Das Klassik-Prisma |
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Bernd Stremmel |
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Carl Maria von Weber
Ouvertüre zu "Der Freischütz"
Webers Ouvertüre zum „Freischütz" ist dem Genre der damals so beliebten Potpourri-Ouvertüre zuzurechnen: Zur Einstimmung auf das Bühnenwerk werden bekannte Themen oder Melodien aus der betreffenden Oper wirkungsvoll zusammengestellt. Weber verwendet hauptsächlich Material aus der Arie des Max aus dem 1. Akt („Hat denn der Himmel mich verlassen": 3 Paukenschläge und „Doch mich umgarnen finstre Mächte") sowie der Arie der Agathe aus dem 2. Akt („Himmel nimm des Dankes Zähren", diese Melodie findet sich nochmals im Finale, diesmal mit dem unterlegten Text „Der rein ist von Herzen und schuldlos von Leben"). Verbindend dazwischen Teile aus der Wolfsschlucht-Musik („Das wilde Heer"), die wiederum eine Motivkette aus Kaspars Arie aus dem 1. Akt aufgreift („Umgebt ihn, ihr Geister").
Die Ouvertüre wird eröffnet mit einer dreiteiligen langsamen Einleitung, in deren Mitte die schönen Hörnerklänge ertönen und an ihrem Ende sich schon mit den drei Paukenschlägen und den tremolierenden Streichern die Katastrophe ankündigt. Zu Beginn hören wir jedoch die Streicher, von Holzbläsern unterstützt, die sich unisono in einem crescendo vom pp zum f eine Oktave nach oben heben, um anschließend wieder zusammenzufallen. Das dauert vier Takte und wird dann nochmals anstatt von c ausgehend, nun von g aus wiederholt.
Diese acht Takte sollten keinesfalls zu gewichtig genommen werden, sie sind nur Einleitung, sie dürfen nicht mit vermeintlicher Gedankentiefe überfrachtet werden und sollten im Tempo konstant bleiben. Fritz Busch spielt das richtig, alles kommt wie selbstverständlich, auch die Holzbläser, die fast immer vom großen Streicherapparat zugedeckt werden, dürfen sich hören lassen (auch bei Beecham 37). Warum Sawallisch nach dem Crescendo zwischen T. 1 und 2, bzw. zwischen T. 5/6, also zwischen tiefem und hohem c bzw. g eine kleine Zäsur macht, bleibt mir unverständlich, damit bremst er die aufgestaute Spannung wieder ab. Beim früh verstorbenen Thomas Schippers stimmt das Metrum nicht, bei Skrowaczewski die Lautstärkeproportionen.
Nach diesen ersten Takten führen uns die vier Hörner in den deutschen Wald. In vielen Aufnahmen hat sie die Klangtechnik leider etwas in den Hintergrund verbannt, oder die vier Stimmen heben sich nicht voneinander ab (Toscanini 45, Pletnjew, Karajan 60 und 71). Gut abgebildet ist das Hornquartett z. B. bei Sinopoli und Davis. Der letzte Teil der Einleitung T. 25-36 gehört den Celli, die sich über pochenden Pauken und zupfenden Kontrabässen sowie an- und abschwellenden Streicher-Tremoli in Szene setzen dürfen. Dazu tritt noch der unheimliche Klang der tiefen Klarinetten, der jedoch bei den meisten Aufnahmen unter die Notenpulte fällt! Obwohl C. M. von Weber in die Paukenstimme Solo geschrieben hat, um damit die Wichtigkeit dieses Instruments an dieser Stelle zu unterstreichen, lassen viele Dirigenten zu, dass die Kontrabässe die Pauke zudecken. Sehr deutlich folgen Sawallisch, Skrowaczewski und Kuhn des Komponisten Anweisung. In den Celli wechseln sich Halbe (bzw. punktierte H.) mit zwei punktierten Achteln ab. Die meisten Dirigenten vertrauen nicht Webers Vorstellungen und scheinen zu glauben, man müsse durch Dehnen der punktierten Achtel die romantische Stimmung zum Kochen bringen: Karajan, Schippers, Mengelberg, Pletnjew. Eine ähnliche Stelle folgt im Allegro: nach dem dreimaligen Hörnerruf T. 93 ff. spielt die Klarinette ein Solo, dass auf Maxens Gesang „O dringt kein Strahl durch diese Nächte" basiert. Diese Passage sollte der Spieler im Metrum spielen, nicht rubato! Karajan 60, Schippers und Davis waren bei der Aufnahme anderer Meinung.
Noch zwei Hinweise auf das
Finale. In den Takten 328 bis 331 verstärken einige Dirigenten die Holzbläser
wirkungsvoll mit Hörnern (Szell, C. Kleiber und Davis). Skrowaczewki
lässt im drittletzten Takt die Celli und Kontrabässe eine Ganze Note
spielen, nicht wie alle anderen eine Halbe Note.
5 |
Fritz Busch |
Dänisches - Radio Sinfonie-Orchester |
Danacord EMI |
1948 |
9‘18 |
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alles
läuft wie selbstverständlich, Weber pur |
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5 |
Bruno Walter |
Los Angeles Philharmonic Orchestra |
History |
1950 |
9‘05 |
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live
– lebendig, vitale Darstellung eines 74-jährigen |
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5 |
Carlos Kleiber |
SDR Symphonie-Orchester Stuttgart |
SDR-Aufnahme, als DVD erhältlich |
1970 |
10‘01 |
|
organisches Musizieren unter
höchster Spannung, Schluss in maßvollem Tempo |
||||
5 |
Carlos Kleiber |
Staatskapelle Dresden |
DGG |
1973 |
9‘40 |
|
aus Gesamtaufnahme – vital, pointiert, Klang immer schlank und durchsichtig, am Schluss strahlendes C-Dur |
||||
5 |
George Szell |
New York Philharmonic Orchestra |
CBS UA |
1952 |
9‘06 |
|
zielgerichtet, kontrolliert, durchsichtig, schlank, tempokonstant, plastisch, Details beachtend |
||||
5 |
Thomas Beecham |
London Philharmonic Orchestra |
EMI History |
1937 |
9‘10 |
|
vital, für die Aufnahmezeit erstaunlich durchsichtig |
||||
5 |
Wilhelm Furtwängler |
Berliner Philharmoniker |
Polydor/DGG |
1935 |
9‘49 |
|
älteste der Furtwängler-Aufnahmen, sie steht Weber am nächsten |
||||
Arturo
Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
RCA |
1945 |
9‘10 |
|
|
packende Darstellung, T. 181-190 deutlich und drängend, Abstriche bei Hörnern |
||||
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4-5 |
Wilhelm Furtwängler |
Wiener Philharmoniker |
EMI |
1954 |
10‘38 |
|
stellenweise etwas vorsichtig |
||||
4-5 |
Arturo Toscanini |
NBC Symphony Orchestra |
RCA |
1952 |
9‘55 |
|
Hörner
etwas besser eingefangen |
||||
4-5 |
Thomas Beecham |
London Philharmonic Orchestra |
EMI |
1935 |
9‘23 |
|
live – dramatische Darstellung |
||||
4-5 |
Fritz Lehmann |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1952 |
9‘40 |
|
das Düstere, Magische, Dramatische und jubelnd Helle
gleichermaßen überzeugend nachgebildet, etwas kompakter Klang |
||||
4-5 |
Joseph Keilberth |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1958 |
9‘02 |
|
aus Gesamtaufnahme, Streicher mit etwas breitem Strich, nicht so differenziert, insgesamt geschmeidiger als die frühere Aufnahme, Schluss noch lebendiger als bei Lehmann |
||||
4-5 |
Erich Kleiber |
Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester |
Koch/Schwann |
1955 |
10‘09 |
|
aus Gesamtaufnahme, liebevolle Gestaltung, romantisch, vital, maßvolle Temporücknahme beim Agathen-Thema T. 122 ff. |
||||
4-5 |
Guiseppe Sinopoli |
Staatskapelle Dresden |
DGG |
1995 |
9‘12 |
|
Tutti-Klang
hätte noch etwas schlanker ausfallen können |
||||
4-5 |
Gustav Kuhn |
Staatskapelle Dresden |
Capriccio |
1985 |
9‘59 |
|
plastisches Musizieren |
||||
4-5 |
Eugen Jochum |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
DGG |
1960 |
9‘45 |
|
aus
Gesamtaufnahme, lebendige Darstellung, sehr schöne Tremoli T. 25 ff. |
||||
4-5 |
Willem van Otterloo |
Residenz Orchester Den Haag |
Philips
Challenge |
1951 |
8‘41 |
|
E Hornstelle
Oberstimmen-betont, sehr schneller Allegro-Teil, insgesamt sehr lebendig,
auch das Finale; für die Zeit der Aufnahme erstaunlich transparent |
||||
4-5 |
Rafael Kubelik |
Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks |
DGG |
1964 |
10‘01 |
|
romantische
Darstellung, wenige Rubati |
||||
4-5 |
Ernest Ansermet |
Orchestre de la Suisse Romande |
Decca |
1958 |
8‘59 |
|
sehr schlank musiziert, absolute Musik |
||||
|
|||||
4 |
Wilhelm Furtwängler |
Berliner Philharmoniker |
DGG audite |
1952 |
11‘12 |
|
live – breit ausladend, jedoch nicht fett, T. 31 auf 3 Viertel verkürzt |
||||
4 |
Wilhelm Furtwängler |
Berliner Philharmoniker |
DGG BP Media |
1944 |
10‘47 |
|
live
– furioser Schluss |
||||
4 |
Leonard Bernstein |
New York Philharmonic Orchestra |
Sony |
1963 |
10‘27 |
|
opulenter
Klang, ein wenig schlanker, dafür jedoch etwas schneller, wäre besser |
||||
4 |
Otto Klemperer |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1960 |
9‘32 |
|
gewichtiges, jedoch nicht schwerfälliges Musizieren, Schluss könnte etwas schneller sein |
||||
4 |
Wolfgang Sawallisch |
Philharmonia Orchestra London |
EMI |
1958 |
9‘47 |
|
etwas plakativ, spitze Philharmonia-Oboe! |
||||
4 |
Otto Ackermann |
Wiener Philharmoniker |
Decca Preiser |
1951 |
10‘20 |
|
aus
Gesamtaufnahme, gute musikalische Gestaltung, helles und flächiges Klangbild,
wie es uns in frühen Decca-Aufnahmen immer wieder begegnet, etwas rau |
||||
4 |
Colin Davis |
Staatskapelle Dresden |
RCA |
1990 |
10‘39 |
|
aus
Gesamtaufnahme, guter Klang, saftiger als Sinopoli mit demselben Orchester |
||||
4 |
Wilhelm Furtwängler |
Wiener Philharmoniker |
WFG Walhall |
1954 |
10‘55 |
|
live - aus Gesamtaufnahme Salzburg, Anfang verhustet |
||||
4 |
Stanislaw Skrowaczewski |
Hallé Orchestra |
IMP |
P 1994 |
10‘23 |
|
insgesamt sorgfältig, T. 25-36 plastische Pizz. im Kb. |
||||
4 |
Antal Dorati |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
Philips |
P 1960 |
9‘02 |
|
schlank, nur schnell raus aus dem Wald! |
||||
4 |
Lovro von Matacic |
Orchester der Deutschen Oper Berlin |
Eurodisc |
1967 |
9‘56 |
|
aus Gesamtaufnahme, man ist zufrieden, auch wenn man mehr hätte erwarten können |
||||
4 |
Robert Heger |
Bayerisches Staatsorchester |
EMI |
1969 |
9‘49 |
|
aus Gesamtaufnahme, Hauptteil könnte etwas schneller sein |
||||
4 |
Herbert von Karajan |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
DGG |
1943 |
10‘04 |
|
▼ |
||||
4 |
Herbert
von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
EMI |
1960 |
10‘23 |
|
▼ |
||||
4 |
Herbert
von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1981 |
10‘28 |
|
▼ |
||||
4 |
Herbert von Karajan |
Berliner Philharmoniker |
DGG |
1971 |
10‘30 |
|
artifizieller geht’s nimmer |
||||
Carlo
Maria Giulini |
New Philharmonia Orchestra |
BBCL |
1970 |
10‘35 |
|
|
live – zurückgenommenes Tempo, streicherbetont, wenig aufgefächerter Klang |
||||
4 |
Mikhail
Pletnjew |
Russisches National Orchester |
DGG |
1996 |
11‘16 |
|
langsamste Aufnahme, Mittelteil
insgesamt zu bedächtig |
||||
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|||||
3-4 |
Joseph Keilberth |
Bamberger Symphoniker |
Telrfunken Warner |
1953 |
9‘00 |
|
Crescendo in T. 1 und T.
5 nur bis Zz 3, danach keine Steigerung, Hörner T.
10-24 wenig geschmeidig, Pauken und Pizz. der Kb.
nicht genau zusammen, im Klangbild immer wieder raue Abschnitte; wurde
genügend geprobt? |
||||
3-4 |
Thomas Schippers |
Columbia Symphony Orchestra |
Sony |
1960 |
9‘27 |
|
vordergründige, effekterheischende Darstellung mit groben rhythmischen Mängeln und Übertreibungen |
||||
|
|||||
3 |
Willem Mengelberg |
Concertgebouw Orchester Amsterdam |
EMI Naxos |
1931 |
8‘46 |
|
willkürliche
Tempogestaltung |
Interpretationen nach historisch-informierter Aufführungspraxis
oder/und verkleinertem Orchester
5 |
Howard Griffith |
WDR Sinfonieorchester Köln |
CPO |
2014 |
8‘56 |
|
überwiegend feste Tempi,
Pausen in T. 2 und 6 auf Zz 4 verlängert, strahlendes
Blech bei bestimmten Stellen, erfreuliche Balance (Holz) und Transparenz |
||||
|
|||||
4-5 |
Bruno Weil |
Cappella Coloniensis |
DHM |
2001 |
8‘48 |
|
aus Gesamtaufnahme, Originalinstrumente, sehr gute Balance, ich vermisse etwas mehr Vitalität |
||||
|
|||||
4 |
Roy Goodman |
The Hanover Band |
Nimbus |
1988 |
9‘53 |
|
insgesamt sorgfältige
Einspielung, jedoch etwas akademisch, Horn-Einsatz T. 92/93 verwackelt, man
wünschte sich etwas mehr Saft |
||||
4 |
Nikolaus Harnoncourt |
Berliner Philharmoniker |
Teldec |
1995 |
9‘52 |
|
aus
Gesamtaufnahme, ziemlich ohne Vibrato, im lauten Tutti übertönen Trompeten
und Posaunen die anderen Instrumente, außer am Schluss, insgesamt düstere
Stimmung |
||||
4 |
Jean-Jaques Kantorow |
Tapiola Sinfonietta |
BIS |
2006/2009 |
8‘21 |
|
technisch sauberer
Freischütz unterm hellen Sonnenlicht, alles klar und direkt, T. 25 ff. ohne
Magie |
Auf die Interpretationen von Herbert von Karajan möchte ich zuletzt noch gesondert eingehen. In den Aufnahmen aus den Jahren 1960 und 1971 sind bei der Hornstelle in der Einleitung fast ausschließlich nur das 1. und 3. Horn, also die Oberstimme zu hören. Die Darstellung des folgenden Teils T. 25 bis 36 läuft aus dem Ruder: die Celli spielen betörend schön, aber die punktierten Achtel werden stark gedehnt, dafür T. 31 von 4 Vierteln auf 3 Viertel verkürzt! (1943, 81), T. 29 setzen die Celli zu spät ein (1971, 1981). Was kümmert ’s HvK: „Hört, die beste Cello-Gruppe der Welt!". Im weiteren Verlauf dominieren immer wieder Hörner und Posaunen mit breit ausladendem Klang die Tutti-Stellen. Insgesamt: schöne Musik, poliert und opulent dargeboten, der Name des Komponisten ist dabei zweitrangig, deshalb darf er auf dem Booklet-Cover auch ganz klein gedruckt erscheinen.
Beim Blick auf meine wertende Zusammenstellung fällt auf, wie wenig junge Dirigenten aufgeführt sind. Einschlägige Kataloge/Verzeichnisse zeigen: es gibt sie nicht auf dem Plattenmarkt. Webers Ouvertüren sind nicht mehr in. Hat die Musik uns Zeitgenossen und den jungen Interpreten nichts mehr zu sagen?
eingestellt am 30.11.08
letzte Ergänzung 30.12.22