Das Klassik-Prisma

 

 Bernd Stremmel

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Vier letzte Lieder

 

Frühling - September - Beim Schlafengehen - Im Abendrot 

Die Vier letzten Lieder komponierte Richard Strauss am Ende seines langen Komponistenlebens im Jahre 1948 als „Lieder für Sopran und Orchester.“ Sie sind nicht ganz seine letzten, es folgte noch ein allerletztes, „Malven“, Singstimme mit Klavier, für die von Strauss außerordentlich geschätzte Maria Jeritza komponiert und in Dankbarkeit und Verehrung zugedacht. Diese hat zu Lebzeiten einer Aufführung und Veröffentlichung nicht zugestimmt. Erst nach ihrem Tode, sie starb 1983 im hohen Alter von 83 Jahren, wurde Malven aus dem Nachlass veröffentlicht und von Jessye Norman zwei Jahre später von Philips zuerst eingespielt.

Die Themen der Gedichtvorlagen der vier letzten Lieder  stammen von Josef von Eichendorff und Hermann Hesse und kreisen um Tod und Abschied. Strauss hatte nicht von vornherein an eine zyklische Aufführung und damit auch an eine bestimmte Reihenfolge der Lieder gedacht. Bei der Uraufführung in London am 22. Mai 1950 sang Kirsten Flagstad, es spielte das  Philharmonia Orchester unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler. Testament hat 2007 den Mitschnitt dieses Konzerts , in dem auch noch Werke von Wagner erklangen, veröffentlicht.

Entstanden sind die Lieder in dieser Reihenfolge: Im Abendrot, Frühling, Beim Schlafengehen, September. Bei der Drucklegung 1950 erschienen sie allerdings in folgender Reihenfolge:  Frühling, September, Beim Schlafengehen, Im Abendrot. Furtwängler hielt sich jedoch nicht daran und ordnete die Lieder folgendermaßen: Beim Schlafengehen, September, Frühling, Im Abendrot. Ein Jahr nach der Uraufführung stellte Fritz Busch die neuen Lieder in Stockholm mit der Sopranistin Sena Jurinac vor unter Beibehaltung von Furtwänglers Anordnung. Ebenso Karl Böhm, als er 1953 mit Lisa della Casa den Zyklus für Decca einspielte sowie die jüngere Aufnahme mit Felicity Lott und Neeme Järvi. Bei der Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1958 tauschten Della Casa und Böhm die Lieder Frühlung und September. Beim Schwarzkopf/Karajan-Mitschnitt werden die Lieder in dieser Reihenfolge gesungen: Frühling, Beim Schlafengehen, Im Abendrot und September. Inzwischen hat es sich eingebürgert, die vier Lieder in der Reihenfolge der gedruckten Partitur vorzutragen.

Zu Mono-Zeiten, also bis etwa 1958, gab es nach meinen Recherchen, außer der genannten mit Lisa della Casa/Böhm, nur  eine Schallplattenaufnahme, und zwar mit Elisabeth Schwarzkopf, dem Philharmonia Orchester unter Leitung von Otto Ackermann. Der Jurinac/Busch Radio-Mitschnitt erschien 1989 zum erstenmal bei EMI. Im Stereo-Zeitalter wuchs dann nach und nach die Diskographie und heute vergeht fast kein Jahr, in dem nicht eine Neuveröffentlichung den Markt erreicht.

Die Liedkompositionen sind sehr atmosphärisch angelegt, darauf muss die Sängerin bei ihrem Vortag hinarbeiten. Sehr zum Gelingen trägt aber auch die kapellmeisterliche Behandlung des Orchesters bei, hier darf der Dirigent nicht in der Rolle des Nur-Begleiters verharren. Unzureichende oder schlechte Textdeutlichkeit der Sängerin führt zur Monotonie und letztlich zur Langweile. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch das richtige Tempo. Strauss hat das erste Lied mit Allegretto überschrieben, die restlichen Lieder jeweils mit Andante, d. h., dass das Lied „Frühling“ etwas schneller vorzutragen ist als die folgenden Gesänge. Keinesfalls sollen diese ins Adagio abgleiten, wie es bei Sängerinnen der jüngeren Generation oft zu beobachten ist. Vielleicht war Jessye Norman ihr Vorbild mit ihren langsamen Tempi. Diese Sängerin vermochte es, ihre Stimme zu formen und mit stupender Atemtechnik die Phrasen überzeugend zu spannen, aber das war doch eine Ausnahme! Auch stand ihr ein hellwach agierender Dirigent zur Seite. Es muss daran erinnert werden, dass jedes einzelne Lied als etwas in sich Zusammenhängendes dargeboten und nicht die vermeintliche Endzeitstimmung der drei letzten Lieder beschworen werden sollte. Ist es nicht ein Irrtum, so die langsamen Tempi zu begründen? Man sollte die vier Lieder keineswegs vom Ende des 4. Liedes her interpretieren.

In den Liedern „Frühling“ („…selige Gegenwart…“), „September“ („… müd gewordnen Augen zu.“) und „Beim Schlafengehn“ („…tief und tausendfach…“) gilt es langgezogene Koloraturen nicht nur durchzuhalten, sondern auch sinnhaft zu formen. Viele Interpretinnen ziehen es vor, vielleicht im Sinne der Deutlichkeit, nachzuatmen oder/und die Phrase umzuformen, so z. B. „…tausendfach und tausendfach...“. Netrebko singt drei Takt lang „tief“ und wechselt danach erst zu „tausendfach“.

 

Jurinac

Busch

Stockholmer Philharmoniker

EMI

1951

20‘30

5

live

Schwarzkopf

Ackermann

Philharmonia Orchestra London

EMI

1953

19‘16

5

 

Della Casa

Böhm

Wiener Philharmoniker

Decca

1953

18‘29

5

 

Norman

Masur

Gewandhausorchester Leipzig

Philips

1982

25‘20

5

große Stimme, emphatisches Singen, Vibrato könnte etwas geringer eingesetzt sein, langer Atem, Norman kann dabei ihre Stimme noch formen, ohne dass sie blass und konturlos wird, Atmosphäre!, daran haben auch Masur und das Orchester großen Anteil, langsame Tempi, aber keineswegs verschleppt, ohne Einbruch an Spannung

 

 

 

 

 

 

 

 

Janowitz

Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1973

22‘16

4-5

Janowitz weiß, wovon sie singt, jedoch nicht immer voll   textverständlich, Karajan lässt das Orchester aufblühen und holt viele Bläserdetails ans Licht, er weiß aber auch, wann  er  das Orchester zurücknehmen muss, Janowitz wird vom Orchester auf den Armen getragen, ihre Stimme klingt jedoch quasi exterritorial, etwas vom Orchester abgehoben, insgesamt moderate Tempi, Lied 1 kann man sich schneller vorstellen

Grümmer

Kraus, Richard

Berliner Sinfonie-Orchester

Gala

1970

17‘52

4-5

live – fließend, natürliches Singen, in den Höhen kaum angestrengt, beste Textverständlichkeit, konzentriert; es wird ganz deutlich, dass es sich um Lieder handelt, nicht um kleine Opernarien! Orchesterklang nicht sehr farbig, Kraus achtet darauf, dass seine Sängerin nicht in die Gefahr kommt zu forcieren

Goltz

Hollreiser

Pro Musica Orchester Wien

Vox

Preiser

1956

20‘27

4-5

im Vergleich zu Grümmer mehr opernhaft, leidenschaftlich, sehr gut geführte Stimme, langer Atem, gute Textverständlichkeit, tiefe Töne zu Beginn von „Frühling“ sehr deutlich, im Gegensatz zu E. Schwarzkopf; Goltz weiß, wovon sie singt; Hollreiser in bester Partnerschaft, überzeugende Tempi

Schwarzkopf

Szell

Radio-Sinfonie-Orchester Berlin

EMI

1965

22‘49

4-5

 

Kuhse

Neumann

Gewandhausorchester Leipzig

Eterna

Berlin Classics

1964

17‘49

4-5

ziemlich überzeugende Darstellung, gute Textverständlichkeit, angemessene Tempi

Isokoski

Janowski

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin

Ondine

2001

20‘51

4-5

warme, flexible Stimme, weicher Ansatz, ziemlich natürliches aber auch gestaltendes Singen, Janowski hervorragender Partner

Della Casa

Böhm

Wiener Philharmoniker

Orfeo

1958

19‘27

4-5

live

Nilsson

Segerstam

Schwedisches Rundfunk-Sinfonie-Orchester

Bluebell

1970

20‘06

4-5

live – große, klare und helle Stimme ziemlich erfolgreich auf lyrischen Pfaden, weicher Ansatz, wandlungsfähig, keine Höhenprobleme – Segerstam ist ein aufmerksamer Mitstreiter

Studer

Sinopoli

Sächsische Staatskapelle Dresden

DGG

1993

20‘49

4-5

Stimme wird in der Höhe eng, sonst ziemlich textverständlich, Sängerin und Dirigent machen sich die Partitur zu eigen und liefern eine stimmungsvolle, stellenweise eindringliche und impressionistische (Lied 1) Leistung

Flagstad

Furtwängler

Philharmonia Orchestra London

EMI

1950

20‘01

4-5

live – Mitschnitt der Uraufführung

Margiono

de Waart

Radio Philharmonisches Orchester Holland

Brilliant

1993

22‘30

4-5

Margiono ziemlich souverän und überzeugend, Margianos Timbre eignet sich gut für den visionären Abschiedscharakter der Lieder; sie gibt keine Primadonna (oder eine, die es gern wäre), sondern präsentiert sich als im Hintergrund bleibende, feinsinn interpretierende, stets der Musik dienende Künstlerin - de Waart jedoch weniger inspiriert, „Im Abendrot“ ziemlich langsam, ohne die Spannung wie bei Masur/Norman

Augér

Previn

Wiener Philharmoniker

Telarc

1988

22‘07

4-5

warmes Timbre, natürliches Singen, intensive Gestaltung; üppiges, farbenreiches Strauss-Orchester, an manchen pp-Stellen jedoch zu laut, die Augér bedrängend

Te Kanawa

Davis, Andrew

London Symphony  Orchestra

Sony

P 1979

21‘03

4-5

 

Söderstöm

Dorati

Royal Philharmonic Orchestra

BBCL

1976

20‘49

4-5

live – Liedcharakter getroffen, auch bei höchsten Tönen keine Probleme, große Bögen, Vibrato manchmal grenzwertig – sehr gute Partnerschaft mit Dorati

Mikolaj

Sollak

WDR Rundfunkorchester Köln

CPO

2009

21‘13

4-5

einigermaßen gute Textverständlichkeit; Solistin mit langem Atem, jedoch etwas begrenzter Höhe, nie zu lautes Orchester, Sollak aufmerksamer, differenzierender Begleiter, der der Solistin Raum zur Entfaltung ihrer Stimme lässt: Tempi bereits an der Schwelle der Langsamkeit, obwohl der Dirigent im Booklet vor langsamen Tempi warnt; bei etwas schnelleren Tempi hätte sich hier und da mehr Lockerheit eingestellt

 

 

 

 

 

 

 

 

Lott

Järvi, Neeme

Royal Scottish National Orchestra

Chandos

1986

20‘15

4

Lied 1 Lott dramatisiert den Text zu viel, nicht mehr natürlich, Lied 3 Lott setzt etwas langsamer ein als die Vorgabe des Orchesters, ruhig im Vortrag, Lied 4 Orchester wird nicht genug gefordert, Lott mit langem Atem

Schwarzkopf

Szell

Concertgebouw Orchester Amsterdam

APL

1964

19‘49

4

live

Mattila

Abbado

Berliner Philharmoniker

DGG

1998

22‘19

4

live – Textverständlichkeit nicht immer gegeben, bei hohen und exponierten Tönen zu viel Vibrato, stimmungsvolle Orchesterbegleitung

Te Kanawa

Solti

Wiener Philharmoniker

Decca

1990

19‘16

4

 

Pieczonka

Haider

Orchestre Philharmonique de Lille

Nightingale

P 1999

19‘16

4

helle Stimme, grenzwertiges Vibrato, Textverständlichkeit ist gegeben, angenehm sängerfreundliche Tempi; Haider nur Begleiter, der Orchester sehr zurückhält und wenig Profil entwickeln lässt

Stemme

Pappano

Covent Garden Orchestra

EMI

2006

20‘49

4

Stimme mehr ins Orchester eingebettet als in anderen Aufnahmen, ohne dass sie dabei gefährdet klingt, darüber wacht Pappano - im letzten Lied etwas zu viel Vibrato, meist textverständlich

Schwarzkopf

Kertesz

Berliner Philharmoniker

Orfeo

1962

19‘45

4

live

Tomowa-Sintow

Karajan

Berliner Philharmoniker

DGG

1985

19‘52

4

einigermaßen helle Stimme, in der Höhe etwas eng, mit etwas (zu) viel Vibrato, „September“: keine Spur vom Ende, lebendige Gestaltung, „Im Abendrot“: 1 vor Ziff. E Sängerin und Flöten nicht zusammen; Orchester freier, jedoch nicht immer so differenziert wir bei Janowitz

Arroyo

Wand

Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester

hänssler

1967

18‘54

4

live – nicht sehr wandlungsfähige Stimme, etwas fest, etwas weniger Vibrato wäre überzeugender, ziemlich textverständlich gesungen, gute Partnerschaft zwischen Arroyo und Wand, der die Partitur auflichtet und öffnet für sonst kaum zu hörende Details, z. B. in Lied 4 Bassklarinette und Kontrafagott vor „…der Tod?“, angemessene Tempi!

Price, Leontyne

Leinsdorf

New Philharmonia Orchestra

RCA

1973

19‘09

4

Price verfügt 1973 nicht mehr über die leichte Stimme der frühen 60ern, sie springt jetzt schwerer an, trifft aber weitgehend die Stimmung der Lieder, grenzwertiges Vibrato, herabgesetzte Textverständlichkeit, Vokalverfärbungen bei hohen und höchsten Tönen, partnerschaftliche Begleitung durch Leinsdorf

Kupper

Schnackenberg

Bremer Philharmoniker

Radio Bremen

1962

22‘07

4

live, unveröffentlicht – trotz langsamerer Tempi ( 4.Lied etwas schleppend) Stimme immer sicher geführt, große Textverständlichkeit

Popp

Haitink

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

Bayerischer Rundfunk

1985

18‘18

4

live - unveröffentlicht

Popp

Tennstedt

London Philharmonic Orchestra

EMI

1982

23‘44

4

 

Popp

Tilson Thomas

London Symphony Orchestra

RCA

1994

20‘27

4

 

Harteros

Luisi

Sächsische Staatskapelle Dresden

Sony

2007

20‘03

4

 

Harteros

Jansons

Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks

BR Klassik

2009

20‘56

4

live

Brewer

Runnicles

Atlanta Symphony Orchestra

Telarc

2006

20‘12

4

etwas feste Stimme, aber textverständlich, Vibrato in höchsten Lagen grenzwertig, schleppendes Tempo im letzten Lied, Runnicles mehr als nur solide

Schwarzkopf

Karajan

Philharmonia Orchestra London

EMI

1956

18‘41

4

live

Hendricks

Sawallisch

Philadelphia Orchestra

EMI

1994

19‘03

4

schmale Stimme, Textverständlichkeit nicht immer gegeben, da auch von zu viel Vibrato Gebrauch gemacht wird, Vokal „a“ fällt besonders in der Mittellage unschön heraus, Sawallisch ein gewohnt zuverlässiger Begleiter

Rothenberger

Previn

London Symphony Orchestra

EMI

1974

21‘12

4

R. singt ziemlich geradlinig, man hat den Eindruck ohne richtige Anteilnahme, Stimme wenig modulationsbereit, große Bögen werden zergliedert – Previn lässt das Orchester aufblühen, weiß aber auch genau, wo er es zurückhalten muss

 

 

 

 

 

 

 

 

Jurinac

Sargent

BBC Symphony Orchestra

BBCL

1961

19‘02

3-4

live

Fleming

Thielemann

Münchner Philharmoniker

Decca

2008

22’07

3-4

live

Eaglen

Runnicles

London Symphony Orchestra

Sony

1999

21’14

3-4

Eaglen muss sich nicht die Höhe für diese Lieder erkämpfen, Stimme ins Orchester eingebettet, nicht so langer Atem, singt oft unter Druck; Konsonaten im Anlaut werden oft übergangen, nicht immer textverständlich, geringere Differenzierung; Tempo des letzten Liedes zu zäh, im 5. Takt nach B sind Solistin und Hörner nicht ganz zusammen

 

 

 

 

 

 

 

 

Marton

Davis, Andrew

Toronto Symphony Orchestra

Sony

1985

18‘34

3

ausladende Stimme ab c‘‘, stark tremolierende Tongebung stellt sich gegen die Textverständlichkeit, die leisen Abschnitte gelingen besser, Marton bemüht sich um differenzierten Vortrag, stößt dabei jedoch immer wieder an ihre Grenzen, stellenweises Lispeln

Voigt

Masur

New York Philharmonic Orchestra

Teldec

1998

20‘05

3

live – nervendes Dauervibrato, Textfehler eins vor E in „Frühling“, Masur kann nichts mehr retten

Fleming

Eschenbach

Housten Symphony Orchestra

RCA

1996

24‘04

3

 

Röschmann

Nézet-Séguin

Rotterdam Philharmonic Orchestra

BIS

2010

21‘15

3

Lied 1 Stimme in hoher Lage angestrengt, flattrig, eng und wenig textverständlich, Lied 2 Phrase „Der Sommer …..entgegen“ wird nach „still“ unterbrochen, helle, wenig wandlungsfähige Stimme, immer kleine Abschnitte, keine richtigen Zusammenhänge, Stimmverfärbungen, Lied 4 verschleppt – Dirigent und Orchester zeigen geringe Inspiration

Kaune

Oue

NDR Radiophilharmonie Hannover

Berlin Classics

2004

22‘36

3

Kaunes Stimme nach vorn gezogen, in höchsten Lagen viel Vibrato, sonst einigermaßen textverständlich, das Orchester klingt zu träge, die einzelnen Lieder schleppen sich dahin, hier wäre der Dirigent gefordert, Oue gibt jedoch kaum Impulse

 

 

 

 

 

 

 

 

Krieger

Förster

Berliner Symphoniker

Brilliant

2007

21‘31

2-3

bei hohen und höchsten Tönen eng, etwas bessere Textverständlichkeit als Merbeth, schleppende Tempi, die Musik verliert den Zusammenhang, keine Gestaltung seitens des Dirigenten spürbar

Merbeth

Halász

Staatskapelle Weimar

Naxos

2006

22‘46

2-3

Dauervibrato, geringe Variabilität bei der Stimmführung, kaum dynamische Differenzierung, geringe Textverständlichkeit, längere Phrasen (langsame Tempi) werden unterbrochen, die Lieder besitzen keine Konturen, sie schleppen sich dahin, breit, unbeweglich, zäh, von Halász gehen kaum Impulse aus, nur Begleiter, Lied 3: eins vor C Horn 1 fehlt der runde Ton, Lied 4: Pauke zu Beginn ein wenig zu spät

Netrebko

Barenboim

Staatskapelle Berlin

DGG

2014

21‘43

2-3

live – üppiges Vibrato, geringe Textverständlichkeit in den ersten beiden Liedern, wenig modulationsfähige Stimme, Stimme immer im Vordergrund; an einigen Stellen wird mehr skandiert als gesungen, unnötiges Forcieren in Lied 3 bei „und die Seele unbewacht“; man hat den Eindruck, dass Netrebko nicht richtig verstanden hat, was sie singt, sonst würde sie in Lied 4 nach „stiller Friede“ das folgende „so tief im Abendrot“ nicht so laut auf Kosten der Stimmung hervorheben; ähnlich am Ende von Lied 3, hier wird das ausklingende „zu leben“ unnötig hervorgehoben – Barenboim lässt die Staatskapelle leider größtenteils al fresco aufspielen, erst am Ende des letzten Liedes erklingt die Musik geformter; warum diese CD? Viele Musikfreunde sehen dies gewiss anders.

 

nur Lieder 2 – 4:

Flagstad

Sebastian

Orchester der Städtischen Oper Berlin

audite

1952

18‘21

3-4

live

 

Hinweise zu Sängerinnen, Dirigenten und Interpretationen:

Kirsten Flagstad

Auf Wunsch von Richard Strauss sollte die Flagstad die Uraufführung der Vier letzten Lieder übernehmen, die dann ein Jahr nach Tod des Komponisten mit Wilhelm Furtwängler am Pult des noch jungen Philharmonia Orchesters in London stattfand. Die überragende Wagnersängerin Flagstad verfügte über eine warme, jedoch nicht über die leichte, duftig klingende Stimme, die in Strauss-Partien angesagt sind. Insofern war sie keinesfalls eine Idealbesetzung für die Vier letzten Lieder. Darüber hinaus schaffte ihr die Höhe im „Frühling“ Probleme. Nach der Uraufführung hat sie die Lieder noch einige Male aufgeführt, so z. B. in Berlin 1952, dabei verzichtete sie jedoch auf dieses Lied. Furtwängler ist nicht nur Begleiter, sondern legt großes Gewicht auf die Gestaltung des Orchersterparts, den „Frühling“ legt er sehr dramatisch an, drängt nach vorn, die beiden nächsten Lieder werden dagegen langsamer genommen, „Im Abendrot“ sogar schleppend gespielt. Um die akustische Seite sieht es nicht gut aus, der historische Klang der Acetatplatten hat wenig Transparenz, eine herabgesetzte Trennschärfe und weist einige Verzerrungen auf. Klanglich viel besser erhalten ist dagegen der Mitschnitt aus Berlin, Georges Sebastian stand am Pult des Orchesters der Städtischen Oper Berlin. Künstlerisch jedoch kann sie mit der Uraufführung nicht mithalten. Die drei Lieder werden langsam gesungen, wie zelebriert, im „Abendrot“ sogar verschleppt. Flagstads Stimme ist schwer geworden, wenig beweglich, außerdem unterlaufen ihr Abweichungen beim Text. Der Sinn dieser Veröffentlichung ist fraglich.

Elisabeth Schwarzkopf

Bis heute gilt diese Sopranistin bei vielen Musikfreunden als ideale Interpretin der Vier letzten Lieder. Sie denken da vor allem an die EMI-Studio-Produktion mit George Szell. Dass Schwarzkopf bereits zwölf Jahre zuvor schon einmal mit diesen Liedern im Studio war, Partner waren damals das noch junge Londoner Philharmonia Orchestra und der heute kaum noch bekannte Dirigent Otto Ackermann, wissen die wenigsten. Neben diesen kommerziellen Aufnahmen sind weitere Konzertmitschnitte veröffentlicht worden. Der erste entstand drei Jahre nach Ackermann mit demselben Orchester unter Leitung des damaligen Chefdirigenten Herbert von Karajan wiederum in London. Der Produzent Walter Legge dachte dabei an eine Veröffentlichung, seine gerade frisch angetraute E. Schwarzkopf war jedoch dagegen, da sie ihren hohen Qualitätsansprüchen nicht genügte. Erst 1990 gab sie die Aufnahme frei. Bevor Schwarzkopf und Szell zusammen ins Studio gingen, musizierten sie die Vier letzten Lieder zumindest einmal auch im Konzertsaal, ein Mitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw ein Jahr zuvor liegt vor. Geht man noch einmal zwei Jahre zurück, so trifft man die Solistin in Salzburg mit den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Istvan Kertesz, dessen Dirigentenstern damals gerade aufgeht. Die Auswahl an Interpretationen mit der Schwarzkopf, die für viele die ideale Strauss-Sängerin verkörpert(e), ist also groß. Beim Vergleich von Lied zu Lied stellt sich für mich folgendes dar: Als ideal im Sinne von einzigartig, alles überragend kann ich ihren Gesang nicht bezeichnen. Sie verfügt zwar einerseits über eine leichte Stimme, die auch in hohen Lagen nicht überanstrengt klingt, anderseits stören ihre immer wieder zu beobachtenden Vokalverfärbungen und Undeutlichkeiten. Davon sind ihre Live-Auftritte mehr betroffen als die Studio-Produktionen. Szell wird in Amsterdam gewiss nicht voll zufrieden mit Schwarzkopfs Klangproduktion gewesen sein und vor der Berliner Aufnahme mit ihr intensiv gearbeitet haben, was auf der EMI-Platte nachzuhören ist. Auffallend ist bei dieser gut klingenden Platte das deutlich langsamere Tempo. Trotzdem bricht die Spannung nicht ein. Szell war ein versierter Strauss-Dirigent, in seiner Jugendzeit erlernte er an der Berliner Staatsoper unter den Augen des Direktors Strauss sein Dirigentenhandwerk. Wie auch sein Mentor war er kein Tausendsassa am Pult, sondern eher sachbezogen, kontrolliert und präsentierte seine Gefühle nicht auf einem Silbertablett, konnte aber im richtigen Augenblick die jeweilige Musik überzeugend und manchmal unübertroffen darstellen.

Überzeugender noch als Szell ist bei den Vier letzten Liedern der erfahrene Kapellmeister Otto Ackermann, den man leider nur sehr wenig ins Studio holte. Bei der ersten Takten hat man das Gefühl: der weiß, wie man so etwas spielt! Er hat die Musik im Griff und dirigiert nicht hinter ihr her. Beim Vergleich zu jüngeren und jüngsten Aufnahmen kann man seine sinnfälligen Tempi, die auf die Sängerin abgestimmt sind, nur hochloben. Schwarzkopf geht genau auf den Text ein, singt mit langem Atem und wenigen Vokalverfärbungen. Beim Lied „Beim Schlafengehen“ (um den Buchstaben G) erlaubt es ihr ihre Atemtechnik, an der Stelle „…tief und tausendfach…“ den Fluss der Melodie nicht durch Zwischenatmen zu unterbrechen, übrigens auch bei Szell-Berlin. Diese Platte ist für mich ihre gültigste Aufnahme. Die Klangtechnik war damals bereits auf hohem Niveau. Der Konzertmitschnitt mit Karajan überrascht zunächst durch eine Umstellung der Reihenfolge: 1, 3, 4 und 2. Bei der Darstellung der Lieder 1 und 3 fällt auf, das der Dirigent die Zügel etwas locker lässt, als wenn er vom Niveau der Musik nicht ganz überzeugt wäre, sie klingt da etwas kühl und nüchtern. Parallel dazu bringt die Schwarzkopf im „September“ zwei vor Ziffer G das „-gen“ von „Augen“ bereits auf Zählzeit eins statt auf drei. Am besten scheint mir hier „Im Abendrot“ gelungen. Der Salzburger Mitschnitt mit Kertesz bietet einige schöne Momente. Man gewinnt aber den Eindruck, als wenn der Dirigent seiner Solistin nicht die Schau stehlen wollte, zu sehr nimmt er sein Orchester stellenweise zurück, die Inspiration hält sich in Grenzen. Die Sängerin kann nicht verbergen, dass ihr der Anfang des ersten Liedes „In dämmrigen Grüften…“ zu tief liegt. Im Lied 3 hört man von Schwarzkopf bei Ziffer G nur eine Vokalise.

Lisa Della Casa

Von Lisa Della Casa liegen zwei Aufnahmen vor, die Studio-Produktion aus dem Jahre 1953 sowie ein Mitschnitt der Salzburger Festspiele fünf Jahre später, Karl Böhm dirigierte jeweils die Wiener Philharmoniker.  Die Sängerin pflegte ein natürliches Singen, ungekünstelt, klar, locker und leicht, die Höhen werden nicht gedrückt, ziemlich textverständlich, jedoch besitzt ihre Stimme eine etwas geringe Wärme. Böhm  begleitet aufmerksam, insgesamt jedoch wäre eine größere dynamische Differenzierung noch von Vorteil gewesen, Böhm dirigiert mehr die große Linie. Der Salzburger Mitschnitt entstand ein Tag nach einer gefeierten Arabella-Vorstellung, in der Della Casa die Hauptrolle sang, die Stimme der Sängerin war also nicht  optimal ausgeruht. Wie oben bereits erwähnt, wählte man jetzt diese Reihenfolge: Beim Schlafengehen, Frühling, September, Abendrot. Della Casas Stimme zeigt noch ihre alten Qualitäten, nach fünf Jahren scheint sie mir etwas fester geworden zu sein. Im Lied „Frühling“ atmet sie bei der Koloratur „… Gegenwart“ nicht nach dem 2. Takt nach, wie auch andere Sängerinnen, z. B. Grümmer,  von der Goltz, Te Kanawa, sondern zwei Zählzeiten später. Beim Lied „Beim Schlafengehen“ lässt Böhm in der Salzburger Aufnahme entgegen der Partitur anfangs nur wenige Pulte spielen, was dieser Stelle gut ansteht. Beim letzten Lied nehmen Böhm/Della Casa beim Eintritt der Stimme das Tempo jetzt zurück. Der Klang der Rundfunkaufnahme ist etwas entfernter als früher.

Sena Jurinac

Die Jurinac brachte stimmlich alle Voraussetzungen für eine Strauss-Sängerin mit: leichter Ansatz, locker geführte Stimme, Wandlungsfähigkeit und sichere Höhe. Alles das kann man in dem leider akustisch wenig optimal  erhaltenen Mitschnitt aus Stockholm mit ihrem damaligen Mentor Fritz Busch am Pult erleben. Dieser Klangmagier drückt der Interpretation seinen entscheidenden Stempel auf, hören Sie nur einmal das zweite Lied „September“! Welche eine Ruhe strahlt „Beim Schlafengehen“ aus! Im Vergleich zu dieser Jahrhundertinterpretation fällt die 10 Jahre später in London mitgeschnittene Aufnahme, Sir Malcolm Sargent stand am Pult, doch recht matt aus. Jurinacs sängerische Tugenden sind noch zu erleben, ihre Stimme ist jedoch schwerer geworden und die Textverständlichkeit herabgesetzt. Im Lied „September“ fehlt ihr die Natürlichkeit. Man hat den Eindruck, als liefere sie eine Kunstleistung ab, ohne sich sehr auf den Text und seine Aussage einzulassen. Sargent hat nicht das Kaliber eines Busch und macht es ihr nicht leicht durch stellenweise zu lautes Orchesterspiel.

Kiri Te Kanawa

Te Kanawa hat den Zyklus zweimal eingespielt: für CBS mit dem LSO unter Leitung von Andrew Davis, dann mehr als zehn Jahre später mit Georg Solti am Pult der Wiener Philharmoniker. Die ältere Aufnahme überzeugt mehr, da sie, abgesehen vom Finalsatz, einfach lebendiger gestaltet ist. Daran hat auch Andrew Davis seinen Anteil. Auch bei Solti ist Te Kanawas Stimme hervorragend geführt, klingt hier jedoch etwas gekünstelt, man hört Schöngesang. Solti nimmt sein Temperament an die Kandare und lässt das Orchester gepflegt aufspielen.

Lucia Popp

Zeitlebens war Lucia Popp vor allem als Opernsängerin hoch geschätzt. Vielleicht lag dies begründet in ihrer Ausstrahlung und hervorragender Bühnenpräsenz sowie ihrer Liebenswürdigkeit im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen sowie ihren Dirigenten. Ihre stimmlichen Qualitäten können da meines Erachtens nicht mithalten. Ihr etwas eigenartiger Gesang ist uneben, zerbrechlich, in der Höhe eng, kehlig und hohl, was leicht zur Einförmigkeit führt. Die deutsche Aussprache ist keinesfalls makellos (ch, leichtes Lispeln), auch fallen immer wieder Stimmverfärbungen auf, die auch ihre Textverständlichkeit mindern. Mit keiner der drei hier aufgeführten Aufnahmen bin ich glücklich. Am besten gefällt mir ihr Gesang beim  Rundfunkmitschnitt mit Bernard Haitink, obwohl dieser etwas prosaisch nüchtern agiert. Tennstedt und Popp treffen das erste Lied „Im Frühling“ überzeugend, mit Blick auf die Endzeitstimmung in den folgenden Liedern dehnt der Dirigent jetzt die Tempi zu sehr. Immerhin kann der Schluss des zweiten Liedes gefallen. In Partnerschaft mit Michael Tilson Thomas und dem Londoner Konkurrenz-Orchester zehn Jahre später singt die Popp leider etwas affektiert, die Stimme klingt in der Höhe angestrengt, auch sonst steht sie meist unter Druck. „Beim Schlafengehen“ wird zu langsam genommen, die Musik droht zu zerfallen. Der Dirigent bleibt insgesamt pauschal, auch auftrumpfend.

Renée Fleming

Beide Aufnahmen der Vier letzten Lieder leiden unter sehr langsamen Tempi, wobei Thielemann nicht die Extreme wie Eschenbach erreicht. Bei letzterem hört man von Lied zu Lied nachlassende Tempi, zuletzt bleierne Schwere, die Musik schleppt sich da nur so hin und wirkt wie abgewürgt. Fleming singt hier mit viel Vibrato und Druck, kein Wunder, wenn ihre Stimme wenig Farben zeigt. Von Pult gehen kaum Impulse aus. Das bessert sich bei Thielemann, aber auch er bremst ab „Im September“ nach und nach das Tempo. Fleming kann durch eine - trotz fester Stimme - natürlichere Tongebung mit weniger Vibrato mehr überzeugen. Ihr Gesang hat nun Zusammenhang. Besonders im ersten Lied zeigt sich Thielemanns Strauss-Erfahrung.

Anja Harteros

Auch bei Anja Harteros kann der Musikfreund unter zwei Aufnahmen auswählen, die in zeitlicher Nähe entstanden. Harteros geht auf die Vorlagen ein und lässt ihre Gestaltungskraft spüren. Sie bemüht sich auch um genaues textverständliches Singen, jedoch bleibt der Ausdruck hier und da etwas blass. Fabio Luisi achtet darauf, dass die Staatskapelle die Solistin nicht in Bedrängnis bringt. Mit dem Anfang des letzten Liedes scheint er wenig anfangen zu können, die Musik tritt etwas auf der Stelle. Mariss Jansons zeigt kaum ein Mehr an Inspiration als sein italienischer Kollege, beide sind solide Begleiter. Harteros hält Jansons schleppendes Tempo im letzten Lied souverän durch.

eingestellt am 09.09.2014

ergänzt am 06.04.2015

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