Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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1. Klaviersonate fis-Moll op. 11

Kuerti

Analekta

1991

33‘14

5


Andsnes

EMI

1996

33‘21

5

rhythmisch betontes Spiel, ruhige und ausdrucksvolle Aria

Demidenko

hyperion

1996

34‘09

5

Demidenko hat ein gutes Gespür für die Ausdrucksgehalte der Musik und vermag dies überzeugend zu vermitteln

Pollini

DGG

1973

31‘59

5

energischer Zugriff, von großer Klarheit, hört in die Musik hinein, wahrt jedoch einen Rest Distanz

 

Arrau

Philips

1967

36‘17

4-5

Schumann genau auf der Spur, Beachtung aller Details, im 4. Satz jedoch nur korrekt, ohne den gewünschten Überschwang

Gieseking

Fono Team

1942

26‘22

4-5


Gilels

BBCL

1959

27‘38

4-5


Gilels

Brilliant

1957

29‘52

4-5


Gilels

History

1948

30‘02

4-5


Hewitt

hyperion

2007

36‘45

4-5

I E passionato, II etwas zu langsam – kerniger Klavierklang

Zacharias

EMI

1975

31‘35

4-5

live – I E etwas unruhig, bremst das Tempo vor ruhigeren Partien ab, II schlicht, aber doch ausdrucksvoll, III klingt etwas nach Arbeit

Leonskaja

Teldec

1988

34‘36

4-5

I E geringe Spannung, Hauptteil mit Leidenschaft, vivacissimo-Stelle T. 248 ff superp, II trotz schnellem Tempos schön ausgesungen, III nicht so ausdrucksvoll – trotz der Einschränkungen jedoch überzeugend, Klavierklang gut abgebildet

Perahia

Sony

1997

29‘26

4-5

II leicht und anmutig, von Mendelssohn? IV am Überzeugendsten

Rosen

Etcetera/Globe

P 1983

31‘00

4-5

I E Sechzehntel-Triolen nicht nur Begleitung sondern Kommentar, nimmt sich Zeit, keinesfalls hitzig, II Oktaven T. 23-26 nicht nur Zierrat, III piu Allegro-Stelle etwas unterbelichtet

Kissin

RCA

2001

31‘09

4-5

I viele Rubati, II fallende Quinten bremsen die Melodie, IV schöne Überleitung am Ende des 1. Teils T. 177 ff -–insgesamt persönliche Handschrift

 

Sofronitzki

Melodya/BMG

1960

27'43

4

live – E sotto voce ganz zart; bremst vor(!) piu lento und dem 2. Thema ab, sprechendes plastisches Klavierspiel, II Rubati, deshalb etwas unruhig, nervös, III piu Allegro schneller, IV Gedächtnisfehler T. 36 f (Abwertung), marcato im Bass T. 86 ff und 276 ff fehlt, unegales, oft ruppiges, teilweise überhastetes Spiel

Grimaud

Denon/Brilliant

1987

30‘24

4

I E sotto voce etwas scheu, motorisch, energiegeladen, II etwas zu schnell, weniger ausdrucksvoll, III dem Ideal ganz nahe – energisch, einnehmend, jedoch etwas einseitig

Ashkenazy

Decca

1987

32‘49

4

mehr Material (Klavier in Mittellage und Bass) als Musik vernehmbar, klingt dann grob, grau und etwas stumpf, wie angeklopfter Draht, diese Feststellung auch in anderen Ashkenazy-(Solo) Aufnahmen, spielt er immer auf demselben Flügel? – seine Interpretation bewegt sich stellenweise im Bereich 4-5

von Eckardstein

Rundfunkproduktion?


31‘14

4

I E T. 10-13 schneller, so wie T. 48F f; bei basso parlando darüber hinweg, II eindrucksvoll, schöner Mittelteil, IV setzt die einzelnen Abschnitte zueinander in Beziehung, Hauptthema nicht martialisch, gut so!

Glemser

Naxos

1997

35‘35

4

I E eher neutral, nimmt das Hauptthema nicht auftaktig; setzt vor basso parlando ab und spielt dann langsamer, II Mittelteil etwas zu laut, III piu Allegro zu laut und wenig geschmeidig

Rösel

Berlin classics

1980

31‘26

4

I E sotto voce hat keinen Glanz; vivacissimo-Stelle T. 248 ff gut, II etwas robust, III piu Allegro zu laut

 

Maruko

MDG

1986

32‘39

3-4

I schnelles Tempo, passionato-Stello meno passionato, T. 192 ff: Diskant leiert etwas, vivacissimo-Stelle nicht als Zuspitzung, anschließende basso parlando-Stelle harmlos, II T. 16 ff dominiert lk. Hd. zu sehr, III piu Allegro mit geringer Inspiration, IV Finale ohne acellerando, aber doch überzeugend

Würtz

Brilliant

2001

32‘30

3-4

I Lautstärkedifferenzierung nicht besonders ausgeprägt, E Sechzehntel-Triolen zu leise, II klingt ein wenig nach prima vista, III Scherzo glatt, nur die Noten – insgesamt etwas gleichförmig, neutral

 

Bach

Arte Nova

1999

34‘55

3

I E mehr Einzelteile als ein Ganzes; bremst immer wieder den Lauf der Musik durch kleine Zäsuren, II zu Beginn sind die beide Hände genau nicht zusammen, III piu Allegro gut, Intermezzo meist nur laut, ohne das interpretatorische Etwas – insgesamt noch nicht ausgereift, Flügel obertonarm



Robert Schumann hat der Nachwelt drei Klaviersonaten hinterlassen. Die fis-Moll-Sonate ist die erste von ihnen und entstand zwischen1833 und 1835. Als Widmung lesen wir in der Erstausgabe: Clara zugeeignet von Florestan und Eusebius. Clara, damals 15 Jahre alt, war die Tochter seines Klavierlehrers Friedrich Wieck und konnte sich in jungen Jahren bereits als aufstrebende Pianistin einen Namen machen. Hinter Florestan und Eusebius versteckt sich niemand anderes als der junge Robert Schumann, der es liebte, seine Persönlichkeit in den stürmischen, leidenschaftlichen Florestan sowie den zurückhaltenden, empfindsamen Eusebius aufzuspalten. In vielen seiner frühen (Klavier)Kompositionen tritt der Dualismus zwischen F. und Eu. greifbar zu Tage., z. B. in den Davidsbündlertänzen op. 6, dem Carnaval op. 9, den Fantasiestücken op. 12 oder der Kreisleriana-Suite op. 16 zu Tage. Die (schon in der Widmung angedeutete) Zuneigung des Komponisten zu Clara wurde von ihrem Vater mit großem Misstrauen beobachtet. Er schickte seine Tochter auf eine Konzertreise, um ein Zusammensein zu unterbinden. Zur Zeit der Trennung konzipierte Schumann vorliegende fis-Moll-Sonate.

1832 entwarf Schumann ein Klavierstück, „Fandango" überschrieben, dem ursprünglich die Opuszahl 4 zugedacht war. Interessanterweise basierte dieser Fandango auf einem Thema einer Romanze für Klavier von Clara Wieck. Das Fandangomotiv durchzieht den ganzen ersten Satz. Noch ein zweites Motiv übernahm Schumann aus einem Klavierwerk seiner Geliebten: die fallenden Quinten, in der Einleitung und gleich zu Beginn des Allegro vivace des 1. Satzes zu hören.

Der Kopfsatz beginnt mit einer 52 Takte langen langsamen Einleitung (un poco Adagio), in der abwechselnd die eine Hand eine weitausgreifende, doppelpunktierte Melodie vorträgt, die andere eine Begleitung aus Achteltriolen spielt. Bei einigen Pianisten laufen die Triolen nur so nebenher, als Begleitung eben (Würtz, Bach), anderen gelingt hier ein spannungsgeladenes Miteinander (Gieseking, Sofronitzki, Rosen). Im kurzen Mittelteil (sotto voce) erscheint nun eine zarte Melodie in A-Dur, die uns noch im 2. Satz beschäftigen wird. Der Hauptteil des 1. Satzes wird weitgehend beherrscht von dem ruhelosen Fandango-Thema und den fallenden und pendelnden Quinten, die auch miteinander verbunden werden (Florestan). Am Ende der Exposition, setzt Schumann, quasi als Ruhepunkt, das gesangliche 2. Thema (Eusebius) in der parallelen Durtonart A-Dur. Alle Pianisten spielen es langsamer. Bei Sofronitzki können wir deutlich hören, dass das Thema dreiteilig angelegt ist: ein absteigender, gefolgt von einem aufsteigenden Abschnitt und als Epilog, nun ritardando, wieder ein fallender Abschnitt. Die Durchführung führt zu einem erregten vivacissimo-Teil mit dem Fandango-Thema im Bass. Dann wird die Musik plötzlich leiser und langsamer und die linke Hand zitiert noch einmal das Einleitungsthema, Schumann schreibt il basso parlando, also im erzählenden Ton. Hiroko Maruko spielt diese kleine Szene viel zu harmlos. Nach der Durchführung und Reprise klingt der Satz mit dem 2. Thema in fis-Moll. In der Exposition sollte es mf vorgetragen werden, nun nur noch leise. Bei Nikolai Demidenko geht dieser Satz dann ganz fahl zu Ende.

Die bereits erwähnte innige A-Dur-Melodie aus der Einleitung fungiert nun als Hauptthema des kurzen zweiten Satzes, Aria (Lied) treffend überschrieben. Sie stammt aus dem 1828 vertonten Gedicht von Justinus Kerner „An Anna". Die fallenden Quinten, auch hier wieder, dürfen vom Interpreten nicht vergessen werden. In den auftaktigen Quintenmotiven betonen Rösel, Würtz und Kissin regelwidrig die erste und dritte Note, statt der zweiten und vierten.

Der 3. Satz ist Scherzo e Intermezzo überschrieben. Musikfreunde kennen selbstverständlich die Dreiteiligkeit Scherzo-Trio-Scherzo. Schumann erlaubt sich hier mehrere Scherze, einmal für den Interpreten: der erste Teil soll Allegrissimo bewältigt werden, im zweiten steigert er das (schnellste) Tempo noch, wobei die linke Hand im Bass die Quint- und Oktavsprünge noch leggierissimo bewältigen soll (wundert es, wenn bei den meisten Interpreten diese Bassbegleitung im Vagen bleibt?). Danach wird der erste Teil wiederholt. Erst jetzt, wenn der Hörer meint, der Satz sei schon zu Ende, führt ihn der Komponist in den eigentlichen Mittelteil, das Trio, ein Intermezzo alla burla, ma pomposa, also eine komisch feierliche Polonaise, etwas gestelzt, die in ein Rezitativ mündet. Nach dem fünften sf-Akkord führt uns Schumann in eine andere Welt: den Eindruck einer Oboe soll der Spieler leise, aber markiert hervorzaubern, Kuerti, Rosen, Demidenko, Kissin und Hewitt spielen dies eindrucksvoll. Im Anschluss daran erscheint nochmals der erste Teil. Einige Pianisten wählen ein langsameres Grundtempo als von Schumann erwartet, um die piu Allegro-Stelle auch schneller – als Kontrast – herauszustellen: Kuerti, Rosen, Pollini, Andsnes, Hewitt.

Im abschließenden Finale dürfen wir keinen Satz in Sonatenform sehen, dessen Schema sich noch Schubert bediente, ihn aber in seiner Weise verarbeitete, auch kein Rondo in überkommener Form. Es ist zweiteilig angelegt mit einem Finale, 1. Teil T.1-189, 2. Teil T. 190-396, Finale T.396-462. Beide Teile beinhalten eine Aneinanderreihung von verschiedenen Themen, die sich einander ablösen, jedoch nicht aufeinander beziehen. Das erste akkordisch gesetzte Thema (Hauptthema) ist zu gestelzt und deshalb kaum entwicklungsfähig und erscheint in beiden Teilen je zweimal. Nach 189 Takten fängt die Musik dann noch einmal von vorn an, diesmal statt fis-Moll mit A-Dur beginnend. Eine Orientierung ist schwer möglich, das Ohr des Zuhörers weiß nicht recht, wo sich der Pianist gerade befindet, die Musik tritt etwas auf der Stelle, kein Ziel ist in Sicht. Das kommt dann endlich in T. 396 – piu Allegro und ff – Schumann möchte das Tempo dann noch zweimal beschleunigt wissen (T. 401 und T. 415), was jedoch kein Pianist (klugerweise) so spielt, weil nämlich der erwartete Schluss nicht eintritt, sondern die Spannung wieder zurückgenommen wird. Der Pianist soll nun quasi pizzicato, gewissermaßen gezupft, dazu noch sehr leise und ruhig (T.422 ff), spielen, die Musik soll ersterben, dann zwei Takte später wieder sehr leidenschaftlich werden und dann (endlich) zum grandiosen Schluss kommen. „Wirkung ohne Ursache" könnte man dazu sagen, die auf den Schluss zielende Vorbereitung fehlt einfach, da die Spannung vorher abgewürgt wurde. Ich halte diesen Satz als Finale für zu problematisch, besser wäre er (ohne das Finale) in einer Sammlung freier Klavierstücke, wie z.B. den Fantasiestücken op.12, aufgehoben. Der Satz beginnt in fis-moll und schließt in Fis-Dur. Im Vergleich zu den eingespielten Werken Schumanns, wie etwa dem Carnaval, den Sinfonischen Etüden, den Kinderszenen oder den Kreisleriana-Stücken fristet vorliegende fis-Moll Klaviersonate immer noch ein Mauerblümchendasein, obwohl in den letzten Jahren einige neue Einspielungen erschienen sind. Die Popularität der genannten Zyklen wird die Sonate m. E. jedoch niemals erreichen. Die Pianisten nehmen sie selten in ihr Repertoire, vielleicht auch wegen des letzten Satzes, der sehr schwer zu spielen ist, aber beim Publikum nicht unbedingt den erwarteten Erfolg bringen wird.

Einige Anmerkungen zu Interpreten:

Walter Gieseking 1. Satz: Einleitung dramatisch, zwingend; der Fandango-Rhythmus teilweise überhastet, deshalb nicht immer ganz deutlich. Man liest hier und da, dass bei Gieseking auch im schnellsten Tempo das Schwerste sich noch wie leicht anhör(t)e. Vielleicht erklärt dies, dass der Hörer den Eindruck hat, er spiele über solche Stellen einfach hinweg, ohne besondere Anteilnahme, ganz das Gegenteil von Serkin oder Arrau, bei denen man noch hören kann, wie sie am Klavier arbeiteten, mit der Musik rangen. 2. Satz leidenschaftlicher Mittelteil, 3. Satz: Parforceritt durch Schumanns Notentext, den Tempovorschriften nach macht es Gieseking aber wie vom Komponisten erwartet. 4. Satz: immer auf Schumanns Weg. Giesekings Interpretation kommt wahrscheinlich Schumanns seinerseitigem Seelenzustand am nächsten, man sollte sie unbedingt einmal gehört haben, auch wenn man von bestimmten Einzelheiten andere Vorstellungen hat.

Emil Gilels hat, soweit mir bekannt, drei Aufnahmen hinterlassen, wobei mir die von Brilliant und BBCL am besten gefallen. Was Schumann über den 1. Satz seiner Fantasie op. 17 geschrieben hat, durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen, scheint mir auch auf die Einleitung der fis-Moll-Sonate zu passen, wie sie Gilels hier vorträgt, aber auch auf andere Stellen im Werk. Der 2. Satz könnte in der BBC-Aufnahme etwas mehr Ruhe vertragen. Ich bevorzuge diese Aufnahme, auch wenn in der Brilliant-CD die musikalische Beteiligung evtl. 1 Grad höher ist. Dafür wird man in London mit einer besseren Aufnahmetechnik bedient. Die History-CD neigt an einigen Stellen zum Klirren.

Anton Kuerti Der hierzulande wenig bekannte kanadische Pianist hat eine beeindruckende Aufnahme ganz in Schumanns Sinn hinterlassen. Kuerti ist kein Heißsporn, der sich vehement in die Tasten stürzt, sondern ein Künstler, der klug disponiert und das Ganze im Auge hat, ohne gleich akademisch zu wirken. Im 1. Satz spielt er nur (wie vorgeschrieben) Allegro vivace, keineswegs Allegro molto oder A. assai, dafür vermag er aber in der passionato-Stelle (T. 106 ff) oder noch mehr beim vivacissimo (T. 248 ff) die Musik zum Glühen bringen. Direkt nach dieser Stelle wechselt Sch. plötzlich die Stimmung und Kuerti folgt ihm kongenial: langsamer und leiser, wenn das Thema der Einleitung im Bass erscheint. Im 2. Satz, der Aria, gibt Schumann seinen Interpreten noch einen Hinweis: senza passione, ma espressivo, ohne Leidenschaft (!), jedoch ausdrucksvoll. Kuerti hält sich genau an diese Forderung. Auch in der Einleitung lässt Kuerti die innige zweite Melodie in A-Dur (T. 22 ff) nicht auftrumpfen, sondern spielt sie ganz zurückgenommen, so, als höre er in die Musik hinein. Die Sätze 3 und 4 entsprechen nicht ganz Schumanns Vorstellungen, sehr schön die „Oboen-Stelle" im Rezitativ zwischen Intermezzo und Wiederholung des Scherzos. Im letzten Satz dann sehr überzeugend die brillante e veloce-Stelle mit ihren Achtel-Akkordfolgen beidhändig sowie das Finale, dass dann tatsächlich noch schneller gespielt wird.

Nicht zu übersehen ist, dass sich sehr viele russische Pianisten der fis-Moll-Sonate annehmen: Sofronitzki, Gilels, Ashkenazy, Leonskaja, Demidenko, Kissin, aber auch Peter Rösel, der sich in Moskau den letzten pianistischen Schliff holte. Über die Gründe dieser Bevorzugung lässt sich spekulieren.

Zu den Wiederholungen:

Die Wiederholung der Exposition im 1. Satz wird von vielen Interpreten befolgt, außer von Gieseking, Gilels, Sofronitzki, Rosen, Rösel und Kissin. Im Intermezzo des 3. Satzes gibt es zwei Wdhlg., die erste wird generell gespielt, die zweite nicht von Sofronitzki, Gilels, Perahia und Kissin.

eingestellt am 12. 05. 09

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