwas belebter und vom Flügel delikater gespielt sein, II sehr bewegt, Flügel etwas zu laut, III Flügel wünschte man sich etwas lockerer

4

Arturo Benedetti Michelangeli

Gianandrea Gavazzeni

RAI Orchester Rom

Frequenz

1962

29’30

 

live, ▼

4

Claudio Arrau

Alceo Galliera

Philharmonia Orchestra London

EMI   Testament

1957

33‘35

 

4

Claudio Arrau

Colin Davis

Boston Symphony Orchestra

Philips

P 1981

32‘49

 

4

Christian Zacharias, Klavier und Ltg.

 

Kammerorchester Lausanne

MDG

2000

30‘13

 

I Flügel „fehlt“ T. 35-39 und T. 290-294, sehr helle Oboe – das Klangbild ist hier etwas farbiger und hat mehr Körper als auf der EMI-CD, trotz aller Qualitäten des Orchesters hätte ich mir einen Dirigenten gewünscht, viele Orchesterstellen klingen doch etwas mechanisch

4

Leon Fleisher

George Szell

Cleveland Orchestra

CBS    Sony

1960

30‘19

 

I kraftvoll, zupackend, spürbare Vitalität, aber auch (viel) Espressivo, Spannungsbögen, III herb – sehr gutes Miteinander, gute Balance und Transparenz, metallischer Klavierklang (zu viel für Schumann), man vermisst doch etwas Wärme, musikalisch perfekt

4

Jewgenij Kissin

Colin Davis

London Symphony Orchestra

EMI

2006

32‘04

 

4

Nelson Freire

Rudolf Kempe

Münchner Philharmoniker

CBS    Sony

1968

31‘36

 

männliches Klavierspiel, heller, brillanter Klang, gute Transparenz und Balance, I Anfang nicht in einem Tempo, T. 116 ff. überlässt Freire unnötigerweise den Streichern den Vortritt, im A. espressivo Streicher zu leise, III gelassen, entspannt, Seitenthema langsamer, wenig inspiriert

4

Monique Haas

Eugen Jochum

Berliner Philharmoniker

DGG

1951

30‘04

 

immer lockeres Klavierspiel, leicht und meistens duftig, leider ziehen Dirigent und Klangregie nicht mit, kompakter, teilweise auch stumpfer Klang

4

Moura Lympany

Thomas Beecham

Royal Philharmonic Orchestra London

Somm

1946

27‘30

 

live – Stimmführungen des Klaviers in l. und r. Hd. immer deutlich, Klavier im Vordergrund, Orchester wie hinter einem Vorhang, teilweise Verzerrungen, unterschiedliche Klangpegel, wunderbar lebendig musiziert, in den Ecksätzen mit Schwung und frischen Tempi, eine der besten Deutungen des Konzerts, aufgrund der klanglichen Gegebenheiten erfolgte die Herabstufung

4

Stephan (Bishop) Kovacevich

Colin Davis

BBC Symphony Orchestra

Philips

1970

30‘39

 

I stürmisch drängend, II ansprechender Mittelteil, III mit Verve – gutes partnerschaftliches Musizieren, an leisen Solo-Stellen stört das Hochheben des Pedals – zur Zeit der Aufnahme hieß der Pianist noch St. Bishop

4

Vladimir Ashkenazy

Uri Segal

London Symphony Orchestra

Decca

1978

31‘56

 

I gelassenes Tempo, der Aufnahme könnte etwas mehr Druck gut tun, Satzteile heben sich weniger voneinander ab, II robuster Mittelteil, III konzertant

4

Daniel Barenboim

Sergiu Celibidache

Münchner Philharmoniker

BR Aufnahme

1991

33‘04

 

live – I Celi nimmt den Orchesterpart sehr ernst, guter Begleiter und Mitgestalter (s. Andante zu Beginn der Durchf.), ab T. 77 verschlepptes Tempo, Coda kein A. molto, II Mittelteil viel besser gestaltet als bei FiDi, III insgesamt zu behäbig, kaum Vivace, Celi lässt große Bögen spielen

4

Horacio Gutierrez

Tennstedt, Klaus

London Philharmonic Orchestra

EMI

1977

32‘12

 

I der Zusammenhalt ist an einigen Stellen gefährdet, II immer der Partitur auf der Spur, III der Vivace-Charakter wird nicht ganz getroffen, Solist könnte noch mehr differenzieren – Solist und Dirigent in guter Partnerschaft, guter Klang

4

Stephen Hough

Andriss Nelsons

City of Birmingham Symphony Orchestra

hyperion

2015

32‘09

 

alles läuft prima, darüber hinaus jedoch wenig eigene Physiognomie, spannender Übergang vom Intermezzo zum Finale

4

Martha Argerich

Nikolaus Harnoncourt

Chamber Orchestra of Europe

Teldec

1992

29‘26

 

live, ▼

4

Alfred Brendel

Kurt Sanderling

Philharmonia Orchestra London

Philips

1997

32‘11

 

4

Alfred Brendel

Claudio Abbado

London Symphony Orchestra

Philips

1979

32‘31

 

4

Walter Gieseking

Herbert von Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1953

30‘07

 

4

Alfred Cortot

Landon Ronald

London Philharmonic Orchestra

EMI

1927

29‘48

 

4

Wilhelm Kempff

Rafael Kubelik

Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

DGG

1973

33‘12

 

4

Myra Hess

Walter Goehr

ein Londoner Sinfonie-Orchester

EMI    Pearl   Naxos

1937

31‘45

 

4

Myra Hess

Malcolm Sargent

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1958

30‘58

 

live, ▼

4

Angela Hewitt

Hannu Lintu

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

hyperion

2011

31‘14

 

I die technische Perfektion scheint im Vordergrund zu stehen, II etwas zu schnell, III jetzt A. vivace, kein A. molto – sehr gutes Miteinander, gute Transparenz, insgesamt jedoch etwas steril und äußerlich brillant

4

Clara Haskil

Carl Schuricht

Städtisches Orchester Straßburg

Tahra

1955

29‘36

 

live – Haskil mit Schuricht in bester Partnerschaft, lebhafte Tempi, aufmerksames Zwiegespräch zw. Holz, Streicher und Klavier im A. espressivo, II con espressione – insgesamt flacher Klang, spitzer Oboenton

4

Radu Lupu

André Previn

London Symphony Orchestra

Decca

1973

30‘13

 

I konzertant, weniger Innerlichkeit, II Dreiteiligkeit herausgestellt, III Begleitung fehlt es an Deutlichkeit – Lupu und Previn in guter Partnerschaft

4

Jorge Bolet

Riccardo Chailly

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

Decca

1985

32‘38

 

die Musik darf sich entfalten, gepflegt, gelassen, II Musik sensibel nachgezeichnet

4

Jorge Bolet

Klaus Tennstedt

London Philharmonic Orchestra

BBCL

1984

32‘43

 

live – dieselbe Musizierhaltung wie in Berlin, Orchester im Tutti weniger transparent

4

Heidrun Holtmann

Stefan Soltesz

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

Delta

1991

31‘02

 

sorgfältig, gediegen, nicht immer mit gleicher Spannung, Streicher in der Begleitung durchgehend zu zurückhaltend, I Seitenthema schon verlangsamt, geht dezent in das folgende Ritardando über

4

Matthias Kirschnereit

Jan Willem de Vriend

Konzerthaus-Orchester Berlin

Berlin Classics

2018

29‘44

 

Flügel und Orchester gut miteinander verwoben, jedoch immer wieder auf Kosten einer optimalen Trennschärfe, Klangbild weniger transparent, Holzbläser oft etwas nach hinten versetzt

4

Claudio Arrau

Eugen Jochum

Concertgebouw Orchester Amsterdam

RCO

1977

33‘17

 

live, ▼

4

Lili Kraus

Victor Desarzens

Orchester der Wiener Staatsoper

Concert Hall

Scribendum

P 1966

31‘05

 

im Ganzen poetische Darstellung, die für sich einnimmt, HT sowohl von Bläsern als auch vom Klavier langsamer, überzeugendes non legato, kompakter Klang, in Tutti-Abschnitten wenig transparent, hier auch leichte Klirr-Neigung, II besserer Klang

4

Ivan Moravec

Vaclav Neumann

Tschechische Philharmonie Prag

Supraphon

1976

32‘03

 

Neumann eher ein Begleiter als Mitgestalter, I Moravec in Zwiesprache mit Schumanns Gedanken (HT T. 89 ff und T. 267 ff), differenziertes Klavierspiel, Begleitung der Streicher zu scheu, fast distanziert, II zögerlich, III gefällt am besten – Balance zwischen Flügel und Orchester nicht immer top

4

Leonard Pennario

Seiji Ozawa

London Symphony Orchestra

RCA

1965

30‘37

 

Pennario ohne besondere Lichtblicke, Ozawa lässt das Orchester auftrumpfen, in der Durchführung von musikalischer Energie sprühend, wie aufgekratzt, III etwas gleichförmig heruntergespielt, da wünschte man mehr Formung – Streicher teilweise etwas spitz

4

Van Cliburn

Fritz Reiner

Chicago Symphony Orchestra

RCA

1960

30‘34

 

Tempi insgesamt nach Schumanns Vorstellungen, ziemlich perfekt, jedoch routiniert, mit einer gewissen Glätte, ohne Schumannsche Gefühlstiefe

 

 

 

3-4

Alfred Brendel

Simon Rattle

Wiener Philharmoniker

Decca

2001

31‘02

 

live, ▼

3-4

Walter Gieseking

Wilhelm Furtwängler

Berliner Philharmoniker

DGG      BP Media

1942

30‘09

 

live, ▼

3-4

Dénes Várjon

Heinz Holliger

WDR Sinfonie-Orchester Köln

audite

2015

30‘03

 

bewegtes Musizieren, Streicher in den T. 25/26 sowie 29/30 – auch noch später – gegenüber Holz im Hintertreffen, Transparenz nicht immer top, Flügel führt zu sehr, beim Klangbild wünschte  man sich etwas mehr Farbe – insgesamt eher durchgespielt als geformt

3-4

Rudolf Serkin

Franco Caracciolo

RAI Orchester Neapel

Walhall

1957

29‘01

 

live, ▼

3-4

Jan Lisiecki

Antonio Pappano

St. Caecilia Orchester Rom

DGG

2015

 

29’36

 

die Interpreten gehen weit über Sch. Tempovorschriften hinaus, Rubato steht hoch im Kurs, teilweise plakatives Musizieren oder mit Weichzeichner überzogen, effekterheischende Präsentation, L. teils sportlich vorwärtspreschend, teils in die Musik versunken, man vermisst ein Gesamtkonzept, die Sätze 2 und 3 gefallen besser, L. in letzterem mit jugendlichem Schwung

3-4

Artur Rubinstein

William Steinberg

RCA Victor Symphony Orchestra

RCA

1947

30‘10

 

3-4

Krystian Zimerman

Herbert von Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1981

31‘31

 

I Tempo rubato beim Solisten wie im Orchester, viele Nebenstimmen werden unterdrückt, II weniger grazioso, III sehr gute Gestaltung des Klavierparts, zu Streicher-betontes Orchester – etwas topfiger Klang, der teilweise verschwimmt, geringe Transparenz, Tutti-Stellen in den Ecksätzen leicht knallig; sind die klanglichen Mängel einer noch nicht bewältigten Digital-Technik bei der Aufnahme geschuldet?

3-4

Arturo Benedetti Michelangeli

Hermann Scherchen

Radio-Sinfonie-Orchester der italienischen Schweiz

Tahra

1956

28‘42

 

live, ▼

3-4

Emil Gilels

Karl Böhm

London Symphony Orchestra

Andante

1975

32‘48

 

live, Salzburg – I Gilels eher in sich gekehrt, melancholisch, HT bei Bläsern und Klavier langsamer, auch in der Reprise, wenig belebt die Fortspinnung T. 19 ff. und T. 274 ff, Böhm gibt wenige Impulse, II viel schneller als gewohnt, will aber nicht so recht zwischen die Nachbarsätze passen, Gilels übernimmt nicht Schumanns Artikulationshinweise bei den 4-Ton-Motiven, III Gilels bevorzugt wuchtige Akkorde, schwerblütig – kein offenes Klangbild

3-4

Peter Rösel

Kurt Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna

Berlin Classics

1980

30‘44

 

I Masur meist nur Begleiter, im Andante der Durchführung keine rechte Spannung, gute Coda, II Mittelteil ohne besondere Aufmerksamkeit, III Orchester oft zu beiläufig

3-4

Clara Haskil

Willem van Otterloo

Residenz Orchester Den Haag

Philips

1951

28‘51

 

bewegte Tempi, mehr im klassischen als im romantischen Stil, etwas nüchtern, männlich herber Klavierklang, Otterloo aufmerksamer Partner, er vergisst die wichtige Cello-Stimme T. 164 ff nicht, insgesamt flacher Klang, stumpfer Flügel im tieferen Register, spitze Oboe

3-4

Martha Argerich

Alexander Rabinovitch

Orchester der italienischen Schweiz

EMI

2002

28‘33

 

live, ▼

3-4

Martha Argerich

Mstislaw Rostropovitch

National Symphony Orchestra

DGG

1978

29‘43

 

3-4

Daniel Barenboim

Dietrich Fischer-Dieskau

Philharmonia Orchestra London

EMI

1974

31‘57

 

Barenboim „Meister“ der schönen Stellen, da müssen sich die Tempi schon anpassen, Dialoge zwischen Flügel und Klavier könnten intensiver sein, FiDi als „Interims“-Dirigent passt sich an, II Im MT zu viele Rubati, Espressivo etwas dick aufgetragen, III kaum Vivace, Barenboim meist im Vordergrund und zu plakativ – gute Transparenz, hart klingender Flügel

3-4

Alfred Cortot

Ferenc Fricsay

RIAS Symphonie-Orchester Berlin

Urania        audite

1951

32‘03

 

live, ▼

3-4

Friedrich Gulda

Joseph Keilberth

Wiener Symphoniker

Orfeo

1955

28‘25

 

live – Flügel im Vordergrund, Gulda stürmt immer wieder nach vorn, robust, zeigt wo’s lang geht, Orchester etwas grob, routiniert, uneinheitliche Darstellung

3-4

Alicia de Larrocha

Charles Dutoit

Royal Philharmonic Orchestra London

Decca

1970

33‘12

 

gemächliche Tempi, verhindern lockeres Musizieren, weniger Spannung, mehr Gleichlauf, gutes Miteinander, präsenter und transparenter Klang

3-4

Alicia de Larrocha

Colin Davis

London Symphony Orchestra

RCA

1991

33‘52

 

im Großen und Ganzen wie 1970, viele Rubati, L. spielt in Satz 1 bei T. 59 ff. statt a tempo im langsameren Tempo weiter, auf Dauer geht die Spannung verloren

3-4

Peter Katin

Eugene Goossens

London Symphony Orchestra

Everest

P 1959

30‘39

 

I Katin setzt rit. Mehrere Takte vorher an als in der Partitur vorgesehen, T. 59 kein a tempo, etwas harter Flügelklang, Orchester oft mit rauem Ton, inspirierte Durchführung T. 156-184, wechselnde Tempi, II MT viel Espressivo, III an vielen Stellen zu fest, spröde, auch robust

3-4

Justus Frantz

Leonard Bernstein

Wiener Philharmoniker

DGG

1984

31‘18

 

live – I Frantz zelebriert das Hauptthema in der Exposition und der Durchführung zu sehr, Durchführung: Adagio statt Andante, fast wie ein langsamer Satz, Frantz ohne pianistische Glanzlichter, Orchester in den Ecksätzen etwas grobschlächtig, II Eckteile mit wenig Spannung, III wie durchgespielt

3-4

Michel Dalberto

Eliahu Inbal

Wiener Symphoniker

Denon

1993

31‘35

 

live - nicht immer mit der geforderten Sensibilität und Noblesse, Dalberto spielt oft drauflos, warum klingt die Melodie T. 112-115 nicht gleichmäßig? Piu animato-Stelle T. 205-258 ohne rechten Schliff, Durchführung hätte mehr Espressivo vertragen können – Balance zwischen Klavier und Orchester nicht immer top, bullig klingende Tutti-Stellen

 

 

 

3

Paolo Giacometti

Michel Tilkin

Arnheim Philharmonic Orchestra

Challenge

2001

30‘11

 

I Seitenthema T. 47-58 zergliedert, Streicher in der Durchführung viel zu leise, auch bei piu animato T. 205 ff, auch das Klavierpedal spielt mit (T. 189 ff), Pianist T. 492-95 zu undeutlich, II keine einheitliche Artikulation bei den 4-Ton-Motiven T. 1-3 und T. 68-70, Str. im MT zu unbeteiligt, III Solo T. 624-631 undeutlich – insgesamt zwiespältiger Eindruck, da Aufnahmetechnik keineswegs glänzt

3

Arturo Benedetti Michelangeli

Daniel Barenboim

Orchestre de Paris

DGG

1984

32‘57

 

live, ▼

3

Arturo Benedetti Michelangeli

Antonio Pedrotti

Orchester der Mailänder Scala

Magit Talent

1942

30‘28

 

live, ▼

3

Klara Würtz

Arie van Beek,

Nordwestdeutsche Philharmonie

Brilliant

2001

30‘41

 

I routiniert, Klavier meist im Vordergrund, II im MT mit mehr Anteilnahme, aber kaum innig, III wie nur durchgespielt – ziemlich tempokonstant, Klangbild mit wenig Leuchtkraft

3

Rudolf Firkusny

Louis de Froment

Sinfonie-Orchester von Radio Luxemburg

Turnabout     MCPS

~ 1970

30‘06

 

nur die große Linie musiziert, ohne Wegmarken zu setzen, routiniert, Firkusny bleibt hinter seinem Potenzial zurück, II sehr bewegt, wenig Feingefühl erkennbar, Streicher im MT dick aufgetragen – großzügige dynamische Differenzierung, insgesamt kaum Feinschliff

3

Francesco Piemontesi

Jirí Belohlavek

BBC Symphony Orchestra

naïve

2012

30‘40

 

live – kaum spürbare Hingabe, animato-Stellen ohne Animato, dynamische Differenzierung im p-Bereich kaum ausgeprägt, es fehlt die Herausarbeitung des Spezifischen jedes einzelnen Satzes, Einheitsklang – warum diese CD?

 

Interpretationen nach historischer Aufführungspraxis, mit Instrumenten der Schumann-Zeit bzw. zeitgenössischen.

 

5

Alexander Melnikov

Pablo Heras-Casado

Freiburger Barockorchester

HMF

2014

31‘17

 

live – farbiges Klangbild, ausgefeilter Klavierpart, gute Partnerschaft, I Th. T. 59 noch einmal vom Flügel stolz herausgestellt, bevor es animato weitergeht, Orchester mehr in das Gesamtgeschehen eingebunden, hellwach musiziertes A. espressivo, II MT ein wenig langsamer, III könnte ein wenig schneller sein

5

Andreas Staier

Philippe Herreweghe

Orchestre de Champs-Elysées

HMF

1996

30‘43

 

sehr gutes Zusammenspiel, K. gibt dem Orchester mehr Gewicht innerhalb des Gesamtklanges, I Vc T. 164 ff. nicht vergessen, im A. espressivo wunderbarer Dialog, II bewegt, III durchweg dialogisches Musizieren

5

Ingrid Fliter

Antonio Mendez

Scottish Chamber Orchestra

Linn

2015

29‘58

 

wie aus einem Guss musiziert, mit jugendlichem Schwung, sehr lebendig, inspiriert, nuancenreiches Klavierspiel, I A. espressivo: Vc deutlich mit Klavierbass, Atmosphäre, Beginn der Reprise nicht langsamer, II reinste Kammermusik, III große Bögen - HIP

 

Anmerkungen zu Interpreten und ihren Interpretationen:

 

Alfred Cortot

 

Alfred Cortots Schallplattenaufnahmen bieten dem Hörer die seltene Gelegenheit, den romantisch geprägten Interpretationsstil kennenzulernen, wie er noch bei etlichen Interpreten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gepflegt wurde, hier im Schumann-Konzert. Hört man den ersten Satz mit Cortot und dem Dirigenten Landon Ronald, kann man zu der Auffassung gelangen, sie spielten die ursprüngliche Fantasie für Klavier und Orchester. Eine strengere Formung der musikalischen Gedanken und der Tempi, wie sie der Konzertstil fordert, stehen einer freieren, persönlicheren Auffassung gegenüber. Nach dem anfänglichen Klaviereintritt wird das Thema von den Bläsern und danach vom Klavier langsam und ausdrucksvoll dargeboten, auch bei seinem Erscheinen in der Reprise. Danach, ab T. 20, hat man den Eindruck, „jetzt geht’s erst richtig los.“ Rubato-Musizieren ist hier ein Stilmittel, besonders auch im ausdrucksvollen Dialog von Klavier mit Klarinette und Cello zu Beginn der Durchführung zu erleben, eine instrumentale Gesangsszene des Liederkomponisten Robert Schumann. Auch die Kadenz wird vom Pianisten ziemlich frei genommen, danach finden Solist und Orchester zum Kehraus zusammen. Im folgenden Intermezzo hört man m. E. eine der besten Darstellungen, die auf Platte festgehalten wurde, mit einem aufmerksamen Dialog in den Eckteilen, der im Mittelstück eine wunderbare Wärme entwickelt. Im Finale gibt es weniger Überraschungen von bekannten Hörerfahrungen, wenn man vom auftrumpfenden Beginn einmal absieht. Erwähnt sei noch, dass Schumanns Notenvorlage von Cortot nicht immer hundertprozentig umgesetzt wurde, der Geist der Musik war für ihn wichtiger als eine technisch makellose Ausführung. Für heutige Hörer kann diese Aufnahme eine beglückende Begegnung sein, oder als fragwürdig erscheinen, wenn sie eine technische Perfektion der Aufführung als Voraussetzung ansehen.

Die fast 25 Jahre später im Berliner Titania-Palast mitgeschnittene Aufnahme wandelt, trotz Ferenc Fricsay am Pult, auf ähnlichen Spuren wie die frühere Schellackaufnahme. Leider sind die Tempi in den schnelleren animato-Abschnitten eine Spur langsamer, was als eine gewisse Behäbigkeit wahrgenommen werden kann. Fricsay kommt in Bezug auf Innigkeit im Andante-Abschnitt sowie im Intermezzo an die frühere Aufnahme nicht heran. Das Finale beginnt ebenfalls auftrumpfend, wie ein Motto, das Klavierspiel des alten Cortot klingt hier leider insgesamt zu mechanisch.

 

Artur Rubinstein

 

Der Schumann-Spieler Arthur Rubinstein hat leider keine Spitzenaufnahme des Klavierkonzerts hinterlassen, zu dieser Meinung kommt man nach „Durchsicht“ von vier Aufnahmen. Am Gelungensten halt ich die, die in Zusammenarbeit mit Josef Krips entstanden ist. Hier wird eine gemeinsame Sicht verwirklicht, die allerdings mehr nach innen gerichtet ist, sehr poetisch gelingt hier das A. espressivo im 1. Satz, ebenso der Mittelteil des Intermezzos. Das Finale wird abwechslungsreich gestaltet, ohne aufzutrumpfen. Gerade das gefällt nicht in Rubinsteins früher Einspielung mit William Steinberg, hier wird nur die große Linie nachgezeichnet, die Musik klingt zu pauschal und plakativ. Bei Begleitstellen dürfen die Streicher viel zu laut aufspielen, auch im Mittelteil des Intermezzos, man denkt sofort an Filmmusik (die Aufnahme entstand mit einem ad hoc-Orchester in Hollywood). Der Klang ist sehr kompakt, die Balance kaum top. Der Flügel hatte seine besten Zeiten hinter sich. Der Konzertmitschnitt aus Neapel gefällt da interpretatorisch wesentlich besser, Caracciolo bleibt mit seinem Orchester jedoch etwas zurückhaltend und ordnet sich den Vorstellungen des berühmten Gastes am Flügel unter. Das Klangbild ist etwas entfernt. Drei Jahre nach diesem Mitschnitt ging Rubinstein noch einmal mit Schumanns Konzert ins Aufnahmestudio, am Pult des Chicago Symphony Orchesters stand nun Carlo Maria Giulini, der nicht unbedingt für zügige Tempi bekannt ist. Der Kopfsatz ist um fast eine Minute langsamer als bei Krips, im A. espressivo wünschte man sich das Cello mehr im Zwiegespräch mit dem Flügel, Giulini jedoch hält es auf Distanz, insgesamt bleibt er mir zu statisch. Rubinsteins Ton ist nun nicht mehr so kernig und lebendig wie in den Jahren zuvor. Der Klang ist insgesamt besser als in den früheren Aufnahmen, zeigt jedoch nicht das, was technisch möglich gewesen wäre, z. B. ein transparenteres Tutti.

 

Myra Hess

 

Für ihre Interpretation des Schumann-Konzerts war Myra Hess‘ vor allem im Vereinigten Königreich anerkannt, wahrscheinlich hatte sie das richtige Feeling für diese Musik. Hess lässt die Musik sprechen, sie spielt sich nicht nach vorn. Wunderbar ihr Spiel im Andante espressivo, dabei kommt es hier auch auf ihren Partner am Pult an, von den drei Dirigenten gefällt mir der Holländer Eduard van Beinum am besten, der die Tempovorstellungen der Pianistin teilt. Der Mitschnitt aus Amsterdam kann auch klanglich noch überzeugen, während zwei Jahre später in London mit Sargent die Aufnahme zu kompakt und weniger präsent klingt, dazu kommen immer wieder leichte Publikumsstörungen. Die Studio-Produktion mit einem Londoner (vermutlich ad hoc-) Orchester stammt aus den besten Jahren der Pianistin und zeigt sich ebenfalls durch große Schumann-Nähe aus, klingt aber unterschiedlich, je nach Übertragung der alten Schellacks auf CD.

 

Walter Gieseking

 

Von Gieseking liegen drei Interpretationen vor, die älteste ist ein Mitschnitt aus der Alten Berliner Philharmonie mit Furtwängler am Pult. Von der Art ihres Musizierens und ihrer Auffassung wollen die beiden nicht unbedingt zueinander passen, obwohl sie oft miteinander Konzerte gegeben haben. Dem Schumann-Konzert kann man fasziniert zuhören, auch wenn für mich mehr Furtwängler darin steckt als Schumann: Viele Wechsel der Tempi, großformatiger Klang, der vor allem auch im Mittelteil des Intermezzos aufgeplustert wird, molto espressivo ist die These, da ist Griegs op. 16 schon ganz nahe, eigentlich sollte es doch umgekehrt sein. Spannend und gleichzeitig beeindruckend ist der Übergang vom Intermezzo zum Finale. In diesem Satz wird m. E. etwas grob und al fresco musiziert. Gieseking ließ sich nicht von Furtwänglers Sicht auf op. 54 beeinflussen und lieferte eine eher partiturgerechte Version ab, die Walzer-Anklänge im Finale werden nicht übersehen, leider sind auch einige Patzer nicht zu überhören.

In der Londoner Studio-Aufnahme hält sich Karajan, was die Orchesterbegleitung angeht, viel mehr zurück, die Aufnahme klingt neutraler, fast schon etwas glatt. Die Tuttistellen sind recht kompakt, die spitz klingende Philharmonia-Oboe ist an Solo-Stellen nicht mein Fall, der Flügel ist nach bekannter Mono-Art nach vor dem Orchester platziert. Am besten gefällt da ein Mitschnitt mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester aus dem Nachkriegs-Essen mit Günter Wand am Pult. Auch hier stört mich eine spitze Oboe, auch ein schmalbrüstiger Klang, insgesamt jedoch herrscht ein einvernehmliches Musizieren vor. Wand und Gieseking bringen am meisten von Schumanns Musik zum Klingen, im Mittelteil des Intermezzos gelingt Wand, ein wundervolles Espressivo, auch ohne die Musik aufzubauschen.

 

Wilhelm Kempff

 

Mit Wilhelm Kempff am Flügel sind zwei Studio-Produktionen greifbar. In bester Partnerschaft mit Josef Krips gelingt in London eine überzeugende Interpretation, die geradezu als Anti-Virtuosenkonzert wahrgenommen werden kann, hier steht eindeutig das Poetische im Vordergrund. Klavier und Orchester werden jeweils als Teile eines Ganzen begriffen. Krips arbeitet das Verwobensein von Soloinstrument und Orchester sehr gut heraus, wobei der musikalische Aufbau genau gezeichnet wird (vgl. 1. Satz T. 112-128, sowie in der Reprise T. 365-380), dabei wird auch immer auf eine stimmige Balance geachtet. Spontanität spricht aus Kempffs Klavierspiel, so spielt er die vier Abschnitte des Seitenthemas immer wieder anders, auch in der Reprise, es wird nicht vorher Festgelegtes abgerufen. Den 2. Satz verstehen die Künstler tatsächlich nur als Intermezzo, der Mittelteil erklingt hier ganz zart, aber nicht spannungslos. Entspannt und spielerisch, jedoch con spirito, also im Gegensatz zu den meisten anderen Lesarten dieses Konzerts, wird der Finalsatz dargeboten.

Zwanzig Jahre später spielt Kempff mit Rafael Kubelik das Schumann-Konzert noch einmal ein. Sein Anschlag ist jedoch nicht mehr so farbig wie früher. Dem Dirigenten gelingt es nicht, das Flair von Krips auch in der neuen Aufnahme zu erwecken, die Spannung erreicht nicht das Niveau von früher, übrigens auch nicht im Finale. Im Mittelteil des 2. Satzes blühen vor allem die Streicher mehr auf als bei Krips.

 

Rudolf Serkin

 

Serkins Interpretationen von Schumanns op.54 zeichnen sich durch nervöses, drängendes, glutvolles Klavierspiel aus, das „verweile doch…“ kommt bei ihm etwas kurz, er spielt ziemlich geradlinig, dabei wünscht man sich als Hörer oft mehr von Schumanns Zwischentönen. Mit spürbarer Hingabe leitet Eugene Ormandy das Philadelphia Orchester. Die beiden Aufnahmen ähneln sich, abgesehen vom etwas langsameren Tempo, besonders im Finale, das in der älteren Aufnahme fast atemlos vorüberzieht. Das Klavier ist in beiden Aufnahmen klanglich etwas nach vorn gezogen. Neuere Erkenntnisse in Bezug von Serkins Deutung von Schumanns Klavierkonzert bringt auch der Mitschnitt aus Neapel aus dem Jahre 1957 nicht. Ein entferntes und stumpfes Klangbild spricht nicht unbedingt für seine Veröffentlichung, dazu kommen Bandstörungen im 2. Satz.

 

Claudio Arrau

 

Der chilenische Pianist hat Schumanns op. 54 viermal im Studio produziert, dazu tritt in meinem Archiv noch ein Konzertmitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw. Sieht man von den etwas verhaltenen Tempi im Kopfsatz sowie im Finale ab, könnte man ihn als einer der idealen Interpreten des Konzerts bezeichnen. Die früheste Aufnahme wurde 1944 in Detroit eingespielt, sie ist mir die liebste, auch wenn klangtechnische Mängel (teilweise schütterer Klang) nicht zu überhören sind. Sony hat sie soeben zusammen mit sämtlichen anderen Columbia-Aufnahmen in einer Box klanglich überarbeitet neu herausgebracht, ich konnte sie jedoch hier noch nicht heranziehen. Arraus Klavierspiel kann man mit einem guten vollmundigen Wein vergleichen, das trifft auf alle Aufnahmen hier zu, deutlich, abgerundet, mit viel Körper, geschliffen und elegant. Eine Spezialität des Pianisten sind die zahlreichen Walzeranklänge im Finalsatz. Der hier unbekannte Karl Krüger erweist sich als kongenialer Begleiter, der nicht nur auf durchgehende Tempi achtet, sondern auch sonst (häufig) unbeachtete Orchesterstimmen zu Gehör bringt. Alle anderen Arrau-Aufnahmen sind in allen Sätzen langsamer, im Intermezzo beinahe schon Adagio, wie bei Galliera, hier erleben wir im Mittelteil einen träumerischen Pianisten, der sich keineswegs nach vorn spielt. Auch das Finale erklingt hier etwas verhalten, keinesfalls ein Rausschmeißer wie z. B. bei Gieseking und Lipatti. Insgesamt kommt Galliera nicht an Krügers Differenzierung heran. Einen besseren Eindruck hinterlässt da Dohnanyi, da haben die Philips-Techniker einen guten Klang eingefangen mit erfreulicher Balance und bester Transparenz. Bei schnelleren Tempi hätte sie einen Platz in der obersten Kategorie verdient. Die letzte Studio-Produktion kommt aus Boston, am Pult steht der op. 54-Begleiter vom Dienst, Colin Davis. Die Tempi sind überraschenderweise etwas schneller als in den Vorjahren. Aufnahmetechnisch liegt jedoch ein Rückschritt vor: die Bläsersoli sind zu leise eingefangen, das Orchester läuft akustisch nur nebenher, so als spielten die Streicher mit Dämpfer. Im Finale gibt es einen Durchhänger ab T. 254. Im Intermezzo unterscheiden Arrau/Davis penibel genau zwischen legato- und staccato-Motiven, der Mittelteil hebt sich jedoch weniger von den benachbarten Teilen ab. Aus dem Mitschnitt mit Jochum spricht eher Routine, Jochum zeigt hier weniger Sensibilität als in anderen Aufnahmen, die Spannung wird nicht immer gleichmäßig gehalten.

 

Svjatoslav Richter

 

Die DGG-LP des Schumann-Konzerts mit Witold Rowicki und der National Philharmonie Warschau aus dem Jahre 1958 war für Richter der erste Schritt zur Weltkarriere. Zum ersten Mal war eine Schallplatte des legendären Pianisten, dessen Kunst man bisher nur vom Hörensagen kannte, im Westen greifbar. Zwei Jahre später durfte er in den USA konzertieren und dort auch Plattenaufnahmen machen. Im Nachhinein stellt sich jedoch heraus, dass die Warschauer Aufnahme nicht seine stärkste von op. 54 ist. Die Ursachen sind das etwas unfreie Spiel des Pianisten, der das Konzert mehr als Virtuosenstück spielt, aber auch der wenig gepflegte und nicht immer inspirierte Orchesterklang. Die folgende Studio-Produktion kommt aus Monte Carlo, unter Leitung von Lovro von Matacic spielt das dortige Opernorchester für EMI. Erfreulich ist, dass sich Richter jetzt mehr den lyrischen Partien öffnet. Die Holzbläser spielen oft pauschal, den Orchester-Tutti fehlt eine gewisse Transparenz (z. B. Satz 1 T. 134 ff), im selben Satz ist das Orchester T. 43/44 nicht genau zusammen. Der vorwärtsdrängende Ansatz des Pianisten im Finalsatz wird vom Dirigenten nicht voll geteilt. In beiden Studio-Aufnahmen hätte ich mir jeweils eine klangvollere Oboe gewünscht.

Die überzeugenderen Aufführungen fanden jedoch im Konzertsaal statt und sind mittlerweile auch auf dem CD-Markt angekommen. Sowohl mit Janos Ferencsik als auch mit George Georgescu findet ein hohes Maß an partnerschaftlichem Musizieren statt. Ferencsik und Richter verbindet dieselbe Vorstellung von op. 54, sehr stimmungsvoll gelingt hier das Intermezzo. Der Klang der Aufnahmen ist historisch kompakt, im Tutti dominieren die Streicher. Die Brilliant-CD verliert durch eine jämmerlich klingende Oboe etwas von ihrem Wert. Beim Mitschnitt von den Salzburger Festspielen wird Richter von Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern sorgfältig und inspiriert begleitet. Für das Seitenthema des 1. Satzes nimmt der Pianist sich nun mehr Zeit als früher, der Hörer hat nun mehr Zeit, seine Anschlagskultur zu bewundern, insgesamt neigt er hier auch zu Temposchwankungen. Wie bei Ferencsik möchte ich den Mittelteil im Intermezzo lobend erwähnen. Obwohl etwas langsamer als in früheren Aufnahmen gespielt, besitzt das Finale doch den richtigen Schwung. Die Aufnahme klingt relativ gut.

 

Arturo Benedetti Michelangeli

 

Leider hat der italienische Meisterpianist Schumann Klavierkonzert nie unter Studiobedingungen aufgenommen, wir Hörer müssen uns hier mit fünf Konzertmitschnitten unterschiedlicher Art zufrieden geben. Zuerst muss gesagt werden, dass ABM zeitlebens einer der ganz großen Interpreten dieses Konzerts war, der den Notentext mit Raffinesse und leuchtender Klarheit umsetzte. Dank seiner breiten Anschlagspalette zeichnete sich sein Klavierspiel immer durch eine prägnante Physiognomie aus. Das Seitenthema des 1. Satzes gliederte er deutlich in vier kurze Abschnitte, jedoch mit künstlerischer Freiheit nicht immer auf dieselbe Art. Auch für den Anfang der Kadenz ließ er sich mehr Zeit als seine Kollegen/-innen, er klingt wie verträumt, suchend oder sich vortastend. Tempo Rubato war für ihn ein Mittel der Verdeutlichung des musikalischen Ablaufs, Schumann hat es durch dynamische Hinweise (ritardando, animato) bereits eingeleitet, ABM modifiziert es nach seinen Vorstellungen. Die vom künstlerischen Standpunkt überzeugendste Aufnahme entstand 1948 in New York unter Leitung von Dimitri Mitropoulos, in bester Partnerschaft wird hierlebendig und spannungsvoll musiziert. Leider muss ein durchgehendes leises Rauschen der Acetatplatten in Kauf genommen werden. Platz 2 nimmt ein römischer Mitschnitt aus dem Jahre 1962 ein, der jedoch nur dann zu goutieren ist, wenn der Lautstärkepegel angehoben wird. Der Dirigent Gavazzeni lässt die Celli im Mittelteil des 2. Satzes zu laut beginnen, Espressivo bedeutet nicht Forte! Auf Platz 3 dirigiert Scherchen, auch hier ist die Aufnahme klanglich misslungen, das Klavier steht zu sehr im Vordergrund (mit leuchtendem Klang!) und vor allem sind Streicher bei den Begleitpartien fast nur noch zu erahnen; im Finale bessert sich das etwas. Von der musikalischen Seite macht hier das kapriziös gespielte Intermezzo auf sich aufmerksam. Der früheste Mitschnitt aus der Mailänder Scala ist musikalisch nicht zu verachten, entspannter musiziert als 1948. Inakzeptabel wird er durch die klangtechnische Aufbereitung, die ein unnatürliches und steriles Klangbild hinterlassen, wobei das Orchester entfernt platziert wird. Klangtechnisch weitaus besser als alle Mitschnitte zuvor ist ein Konzert aus Paris mit Daniel Barenboim am Pult, die DGG hat es jedoch erst viele Jahre später, nach ABMs Tod, veröffentlicht. Dem Dirigenten gelingt es hier nicht, das Werk in befriedigender Weise darzustellen: Gleich zu Beginn, aber auch an den entsprechenden Stellen später, hört man Akkorde in Brucknerscher Manier, nicht schneidend, sondern breit, wobei die Instrumente nicht genau zusammen sind. Die piu animato-Stellen nach dem Hauptthema werden schleppend angegangen, die Streicher spielen mit dickem Pinsel. Das Andante espressivo zu Beginn der Durchführung zerbröckelt bei dem langsamen Tempo. Einige Takte später (T. 197 ff) wiederholen die Streicher den (wiederholten) Klaviereingang, sie lassen sich jedoch nicht von Benedetti Michelangelis rhythmisch geschärfter Darstellung animieren. In der Coda wird auch Schumanns Anweisung „Allegro molto“ nicht umgesetzt. Der Mittelteil des Intermezzos wird viel langsamer als die umrahmenden Teile gespielt, Grieg stand hier Pate. Im Finale, aber auch schon früher, klingen die Orchester-Tutti recht aufgeplustert.

 

Annie Fischer

 

Von der als Schumann-Interpretin geschätzten ungarischen Pianistin sind drei Aufnahmen mit dem a-moll-Konzert bekannt. Die älteste wurde beim WDR in Köln während eines Konzertes mitgeschnitten und von ica classics zugänglich gemacht. Trotz der nicht berauschenden Aufnahmetechnik ist ein plastisches Musizieren sowohl bei Fischer als auch bei Keilberth am Pult auszumachen, Klavier und Orchester sind klanglich gut miteinander verwoben. Schnelle, aber keine forcierten Tempi. Erfreulich sind die deutlichen Animato-Passagen im ersten Satz, die so klingen, wie sie gemeint sind. Transparenter Klang, die Streicher klingen jedoch etwas rau. Ein Jahr später trifft man die ungarische Pianistin erneut in Westdeutschland mit dem Schumann-Konzert, jetzt in Baden-Baden mit dem SWF-Sinfonie-Orchester im Studio unter Leitung von Hans Rosbaud. Solistin und Dirigent stellen ein tragfähiges Konzept vor. Die Außensätze sprühen von musikalischer Energie, immer wieder gelingt der Solistin sprechende Artikulationen. Besonders auch im Mittelsatz, wenn sie bei den Sechzehnteln zu Beginn und am Ende genau zwischen legato- und staccato-Abschnitten unterscheidet. Viel Schwung – Walzerabschnitte – zeichnet das Finale aus.

Die dritte Fischer-Aufnahme von op. 54 entstand in London unter Klemperers Leitung in zwei zeitlich auseinander liegenden Sitzungen, sie klingt jedoch weniger überzeugend als die zuvor erwähnten Interpretationen. Schuld daran sind die etwas langsameren Tempi in den Ecksätzen, mehr noch der zurückhaltende Einsatz des Philharmonia Orchesters in den Begleitpartien. Da klingt das Andante in der Durchführung wie ein Monolog der Pianistin, da das Orchester viel zu leise klingt. Das Finale klingt unter Klemperers Dirigat viel weniger elegant als früher. In den Takten 205-212 nimmt A. Fischer das Tempo merklich zurück, auch in den Takten 224-251, auch schon in Köln. Das POL klingt insgesamt gepflegter als das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester.

 

Geza Anda

 

Einer der besten Interpreten des Schumann-Konzerts war Geza Anda, der mit schlankem aber auch eindringlichem Klavierton sowie intuitiver Einfühlsamkeit inklusiver dezenter Rubati den Klavierpart gestaltete. Zusammen mit dem aufmerksam agierenden Rafael Kubelik entstand eine schöne Aufnahme. Das kann auch im Großen und Ganzen von der Studio-Aufnahme mit Ernest Bour gesagt werden, die sich im Orchesterklang jedoch etwas pauschaler gibt und auch weniger Präsenz besitzt. Anda ist hier im Finale nicht immer so deutlich wie in Berlin.

 

Alfred Brendel

 

Zwei Studio-Produktionen, beide in London entstanden, stehen zur Diskussion, die mich aber beide nicht recht glücklich machen. Dass das Seitenthema ebenso nachdenklich gespielt werden soll wie das Hauptthema, überrascht, sollte da nicht doch ein Kontrast zu hören sein? In der Kadenz verzichtet Brendel gänzlich auf eine virtuose Attitüde. Auch im Finale vermisst man den pianistischen Glanz und auch Drive, das ist doch zu brav, ein Anti-Schumann? Im Intermezzo nimmt der Pianist in der ersten Aufnahme den Mittelteil zu nachdenklich, das Espressivo bleibt auf niedrigem Niveau. Kurt Sanderling jedoch gestaltet diese Episode mit dem POL aufmerksam und wertet sie zum Mittelpunkt des kurzen Satzes auf. Insgesamt scheint mir Sanderling in den Begleitphasen engagierter als der eher sachliche Abbado. Das fällt auch im Finale auf, wenn jener die Reibungen bei den Streichern T. 450-479 deutlich hervorhebt. Neben die soeben erwähnten Studioaufnahmen tritt nun noch ein Konzertmitschnitt aus Wien mit Simon Rattle am Pult. Auch diese Interpretation kann mich kaum begeistern. Es fehlt ihr das Schumannsche Feuer, man spielt nicht richtig im Einklang, eher nebeneinander her. Die Musik klingt hier gediegen und sachlich. Einige Stellen kommen beim Pianisten wie gestelzt. Transparenz und Balance der Rundfunkaufnahme sind nicht auf höchstem Niveau angesiedelt,

 

Maurizio Pollini

 

In Zusammenarbeit mit Abbado hat Pollini die meisten der klassischen und romantischen Klavierkonzerte gespielt, die DGG hat sie auf CD veröffentlicht, so auch das von Schumann. Dabei wird der Hörer Zeuge einer spannungsintensiven Deutung, kombiniert mit spürbarer Vitalität, Solist und Dirigent atmen mit der Musik. Pollini agiert mit prägnantem Zugriff, die Musik scheint zu pulsieren, die Begleitung der linken Hand wird nicht vom Pedaleinsatz verwischt. Die Kadenz wird im Gegensatz zu den meisten Pianisten eher sachlich als auftrumpfend gespielt. Im Intermezzo besticht die penible Artikulation der aufsteigenden 4-Ton-Motive, auch im Orchester. Den Mittelteil erlebt man nicht romantisch aufgeladen, sondern mit gebremsten Espressivo. Sehr spannungsvoll gelingt der Übergang ins Finale.

Fünfzehn Jahre vor diesem Berliner Konzert führte Pollini das Konzert mit Karajan und den Wiener Philharmonikern in Salzburg auf, die DGG hat den Mitschnitt des ORF vor Jahren als Bonus der Maurizio-Pollini-Edition beigegeben. Bekanntlich pflegte HvK einen kräftigeren Orchesterklang, die Bläser in der Durchführung bekommen mehr Präsenz, der Wiener Oboenklang erinnert jedoch sehr an den des POL. Im Intermezzo teilt der Dirigent Pollinis Ansicht bzgl. der Artikulation der aufsteigenden 4-Ton-Motive nicht, stattdessen lässt er die Streicher im Mittelteil mehr singen als Abbado. Als störend empfindet man die ständigen Publikumsgeräusche, auch das harte Klangbild, Flügel eingeschlossen, ist nicht vorteilhaft. Dieser steht klanglich zu sehr im Vordergrund.

 

Martha Argerich

 

Martha Argerich hat zwar viele Werke von Schumann öffentlich und im Studio gespielt, trotzdem kann sie mich nicht immer überzeugen, da sie das Virtuose von Schumanns Klaviersatz zu sehr in den Vordergrund stellt. Das trifft vor allem auf das Klavierkonzert zu, weniger auf ihre Kammermusikaufnahmen. In den drei hier aufgeführten Aufnahmen des Konzerts hat man den Eindruck, es ist ein Konzert für den Flügel, Argerich spielt in den Ecksätzen zu plakativ, als wäre sie eine Primadonna. Das Orchester spielt im Großen und Ganzen nur eine Nebenrolle, die drei Dirigenten passen sich leider zu sehr an, die Begleitung der Streicher in den animato-Teilen bleiben fast unhörbar. Dazu kommen unstete Tempi und überraschende Rubati. Die Kadenz wird 1978 und 2002 ziemlich schnodderig hingeworfen. Das Intermezzo kommt bei Martha rhapsodisch, oder wie ein Capriccio, der Mittelteil hängt sehr auch vom Dirigenten ab, bei Hanoncourt ist man Schumann am Nächsten. Im Finale scheint die Pianistin den Klavierpart eher abzuspulen als zu interpretieren. Bei Rostropovitch scheint man das Konzert nur durchzuspielen, am Ende des Intermezzos wartet Argerich ungeduldig auf den Beginn des Finales, den sie mir Aplomb hinlegt. Die Streicher des National Symphony Orchestra klingen in der Begleitung zu rau. Eine Beziehung zum Konzert spricht nicht aus dieser Aufnahme. Etwas besser sieht es bei Harnoncourt aus, aber auch er legt seinen Streichern die Zügel an, deshalb bleibt die Steigerung ab T. 116 zu blass, auch die Dialoge zwischen Holzbläsern und Klavier hat man schon viel inspirierter gehört. Im Finalsatz spielt Argerich differenzierter als früher, auch das Orchester spielt gepflegter. Bei Rabinovitch kommt wieder das Rhapsodische heraus, die Musik bleibt zu unstet. Das Intermezzo klingt nur wie referiert, wo ist hier Schumann? Dagegen macht das Finale einen besseren Eindruck.

 

Murray Perahia

 

Nach dem schon guten Konzertmitschnitt aus München veröffentlichte Sony einen noch etwas besseren aus Berlin, die Tempi sind in etwa dieselben. Trotzdem klingt unter dem Dirigat von Abbado die Berliner Aufnahme etwas lebendiger. Die Streicher werden hier nicht nur als Abrundung des Klanges verstanden, sondern noch mehr thematisch eingebunden. Bei Davis könnte der Klavierbass an vielen Stellen im Finalsatz etwas mehr herauskommen. Im 1. Satz sticht Perahia mit einem facettenreichen Klaviersolo T. 77 ff. hervor, in der Durchführung werden auch die Flöten nicht vergessen. Klanglich hat die Berliner Aufnahme die Nase vorn. Beide Aufnahmen gefallen durch einen abwechslungsreich gestalteten Mittelteil im Intermezzo und auch eine gute Tempowahl.

 

Jewgenij Kissin

 

Mit Kissin liegen mir zwei unterschiedliche Aufnahmen vor. In guter Partnerschaft mit Giulini und den WPh gelingt eine poetische aber auch elegante Interpretation, die wie selbstverständlich klingt und im Finale recht schwungvoll endet. Für eine Giulini-Produktion überrascht das helle Klangbild. In der späteren Studio-Aufnahme mit Colin Davis und dem LSO klingt das Hauptthema im Kopfsatz viel langsamer und nachdenklicher, ab T. 19 wird es dann wieder schneller, insgesamt wird mit dem Tempo ziemlich frei umgegangen, schöne Stellen werden ausgekostet, dabei zerfällt der Satz in Einzelabschnitte. Der Mitteteil des Intermezzos streift schon das Sentimentale, am besten gelingt das Finale. Bei Giulini am Pult begegnet man eher einer Interpretation im Geiste der Klassik, bei Davis eine der Romantik.

 

eingestellt am 03.02.17

 

ergänzt am 19.06.24

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