Das Klassik-Prisma |
|
Bernd
Stremmel |
Diese Webseite ist urheberrechtlich geschützt.
Franz Schubert
Die
Winterreise op. 89 D. 911
Liederzyklus
nach Gedichten von Wilhelm Müller
Schubert lernte die Gedichte Wilhelm Müllers, eines Gymnasiallehrers und
Bibliothekars, in einem weit verbreiteten Almanach kennen, und zwar als zweiten
Teil der „Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden
Waldhornisten“. Bereits 1823 bediente sich Schubert dieser Quelle bei der
Komposition seines ersten Liederzyklus „Die schöne Müllerin“. Müller
(1794-1827), dem Schuberts Musik wahrscheinlich nie begegnet war, widmete seine
Verse Carl Maria von Weber, „dem unsterblichen Meister des deutschen Liedes“.
Schubert fühlte in Müllers Liedern Parallelen zu seiner eigenen
Lebenssituation, sowohl 1823, damals war für ihn die Ansteckung mit der
Syphilis zur Gewissheit geworden, als auch in seinem letzten Lebensjahr bei der
Komposition der „Winterreise“ wie in einem Selbstportrait: die Verzweiflung
eines liebeskranken jungen Mannes, die Enttäuschung über seine Abweisung, sein
Leben in der Einsamkeit ohne bürgerlichen Rückhalt, Depressionen und
fortschreitende Krankheit. Winter steht als Synonym für Kälte in seinen
Beziehungen, in seiner aussichtslosen Situation, ohne ein Ziel auszumachen.
Zuletzt begegnet der Wanderer einem Gesellen, der, wie er gestrandet, sich in
auswegloser Situation befindet, dem Leiermann. Schuberts unheilbare Krankheit,
im fortgeschrittenen Stadium, mit seiner Aussichtslosigkeit wird ihm hier vor
Auge gestanden haben: der Leiermann als Synonym für den nahen Tod.
Hier noch Hinweise auf einzelne Lieder:
Die Sänger Pears, Haefliger und Fischer-Dieskau-71 verdeutlichen die
ersten Worte Gefrorne Tropfen fallen von meinen Wangen ab durch einen
deutlichen staccato-Vortrag. In der Klavierbegleitung versieht Schubert
in vielen Takten im Bass auf der Zählzeiten 2/3 eine Halbe Note mit einem
Akzent, auch bereits in den ersten drei Takten der Einleitung abwechselnd
rechts und links sind sie zu hören. Leider werden diese Akzente übersehen oder
nur lasch ausgeführt. Ihre wahre Bedeutung hört man nur selten, geradezu aufdringlich
bringt sie Eric Schneider in der Aufnahme mit Christine Schäfer.
Im Gegensatz zum Titel schreibt Schubert hier ein schnelles Tempo vor. In
der letzten Strophe ersetzen die Sänger Quasthoff, Eröd und Gilchrist bei der
Stelle Mein Herz ist wie erstorben das Wort erstorben in erfroren.
Lied 5 „Der Lindenbaum“
Dieses Lied ist das bekannteste des ganzen Zyklus. Vermutlich, weil es in
Dur komponiert ist, aber auch, dass der Text den Hörer unmittelbar anspricht.
Das könnte auch der Grund für die Bearbeitung Friedrich Silchers für
vierstimmigen Männerchor gewesen sein, allerdings ohne Strophe 3, die die
Harmonie der anderen Strophen stören würde. Auch heute noch führen Männerchöre
diese Silcher-Bearbeitung in ihrem Repertoire. Wie bereits in Lied 3 setzt
Schubert für das Klavier wieder Akzente, hier in der 2. Strophe nach der Triole
bei der punktierten Achtel. Nur wenige Pianisten folgen Schuberts Wunsch:
Moore, Britten, Sawallisch, Pollini und Garben. Mit Beginn der 4. Strophe
ändert der Komponist diese Vorgehensweise: als Auftakt im Bass der linken Hand
steht eine herausgehobene Achtel, wechselnd h-gis, unmittelbar
danach auf der 1 der folgenden Triole der Akzent – in jedem Takt. Dieses wird
von vielen Begleitern/-innen umgesetzt u. a. von Klust, Reutter, Moore-71,
Britten, Sawallisch, Baldwin, Reimann, Staier-12, Gees, Garben, Dalberto und
Schneider. Die Mehrheit spielt über diese Subtilität hinweg.
Beim Abhören fällt eine rhythmische Unstimmigkeit zwischen Triole der
rechten Hand und punktierter Achtel der linken Hand auf. Hier lassen die
meisten Pianisten die letzte der Triole mit der Sechzehntel der linken Hand
zusammenfallen. Sehr deutlich kann man den Unterschied im dritten Takt hören.
Diese Unstimmigkeit wird auch beim Zusammenwirken von Sänger und Pianist in den
ersten Noten offenbar, wenn der Sechzehntel-Akkord nach dem „Manche“
kommt. Diese Divergenz zieht sich durch das ganze Lied. Nach Schuberts Vorgabe
ist diese Reibung beabsichtigt, sonst hätte er auf die Punktierung verzichtet
und stattdessen fortlaufende Triolen (= Neunachteltakt) vermerkt. Die bequemere
Rhythmisierung hat sich jedoch bei den Interpreten durchgesetzt, außer bei
Parsons-Bär, Staier, Deutsch, Huber, Nilsson und Höll-Shirai. Immerseel verhält
sich inkonsequent, wenn er sich nur bei Stellen, wo er allein spielt, an der
Notentext hält, sich bei der Begleitung aber nach dem Sänger richtet. Das
erlebt man auch bei Dähler, Tilbrock, Spencer, Schuback und Baillieu
Lied 8 „Rückblick“
Der Schubert-Forscher Georgiades weist darauf hin (Musik und Lyrik
S. 366), dass beim Druck des Liederzyklus‘ das Nachschlagen der rechten Hand im
letzten Takt irrtümlich als Gleichzeitigkeit von rechter und linker Hand
dargestellt ist. Einige Pianisten/-innen übersehen diesen Fehler: Eschenbach,
Ickstadt, Shetler, Schnyder und Schuback.
Lied 9 „Irrlicht“
Textfehler in Takt 20, Wilhelm Müller schreibt dort „Leiden“,
etliche Sänger ersetzen jedoch „Leiden“ durch „Wehen“, u. a.
Pears, Schreier, Hampson, Fassbaender. Andreas Schmidt und Matthias Goerne
verwenden beide Varianten.
Lied 19 „Täuschung“
Die Klavierbegleitung ist ganz auf Klang ausgerichtet, locker und duftig
sollte es hier klingen, was viele Pianisten/-innen übersehen.
Lied 20 „Der Wegweiser“
Textfehler in Takt 42, das Wort „Wegen“ wird bei sehr vielen durch „Straßen“ ersetzt, z. B. von Appl, Di Donato, Hynninen, Fassbaender, Allen,
Fischer-Dieskau, Hotter, Pears und Gerhaher.
Lied 24 „Der Leiermann“
Ähnlich wie im „Lindenbaum“ wechselt Schubert
die Betonung einzelner Begleittakte: in den Takten 4 und 5 sollen nach den
beiden Achteln die lange Halbe mittels Betonung herausgehoben werden. Zwei
Takte später in 7 und 8 ist es umgekehrt, hier soll die 1 betont werden. Das
setzt sich im ganzen Lied durch. Nur wenige Begleiter/-innen folgen Schuberts
„Verwirrspiel“, u. a. Staier, Sawallisch, Gage, Haefliger, Schmalcz, Schiff,
Pohl, Baldwin und Gothoni.
Viele junge Sänger möchten gern „ihre“ Winterreise vorstellen, treffen
aber auf einen riesigen Berg von Vorgängeraufnahmen, z. T. mit berühmten Namen.
Sie sehen sich vor die Wahl gestellt a) resignierend darauf zu verzichten, b)
„ihre“ Sicht aufzunehmen, vorausgesetzt ein Label findet sich, oder c) einen
neuen Weg einzuschlagen. Da bietet sich Hans Zender an, der eine Bearbeitung
für Sänger mit Streichquartett schuf. Daniel Behle veröffentlichte zwar die
Originalfassung, kreierte daneben aber auch eine Fassung mit Begleitung eines
Klaviertrios. Das Label Muso veröffentlichte eine Fassung mit Begleitung eines
Streichquartetts, auch eine Fassung mit Begleitung eines Streichtrios ist
bekannt, kurios ist gewiss der Einsatz einer Posaune statt des Flügels. Auch
Holzbläser und Orgel kommen zum Einsatz.
Beinahe 80 Aufnahmen der Originalfassung habe ich vergleichend gehört,
hier meine Einschätzungen:
Männerstimmen
– Tenor: |
|||||
5 |
Peter
Anders |
Michael
Raucheisen |
RRG DGG
Membran |
1945 |
74‘53 |
|
▼ |
||||
Peter Anders |
Günther Weißenborn |
WDR Acanta |
1948 |
68‘03 |
|
|
▼ |
||||
5 |
Peter
Schreier |
András
Schiff |
Decca |
1991 |
72‘02 |
|
▼ |
||||
5 |
Daniel
Behle |
Oliver
Schnyder |
Sony |
2013 |
65‘29 |
|
schlanke
und wendige Stimme, engagierter und differenzierender Vortrag, der eine
eindringliche Darstellung ermöglicht, zu dem erfreulichen Ergebnis trägt auch
Oliver Schnyder am warm temperierten Flügel bei – sehr guter Klang |
||||
|
|||||
4-5 |
Anton
Dermota |
Hilda
Dermota |
Telefunken |
P 1963 |
76‘06 |
|
Dermota
mit deutlichem und natürlichem Singen, Metall in der Stimme, angenehmer
Vortrag; sich nicht nach vorn schiebend, sondern im musikalischen Einklang
mit dem Klavier bleibend; für immer klaren mit markanten Akzenten
angereicherten Klavierpart sorgt Ehefrau Hilda; Worte mit ch wie durch
oder mich in alpenländischer Aussprache im Rachen gebildet, (1)
bewegt, (2) dramatisch, (5) mehr deklamiert als gesungen, etwas wie gewollt,
(20) am Ende betroffen, (21) mit Tremolo in der Stimme, der Situation
angepasst |
||||
4-5 |
Christoph
Prégardien |
Michael
Gees |
Challenge |
2012 |
70‘31 |
|
▼ |
||||
|
|||||
Karl Schmitt-Walter |
Ferdinand Leitner |
Telefunken Hamburger-Achiv-für-Gesangskunst |
1940-43 |
74‘33 |
|
|
ungekünsteltes
Singen, an einigen Stellen nasales Timbre, kein jugendlicher Sänger, Sänger
im Klangbild immer vorn, sehr direkt aufgenommen, weniger persönliche
Teilnahme erkennbar, eher objektiv, das ändert sich erst bei den letzten
Liedern, man wünschte sich insgesamt ein geschmeidigeres Singen. (1) 2.
Strophe ausgelassen, (5) mehr Kern bei dramatischen Stellen, bei leisen macht
sich auch etwas Säuseln bemerkbar, (6) zu sehr deklamiert, (11) ohne
Vorschläge bei „finster“, „alleine“ und „schlägt“ |
||||
4 |
Peter
Schreier |
Svjatoslav
Richter |
Philips Eterna |
1985 |
77‘07 |
|
▼,
live |
||||
4 |
James
Gilchrist |
Anna
Tilbrook |
Orchid
Classics |
P 2011 |
73‘51 |
|
angenehm
weiche, jedoch etwas wie kindlich klingende Stimme, stellenweise wie
entrückt, nicht immer idiomatisches Deutsch, (1) vierte Strophe etwas
langsamer, (11) zu langsam, (19) kaum geschwind, Tilbrook zuverlässige
Begleiterin, (24) im Bass durchgehend langer Vorschlag – trotz der Einwände
sympathische Darstellung |
||||
4 |
Peter
Pears |
Benjamin
Britten |
Decca |
1963 |
73‘44 |
|
die
vielgelobte Einspielung hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck:
Stimme im lyrischen Bereich nicht sehr wandlungsfähig, teilweise gaumige und
hohle Tonbildung, verschluckte Konsonanten am Wortanfang und -ende, vor allem
bei ch und sch, Gelungenes und Fragwürdiges/Verwunderliches
stehen sich gegenüber; Britten locker, sehr wendig, prononciert; (1)
eigenwillige staccato-Noten, dort wo keine vorgesehen sind, (6)
rhythmische Unstimmigkeiten T. 3, 7 und ff bei Triolen gegen punktierte
Achtel, (10) geänderte Wortwahl bei „fort mich wehen“ sowie „Stich sich
regen“, (19) Flügel zu trocken – helles Klangbild |
||||
|
|||||
3-4 |
Julius
Patzak |
Jörg
Demus |
Preiser |
1964 |
66‘42 |
|
Diese
Aufnahme der „Winterreise“ erfolgte in Patzaks später Zeit, als er bereits 66
Jahre alt war. Seine Stimme erscheint hier wie nackt, damit auch
eindimensional und mit verminderter Ausdruckskraft; sie kann keine
Jugendlichkeit mehr vermitteln. Dazu kommt sein österreichisches Idiom, das
mir bei ihm nicht unsympathisch ist, hier aber der Ausdruckskraft an manchen
Stellen im Wege steht. Leider unterbricht der Sänger vorgegebene
Gesangslinien immer wieder durch künstliche Pausen, auch innerhalb eines Wortes
oder einer Silbe, das klingt doch manieriert. Hier zeigt sich nur noch ein
matter Abglanz von seiner einstigen Größe. |
||||
3-4 |
Jonas
Kaufmann |
Helmut
Deutsch |
Sony |
2013 |
69‘58 |
|
baritonal
gefärbte Stimme; je lauter Kaufmann singt, desto schwerer wird die Stimme (z.
B. (2)), (4) „heiße Tränen“ mit viel Druck herausgeschleudert, immer wieder
plötzliches unmotiviertes Ausbrechen aus der zuvor angeschlagenen Linie ins f
oder ff, z. B. (13) „mein Herz“, oder (15) „Treue bis zum Grabe“,
Textänderung in (4): „erfroren“ statt „erstorben“, gelungen: (21) und (22).
Partner Helmut Deutsch überzeugt vor dem Hintergrund langer Erfahrung mehr,
einige Störgeräusche (2), (14), (16) und (18) |
||||
3-4 |
Ian
Bostdridge |
Leif
Ove Andsnes |
EMI |
2004 |
69‘17 |
|
immer
wieder seltsam zittriges Singen, hohl, wendige Stimme, kein idiomatisches Deutsch;
gewiss ein heißes Bemühen, aber aus den gegebenen Umständen letztlich
problematisch – Stimme und Flügel nicht bestens austariert, viele
Pedalgeräusche eingefangen |
||||
2-3 |
Jon
Vickers |
Geoffrey
Parsons |
EMI Warner |
1983 |
79‘47 |
|
„heißes
Bemühen“, aber: kein idiomatisches Deutsch, schwere Stimme vom
Hochdramatischen herkommend, die ihn als jungen Liebhaber unglaubhaft
erscheinen lässt; immer wieder Probleme bei der Artikulation, z. B. bei ch,
sch, kr, Übertreibungen bei f-Stellen, vieles klingt seltsam hohl
oder nasal, zittrige Stimme bei (20), als Stilmerkmal gedacht? – Parsons
trotz schöner gelungener Momente auf verlorenem Posten |
||||
Männerstimmen
– Bariton/Bass: |
|||||
5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Gerald
Moore |
EMI |
1962 |
71‘19 |
|
▼ |
||||
5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Gerald
Moore |
EMI |
1955 |
74‘27 |
|
▼ |
||||
Dietrich Henschel |
Irvin Gage |
Teldec |
2000 |
70‘25 |
|
|
sehr differenzierter Vortrag,
Sänger wie Pianist Meister von Schattierungen, (1) Gage passt den punktierten
Rhythmus dem triolischen des Sängers an, (19) kaum geschwind, (24)
beeindruckender Schluss |
||||
5 |
Jorma
Hynninen |
Ralf
Gothoni |
Ondine |
1988 |
71‘57 |
|
angenehme
kernige Baritonstimme mit guter Textverständlichkeit, eindringliche
Darstellung unter besonderer Beachtung rhythmischer Abläufe, Sänger und
Pianist ein hervorragendes Team, Gothoni mit sehr guter Differenzierung,
setzt Akzente |
||||
5 |
Peter
Mattei |
Lars
David Nilsson |
BIS |
2018 |
68‘33 |
|
durchgeformte
Stimme, spricht in allen Lagen sehr gut an, differenzierter Vortrag, beste
Textverständlichkeit, eindringliche Gestaltung des Textes, Konsonanten am
Wortende jedoch teilweise verschluckt oder zu leise, überzeugende Tempi,
beste Partnerschaft mit Lars David Nilsson |
||||
5 |
Josef
Greindl |
Hertha
Klust |
DGG |
P 1957 |
72‘50 |
|
sonore
Stimme mit gutem Kern, nasal, trotz des Umfangs immer wendig, Schuberts
Phrasierungen umgesetzt, kein jugendlicher Wanderer; starke, emotional
gefärbte Darstellung; sehr gute Textverständlichkeit, dynamische Gegensätze
ausgespielt, stimmgewaltig, dabei immer sensibel für die jeweilige Situation;
Greindl hinterlässt einen sympathischen Eindruck, im Gegensatz zu seinen
zahlreich dokumentierten Hagen-Darstellungen – Hertha Klust in bester
Partnerschaft |
||||
5 |
Heinz
Rehfuss |
Erik
Werba |
Westminster forgotten records |
1956 |
77‘04 |
|
Rehfuss
mit Demut vor dem Text, dramatische Ausbrüche immer vom Text abgesichert,
nicht abgehoben, runde Stimme, auch in der Höhe mit Kraft, Werba aufmerksamer
Mitgestalter, (1) langsam, (9) Fermate T. 38 übergangen, (13) könnte etwas
lockerer vorgetragen sein |
||||
|
|||||
4-5 |
Gerhard
Hüsch |
Hanns
Udo Müller |
EMI |
1933 |
67‘27 |
|
weiche
und abgerundete Stimme, viel legato, nicht immer junger Sänger,
Gesangsstil entspricht hier und da nicht mehr heutigem Usus, (1) bewegt, 2.
Strophe fehlt, (2) stürmisch, (5) etwas pathetisch, (7) kein festes Tempo,
(13) Pianist: dynamische Differenzierung etwas lasch, (17) einige Pausen verkürzt,
(23) zu langsam |
||||
4-5 |
Hans
Hotter |
Gerald
Moore |
EMI |
1954 |
75‘42 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Hans
Hotter |
Erik
Werba |
DGG |
1961 |
70‘08 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Gerard
Souzay |
Dalton
Baldwin |
Philips Decca |
1962 |
73‘48 |
|
heller
Bariton, einzelne Tonverfärbungen, angenehme Stimme, meist bewegter Vortrag,
unprätentiös, Baldwin achtet sorgsam in (24) auf die wechselnden Betonungen –
viele Jahre waren Souzay und Baldwin ein anerkanntes und gefeiertes
Künstlerpaar, eine Konstante im Liedgesang, nicht nur im angestammten
französischen Repertoire, sondern auch im Bereich der deutschen Romantik,
wovon ich mich in den 1970er Jahren selbst überzeugen konnte |
||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Hermann
Reutter |
WDR audite |
1952 |
75‘16 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Jörg
Demus |
DGG |
1965 |
71‘16 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Daniel
Barenboim |
DGG |
1979 |
72‘56 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Alfred
Brendel |
Philips |
1985 |
69‘21 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Roman
Trekel |
Oliver
Pohl |
Oehms |
2007 |
64‘55 |
|
heller
Bariton, engagiertes Singen, immer im Blick auf die Textaussage, Trekel
stellt sein Singen auf die jeweilige Situation ein, Pohl ein aufmerksamer
Partner am Flügel, insgesamt bewegte Tempi, |
||||
4-5 |
Olaf
Bär |
Geoffrey
Parsons |
EMI |
1988 |
75‘11 |
|
uneitles
und kultiviertes Singen, wunderbar abgerundete Stimme, Bär hütet sich vor
Übertreibungen und kehrt sein Innerstes nicht bei jeder Gelegenheit nach
außen, oft mäßige Tempi, sehr gute Partnerschaft |
||||
4-5 |
Wolfgang
Holzmair |
Andreas
Haefliger |
Capriccio |
2009 |
73‘14 |
|
▼ |
||||
4-5 |
Gerald
Finley |
Julius
Drake |
hyperion |
2013 |
74‘26 |
|
Finley
stellt sich hinter das Werk, ehrliche Interpretation, die nichts beweisen,
nicht interessant sein will; facettenreicher Vortrag, gute
Textverständlichkeit, kein Überzeichnen bei f-Stellen, hier und da
wünschte man sich ein etwas schnelleres Tempo; aufmerksame Klavierbegleitung,
Pedalgeräusche, bestes Miteinander |
||||
|
|||||
4 |
Benjamin
Appl |
James
Baillieu |
Alpha |
2021 |
69‘02 |
|
Der
Wille, es anders zu machen als man es kennt, scheint Triebfeder der
Interpretation zu sein. Das führt zu Überzeichnungen und Übertreibungen, f-Stellen
fast immer ff: (7), (10), (21), (1) „die Liebe liebt…fein Liebchen,
gute Nacht“ nahezu staccato, unmotiviert, (5) Klavier ohne Schuberts
Akzente, (17) teilweise affektiertes Singen, (18) zu schnell, deshalb ohne
Duft. Auf der anderen Seite auch überzeugende, ergreifende Leistungen. Sänger
und Pianist ein gutes Team, leider viele Pedalgeräusche. Hier und da Anklänge
an die Stimme Fischer-Dieskaus, Appls zeitweiligem Lehrer: ähnliches Timbre,
Tonbildung z. B. (9) 2. Strophe, (18) Beginn |
||||
4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Gerald
Moore |
DGG |
1971 |
71‘35 |
|
▼ |
||||
4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Klaus
Billing |
RIAS audite |
1948 |
77‘05 |
|
▼ |
||||
4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Maurizio
Pollini |
Orfeo |
1978 |
73‘36 |
|
▼,
live |
||||
4 |
Hans
Hotter |
Michael
Raucheisen |
DGG Membran |
1942/43 |
76‘11 |
|
▼ |
||||
4 |
Thomas
Hampson |
Wolfgang
Sawallisch |
EMI |
1997 |
69‘34 |
|
große,
aber bewegliche Stimme, wenig abwechslungsreich, kontrastarm, wenige Vokalverfärbungen;
Hampson eher ein Erzähler als ein Betroffener, etliche Lieder klingen zu
langsam, obwohl objektiv nicht der Fall; Sawallisch solide, es gehen jedoch
wenige Impulse von ihm aus, (11) etwas lustlos und ohne Duft, (13)
langweilig, (21) ohne innere Spannung |
||||
4 |
Hermann
Prey |
Wolfgang
Sawallisch |
Philips DGG |
1971 |
67‘59 |
|
▼ |
||||
4 |
Hermann
Prey |
Karl
Engel |
Electrola EMI |
1962 |
71‘03 |
|
▼ |
||||
Andreas Schmidt |
Rudolf Jansen |
hänssler |
2000 |
66‘26 |
|
|
▼ |
||||
4 |
Andreas
Schmidt |
Rudolf
Jansen |
DGG |
1990 |
72‘01 |
|
▼ |
||||
4 |
Bernd
Weikl |
Helmut
Deutsch |
Nightingale |
1993 |
69‘30 |
|
heller
Bariton, lockere Tongebung, teilweise etwas schmale Stimme mit wenig Schmelz,
bei hohen f-Tönen opernmäßiges Tremolo, Tonbildung im hinteren
Gaumenbereich, etwas distanziert, Deutsch zuverlässiger Mitgestalter, (1)
immer wieder Sprechgesang, (3) „wolltet“ hoch, ohne Vorschlag |
||||
4 |
Dimitri
Tiliakos |
Vassilis
Vorvaresos |
Navis
Classics |
2015 |
75‘53 |
|
angenehme
Baritonstimme; Vortrag mehr als Erzähler als Betroffener, mit einer Portion
Selbstmitleid; gute Textverständlichkeit, Pianist zuverlässiger Begleiter,
(1) gelassen, (5) 3. Strophe zu schön, (8) Intonation bei „vor ihrem…“
sieben Takte vor Schluss, (14) langsam, (19) etwas bieder, Klaviereinleitung
ohne Duft |
||||
4 |
Matthias
Goerne |
Alfred
Brendel |
Decca |
2003 |
74‘08 |
|
live,
▼ |
||||
Wolfgang Holzmair |
Imogen Cooper |
Philips |
1994 |
69‘50 |
|
|
▼ |
||||
4 |
Thomas
Quasthoff |
Charles
Spencer |
RCA |
1998 |
72‘19 |
|
glaubhafte
Darstellung, Stimme wünschte man sich jedoch mehr Wandlungsfähigkeit und mehr
Farben, sie klingt bei lauten Stellen in der Höhe etwas rau, (1) 3. Strophe
schneller, (4) punktierte Viertel als zwei Viertel, (11) „Auge“ nicht
genau artikuliert, (13) wenig Spannung, Spencer zuverlässig, etwas routiniert
und nicht bestens differenziert, (5) Sechzehntel-Triolen ohne Glanz, (16)
Einleitung ohne Gestaltung, (19) kein Duft |
||||
4 |
Håkan
Hagegård |
Thomas
Schuback |
RCA |
1983 |
72‘18 |
|
engagiertes
Singen, wandlungsfähige und angenehm klingende Stimme, Aussprache jedoch
nicht immer ganz idiomatisch, (6) Sänger setzt bei „Weh“ und später
bei „auf“ eine Achtel zu früh ein, Schuback einfühlsamer Begleiter,
(19) ohne Duft, etwas hölzern |
||||
|
|||||
3-4 |
Christian
Gerhaher |
Gerold Huber |
Arte
Nova RCA |
2001 |
77‘51 |
|
gepflegtes
Singen, sehr klar, Höhe und Tiefe gleichmäßig ausgebildet und austariert,
einzelne Wörter lässt sich Gerhaher auf der Zunge zergehen; man vermisst an
vielen Stellen das Miterleben, es hört sich an, als wenn der Sänger sein
Schicksal einem anderen erzähle, die Lieder (1) und (5) klingen zu schön,
Sänger und sein vorzüglicher Klavierpartner bilden ein gutes Team |
||||
Adrian Eröd |
Eduard Kutrowatz |
Gramola |
2010 |
68‘17 |
|
|
unprätentiöses
Singen, Stimme wenig wandlungsfähig, Möglichkeiten zum spannenden Vortrag
nicht immer aufgegriffen, (4) fast atemlos voran; Pianist nur Begleiter,
zuverlässig, jedoch ohne eigene Ideen, (6) punktierte Achtel des Klaviers
passen sich den Triolen des Sängers an, (19) zu fest, kaum Duft, (24)
Schuberts Akzente nicht umgesetzt |
||||
3-4 |
Matthias
Goerne |
Graham
Johnson |
hyperion |
1996 |
73‘53 |
|
▼ |
||||
3-4 |
Matthias
Goerne |
Christoph
Eschenbach |
HMF |
2013 |
74‘41 |
|
▼ |
||||
3-4 |
Dietrich
Fischer-Dieskau |
Murray
Perahia |
Sony |
1990 |
71‘20 |
|
▼ |
||||
3-4 |
Siegfried
Lorenz |
Norman
Shetler |
Eterna Berlin Classics |
1986 |
78‘37 |
|
heller
Bariton, Schöngesang vor differenziertem Vortrag, führt im Verlaufe des
Zyklus zur Langeweile, viele längeren Noten mit Vibrato, präzise
Klavierbegleitung, Shetler setzt jedoch keine eigenen Akzente, gut getroffen
Nr. 5, 16, 18, 22 und 23 |
||||
3-4 |
Kurt
Moll |
Cord
Garben |
Orfeo |
1982 |
81‘53 |
|
Moll
singt nur die Lieder, trifft weniger das Drama mit seiner Verzweiflung, in
der Tiefe einige gequetschte Töne; wie ein Bass glaubwürdig mit der
„Winterreise“ umgeht, hört man von Greindl, (4) legato wird immer
wieder durch gestoßenes Singen ersetzt, (5) unterschiedliche Tempi, (6) sehr
langsam, (9) einige Pausen verkürzt, (7) Intonation, (16) verschenkt, ohne
Nachdruck, (23) zu langsam, Garben am Flügel nicht immer hinreichend
prägnant: (5) und (13), nur Begleiter, kein Mitgestalter, geradezu langweilig
(13), Pause in (16) T. 24 überspielt |
||||
Thomas Allen |
Roger Vignoles |
Virgin |
1990 |
73‘28 |
|
|
etwas schwergängige
(Wotan-) Stimme, kaum abwechslungsreich, wenig Tempokontrast, gute
Textverständlichkeit, viele Lieder zu langsam, werden so schwerfällig,
Tempomat?, routinierter Begleitung, (19) ohne Duft, kaum locker |
||||
José van Dam |
Dalton Baldwin |
Forlane |
1990 |
78‘20 |
|
|
Stimme wenig
wandlungsfähig, immer sehr ernst, wenig abwechslungsreich, wenig betroffen,
Tonbildung hinten, gibt der Stimme einen ältlichen Charakter, Vokal a
geht mehr in Richtung o, Höhe muss manchmal erkämpft werden, geringere
Differenzierung, (9) zu langsam, (10) langsam, (14) „hab mich sehr gefreut“
wie ein Heldenbariton, (22) liegt hier etwas tief, (24) wieder zu langsam,
Dalton ein zuverlässiger Begleiter, (13) jedoch zu laut |
||||
3-4 |
Florian
Boesch |
Malcolm
Martineau |
Onyx |
2011 |
76‘14 |
|
uneinheitliche
Darstellung, Intensität nicht gleichbleibend, stellenweise opernhaftes Singen
(7), (15), viele Lieder messa di voce, führt zu geringer Abwechslung
im Vortrag, (2) kaum geschwind, (4) „hier“ und „ihr“ jeweils am
Ende der Zeile fast verschluckt, (5) zu viel Vibrato, (6) letzter Ton „Haus“
mit Fermate, (12) Klaviertriolen T. 28/29 und T. 40/41 ungleichmäßig;
Martineau routiniert: Beginn (17), (13) ohne Delikatesse, wackelnder Rhythmus
in den ersten Takten, T. 9 kaum p |
||||
3-4 |
Robert
Holl |
Naum
Grubert |
Challenge
Classics |
1995 |
76‘13 |
|
Wotan-Stimme,
sängerisch hervorragend, ausgeglichen, kultiviert, Stimme und Vortragsweise passen
jedoch kaum oder nicht zu den Texten, sie klingt kaum jugendlich, eher wie
eine Generation vorher; sehr aufmerksame Klavierbegleitung, (1) sehr mäßig,
fast-Stillstand, (4) mitreißend, (5) wie ein alter Mann, der sich an seine
Jugendzeit erinnert, (8) überzeugend, im ersten Teil dozierend, (16) erste
Strophe gut, in der „Grab“-Stelle jedoch wieder problematisch |
||||
3-4 |
Hermann
Prey |
Philippe
Bianconi |
Denon |
1984 |
70‘50 |
|
▼ |
||||
3-4 |
Konrad
Jarnot |
Alexander
Schmalcz |
Oehms |
2009 |
77‘22 |
|
hoher
Bariton, immer wieder affektierte Momente, teilweise etwas künstliches
Singen, z. B. (1), vorn gebildete Töne werden immer wieder in den hinteren
Gaumenbereich verlegt, z. B. (4), (5) eine Karikatur des Liedes, (12)
Melodielinie immer wieder parzelliert, auch (15), (8) Balance zwischen Sänger
und Flügel nicht optimal, Schmalcz ein zuverlässiger Begleiter |
||||
3-4 |
Stephan
Genz |
Michel
Dalberto |
Claves |
2010 |
67‘42 |
|
überlegte
Darstellung, Stimme hier und da etwas kurzatmig, Lagenwechsel nicht immer
geschmeidig, volle dynamische Bandbreite, jedoch für meinen Geschmack zu
viele f/ff -Stellen, die dann übertrieben und opernhaft klingen; (4)
immer wieder Phrasenenden wie verschluckt, (6) f-Stellen fast
gebrüllt, (8) „Wanken“ verschluckt, Bösendorfer-Flügel im f mit
hartem Klang, viele Grautöne, (zu) viele Pedalgeräusche, Dalberto kein
Sensibilissimus, etwas grob und einfallslos, – vgl. Aufnahme mit Mitsuko
Shirai ▼ |
||||
|
|||||
2 |
Ernst
Gerold Schramm |
Alois
Ickstadt |
Opus |
P 1990 |
68‘26 |
|
flattrige
Stimme, nicht mehr ganz frisch, in den Liedern (7), (10) und (11) Stimme
(wie)t hinten verortet, opernhafter Vortrag, wird der Stimmung der einzelnen
Lieder nicht gerecht, ohne hinreichende Differenzierung; Selbstmitleid,
erinnert an Prey, der jedoch mit mehr Geschmack aufwartet; versierter
Pianist, jedoch wenig differenziert, teilweise leierhaft (4) starr (8) oder
zu fest (13) – eine CD für die Fangemeinde |
||||
Interpretationen mit
Begleitung eines Hammerflügels |
|||||
5 |
Ernst
Haefliger, Tenor |
Jörg
Ewald Dähler |
Claves |
1980 |
68‘49 |
|
HF
von J. Brodmann, Wien ~ 1820 – Haefliger verfügt immer noch über eine helle,
schlank geführte und sehr wendige Stimme, sie klingt noch nicht gealtert,
kultiviertes Singen bei sehr guter Textverständlichkeit, (1) „Fremd bin
ich eingezogen“ nicht legato, auch die entsprechenden folgenden Stellen,
(2) ohne Fermaten, (6) Pianist rhythmisch ungenau bei Triole gegen punktierte
Achtel, (20) Haefliger artikuliert überwiegend wie der Hammerflügel im
Portato, (24) (absichtlich?) gestelzt – sehr gute Transparenz |
||||
5 |
Christoph
Prégardien, Tenor |
Andreas
Staier |
Teldec |
1996 |
73‘31 |
|
HF
von Johann Fritz, Wien ~1825, ▼ |
||||
5 |
Hans
Jörg Mammel,
Tenor |
Arthur
Schoonderwoerd |
Alpha |
2005 |
68‘28 |
|
HF
von Johann Fritz, Wien ~ 1810 – feinfühliger Umgang mit dem Notentext,
differenzierter Vortrag, glaubhafte Interpretation, sehr wandlungsfähige
klare und helle Stimme, schneller Wechsel von Spannung und Entspannung,
überzeugende Tempi, bestes Miteinander, Schoonderwoerd setzt immer wieder
Akzente |
||||
|
|||||
4-5 |
Michael
Schopper,
Bass |
Andreas
Staier |
DHM |
1988 |
68‘00 |
|
helle
Bassstimme, klingt eher wie ein Bariton, überwiegend leicht geführt, immer
deutliche Artikulation, ziemlich lineares Singen, angenehme Stimme, stellt
immer wieder Brust- und Kopfstimme gegenüber; HF (keine Angaben zum
Instrument) leider etwas asketisch, bei Prégardien eindrucksvoller – (1) im
3. Vers staccato, (5) „Die kalten Winde bliesen“ überzeugend,
(9) 3. Vers wie (1) staccato, ähnlich in (10) und (11), beeindruckend |
||||
4-5 |
Peter
Harvey,
Bariton |
Gary
Cooper |
Linn |
P 2010 |
74‘27 |
|
HF
keine Angabe – gutsitzende Baritonstimme, ausdrucksstarker Vortrag, |
||||
4-5 |
Jan
Kobow, Tenor |
Christoph
Hammer |
Atma |
2011 |
63‘24 |
|
HF
von Joseph Brodmann, Wien, ~1810 – Kobow und Hammer liefern eine tadellose
Interpretation ab, Stimme jedoch weniger wandlungsfähig, es gibt keine
Überraschungen; HF mit ausgedünntem Klang, noch nicht so weit vom Cembalo
entfernt, vor diesem Hintergrund kann sich die Stimme ungefährdet entfalten,
stimmige Tempi, (10) T. 30 Notenwechsel bei „fort“ und T. 60
entsprechend bei „Stich“ |
||||
|
|||||
4 |
Thomas
Bauer, Bariton |
Jos
van Immerseel |
ZigZag |
2009 |
70‘46 |
|
HF
von Christopher Clarke 1988 nach Anton Walter, Wien – Bauer weniger betroffen
als Prégardien und Schopper, mehr Erzähler, im p-Bereich und bei
langsamen Liedern wird fast jede Note mit vorsichtig dosiertem Vibrato
versehen, so wirkt der Gesang etwas künstlich, z. B. (19) oder (21),
Immerseel eher routiniert, sehr gute Transparenz – (1) zu schön, (13)
zurückhaltendes Tempo, (15) und (18) gelungen, (22) trotzig |
||||
4 |
Dominik
Wörner |
Christoph
Hammer |
Ars |
2006 |
66‘49 |
|
HF
von Conrad Graf, Wien, 1827/28 – differenzierte und glaubwürdige Darstellung,
bleibt aber hier und da etwas passiv, Stimme spricht in allen Lagen gut an,
sehr gute Zusammenarbeit zwischen Wörner und Hammer; HF etwas stumpf, ganz
deutlich in (19), liegt es evtl. an der Akustik des Aufnahmeraumes? |
||||
|
|||||
3-4 |
Ian
Patridge,
Tenor |
Richard
Burett |
Amon
Ra |
1988 |
63‘18 |
|
HF
Graf, Wien, ~1820 – bewegliche Tenorstimme, teilweise nasal, etwas schwache Höhe,
bei der Abfolge kurzer Töne wird das Singen hier und da undeutlich, nicht
immer idiomatisches Deutsch, insgesamt engagiertes Singen, etliche Lieder
schneller als erwartet vorgetragen, Pianist etwas glatt, Dynamik nicht immer
nach Notentext, Instrument nicht sonderlich farbig – (1) viele dynamische
Schattierungen, (13) „Herz“ gestemmt, (19) Stimmung nicht gut getroffen |
||||
|
|||||
Markus
Schäfer,
Tenor |
Tobias
Koch |
Avi |
2018 |
64‘08 |
|
|
HF
aus Ostdeutschland, ~ 1830 – Interpreten „plädieren im Sinn der
Hörkonventionen der Schubertzeit für mehr Spontanietät, Individualität,
Betonung der Einmaligkeit des musikalischen Moments…“, sie haben sich
erlaubt „eigene musikalische Kommentare einzubringen, viel
Interpretatorisches, eine freie Auseinandersetzung sozusagen mit dem
überlieferten historischen Material.“ Sie stützen sich bei ihrem Vorgehen
auf Aufzeichnungen von Schuberts vertrautem Sänger Johann Michael Vogl
bezüglich des Vortrags von Schubert-Liedern, die er in seine Noten
eingetragen hat, also den Urtext bearbeitete (Angaben laut Booklet).
Änderungen sowohl der Singstimme als auch der Begleitung, Schuberts Urtext
als Folie für persönliche Auslegungen. Engagierte Darstellung, letztlich aber
eine Karikatur; überwiegend bewegte Tempi, ziemlich ohne Eingriffe: Lieder
Nr. 7, 8. 15, 19, 20 und 23, beeindruckend (21), (24) mit Lautenzug – trotz
der Eingriffe hörenswert |
||||
Frauenstimmen |
|||||
5 |
Christine
Schäfer |
Eric
Schneider |
Onyx |
2003 |
68‘26 |
|
Protagonisten
machen sich Schuberts Liederzyklus voll zu Eigen, engagiert, beste
Differenzierung, Schäfer setzt ihre lockere und wandlungsfähige Stimme zur
Charakterisierung der jeweiligen Stimmung vorteilhaft ein, blitzschneller
Stimmungswechsel, Vibrato könnte noch etwas zurückgefahren werden, Schneider
setzt immer wieder deutliche Akzente, z. B. in (3) fz in der linken
Hand – (1) bewegt, (2) aufgewühlt, (19) erfüllt, (22) zupackend |
||||
|
|||||
4 |
Joyce
Di Donato,
Mezzo |
Yannick
Nézet-Séguin |
Erato |
2019 |
70‘15 |
|
engagiertes
Singen, gute Textverständlichkeit, Sängerin versucht opernhaftes Singen zu
vermeiden, was jedoch nicht immer gelingt (Vibrato) z. B. (21); Pianist ein
aufmerksamer Begleiter, der in die Dramaturgie des Liederzyklus kaum
eingreift, so klingt diese Winterreise überwiegend harmonisch – durchgehend
sehr leises Grundgeräusch, ab und zu NY-Metro im Unter-/Hintergrund,
live-Aufnahme? |
||||
4 |
Brigitte
Fassbaender,
Mezzo |
Aribert
Reimann |
EMI |
1988 |
69‘47 |
|
engagierte
Darstellung; Fassbaender meint, was sie singt; dramatico, manchmal
auch hysterisch, teilweise flattrige Stimme, Beschleunigungen z. B. (12),
stellenweise auch opernhafter Vortrag, (1) Übergang T. 32/33 Abweichung vom
Notentext, (8) sehr emotional, (10) rhythmisch, Reimann mit Fassbaender auf
einer Wellenlänge, jedoch nicht immer locker, (7) punktierte Achtel der
Klavierstimme dem Triolenrhythmus der Sängerin angepasst, bei einigen Liedern
leise Pedalgeräusche |
||||
|
|||||
3-4 |
Mitsuko
Shirai |
Hartmut
Höll |
Capriccio |
1989/90 |
78‘02 |
|
eine
Aufnahme, auf die man verzichten kann; Tonbildung hinten, teilweise mit
(viel) Vibrato, Vokalverfärbungen, höhere Lage teilweise mit Druck, insgesamt
gute Textverständlichkeit, (1) durchlaufende Achtel des Flügels wie gestoßen,
nervig, (3) stellenweise auch hier, (5) entrückt, elegisch, auch (6), (10)
verschluckte Sechzehntel bei „der Sturm half fort…“, (11) T. 10-13
Nachlassen der Spannung, (19) und (24) zu langsam, (22) etwas hölzern –
Aufnahme im Tonstudio van Geest, keine Angabe über das Instrument, alter
Bösendorfer?, Ähnlichkeit mit Flügel in der Aufnahme von Stephan Genz,
ebenfalls im Studio van Geest produziert, dort kam ein Bösendorfer zum Einsatz |
||||
3-4 |
Christa
Ludwig |
James
Levine |
DGG |
1986 |
74‘06 |
|
Ludwigs
Stimme mit Dauervibrato, teilweise waberndes Singen, Vokalverfärbungen, viele
Lieder zu langsam, (6) setzt mehrmals zu früh ein, (22) zu fest, Levine
routiniert, hält sich insgesamt zurück, kein fruchtbares Miteinander,
teilweise wünschte man sich eine bessere Differenzierung, z. B. (4) |
Hinweise zu Interpreten
und Interpretationen
Hans Hotter
Hotters Vortrag der
„Winterreise“ ist der extreme Gegenpol von Fischer-Dieskau. Er beruft sich bei
seinem Vortragsstil auf einen Bericht des Schubert-Freundes Leopold von
Sonnleithner: Schubert duldete nie heftigen Ausdruck im Liedgesang… Der
Liedersänger soll in der Regel nur fremde Erlebnisse und Empfindungen erzählen;
er stellt nicht selbst die Person vor, deren Gefühle er schildert. Hotter
berichtet über seine Auffassung der Winterreise: Je genialer und „populärer“
ein Kunstwerk ist, umso werkgetreuer muß der Interpret sein. Der beinahe
volksliedhafte Grundcharakter der „Winterreise“ kommt nur zum Vorschein, wenn
man ihn mit Einfachheit und unter völliger Hintansetzung von eigenwilliger
Ausdeutung begegnet. Ob er nur seinen eigenen Standpunkt deutlich machen
oder seinen Vortragsstil von dem seines Kollegen Fischer-Dieskau abgrenzen
wollte, sei hier einmal dahingestellt. Der als Wotan-Darsteller auf der ganzen
Welt bekannte und berühmte Bass-Bariton hat neben seinen vornehmlichen
Tätigkeiten auf den Opernbühnen immer wieder Zeit gefunden für Liederabende,
wobei Schuberts „Winterreise“ an vorderster Stelle stand. Zum ersten Mal in
seinem Sängerleben trug er sie 1941 in Hamburg vor. Ein Jahr später
verpflichtete ihn die DGG zu einer Gesamtaufnahme, die in Berlin stattfand.
Einige Lieder wurden ein Jahr später nochmals aufgenommen. Hotters Begleiter
war Michael Raucheisen, neben Sebastian Peschko damals der bekannteste
Liedbegleiter im deutschsprachigen Raum. Die Stimme vermittelt hier den
Eindruck an der Schwelle des Greisenhaften, obwohl der Sänger damals erst 31
Jahre alt war. Auch eine geringe Wandlungsfähigkeit ist nicht zu überhören.
Hier in dieser Aufnahme, später kaum noch, muss Hotter immer wieder mitten in
einer Phrase nachatmen, das ist vermutlich eine Folge von Asthma-Problemen, die
ihm zuweilen zu schaffen machten, wie er in seiner Biographie berichtet. Auch
noch hingewiesen sei auf verschluckte Anfangskonsonanten, wie das sch,
oder Endkonsonanten wie das z. Auch einige übertriebene Betonungen sind
nicht zu überhören. In (1) setzt Hotter nach dem Klaviervorspiel langsamer ein
als es Raucheisen vorgegeben hat. Überzeugend dagegen das Absetzen bei „Gute
Nacht“ und „sacht, sacht“. (16) wird nicht genügend locker gesungen, (19)
könnte etwas bewegter sein. Das letzte Viertel der Lieder ist deutlich von
Resignation geprägt. Raucheisens Klavierspiel wünschte man sich hier und da
exakter am Notentext. Noch während des 2. Weltkrieges nimmt die englische
Columbia den Sänger unter Vertrag, damit wechselt er auch zum Begleiter Gerald
Moore, der bereits spätestens seit 1938 bei der Aufnahme von Hugo-Wolf-Liedern
in Berlin mitwirkte und mit deutscher Lyrik vertraut war. Zusammen mit Hotter
nimmt Moore 1954 in London die „Winterreise“ auf. Eine größere Erfahrung durch
vorangegangene öffentliche Aufführungen schlagen nun positiv zu Buche: Hotters
Stimme ist gereifter und wird gleichmäßiger geführt als in der früheren
Aufnahme. Bei allen seinen Aufnahmen fällt an einigen Stellen die Verkürzung
von Vokalen zugunsten von Konsonanten auf, was den melodischen Fluss
unterbricht, z. B. „Wonne“ wird zu „Wonnnne“, oder „lustig“ zu „lusssstig“.
Erst spät habe ich (vermutlich) die Ursache gefunden: In einer TV-Sendung von
August Everding äußert er sich so: Ich
stamme aus einer Zeit, in der der Gesangslehrer nicht nur die Stimme
ausgebildet hat, sondern dem Schüler versucht hat zu erklären, dass
die Gesangsstimme organisch aus der Sprechstimme kommt, also sich an dem Sprechen zu orientieren
hat. Also muss „Wonnne“ und nicht „Wone“ gesungen werden.
Dietrich Fischer-Dieskau
Ich kenne keinen
anderen Sänger, der sich über so einen langen Zeitraum mit Schuberts
„Winterreise“ beschäftigt hat. Allein vier Studio-Produktionen für Electrola
und DGG sind zu verzeichnen, dazu zwei für den RIAS Berlin sowie den Kölner
WDR. Außerdem sind vier weitere Mitschnitte diverser Labels auf dem Markt.
Ganz am Anfang seiner
Beschäftigung mit dem Liederzyklus stand eine Aufnahme des 23jährigen Baritons
für den RIAS Berlin, der sein Gesangsstudium bei Hermann Weißenborn in Berlin
noch nicht abgeschlossen hatte. Die für den Rundfunk produzierte Einspielung
fand viele Jahre später auch als Raubpressung Eingang auf den
Schallplattenmarkt, dabei muss das Hören der Platten kein Genuss gewesen sein.
Im Booklet der audite-CD wird von den Schwierigkeiten bei der Aufnahme im
Nachkriegs-Berlin berichtet. Dort ist vor allem mit Mängeln bei der
Studiotechnik sowie Frequenzschwankungen im Stromnetz die Rede. Außerdem
bestand die RIAS- und spätere DGG-Produzentin Elsa Schiller zu Beginn der
Aufnahmesitzung darauf, den hauseigenen Pianisten Klaus Billing einzusetzen und
nicht den mit FD mitgebrachten Musiker. Nach 11 Stunden Aufnahmezeit, so
erinnert sich der Bariton, stellte der Aufnahmestab fest, dass die ersten 8
Lieder aufgrund eines Materialfehlers nicht sendetauglich seien und neu
produziert werden müssten. In todmüdem Zustand seien dann die 8 Lieder nochmals
aufgenommen worden. Wobei, trotz höchster Anstrengung aller Mitwirkenden, die
Intensität der Darstellung zu Beginn der Aufnahmesitzung jedoch nicht mehr
erreicht werden konnte. Die Aufnahme wurde immer wieder im RIAS gesendet und
war trotz der Mängel ein Erfolg. Sicher hat auch das Suget des Liederzyklus die
Menschen, die tagtäglich mit Elend, Entbehrung und Hunger zu kämpfen hatten,
tief beeindruckt.
Für die CD-Ausgabe
wurden die Originalbänder durch ein aufwendiges Verfahren bereinigt, dabei
gelang es auch, die Original-Tonhöhe in etwa wiederherzustellen. Leider konnten
einige Verzerrungen bei hohen lauten Stellen nicht entfernt werden. Das sollte
auch eine Warnung an nostalgisch veranlagte Musikfreunde sein, sich heute noch
alte Schwarzmarkt-LPs zuzulegen; auch vor frühen CDs, die vermutlich nur als
Kopie der LPs produziert wurden, sei gewarnt. Gegenüber dieser ersten Aufnahme
kann man, zumindest technisch, die folgende für den WDR als Luxusausgabe
empfinden, auch sie wurde von audite auf CD herausgebracht. Am Flügel saß der
Komponist und Liedbegleiter Hermann Reutter, der für ein hohes Niveau sorgt und
nicht dem Sänger den Vortritt lässt. Während die erste Aufnahme
Fischer-Dieskaus hauptsächlich als Stimmdokument gesehen werden darf und bei
der gestalterische Freizügigkeit vor textbezogenem Singen steht, begegnet uns
hier FD mit mehr Klangfülle. Die 1948 erfolgte Hervorhebung von Konsonanten an
Wortenden wird jetzt wieder zurückgefahren, jedoch ein leichtes Forcieren an
gewissen Stellen (z. B. in (1) bei „an dich hab ich gedacht“) bricht
sich Bahn, was in späteren Aufnahmen noch mehr auftritt. Sehr überzeugend
klingt das vorsichtige Ritardando in (19) bei „ihm weißt ein helles Haus“.
Drei Jahre nach dieser WDR-Aufnahme
verpflichtet ihn die deutsche EMI-Tochter Electrola zur ersten Plattenaufnahme.
Hier trifft FD auf den englischen Pianisten Gerald Moore, der für die nächsten
Jahrzehnte sein bevorzugter Klavierpartner werden sollte. Moore, der schon
viele Jahre Erfahrung als erfolgreicher Klavierbegleiter vorweisen kann, gibt
dem Klavierpart jedes einzelnen Liedes seine besondere Physiognomie (Rhythmus,
Beachtung der Pausen, Phrasierung, dynamische Abstufung). Bei FD beobachtet man
nun eine weitere intensive Beschäftigung mit Schuberts Vertonung von Müllers
Liedtexten, dabei kommt es immer wieder zu leichter Dramatisierung des Textes,
wenn es ihm angebracht erscheint. Das wird sich in den kommenden Jahren noch
fortsetzen. Insgesamt gesehen halte ich diese Einspielung aus dem Jahr 1955 für
eine der besten Aufnahmen der Winterreise, darüber hinaus klingt sie für diese
Zeit recht gut. Sie entstand am Ende der Mono-Zeit und es dauerte nur wenige
Jahre, bis die Electrola mit denselben Interpreten eine Stereo-Version folgen
ließ (1962). FD pflegt hier ein schlankes, ziemlich natürliches Singen, er
sendet keine Botschaft aus und konzentriert sich überwiegend auf die Aussage
des Textes, eine Spitzenaufnahme!
Das kann man von der
dritten Aufnahme dieses Teams, die 1971 für die DGG entstand, nicht sagen. Die
Stimme hat etwas von der Fülle und Rundung früherer Jahre verloren. Die
melodische Linie wird zugunsten kurzer Floskeln aus einzelnen Tönen verlassen.
Manche Stellen klingen von oben herab betrachtet, nicht ganz ernst genommen:
(3) „und dringt doch aus der Quelle“ oder (4) „Ich will den Boden
küssen“. In (7) stört ein gestelztes Singen verbunden mit verkürzten
Notenwerten. Die Aufnahme bewegt sich auf dem Weg von mehr Fischer-Dieskau und
weniger Schubert/Müller.
Gerald Moore hebt in
seinen Erinnerungen „Bin ich zu laut?“ ausdrücklich FDs Rhythmusgefühl
hervor, das ihn vor allen Sängern auszeichne.
Fischer-Diskaus zweiter
ständiger Klavierbegleiter Jörg Demus weist in seinem uneitlen Klavierspiel
nicht die Prägnanz von Moore auf, dass lässt sich z. B. gut in Lied 13
beobachten, er gefällt mir aber besser als des Sängers spätere Partner, die im
Hauptberuf Pianisten sind, nicht Liedbegleiter. Die Aufnahme der DGG von 1965
fällt auch sängerisch hinter ihre Vorgänger mit Moore zurück. In Lied 6 bringt
er die Stellen „Manche Trän‘ aus meinen Augen“ - „seine kalten
Flocken saugen“ zu larmoyant, als hätte hier H. Prey vor dem Mikrophon
gestanden. Immer wieder beobachtet man die Verkürzung von Notenwerten bei
schnellem Tempo, was zu einer Zerstückelung der Melodielinie führen kann, z. B.
bei „Hähne“ in (11).
Der Mitschnitt von den
Salzburger Festspielen 1978 mit dem noch jungen Maurizio Pollini als Begleiter
enttäuscht mich. Das liegt jedoch weniger am Pianisten als am Sänger.
Fischer-Dieskaus helle Baritonstimme klingt hier noch heller, bei vielen
Stellen liebt er einen eher deklamatorischen Vortrag, an anderen verfällt er in
einen theatralischen, affektierten oder opernhaften Tonfall. Hier stellt sich
auch die Frage, ob lautes Singen in Gebrüll ausarten muss? Pollini erweist sich
als Begleiter als gute Wahl, der aufmerksam Schuberts Notentext umsetzt, z. B.
in (15), wo er die Melodielinie zurückhaltend, aber doch eindringlich
hervorhebt, oder beim „Leiermann“, wenn er Schuberts Betonungen in den Takten
4/5 und 7/8 genau darstellt. Auffallend jedoch die zu legato umgeformten
staccato-Achtel der linken Hand vor der ersten und dritten Strophe in
(13), die nicht vom Notentext abgesegnet sind. Leider ist der in Salzburg
eingesetzte Flügel mit einem harten und metallischen Klang behaftet, der m. E.
wenig zur „Winterreise“ passt. Der Höhepunkt dieser Interpretation liegt in den
letzten Liedern des Zyklus.
Ein Jahr nach dieser
Aufführung geht FD nun mit Daniel Barenboim ins Aufnahmestudio, um sich erneut
der Winterreise zu stellen. Es ist erfreulich zu beobachten, dass er nun auf
den Pfad sängerischer Tugenden zurückkehrt. Barenboim unterstützt ihn mit exakter,
teilweise auch gewichtiger, Begleitung, die jedoch kaum eine eigene Handschrift
zu erkennen gibt. Das sieht bei der folgenden Studio-Produktion für Philips
(1985) besser aus. Brendel entlockt seinem Flügel viel Klang, damit bewegt er
sich auch von der Rolle des nur-Begleiters zum echten Partner, der auf genaue
Umsetzung der Textvorlage bedacht ist. FD verlässt leider wieder den bei
Barenboim gelobten Gesangsstil und verfällt in interpretatorisch fragliches
Terrain mit (zu) vielen sängerischen Übertreibungen. Höhepunkte sind hier die
Lieder Nr. 5, 7, 19-21. Wenn hier bereits der Alterungsprozess von
Fischer-Dieskaus Stimme nicht zu überhören war, trifft dieser noch deutlicher
in seiner letzten Aufnahme zu Tage, einer Videoproduktion aus Berlin, die Sony
auch als CD herausgebracht hat. Die Stimme verfügt nicht mehr über das Volumen
früherer Jahre, klingt abgesungen, vieles klingt dürr und hohl, vergleichbar
einem Ast mit nur noch wenigen Blättern. Es fehlt ihr nun der genau fokussierte
Sitz. Dazu kommen Stimmverfärbungen sowie erneut ein übertrieben
deklamatorisches Singen an vielen Stellen. Am Flügel sitzt nun der Pianist
Murray Perahia, der bisher kaum als Liedbegleiter hervorgetreten ist, hier
hinter den meisten seiner Kollegen rangiert. Seine Mitwirkung klingt wie
einstudiert, ohne eine Empathie für den Liederzyklus erkennen zu lassen.
Besonders enttäuschend Lied 19, wenn Perahia kein Gespür für den besonderen
Duft dieses Liedes erkennen lässt. Musste diese Aufnahme noch sein? Sie
schädigt den Ruf der früheren besseren Aufnahmen dieses Ausnahmesängers.
Hermann Prey
Im Gegensatz zu
Fischer-Dieskau verfolgte der drei Jahre jüngere Prey bei seinen Liedvorträgen
weniger den dramatischen Ausdruck, die Emphase, sondern rückt das Gefühlshafte
mehr in den Vordergrund und wendet sich damit mehr dem Publikum zu.
Verfärbungen des Klangs vor allem bei a, au, und ei, sowie zum
Verschleifen von hohen zu tiefen Tönen weisen in Richtung Larmoyanz. Prey hat,
wie andere Interpreten auch, eine genaue Vorstellung vom Werk und setzt sie um,
verfügt jedoch nicht über die Ausdrucksmöglichkeiten seines Kollegen FD und
steht deshalb er immer hinter diesem zurück. Insgesamt hat Prey drei
Studioeinspielungen der „Winterreise“ vorgelegt. Die erste entstand 1962 für
Electrola mit Karl Engel am Flügel, der musikalisch und sorgfältig begleitet,
im Vergleich zu Moore aber etwas trocken, weniger ausdrucksvoll wirkt,
vielleicht auch deshalb, dass er sich in der dynamischen Gestaltung etwas
zurückhält, um nicht dem Sänger vorzugreifen. Lied (1) wird zurückhaltend
gesungen (2) leise, aber trotzdem intensiv die Stelle „Der Wind spielt
drinnen“. Lied (5) mit mehr Geschmack als erwartet, ohne Tränen in den
Augen, (16) Textänderung bei „manches bunte“, (20) „keiner“ sehr
derb im Ausdruck, (23) etwas übertrieben „neulich“. Neun Jahre später
erfolgt eine Neuaufnahme, jetzt für Philips, mit Wolfgang Sawallisch, der immer
wieder gern vom Dirigentenpult zum Flügel wechselt. Er bleibt nicht nur
Begleiter, sondern entdeckt immer wieder Besonderes in der Klavierstimme. Sein
Klavierspiel ist schlank, beweglich bei prägnantem Anschlag, z. B. (4), in (19)
vermisst man jedoch den von Schubert hineinkomponierten Duft. (1) auch hier
zurückhaltend schlicht, (2) jedoch mit viel mehr Dramatik, gelungen die Lieder
21, 23 und 24.
Preys dritte
Einspielung entstand 1984 für den japanischen Elektrokonzern Denon, der sich
einige Jahre mit klanglich hervorragenden CDs auf dem europäischen Markt
behaupten konnte. Preys Partner am Flügel war der junge französische Pianist
Philippe Bianconi, der hier jedoch kaum eigene Vorstellungen einbringt, in (5)
fehlt es an Duft in der Einleitung, (13) wünschte man sich rhythmisch
profilierter und in (18) ist der Flügel zu schwerfällig. Preys Aktivposten sind
unterdessen auch geschrumpft, mehr Larmoyanz und Tränen in der Stimme lassen
sich nicht überhören, z. B. beim „Lindenbaum“. In (15) stößt Prey bei „Treue
bis zum Grabe“ an die Grenzen des Geschmacks, zu viel Vibrato beobachtet
man in (21) und (23). Insgesamt ist Preys dritter „Wanderer“ stimmlich
gealtert, auch weniger präsent aufgenommen als bei den früheren Aufnahmen.
Peter Schreier
Die
Schubert-Interpreten Schreier und Svjatoslav Richter treffen sich in Dresden
bei der „Winterreise“, da muss das Herz höherschlagen. Leider entspricht das
akustische Ergebnis nicht den hochgeschraubten Erwartungen, obwohl Schreiers
helle Stimme mit bester Textverständlichkeit, sehr beweglich, mit einer
sicheren Höhe versehen ist, das sind beste Voraussetzungen für die Gestaltung
der einzelnen Lieder. Auf der anderen Seite muss festgestellt werden, dass die
Stimme hier nicht sehr farbig geführt wird und weniger wandlungsfähig
erscheint. Gleich das Eingangslied kommt etwas wie doziert aus den
Lautsprechern. Es wird langsam interpretiert, wie auch der „Lindenbaum“, in dem
die 3. Strophe jedoch schneller genommen wird. Auch für andere Lieder nehmen
sich Schreier und Richter, die hier im besten Einvernehmen zu erleben sind,
mehr Zeit als gewöhnlich. In (10) vernimmt man einen Tonwechsel bei „fort
mich wehen“ sowie „Stich sich regen“, jeweils beim zweiten
Mal. Schreiers Stimme ist etwas zurückgesetzt und die live-Aufnahme klingt auch
etwas hallig. Ständige Huster runden den zwiespältigen Eindruck ab.
Sechs Jahre später
erfolgt eine Studioproduktion für Decca, bei der András Schiff am Bösendorfer
Platz nimmt. Diese Interpretation hinterlässt einen besseren Eindruck, da sich
die Interpreten näher sowohl an der Musik als auch am Text bewegen, man spürt als
Hörer mehr aktive Teilnahme als in der früheren Aufnahme, z. B. wird im
Eingangslied „Gute Nacht“ natürlicher musiziert. Auch werden etliche Lieder
nicht mehr so langsam gesungen/gespielt. Die in (10) beobachteten Tonwechsel
trifft man jedoch auch hier an. Im Ganzen gesehen handelt es sich um eine
Spitzeninterpretation.
Christoph Prégardien
Prégardien hat
Schuberts „Winterreise“ zweimal aufgenommen. Bei der älteren Aufnahme wirkte
Andreas Staier am Hammerflügel mit. Herausgekommen ist eine starke
Interpretation aufgrund einer hervorragenden Textvermittlung inkl. des
literarischen Hintergrundes, sehr gute Artikulation, die das eigentliche Singen
nicht verdrängt. Die beiden Abteilungen des Zyklus‘ werden durch eine kleine
Pause zwischen den Liedern 12 und 13 voneinander abgesetzt. Staier immer ein
aktiver Mitgestalter, sein Instrument klingt hier viel farbiger als bei
Schopper, hier und da Arpeggien – (1) einige rit., (zu) schön gesungen,
zu gepflegt, (2) jetzt starker Kontrast, (10) in der E die Ruhe gut vermittelt,
(13) HF mit mehr Klang, (21) sehr langsam, sehr eindringlich. 16 Jahre später
erfolgt eine Neuaufnahme mit seinem inzwischen ständigen Begleiter Michael Gees
am Flügel. Beide präsentieren sich als eingespieltes Team, auch hier erlebt man
einen höchsten Einsatz, jedoch klingt die frühere Aufnahme für mich
authentischer, da unmittelbarer empfunden. Die Stimme klingt jetzt etwas
dunkler und besitzt nicht mehr den Schmelz von früher, die Höhe erreicht
Prégardien nun nicht immer so mühelos – (5) Triolenbegleitung in der E nicht
ganz klar, (8) zu viel Pedal in der E, auch hier werden die beiden Teile
mittels einer kleinen Pause voneinander getrennt.
Andreas Schmidt
Ohne Hörerfahrung mit
der „Winterreise“ kann man an Andreas Schmidts erster Einspielung (DGG 1990)
Gefallen finden, gesangstechnisch ist da kaum etwas auszusetzen, die Stimme
sitzt hervorragend, Höhe und Tiefe sind sehr gut ausgeglichen und eine immer deutliche
Artikulation bedingt beste Textverständlichkeit. Leider erreicht Schmidt, trotz
hohem Engagement, über schönem ausgeglichenem Gesang nicht das Essentielle
hinter den Liedern, er singt oft etwas vordergründig, unbeteiligt, einförmig
und neutral. Wo erlebt man ihn einmal richtig betroffen? Sein Klavierpartner
Rudolf Jansen glänzt als aufmerksamer Begleiter mit differenzierendem Vortrag.
Vielleicht war der Sänger im Nachhinein selbst nicht ganz zufrieden mit seiner
Leistung und legt wieder zusammen mit Jansen eine zweite Aufnahme vor (hänssler
2000), die etwas mehr überzeugt, da Schmidt mit seinem Singen jetzt näher am
Text bleibt, jedoch nicht immer.
Wolfgang Holzmair
Nach seiner
Philips-Aufnahme der „Winterreise“ in Begleitung von Imogen Cooper legte der
österreichische Bariton 15 Jahre später eine weitere Interpretation beim Label
Capriccio vor, jetzt begleitet von Andreas Haefliger am Flügel, der mich beim
ersten Hören an einen Hammerflügel erinnert. In der Erstaufnahme ist Holzmairs
angenehm klingende, jugendliche Stimme mit guter Textverständlichkeit ein
Pluspunkt der Aufnahme. Leider setzt er immer wieder ein leichtes Vibrato ein.
Cooper versucht ihrem Partner die beste Unterstützung zu geben, bringt jedoch
kaum eigene Ideen in ihr Spiel ein, es hinterlässt bei mir einen neutralen und
harmlosen Eindruck. In Holzmairs zweiter Einspielung erleben wir einen
gereiften Künstler, der den Notentext neu durchdacht hat, viele Stellen werden
jetzt mit etwas mehr Nachdruck versehen und klingen nun persönlicher. Z. B.
wird die Stelle „dass ihr erstarrt zu Eise“ in (3) nun eindringlicher
als in der älteren Produktion dargeboten. Der Gebrauch des Vibrato wird jetzt
etwas eingeschränkt. Haefliger ist ein Partner auf höchstem Niveau, z. B. ist
die durchlaufende Triolenbegleitung in (4) eindringlicher als bei Cooper. Auch
im folgenden Lied gelingt ihm die Stelle „und seine Zweige riefen“ mit
mehr Emphase. Holzmairs Stimme erinnert mich entfernt an die von Julius Patzak.
Matthias Goerne
Auch wenn ich jetzt
viel Widerspruch von Verehrern des Sängers ernte, bin ich der Ansicht, dass
Goernes Stimme, speziell hier bei der „Winterreise“, sich nicht immer als
vorteilhaft erweist. Die Stimme sitzt weit hinten, zuweilen klingt sie gaumig
und in den Aufnahmen mit Brendel und Eschenbach auch nasal. Was ich
problematisch finde, ist das eingesetzte Vibrato bei längeren Notenwerten. Am
Überzeugendsten klingt sein Vortrag bei Liedern die ein gleichmäßiges Singen
verlangen. Bei Liedern jedoch mit Umschwüngen und dramatischen Zuspitzungen
klingt seine voluminöse Stimme wie gewalttätig, gleichzeitig auch hohl.
Außerdem ist Goernes Stimme hier wenig variabel und verfügt über wenig
Differenzierungsmöglichkeiten. Das lässt sich in dem Lied „Frühlingstraum“ (11)
genau beobachten: leise Partien gefallen, laute („Rabe vom Dach“)
klingen zu voluminös und fest, hohe laute Stellen werden zudem auch gestemmt.
Am besten gefällt mir seine Stimme noch in der ersten Aufnahme. Leider findet
er seitens seines Begleiters Graham Johnson mit seinem asketischen und
neutralen Klavierspiel wenig Unterstützung. Man meint Johnson wollte den Sänger
nicht stören und ihm den Vortritt lassen. In (4) klingen die durchlaufenden
Triolen etwas geleiert. In (6) passt er die punktierten Achtel den Triolen des
Sängers bequem an, im Gegensatz zum Notentext. So verfahren übrigens auch
Alfred Brendel und Christoph Eschenbach sowie viele andere Klavierpartner. Die
ersten Takte von (11) klingen leider nicht duftig, sondern eher sachlich.
Besser gefällt mir die
Zusammenarbeit mit Alfred Brendel, hier spürt man eine echte Partnerschaft. Der
Flügelklang hat mehr Fülle als früher und Brendel überzeugt mit differenziertem
Vortrag, z. B. im „Lindenbaum“ (5): nach der 3. Strophe klingen „die kalten
Winde“ in den Sechzehntel-Triolen der rechten Hand noch nach. Zehn Jahre
später ist Christoph Eschenbach Goernes Klavierpartner, der oft mit kräftigem
Anschlag aufwartet, in punkto Differenzierung jedoch nicht immer überzeugt, in
(4) z. B. bleibt er nur beiläufig. Goernes Singen klingt an einigen Stellen
etwas kurzatmig, ein Nachatmen an etlichen Stellen ist nicht zu verbergen.
Durch (dezente) Hallbeigabe wirkt die Stimme jedoch mächtiger.
eingestellt am
25.03.22