Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Peter Tschaikowsky
5. Sinfonie e-Moll op. 64
Andante, Allegro con anima – Andante cantabile, con alcuna licenza –
Valse, Allegro moderato – Andante maestoso, Allegro vivace
Seit mehr als einem Jahrhundert steht Tschaikowskys
5. Sinfonie in der Gunst des Publikums ganz obenan. Der Komponist zweifelte
einige Jahre an seinem Werk, erst umjubelnde Aufführungen unter seiner Leitung
auch im Ausland führten bei ihm zu einem Umdenken in Bezug auf den Wert seiner
Komposition. Die 5. Sinfonie wird häufig als Tschaikowskys Schicksals-Sinfonie
apostrophiert, das Schicksalsthema erscheint gleich zu Beginn des Kopfsatzes,
Klarinette mit Streicherbegleitung, und zieht sich durch die ganze Sinfonie.
Zweimal begegnet man ihm im 2. Satz, etwa in der Satzmitte und kurz vor
Satzschluss bricht es im dreifachen forte unvermittelt herein, im 3. Satz auch
vor Satzende, jetzt jedoch sehr leise. Auch das Finale wird mit diesem Thema
eingeleitet, nun aber in Dur, und nach siegreichen Kämpfen darf es wie in einem Triumphmarsch
das Werk strahlend beenden. Dann ist es höchste Zeit für das beglückte
Publikum. Im Konzertsaal ist diese Sinfonie am Programmende ein todsicherer
Treffer.
In den Ecksätzen nach der jeweiligen langsamen
Einleitung bedient sich der Komponist der Sonatenform, jedoch nicht im strengen
klassischen Sinn, es ist mehr eine äußere Organisationsform, das heißt, dass
die Themen wechselnd aneinander gereiht werden, eine
motivisch-thematische Arbeit findet nur in Ansätzen statt. Damit steht
Tschaikowsky jedoch nicht allein unter den Komponisten der Romantik.
Der Beginn des 1. Satzes sollte nach der
Partitur nicht als Adagio gespielt werden, sondern im Andante-Tempo. Das dritte
Auftreten des Schicksalsthemas (T. 21-30) ist dynamisch subtil gestaltet: Takt für
Takt modifiziert der Komponist die Lautstärke. Tschaikowskys Vorgaben erfüllen
Klemperer, Szell, Matacic, Kletzki, Karajan-71 und -74, Dutoit, Järvi,
Norrington und Muti. Das Seitenthema der Streicher (T. 116-127) wird von kurzen
herabfallenden Achtel-Noten der Holzbläser unterbrochen, meist hört man nur die
beiden ersten Noten, Markevitch, Stokowski und Sinopoli bringen jedoch mehr.
Viel Weltschmerz legen Mitropoulos, Matacic, Bernstein, Sinopoli und vor allem
Stokowski in die folgenden vier Takte 128-130, poco meno animato. Letztgenannter Maestro verkürzt (=strafft) die
Exposition wie die Reprise um jeweils vier Takte.
Den 2. Satz hat der Autor des Booklets von
Masurs Teldec-CD als „Lied ewiger Sehnsucht“ bezeichnet, vielleicht dachte er
beim Schreiben an das Hornsolo nach den Streicherakkorden oder an das folgende
Solo der Oboe in Fis-Dur (T. 24), das entfernt an Wagners Tristan (2. Akt)
erinnert. Die 16 Streicherakkorde werden von vielen Dirigenten als
selbstständige Einleitung verstanden, danach beginnt dann das schon genannte
Hornsolo. Neeme Järvi und Sinopoli z. B. sehen das anders: das Horn setzt auf
den letzten D-Dur-Akkord auf und entwickelt sein Thema, während die Streicher
weiter begleiten, jedoch nicht mehr in dem starren Metrum wie zuvor, und
hiermit die Musik in Fluss bringen. Leider spielt die das Horn begleitende
Klarinette oft sehr schüchtern, als traue sie sich nicht. Beim ersten Auftreten
des Schicksalsthemas (T. 99 ff) heben Mrawinsky, Bernstein-DG, Kubelik, Nelson,
Gatti und Pletnjew Bass-Posaune und Bass-Tuba kräftig hervor, sie können jedoch
auch nicht verhindern, dass die Musik auf unaufgelösten Sekundakkorden
stehenbleibt. Die Lösung gibt es dann einen Takt später (T. 112), jedoch nicht
bei sehr vielen Interpretationen. Hier sollte die Erregung von zuvor
nachhallen, vielleicht Betroffenheit vermitteln, entsprechend dürfen die
Pizzicati der Streicher nicht leise und gepflegt erklingen, zumindest in den
drei ersten Akkorden sollten das Besondere spürbar sein, wie bei Matacic,
Sinopoli, Szell und Furtwängler. Bei der Übertragung der Aufnahme von
Acetatplatten (Plattenwechsel) auf CD entstand eine viel längere Pause als von
Furtwängler im Konzert gebracht. Aufmerksamen Tontechnikern wäre diese
ärgerliche Nachlässigkeit nicht durchgegangen. Zuletzt noch eine Replik zu
Mrawinsky, bei ihm klingen die Pizzicato-Akkorde eher nachdenklich, vielleicht
betroffen.
Den 3. Satz hat Tschaikowsky als Valse
bezeichnet, sicher dachte er an eine der vielen Walzerszenen aus einem seiner
Ballette, leicht und locker, keinerlei Tiefsinn suchend, sollte das kleine
Stück interpretiert werden. Auch in diesem Satz gibt es wieder ein
Klarinetten-Solo (die Klarinette ist in diesem Werk das heimliche
Hauptinstrument), neben den begleitenden Streichern schreibt Tschaikowsky als Farbtupfer an
mehreren Stellen einzelne leise Töne der gestopften Hörner, sollte etwa damit
an das Schicksal erinnert werden? Sehr viele Dirigenten „vergessen“ die
gestopften Hörner: Svetlanov, Wand, Sinopoli, Dudamel, Jansons, Pappano,
Solti-live, Bernstein-DG, Kubelik, Järvi, Muti, Norrington und Maazel nicht.
Auch das Finale beginnt wieder mit dem
Schicksalsthema, nun aber in Dur. Das folgende Allegro vivace im
alla-breve-Takt darf nicht zu langsam gespielt werden, woran viele Aufnahmen
leider scheitern. Manche Dirigenten geben hier ein schnelles Tempo vor,
vergessen dann aber ihre ursprüngliche Absicht, folglich sinkt die Spannung.
Eine Herausforderung für die Interpreten ist auch die formale Anlage als
Sonatensatz mit einer jeweils langen Exposition, Durchführung und Reprise. Letztere
hält kaum Überraschungen vor und kann bei mäßigem Tempo leicht langatmig
klingen. Um das zu vermeiden, greifen die „alten“ Dirigenten dabei zu Kürzungen
im Notentext: Stokowski springt von T. 186 in der Durchführung zu T. 202 und
lässt bereits früher drei Takte aus, Mengelberg von T. 218 zu T. 324, dann noch
einmal im finalen Triumphmarsch von T. 472 zu T. 490, Rodzinski und Szell von
T. 210 zu T. 316, Furtwängler von T. 218 zu T. 324, van Kempen fügt nach T. 217
nochmals die Takte 202-209 und springt dann in den Takt 316. Eine Problemstelle
im öffentlichen Konzert war zu früheren Zeiten der H-Dur-Abschluss in T.
497/80. Nichtkenner der Sinfonie klatschten danach, da sie glaubten, die
Sinfonie sei zu Ende. Stokowski hilft sich damit, dass er die Pauke
weiterspielen lässt bzw. die Takte
467-471 streicht. Paul van Kempen greift zu einem Kniff und lässt das 3. Horn
eine große Sexte (es = klingend a) spielen, damit erzeugt er einen
unaufgelösten Sekundakkord und die Unwissenden merken, dass noch etwas kommt.
Das i-Tüpfelchen sind die beiden Beckenschläge in den Takten 502 und 503, eine
holländische Spezialität? Bereits Mengelberg bringt in T. 502 den Beckenschlag.
Ohne Zweifel verstoßen diese Operationen gegen den in
der Partitur niedergelegten Willen des Komponisten, eine Verurteilung dieser
Vorgehensweise halte ich jedoch für nicht angebracht, dafür waren Tschaikowskys
Selbstzweifel seinem Werk gegenüber doch sehr stark, zumindest am Anfang.
Mitropoulos |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS
Sony |
1954 |
42‘46 |
5 |
I E Andante!, HT
bewegt, pulsierend, animato, II ausdrucksvolle Spannungsbögen, Klarinette und
Fagott T. 28 f lassen aufhorchen, III sehr lebendig, pulsierend, IV souverän,
animato – transparentes Klangbild, keine verschleppten Tempi, Nebenstimmen
immer einbezogen |
Solti |
Chicago Symphony Orchestra |
Decca |
1987 |
47‘12 |
5 |
|
Solti |
London Symphony Orchestra |
Andante |
1994 |
43‘44 |
5 |
live, ▼ |
Markevitch |
London Symphony Orchestra |
Philips |
1966 |
43‘09 |
5 |
Tschaikowsky für Tsch.-Verächter: M. legt
größten Wert auf die Darstellung der Musik als auf irgendwelche Inhalte;
Klarheit, Präzision, nicht demonstrativ auftrumpfend |
Fricsay |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1949 |
44‘15 |
5 |
|
Fricsay |
Radio-Sinfonie-Orchester Berlin |
audite |
1957 |
43‘50 |
5 |
live, ▼ |
Mrawinsky |
Leningrader Philharmonie |
DGG |
1960 |
42‘43 |
5 |
|
Mrawinsky |
Leningrader Philharmonie |
DGG |
1956 |
43‘41 |
5 |
|
Szell |
Cleveland Orchestra |
CBS
Sony |
1959 |
45‘39 |
5 |
|
Krips |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1958 |
44‘52 |
5 |
I bewegt, con anima, II einleitende Akkorde schlicht, keine vermeintliche
Bedeutung, HT immer bewegt, III man spürt den Tanzcharakter, IV mit großer
Vitalität, mitreisend – sehr transparenter Klang, auch die kleinste Stimme
ist immer nachzuhören |
Sinopoli |
Philharmonia Orchestra London |
DGG |
1992 |
45‘17 |
5 |
I E herb, tiefes Ausloten des Notentextes,
HT aufgewühlt, energetisch, II con
anima, mit Nachdruck, III farbenreich, inspiriert, Nebenstimmen nicht
übersehend, IV Allegro vivace wie explodierend, immer pulsierend, pointiert,
souverän |
Svetlanov |
Staatliches Sinfonie-Orchester der UdSSR |
Melodya Scribendum |
1967 |
47‘52 |
5 |
S. dirigiert die 5., als sei sie die
Pathetique, hochemotionale Teilnahme, bei aller Dramatik erklingt bei ihm die
Musik epischer, Blech bevorzugt, breites Klangpanorama, deutlicher
Bassbereich, III russischer Walzer, keiner aus Wien |
Gergiev |
|
Philips |
1998 |
45‘48 |
5 |
live – diesseitige, frische und lebendige
live-Aufführung, die überzeugt |
Koussevitzky |
Boston Symphony Orchestra |
EMI |
1944 |
47‘09 |
5 |
aus romantischem Geist musiziert, intensive
Gestaltung, kleine und größere Tempomodifizierungen, kompaktes Klangbild |
|
||||||
Klemperer |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1963 |
45‘27 |
4-5 |
sachlich, klar, trotzdem nicht unbeseelt,
immer deutliche Stimmführungen, transparentes Klangbild – Tschaikowsky von
jeglicher Aufführungstradition befreit |
Kletzki |
Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
EMI |
1967 |
44‘54 |
4-5 |
live – atmospärisch dichtes Musizieren,
inspiriert, Blick auch auf Nebenstimmen, farbiges transparentes Klangbild,
keine deutsche Klarinette, III lebendig, geradezu aufgekratzter B-Teil, IV
Übergang T. 57 f nicht überzeugend |
Pletnjew |
Russisches National Orchester |
DGG |
1995 |
46‘25 |
4-5 |
stimmige Tempi, meist lebendiges Musizieren
im Sinne der Partitur ohne Extravaganzen, transparenter Klang |
Monteux |
Boston Symphony Orchestra |
RCA |
1958 |
43‘43 |
4-5 |
|
Monteux |
Boston Symphony Orchestra |
WHRA |
1957 |
43‘31 |
4-5 |
live, ▼ |
Monteux |
Orchestre National Paris |
M&A |
1958 |
44‘24 |
4-5 |
live, ▼ |
Szell |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
EMI |
1966 |
46‘00 |
4-5 |
live, ▼ |
Ormandy |
Philadelphia Orchestra |
CBS
Sony |
1959 |
47‘41 |
4-5 |
ziemlich geradliniges und deutliches
Musizieren, eher als ein klassisches denn ein hochromantisches Werk
verstanden, einige Portamenti in den 1.
Vl. |
Dorati |
London Symphony Orchestra |
Mercury |
1961 |
46‘44 |
4-5 |
I sehr bewegter HT, einfühlsam dargeboten,
II farbenreich, III sehr lebendig und elegant, IV
Blechgeschmetter – etwas heller, spitzer Klang, offen, Transparenz
auch im Bläsersatz, spitze Oboe |
Karajan |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1971 |
49‘11 |
4-5 |
|
Karajan |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1953 |
49‘58 |
4-5 |
|
Karajan |
Wiener Philharmoniker |
DGG |
1984 |
47‘59 |
4-5 |
Soundtrack einer Videoproduktion |
Masur |
Gewandhausorchester Leipzig |
Teldec |
1987 |
47‘07 |
4-5 |
I E sehr langsam, bedeutungsvoll, HT etwas
zögerlich, II farbig, souverän, III sehr lebendiger B-Teil, IV E wieder sehr
langsam, HT lebendig, zupackend – sehr gutes Klangbild |
Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
DGG |
1988 |
52‘37 |
4-5 |
live, ▼ |
Dutoit |
Orchestre Symphonique de Montreal |
Decca |
1988 |
46‘18 |
4-5 |
farbenreiches Musizieren, zupackend,
geschmeidig, elegant, etwas pauschale Dynamik |
Kempe |
Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
Orfeo |
1975 |
45‘42 |
4-5 |
live – Musik entwickelt sich wie
selbstverständlich, ohne Zutun des Dirigenten, stimmige Tempi, elegant, auch
bei Tutti-Höhepunkten immer schlank, III bei B endlich einmal Klarinette und
Fagott zu hören, nicht nur Fg. T. 37 ff |
Chailly |
Wiener Philharmoniker |
Decca |
1980 |
47‘59 |
4-5 |
Debut des jungen Chailly: zupackend,
vielschichtig, gut disponierend, farbig, spontanes Musiziergefühl |
Fricsay |
Wiener Symphoniker |
Orfeo |
1955 |
42‘29 |
4-5 |
live, ▼ |
van Kempen |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1951 |
43‘40 |
4-5 |
kompakter Klang mit geringerer Transparenz,
I hellwaches Musizieren, Blick auch auf Nebenstimmen, II Themen ausdrucksvoll
nachgezeichnet, Spannungsbögen!, III intuitiv,
rhythmische Energie nutzend, IV konzentrierte Einleitung, statt des Strichs
hätte man ein schnelleres Tempo wählen können, zusätzliche Beckenschläge in
T. 502 f |
Järvi, Neeme |
Gothenburgh Symphony Orchestra |
BIS |
2004 |
46‘54 |
4-5 |
Ernsthaftigkeit und Konzentration,
atmosphärisch dichtes Musizieren, „russische Seele“ treffend, sehr klares
Klangbild – III trotz flüssigen Tempos etwas zu schwer, IV sehr bewegter HT, con spirito |
Matacic |
Tschechische Philharmonie Prag |
Supraphon |
1960 |
42‘40 |
4-5 |
I E Andante, HT emphatisches Musizieren, II Spannungsbögen!, Solo-Horn T. 8 ff mit Vibrato, III
pulsierend, IV con anima,
lebensbejahend – weitgehende Beachtung von Tschaikowskys dynamischen
Vorgaben, transparentes Klangbild, Orchester jedoch nicht immer mit
Feinschliff |
Abbado |
Chicago Symphony Orchestra |
Sony |
1985 |
45‘31 |
4-5 |
klar, konzentriert, geschmeidig, sich vor Exaltiertheit
hütend, “moderner“ Zugriff, große dynamische Bandbreite, IV HT con anima |
Schüchter |
Nordwestdeutsche Philharmonie |
Electrola forgotten records |
1956 |
47‘04 |
4-5 |
I E langsam, kaum schwerblütig, bewegter,
farbenreicher HT, II stimmungsvoll, deutliche Nebenstimmen, III weniger
elegant, etwas blass, deutliche Trompeteneinwürfe T. 104-111, IV mit
Geschmack, hellwaches Musizieren – transparenter Klang |
Kurz |
Staatskapelle Dresden |
Eterna Ars vivendi |
1978 |
44‘00 |
4-5 |
I sorgfältig erarbeitet mit Blick auch auf
Nebenstimmen, II darstellerische Konzentration, III im A-Teil eher sachlich,
IV sehr solide, immer deutlich |
Cantelli |
Orchester der Mailänder Scala |
EMI |
1950 |
44‘29 |
4-5 |
immer mit Drive, ungekünstelt und unbeschwert,
kein tiefsinniges Ausloten der Partitur, für den Zeitpunkt der Aufnahme recht
guter Klang, transparent – III inspiriert, IV emphatisch |
Muti |
Philadelphia Orchestra |
EMI |
1991 |
49‘08 |
4-5 |
I mäßiges Tempo, Musik jedoch geformt,
konzentriert, II viel Innenspannung, III farbenreiches Musizieren, IV ähnlich
wie Satz 1 |
Gatti |
Royal Philharmonic Orchestra London |
HMF |
2003 |
45‘05 |
4-5 |
I Gatti macht deutlich: trotz vieler Einschränkungen ist das Grundtempo ein Allegro!, bewegt pulsierend, II geschmeidig, vielschichtig, Pk. T. 16 ff zu leise, III jenseits aller Routine, Pk. im B-Teil zu leise, IV deutlich, warum ab T. 234 langsamer?, Triumphmarsch ab T. 472 ohne den Stempel des Besonderen |
|
||||||
Wand |
NDR Sinfonie-Orchester Hamburg |
RCA |
1994 |
47‘07 |
4 |
live – sachlich, jedoch nicht kühl, Blick
immer wieder auch auf Nebenstimmen gerichtet, ohne Zeitdruck, Tschaikowsky mit
geringerer emotionaler Komponente, eher klassisch als romantisch, II sehr
farbig T. 33-43 |
Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1975 |
49‘10 |
4 |
|
Silvestri |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1957 |
47‘11 |
4 |
mäßige bis sehr mäßige Tempi in den drei
ersten Sätzen, im HT des Finales jedoch con
fuoco, Presto T. 504 ff wie eine
Befreiung |
Ashkenazy |
Philharmonia Orchestra London |
Decca |
1978 |
46‘08 |
4 |
Interpretation mehr ein Pflichtprogramm, solide,
die langsamen Abschnitte leiden etwas unter Spannungsabfall, III gefällt am
besten |
Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS Sony |
1960 |
47‘40 |
4 |
|
Rodzinski |
Royal Philharmonic Orchestra London |
Westminster |
1954 |
44‘37 |
4 |
R. hält das Blech im Zaum, mit viel
Geschmack gespielt, III sehr durchsichtig, das etwas
langsamere Tempo kommt der Musik zugute, IV leider langer Sprung von T. 210
zu T. 316 |
Jansons |
Oslo Philharmonic Orchestra |
Chandos |
1986 |
43‘09 |
4 |
in den Ecksätzen natürlicher Zugang zur
Musik, lebendiges Musizieren, energetisch, die Mittelsätze erreichen nicht
diese Höhe, II Klarinette bei A zu zurückhaltend, Klarinetten-Solo T. 67-70
nüchtern, insgesamt routiniert |
Ozawa |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1989 |
44‘56 |
4 |
|
Pappano |
Orchestra
di Santa Caecilia Roma |
EMI |
2006 |
47‘59 |
4 |
live - solide, den langsamen und leisen Abschnitten
fehlt es oft an Spannung, II Höhepunkt T. 56-58 domestiziert – kaum
Publikumsgeräusche |
Fedossejew |
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Moskau |
Melodya JVC |
1981 |
46‘12 |
4 |
I E geringe dynamische Bandbreite, II Musik
wenig gegliedert, eins geht ins andere über, Cellothema T. 33 ff geht im
Gesamtklang unter, III sehr bewegt, schwebend, IV sehr schnell, ziemlich
plakativ |
Barbirolli |
London Symphony Orchestra |
EMI |
1959 |
43‘57 |
4 |
I temperamentvoller HT, II die großen Linien
nachzeichnend, natürlich, III B-Teil: Spiccato der Streicher weniger
ausgeprägt, IV routiniert, spontanes Musizieren – kompakter Klang mit
geringerer Transparenz |
Furtwängler |
RAI Orchester Turin |
M&A |
1952 |
47‘49 |
4 |
live – Furtwängler-Dokument abseits seines
normalen Repertoirs, I HT im Tempo bedächtig, bei Crescendi Beschleunigungen,
II langsames Grundtempo, Riesenpause nach dem Höhepunkt T. 107, F. steuert
Höhepunkte von weit her an, III schleppend, B-Teil schneller, zu
bedeutungsvoll, IV Sprung von T. 217 zu T. 324, bei
T. 217 wackelt das Orchester ein wenig, Publikum klatscht in der Generalpause
T. 471 |
Haitink |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
1974 |
50‘05 |
4 |
I die russische Seele beschwörend, II H.
lässt sich viel Zeit, con anima,
III A-Teil etwas steif, B besser, IV etwas gebremstes Tempo – insgesamt sehr
sorgfältig |
Ozawa |
Boston Symphony Orchestra |
DGG |
1977 |
46‘31 |
4 |
|
Nelsons |
City of Birmingham Symphony Orchestra |
Orfeo |
2008 |
46’05 |
4 |
insgesamt sehr solide, Nelsons halt sich an Tschaikowskys Vorgaben in Bezug auf Tempo und Dynamik, I Pizzicati T. 135 u. 139?, II Hornsolo nicht mit den vorhergehenden Streicherakkorden verbunden, III A etwas geglättet, B Gegenstimmen kommen zu ihrem Recht |
Mehta |
Los Angeles Philharmonic Orchestra |
Decca |
1977 |
43‘32 |
4 |
I zupackend, lebendig, Blick nach vorn
gerichtet, II fließend, etwas nüchtern, Solo-Horn mit leichtem Vibrato, III
lebendig, IV lebendig, jedoch etwas glatt, routiniert |
Kubelik |
Wiener Philharmoniker |
EMI Testament |
1960 |
45‘24 |
4 |
I emphatisch, K. macht deutlich: große
Sinfonie, bei Tutti-Höhepunkten darf das Blech loslegen, II stimmige E,
musikantisch, III Pizzicati der tiefen Streicher zu fest und etwas zu laut,
wenig elegant, IV sehr betriebsam, jedoch nicht immer mit Schliff |
Cantelli |
NBC Symphony Orchestra |
Archipel |
1952 |
43‘38 |
4 |
live – I langsames Seitenthema, II sehr
lebendig, III bewegt, pulsierend, insgesamt mehr al fresco, diszipliniertes Publikum – sehr hell klingende Oboen
(fast plärrend), Klarinetten und Fagotte schaffen ein bisher ungewohntes
Klangbild |
Dudamel |
Simon
Bolivar Youth Orchestra of Venezuela |
DGG |
2008 |
47’59 |
4 |
live – in den Sätzen 1 und 2 zu zurückhaltend,
zu langsame Tempi, Orchester geht nicht aus sich heraus, austauschbar, IV im
HT überschlägt sich dann die Musik, ähnlich hätte man es sich schon früher
gewünscht |
Poppen |
Deutsche Radio-Philharmonie Saarbrücken und
Kaiserslautern |
Oehms |
2010 |
46‘03 |
4 |
live – sehr solide, jedoch auch etwas fest
musiziert, ich wünschte mir mehr Lockerheit, eine Beziehung des Dirigenten
zum Werk wird nicht deutlich, am besten der farbig musizierte 2. Satz, hier
überzeugen auch die gut aufgebauten Bögen, dagegen ist das Finale in vielen
Strecken zu langatmig |
Konwitschny |
Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin |
Urania forgotten records |
1954 |
46‘41 |
4 |
I schwerblütige E, kaum Tempokontrast zum
HT, wird allmählich schneller, fatalistische Stimmung, II bedeutungsvolles
Musizieren, III zu steif, IV schwere Gangart, blechgepanzert, sentimental,
pessimistisch – etwas stumpfes Klangbild mit geringer Transparenz |
|
SWR Sinfonieorchester Stuttgart |
SWR music hänssler |
2007 |
45‘42 |
4 |
live-Tschaikowsky nach Grundreinigung, Partitur genau gelesen und
umgesetzt, ohne Vibrato, nüchtern, gewöhnungsbedürftiger Klang, transparent |
|
||||||
Böhm |
London Symphony Orchestra |
DGG |
1980 |
50‘58 |
3-4 |
I deutliches Musizieren (Bläser bei T. 227
ff), ohne Schwung, etwas lustlos und neutral, II einleitende Akkorde zu
bedeutungsvoll, insgesamt schwere Gangart, Musik droht zu zerfallen, III
wenig Esprit, IV gefällt am besten, jedoch etwas starr, erdverbunden |
Sanderling |
Berliner Sinfonie-Orchester |
Eterna Denon |
1979 |
49‘17 |
3-4 |
I E wie eine Klage, HT etwas sachlich, sparsames
Espressivo, II keine Entwicklung in T. 1-8, etwas zäh, wenig Noblesse bei
Ziff. B, T. 108 ff ausdruckslos, III ohne Eleganz, IV T. 75-78 mangelnde
Präzision – Streicher und Bläser nicht immer auf demselben Niveau |
Maazel |
Cleveland Orchestra |
CBS |
1981 |
46‘39 |
3-4 |
geglättet, gepflegt, neutral, kaum als
Herzensangelegenheit zu orten |
Previn |
Royal Philharmonic Orchestra London |
Telarc |
1984 |
45‘57 |
3-4 |
zwiespältiger Eindruck: farbenreiches Muszieren
in den schnellen Partien, teilweise aufgekratzt und pulsierend, Leerlauf in
den weniger lauten und langsameren Partien, hier scheint er mit der Musik
wenig anfangen zu können – opulentes Klangbild, saftiger Klang, opulente
Blechbläser in den Tutti-Abschnitten drücken die restlichen Instrumente an
den Rand |
Rostropovitch |
London Philharmonic Orchestra |
EMI |
1976 |
51‘54 |
3-4 |
zelebriert und buchstabiert, II Anfangschoral fast unhörbar leise, sehr zäh, III zäh, B-Teil etwas besser, IV Einleitung und Finale total verschleppt, HT überzeugend |
Temirkanov |
St. Petersburger Philharmoniker |
RCA |
1992 |
48‘49 |
3-4 |
I lastende E, immer wieder den Fluss der
Musik gebremst, sehr langsames Horn-Th., die vielen Rücknahmen des Hauptzeitmaßes
verleiten zum Schleppen, III Musik
zieht am Ohr vorüber, ist jedoch nicht greifbar, IV erst T. 58 kommt die
Musik in Fahrt, Pauke jetzt sehr hervorgehoben |
Litton |
Bournemouth Symphony Orchestra |
Virgin |
1989 |
48‘50 |
3-4 |
I mit angezogener Handbremse, II recht zäh, Musik zerfällt in Abschnitte, III etwas hausbacken, ohne Pfiff, IV HT relativ schnelles Tempo, jedoch wenig locker musiziert, T. 374 ff Thema ohne Konturen |
Stokowski |
New Philharmonia Orchestra London |
Decca |
1966 |
50‘21 |
3-4 |
|
Mengelberg |
Berliner Philharmoniker |
Telefunken |
1940 |
43‘03 |
3-4 |
|
|
||||||
Celibidache |
London Philharmonic Orchestra |
Decca |
P
1951 |
50‘05 |
3 |
|
Celibidache |
Münchner Philharmoniker |
EMI |
1991 |
57‘11 |
3 |
live, ▼ |
Eschenbach |
Philadelphia Orchestra |
Ondine |
2005 |
50‘09 |
3 |
I statische Einleitung, keine Spannung, HT ziemlich dröge, blutleer,
II Klarinettenbegleitung T. 16-23 zu leise; schleppend, kaum Spannung,
Schicksalsmotiv T. 99 ff ohne Biss, III distanziert, asketisch, IV E
blutleer, Tschaikowsky beginnt erst richtig ab T. 58, jedoch zu spät |
Stokowski |
NDR Sinfonie-Orchester Hamburg |
Tahra |
1952 |
43‘33 |
3 |
live, ▼ |
Pierre Monteux
Die drei hier
vorgestellten Aufnahmen mit Pierre Monteux entstanden innerhalb von zwei
Jahren. Der gelobten RCA-Studio-Produktion mit dem Boston Symphony Orchestra
wurden vor ein paar Jahren zwei live-Aufnahmen zur Seite gestellt, die eine mit
demselben Orchester wurde ein Jahr zuvor mitgeschnitten, die andere ein Jahr
später mit dem Orchestre National Paris. Interpretatorisch sind bei ziemlich
gleichen Tempi kaum Unterschiede auszumachen, die live-Aufnahmen klingen
insgesamt jedoch partiell lebendiger, jedoch nicht immer mit der Präzision der
Studio-Einspielung. In allen Aufnahmen ist in lauten Tutti-Abschnitten keine
differenzierte Durchzeichnung gegeben, grell und scharf klingendes Blech
beeinträchtigt in den live-Mitschnitten das Klangbild. In diesen Aufnahmen
müssen mehr oder weniger Publikumsgeräusche in Kauf genommen werden, bei der
57er-Aufnahme auch ständiges leichtes Bandrauschen. Auffallend ist, dass
Monteux kaum ein echtes Piano bringt, obwohl Tschaikowsky nicht damit gespart
hat.
Leopold Stokowski
Stokowski wirft mit
der Interpretation der 5. Sinfonie einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert.
Glaubt man den Aussagen einiger Autoren, soll diese seine Lieblingssinfonie von
Tschaikowski gewesen sein soll, immerhin sind vier Aufnahmen bekannt. Im Jahre
1952 spielte er sie mit dem NDR Sinfonie-Orchester in
Hamburg. An diesem Abend nahm sich der Dirigent die Freiheit, alles das aus der
Partitur herauszuholen und dem Publikum zu unterbreiten, was seiner Meinung
nach im Notentext zwischen den Zeilen zu lesen sei, aber vom Komponisten nicht
extra hervorgehoben wurde. So verstanden, muss man es als Hilfe, als
Unterstützung der ursprünglichen Absichten Tschaikowskys interpretieren.
Einzelne Abschnitte werden regelrecht inszeniert, wie z. B. im 2. Satz die Takte
32 ff., später fügt St. des größeren Effektes willen in T. 54 auf 4 vor dem
Höhepunkt eine zusätzliche Trompetenstimme sowie ein kurzer Wirbel auf der
kleinen Trommel hinzu, oder im selben Satz T. 65/66 vor dem Klarinettensolo.
Was beim Hören sofort auffällt, sind die ständig wechselnden Tempi, Tempo Rubato wird zum Prinzip erhoben,
dann die Beschleunigungen oder Verlangsamungen gekoppelt mit Crescendo- und
Diminuendo-Stellen. Manche Partien klingen überzeugend, andere doch sehr
kitschig, wie im 2. Satz die T. 171 ff. Der Valse-Satz ist zum Mittanzen nicht
geeignet, wie ein Wirbelwind fegt das Orchester durch den B-Teil. Dann
verzichtet der Maestro im Finale auf einige Takte Musik (s. o.) und fügt noch
im abschließenden Marsch für Trompeten und Hörner Bindebögen hinzu (T. 546 ff).
Alle diese Eingriffe manchen Tschaikowskys Musik noch interessanter, die Frage
nach Tschaikowskys Absichten bleibt jedoch im Raum stehen. Die spätere
Studio-Aufführung mit dem Londoner New Philharmonia Orchestra ist nicht vollkommen
frei von Stokowskis Mätzchen, insgesamt jedoch mehr der gedruckten Partitur
verpflichtet. Die Tempi sind inzwischen langsamer geworden. Ein großer
Pluspunkt ist hier das gute Klangbild, jedoch bleibt die Dynamik im unteren
Bereich hinter den Erwartungen zurück. Am besten gefällt mir der 3. Satz.
George Szell
Tschaikowskys Musik
zählte gewiss nicht zum Kernrepertoire von Szell, er gehörte jedoch zu den
Tschaikowsky-Dirigenten wie z. B. Mrawinsky, Fricsay, Solti und insbesondere
Klemperer, die den Notentext sehr ernst nahmen, die die Aufführungstradition
ignorierten und trotzdem zu höchst befriedigenden Interpretationen gelangten.
Die Studioproduktion mit seinen Cleveländern ist superb, wenn auch der eine
oder andere Hörer darin etwas an russischer Seele vermisst. Bereits die
langsame Einleitung lässt aufhorchen, das Orchester wird immer straff geführt,
ohne ihm eine gewisse Eleganz zu verwehren, wie immer bei Szell erklingt die
Musik immer lebendig und sehr deutlich. Der furios gespielte Schlusssatz krönt
eine prächtige Aufnahme. Die Konzertaufnahme mit dem Kölner
Rundfunk-Sinfonie-Orchester, einem Klangkörper, mit dem Szell viele Male
musiziert hat, klingt etwas beseelter als das technisch doch bessere Cleveland
Orchester, das im 1. Satz doch lockerer spielt als die Kölner Mannschaft. Im 4.
Satz zieht Szell das Tempo ab Ziffer M merklich an, springt dann aber nach T.
209 zum T. 316, im Studio erfüllt er jedoch streng die Partiturvorgabe.
Jewgenij Mrawinsky
Mrawinskys Deutungen
der letzten Tschaikowsky-Sinfonien wurden seit ihrem Erscheinen immer wieder
gelobt und als Referenzaufnahmen herangezogen. Sie haben Schule gemacht,
mittlerweile gibt es eine Anzahl meist junger Dirigenten, die sich die
Musizierweise des russischen Meisters mindestens teilweise zu eigen gemacht
haben, wie da sind: den Notentext sehr ernst nehmen, Klarheit im Aufbau,
Verbannung jeglichen Schwulstes, Vermeidung alles Glatten, stimmige Tempi,
klangliche Schärfe. Die beiden vorliegenden Aufnahmen liegen schon Jahrzehnte
zurück, haben jedoch nichts von ihrer interpretatorischen Gültigkeit eingebüßt,
auch wenn man heute zu klanglich besseren Platten greifen kann. Die beiden
Interpretationen gipfeln jeweils im Finale, wenn nach der Einleitung in
deutlichem Kontrast die Musik im Allegro vivace, bei ihm ein A. con fuoco,
förmlich explodiert, in der jüngeren Aufnahme lässt sich das noch
eindrucksvoller erleben. Hier profitiert der Hörer auch vom etwas verbesserten
Klangbild. Übrigens wurden beide Aufnahmen bei Europa-Tourneen des Orchesters im
Wiener Großen Konzerthaussaal produziert.
Herbert von Karajan
In seiner ersten
Aufnahme der 5. Sinfonie mit dem Londoner Philharmonia Orchester scheint sich Karajan
in Tschaikowskys Welten wohl zu fühlen; einfühlsam, nicht sentimental, immer
das rechte Maß findend, könnte man die Aufnahme beschreiben. Wenn sie dann doch
nicht ganz oben auf dem Treppchen steht, ist es dem Klang der (von mir schon
mehrfach bemängelten) Oboe geschuldet, die sich oft in den Vordergrund spielt
und aus dem der Holzbläser herausfällt, im 4. Satz in den T. 59-65 klingt sie
wie ein Eisenbahn- Signalhorn! Für den 3. Satz hat der Maestro noch nicht das
richtige Händchen. Das Klangbild ist noch etwas flach, jedoch noch hinreichend
transparent. Karajans nächste Aufnahme der 5., jetzt mit seinen Berlinern,
besticht durch einen wesentlich besseren Klang. Leider deckt der üppige
Streicherapparat an Höhepunkten (z. B. in Satz 1 T. 194 ff.) die Bläser, auch
das Blech, etwas zu. Im 2. Satz T. 142 ff. neigt der Dirigent zu einem
Breitwandsound, insgesamt zeigt Karajan hier mehr Gefühle als früher. Vier
Jahre später ging er mit der 5. und seinen BPh erneut ins Studio, diesmal für
die DGG. Die Aufnahme zeigt nun einen Mischklang, vor allem in den
Tuttipartien, die Musik bekommt weichere Konturen und klingt oberstimmenbetont,
der Klang verliert dabei jedoch an Deutlichkeit. Schöne Stellen werden
ausgekostet, insgesamt klingt die Musik jetzt mehr nach Karajan als nach
Tschaikowsky. Seine letzte Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern geht
klangästhetisch wieder einen Schritt zurück: die Musik klingt wieder herber,
besitzt mehr Konturen und ist eher der Partitur verpflichtet. Das Blech der WPh
klingt offener als das der BPh. In allen vier Aufnahmen geht die Musik im 2.
Satz etwas schleppend voran. Für mich ist trotz der Einschränkungen die
Aufnahme von 1971 hier erste Wahl. Die DGG-Aufnahme von 1965 kenne ich nicht.
Georg Solti
Von Solti liegen mir
zwei Einspielungen vor, seine letzte Studioproduktion (bereits zwei gingen in
LP-Zeiten voraus) sowie ein Konzertmitschnitt mit dem LSO von den Salzburger
Festspielen. Obwohl Tschaikowskys Musik Soltis Musizierhaltung entgegenkommt
(mächtige Klangentfaltung des vollen Orchesters, Aufbau von Höhepunkten, großer Sound,
gefühlvolle gesangliche Abschnitte), hält sich der ungarische Maestro im Zaum
und hütet sich in diesen Aufnahmen vor Übertreibungen. Er dirigiert die 5.
Sinfonie eher klassisch, was nicht heißen soll, dass er der Musik etwas
schuldig bliebe, im Gegenteil. Sowohl die lyrischen als auch die dramatischen
Abschnitte werden genau kalkuliert dargeboten, Solti hat nicht nur die Partitur sondern auch sein bekannt sanguinisches Temperament
im Griff. Hervorragend ist auch die klangtechnische Seite dieser CD. Beim
Salzburger Mitschnitt von 1987 lässt der Dirigent die Zügel ein wenig lockerer,
ohne seine vorher beobachteten Maximen zu vergessen. Die Tempi sind in allen
Sätzen etwas schneller, hier und da klingt die Musik auch ein wenig gelöster.
Das Klangbild ist transparent, das Orchester gut abgebildet, die Brillanz der
Studioproduktion wird jedoch nicht erreicht.
Sergiu Celibidache
Die Aufnahme der 5. Sinfonie
in e-Moll mit dem London Philharmonic Orchestra zählt zu den ganz wenigen
Studioproduktionen des rumänischen Maestros, sie lassen sich an einer Hand
abzählen. Sehr bekannt und geschätzt wurde sie von Sammlern wohl kaum,
entsprach sie doch in keiner Weise dem Tschaikowsky-Bild, das andere Dirigenten
von op. 64 entworfen hatten. In den ersten beiden Sätzen kommt die Musik kaum
vom Fleck, im Kopfsatz vermisst man einen Tempokontrast zwischen der sehr
langsamen Einleitung und dem folgenden Allegro con anima, erst später zieht
Celi das Tempo etwas an. Bei Dirigierschülern geradezu verpönt ist das
Schnellerwerden bei Crescendostellen und das Langsamerwerden beim folgenden
Diminiendo, Celibidache setzt es wider die Regel mehrmals ein. Der 2. Satz wird
als Adagio zelebriert, fast wie gefroren erklingt hier die Musik. Auffallend
die nun abrupten Tempiwechsel vor Höhepunkten. Bei den Sätzen 3 und 4 sind die
Unterschiede geringer. Im Vergleich zu der noch etwas älteren Fricsay-Aufname
von 1949 weist die Decca-Platte ein sehr flaches Klangbild mit geringerer
Dynamik auf, die Musik klingt zu stumpf. Der EMI-Konzern bietet einen von Celi
nicht autorisierten Konzertmitschnitt mit den Münchner Philharmonikern an. Im
Vergleich zur Decca-Platte sind die klanglichen Verhältnisse nun fabelhaft zu
nennen, die Musik kommt plastisch aus den Lautsprechern. Das ist jedoch das
einzig Positive, was über die CD zu vermelden ist. Die Tempi sind insgesamt
noch langsamer geworden, auch in Satz 3 (weniger) und 4. Im zweiten Satz
verselbständigen sich die Akkorde in den ersten acht Takten, ohne erkennbaren
Bezug auf das nun Folgende. Ein kleiner Lichtblick sind die geradezu
expressionistisch ausgefallenen Takte 33-38. Ich sehe auch bei dieser CD
insgesamt keinen Gewinn für die Tschaikowsky-Diskografie.
Ferenc Fricsay
Fricsays erste
Plattenaufnahme fand 1949 in der Berliner Jesus-Christus-Kirche statt und war
gleich zu Beginn seiner Karriere als Schallplattendirigent ein großer Wurf,
blieb auch zu Recht lange Jahre im Katalog der DGG. Die Aufnahme klingt auch
nach mehr als 60 Jahren immer noch erstaunlich gut. Fricsay führt die Berliner
Philharmoniker noch straffer durch die Partitur als Mrawinsky sein Orchester.
Der 2. Satz wird hier sehr geschmeidig gespielt, wie selbstverständlich,
Tempowechsel fallen kaum auf. Bei Fricsay hat man den Eindruck, als wenn dieser
Satz die Blaupause für den Schlusssatz der Pathetique sei. Der Finalsatz ist der Höhepunkt
der Aufnahme: sehr lebendig, energiegeladen, die Melodieverläufe werden immer
sehr deutlich herausgestellt. Das lässt sich auch bei den fff-Einsätzen der Celli und Kontrabässe in den Takten 234 und 250
hören, die in vielen Aufnahmen wenig beachtet werden. Die beiden anderen
Interpretationen Fricsays wurden im Konzertsaal mitgeschnitten. 1955 in Wien
mit den Symphonikern und zwei Jahre später in Berlin mit seinem
Radio-Sinfonie-Orchester. Letztere Aufnahme ziehe ich wegen der etwas größeren
Deutlichkeit des Musizierens so wie dem besseren Klangbild dem Wiener
Mitschnitt vor. Inzwischen hat sich ein Auffassungswandel vollzogen: bereits
1955 nimmt er die langsame Einleitung des Kopfsatzes deutlich langsamer und
nachdenklicher, das verstärkt sich in der RSO-Aufnahme noch einmal, hier
klingen die Takte noch tragischer, auswegloser. Auch im 3. Satz setzt er in den
live-Mitschnitten den B-Teil etwas mehr von den A-Teilen ab.
Leonard Bernstein
Bernstein dirigiert Tschaikowskys 5. aus dem
Bauch heraus, die schnellen Abschnitte in den Ecksätzen sind lebendiger denn je
zu erleben, jugendlich, locker, engagiert, jedoch auch etwas schnoddrig
burschikos. Dazu kommen die vielen auch unvermittelten Temposchwankungen, die
darauf hindeuten, dass ihm effektvolles Musizieren hier sehr angebracht
erscheint, im 2. Satz führt das in den T. 142 ff. zum Breitwandsound,
im Presto des Finales T. 504 ff. klingt dann die Musik wie entfesselt. Die
langsameren Abschnitte bleiben dagegen eher neutral. Soviel zur New Yorker
Studio-Produktion von 1960. 28 Jahre später hat Bernstein seine frühere
Auffassung nicht vergessen, lässt insgesamt jedoch kultivierter musizieren, die
Extreme werden nicht mehr so deutlich herausgestrichen, der Walzer wird nun
sinntreffender gestaltet. Die langsame Einleitung zum Finale lässt er
bedeutungsvoller spielen, das folgende Allegro ist nicht mehr ausschließlich
ein Schwelgen in Emotionen sondern ein pulsierendes
Musikstück, in das die Höhepunkte überzeugend eingebunden sind. Insgesamt
überzeugt mich diese Aufnahme, da sie nun an Souveränität im Umgang mit der
Partitur gewonnen hat, auch wenn die Tempi insgesamt langsamer geworden sind.
Seiji Ozawa
Warum die DGG den japanischen Maestro zweimal bei der
5. Sinfonie ins Aufnahmestudio gebeten hat, ist mir ein Rätsel. Er nimmt zur
Partitur kaum Stellung, die Musik kommt gefällig aus den Lautsprechern, aber
das ist doch etwas zu wenig. Ozawa vertraut eher auf die Qualität seiner beiden
Orchester, und die kann sich sehen lassen. Das Klangbild der jüngeren Berliner
Aufnahme ist der Bostoner überlegen, das äußert sich u. a. in der größeren
Präsenz der Holzbläser, die sich nur in lauten Tutti-Stellen dem Gesamtklang
einordnen. Was noch für die Berliner Philharmoniker-CD spricht, ist das etwas
schnellere Tempo, bei dem manche Stellen mit eine größeren
Stringenz aufwarten.
Auch in Zukunft werden immer wieder
Neuaufnahmen von Tschaikowskys 5. Sinfonie auf den Markt drängen, neue
Einsichten sind dabei kaum zu erwarten.
eingestellt am 20. 07. 13